The Project Gutenberg EBook of Maerchen-Almanach auf das Jahr 1826 by Wilhelm Hauff Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- which requires a binary transfer, or sent as email attachment and may require more specialized programs to display the accents. This is the 8-bit version. This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg2000.de erreichbar. Maerchen-Almanach auf das Jahr 1826 Wilhelm Hauff Inhalt: Maerchen als Almanach Die Karawane (Rahmenerzaehlung) Die Geschichte vom Kalif Storch Die Geschichte von dem Gespensterschiff Die Geschichte von der abgehauenen Hand Die Errettung Fatmes Die Geschichte von dem kleinen Muck Das Maerchen vom falschen Prinzen Maerchen als Almanach Wilhelm Hauff In einem schoenen, fernen Reiche, von welchem die Sage lebt, dass die Sonne in seinen ewig gruenen Gaerten niemals untergehe, herrschte von Anfang an bis heute die Koenigin Phantasie. Mit vollen Haenden spendete diese seit vielen Jahrhunderten die Fuelle des Segens ueber die Ihrigen und war geliebt, verehrt von allen, die sie kannten. Das Herz der Koenigin war aber zu gross, als dass sie mit ihren Wohltaten bei ihrem Lande stehen geblieben waere; sie selbst, im koeniglichen Schmuck ihrer ewigen Jugend und Schoenheit, stieg herab auf die Erde; denn sie hatte gehoert, dass dort Menschen wohnen, die ihr Leben in traurigem Ernst, unter Muehe und Arbeit hinbringen. Diesen hatte sie die schoensten Gaben aus ihrem Reiche mitgebracht, und seit die schoene Koenigin durch die Fluren der Erde gegangen war, waren die Menschen froehlich bei der Arbeit, heiter in ihrem Ernst. Auch ihre Kinder,nicht minder schoen und lieblich als die koenigliche Mutter, sandte sie aus, um die Menschen zu begluecken. Einst kam Maerchen, die aelteste Tochter der Koenigin, von der Erde zurueck. Die Mutter bemerkte, dass Maerchen traurig sei, ja, hier und da wollte ihr beduenken, als ob sie verweinte Augen haette. "Was hast du, liebes Maerchen", sprach die Koenigin zu ihr, "du bist seit deiner Reise so traurig und niedergeschlagen, willst du deiner Mutter nicht anvertrauen, was dir fehlt?" "Ach, liebe Mutter", antwortete Maerchen, "ich haette gewiss nicht so lange geschwiegen, wenn ich nicht wuesste, dass mein Kummer auch der deinige ist." "Sprich immer, meine Tochter", bat die schoene Koenigin, "der Gram ist ein Stein, der den einzelnen niederdrueckt, aber zwei tragen ihn leicht aus dem Wege." "Du willst es", antwortete Maerchen, "so hoere: Du weisst, wie gerne ich mit den Menschen umgehe, wie ich freudig auch bei dem Aermsten vor seiner Huette sitze, um nach der Arbeit ein Stuendchen mit ihm zu verplaudern; sie boten mir auch sonst gleich freundlich die Hand zum Gruss, wenn ich kam, und sahen mir laechelnd und zufrieden nach, wenn ich weiterging; aber in diesen Tagen ist es gar nicht mehr so!" "Armes Maerchen!" sprach die Koenigin und streichelte ihr die Wange, die von einer Traene feucht war, "aber du bildest dir vielleicht dies alles nur ein?" "Glaube mir, ich fuehle es nur zu gut", entgegnete Maerchen, "sie lieben mich nicht mehr. Ueberall, wo ich hinkomme, begegnen mir kalte Blicke; nirgends bin ich mehr gern gesehen; selbst die Kinder, die ich doch immer so lieb hatte, lachen ueber mich und wenden mir altklug den Ruecken zu." Die Koenigin stuetzte die Stirne in die Hand und schwieg sinnend. "Und woher soll es denn", fragte die Koenigin, "kommen, Maerchen, dass sich die Leute da unten so geaendert haben?" "Sieh, die Menschen haben kluge Waechter aufgestellt, die alles, was aus deinem Reich kommt, o Koenigin Phantasie, mit scharfem Blicke mustern und pruefen. Wenn nun einer kommt, der nicht nach ihrem Sinne ist, so erheben sie ein grosses Geschrei, schlagen ihn tot oder verleumden ihn doch so sehr bei den Menschen, die ihnen aufs Wort glauben, dass man gar keine Liebe, kein Fuenkchen Zutrauen mehr findet. Ach, wie gut haben es meine Brueder, die Traeume, froehlich und leicht huepfen sie auf die Erde hinab, fragen nichts nach jenen klugen Maennern, besuchen die schlummernden Menschen und weben und malen ihnen, was das Herz beglueckt und das Auge erfreut!" "Deine Brueder sind Leichtfuesse", sagte die Koenigin, "und du, mein Liebling, hast keine Ursache, sie zu beneiden. Jene Grenzwaechter kenne ich uebrigens wohl; die Menschen haben so unrecht nicht, sie aufzustellen; es kam so mancher windige Geselle und tat, als ob er geradewegs aus meinem Reiche kaeme, und doch hatte er hoechstens von einem Berge zu uns heruebergeschaut." "Aber warum lassen sie dies mich, deine eigene Tochter, entgelten", weinte Maerchen. "Ach, wenn du wuesstest, wie sie es mit mir gemacht haben; sie schalten mich eine alte Jungfer und drohten, mich das naechste Mal gar nicht mehr hereinzulassen." "Wie, meine Tochter nicht mehr einzulassen?" rief die Koenigin, und Zorn roetete ihre Wangen. "Aber ich sehe schon, woher dies kommt; die boese Muhme hat uns verleumdet!" "Die Mode? Nicht moeglich!" rief Maerchen, "sie tat ja sonst immer so freundlich." "Oh! Ich kenne sie, die Falsche", antwortete die Koenigin, "aber versuche es ihr zum Trotze wieder, meine Tochter, wer Gutes tun will, darf nicht rasten." "Ach, Mutter! Wenn sie mich dann ganz zurueckweisen, oder wenn sie mich verleumden, dass mich die Menschen nicht ansehen oder einsam und verachtet in der Ecke stehen lassen?" "Wenn die Alten, von der Mode betoert, dich geringschaetzen, so wende dich an die Kleinen, wahrlich, sie sind meine Lieblinge, ihnen sende ich meine lieblichsten Bilder durch deine Brueder, die Traeume, ja, ich bin schon oft selbst zu ihnen hinabgeschwebt, habe sie geherzt und gekuesst und schoene Spiele mit ihnen gespielt; sie kennen mich auch wohl, sie wissen zwar meinen Namen nicht, aber ich habe schon oft bemerkt, wie sie nachts zu meinen Sternen herauflaecheln und morgens, wenn meine glaenzenden Laemmer am Himmel ziehen, vor Freuden die Haende zusammenschlagen. Auch wenn sie groesser werden, lieben sie mich noch, ich helfe dann den lieblichen Maedchen bunte Kraenze flechten, und die wilden Knaben werden stiller, wenn ich auf hoher Felsenspitze mich zu ihnen setze, aus der Nebelwelt der fernen, blauen Berge hohe Burgen und glaenzende Palaeste auftauchen lasse und aus den roetlichen Wolken des Abends kuehne Reiterscharen und wunderliche Wallfahrtszuege bilde." "O die guten Kinder!" rief Maerchen bewegt aus. "Ja, es sei! Mit ihnen will ich es noch einmal versuchen." "Ja, du gute Tochter", sprach die Koenigin, "gehe zu ihnen; aber ich will dich auch ein wenig ordentlich ankleiden, dass du den Kleinen gefaellst und die Grossen dich nicht zurueckstossen; siehe, das Gewand eines Almanachs will ich dir geben." "Eines Almanachs, Mutter? Ach!--Ich schaeme mich, so vor den Leuten zu prangen." Die Koenigin winkte, und die Dienerinnen brachten das zierliche Gewand eines Almanachs. Es war von glaenzenden Farben und schoene Figuren eingewoben. Die Zofen flochten dem schoenen Maedchen das lange Haar; sie banden ihr goldene Sandalen unter die Fuesse und hingen ihr dann das Gewand um. Das bescheidene Maerchen wagte nicht aufzublicken, die Mutter aber betrachtete es mit Wohlgefallen und schloss es in ihre Arme. "Gehe hin", sprach sie zu der Kleinen, "mein Segen sei mit dir. Und wenn sie dich verachten und hoehnen, so kehre zurueck zu mir, vielleicht, dass spaetere Geschlechter, getreuer der Natur, ihr Herz dir wieder zuwenden." Also sprach die Koenigin Phantasie. Maerchen aber stieg hinab auf die Erde. Mit pochendem Herzen nahte sie dem Ort, wo die klugen Waechter hauseten; sie senkte das Koepfchen zur Erde, sie zog das schoene Gewand enger um sich her, und mit zagendem Schritt nahte sie dem Tor. "Halt!" rief eine tiefe, rauhe Stimme. "Wache heraus! Da kommt ein neuer Almanach!" Maerchen zitterte, als sie dies hoerte; viele aeltliche Maenner von finsterem Aussehen stuerzten hervor; sie hatten spitzige Federn in der Faust und hielten sie dem Maerchen entgegen. Einer aus der Schar schritt auf sie zu und packte sie mit rauher Hand am Kinn. "Nur auch den Kopf aufgerichtet, Herr Almanach", schrie er, "dass man Ihm in den Augen ansiehet, ob er was Rechtes ist oder nicht!" Erroetend richtete Maerchen das Koepfchen in die Hoehe und schlug das dunkle Auge auf. "Das Maerchen!" riefen die Waechter und lachten aus vollem Hals, "das Maerchen! Haben wunder gemeint, was da kaeme! Wie kommst du nur in diesen Rock?" "Die Mutter hat ihn mir angezogen", antwortete Maerchen. "So? Sie will dich bei uns einschwaerzen? Nichts da! Hebe dich weg, mach, dass du fortkommst!" riefen die Waechter untereinander und erhoben die scharfen Federn. "Aber ich will ja nur zu den Kindern", bat Maerchen, "dies koennt ihr mir ja doch erlauben." "Laeuft nicht schon genug solches Gesindel im Land umher?" rief einer der Waechter. "Sie schwatzen nur unseren Kindern dummes Zeug vor." "Lasst uns sehen, was sie diesmal weiss!" sprach ein anderer. "Nun ja", riefen sie, "sag an, was du weisst, aber beeile dich, denn wir haben nicht viele Zeit fuer dich!" Maerchen streckte die Hand aus und schrieb mit dem Zeigefinger viele Zeichen in die Luft. Da sah man bunte Gestalten vorueberziehen; Karawanen mit schoenen Rossen, geschmueckte Reiter, viele Zelte im Sand der Wueste; Voegel und Schiffe auf stuermischen Meeren; stille Waelder und volkreiche Plaetze und Strassen; Schlachten und friedliche Nomaden, sie alle schwebten in belebten Bildern, in buntem Gewimmel vorueber. Maerchen hatte in dem Eifer, mit welchem sie die Bilder aufsteigen liess, nicht bemerkt, wie die Waechter des Tores nach und nach eingeschlafen waren. Eben wollte sie neue Zeichen schreiben, als ein freundlicher Mann auf sie zutrat und ihre Hand ergriff. "Siehe her, gutes Maerchen", sagte er, indem er auf die Schlafenden zeigte, "fuer diese sind deine bunten Sachen nichts; schluepfe schnell durch das Tor; sie ahnen dann nicht, dass du im Lande bist, und du kannst friedlich und unbemerkt deine Strasse ziehen. Ich will dich zu meinen Kindern fuehren; in meinem Hause geb' ich dir ein stilles, freundliches Plaetzchen; dort kannst du wohnen und fuer dich leben; wenn dann meine Soehne und Toechter gut gelernt haben, duerfen sie mit ihren Gespielen zu dir kommen und dir zuhoeren. Willst du so?" "Oh, wie gerne folge ich dir zu deinen lieben Kleinen; wie will ich mich befleissen, ihnen zuweilen ein heiteres Stuendchen zu machen!" Der gute Mann nickte ihr freundlich zu und half ihr, ueber die Fuesse der schlafenden Waechter hinueberzusteigen. Laechelnd sah sich Maerchen um, als sie hinueber war, und schluepfte dann schnell in das Tor. Die Karawane Wilhelm Hauff Es zog einmal eine grosse Karawane durch die Wueste. Auf der ungeheuren Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hoerte man schon in weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen Roellchen der Pferde, eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, verkuendete ihre Naehe, und wenn ein Luftzug die Wolke teilte, blendeten funkelnde Waffen und helleuchtende Gewaender das Auge. So stellte sich die Karawane einem Manne dar, welcher von der Seite her auf sie zuritt. Er ritt ein schoenes arabisches Pferd, mit einer Tigerdecke behaengt, an dem hochroten Riemenwerk hingen silberne Gloeckchen, und auf dem Kopf des Pferdes wehte ein schoener Reiherbusch. Der Reiter sah stattlich aus, und sein Anzug entsprach der Pracht seines Rosses; ein weisser Turban, reich mit Gold bestickt, bedeckte das Haupt; der Rock und die weiten Beinkleider waren von brennendem Rot, ein gekruemmtes Schwert mit reichem Griff an seiner Seite. Er hatte den Turban tief ins Gesicht gedrueckt; dies und die schwarzen Augen, die unter buschigen Brauen hervorblitzten, der lange Bart, der unter der gebogenen Nase herabhing, gaben ihm ein wildes, kuehnes Aussehen. Als der Reiter ungefaehr auf fuenfzig Schritt dem Vortrab der Karawane nahe war, spornte er sein Pferd an und war in wenigen Augenblicken an der Spitze des Zuges angelangt. Es war ein so ungewoehnliches Ereignis, einen einzelnen Reiter durch die Wueste ziehen zu sehen, dass die Waechter des Zuges, einen Ueberfall befuerchtend, ihm ihre Lanzen entgegenstreckten. "Was wollt ihr", rief der Reiter, als er sich so kriegerisch empfangen sah, "glaubt ihr, ein einzelner Mann werde eure Karawane angreifen?" Beschaemt schwangen die Waechter ihre Lanzen wieder auf, ihr Anfuehrer aber ritt an den Fremden heran und fragte nach seinem Begehr. "Wer ist der Herr der Karawane?" fragte der Reiter. "Sie gehoert nicht einem Herrn", antwortete der Gefragte, "sondern es sind mehrere Kaufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen und die wir durch die Wueste geleiten, weil oft allerlei Gesindel die Reisenden beunruhigt." "So fuehrt mich zu den Kaufleuten", begehrte der Fremde. "Das kann jetzt nicht geschehen", antwortete der Fuehrer, "weil wir ohne Aufenthalt weiterziehen muessen und die Kaufleute wenigstens eine Viertelstunde weiter hinten sind; wollt Ihr aber mit mir weiterreiten, bis wir lagern, um Mittagsruhe zu halten, so werde ich Eurem Wunsch willfahren." Der Fremde sagte hierauf nichts; er zog eine lange Pfeife, die er am Sattel festgebunden hatte, hervor und fing an in grossen Zuegen zu rauchen, indem er neben dem Anfuehrer des Vortrabs weiterritt. Dieser wusste nicht, was er aus dem Fremden machen sollte; er wagte es nicht, ihn geradezu nach seinem Namen zu fragen, und so kuenstlich er auch ein Gespraech anzuknuepfen suchte, der Fremde hatte auf das: "Ihr raucht da einen guten Tabak", oder: "Euer Rapp' hat einen braven Schritt", immer nur mit einem kurzen "Ja, ja!" geantwortet. Endlich waren sie auf dem Platz angekommen, wo man Mittagsruhe halten wollte. Der Anfuehrer hatte seine Leute als Wachen aufgestellt; er selbst hielt mit dem Fremden, um die Karawane herankommen zu lassen. Dreissig Kamele, schwer beladen, zogen vorueber, von bewaffneten Fuehrern geleitet. Nach diesen kamen auf schoenen Pferden die fuenf Kaufleute, denen die Karawane gehoerte. Es waren meistens Maenner von vorgeruecktem Alter, ernst und gesetzt aussehend, nur einer schien viel juenger als die uebrigen, wie auch froher und lebhafter. Eine grosse Anzahl Kamele und Packpferde schloss den Zug. Man hatte Zelte aufgeschlagen und die Kamele und Pferde rings umhergestellt. In der Mitte war ein grosses Zelt von blauem Seidenzeug. Dorthin fuehrte der Anfuehrer der Wache den Fremden. Als sie durch den Vorhang des Zeltes getreten waren, sahen sie die fuenf Kaufleute auf goldgewirkten Polstern sitzen; schwarze Sklaven reichten ihnen Speise und Getraenke. "Wen bringt Ihr uns da?" rief der junge Kaufmann dem Fuehrer zu. Ehe noch der Fuehrer antworten konnte, sprach der Fremde: "Ich heisse Selim Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde auf einer Reise nach Mekka von einer Raeuberhorde gefangen und habe mich vor drei Tagen heimlich aus der Gefangenschaft befreit. Der grosse Prophet liess mich die Glocken eurer Karawane in weiter Ferne hoeren, und so kam ich bei euch an. Erlaubet mir, dass ich in eurer Gesellschaft reise! Ihr werdet euren Schutz keinem Unwuerdigen schenken, und so ihr nach Bagdad kommet, werde ich eure Guete reichlich belohnen denn ich bin der Neffe des Grosswesirs." Der aelteste der Kaufleute nahm das Wort: "Selim Baruch", sprach er, "sei willkommen in unserem Schatten. Es macht uns Freude, dir beizustehen; vor allem aber setze dich und iss und trinke mit uns." Selim Baruch setzte sich zu den Kaufleuten und ass und trank mit ihnen. Nach dem Essen raeumten die Sklaven die Geschirre hinweg und brachten lange Pfeifen und tuerkischen Sorbet. Die Kaufleute sassen lange schweigend, indem sie die blaeulichen Rauchwolken vor sich hinbliesen und zusahen, wie sie sich ringelten und verzogen und endlich in die Luft verschwebten. Der junge Kaufmann brach endlich das Stillschweigen: "So sitzen wir seit drei Tagen", sprach er, "zu Pferd und am Tisch, ohne uns durch etwas die Zeit zu vertreiben. Ich verspuere gewaltig Langeweile, denn ich bin gewohnt, nach Tisch Taenzer zu sehen oder Gesang und Musik zu hoeren. Wisst ihr gar nichts, meine Freunde, das uns die Zeit vertreibt?" Die vier aelteren Kaufleute rauchten fort und schienen ernsthaft nachzusinnen, der Fremde aber sprach: "Wenn es mir erlaubt ist, will ich euch einen Vorschlag machen. Ich meine, auf jedem Lagerplatz koennte einer von uns den anderen etwas erzaehlen. Dies koennte uns schon die Zeit vertreiben." "Selim Baruch, du hast wahr gesprochen", sagte Achmet, der aelteste der Kaufleute, "lasst uns den Vorschlag annehmen." "Es freut mich, wenn euch der Vorschlag behagt", sprach Selim, "damit ihr aber sehet, dass ich nichts Unbilliges verlange, so will ich den Anfang machen." Vergnuegt rueckten die fuenf Kaufleute naeher zusammen und liessen den Fremden in ihrer Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher wieder voll, stopften die Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten gluehende Kohlen zum Anzuenden. Selim aber erfrischte seine Stimme mit einem tuechtigen Zuge Sorbet, strich den langen Bart ueber dem Mund weg und sprach: "So hoert denn die Geschichte vom Kalif Storch." Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die Kaufleute sehr zufrieden damit. "Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns vergangen, ohne dass wir merkten wie!" sagte einer derselben, indem er die Decke des Zeltes zurueckschlug. "Der Abendwind wehet kuehl, und wir koennten noch eine gute Strecke Weges zuruecklegen." Seine Gefaehrten waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, und die Karawane machte sich in der naemlichen Ordnung, in welcher sie herangezogen war, auf den Weg. Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwuel am Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen endlich an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und legten sich zur Ruhe. Fuer den Fremden aber sorgten die Kaufleute, wie wenn er ihr wertester Gastfreund waere. Der eine gab ihm Polster, der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut bedient, als ob er zu Hause waere. Die heisseren Stunden des Tages waren schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie beschlossen einmuetig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie miteinander gespeist hatten, rueckten sie wieder naeher zusammen, und der junge Kaufmann wandte sich an den aeltesten und sprach: "Selim Baruch hat uns gestern einen vergnuegten Nachmittag bereitet, wie waere es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzaehltet, sei es nun aus Eurem langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es auch ein huebsches Maerchen." Achmet schwieg auf diese Anrede eine Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel waere, ob er dies oder jenes sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen: "Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und nicht jedem erzaehle: die Geschichte von dem Gespensterschiff." Die Reise der Karawane war den anderen Tag ohne Hindernis fuerder gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim, der Fremde, zu Muley, dem juengsten der Kaufleute, also zu sprechen: "Ihr seid zwar der Juengste von uns, doch seid Ihr immer froehlich und wisst fuer uns gewiss irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, dass er uns erquicke nach der Hitze des Tages!" "Wohl moechte ich euch etwas erzaehlen", antwortete Muley, "das euch Spass machen koennte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen Dingen; darum muessen meine aelteren Reisegefaehrten den Vorrang haben. Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht erzaehlen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, dass wir seinen Kummer, wenn er solchen hat, lindern koennen; denn gerne dienen wir dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens ist." Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren Jahren, schoen und kraeftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein Unglaeubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine Reisegefaehrten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und Zutrauen eingefloesst. Er hatte uebrigens nur eine Hand, und einige seiner Gefaehrten vermuteten, dass vielleicht dieser Verlust ihn so ernst stimme. Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: "Ich bin sehr geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen koenntet. Doch weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch einiges erzaehlen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin als andere Leute. Ihr sehet, dass ich meine linke Hand verloren habe. Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebuesst. Ob ich die Schuld davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es meine Lage mit sich bringt, zu sein, moeget ihr beurteilen, wenn ihr vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand." Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt. Mit grosser Teilnahme hatten ihm die uebrigen zugehoert, besonders der Fremde schien sehr davon ergriffen zu sein; er hatte einigemal tief geseufzt, und Muley schien es sogar, als habe er einmal Traenen in den Augen gehabt. Sie besprachen sich noch lange Zeit ueber diese Geschichte. "Und hasst Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnoed' um ein so edles Glied Eures Koerpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?" fragte der Fremde. "Wohl gab es in frueherer Zeit Stunden", antwortete der Grieche, "in denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, dass er diesen Kummer ueber mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in dem Glauben meiner Vaeter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu lieben; auch ist er wohl noch ungluecklicher als ich." "Ihr seid ein edler Mann!" rief der Fremde und drueckte geruehrt dem Griechen die Hand. Der Anfuehrer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespraech. Er trat mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, dass man sich nicht der Ruhe ueberlassen duerfe; denn hier sei die Stelle, wo gewoehnlich die Karawanen angegriffen wuerden, auch glaubten seine Wachen, in der Entfernung mehrere Reiter zu sehen. Die Kaufleute waren sehr bestuerzt ueber diese Nachricht; Selim, der Fremde, aber wunderte sich ueber ihre Bestuerzung und meinte, dass sie so gut geschaetzt waeren, dass sie einen Trupp raeuberischer Araber nicht zu fuerchten brauchten. "Ja, Herr!" entgegnete ihm der Anfuehrer der Wache. "Wenn es nur solches Gesindel waere, koennte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; aber seit einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und da gilt es, auf seiner Hut zu sein." Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte Kaufmann, antwortete ihm: "Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke ueber diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn fuer ein uebermenschliches Wesen, weil er oft mit fuenf bis sechs Maennern zumal einen Kampf besteht, andere halten ihn fuer einen tapferen Franken, den das Unglueck in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist nur so viel gewiss, dass er ein verruchter Moerder und Dieb ist." "Das koennt Ihr aber doch nicht behaupten", entgegnete ihm Lezah, einer der Kaufleute. "Wenn er auch ein Raeuber ist, so ist er doch ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich Euch erzaehlen koennte. Er hat seinen ganzen Stamm zu geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wueste durchstreift, darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefaehrdet weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wueste." Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager zuzureiten. Einer der Maenner von der Wache ging daher in das Zelt, um zu verkuenden, dass sie wahrscheinlich angegriffen wuerden. Die Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei aelteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und Zaleukos verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem Beistand auf. Dieser zog ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten Sternen aus seinem Guertel hervor, band es an eine Lanze und befahl einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, ruhig vorueberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen ploetzlich von ihrer Richtung auf das Lager ab und zogen in einem grossen Bogen auf der Seite hin. Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald auf die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgueltig, wie wenn nichts vorgefallen waere, vor dem Zelte und blickte ueber die Ebene hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. "Wer bist du, maechtiger Fremdling", rief er aus, "der du die wilden Horden der Wueste durch einen Wink bezaehmst?" "Ihr schlagt meine Kunst hoeher an, als sie ist", antwortete Selim Baruch. "Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiss ich selbst nicht; nur so viel weiss ich, dass, wer mit diesem Zeichen reiset, unter maechtigem Schutze steht." Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so gross gewesen, dass wohl die Karawane nicht lange haette Widerstand leisten koennen. Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die Sonne zu sinken begann und der Abendwind ueber die Sandebene hinstrich, brachen sie auf und zogen weiter. Am naechsten Tage lagerten sie ungefaehr nur noch eine Tagreise von dem Ausgang der Wueste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem grossen Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort: "Ich habe euch gestern gesagt, dass der gefuerchtete Orbasan ein edler Mann sei, erlaubt mir, dass ich es euch heute durch die Erzaehlung der Schicksale meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er hatte drei Kinder. Ich war der Aelteste, ein Bruder und eine Schwester waren bei weitem juenger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum Erben seiner Gueter ein, mit der Bedingung, dass ich bis zu seinem Tode bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so dass ich erst vor zwei Jahren in meine Heimat zurueckkehrte und nichts davon wusste, welch schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie guetig Allah es gewendet hatte." Die Errettung Fatmes Die Karawane hatte das Ende der Wueste erreicht, und froehlich begruessten die Reisenden die gruenen Matten und die dichtbelaubten Baeume, deren lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In einem schoenen Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager waehlten, und obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, so war doch die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; denn der Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise durch die Wueste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen geoeffnet und die Gemueter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Laecheln entlockten. Aber nicht genug, dass er seine Gefaehrten durch Tanz und Spiel erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, die er ihnen versprochen hatte, und hub, als er von seinen Luftspruengen sich erholt hatte, also zu erzaehlen an: Die Geschichte von dem kleinen Muck. "So erzaehlte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue ueber mein rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte mir die andere Haelfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich erzaehlte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und wir gewannen ihn so lieb, dass ihn keiner mehr schimpfte. Im Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm immer so tief wie vor Kadi und Mufti gebueckt." Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu staerken. Die gestrige Froehlichkeit ging auch auf diesen Tag ueber, und sie ergoetzten sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie dem fuenften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich den uebrigen zu tun und eine Geschichte zu erzaehlen. Er antwortete, sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als dass er ihnen etwas davon mitteilen moechte, daher wolle er ihnen etwas anderes erzaehlen, naemlich: Das Maerchen vom falschen Prinzen. Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach Birket el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei Stunden Weges nach Kairo waren--Man hatte um diese Zeit die Karawane erwartet, und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch das Tor Bebel Falch; denn es wird fuer eine glueckliche Vorbedeutung gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, weil der Prophet hindurchgezogen ist. Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier tuerkischen Kaufleute von dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet habe, zu erscheinen. Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er auf der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die Speisen und Getraenke in gehoeriger Ordnung aufgestellt waren, setzte er sich, seinen Gast zu erwarten. Langsam und schweren Schrittes hoerte er ihn den Gang, der zu seinem Gemach fuehrte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich entgegenzusehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll Entsetzen fuhr er zurueck, als er die Tuere oeffnete; denn jener schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick auf ihn, es war keine Taeuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, die Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote Mantel mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus den schrecklichsten Stunden seines Lebens. Widerstreitende Gefuehle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit diesem Bild seiner Erinnerung laengst ausgesoehnt und ihm vergeben, und doch riss sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Bluete seines Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele vorueber. "Was willst du, Schrecklicher?" rief der Grieche aus, als die Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. "Weiche schnell von hinnen, dass ich dir nicht fluche!" "Zaleukos!" sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. "Zaleukos! So empfaengst du deinen Gastfreund?" Der Sprechende nahm die Larve ab, schlug den Mantel zurueck; es war Selim Baruch, der Fremde. Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen. "Ich errate deine Gedanken", nahm dieser das Wort, als sie sich gesetzt hatten. "Deine Augen sehen fragend auf mich--ich haette schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen koennen, aber ich bin dir Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die Gefahr hin, dass du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu erscheinen. Du sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Vaeter befiehlt mir, ihn zu lieben, auch ist er wohl ungluecklicher als ich; glaube dieses, mein Freund, und hoere meine Rechtfertigung! Ich muss weit ausholen, um mich dir ganz verstaendlich zu machen. Ich bin in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der juengere Sohn eines alten, beruehmten franzoesischen Hauses, war Konsul seines Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an in Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verliess erst einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, ueber dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empoerte Volk der Franzosen entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten wir. Aber ach! Ich fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es sein sollte; die aeusseren Stuerme der bewegten Zeit waren zwar noch nicht bis hierher gelangt, desto unerwarteter hatte das Unglueck mein Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein junger, hoffnungsvoller Mann, erster Sekretaer meines Vaters, hatte sich erst seit kurzem mit einem jungen Maedchen, der Tochter eines florentinischen Edelmanns, der in unserer Nachbarschaft wohnte, verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war diese auf einmal verschwunden, ohne dass weder unsere Familie noch ihr Vater die geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte endlich, sie habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in Raeuberhaende gefallen. Beinahe troestlicher waere dieser Gedanke fuer meinen armen Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund wurde. Die Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie im Hause ihres Vaters kennengelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, aufs aeusserste empoert ueber diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige zur Strafe zu ziehen; doch vergebens; seine Versuche, die in Neapel und Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und unser aller Unglueck zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste in sein Vaterland zurueck, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht zu verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknuepft hatte, nieder und wusste seinen Einfluss, den er auf alle Art sich verschafft hatte, so gut zu benuetzen, dass mein Vater und mein Bruder ihrer Regierung verdaechtig gemacht und durch die schaendlichsten Mittel gefangen, nach Frankreich gefuehrt und dort vom Beil des Henkers getoetet wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach zehn langen Monaten erloeste sie der Tod von ihrem schrecklichen Zustand, der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewusstsein geworden war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur ein Gedanke beschaeftigte meine Seele, nur ein Gedanke liess mich meine Trauer vergessen, es war jene maechtige Flamme, die meine Mutter in ihrer letzten Stunde in mir angefacht hatte. In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewusstsein zurueckgekehrt; sie liess mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem Schicksal und ihrem Ende. Dann aber liess sie alle aus dem Zimmer gehen, richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem aermlichen Lager auf und sagte, ich koenne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr schwoere, etwas auszufuehren, das sie mir auftragen wuerde--Ergriffen von den Worten der sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide zu tun, wie sie mir sagen werde. Sie brach nun in Verwuenschungen gegen den Florentiner und seine Tochter aus und legte mir mit den fuerchterlichsten Drohungen ihres Fluches auf, mein unglueckliches Haus an ihm zu raechen. Sie starb in meinen Armen. Jener Gedanke der Rache hatte schon lange in meiner Seele geschlummert; jetzt erwachte er mit aller Macht. Ich sammelte den Rest meines vaeterlichen Vermoegens und schwor mir, alles an meine Rache zu setzen oder selbst mit unterzugehen. Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als moeglich aufhielt; mein Plan war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das geringste ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. Eines Abends sah ich einen Menschen in bekannter Livree durch die Strassen gehen; sein unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das halblaut herausgestossene "Santo sacramento", "Maledetto diavolo" liessen mich den alten Pietro, einen Diener des Florentiners, den ich schon in Alessandria gekannt hatte, erkennen. Ich war nicht in Zweifel, dass er ueber seinen Herrn in Zorn geraten sei, und beschloss, seine Stimmung zu benuetzen. Er schien sehr ueberrascht, mich hier zu sehen, klagte mir sein Leiden, dass er seinem Herrn, seit er Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen koenne, und mein Gold, unterstuetzt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf meine Seite. Das Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann in meinem Solde, der mir zu jeder Stunde die Tuere meines Feindes oeffnete, und nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das Leben des alten Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem Untergang meines Hauses gegenueber, zu haben. Sein Liebstes musste er gemordet sehen, und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so schaendlich an meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache unseres Ungluecks. Gar erwuenscht kam sogar meinem racheduerstigen Herzen die Nachricht, dass in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermaehlen wollte, es war beschlossen, sie musste sterben. Aber mir selbst graute vor der Tat, und auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum spaehten wir umher nach einem Mann, der das Geschaeft vollbringen koenne. Unter den Florentinern wagte ich keinen zu dingen, denn gegen den Gouverneur wuerde keiner etwas Solches unternommen haben. Da fiel Pietro der Plan ein, den ich nachher ausgefuehrt habe; zugleich schlug er dich als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. Den Verlauf der Sache weisst du. Nur an deiner grossen Vorsicht und Ehrlichkeit schien mein Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel. Pietro oeffnete uns das Pfoertchen an dem Palast des Gouverneurs; er haette uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Tuerspalte darbot, erschreckt, entflohen waeren. Von Schrecken und Reue gejagt, war ich ueber zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen einer Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und mein erster Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn man dich in dem Hause faende. Ich schlich an den Palast, aber weder von Pietro noch von dir konnte ich eine Spur entdecken; das Pfoertchen aber war offen, so konnte ich wenigstens hoffen, dass du die Gelegenheit zur Flucht benuetzt haben koenntest. Als aber der Tag anbrach, liess mich die Angst vor der Entdeckung und ein unabweisbares Gefuehl von Reue nicht mehr in den Mauern von Florenz. Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestuerzung, als man dort nach einigen Tagen ueberall diese Geschichte erzaehlte mit dem Beisatz, man habe den Moerder, einen griechischen Arzt, gefangen. Ich kehrte in banger Besorgnis nach Florenz zurueck; denn schien mir meine Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich fuehlte, als ich dich das Schafott besteigen und so heldenmuetig leiden sah. Aber damals, als dein Blut in Stroemen aufspritzte, war der Entschluss fest in mir, dir deine uebrigen Lebenstage zu versuessen. Was weiter geschehen ist, weisst du, nur das bleibt mir noch zu sagen uebrig, warum ich diese Reise mit dir machte. Als eine schwere Last drueckte mich der Gedanke, dass du mir noch immer nicht vergeben habest; darum entschloss ich mich, viele Tage mit dir zu leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit dir getan." Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehoert; mit sanftem Blick bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. "Ich wusste wohl, dass du ungluecklicher sein muesstest als ich, denn jene grausame Tat wird wie eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir von Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: Wie kommst du unter dieser Gestalt in die Wueste? Was fingst du an, nachdem du in Konstantinopel mir das Haus gekauft hattest?" "Ich ging nach Alessandria zurueck", antwortete der Gefragte. "Hass gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Hass besonders gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter meinen Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in Alessandria, als jene Landung meiner Landsleute erfolgte. Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; darum sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner Bekanntschaft und schloss mich jenen tapferen Mamelucken an, die so oft der Schrecken des franzoesischen Heeres wurden. Als der Feldzug beendigt war, konnte ich mich nicht entschliessen, zu den Kuensten des Friedens zurueckzukehren. Ich lebte mit einer kleinen Anzahl gleichdenkender Freunde ein unstetes und fluechtiges, dem Kampf und der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die mich wie ihren Fuersten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so gebildet sind wie Eure Europaeer, so sind sie doch weit entfernt von Neid und Verleumdung, von Selbstsucht und Ehrgeiz." Zaleukos dankte dem Fremden fuer seine Mitteilung, aber er verbarg ihm nicht, dass er es fuer seinen Stand, fuer seine Bildung angemessener faende, wenn er in christlichen, in europaeischen Laendern leben und wirken wuerde. Er fasste seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, bei ihm zu leben und zu sterben. Geruehrt sah ihn der Gastfreund an. "Daraus erkenne ich", sagte er, "dass du mir ganz vergeben hast, dass du mich liebst. Nimm meinen innigsten Dank dafuer!" Er sprang auf und stand in seiner ganzen Groesse vor dem Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel blitzenden Augen, der tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. "Dein Vorschlag ist schoen", sprach jener weiter, "er moechte fuer jeden andern lockend sein--ich kann ihn nicht benuetzen. Schon steht mein Ross gesattelt, erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!" Die Freunde, die das Schicksal so wunderbar zusammengefuehrt, umarmten sich zum Abschied. "Und wie nenne ich dich? Wie heisst mein Gastfreund, der auf ewig in meinem Gedaechtnis leben wird?" fragte der Grieche. Der Fremde sah ihn lange an, drueckte ihm noch einmal die Hand und sprach: "Man nennt mich den Herrn der Wueste; ich bin der Raeuber Orbasan." Kalif Storch Wilhelm Hauff Der Kalif Chasid zu Bagdad sass einmal an einem schoenen Nachmittag behaglich auf seinem Sofa; er hatte ein wenig geschlafen, denn es war ein heisser Tag, und sah nun nach seinem Schlaefchen recht heiter aus. Er rauchte aus einer langen Pfeife von Rosenholz, trank hier und da ein wenig Kaffee, den ihm ein Sklave einschenkte, und strich sich allemal vergnuegt den Bart, wenn es ihm geschmeckt hatte. Kurz, man sah dem Kalifen an, dass es ihm recht wohl war. Um diese Stunde konnte man gar gut mit ihm reden, weil er da immer recht mild und leutselig war, deswegen besuchte ihn auch sein Grosswesir Mansor alle Tage um diese Zeit. An diesem Nachmittage nun kam er auch, sah aber sehr nachdenklich aus, ganz gegen seine Gewohnheit. Der Kalif tat die Pfeife ein wenig aus dem Mund und sprach: "Warum machst du ein so nachdenkliches Gesicht, Grosswesir?" Der Grosswesir schlug seine Arme kreuzweis ueber die Brust, verneigte sich vor seinem Herrn und antwortete: "Herr, ob ich ein nachdenkliches Gesicht mache, weiss ich nicht, aber da drunten am Schloss steht ein Kraemer, der hat so schoene Sachen, dass es mich aergert, nicht viel ueberfluessiges Geld zu haben." Der Kalif, der seinem Grosswesir schon lange gerne eine Freude gemacht haette, schickte seinen schwarzen Sklaven hinunter, um den Kraemer heraufzuholen. Bald kam der Sklave mit dem Kraemer zurueck. Dieser war ein kleiner, dicker Mann, schwarzbraun im Gesicht und in zerlumptem Anzug. Er trug einen Kasten, in welchem er allerhand Waren hatte, Perlen und Ringe, reichbeschlagene Pistolen, Becher und Kaemme. Der Kalif und sein Wesir musterten alles durch, und der Kalif kaufte endlich fuer sich und Mansor schoene Pistolen, fuer die Frau des Wesirs aber einen Kamm. Als der Kraemer seinen Kasten schon wieder zumachen wollte, sah der Kalif eine kleine Schublade und fragte, ob da auch noch Waren seien. Der Kraemer zog die Schublade heraus und zeigte darin eine Dose mit schwaerzlichem Pulver und ein Papier mit sonderbarer Schrift, die weder der Kalif noch Mansor lesen konnte. "Ich bekam einmal diese zwei Stuecke von einem Kaufmanne, der sie in Mekka auf der Strasse fand", sagte der Kraemer, "Ich weiss nicht, was sie enthalten; euch stehen sie um geringen Preis zu Dienst, ich kann doch nichts damit anfangen." Der Kalif, der in seiner Bibliothek gerne alte Manuskripte hatte, wenn er sie auch nicht lesen konnte, kaufte Schrift und Dose und entliess den Kraemer. Der Kalif aber dachte, er moechte gerne wissen, was die Schrift enthalte, und, fragte den Wesir, ob er keinen kenne, der es entziffern koennte. "Gnaedigster Herr und Gebieter", antwortete dieser, "an der grossen Moschee wohnt ein Mann, er heisst Selim, der Gelehrte, der versteht alle Sprachen, lass ihn kommen, vielleicht kennt er diese geheimnisvollen Zuege." Der Gelehrte Selim war bald herbeigeholt. "Selim", sprach zu ihm der Kalif, "Selim, man sagt, du seiest sehr gelehrt; guck einmal ein wenig in diese Schrift, ob du sie lesen kannst; kannst du sie lesen, so bekommst du ein neues Festkleid von mir, kannst du es nicht, so bekommst du zwoelf Backenstreiche und fuenfundzwanzig auf die Fusssohlen, weil man dich dann umsonst Selim, den Gelehrten, nennt." Selim verneigte sich und sprach: "Dein Wille geschehe, o Herr!" Lange betrachtete er die Schrift, ploetzlich aber rief er aus: "Das ist Lateinisch, o Herr, oder ich lass mich haengen." "Sag, was drinsteht", befahl der Kalif, "wenn es Lateinisch ist." Selim fing an zu uebersetzen: "Mensch, der du dieses findest, preise Allah fuer seine Gnade. Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft und dazu spricht: mutabor, der kann sich in jedes Tier verwandeln und versteht auch die Sprache der Tiere. Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurueckkehren, so neige er sich dreimal gen Osten und spreche jenes Wort; aber huete dich, wenn du verwandelt bist, dass du nicht lachest, sonst verschwindet das Zauberwort gaenzlich aus deinem Gedaechtnis, und du bleibst ein Tier." Als Selim, der Gelehrte, also gelesen hatte, war der Kalif ueber die Massen vergnuegt. Er liess den Gelehrten schwoeren, niemandem etwas von dem Geheimnis zu sagen, schenkte ihm ein schoenes Kleid und entliess ihn. Zu seinem Grosswesir aber sagte er: "Das heiss' ich gut einkaufen, Mansor! Wie freue ich mich, bis ich ein Tier bin. Morgen frueh kommst du zu mir; wir gehen dann miteinander aufs Feld, schnupfen etwas Weniges aus meiner Dose und belauschen dann, was in der Luft und im Wasser, im Wald und Feld gesprochen wird!" Kaum hatte am anderen Morgen der Kalif Chasid gefruehstueckt und sich angekleidet, als schon der Grosswesir erschien, ihn, wie er befohlen, auf dem Spaziergang zu begleiten. Der Kalif steckte die Dose mit dem Zauberpulver in den Guertel, und nachdem er seinem Gefolge befohlen, zurueckzubleiben, machte er sich mit dem Grosswesir ganz allein auf den Weg. Sie gingen zuerst durch die weiten Gaerten des Kalifen, spaehten aber vergebens nach etwas Lebendigem, um ihr Kunststueck zu probieren. Der Wesir schlug endlich vor, weiter hinaus an einen Teich zu gehen, wo er schon oft viele Tiere, namentlich Stoerche, gesehen habe, die durch ihr gravitaetisches Wesen und ihr Geklapper immer seine Aufmerksamkeit erregt hatten. Der Kalif billigte den Vorschlag seines Wesirs und ging mit ihm dem Teich zu. Als sie dort angekommen waren, sahen sie einen Storch ernsthaft auf und ab gehen, Froesche suchend und hier und da etwas vor sich hinklappernd. Zugleich sahen sie auch weit oben in der Luft einen anderen Storch dieser Gegend zuschweben. "Ich wette meinen Bart, gnaedigster Herr", sagte er Grosswesir, "wenn nicht diese zwei Langfuessler ein schoenes Gespraech miteinander fuehren werden. Wie waere es, wenn wir Stoerche wuerden?" "Wohl gesprochen!" antwortete der Kalif. "Aber vorher wollen wir noch einmal betrachten, wie man wieder Mensch wird.--Richtig! Dreimal gen Osten geneigt und mutabor gesagt, so bin ich wieder Kalif und du Wesir. Aber nur um Himmels willen nicht gelacht, sonst sind wir verloren!" Waehrend der Kalif also sprach, sah er den anderen Storch ueber ihrem Haupte schweben und langsam sich zur Erde lassen. Schnell zog er die Dose aus dem Guertel, nahm eine gute Prise, bot sie dem Grosswesir dar, der gleichfalls schnupfte, und beide riefen: mutabor! Da schrumpften ihre Beine ein und wurden duenn und rot, die schoenen gelben Pantoffeln des Kalifen und seines Begleiters wurden unfoermliche Storchfuesse, die Arme wurden zu Fluegeln, der Hals fuhr aus den Achseln und ward eine Elle lang, der Bart war verschwunden, und den Koerper bedeckten weiche Federn. "Ihr habt einen huebschen Schnabel, Herr Grosswesir", sprach nach langem Erstaunen der Kalif. "Beim Bart des Propheten, so etwas habe ich in meinem Leben nicht gesehen." "Danke untertaenigst", erwiderte der Grosswesir, indem er sich bueckte, "aber wenn ich es wagen darf, moechte ich behaupten, Eure Hoheit sehen als Storch beinahe noch huebscher aus denn als Kalif. Aber kommt, wenn es Euch gefaellig ist, dass wir unsere Kameraden dort belauschen und erfahren, ob wir wirklich Storchisch koennen." Indem war der andere Storch auf der Erde angekommen; er putzte sich mit dem Schnabel seine Fuesse, legte seine Federn zurecht und ging auf den ersten Storch zu. Die beiden neuen Stoerche aber beeilten sich, in ihre Naehe zu kommen, und vernahmen zu ihrem Erstaunen folgendes Gespraech: "Guten Morgen, Frau Langbein, so frueh schon auf der Wiese?" "Schoenen Dank, liebe Klapperschnabel! Ich habe mir nur ein kleines Fruehstueck geholt. Ist Euch vielleicht ein Viertelchen Eidechs gefaellig oder ein Froschschenkelein?" "Danke gehorsamst; habe heute gar keinen Appetit. Ich komme auch wegen etwas ganz anderem auf die Wiese. Ich soll heute vor den Gaesten meines Vaters tanzen, und da will ich mich im stillen ein wenig ueben." Zugleich schritt die junge Stoerchin in wunderlichen Bewegungen durch das Feld. Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach; als sie aber in malerischer Stellung auf einem Fuss stand und mit den Fluegeln anmutig dazu wedelte, da konnten sich die beiden nicht mehr halten; ein unaufhaltsames Gelaechter brach aus ihren Schnaebeln hervor, von dem sie sich erst nach langer Zeit erholten. Der Kalif fasste sich zuerst wieder: "Das war einmal ein Spass", rief er, "der nicht mit Gold zu bezahlen ist; schade, dass die Tiere durch unser Gelaechter sich haben verscheuchen lassen, sonst haetten sie gewiss auch noch gesungen!" Aber jetzt fiel es dem Grosswesir ein, dass das Lachen waehrend der Verwandlung verboten war. Er teilte seine Angst deswegen dem Kalifen mit. "Potz Mekka und Medina! Das waere ein schlechter Spass, wenn ich ein Storch bleiben muesste! Besinne dich doch auf das dumme Wort, ich bring' es nicht heraus." "Dreimal gen Osten muessen wir uns buecken und dazu sprechen: mu--mu--mu--" Sie stellten sich gegen Osten und bueckten sich in einem fort, dass ihre Schnaebel beinahe die Erde beruehrten; aber, o Jammer! Das Zauberwort war ihnen entfallen, und so oft sich auch der Kalif bueckte, so sehnlich auch sein Wesir mu--mu dazu rief, jede Erinnerung daran war verschwunden, und der arme Chasid und sein Wesir waren und blieben Stoerche. Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder, sie wussten gar nicht, was sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer Storchenhaut konnten sie nicht heraus, in die Stadt zurueck konnten sie auch nicht, um sich zu erkennen zu geben; denn wer haette einem Storch geglaubt, dass er der Kalif sei, und wenn man es auch geglaubt haette, wuerden die Einwohner von Bagdad einen Storch zum Kalif gewollt haben? So schlichen sie mehrere Tage umher und ernaehrten sich kuemmerlich von Feldfruechten, die sie aber wegen ihrer langen Schnaebel nicht gut verspeisen konnten. Auf Eidechsen und Froesche hatten sie uebrigens keinen Appetit, denn sie befuerchteten, mit solchen Leckerbissen sich den Magen zu verderben. Ihr einziges Vergnuegen in dieser traurigen Lage war, dass sie fliegen konnten, und so flogen sie oft auf die Daecher von Bagdad, um zu sehen, was darin vorging. In den ersten Tagen bemerkten sie grosse Unruhe und Trauer in den Strassen; aber ungefaehr am vierten Tag nach ihrer Verzauberung sassen sie auf dem Palast des Kalifen, da sahen sie unten in der Strasse einen praechtigen Aufzug; Trommeln und Pfeifen ertoenten, ein Mann in einem goldbestickten Scharlachmantel sass auf einem geschmueckten Pferd, umgeben von glaenzenden Dienern, halb Bagdad sprang ihm nach, und alle schrien: "Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!" Da sahen die beiden Stoerche auf dem Dache des Palastes einander an, und der Kalif Chasid sprach: "Ahnst du jetzt, warum ich verzaubert bin, Grosswesir? Dieser Mizra ist der Sohn meines Todfeindes, des maechtigen Zauberers Kaschnur, der mir in einer boesen Stunde Rache schwur. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf--Komm mit mir, du treuer Gefaehrte meines Elends, wir wollen zum Grabe des Propheten wandern, vielleicht, dass an heiliger Staette der Zauber geloest wird." Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von Medina zu. Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen; denn die beiden Stoerche hatten noch wenig Uebung. "O Herr", aechzte nach ein paar Stunden der Grosswesir, "ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr lange aus; Ihr fliegt gar zu schnell! Auch ist es schon Abend, und wir taeten wohl, ein Unterkommen fuer die Nacht zu suchen." Chasid gab der Bitte seines Dieners Gehoer; und da er unten im Tale eine Ruine erblickte, die ein Obdach zu gewaehren schien, so flogen sie dahin. Der Ort, wo sie sich fuer diese Nacht niedergelassen hatten, schien ehemals ein Schloss gewesen zu sein. Schoene Saeulen ragten unter den Truemmern hervor, mehrere Gemaecher, die noch ziemlich erhalten waren, zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses. Chasid und sein Begleiter gingen durch die Gaenge umher, um sich ein trockenes Plaetzchen zu suchen; ploetzlich blieb der Storch Mansor stehen. "Herr und Gebieter", fluesterte er leise, "wenn es nur nicht toericht fuer einen Grosswesir, noch mehr aber fuer einen Storch waere, sich vor Gespenstern zu fuerchten! Mir ist ganz unheimlich zumute; denn hier neben hat es ganz vernehmlich geseufzt und gestoehnt." Der Kalif blieb nun auch stehen und hoerte ganz deutlich ein leises Weinen, das eher einem Menschen als einem Tiere anzugehoeren schien. Voll Erwartung wollte er der Gegend zugehen, woher die Klagetoene kamen; der Wesir aber packte ihn mit dem Schnabel am Fluegel und bat ihn flehentlich, sich nicht in neue, unbekannte Gefahren zu stuerzen. Doch vergebens! Der Kalif, dem auch unter dem Storchenfluegel ein tapferes Herz schlug, riss sich mit Verlust einiger Federn los und eilte in einen finsteren Gang. Bald war er an einer Tuer angelangt, die nur angelehnt schien und woraus er deutliche Seufzer mit ein wenig Geheul vernahm. Er stiess mit dem Schnabel die Tuere auf, blieb aber ueberrascht auf der Schwelle stehen. In dem verfallenen Gemach, das nur durch ein kleines Gitterfenster spaerlich erleuchtet war, sah er eine grosse Nachteule am Boden sitzen. Dicke Traenen rollten ihr aus den grossen, runden Augen, und mit heiserer Stimme stiess sie ihre Klagen zu dem krummen Schnabel heraus. Als sie aber den Kalifen und seinen Wesir, der indes auch herbeigeschlichen war, erblickte, erhob sie ein lautes Freudengeschrei. Zierlich wischte sie mit dem braungefleckten Fluegel die Traenen aus dem Auge, und zu dem groessten Erstaunen der beiden rief sie in gutem menschlichem Arabisch: "Willkommen, ihr Stoerche! Ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner Errettung; denn durch Stoerche werde mir ein grosses Glueck kommen, ist mir einst prophezeit worden!" Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bueckte er sich mit seinem langen Hals, brachte seine duennen Fuesse in eine zierliche Stellung und sprach: "Nachteule! Deinen Worten nach darf ich glauben, eine Leidensgefaehrtin in dir zu sehen. Aber ach! Deine Hoffnung, dass durch uns deine Rettung kommen werde, ist vergeblich. Du wirst unsere Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du unsere Geschichte hoerst." Die Nachteule bat ihn zu erzaehlen, was der Kalif sogleich tat. Als der Kalif der Eule seine Geschichte vorgetragen hatte, dankte sie ihm und sagte: "Vernimm auch meine Geschichte und hoere, wie ich nicht weniger ungluecklich bin als du. Mein Vater ist der Koenig von Indien, ich, seine einzige unglueckliche Tochter, heisse Lusa. Jener Zauberer Kaschnur, der euch verzauberte, hat auch mich ins Unglueck gestuerzt. Er kam eines Tages zu meinem Vater und begehrte mich zur Frau fuer seinen Sohn Mizra. Mein Vater aber, der ein hitziger Mann ist, liess ihn die Treppe hinunterwerfen. Der Elende wusste sich unter einer anderen Gestalt wieder in meine Naehe zu schleichen, und als ich einst in meinem Garten Erfrischungen zu mir nehmen wollte, brachte er mir, als Sklave verkleidet, einen Trank bei, der mich in diese abscheuliche Gestalt verwandelte. Vor Schrecken ohnmaechtig, brachte er mich hierher und rief mir mit schrecklicher Stimme in die Ohren: 'Da sollst du bleiben, haesslich, selbst von den Tieren verachtet, bis an dein Ende, oder bis einer aus freiem Willen dich, selbst in dieser schrecklichen Gestalt, zur Gattin begehrt. So raeche ich mich an dir und deinem stolzen Vater.' Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe ich als Einsiedlerin in diesem Gemaeuer, verabscheut von der Welt, selbst den Tieren ein Greuel; die schoene Natur ist vor mir verschlossen; denn ich bin blind am Tage, und nur, wenn der Mond sein bleiches Licht ueber dies Gemaeuer ausgiesst, faellt der verhuellende Schleier von meinem Auge." Die Eule hatte geendet und wischte sich mit dem Fluegel wieder die Augen aus, denn die Erzaehlung ihrer Leiden hatte ihr Traenen entlockt. Der Kalif war bei der Erzaehlung der Prinzessin in tiefes Nachdenken versunken. "Wenn mich nicht alles taeuscht", sprach er, "so findet zwischen unserem Unglueck ein geheimer Zusammenhang statt; aber wo finde ich den Schluessel zu diesem Raetsel?" Die Eule antwortete ihm: "O Herr! Auch mir ahnet dies; denn es ist mir einst in meiner fruehesten Jugend von einer weisen Frau prophezeit worden, dass ein Storch mir ein grosses Glueck bringen werde, und ich wuesste vielleicht, wie wir uns retten koennten." Der Kalif war sehr erstaunt und fragte, auf welchem Wege sie meine. "Der Zauberer, der uns beide ungluecklich gemacht hat", sagte sie, "kommt alle Monate einmal in diese Ruinen. Nicht weit von diesem Gemach ist ein Saal. Dort pflegt er dann mit vielen Genossen zu schmausen. Schon oft habe ich sie dort belauscht. Sie erzaehlen dann einander ihre schaendlichen Werke; vielleicht, dass er dann das Zauberwort, das ihr vergessen habt, ausspricht." "O, teuerste Prinzessin", rief der Kalif, "sag an, wann kommt er, und wo ist der Saal?" Die Eule schwieg einen Augenblick und sprach dann: "Nehmet es nicht unguetig, aber nur unter einer Bedingung kann ich Euern Wunsch erfuellen." "Sprich aus! Sprich aus!" schrie Chasid. "Befiehl, es ist mir jede recht." "Naemlich, ich moechte auch gern zugleich frei sein; dies kann aber nur geschehen, wenn einer von euch mir seine Hand reicht." Die Stoerche schienen ueber den Antrag etwas betroffen zu sein, und der Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinauszugehen. "Grosswesir", sprach vor der Tuere der Kalif, "das ist ein dummer Handel; aber Ihr koenntet sie schon nehmen." "So", antwortete dieser, "dass mir meine Frau, wenn ich nach Hause komme, die Augen auskratzt? Auch bin ich ein alter Mann, und Ihr seid noch jung und unverheiratet und koennet eher einer jungen, schoenen Prinzessin die Hand geben." "Das ist es eben", seufzte der Kalif, indem er traurig die Fluegel haengen liess, "wer sagt dir denn, dass sie jung und schoen ist? Das heisst eine Katze im Sack kaufen!" Sie redeten einander gegenseitig noch lange zu; endlich aber, als der Kalif sah, dass sein Wesir lieber Storch bleiben als die Eule heiraten wollte, entschloss er sich, die Bedingung lieber selbst zu erfuellen. Die Eule war hocherfreut. Sie gestand ihnen, dass sie zu keiner besseren Zeit haetten kommen koennen, weil wahrscheinlich in dieser Nacht die Zauberer sich versammeln wuerden. Sie verliess mit den Stoerchen das Gemach, um sie in jenen Saal zu fuehren; sie gingen lange in einem finsteren Gang hin; endlich strahlte ihnen aus einer halbverfallenen Mauer ein heller Schein entgegen. Als sie dort angelangt waren, riet ihnen die Eule, sich ganz ruhig zu verhalten. Sie konnten von der Luecke, an welcher sie standen, einen grossen Saal uebersehen. Er war ringsum mit Saeulen geschmueckt und prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten das Licht des Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, mit vielen und ausgesuchten Speisen besetzt. Rings um den Tisch zog sich ein Sofa, auf welchem acht Maenner sassen. In einem dieser Maenner erkannten die Stoerche jenen Kraemer wieder, der ihnen das Zauberpulver verkauft hatte. Sein Nebensitzer forderte ihn auf, ihnen seine neuesten Taten zu erzaehlen. Er erzaehlte unter anderen auch die Geschichte des Kalifen und seines Wesirs. "Was fuer ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?" fragte ihn ein anderer Zauberer. "Ein recht schweres lateinisches, es heisst mutabor." Als die Stoerche an der Mauerluecke dieses hoerten, kamen sie vor Freuden beinahe ausser sich. Sie liefen auf ihren langen Fuessen so schnell dem Tore der Ruine zu, dass die Eule kaum folgen konnte. Dort sprach der Kalif geruehrt zu der Eule: "Retterin meines Lebens und des Lebens meines Freundes, nimm zum ewigen Dank fuer das, was du an uns getan, mich zum Gemahl an!" Dann aber wandte er sich nach Osten. Dreimal bueckten die Stoerche ihre langen Haelse der Sonne entgegen, die soeben hinter dem Gebirge heraufstieg: "Mutabor!" riefen sie, im Nu waren sie verwandelt, und in der hohen Freude des neugeschenkten Lebens lagen Herr und Diener lachend und weinend einander in den Armen. Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich umsahen? Eine schoene Dame, herrlich geschmueckt, stand vor ihnen. Laechelnd gab sie dem Kalifen die Hand. "Erkennt Ihr Eure Nachteule nicht mehr?" sagte sie. Sie war es; der Kalif war von ihrer Schoenheit und Anmut entzueckt. Die drei zogen nun miteinander auf Bagdad zu. Der Kalif fand in seinen Kleidern nicht nur die Dose mit Zauberpulver, sondern auch seinen Geldbeutel. Er kaufte daher im naechsten Dorfe, was zu ihrer Reise noetig war, und so kamen sie bald an die Tore von Bagdad. Dort aber erregte die Ankunft des Kalifen grosses Erstaunen. Man hatte ihn fuer tot ausgegeben, und das Volk war daher hocherfreut, seinen geliebten Herrscher wiederzuhaben. Um so mehr aber entbrannte ihr Hass gegen den Betrueger Mizra. Sie zogen in den Palast und nahmen den alten Zauberer und seinen Sohn gefangen. Den Alten schickte der Kalif in dasselbe Gemach der Ruine, das die Prinzessin als Eule bewohnt hatte, und liess ihn dort aufhaengen. Dem Sohn aber, welcher nichts von den Kuensten des Vaters verstand, liess der Kalif die Wahl, ob er sterben oder schnupfen wolle. Als er das letztere waehlte, bot ihm der Grosswesir die Dose. Eine tuechtige Prise, und das Zauberwort des Kalifen verwandelte ihn in einen Storch. Der Kalif liess ihn in einen eisernen Kaefig sperren und in seinem Garten aufstellen. Lange und vergnuegt lebte Kalif Chasid mit seiner Frau, der Prinzessin; seine vergnuegtesten Stunden waren immer die, wenn ihn der Grosswesir nachmittags besuchte; da sprachen sie dann oft von ihrem Storchabenteuer, und wenn der Kalif recht heiter war, liess er sich herab, den Grosswesir nachzuahmen, wie er als Storch aussah. Er stieg dann ernsthaft, mit steifen Fuessen im Zimmer auf und ab, klapperte, wedelte mit den Armen wie mit Fluegeln und zeigte, wie jener sich vergeblich nach Osten geneigt und Mu--Mu--dazu gerufen habe. Fuer die Frau Kalifin und ihre Kinder war diese Vorstellung allemal eine grosse Freude; wenn aber der Kalif gar zu lange klapperte und nickte und Mu--Mu--schrie, dann drohte ihm laechelnd der Wesir: Er wolle das, was vor der Tuere der Prinzessin Nachteule verhandelt worden sei, der Frau Kalifin mitteilen. Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die Kaufleute sehr zufrieden damit. "Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns vergangen, ohne dass wir merkten wie!" sagte einer derselben, indem er die Decke des Zeltes zurueckschlug. "Der Abendwind wehet kuehl, und wir koennten noch eine gute Strecke Weges zuruecklegen." Seine Gefaehrten waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, und die Karawane machte sich in der naemlichen Ordnung, in welcher sie herangezogen war, auf den Weg. Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwuel am Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen endlich an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und legten sich zur Ruhe. Fuer den Fremden aber sorgten die Kaufleute, wie wenn er ihr wertester Gastfreund waere. Der eine gab ihm Polster, der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut bedient, als ob er zu Hause waere. Die heisseren Stunden des Tages waren schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie beschlossen einmuetig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie miteinander gespeist hatten, rueckten sie wieder naeher zusammen, und der junge Kaufmann wandte sich an den aeltesten und sprach: "Selim Baruch hat uns gestern einen vergnuegten Nachmittag bereitet, wie waere es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzaehltet, sei es nun aus Eurem langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es auch ein huebsches Maerchen." Achmet schwieg auf diese Anrede eine Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel waere, ob er dies oder jenes sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen: "Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und nicht jedem erzaehle: die Geschichte von dem Gespensterschiff." Die Geschichte von dem Gespensterschiff Wilhelm Hauff Mein Vater hatte einen kleinen Laden in Balsora; er war weder arm noch reich und einer von jenen Leuten, die nicht gerne etwas wagen, aus Furcht, das Wenige zu verlieren, das sie haben. Er erzog mich schlicht und recht und brachte es bald so weit, dass ich ihm an die Hand gehen konnte. Gerade als ich achtzehn Jahre alt war, als er die erste groessere Spekulation machte, starb er, wahrscheinlich aus Gram, tausend Goldstuecke dem Meere anvertraut zu haben. Ich musste ihn bald nachher wegen seines Todes gluecklich preisen, denn wenige Wochen hernach lief die Nachricht ein, dass das Schiff, dem mein Vater seine Gueter mitgegeben hatte, versunken sei. Meinen jugendlichen Mut konnte aber dieser Unfall nicht beugen. Ich machte alles vollends zu Geld, was mein Vater hinterlassen hatte, und zog aus, um in der Fremde mein Glueck zu probieren, nur von einem alten Diener meines Vaters begleitet. Im Hafen von Balsora schifften wir uns mit guenstigem Winde ein. Das Schiff, auf dem ich mich eingemietet hatte, war nach Indien bestimmt. Wir waren schon fuenfzehn Tage auf der gewoehnlichen Strasse gefahren, als uns der Kapitaen einen Sturm verkuendete. Er machte ein bedenkliches Gesicht, denn es schien, er kenne in dieser Gegend das Fahrwasser nicht genug, um einem Sturm mit Ruhe begegnen zu koennen. Er liess alle Segel einziehen, und wir trieben ganz langsam hin. Die Nacht war angebrochen, war hell und kalt, und der Kapitaen glaubte schon, sich in den Anzeichen des Sturmes getaeuscht zu haben. Auf einmal schwebte ein Schiff, das wir vorher nicht gesehen hatten, dicht an dem unsrigen vorbei. Wildes Jauchzen und Geschrei erscholl aus dem Verdeck herueber, worueber ich mich zu dieser angstvollen Stunde vor einem Sturm nicht wenig wunderte. Aber der Kapitaen an meiner Seite wurde blass wie der Tod. "Mein Schiff ist verloren", rief er, "dort segelt der Tod!" Ehe ich ihn noch ueber diesen sonderbaren Ausruf befragen konnte, stuerzten schon heulend und schreiend die Matrosen herein. "Habt ihr ihn gesehen?" schrien sie. "Jetzt ist's mit uns vorbei!" Der Kapitaen aber liess Trostsprueche aus dem Koran vorlesen und setzte sich selbst ans Steuerruder. Aber vergebens! Zusehends brauste der Sturm auf, und ehe eine Stunde verging, krachte das Schiff und blieb sitzen. Die Boote wurden ausgesetzt, und kaum hatten sich die letzten Matrosen gerettet, so versank das Schiff vor unseren Augen, und als ein Bettler fuhr ich in die See hinaus. Aber der Jammer hatte noch kein Ende. Fuerchterlicher tobte der Sturm; das Boot war nicht mehr zu regieren. Ich hatte meinen alten Diener fest umschlungen, und wir versprachen uns, nie voneinander zu weichen. Endlich brach der Tag an. Aber mit dem ersten Anblick der Morgenroete fasste der Wind das Boot, in welchem wir sassen, und stuerzte es um. Ich habe keinen meiner Schiffsleute mehr gesehen. Der Sturz hatte mich betaeubt; und als ich aufwachte, befand ich mich in den Armen meines alten treuen Dieners, der sich auf das umgeschlagene Boot gerettet und mich nachgezogen hatte. Der Sturm hatte sich gelegt. Von unserem Schiff war nichts mehr zu sehen, wohl aber entdeckten wir nicht weit von uns ein anderes Schiff, auf das die Wellen uns hintrieben. Als wir naeher hinzukamen, erkannte ich das Schiff als dasselbe, das in der Nacht an uns vorbeifuhr und welches den Kapitaen so sehr in Schrecken gesetzt hatte. Ich empfand ein sonderbares Grauen vor diesem Schiffe. Die Aeusserung des Kapitaens, die sich so furchtbar bestaetigt hatte, das oede Aussehen des Schiffes, auf dem sich, so nahe wir auch herankamen, so laut wir schrien, niemand zeigte, erschreckten mich. Doch es war unser einziges Rettungsmittel; darum priesen wir den Propheten, der uns so wundervoll erhalten hatte. Am Vorderteil des Schiffes hing ein langes Tau herab. Mit Haenden und Fuessen ruderten wir darauf zu, um es zu erfassen. Endlich glueckte es. Noch einmal erhob ich meine Stimme, aber immer blieb es still auf dem Schiff. Da klimmten wir an dem Tau hinauf, ich als der Juengste voran. Aber Entsetzen! Welches Schauspiel stellte sich meinem Auge dar, als ich das Verdeck betrat! Der Boden war mit Blut geroetet, zwanzig bis dreissig Leichname in tuerkischen Kleidern lagen auf dem Boden, am mittleren Mastbaum stand ein Mann, reich gekleidet, den Saebel in der Hand, aber das Gesicht war blass und verzerrt, durch die Stirn ging ein grosser Nagel, der ihn an den Mastbaum heftete, auch er war tot. Schrecken fesselte meine Schritte, ich wagte kaum zu atmen. Endlich war auch mein Begleiter heraufgekommen. Auch ihn ueberraschte der Anblick des Verdecks, das gar nichts Lebendiges, sondern nur so viele schreckliche Tote zeigte. Wir wagten es endlich, nachdem wir in der Seelenangst zum Propheten gefleht hatten, weiter vorzuschreiten. Bei jedem Schritte sahen wir uns um, ob nicht etwas Neues, noch Schrecklicheres sich darbiete; aber alles blieb, wie es war; weit und breit nichts Lebendiges als wir und das Weltmeer. Nicht einmal laut zu sprechen wagten wir, aus Furcht, der tote, am Mast angespiesste Kapitano moechte seine starren Augen nach uns hindrehen oder einer der Getoeteten moechte seinen Kopf umwenden. Endlich waren wir bis an eine Treppe gekommen, die in den Schiffsraum fuehrte. Unwillkuerlich machten wir dort halt und sahen einander an, denn keiner wagte es recht, seine Gedanken zu aeussern. "O Herr", sprach mein treuer Diener, "hier ist etwas Schreckliches geschehen. Doch wenn auch das Schiff da unten voll Moerder steckt, so will ich mich ihnen doch lieber auf Gnade und Ungnade ergeben, als laengere Zeit unter diesen Toten zubringen." Ich dachte wie er; wir fassten uns ein Herz und stiegen voll Erwartung hinunter. Totenstille war aber auch hier, und nur unsere Schritte hallten auf der Treppe. Wir standen an der Tuere der Kajuete. Ich legte mein Ohr an die Tuere und lauschte; es war nichts zu hoeren. Ich machte auf. Das Gemach bot einen unordentlichen Anblick dar. Kleider, Waffen und andere Geraete lagen untereinander. Nichts in Ordnung. Die Mannschaft oder wenigstens der Kapitano mussten vor kurzem gezechet haben; denn es lag alles noch umher. Wir gingen weiter von Raum zu Raum, von Gemach zu Gemach, ueberall fanden wir herrliche Vorraete in Seide, Perlen, Zucker usw. Ich war vor Freude ueber diesen Anblick ausser mir, denn da niemand auf dem Schiff war, glaubte ich, alles mir zueignen zu duerfen, Ibrahim aber machte mich aufmerksam darauf, dass wir wahrscheinlich noch sehr weit vom Lande seien, wohin wir allein und ohne menschliche Hilfe nicht kommen koennten. Wir labten uns an den Speisen und Getraenken, die wir in reichem Mass vorfanden, und stiegen endlich wieder aufs Verdeck. Aber hier schauderte uns immer die Haut ob dem schrecklichen Anblick der Leichen. Wir beschlossen, uns davon zu befreien und sie ueber Bord zu werfen; aber wie schauerlich ward uns zumut, als wir fanden, dass sich keiner aus seiner Lage bewegen liess. Wie festgebannt lagen sie am Boden, und man haette den Boden des Verdecks ausheben muessen, um sie zu entfernen, und dazu gebrach es uns an Werkzeugen. Auch der Kapitano liess sich nicht von seinem Mast losmachen; nicht einmal seinen Saebel konnten wir der starren Hand entwinden. Wir brachten den Tag in trauriger Betrachtung unserer Lage zu, und als es Nacht zu werden anfing, erlaubte ich dem alten Ibrahim, sich schlafen zu legen, ich selbst aber wollte auf dem Verdeck wachen, um nach Rettung auszuspaehen. Als aber der Mond heraufkam und ich nach den Gestirnen berechnete, dass es wohl um die elfte Stunde sei, ueberfiel mich ein so unwiderstehlicher Schlaf, dass ich unwillkuerlich hinter ein Fass, das auf dem Verdeck stand, zurueckfiel. Doch war es mehr Betaeubung als Schlaf, denn ich hoerte deutlich die See an der Seite des Schiffes anschlagen und die Segel vom Winde knarren und pfeifen. Auf einmal glaubte ich Stimmen und Maennertritte auf dem Verdeck zu hoeren. Ich wollte mich aufrichten, um danach zu schauen. Aber eine unsichtbare Gewalt hielt meine Glieder gefesselt; nicht einmal die Augen konnte ich aufschlagen. Aber immer deutlicher wurden die Stimmen, es war mir, als wenn ein froehliches Schiffsvolk auf dem Verdeck sich umhertriebe; mitunter glaubte ich, die kraeftige Stimme eines Befehlenden zu hoeren, auch hoerte ich Taue und Segel deutlich auf- und abziehen. Nach und nach aber schwanden mir die Sinne, ich verfiel in einen tieferen Schlaf, in dem ich nur noch ein Geraeusch von Waffen zu hoeren glaubte, und erwachte erst, als die Sonne schon hoch stand und mir aufs Gesicht brannte. Verwundert schaute ich mich um, Sturm, Schiff, die Toten und was ich in dieser Nacht gehoert hatte, kam mir wie ein Traum vor, aber als ich aufblickte, fand ich alles wie gestern. Unbeweglich lagen die Toten, unbeweglich war der Kapitano an den Mastbaum geheftet. Ich lachte ueber meinen Traum und stand auf, um meinen Alten zu suchen. Dieser sass ganz nachdenklich in der Kajuete. "O Herr!" rief er aus, als ich zu ihm hineintrat, "ich wollte lieber im tiefsten Grund des Meeres liegen, als in diesem verhexten Schiff noch eine Nacht zubringen." Ich fragte ihn nach der Ursache seines Kummers, und er antwortete mir: "Als ich einige Stunden geschlafen hatte, wachte ich auf und vernahm, wie man ueber meinem Haupt hin und her lief. Ich dachte zuerst, Ihr waeret es, aber es waren wenigstens zwanzig, die oben umherliefen; auch hoerte ich rufen und schreien. Endlich kamen schwere Tritte die Treppe herab. Da wusste ich nichts mehr von mir, nur hie und da kehrte auf einige Augenblicke meine Besinnung zurueck, und da sah ich dann denselben Mann, der oben am Mast angenagelt ist, an jenem Tisch dort sitzen, singend und trinkend; aber der, der in einem roten Scharlachkleid nicht weit von ihm am Boden liegt, sass neben ihm und half ihm trinken." Also erzaehlte mir mein alter Diener. Ihr koennt mir es glauben, meine Freunde, dass mir gar nicht wohl zumute war; denn es war keine Taeuschung, ich hatte ja auch die Toten gar wohl gehoert. In solcher Gesellschaft zu schiffen, war mir greulich. Mein Ibrahim aber versank wieder in tiefes Nachdenken. "Jetzt hab' ich's!" rief er endlich aus; es fiel ihm naemlich ein Spruechlein ein, das ihn sein Grossvater, ein erfahrener, weitgereister Mann, gelehrt hatte und das gegen jeden Geister- und Zauberspuk helfen sollte; auch behauptete er, jenen unnatuerlichen Schlaf, der uns befiel, in der naechsten Nacht verhindern zu koennen, wenn wir naemlich recht eifrig Sprueche aus dem Koran beteten. Der Vorschlag des alten Mannes gefiel mir wohl. In banger Erwartung sahen wir die Nacht herankommen. Neben der Kajuete war ein kleines Kaemmerchen, dorthin beschlossen wir uns zurueckzuziehen. Wir bohrten mehrere Loecher in die Tuere, hinlaenglich gross, um durch sie die ganze Kajuete zu ueberschauen, dann verschlossen wir die Tuere, so gut es ging, von innen, und Ibrahim schrieb den Namen des Propheten in alle vier Ecken. So erwarteten wir die Schrecken der Nacht. Es mochte wieder ungefaehr elf Uhr sein, als es mich gewaltig zu schlaefern anfing. Mein Gefaehrte riet mir daher, einige Sprueche des Korans zu beten, was mir auch half. Mit einem Male schien es oben lebhaft zu werden; die Taue knarrten, Schritte gingen ueber das Verdeck, und mehrere Stimmen waren deutlich zu unterscheiden--Mehrere Minuten hatten wir so in gespannter Erwartung gesessen, da hoerten wir etwas die Treppe der Kajuete herabkommen. Als dies der Alte hoerte, fing er an, den Spruch, den ihn sein Grossvater gegen Spuk und Zauberei gelehrt hatte, herzusagen: "Kommt ihr herab aus der Luft, Steigt ihr aus tiefem Meer, Schlieft ihr in dunkler Gruft, Stammt ihr vom Feuer her: Allah ist euer Herr und Meister, ihm sind gehorsam alle Geister." Ich muss gestehen, ich glaubte gar nicht recht an diesen Spruch, und mir stieg das Haar zu Berg, als die Tuer aufflog. Herein trat jener grosse, stattliche Mann, den ich am Mastbaum angenagelt gesehen hatte. Der Nagel ging ihm auch jetzt mitten durchs Hirn; das Schwert aber hatte er in die Scheide gesteckt; hinter ihm trat noch ein anderer herein, weniger kostbar gekleidet; auch ihn hatte ich oben liegen sehen. Der Kapitano, denn dies war er unverkennbar, hatte ein bleiches Gesicht, einen grossen, schwarzen Bart, wildrollende Augen, mit denen er sich im ganzen Gemach umsah. Ich konnte ihn ganz deutlich sehen, als er an unserer Tuere vorueberging; er aber schien gar nicht auf die Tuere zu achten, die uns verbarg. Beide setzten sich an den Tisch, der in der Mitte der Kajuete stand, und sprachen laut und fast schreiend miteinander in einer unbekannten Sprache. Sie wurden immer lauter und eifriger, bis endlich der Kapitano mit geballter Faust auf den Tisch hineinschlug, dass das Zimmer droehnte. Mit wildem Gelaechter sprang der andere auf und winkte dem Kapitano, ihm zu folgen. Dieser stand auf, riss seinen Saebel aus der Scheide, und beide verliessen das Gemach. Wir atmeten freier, als sie weg waren; aber unsere Angst hatte noch lange kein Ende. Immer lauter und lauter ward es auf dem Verdeck. Man hoerte eilends hin und her laufen und schreien, lachen und heulen. Endlich ging ein wahrhaft hoellischer Laerm los, so dass wir glaubten, das Verdeck mit allen Segeln komme zu uns herab, Waffengeklirr und Geschrei--auf einmal aber tiefe Stille. Als wir es nach vielen Stunden wagten hinaufzugehen, trafen wir alles wie sonst; nicht einer lag anders als frueher. Alle waren steif wie Holz. So waren wir mehrere Tage auf dem Schiffe; es ging immer nach Osten, wohin zu, nach meiner Berechnung, Land liegen musste; aber wenn es auch bei Tag viele Meilen zurueckgelegt hatte, bei Nacht schien es immer wieder zurueckzukehren, denn wir befanden uns immer wieder am naemlichen Fleck, wenn die Sonne aufging. Wir konnten uns dies nicht anders erklaeren, als dass die Toten jede Nacht mit vollem Winde zuruecksegelten. Um nun dies zu verhueten, zogen wir, ehe es Nacht wurde, alle Segel ein und wandten dasselbe Mittel an wie bei der Tuere in der Kajuete; wir schrieben den Namen des Propheten auf Pergament und auch das Spruechlein des Grossvaters dazu und banden es um die eingezogenen Segel. Aengstlich warteten wir in unserem Kaemmerchen den Erfolg ab. Der Spuk schien diesmal noch aerger zu toben, aber siehe, am anderen Morgen waren die Segel noch aufgerollt, wie wir sie verlassen hatten. Wir spannten den Tag ueber nur so viele Segel auf, als noetig waren, das Schiff sanft fortzutreiben, und so legten wir in fuenf Tagen eine gute Strecke zurueck. Endlich, am Morgen des sechsten Tages, entdeckten wir in geringer Ferne Land, und wir dankten Allah und seinem Propheten fuer unsere wunderbare Rettung. Diesen Tag und die folgende Nacht trieben wir an einer Kueste hin, und am siebenten Morgen glaubten wir in geringer Entfernung eine Stadt zu entdecken; wir liessen mit vieler Muehe einen Anker in die See, der alsobald Grund fasste, setzten ein kleines Boot, das auf dem Verdeck stand, aus und ruderten mit aller Macht der Stadt zu. Nach einer halben Stunde liefen wir in einen Fluss ein, der sich in die See ergoss, und stiegen ans Ufer. Am Stadttor erkundigten wir uns, wie die Stadt heisse, und erfuhren, dass es eine indische Stadt sei, nicht weit von der Gegend, wohin ich zuerst zu schiffen willens war. Wir begaben uns in eine Karawanserei und erfrischten uns von unserer abenteuerlichen Reise. Ich forschte daselbst auch nach einem weisen und verstaendigen Manne, indem ich dem Wirt zu verstehen gab, dass ich einen solchen haben moechte, der sich ein wenig auf Zauberei verstehe. Er fuehrte mich in eine abgelegene Strasse, an ein unscheinbares Haus, pochte an, und man liess mich eintreten mit der Weisung, ich solle nur nach Muley fragen. In dem Hause kam mir ein altes Maennlein mit grauem Bart und langer Nase entgegen und fragte nach meinem Begehr. Ich sagte ihm, ich suche den weisen Muley, und er antwortete mir, er sei es selbst. Ich fragte ihn nun um Rat, was ich mit den Toten machen solle und wie ich es angreifen muesse, um sie aus dem Schiff zu bringen. Er antwortete mir, die Leute des Schiffes seien wahrscheinlich wegen irgendeines Frevels auf das Meer verzaubert; er glaube, der Zauber werde sich loesen, wenn man sie ans Land bringe; dies koenne aber nicht geschehen, als wenn man die Bretter, auf denen sie laegen, losmache. Mir gehoere von Gott und Rechts wegen das Schiff samt allen Guetern, weil ich es gleichsam gefunden habe; doch solle ich alles sehr geheimzuhalten trachten und ihm ein kleines Geschenk von meinem Ueberfluss machen; er wolle dafuer mit seinen Sklaven mir behilflich sein, die Toten wegzuschaffen. Ich versprach, ihn reichlich zu belohnen, und wir machten uns mit fuenf Sklaven, die mit Saegen und Beilen versehen waren, auf den Weg. Unterwegs konnte der Zauberer Muley unseren gluecklichen Einfall, die Segel mit den Spruechen des Korans zu umwinden, nicht genug loben. Er sagte, es sei dies das einzige Mittel gewesen, uns zu retten. Es war noch ziemlich frueh am Tage, als wir beim Schiff ankamen. Wir machten uns alle sogleich ans Werk, und in einer Stunde lagen schon vier in dem Nachen. Einige der Sklaven mussten sie an Land rudern, um sie dort zu verscharren. Sie erzaehlten, als sie zurueckkamen, die Toten haetten ihnen die Muehe des Begrabens erspart, indem sie, sowie man sie auf die Erde gelegt habe, in Staub zerfallen seien. Wir fuhren fort, die Toten abzusaegen, und bis vor Abend waren alle an Land gebracht. Es war endlich keiner mehr an Bord als der, welcher am Mast angenagelt war. Umsonst suchten wir den Nagel aus dem Holze zu ziehen, keine Gewalt vermochte ihn auch nur ein Haarbreit zu verruecken. Ich wusste nicht, was anzufangen war; man konnte doch nicht den Mastbaum abhauen, um ihn ans Land zu fuehren. Doch aus dieser Verlegenheit half Muley. Er liess schnell einen Sklaven an Land rudern, um einen Topf mit Erde zu bringen. Als dieser herbeigeholt war, sprach der Zauberer geheimnisvolle Worte darueber aus und schuettete die Erde auf das Haupt des Toten. Sogleich schlug dieser die Augen auf, holte tief Atem, und die Wunde des Nagels in seiner Stirne fing an zu bluten. Wir zogen den Nagel jetzt leicht heraus, und der Verwundete fiel einem Sklaven in die Arme. "Wer hat mich hierhergefuehrt?" sprach er, nachdem er sich ein wenig erholt zu haben schien. Muley zeigte auf mich, und ich trat zu ihm. "Dank dir, unbekannter Fremdling, du hast mich von langen Qualen errettet. Seit fuenfzig Jahren schifft mein Leib durch diese Wogen, und mein Geist war verdammt, jede Nacht in ihn zurueckzukehren. Aber jetzt hat mein Haupt die Erde beruehrt, und ich kann versoehnt zu meinen Vaetern gehen." Ich bat ihn, uns doch zu sagen, wie er zu diesem schrecklichen Zustand gekommen sei, und er sprach: "Vor fuenfzig Jahren war ich ein maechtiger, angesehener Mann und wohnte in Algier; die Sucht nach Gewinn trieb mich, ein Schiff auszuruesten und Seeraub zu treiben. Ich hatte dieses Geschaeft schon einige Zeit fortgefuehrt, da nahm ich einmal auf Zante einen Derwisch an Bord, der umsonst reisen wollte. Ich und meine Gesellen waren rohe Leute und achteten nicht auf die Heiligkeit des Mannes; vielmehr trieb ich mein Gespoett mit ihm. Als er aber einst in heiligem Eifer mir meinen suendigen Lebenswandel verwiesen hatte, uebermannte mich nachts in meiner Kajuete, als ich mit meinem Steuermann viel getrunken hatte, der Zorn. Wuetend ueber das, was mir ein Derwisch gesagt hatte und was ich mir von keinem Sultan haette sagen lassen, stuerzte ich aufs Verdeck und stiess ihm meinen Dolch in die Brust. Sterbend verwuenschte er mich und meine Mannschaft, nicht sterben und nicht leben zu koennen, bis wir unser Haupt auf die Erde legten. Der Derwisch starb, und wir warfen ihn in die See und verlachten seine Drohungen; aber noch in derselben Nacht erfuellten sich seine Worte. Ein Teil meiner Mannschaft empoerte sich gegen mich--Mit fuerchterlicher Wut wurde gestritten, bis meine Anhaenger unterlagen und ich an den Mast genagelt wurde. Aber auch die Empoerer erlagen ihren Wunden, und bald war mein Schiff nur ein grosses Grab. Auch mir brachen die Augen, mein Atem hielt an, und ich meinte zu sterben. Aber es war nur eine Erstarrung, die mich gefesselt hielt; in der naechsten Nacht, zur naemlichen Stunde, da wir den Derwisch in die See geworfen, erwachten ich und alle meine Genossen, das Leben war zurueckgekehrt, aber wir konnten nichts tun und sprechen, als was wir in jener Nacht gesprochen und getan hatten. So segeln wir seit fuenfzig Jahren, koennen nicht leben, nicht sterben; denn wie konnten wir das Land erreichen? Mit toller Freude segelten wir allemal mit vollen Segeln in den Sturm, weil wir hofften, endlich an einer Klippe zu zerschellen und das muede Haupt auf dem Grund des Meeres zur Ruhe zu legen. Es ist uns nicht gelungen. Jetzt aber werde ich sterben. Noch einmal meinen Dank, unbekannter Retter, wenn Schaetze dich lohnen koennen, so nimm mein Schiff als Zeichen meiner Dankbarkeit." Der Kapitano liess sein Haupt sinken, als er so gesprochen hatte, und verschied. Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefaehrten, in Staub. Wir sammelten diesen in ein Kaestchen und begruben ihn an Land; aus der Stadt nahm ich aber Arbeiter, die mir mein Schiff in guten Zustand setzten. Nachdem ich die Waren, die ich an Bord hatte, gegen andere mit grossem Gewinn eingetauscht hatte, mietete ich Matrosen, beschenkte meinen Freund Muley reichlich und schiffte mich nach meinem Vaterlande ein. Ich machte aber einen Umweg, indem ich an vielen Inseln und Laendern landete und meine Waren zu Markt brachte. Der Prophet segnete mein Unternehmen. Nach dreiviertel Jahren lief ich, noch einmal so reich, als mich der sterbende Kapitaen gemacht hatte, in Balsora ein. Meine Mitbuerger waren erstaunt ueber meine Reichtuemer und mein Glueck und glaubten nicht anders, als dass ich das Diamantental des beruehmten Reisenden Sindbad gefunden habe. Ich liess sie in ihrem Glauben, von nun an aber mussten die jungen Leute von Balsora, wenn sie kaum achtzehn Jahre alt waren, in die Welt hinaus, um gleich mir ihr Glueck zu machen. Ich aber lebte ruhig und in Frieden, und alle fuenf Jahre mache ich eine Reise nach Mekka, um dem Herrn an heiliger Staette fuer seinen Segen zu danken und fuer den Kapitano und seine Leute zu bitten, dass er sie in sein Paradies aufnehme. --------------------------Die Reise der Karawane war den anderen Tag ohne Hindernis fuerder gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim, der Fremde, zu Muley, dem juengsten der Kaufleute, also zu sprechen: "Ihr seid zwar der Juengste von uns, doch seid Ihr immer froehlich und wisst fuer uns gewiss irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, dass er uns erquicke nach der Hitze des Tages!" "Wohl moechte ich euch etwas erzaehlen", antwortete Muley, "das euch Spass machen koennte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen Dingen; darum muessen meine aelteren Reisegefaehrten den Vorrang haben. Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht erzaehlen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, dass wir seinen Kummer, wenn er solchen hat, lindern koennen; denn gerne dienen wir dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens ist." Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren Jahren, schoen und kraeftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein Unglaeubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine Reisegefaehrten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und Zutrauen eingefloesst. Er hatte uebrigens nur eine Hand, und einige seiner Gefaehrten vermuteten, dass vielleicht dieser Verlust ihn so ernst stimme. Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: "Ich bin sehr geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen koenntet. Doch weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch einiges erzaehlen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin als andere Leute. Ihr sehet, dass ich meine linke Hand verloren habe. Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebuesst. Ob ich die Schuld davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es meine Lage mit sich bringt, zu sein, moeget ihr beurteilen, wenn ihr vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand." Die Geschichte von der abgehauenen Hand Wilhelm Hauff Ich bin in Konstantinopel geboren; mein Vater war ein Dragoman (Dolmetscher) bei der Pforte (dem tuerkischen Hof) und trieb nebenbei einen ziemlich eintraeglichen Handel mit wohlriechenden Essenzen und seidenen Stoffen. Er gab mir eine gute Erziehung, indem er mich teils selbst unterrichtete, teils von einem unserer Priester mir Unterricht geben liess. Er bestimmte mich anfangs, seinen Laden einmal zu uebernehmen, als ich aber groessere Faehigkeiten zeigte, als er erwartet hatte, bestimmte er mich auf das Anraten seiner Freunde zum Arzt; weil ein Arzt, wenn er etwas mehr gelernt hat als die gewoehnlichen Marktschreier, in Konstantinopel sein Glueck machen kann. Es kamen viele Franken in unser Haus, und einer davon ueberredete meinen Vater, mich in sein Vaterland, nach der Stadt Paris, reisen zu lassen, wo man solche Sachen unentgeltlich und am besten lernen koenne. Er selbst aber wolle mich, wenn er zurueckreise, umsonst mitnehmen. Mein Vater, der in seiner Jugend auch gereist war, schlug ein, und der Franke sagte mir, ich koenne mich in drei Monaten bereithalten. Ich war ausser mir vor Freude, fremde Laender zu sehen. Der Franke hatte endlich seine Geschaefte abgemacht und sich zur Reise bereitet; am Vorabend der Reise fuehrte mich mein Vater in sein Schlafkaemmerlein. Dort sah ich schoene Kleider und Waffen auf dem Tische liegen. Was meine Blicke aber noch mehr anzog, war ein grosser Haufe Goldes, denn ich hatte noch nie so viel beieinander gesehen. Mein Vater umarmte mich und sagte: "Siehe, mein Sohn, ich habe dir Kleider zu der Reise besorgt. Jene Waffen sind dein, es sind die naemlichen, die mir dein Grossvater umhing, als ich in die Fremde auszog. Ich weiss, du kannst sie fuhren; gebrauche sie aber nie, als wenn du angegriffen wirst; dann aber schlage auch tuechtig drauf. Mein Vermoegen ist nicht gross; siehe, ich habe es in drei Teile geteilt, einer davon ist dein; einer davon ist mein Unterhalt und Notpfennig, der dritte aber sei mir ein heiliges, unantastbares Gut, er diene dir in der Stunde der Not!" So sprach mein alter Vater, und Traenen hingen ihm im Auge, vielleicht aus Ahnung, denn ich habe ihn nie wiedergesehen. Die Reise ging gut vonstatten; wir waren bald im Lande der Franken angelangt, und sechs Tagreisen nachher kamen wir in die grosse Stadt Paris. Hier mietete mir mein fraenkischer Freund ein Zimmer und riet mir, mein Geld, das in allem zweitausend Taler betrug, vorsichtig anzuwenden. Ich lebte drei Jahre in dieser Stadt und lernte, was ein tuechtiger Arzt wissen muss; ich muesste aber luegen, wenn ich sagte, dass ich gerne dort gewesen sei; denn die Sitten dieses Volkes gefielen mir nicht; auch hatte ich nur wenige gute Freunde dort, diese aber waren edle, junge Maenner. Die Sehnsucht nach der Heimat wurde endlich maechtig in mir; in der ganzen Zeit hatte ich nichts von meinem Vater gehoert, und ich ergriff daher eine guenstige Gelegenheit, nach Hause zu kommen. Es ging naemlich eine Gesandtschaft aus Frankenland nach der Hohen Pforte. Ich verdingte mich als Wundarzt in das Gefolge des Gesandten und kam gluecklich wieder nach Stambul. Das Haus meines Vaters aber fand ich verschlossen, und die Nachbarn staunten, als sie mich sahen, und sagten mir, mein Vater sei vor zwei Monaten gestorben. Jener Priester, der mich in meiner Jugend unterrichtet hatte, brachte nur den Schluessel; allein und verlassen zog ich in das veroedete Haus ein. Ich fand noch alles, wie es mein Vater verlassen hatte; nur das Gold, das er mir zu hinterlassen versprach, fehlte. Ich fragte den Priester darueber, und dieser verneigte sich und sprach: "Euer Vater ist als ein heiliger Mann gestorben; denn er hat sein Gold der Kirche vermacht." Dies war und blieb mir unbegreiflich; doch was wollte ich machen; ich hatte keine Zeugen gegen den Priester und musste froh sein, dass er nicht auch das Haus und die Waren meines Vaters als Vermaechtnis angesehen hatte. Dies war das erste Unglueck, das mich traf. Von jetzt an aber kam es Schlag auf Schlag. Mein Ruf als Arzt wollte sich gar nicht ausbreiten, weil ich mich schaemte, den Marktschreier zu machen, und ueberall fehlte mir die Empfehlung meines Vaters, der mich bei den Reichsten und Vornehmsten eingefuehrt haette, die jetzt nicht mehr an den armen Zaleukos dachten. Auch die Waren meines Vaters fanden keinen Abgang; denn die Kunden hatten sich nach seinem Tode verlaufen, und neue bekommt man nur langsam. Als ich einst trostlos ueber meine Lage nachdachte, fiel mir ein, dass ich oft in Franken Maenner meines Volkes gesehen hatte, die das Land durchzogen und ihre Waren auf den Maerkten der Staedte auslegten; ich erinnerte mich, dass man ihnen gerne abkaufte, weil sie aus der Fremde kamen, und dass man bei solchem Handel das Hundertfache erwerben koenne. Sogleich war auch mein Entschluss gefasst. Ich verkaufte mein vaeterliches Haus, gab einen Teil des geloesten Geldes einem bewaehrten Freunde zum Aufbewahren, von dem uebrigen aber kaufte ich, was man in Franken selten hat, wie Schals, seidene Zeuge, Salben und Oele, mietete einen Platz auf einem Schiff und trat so meine zweite Reise nach Franken an. Es schien, als ob das Glueck, sobald ich die Schloesser der Dardanellen im Ruecken hatte, mir wieder guenstig geworden waere. Unsere Fahrt war kurz und gluecklich. Ich durchzog die grossen und kleinen Staedte der Franken und fand ueberall willige Kaeufer meiner Waren. Mein Freund in Stambul sandte mir immer wieder frische Vorraete, und ich wurde von Tag zu Tag wohlhabender. Als ich endlich so viel erspart hatte, dass ich glaubte, ein groesseres Unternehmen wagen zu koennen, zog ich mit meinen Waren nach Italien. Etwas muss ich aber noch gestehen, was mir auch nicht wenig Geld einbrachte: ich nahm auch meine Arzneikunst zu Hilfe. Wenn ich in eine Stadt kam, liess ich durch Zettel verkuenden, dass ein griechischer Arzt da sei, der schon viele geheilt habe; und wahrlich, mein Balsam und meine Arzneien haben mir manche Zechine eingebracht. So war ich endlich nach der Stadt Florenz in Italien gekommen. Ich nahm mir vor, laengere Zeit in dieser Stadt zu bleiben, teils weil sie mir so wohl gefiel, teils auch, weil ich mich von den Strapazen meines Umherziehens erholen wollte. Ich mietete mir ein Gewoelbe in dem Stadtviertel St. Croce und nicht weit davon ein paar schoene Zimmer, die auf einen Altan fuehrten, in einem Wirtshaus. Sogleich liess ich auch meine Zettel umhertragen, die mich als Arzt und Kaufmann ankuendigten. Ich hatte kaum mein Gewoelbe eroeffnet, so stroemten auch die Kaeufer herzu, und ob ich gleich ein wenig hohe Preise hatte, so verkaufte ich doch mehr als andere, weil ich gefaellig und freundlich gegen meine Kunden war. Ich hatte schon vier Tage vergnuegt in Florenz verlebt, als ich eines Abends, da ich schon mein Gewoelbe schliessen und nur die Vorraete in meinen Salbenbuechsen nach meiner Gewohnheit noch einmal mustern wollte, in einer kleinen Buechse einen Zettel fand, den ich mich nicht erinnerte, hineingetan zu haben. Ich oeffnete den Zettel und fand darin eine Einladung, diese Nacht Punkt zwoelf Uhr auf der Bruecke, die man Ponte vecchio heisst, mich einzufinden. Ich sann lange darueber nach, wer es wohl sein koennte, der mich dorthin einlud, da ich aber keine Seele in Florenz kannte, dachte ich, man werde mich vielleicht heimlich zu irgendeinem Kranken fuehren wollen, was schon oefter geschehen war. Ich beschloss also hinzugehen, doch hing ich zur Vorsicht den Saebel um, den mir einst mein Vater geschenkt hatte. Als es stark gegen Mitternacht ging, machte ich mich auf den Weg und kam bald auf die Ponte vecchio. Ich fand die Bruecke verlassen und oede und beschloss zu warten, bis er erscheinen wuerde, der mich rief. Es war eine kalte Nacht; der Mond schien hell, und ich schaute hinab in die Wellen des Arno, die weithin im Mondlicht schimmerten. Auf den Kirchen der Stadt schlug es jetzt zwoelf Uhr; ich richtete mich auf, und vor mir stand ein grosser Mann, ganz in einen roten Mantel gehuellt, dessen einen Zipfel er vor das Gesicht hielt. Ich war von Anfang etwas erschrocken, weil er so ploetzlich hinter mir stand, fasste mich aber sogleich wieder und sprach: "Wenn Ihr mich habt hierher bestellt, so sagt an, was steht zu Eurem Befehl?" Der Rotmantel wandte sich um und sagte langsam: "Folge!" Da ward mir's doch etwas unheimlich zumute, mit diesem Unbekannten allein zu gehen; ich blieb stehen und sprach: "Nicht also, lieber Herr, wollet mir vorerst sagen, wohin; auch koennet Ihr mir Euer Gesicht ein wenig zeigen, dass ich sehe, ob Ihr Gutes mit mir vorhabt." Der Rote aber schien sich nicht darum zu kuemmern. "Wenn du nicht willst, Zaleukos, so bleibe!" antwortete er und ging weiter. Da entbrannte mein Zorn. "Meinet Ihr", rief ich aus, "ein Mann wie ich lasse sich von jedem Narren foppen, und ich werde in dieser kalten Nacht umsonst gewartet haben?" In drei Spruengen hatte ich ihn erreicht, packte ihn an seinem Mantel und schrie noch lauter, indem ich die andere Hand an den Saebel legte; aber der Mantel blieb mir in der Hand, und der Unbekannte war um die naechste Ecke verschwunden. Mein Zorn legte sich nach und nach; ich hatte doch den Mantel, und dieser sollte mir schon den Schluessel zu diesem wunderlichen Abenteuer geben. Ich hing ihn um und ging meinen Weg weiter nach Hause. Als ich kaum noch hundert Schritte davon entfernt war, streifte jemand dicht an mir vorueber und fluesterte in fraenkischer Sprache: "Nehmt Euch in acht, Graf, heute nacht ist nichts zu machen." Ehe ich mich aber umsehen konnte, war dieser Jemand schon vorbei, und ich sah nur noch einen Schatten an den Haeusern hinschweben. Dass dieser Zuruf den Mantel und nicht mich anging, sah ich ein; doch gab er mir kein Licht ueber die Sache. Am anderen Morgen ueberlegte ich, was zu tun sei. Ich war von Anfang gesonnen, den Mantel ausrufen zu lassen, als haette ich ihn gefunden; doch da konnte der Unbekannte ihn durch einen Dritten holen lassen, und ich haette dann keinen Aufschluss ueber die Sache gehabt. Ich besah, indem ich so nachdachte, den Mantel naeher. Er war von schwerem genuesischem Samt, purpurrot, mit astrachanischem Pelz verbraemt und reich mit Gold bestickt. Der prachtvolle Anblick des Mantels brachte mich auf einen Gedanken, den ich auszufuehren beschloss. Ich trug ihn in mein Gewoelbe und legte ihn zum Verkauf aus, setzte aber auf ihn einen so hohen Preis, dass ich gewiss war, keinen Kaeufer zu finden. Mein Zweck dabei war, jeden, der nach dem Pelz fragen wuerde, scharf ins Auge zu fassen; denn die Gestalt des Unbekannten, die sich mir nach Verlust des Mantels, wenn auch nur fluechtig, doch bestimmt zeigte, wollte ich aus Tausenden erkennen. Es fanden sich viele Kauflustige zu dem Mantel, dessen ausserordentliche Schoenheit alle Augen auf sich zog; aber keiner glich entfernt dem Unbekannten, keiner wollte den hohen Preis von zweihundert Zechinen dafuer bezahlen. Auffallend war mir dabei, dass, wenn ich einen oder den anderen fragte, ob denn sonst kein solcher Mantel in Florenz sei, alle mit "Nein!" antworteten und versicherten, eine so kostbare und geschmackvolle Arbeit nie gesehen zu haben. Es wollte schon Abend werden, da kam endlich ein junger Mann, der schon oft bei mir gewesen war und auch heute viel auf den Mantel geboten hatte, warf einen Beutel mit Zechinen auf den Tisch und rief: "Bei Gott! Zaleukos, ich muss deinen Mantel haben, und sollte ich zum Bettler darueber werden." Zugleich begann er, seine Goldstuecke aufzuzaehlen. Ich kam in grosse Not; ich hatte den Mantel nur ausgehaengt, um vielleicht die Blicke meines Unbekannten darauf zu ziehen, und jetzt kam ein junger Tor, um den ungeheuren Preis zu zahlen. Doch was blieb mir uebrig; ich gab nach, denn es tat mir auf der anderen Seite der Gedanke wohl, fuer mein naechtliches Abenteuer so schoen entschaedigt zu werden. Der Juengling hing sich den Mantel um und ging; er kehrte aber auf der Schwelle wieder um, indem er ein Papier, das am Mantel befestigt war, losmachte, mir zuwarf und sagte: "Hier, Zaleukos, haengt etwas, das wohl nicht zu dem Mantel gehoert." Gleichgueltig nahm ich den Zettel; aber siehe da, dort stand geschrieben: "Bringe heute nacht um die bewusste Stunde den Mantel auf die Ponte vecchio, vierhundert Zechinen warten deiner." Ich stand wie niedergedonnert. So hatte ich also mein Glueck selbst verscherzt und meinen Zweck gaenzlich verfehlt! Doch ich besann mich nicht lange, raffte die zweihundert Zechinen zusammen, sprang dem, der den Mantel gekauft hatte, nach und sprach: "Nehmt Eure Zechinen wieder, guter Freund, und lasst mir den Mantel, ich kann ihn unmoeglich hergeben." Dieser hielt die Sache von Anfang fuer Spass, als er aber merkte, dass es Ernst war, geriet er in Zorn ueber meine Forderung, schalt mich einen Narren, und so kam es endlich zu Schlaegen. Doch ich war so gluecklich, im Handgemenge ihm den Mantel zu entreissen, und wollte schon mit ihm davoneilen, als der junge Mann die Polizei zu Hilfe rief und mich mit sich vor Gericht zog. Der Richter war sehr erstaunt ueber die Anklage und sprach meinem Gegner den Mantel zu. Ich aber bot dem Juenglinge zwanzig, fuenfzig, achtzig, ja hundert Zechinen ueber seine zweihundert, wenn er mir den Mantel liesse. Was meine Bitten nicht vermochten, bewirkte mein Gold. Er nahm meine guten Zechinen, ich aber zog mit dem Mantel triumphierend ab und musste mir gefallen lassen, dass man mich in ganz Florenz fuer einen Wahnsinnigen hielt. Doch die Meinung der Leute war mir gleichgueltig; ich wusste es ja besser als sie, dass ich an dem Handel noch gewann. Mit Ungeduld erwartete ich die Nacht. Um dieselbe Zeit wie gestern ging ich, den Mantel unter dem Arm, auf die Ponte vecchio. Mit dem letzten Glockenschlag kam die Gestalt aus der Nacht heraus auf mich zu. Es war unverkennbar der Mann von gestern. "Hast du den Mantel?" wurde ich gefragt. "Ja, Herr", antwortete ich, "aber er kostete mich bar hundert Zechinen." "Ich weiss es", entgegnete jener. "Schau auf, hier sind vierhundert." Er trat mit mir an das breite Gelaender der Bruecke und zaehlte die Goldstuecke hin. Vierhundert waren es; praechtig blitzten sie im Mondschein, ihr Glanz erfreute mein Herz, ach! Es ahnete nicht, dass es seine letzte Freude sein werde. Ich steckte mein Geld in die Tasche und wollte mir nun auch den guetigen Unbekannten recht betrachten; aber er hatte eine Larve vor dem Gesicht, aus der mich dunkle Augen furchtbar anblitzten. "Ich danke Euch, Herr, fuer Eure Guete", sprach ich zu ihm, "was verlangt Ihr jetzt von mir? Das sage ich Euch aber vorher, dass es nichts Unrechtes sein darf." "Unnoetige Sorge", antwortete er, indem er den Mantel um die Schultern legte, "ich bedarf Eurer Hilfe als Arzt; doch nicht fuer einen Lebenden, sondern fuer einen Toten." "Wie kann das sein?" rief ich voll Verwunderung. "Ich kam mit meiner Schwester aus fernen Landen", erzaehlte er und winkte mir zugleich, ihm zu folgen. "Ich wohnte hier mit ihr bei einem Freund meines Hauses. Meine Schwester starb gestern schnell an einer Krankheit, und die Verwandten wollen sie morgen begraben. Nach einer alten Sitte unserer Familie aber sollen alle in der Gruft der Vaeter ruhen; viele, die in fremden Landen starben, ruhen dennoch dort einbalsamiert. Meinen Verwandten goenne ich nun ihren Koerper; meinem Vater aber muss ich wenigstens den Kopf seiner Tochter bringen, damit er sie noch einmal sehe." Diese Sitte, die Koepfe geliebter Anverwandten abzuschneiden, kam mir zwar etwas schrecklich vor; doch wagte ich nichts dagegen einzuwenden aus Furcht, den Unbekannten zu beleidigen. Ich sagte ihm daher, dass ich mit dem Einbalsamieren der Toten wohl umgehen koenne, und bat ihn, mich zu der Verstorbenen zu fuehren. Doch konnte ich mich nicht enthalten zu fragen, warum denn dies alles so geheimnisvoll und in der Nacht geschehen muesse. Er antwortete mir, dass seine Anverwandten, die seine Absicht fuer grausam hielten, bei Tage ihn abhalten wuerden; sei aber nur erst einmal der Kopf abgenommen, so koennten sie wenig mehr darueber sagen. Er haette mir zwar den Kopf bringen koennen; aber ein natuerliches Gefuehl halte ihn ab, ihn selbst abzunehmen. Wir waren indes bis an ein grosses, prachtvolles Haus gekommen. Mein Begleiter zeigte es mir als das Ziel unseres naechtlichen Spazierganges. Wir gingen an dem Haupttor des Hauses vorbei, traten in eine kleine Pforte, die der Unbekannte sorgfaeltig hinter sich zumachte, und stiegen nun im Finstern eine enge Wendeltreppe hinan. Sie fuehrte in einen spaerlich erleuchteten Gang, aus welchem wir in ein Zimmer gelangten, das eine Lampe, die an der Decke befestigt war, erleuchtete. In diesem Gemach stand ein Bett, in welchem der Leichnam lag. Der Unbekannte wandte sein Gesicht ab und schien Traenen verbergen zu wollen. Er deutete nach dem Bett, befahl mir, mein Geschaeft gut und schnell zu verrichten, und ging wieder zur Tuere hinaus. Ich packte meine Messer, die ich als Arzt immer bei mir fuehrte, aus und naeherte mich dem Bett. Nur der Kopf war von der Leiche sichtbar; aber dieser war so schoen, dass mich unwillkuerlich das innigste Mitleiden ergriff. In langen Flechten hing das dunkle Haar herab, das Gesicht war bleich, die Augen geschlossen. Ich machte zuerst einen Einschnitt in die Haut, nach der Weise der Aerzte, wenn sie ein Glied abschneiden. Sodann nahm ich mein schaerfstes Messer und schnitt mit einem Zug die Kehle durch. Aber welcher Schrecken! Die Tote schlug die Augen auf, schloss sie aber gleich wieder, und in einem tiefen Seufzer schien sie jetzt erst ihr Leben auszuhauchen. Zugleich schoss mir ein Strahl heissen Blutes aus der Wunde entgegen. Ich ueberzeugte mich, dass ich erst die Arme getoetet hatte; denn dass sie tot sei, war kein Zweifel, da es von dieser Wunde keine Rettung gab. Ich stand einige Minuten in banger Beklommenheit ueber das, was geschehen war. Hatte der Rotmantel mich betrogen, oder war die Schwester vielleicht nur scheintot gewesen? Das letztere schien mir wahrscheinlicher. Aber ich durfte dem Bruder der Verstorbenen nicht sagen, dass vielleicht ein weniger rascher Schnitt sie erweckt haette, ohne sie zu toeten, darum wollte ich den Kopf vollends abloesen; aber noch einmal stoehnte die Sterbende, streckt sich in schmerzhafter Bewegung aus und starb. Da uebermannte mich der Schrecken, und ich stuerzte schaudernd aus dem Gemach. Aber draussen im Gang war es finster; denn die Lampe war verloescht. Keine Spur von meinem Begleiter war zu entdecken, und ich musste aufs ungefaehr mich im Finstern an der Wand fortbewegen, um an die Wendeltreppe zu gelangen. Ich fand sie endlich und kam halb fallend, halb gleitend hinab. Auch unten war kein Mensch. Die Tuere fand ich nur angelehnt, und ich atmete freier, als ich auf der Strasse war; denn in dem Hause war mir ganz unheimlich geworden. Von Schrecken gespornt, rannte ich in meine Wohnung und begrub mich in die Polster meines Lagers, um das Schreckliche zu vergessen, das ich getan hatte. Aber der Schlaf floh mich, und erst der Morgen ermahnte mich wieder, mich zu fassen. Es war mir wahrscheinlich, dass der Mann, der mich zu dieser verruchten Tat, wie sie mir jetzt erschien, verfuehrt hatte, mich nicht angeben wuerde. Ich entschloss mich, gleich in mein Gewoelbe an mein Geschaeft zu gehen und womoeglich eine sorglose Miene anzunehmen. Aber ach! Ein neuer Umstand, den ich jetzt erst bemerkte, vermehrte noch meinen Kummer. Meine Muetze und mein Guertel wie auch meine Messer fehlten mir, und ich war ungewiss, ob ich sie in dem Zimmer der Getoeteten gelassen oder erst auf meiner Flucht verloren hatte. Leider schien das erste wahrscheinlicher, und man konnte mich also als Moerder entdecken. Ich oeffnete zur gewoehnlichen Zeit mein Gewoelbe. Mein Nachbar trat zu mir her, wie er alle Morgen zu tun pflegte, denn er war ein gespraechiger Mann. "Ei, was sagt Ihr zu der schrecklichen Geschichte", hub er an, "die heute nacht vorgefallen ist?" Ich tat, als ob ich nichts wuesste. "Wie, solltet Ihr nicht wissen, von was die ganze Stadt erfuellt ist? Nicht wissen, dass die schoenste Blume von Florenz, Bianka, die Tochter des Gouverneurs, in dieser Nacht ermordet wurde? Ach! Ich sah sie gestern noch so heiter durch die Strassen fahren mit ihrem Braeutigam, denn heute haetten sie Hochzeit gehabt." Jedes Wort des Nachbarn war mir ein Stich ins Herz. Und wie oft kehrte meine Marter wieder; denn jeder meiner Kunden erzaehlte mir die Geschichte, immer einer schrecklicher als der andere, und doch konnte keiner so Schreckliches sagen, als ich selbst gesehen hatte. Um Mittag ungefaehr trat ein Mann vom Gericht in mein Gewoelbe und bat mich, die Leute zu entfernen. "Signore Zaleukos", sprach er, indem er die Sachen, die ich vermisste, hervorzog, "gehoeren diese Sachen Euch zu?" Ich besann mich, ob ich sie nicht gaenzlich ableugnen sollte; aber als ich durch die halbgeoeffnete Tuer meinen Wirt und mehrere Bekannte, die wohl gegen mich zeugen konnten, erblickte, beschloss ich, die Sache nicht noch durch eine Luege zu verschlimmern, und bekannte mich zu den vorgezeigten Dingen. Der Gerichtsmann bat mich, ihm zu folgen, und fuehrte mich in ein grosses Gebaeude, das ich bald fuer das Gefaengnis erkannte. Dort wies er mir bis auf weiteres ein Gemach an. Meine Lage war schrecklich, als ich so in der Einsamkeit darueber nachdachte. Der Gedanke, gemordet zu haben, wenn auch ohne Willen, kehrte immer wieder. Auch konnte ich mir nicht verhehlen, dass der Glanz des Goldes meine Sinne befangen gehalten hatte; sonst haette ich nicht so blindlings in die Falle gehen koennen. Zwei Stunden nach meiner Verhaftung wurde ich aus meinem Gemach gefuehrt. Mehrere Treppen ging es hinab, dann kam man in einen grossen Saal. Um einen langen, schwarzbehaengten Tisch sassen dort zwoelf Maenner, meistens Greise. An den Seiten des Saales zogen sich Baenke herab, angefuellt mit den Vornehmsten von Florenz; auf den Galerien, die in der Hoehe angebracht waren, standen dicht gedraengt die Zuschauer. Als ich bis vor den schwarzen Tisch getreten war, erhob sich ein Mann mit finsterer, trauriger Miene; es war der Gouverneur. Er sprach zu den Versammelten, dass er als Vater in dieser Sache nicht richten koenne und dass er seine Stelle fuer diesmal an den aeltesten der Senatoren abtrete. Der aelteste der Senatoren war ein Greis von wenigstens neunzig Jahren. Er stand gebueckt, und seine Schlaefen waren mit duennem, weissem Haar umhaengt; aber feurig brannten noch seine Augen, und seine Stimme war stark und sicher. Er hub an, mich zu fragen, ob ich den Mord gestehe. Ich bat ihn um Gehoer und erzaehlte unerschrocken und mit vernehmlichen Stimme, was ich getan hatte und was ich wusste. Ich bemerkte, dass der Gouverneur waehrend meiner Erzaehlung bald blass, bald rot wurde, und als ich geschlossen, fuhr er wuetend auf: "Wie, Elender!" rief er mir zu, "so willst du ein Verbrechen, das du aus Habgier begangen, noch einem anderen aufbuerden?" Der Senator verwies ihm seine Unterbrechung, da er sich freiwillig seines Rechtes begeben habe; auch sei es gar nicht so erwiesen, dass ich aus Habgier gefrevelt; denn nach seiner eigenen Aussage sei ja der Getoeteten nichts gestohlen worden. Ja, er ging noch weiter; er erklaerte dem Gouverneur, dass er ueber das fruehere Leben seiner Tochter Rechenschaft geben muesse; denn nur so koenne man schliessen, ob ich die Wahrheit gesagt habe oder nicht. Zugleich hob er fuer heute das Gericht auf, um sich, wie er sagte, aus den Papieren der Verstorbenen, die ihm der Gouverneur uebergeben werde, Rat zu holen. Ich wurde wieder in mein Gefaengnis zurueckgefuehrt, wo ich einen schaurigen Tag verlebte, immer mit dem heissen Wunsch beschaeftigt, dass man doch irgendeine Verbindung zwischen der Toten und dem Rotmantel entdecken moechte. Voll Hoffnung trat ich den anderen Tag in den Gerichtssaal. Es lagen mehrere Briefe auf dem Tisch. Der alte Senator fragte mich, ob sie meine Handschrift seien. Ich sah sie an und fand, dass sie von derselben Hand sein muessten wie jene beiden Zettel, die ich erhalten. Ich aeusserte dies den Senatoren; aber man schien nicht darauf zu achten und antwortete, dass ich beides geschrieben haben koenne und muesse; denn der Namenszug unter den Briefen sei unverkennbar ein Z, der Anfangsbuchstabe meines Namens. Die Briefe aber enthielten Drohungen an die Verstorbene und Warnungen vor der Hochzeit, die sie zu vollziehen im Begriff war. Der Gouverneur schien sonderbare Aufschluesse in Hinsicht auf meine Person gegeben zu haben; denn man behandelte mich an diesem Tage misstrauischer und strenger. Ich berief mich zu meiner Rechtfertigung auf meine Papiere, die sich in meinem Zimmer finden muessten; aber man sagte mir, man habe nachgesucht und nichts gefunden. So schwand mir am Schlusse dieses Gerichts alle Hoffnung, und als ich am dritten Tag wieder in den Saal gefuehrt wurde, las man mir das Urteil vor, dass ich, eines vorsaetzlichen Mordes ueberwiesen, zum Tode verurteilt sei. Dahin also war es mit mir gekommen. Verlassen von allem, was mir auf Erden noch teuer war, fern von meiner Heimat, sollte ich unschuldig in der Bluete meiner Jahre vom Beile sterben. Ich sass am Abend dieses schrecklichen Tages, der ueber mein Schicksal entschieden hatte, in meinem einsamen Kerker; meine Hoffnungen waren dahin, meine Gedanken ernsthaft auf den Tod gerichtet. Da tat sich die Tuere meines Gefaengnisses auf, und ein Mann trat herein, der mich lange schweigend betrachtete. "So finde ich dich wieder, Zaleukos?" sagte er; ich hatte ihn bei dem matten Schein meiner Lampe nicht erkannt, aber der Klang seiner Stimme erweckte alte Erinnerungen in mir, es war Valetty, einer jener wenigen Freunde, die ich in der Stadt Paris waehrend meiner Studien kannte. Er sagte, dass er zufaellig nach Florenz gekommen sei, wo sein Vater als angesehener Mann wohne, er habe von meiner Geschichte gehoert und sei gekommen, um mich noch einmal zu sehen und von mir selbst zu erfahren, wie ich mich so schwer habe verschulden koennen. Ich erzaehlte ihm die ganze Geschichte. Er schien darueber sehr verwundert und beschwor mich, ihm, meinem einzigen Freunde, alles zu sagen, um nicht mit einer Luege von hinnen zu gehen. Ich schwor ihm mit dem teuersten Eid, dass ich wahr gesprochen und dass keine andere Schuld mich druecke, als dass ich, von dem Glanze des Goldes geblendet, das Unwahrscheinliche der Erzaehlung des Unbekannten nicht erkannt habe. "So hast du Bianka nicht gekannt?" fragte jener. Ich beteuerte ihm, sie nie gesehen zu haben. Valetty erzaehlte mir nun, dass ein tiefes Geheimnis auf der Tat liege, dass der Gouverneur meine Verurteilung sehr hastig betrieben habe, und es sei nun ein Geruecht unter die Leute gekommen, dass ich Bianka schon laengst gekannt und aus Rache ueber ihre Heirat mit einem anderen sie ermordet habe. Ich bemerkte ihm, dass dies alles ganz auf den Rotmantel passe, dass ich aber seine Teilnahme an der Tat mit nichts beweisen koenne. Valetty umarmte mich weinend und versprach mir, alles zu tun, um wenigstens mein Leben zu retten. Ich hatte wenig Hoffnung; doch wusste ich, dass Valetty ein weiser und der Gesetze kundiger Mann sei und dass er alles tun werde, mich zu retten. Zwei lange Tage war ich in Ungewissheit: Endlich erschien auch Valetty. "Ich bringe Trost, wenn auch einen schmerzlichen. Du wirst leben und frei sein; aber mit Verlust einer Hand." Geruehrt dankte ich meinem Freunde fuer mein Leben. Er sagte mir, dass der Gouverneur unerbittlich gewesen sei, die Sache noch einmal untersuchen zu lassen; dass er aber endlich, um nicht ungerecht zu erscheinen, bewilligt habe, wenn man in den Buechern der florentinischen Geschichte einen aehnlichen Fall finde, so solle meine Strafe sich nach der Strafe, die dort ausgesprochen sei, richten. Er und sein Vater haben nun Tag und Nacht in den alten Buechern gelesen und endlich einen ganz dem meinigen aehnlichen Fall gefunden. Dort laute die Strafe: Es soll ihm die linke Hand abgehauen, seine Gueter eingezogen, er selbst auf ewig verbannt werden. So laute jetzt auch meine Strafe, und ich solle mich jetzt bereiten zu der schmerzhaften Stunde, die meiner warte. Ich will euch nicht diese schreckliche Stunde vor das Auge fuehren, wo ich auf offenem Markt meine Hand auf den Block legte, wo mein eigenes Blut in weitem Bogen mich ueberstroemte! Valetty nahm mich in sein Haus auf, bis ich genesen war, dann versah er mich edelmuetig mit Reisegeld; denn alles, was ich mir so muehsam erworben, war eine Beute des Gerichts geworden. Ich reiste von Florenz nach Sizilien und von da mit dem ersten Schiff, das ich fand, nach Konstantinopel. Meine Hoffnung war auf die Summe gerichtet, die ich meinem Freunde uebergeben hatte, auch bat ich ihn, bei ihm wohnen zu duerfen; aber wie erstaunte ich, als dieser mich fragte, warum ich denn nicht mein Haus beziehe! Er sagte mir, dass ein fremder Mann unter meinem Namen ein Haus in dem Quartier der Griechen gekauft habe; derselbe habe auch den Nachbarn gesagt, dass ich bald selbst kommen werde. Ich ging sogleich mit meinem Freunde dahin und wurde von allen meinen Bekannten freudig empfangen. Ein alter Kaufmann gab mir einen Brief, den der Mann, der fuer mich gekauft hatte, hiergelassen habe. Ich las: "Zaleukos! Zwei Haende stehen bereit, rastlos zu schaffen, dass Du nicht fuehlest den Verlust der einen. Das Haus, das Du siehest, und alles, was darin ist, ist Dein, und alle Jahre wird man Dir so viel reichen, dass Du zu den Reichen Deines Volkes gehoeren wirst. Moegest Du dem vergeben, der ungluecklicher ist als Du." Ich konnte ahnen, wer es geschrieben, und der Kaufmann sagte mir auf meine Frage: Es sei ein Mann gewesen, den er fuer einen Franken gehalten, er habe einen roten Mantel angehabt. Ich wusste genug, um mir zu gestehen, dass der Unbekannte doch nicht ganz von aller edlen Gesinnung entbloesst sein muesse. In meinem neuen Haus fand ich alles aufs beste eingerichtet, auch ein Gewoelbe mit Waren, schoener als ich sie je gehabt. Zehn Jahre sind seitdem verstrichen; mehr aus alter Gewohnheit, als weil ich es noetig habe, setze ich meine Handelsreisen fort; doch habe ich jenes Land, wo ich so ungluecklich wurde, nie mehr gesehen. Jedes Jahr erhielt ich seitdem tausend Goldstuecke; aber, wenn es mir auch Freude macht, jenen Ungluecklichen edel zu wissen, so kann er mir doch den Kummer meiner Seele nicht abkaufen, denn ewig lebt in mir das grauenvolle Bild der ermordeten Bianka. --------------------------Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt. Mit grosser Teilnahme hatten ihm die uebrigen zugehoert, besonders der Fremde schien sehr davon ergriffen zu sein; er hatte einigemal tief geseufzt, und Muley schien es sogar, als habe er einmal Traenen in den Augen gehabt. Sie besprachen sich noch lange Zeit ueber diese Geschichte. "Und hasst Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnoed' um ein so edles Glied Eures Koerpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?" fragte der Fremde. "Wohl gab es in frueherer Zeit Stunden", antwortete der Grieche, "in denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, dass er diesen Kummer ueber mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in dem Glauben meiner Vaeter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu lieben; auch ist er wohl noch ungluecklicher als ich." "Ihr seid ein edler Mann!" rief der Fremde und drueckte geruehrt dem Griechen die Hand. Der Anfuehrer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespraech. Er trat mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, dass man sich nicht der Ruhe ueberlassen duerfe; denn hier sei die Stelle, wo gewoehnlich die Karawanen angegriffen wuerden, auch glaubten seine Wachen, in der Entfernung mehrere Reiter zu sehen. Die Kaufleute waren sehr bestuerzt ueber diese Nachricht; Selim, der Fremde, aber wunderte sich ueber ihre Bestuerzung und meinte, dass sie so gut geschaetzt waeren, dass sie einen Trupp raeuberischer Araber nicht zu fuerchten brauchten. "Ja, Herr!" entgegnete ihm der Anfuehrer der Wache. "Wenn es nur solches Gesindel waere, koennte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; aber seit einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und da gilt es, auf seiner Hut zu sein." Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte Kaufmann, antwortete ihm: "Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke ueber diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn fuer ein uebermenschliches Wesen, weil er oft mit fuenf bis sechs Maennern zumal einen Kampf besteht, andere halten ihn fuer einen tapferen Franken, den das Unglueck in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist nur so viel gewiss, dass er ein verruchter Moerder und Dieb ist." "Das koennt Ihr aber doch nicht behaupten", entgegnete ihm Lezah, einer der Kaufleute. "Wenn er auch ein Raeuber ist, so ist er doch ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich Euch erzaehlen koennte. Er hat seinen ganzen Stamm zu geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wueste durchstreift, darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefaehrdet weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wueste." Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager zuzureiten. Einer der Maenner von der Wache ging daher in das Zelt, um zu verkuenden, dass sie wahrscheinlich angegriffen wuerden. Die Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei aelteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und Zaleukos verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem Beistand auf. Dieser zog ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten Sternen aus seinem Guertel hervor, band es an eine Lanze und befahl einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, ruhig vorueberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen ploetzlich von ihrer Richtung auf das Lager ab und zogen in einem grossen Bogen auf der Seite hin. Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald auf die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgueltig, wie wenn nichts vorgefallen waere, vor dem Zelte und blickte ueber die Ebene hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. "Wer bist du, maechtiger Fremdling", rief er aus, "der du die wilden Horden der Wueste durch einen Wink bezaehmst?" "Ihr schlagt meine Kunst hoeher an, als sie ist", antwortete Selim Baruch. "Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiss ich selbst nicht; nur so viel weiss ich, dass, wer mit diesem Zeichen reiset, unter maechtigem Schutze steht." Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so gross gewesen, dass wohl die Karawane nicht lange haette Widerstand leisten koennen. Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die Sonne zu sinken begann und der Abendwind ueber die Sandebene hinstrich, brachen sie auf und zogen weiter. Am naechsten Tage lagerten sie ungefaehr nur noch eine Tagreise von dem Ausgang der Wueste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem grossen Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort: "Ich habe euch gestern gesagt, dass der gefuerchtete Orbasan ein edler Mann sei, erlaubt mir, dass ich es euch heute durch die Erzaehlung der Schicksale meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er hatte drei Kinder. Ich war der Aelteste, ein Bruder und eine Schwester waren bei weitem juenger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum Erben seiner Gueter ein, mit der Bedingung, dass ich bis zu seinem Tode bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so dass ich erst vor zwei Jahren in meine Heimat zurueckkehrte und nichts davon wusste, welch schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie guetig Allah es gewendet hatte." Die Errettung Fatmes Wilhelm Hauff Mein Bruder Mustapha und meine Schwester Fatme waren beinahe in gleichem Alter; jener hatte hoechstens zwei Jahre voraus. Sie liebten einander innig und trugen vereint alles bei, was unserem kraenklichen Vater die Last seines Alters erleichtern konnte. An Fatmes sechzehntem Geburtstage veranstaltete der Bruder ein Fest. Er liess alle ihre Gespielinnen einladen, setzte ihnen in dem Garten des Vaters ausgesuchte Speisen vor, und als es Abend wurde, lud er sie ein, auf einer Barke, die er gemietet und festlich geschmueckt hatte, ein wenig hinaus in die See zu fahren. Fatme und ihre Gespielinnen willigten mit Freuden ein; denn der Abend war schoen, und die Stadt gewaehrte besonders abends, von dem Meere aus betrachtet, einen herrlichen Anblick. Den Maedchen aber gefiel es so gut auf der Barke, dass sie meinen Bruder bewogen, immer weiter in die See hinauszufahren. Mustapha gab aber ungern nach, weil sich vor einigen Tagen ein Korsar hatte sehen lassen. Nicht weit von der Stadt zieht sich ein Vorgebirge in das Meer. Dorthin wollten noch die Maedchen, um von da die Sonne in das Meer sinken zu sehen. Als sie um das Vorgebirg' herumruderten, sahen sie in geringer Entfernung eine Barke, die mit Bewaffneten besetzt war. Nichts Gutes ahnend, befahl mein Bruder den Ruderern, sein Schiff zu drehen und dem Lande zuzurudern. Wirklich schien sich auch seine Besorgnis zu bestaetigen; denn jene Barke kam der meines Bruders schnell nach, ueberholte sie, da sie mehr Ruder hatte, und hielt sich immer zwischen dem Land, und unserer Barke. Die Maedchen aber, als sie die Gefahr erkannten, in der sie schwebten, sprangen auf und schrien und klagten; umsonst suchte sie Mustapha zu beruhigen, umsonst stellte er ihnen vor, ruhig zu bleiben, weil sie durch ihr Hin- und Herrennen die Barke in Gefahr braechten umzuschlagen. Es half nichts, und da sie sich endlich bei Annaeherung des anderen Bootes alle auf die hintere Seite der Barke stuerzten, schlug diese um. Indessen aber hatte man vom Land aus die Bewegungen des fremden Bootes beobachtet, und da man schon seit einiger Zeit Besorgnisse wegen Korsaren hegte, hatte dieses Boot Verdacht erregt, und mehrere Barken stiessen vom Lande, um den Unsrigen beizustehen. Aber sie kamen nur noch zu rechter Zeit, um die Untersinkenden aufzunehmen. In der Verwirrung war das feindliche Boot entwischt, auf den beiden Barken aber, welche die Geretteten aufgenommen hatten, war man ungewiss, ob alle gerettet seien. Man naeherte sich gegenseitig, und ach! Es fand sich, dass meine Schwester und eine ihrer Gespielinnen fehlten; zugleich entdeckte man aber einen Fremden in einer der Barken, den niemand kannte. Auf die Drohungen Mustaphas gestand er, dass er zu dem feindlichen Schiff, das zwei Meilen ostwaerts vor Anker liege, gehoere, und dass ihn seine Gefaehrten auf ihrer eiligen Flucht im Stich gelassen haetten, indem er im Begriff gewesen sei, die Maedchen auffischen zu helfen; auch sagte er aus, dass er gesehen habe, wie man zwei derselben in das Schiff gezogen. Der Schmerz meines alten Vaters war grenzenlos, aber auch Mustapha war bis zum Tod betruebt, denn nicht nur, dass seine geliebte Schwester verloren war und dass er sich anklagte, an ihrem Unglueck schuld zu sein--jene Freundin Fatmes, die ihr Unglueck teilte, war von ihren Eltern ihm zur Gattin zugesagt gewesen, und nur unserem Vater hatte er es noch nicht zu gestehen gewagt, weil ihre Eltern arm und von geringer Abkunft waren. Mein Vater aber war ein strenger Mann; als sein Schmerz sich ein wenig gelegt hatte, liess er Mustapha vor sich kommen und sprach zu ihm: "Deine Torheit hat mir den Trost meines Alters und die Freude meiner Augen geraubt. Gehe hin, ich verbanne dich auf ewig von meinem Angesicht, ich fluche dir und deinen Nachkommen, aber nur, wenn du mir Fatme wiederbringst, soll dein Haupt rein sein von dem Fluche des Vaters." Dies hatte mein armer Bruder nicht erwartet; schon vorher hatte er sich entschlossen gehabt, seine Schwester und ihre Freundin aufzusuchen, und wollte sich nur noch den Segen des Vaters dazu erbitten, und jetzt schickte er ihn, mit dem Fluch beladen, in die Welt. Aber hatte ihn jener Jammer vorher gebeugt, so staehlte jetzt die Fuelle des Ungluecks, das er nicht verdient hatte, seinen Mut. Er ging zu dem gefangenen Seeraeuber und befragte ihn, wohin die Fahrt seines Schiffes ginge, und erfuhr, dass sie Sklavenhandel trieben und gewoehnlich in Balsora grossen Markt hielten. Als er wieder nach Hause kam, um sich zur Reise anzuschicken, schien sich der Zorn des Vaters ein wenig gelegt zu haben, denn er sandte ihm einen Beutel mit Gold zur Unterstuetzung auf der Reise. Mustapha aber nahm weinend von den Eltern Zoraides, so hiess seine geliebte Braut, Abschied und machte sich auf den Weg nach Balsora. Mustapha machte die Reise zu Land, weil von unserer kleinen Stadt aus nicht gerade ein Schiff nach Balsora ging. Er musste daher sehr starke Tagreisen machen, um nicht zu lange nach den Seeraeubern nach Balsora zu kommen; doch da er ein gutes Ross und kein Gepaeck hatte, konnte er hoffen, diese Stadt am Ende des sechsten Tages zu erreichen. Aber am Abend des vierten Tages, als er ganz allein seines Weges ritt, fielen ihn ploetzlich drei Maenner an. Da er merkte, dass sie gut bewaffnet und stark seien und dass es mehr auf sein Geld und sein Ross als auf sein Leben abgesehen war, so rief er ihnen zu, dass er sich ihnen ergeben wolle. Sie stiegen von ihren Pferden ab und banden ihm die Fuesse unter dem Bauch seines Tieres zusammen; ihn selbst aber nahmen sie in die Mitte und trabten, indem einer den Zuegel seines Pferdes ergriff, schnell mit ihm davon, ohne jedoch ein Wort zu sprechen. Mustapha gab sich einer dumpfen Verzweiflung hin, der Fluch seines Vaters schien schon jetzt an dem Ungluecklichen in Erfuellung zu gehen, und wie konnte er hoffen, seine Schwester und Zoraide zu retten, wenn er, aller Mittel beraubt, nur sein aermliches Leben zu ihrer Befreiung aufwenden konnte. Mustapha und seine stummen Begleiter mochten wohl eine Stunde geritten sein, als sie in ein kleines Seitental einbogen. Das Taelchen war von hohen Baeumen eingefasst; ein weicher dunkelgruener Rasen, ein Bach, der schnell durch seine Mitte hinrollte, luden zur Ruhe ein. Wirklich sah er auch fuenfzehn bis zwanzig Zelte dort aufgeschlagen; an den Pfloecken der Zelte waren Kamele und schoene Pferde angebunden, aus einem der Zelte hervor toente die lustige Weise einer Zither und zweier schoener Maennerstimmen. Meinem Bruder schien es, als ob Leute, die ein so froehliches Lagerplaetzchen sich erwaehlt hatten, nichts Boeses gegen ihn im Sinne haben koennten, und er folgte also ohne Bangigkeit dem Ruf seiner Fuehrer, die, als sie seine Bande geloest hatten, ihm winkten, abzusteigen. Man fuehrte ihn in ein Zelt, das groesser als die uebrigen und im Innern huebsch, fast zierlich aufgeputzt war. Praechtige, goldbestickte Polster, gewirkte Fussteppiche, uebergoldete Rauchpfannen haetten anderswo Reichtum und Wohlleben verraten; hier schienen sie nur kuehner Raub. Auf einem der Polster sass ein alter kleiner Mann; sein Gesicht war haesslich, seine Haut schwarzbraun und glaenzend, und ein widriger Zug von tueckischer Schlauheit um Augen und Mund machte seinen Anblick verhasst. Obgleich sich dieser Mann einiges Ansehen zu geben suchte, so merkte doch Mustapha bald, dass nicht fuer ihn das Zelt so reich geschmueckt sei, und die Unterredung seiner Fuehrer schien seine Bemerkung zu bestaetigen. "Wo ist der Starke?" fragten sie den Kleinen. "Er ist auf der kleinen Jagd", antwortete jener, "aber er hat mir aufgetragen, seine Stelle zu versehen." "Das hat er nicht gescheit gemacht", entgegnete einer der Raeuber, "denn es muss sich bald entscheiden, ob dieser Hund sterben oder zahlen soll, und das weiss der Starke besser als du." Der kleine Mann erhob sich im Gefuehl seiner Wuerde, streckte sich lang aus, um mit der Spitze seiner Hand das Ohr seines Gegners zu erreichen, denn er schien Lust zu haben, sich durch einen Schlag zu raechen, als er aber sah, dass seine Bemuehung fruchtlos sei, fing er an zu schimpfen (und wahrlich! Die anderen blieben ihm nichts schuldig), dass das Zelt von ihrem Streit erdroehnte. Da tat sich auf einmal die Tuere des Zeltes auf, und herein trat ein hoher, stattlicher Mann, jung und schoen wie ein Perserprinz; seine Kleidung und seine Waffen waren, ausser einem reichbesetzten Dolch und einem glaenzenden Saebel, gering und einfach; aber sein ernstes Auge, sein ganzer Anstand gebot Achtung, ohne Furcht einzufloessen. "Wer ist's, der es wagt, in meinem Zelte Streit zu beginnen?" rief er den Erschrockenen zu. Eine Zeitlang herrschte tiefe Stille; endlich erzaehlte einer von denen, die Mustapha hergebracht hatten, wie es gegangen sei. Da schien sich das Gesicht "des Starken", wie sie ihn nannten, vor Zorn zu roeten. "Wann haette ich dich je an meine Stelle gesetzt, Hassan?" schrie er mit furchtbarer Stimme dem Kleinen zu. Dieser zog sich vor Furcht in sich selbst zusammen, dass er noch viel kleiner aussah als zuvor, und schlich sich der Zelttuere zu. Ein hinlaenglicher Tritt des Starken machte, dass er in einem grossen sonderbaren Sprung zur Zelttuere hinausflog. Als der Kleine verschwunden war, fuehrten die drei Maenner Mustapha vor den Herrn des Zeltes, der sich indes auf die Polster gelegt hatte. "Hier bringen wir den, welchen du uns zu fangen befohlen hast." Jener blickte den Gefangenen lange an und sprach sodann: "Bassa von Sulieika! Dein eigenes Gewissen wird dir sagen, warum du vor Orbasan stehst." Als mein Bruder dies hoerte, warf er sich nieder vor jenem und antwortete: "O Herr! Du scheinst im Irrtum zu sein. Ich bin ein armer Ungluecklicher, aber nicht der Bassa, den du suchst!" Alle im Zelt waren ueber diese Rede erstaunt. Der Herr des Zeltes aber sprach: "Es kann dir wenig helfen, dich zu verstellen; denn ich will die Leute vorfuehren, die dich wohl kennen." Er befahl, Zuleima vorzufahren. Man brachte ein altes Weib in das Zelt, das auf die Frage, ob sie in meinem Bruder nicht den Bassa von Sulieika erkenne, antwortete: "Jawohl!" Und sie schwoere es beim Grab des Propheten, es sei der Bassa und kein anderer. "Siehst du, Erbaermlicher, wie deine List zu Wasser geworden ist!" begann zuernend der Starke. "Du bist mir zu elend, als dass ich meinen guten Dolch mit deinem Blut besudeln sollte, aber an den Schweif meines Rosses will ich dich binden, morgen, wenn die Sonne aufgeht, und durch die Waelder mit dir jagen, bis sie scheidet hinter die Huegel von Sulieika!" Da sank meinem armen Bruder der Mut. "Das ist der Fluch meines harten Vaters, der mich zum schmachvollen Tode treibt", rief er weinend, "und auch du bist verloren, suesse Schwester, auch du, Zoraide!" "Deine Verstellung hilft dir nichts", sprach einer der Raeuber, indem er ihm die Haende auf den Ruecken band, "mach, dass du aus dem Zelte kommst! Denn der Starke beisst sich in die Lippen und blickt nach seinem Dolch. Wenn du noch eine Nacht leben willst, so komm!" Als die Raeuber gerade meinen Bruder aus dem Zelt fuehren wollten, begegneten sie drei anderen, die einen Gefangenen vor sich hintrieben. Sie traten mit ihm ein. "Hier bringen wir den Bassa, wie du uns befohlen hast", sprachen sie und fuehrten den Gefangenen vor das Polster des Starken. Als der Gefangene dorthin gefuehrt wurde, hatte mein Bruder Gelegenheit, ihn zu betrachten, und ihm selbst fiel die Aehnlichkeit auf, die dieser Mann mit ihm hatte, nur war er dunkler im Gesicht und hatte einen schwaerzeren Bart. Der Starke schien sehr erstaunt ueber die Erscheinung des zweiten Gefangenen. "Wer von euch ist denn der Rechte?" sprach er, indem er bald meinen Bruder, bald den anderen Mann ansah. "Wenn du den Bassa von Sulieika meinst", antwortete in stolzem Ton der Gefangene, "der bin ich!" Der Starke sah ihn lange mit seinem ernsten, furchtbaren Blick an; dann winkte er schweigend, den Bassa wegzufuehren. Als dies geschehen war, ging er auf meinen Bruder zu, zerschnitt seine Bande mit dem Dolch und winkte ihm, sich zu ihm aufs Polster zu setzen. "Es tut mir leid, Fremdling", sagte er, "dass ich dich fuer jenes Ungeheuer hielt; schreibe es aber einer sonderbaren Fuegung des Himmels zu, die dich gerade in der Stunde, welche dem Untergang jenes Verruchten geweiht war, in die Haende meiner Brueder fuehrte." Mein Bruder bat ihn um die einzige Gunst, ihn gleich wieder weiterreisen zu lassen, weil jeder Aufschub ihm verderblich werden koenne. Der Starke erkundigte sich nach seinen eiligen Geschaeften, und als ihm Mustapha alles erzaehlt hatte, ueberredete ihn jener, diese Nacht in seinem Zelt zu bleiben, er und sein Ross werden der Ruhe beduerfen; den folgenden Tag aber wolle er ihm einen Weg zeigen, der ihn in anderthalb Tagen nach Balsora bringe--Mein Bruder schlug ein, wurde trefflich bewirtet und schlief sanft bis zum Morgen in dem Zelt des Raeubers. Als er aufgewacht war, sah er sich ganz allein im Zelt; vor dem Vorhang des Zeltes aber hoerte er mehrere Stimmen zusammen sprechen, die dem Herrn des Zeltes und dem kleinen schwarzbraunen Mann anzugehoeren schienen. Er lauschte ein wenig und hoerte zu seinem Schrecken, dass der Kleine dringend den anderen aufforderte, den Fremden zu toeten, weil er, wenn er freigelassen wuerde, sie alle verraten koennte. Mustapha merkte gleich, dass der Kleine ihm gram sei, weil er die Ursache war, dass er gestern so uebel behandelt wurde; der Starke schien sich einige Augenblicke zu besinnen. "Nein", sprach er, "er ist mein Gastfreund, und das Gastrecht ist mir heilig; auch sieht er mir nicht aus, als ob er uns verraten wollte." Als er so gesprochen, schlug er den Vorhang zurueck und trat ein. "Friede sei mit dir, Mustapha!" sprach er, "lass uns den Morgentrunk kosten, und rueste dich dann zum Aufbruch!" Er reichte meinem Bruder einen Becher Sorbet, und als sie getrunken hatten, zaeumten sie die Pferde auf, und wahrlich, mit leichterem Herzen, als er gekommen war, schwang sich Mustapha aufs Pferd. Sie hatten bald die Zelte im Ruecken und schlugen dann einen breiten Pfad ein, der in den Wald fuehrte. Der Starke erzaehlte meinem Bruder, dass jener Bassa, den sie auf der Jagd gefangen haetten, ihnen versprochen habe, sie ungefaehrdet in seinem Gebiete zu dulden; vor einigen Wochen aber habe er einen ihrer tapfersten Maenner aufgefangen und nach den schrecklichsten Martern aufhaengen lassen. Er habe ihm nun lange auflauern lassen, und heute noch muesse er sterben. Mustapha wagte es nicht, etwas dagegen einzuwenden; denn er war froh, selbst mit heiler Haut davongekommen zu sein. Am Ausgang des Waldes hielt der Starke sein Pferd an, beschrieb meinem Bruder den Weg, bot ihm die Hand zum Abschied und sprach: "Mustapha, du bist auf sonderbare Weise der Gastfreund des Raeubers Orbasan geworden; ich will dich nicht auffordern, nicht zu verraten, was du gesehen und gehoert hast. Du hast ungerechterweise Todesangst ausgestanden, und ich bin dir Verguetung schuldig. Nimm diesen Dolch als Andenken, und so du Hilfe brauchst, so sende ihn mir zu, und ich will eilen, dir beizustehen. Diesen Beutel aber kannst du vielleicht zu deiner Reise brauchen." Mein Bruder dankte ihm fuer seinen Edelmut; er nahm den Dolch, den Beutel aber schlug er aus. Doch Orbasan drueckte ihm noch einmal die Hand, liess den Beutel auf die Erde fallen und sprengte mit Sturmeseile in den Wald. Als Mustapha sah, dass er ihn doch nicht mehr werde einholen koennen, stieg er ab, um den Beutel aufzuheben, und erschrak ueber die Groesse von seines Gastfreundes Grossmut; denn der Beutel enthielt eine Menge Gold. Er dankte Allah fuer seine Rettung, empfahl ihm den edlen Raeuber in seine Gnade und zog dann heiteren Mutes weiter auf seinem Wege nach Balsora. Lezah schwieg und sah Achmet, den alten Kaufmann, fragend an. "Nein, wenn es so ist", sprach dieser, "so verbessere ich gern mein Urteil von Orbasan; denn wahrlich, an deinem Bruder hat er schoen gehandelt." "Er hat getan wie ein braver Muselmann", rief Muley; "aber ich hoffe, du hast deine Geschichte damit nicht geschlossen; denn wie mich beduenkt, sind wir alle begierig, weiter zu hoeren, wie es deinem Bruder erging und ob er Fatme, deine Schwester, und die schoene Zoraide befreit hat." "Wenn ich euch nicht damit langweile, erzaehle ich gerne weiter", entgegnete Lezah, "denn die Geschichte meines Bruders ist allerdings abenteuerlich und wundervoll." Am Mittag des siebenten Tages nach seiner Abreise zog Mustapha in die Tore von Balsora ein. Sobald er in einer Karawanserei abgestiegen war, fragte er, wann der Sklavenmarkt, der alljaehrlich hier gehalten werde, anfange. Aber er erhielt die Schreckensantwort, dass er zwei Tage zu spaet komme. Man bedauerte seine Verspaetung und erzaehlte ihm, dass er viel verloren habe; denn noch an dem letzten Tage des Marktes seien zwei Sklavinnen angekommen, von so hoher Schoenheit, dass sie die Augen aller Kaeufer auf sich gezogen haetten. Man habe sich ordentlich um sie gerissen und geschlagen, und sie seien freilich auch zu einem so hohen Preise verkauft worden, dass ihn nur ihr jetziger Herr nicht habe scheuen koennen. Er erkundigte sich naeher nach diesen beiden, und es blieb ihm kein Zweifel, dass es die Ungluecklichen seien, die er suchte. Auch erfuhr er, dass der Mann, der sie beide gekauft habe, vierzig Stunden von Balsora wohne und Thiuli-Kos heisse, ein vornehmer, reicher, aber schon aeltlicher Mann, der frueher Kapudan-Bassa des Grossherrn gewesen, jetzt aber sich mit seinen gesammelten Reichtuemern zur Ruhe gesetzt habe. Mustapha wollte von Anfang sich gleich wieder zu Pferd setzen, um dem Thiuli-Kos, der kaum einen Tag Vorsprung haben konnte, nachzueilen. Als er aber bedachte, dass er als einzelner Mann dem maechtigen Reisenden doch nichts anhaben noch weniger seine Beute ihm abjagen konnte, sann er auf einen anderen Plan und hatte ihn auch bald gefunden. Die Verwechslung mit dem Bassa von Sulieika, die ihm beinahe so gefaehrlich geworden waere, brachte ihn auf den Gedanken, unter diesem Namen in das Haus des Thiuli-Kos zu gehen und so einen Versuch zur Rettung der beiden ungluecklichen Maedchen zu wagen. Er mietete daher einige Diener und Pferde, wobei ihm Orbasans Geld trefflich zustatten kam, schaffte sich und seinen Dienern praechtige Kleider an und machte sich auf den Weg nach dem Schlosse Thiulis. Nach fuenf Tagen war er in die Naehe dieses Schlosses gekommen. Es lag in einer schoenen Ebene und war rings von hohen Mauern umschlossen, die nur ganz wenig von den Gebaeuden ueberragt wurden. Als Mustapha dort angekommen war, faerbte er Haar und Bart schwarz, sein Gesicht aber bestrich er mit dem Saft einer Pflanze, die ihm eine braeunliche Farbe gab, ganz wie sie jener Bassa gehabt hatte. Er schickte hierauf einen seiner Diener in das Schloss und liess im Namen des Bassa von Sulieika um ein Nachtlager bitten. Der Diener kam bald wieder, und mit ihm vier schoengekleidete Sklaven, die Mustaphas Pferd am Zuegel nahmen und in den Schlosshof fuehrten. Dort halfen sie ihm selbst vom Pferd, und vier andere geleiteten ihn eine breite Marmortreppe hinauf zu Thiuli. Dieser, ein alter, lustiger Geselle, empfing meinen Bruder ehrerbietig und liess ihm das Beste, was sein Koch zubereiten konnte, aufsetzen. Nach Tisch brachte Mustapha das Gespraech nach und nach auf die neuen Sklavinnen, und Thiuli ruehmte ihre Schoenheit und beklagte nur, dass sie immer so traurig seien; doch er glaubte, dieses wuerde sich bald geben. Mein Bruder war sehr vergnuegt ueber diesen Empfang und legte sich mit den schoensten Hoffnungen zur Ruhe nieder. Er mochte ungefaehr eine Stunde geschlafen haben, da weckte ihn der Schein einer Lampe, der blendend auf sein Auge fiel. Als er sich aufrichtete, glaubte er noch zu traeumen; denn vor ihm stand jener kleine, schwarzbraune Kerl aus Orbasans Zelt, eine Lampe in der Hand, sein breites Maul zu einem widrigen Laecheln verzogen. Mustapha zwickte sich in den Arm, zupfte sich an der Nase, um sich zu ueberzeugen, ob er denn wache; aber die Erscheinung blieb wie zuvor. "Was willst du an meinem Bette?" rief Mustapha, als er sich von seinem Erstaunen erholt hatte. "Bemuehet Euch doch nicht so, Herr!" sprach der Kleine. "Ich habe wohl erraten, weswegen Ihr hierherkommt. Auch war mir Euer wertes Gesicht noch wohl erinnerlich; doch wahrlich, wenn ich nicht den Bassa mit eigener Hand haette erhaengen helfen, so haettet Ihr mich vielleicht getaeuscht. Jetzt aber bin ich da, um eine Frage zu machen." "Vor allem sage, wie du hierherkommst", entgegnete ihm Mustapha voll Wut, dass er verraten war. "Das will ich Euch sagen", antwortete jener, "ich konnte mich mit dem Starken nicht laenger vertragen, deswegen floh ich; aber du, Mustapha, warst eigentlich die Ursache unseres Streites, und dafuer musst du mir deine Schwester zur Frau geben, und ich will Euch zur Flucht behilflich sein; gibst du sie nicht, so gehe ich zu meinem neuen Herrn und erzaehle ihm etwas von dem neuen Bassa." Mustapha war vor Schrecken und Wut ausser sich; jetzt, wo er sich am sicheren Ziel seiner Wuensche glaubte, sollte dieser Elende kommen und sie vereiteln; es war nur ein Mittel, das seinen Plan retten konnte: Er musste das kleine Ungetuem toeten. Mit einem Sprung fuhr er daher aus dem Bette auf den Kleinen zu; doch dieser, der etwas Solches geahnt haben mochte, liess die Lampe fallen, dass sie verloeschte, und entsprang im Dunkeln, indem er moerderisch um Hilfe schrie. Jetzt war guter Rat teuer; die Maedchen musste er fuer den Augenblick aufgeben und nur auf die eigene Rettung denken; daher ging er an das Fenster, um zu sehen, ob er nicht entspringen koennte. Es war eine ziemliche Tiefe bis zum Boden, und auf der anderen Seite stand eine hohe Mauer, die zu uebersteigen war. Sinnend stand er an dem Fenster; da hoerte er viele Stimmen sich seinem Zimmer naehern; schon waren sie an der Tuere; da fasste er verzweiflungsvoll seinen Dolch und seine Kleider und schwang sich zum Fenster hinaus. Der Fall war hart; aber er fuehlte, dass er kein Glied gebrochen hatte; drum sprang er auf und lief der Mauer zu, die den Hof umschloss, stieg, zum Erstaunen seiner Verfolger, hinauf und befand sich bald im Freien. Er floh, bis er an einen kleinen Wald kam, wo er sich erschoepft niederwarf. Hier ueberlegte er, was zu tun sei. Seine Pferde und seine Diener hatte er im Stiche lassen muessen; aber sein Geld, das er in dem Guertel trug, hatte er gerettet. Sein erfinderischer Kopf zeigte ihm bald einen anderen Weg zur Rettung. Er ging in dem Wald weiter, bis er an ein Dorf kam, wo er um geringen Preis ein Pferd kaufte, das ihn in Baelde in eine Stadt trug. Dort forschte er nach einem Arzt, und man riet ihm einen alten, erfahrenen Mann. Diesen bewog er durch einige Goldstuecke, dass er ihm eine Arznei mitteilte, die einen todaehnlichen Schlaf herbeifuehrte, der durch ein anderes Mittel augenblicklich wieder gehoben werden koennte. Als er im Besitz dieses Mittels war, kaufte er sich einen langen falschen Bart, einen schwarzen Talar und allerlei Buechsen und Kolben, so dass er fueglich einen reisenden Arzt vorstellen konnte, lud seine Sachen auf einen Esel und reiste in das Schloss des Thiuli-Kos zurueck. Er durfte gewiss sein, diesmal nicht erkannt zu werden, denn der Bart entstellte ihn so, dass er sich selbst kaum mehr kannte. Bei Thiuli angekommen, liess er sich als den Arzt Chakamankabudibaba anmelden, und, wie er es gedacht hatte, geschah es; der prachtvolle Namen empfahl ihn bei dem alten Narren ungemein, so dass er ihn gleich zur Tafel einlud. Chakamankabudibaba erschien vor Thiuli, und als sie sich kaum eine Stunde besprochen hatten, beschloss der Alte, alle seine Sklavinnen der Kur des weisen Arztes zu unterwerfen. Dieser konnte seine Freude kaum verbergen, dass er jetzt seine geliebte Schwester wiedersehen solle, und folgte mit klopfendem Herzen Thiuli, der ihn ins Serail fuehrte. Sie waren in ein Zimmer gekommen, das schoen ausgeschmueckt war, worin sich aber niemand befand. "Chambaba oder wie du heisst, lieber Arzt", sprach Thiuli-Kos, "betrachte einmal jenes Loch dort in der Mauer, dort wird jede meiner Sklavinnen einen Arm herausstrecken, und du kannst dann untersuchen, ob der Puls krank oder gesund ist." Mustapha mochte einwenden, was er wollte, zu sehen bekam er sie nicht; doch willigte Thiuli ein, dass er ihm allemal sagen wolle, wie sie sich sonst gewoehnlich befaenden. Thiuli zog nun einen langen Zettel aus dem Guertel und begann mit lauter Stimme seine Sklavinnen einzeln beim Namen zu rufen, worauf allemal eine Hand aus der Mauer kam und der Arzt den Puls untersuchte. Sechs waren schon abgelesen und saemtlich fuer gesund erklaert; da las Thiuli als die siebente "Fatme" ab, und eine kleine weisse Hand schluepfte aus der Mauer. Zitternd vor Freude, ergreift Mustapha diese Hand und erklaert sie mit wichtiger Miene fuer bedeutend krank. Thiuli ward sehr besorgt und befahl seinem weisen Chakamankabudibaba, schnell eine Arznei fuer sie zu bereiten. Der Arzt ging hinaus, schrieb auf einen kleinen Zettel: Fatme! Ich will Dich retten, wenn Du Dich entschliessen kannst, eine Arznei zu nehmen, die Dich auf zwei Tage tot macht; doch ich besitze das Mittel, Dich wieder zum Leben zu bringen. Willst Du, so sage nur, dieser Trank habe nicht geholfen, und es soll mir ein Zeichen sein, dass Du einwilligst. Bald kam er in das Zimmer zurueck, wo Thiuli seiner harrte. Er brachte ein unschaedliches Traenklein mit, fuehlte der kranken Fatme noch einmal den Puls und schob ihr zugleich den Zettel unter ihr Armband; das Traenklein aber reichte er ihr durch die Oeffnung in der Mauer. Thiuli schien in grossen Sorgen wegen Fatme zu sein und schob die Untersuchung der uebrigen bis auf eine gelegenere Zeit auf. Als er mit Mustapha das Zimmer verlassen hatte, sprach er in traurigem Ton: "Chadibaba, sage aufrichtig, was haeltst du von Fatmes Krankheit?" Chakamankabudibaba antwortete mit einem tiefen Seufzer: "Ach Herr, moege der Prophet dir Trost verleihen! Sie hat ein schleichendes Fieber, das ihr wohl den Garaus machen kann." Da entbrannte der Zorn Thiulis: "Was sagst du, verfluchter Hund von einem Arzt? Sie, um die ich zweitausend Goldstuecke gab, soll mir sterben wie eine Kuh? Wisse, wenn du sie nicht rettest, so hau' ich dir den Kopf ab!" Da merkte mein Bruder, dass er einen dummen Streich gemacht habe, und gab Thiuli wieder Hoffnung. Als sie noch so sprachen, kam ein schwarzer Sklave aus dem Serail, dem Arzt zu sagen, dass das Traenklein nicht geholfen habe. "Biete deine ganze Kunst auf, Chakamdababelba, oder wie du dich schreibst, ich zahle dir, was du willst", schrie Thiuli-Kos, fast heulend vor Angst, so viel Gold zu verlieren. "Ich will ihr ein Saeftlein geben, das sie von aller Not befreit", antwortete der Arzt. "Ja! Ja! Gib ihr ein Saeftlein", schluchzte der alte Thiuli. Frohen Mutes ging Mustapha, seinen Schlaftrunk zu holen, und als er ihn dem schwarzen Sklaven gegeben und gezeigt hatte, wieviel man auf einmal nehmen muesse, ging er zu Thiuli und sagte, er muesse noch einige heilsame Kraeuter am See holen, und eilte zum Tor hinaus. An dem See, der nicht weit von dem Schloss entfernt war, zog er seine falschen Kleider aus und warf sie ins Wasser, dass sie lustig umherschwammen; er selbst aber verbarg sich im Gestraeuch, wartete die Nacht ab und schlich sich dann in den Begraebnisplatz an dem Schlosse Thiulis. Als Mustapha kaum eine Stunde lang aus dem Schloss abwesend sein mochte, brachte man Thiuli die schreckliche Nachricht, dass seine Sklavin Fatme im Sterben liege. Er schickte hinaus an den See, um schnell den Arzt zu holen; aber bald kehrten seine Boten allein zurueck und erzaehlten ihm, dass der arme Arzt ins Wasser gefallen und ertrunken sei; seinen schwarzen Talar sehe man im See schwimmen, und hier und da gucke auch sein stattlicher Bart aus den Wellen hervor. Als Thiuli keine Rettung mehr sah, verwuenschte er sich und die ganze Welt, raufte sich den Bart aus und rannte mit dem Kopf gegen die Mauer. Aber alles dies konnte nichts helfen; denn Fatme gab bald unter den Haenden der uebrigen Weiber den Geist auf. Als Thiuli die Nachricht ihres Todes hoerte, befahl er, schnell einen Sarg zu machen; denn er konnte keinen Toten im Hause leiden und liess den Leichnam in das Begraebnishaus tragen. Die Traeger brachten den Sarg dorthin, setzten ihn schnell nieder und entflohen, denn sie hatten unter den uebrigen Saergen Stoehnen und Seufzen gehoert. Mustapha, der sich hinter den Saergen verborgen und von dort aus die Traeger des Sarges in die Flucht gejagt hatte, kam hervor und zuendete sich eine Lampe an, die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Dann zog er ein Glas hervor, das die erweckende Arznei enthielt, und hob dann den Deckel von Fatmes Sarg. Aber welches Entsetzen befiel ihn, als sich ihm beim Scheine der Lampe ganz fremde Zuege zeigten! Weder meine Schwester noch Zoraide, sondern eine ganz andere lag in dem Sarg. Er brauchte lange, um sich von dem neuen Schlag des Schicksals zu fassen; endlich ueberwog doch Mitleid seinen Zorn. Er oeffnete sein Glas und floesste ihr die Arznei ein. Sie atmete, sie schlug die Augen auf und schien sich lange zu besinnen, wo sie sei. Endlich erinnerte sie sich des Vorgefallenen; sie stand auf aus dem Sarg und stuerzte zu Mustaphas Fuessen. "Wie kann ich dir danken, guetiges Wesen", rief sie aus, "dass du mich aus meiner schrecklichen Gefangenschaft befreitest!" Mustapha unterbrach ihre Danksagungen mit der Frage, wie es denn geschehen sei, dass sie und nicht Fatme, seine Schwester, gerettet worden sei? Jene sah ihn staunend an. "Jetzt wird mir meine Rettung erst klar, die mir vorher unbegreiflich war", antwortete sie; "wisse, man hiess mich in jenem Schloss Fatme, und mir hast du deinen Zettel und den Rettungstrank gegeben." Mein Bruder forderte die Gerettete auf, ihm von seiner Schwester und Zoraide Nachricht zu geben, und erfuhr, dass sie sich beide im Schloss befanden, aber nach der Gewohnheit Thiulis andere Namen bekommen hatten; sie hiessen jetzt Mirza und Nurmahal." Als Fatme, die gerettete Sklavin, sah, dass mein Bruder durch diesen Fehlgriff so niedergeschlagen sei, sprach sie ihm Mut ein und versprach, ihm ein Mittel zu sagen, wie er jene beiden Maedchen dennoch retten koenne. Aufgeweckt durch diesen Gedanken, schoepfte Mustapha von neuem Hoffnung und bat sie, dieses Mittel ihm zu nennen, und sie sprach: "Ich bin zwar erst seit fuenf Monaten die Sklavin Thiulis, doch habe ich gleich von Anfang auf Rettung gesonnen; aber fuer mich allein war sie zu schwer. In dem inneren Hof des Schlosses wirst du einen Brunnen bemerkt haben, der aus zehn Roehren Wasser speit; dieser Brunnen fiel mir auf. Ich erinnerte mich, in dem Hause meines Vaters einen aehnlichen gesehen zu haben, dessen Wasser durch eine geraeumige Wasserleitung herbeistroemt; um nun zu erfahren, ob dieser Brunnen auch so gebaut ist, ruehmte ich eines Tages vor Thiuli seine Pracht und fragte nach seinem Baumeister. *Ich selbst habe ihn gebaut*, antwortete er, *und das, was du hier siehst, ist noch das Geringste; aber das Wasser dazu kommt wenigstens tausend Schritte weit von einem Bach her und geht durch eine gewoelbte Wasserleitung, die wenigstens mannshoch ist; und alles dies habe ich selbst angegeben.* Als ich dies gehoert hatte, wuenschte ich mir oft, nur auf einen Augenblick die Staerke eines Mannes zu haben, um einen Stein an der Seite des Brunnens ausheben zu koennen; dann koennte ich fliehen, wohin ich wollte. Die Wasserleitung nun will ich dir zeigen; durch sie kannst du nachts in das Schloss gelangen und jene befreien. Aber du musst wenigstens noch zwei Maenner bei dir haben, um die Sklaven, die das Serail bei Nacht bewachen, zu ueberwaeltigen." So sprach sie; mein Bruder Mustapha aber, obgleich schon zweimal in seinen Hoffnungen getaeuscht, fasste noch einmal Mut und hoffte mit Allahs Hilfe den Plan der Sklavin auszufuehren. Er versprach ihr, fuer ihr weiteres Fortkommen in ihre Heimat zu sorgen, wenn sie ihm behilflich sein wollte, ins Schloss zu gelangen. Aber ein Gedanke machte ihm noch Sorge, naemlich der, woher er zwei oder drei treue Gehilfen bekommen koennte. Da fiel ihm Orbasans Dolch ein und das Versprechen, das ihm jener gegeben hatte, ihm, wo er seiner beduerfe, zu Hilfe zu eilen, und er machte sich daher mit Fatme aus dem Begraebnis auf, um den Raeuber aufzusuchen. In der naemlichen Stadt, wo er sich zum Arzt umgewandelt hatte, kaufte er um sein letztes Geld ein Ross und mietete Fatme bei einer armen Frau in der Vorstadt ein. Er selbst aber eilte dem Gebirge zu, wo er Orbasan zum erstenmal getroffen hatte, und gelangte in drei Tagen dahin. Er fand bald wieder jene Zelte und trat unverhofft vor Orbasan, der ihn freundlich bewillkommnete. Er erzaehlte ihm seine misslungenen Versuche, wobei sich der ernsthafte Orbasan nicht enthalten konnte, hier und da ein wenig zu lachen, besonders, wenn er sich den Arzt Chakamankabudibaba dachte. Ueber die Verraeterei des Kleinen aber war er wuetend; er schwur, ihn mit eigener Hand aufzuhaengen, wo er ihn finde. Meinem Bruder aber versprach er, sogleich zur Hilfe bereit zu sein, wenn er sich vorher von der Reise gestaerkt haben wuerde. Mustapha blieb daher diese Nacht wieder in Orbasans Zelt; mit dem ersten Fruehrot aber brachen sie auf, und Orbasan nahm drei seiner tapfersten Maenner, wohl beritten und bewaffnet, mit sich. Sie ritten stark zu und kamen nach zwei Tagen in die kleine Stadt, wo Mustapha die gerettete Fatme zurueckgelassen hatte. Von da aus reisten sie mit dieser weiter bis zu dem kleinen Wald, von wo aus man das Schloss Thiulis in geringer Entfernung sehen konnte; dort lagerten sie sich, um die Nacht abzuwarten. Sobald es dunkel wurde, schlichen sie sich, von Fatme gefuehrt, an den Bach, wo die Wasserleitung anfing, und fanden diese bald. Dort liessen sie Fatme und einen Diener mit den Rossen zurueck und schickten sich an, hinabzusteigen; ehe sie aber hinabstiegen, wiederholte ihnen Fatme noch einmal alles genau, naemlich: dass sie durch den Brunnen in den inneren Schlosshof kaemen, dort seien rechts und links in der Ecke zwei Tuerme, in der sechsten Tuere, vom Turme rechts gerechnet, befaenden sich Fatme und Zoraide, bewacht von zwei schwarzen Sklaven. Mit Waffen und Brecheisen wohl versehen, stiegen Mustapha, Orbasan und zwei andere Maenner hinab in die Wasserleitung; sie sanken zwar bis an den Guertel ins Wasser; aber nichtsdestoweniger gingen sie ruestig vorwaerts. Nach einer halben Stunde kamen sie an den Brunnen selbst und setzten sogleich ihre Brecheisen an. Die Mauer war dick und fest; aber den vereinten Kraeften der vier Maenner konnte sie nicht lange widerstehen; bald hatten sie eine Oeffnung eingebrochen, gross genug, um bequem durchschluepfen zu koennen. Orbasan schluepfte zuerst durch und half den anderen nach. Als sie alle im Hof waren, betrachteten sie die Seite des Schlosses, die vor ihnen lag, um die beschriebene Tuere zu erforschen. Aber sie waren nicht einig, welche es sei; denn als sie von dem rechten Turm zum linken zaehlten, fanden sie eine Tuere, die zugemauert war, und wussten nun nicht, ob Fatme diese uebersprungen oder mitgezaehlt habe. Aber Orbasan besann sich nicht lange. "Mein gutes Schwert wird mir jede Tuer oeffnen", rief er aus, ging auf die sechste Tuere zu, und die anderen folgten ihm. Sie oeffneten die Tuere und fanden sechs schwarze Sklaven auf dem Boden liegend und schlafend; sie wollten schon wieder leise sich zurueckziehen, weil sie sahen, dass sie die rechte Tuere verfehlt hatten, als eine Gestalt in der Ecke sich aufrichtete und mit wohlbekannter Stimme um Hilfe rief. Es war der Kleine aus Orbasans Lager. Aber ehe noch die Schwarzen recht wussten, wie ihnen geschah, stuerzte Orbasan auf den Kleinen zu, riss seinen Guertel entzwei, verstopfte ihm den Mund und band ihm die Haende auf den Ruecken; dann wandte er sich an die Sklaven, wovon schon einige von Mustapha und den zwei anderen halb gebunden waren, und half sie vollends ueberwaeltigen. Man setzte den Sklaven den Dolch auf die Brust und fragte sie, wo Nurmahal und Nuerza waeren, und sie gestanden, dass sie im Gemach nebenan seien. Mustapha stuerzte in das Gemach und fand Fatme und Zoraide, die der Laerm erweckt hatte. Schnell rafften diese ihren Schmuck und ihre Kleider zusammen und folgten Mustapha; die beiden Raeuber schlugen indes Orbasan vor, zu pluendern, was man faende; doch dieser verbot es ihnen und sprach: "Man soll nicht von Orbasan sagen koennen, dass er nachts in die Haeuser steige, um Gold zu stehlen!" Mustapha und die Geretteten schluepften schnell in die Wasserleitung, wohin ihnen Orbasan sogleich zu folgen versprach. Als jene in die Wasserleitung hinabgestiegen waren, nahmen Orbasan und einer der Raeuber den Kleinen und fuehrten ihn hinaus in den Hof; dort banden sie ihm eine seidene Schnur, die sie deshalb mitgenommen hatten, um den Hals und hingen ihn an der hoechsten Spitze des Brunnens auf. Nachdem sie so den Verrat des Elenden bestraft hatten, stiegen sie selbst hinab in die Wasserleitung und folgten Mustapha. Mit Traenen dankten die beiden ihrem edelmuetigen Retter Orbasan; doch dieser trieb sie eilends zur Flucht an, denn es war sehr wahrscheinlich, dass sie Thiuli-Kos nach allen Seiten verfolgen liess. Mit tiefer Ruehrung trennten sich am anderen Tag Mustapha und seine Geretteten von Orbasan; wahrlich, sie werden ihn nie vergessen. Fatme aber, die befreite Sklavin, ging verkleidet nach Balsora, um sich dort in ihre Heimat einzuschiffen. Nach einer kurzen und vergnuegten Reise kamen die Meinigen in die Heimat. Meinen alten Vater toetete beinahe die Freude des Wiedersehens; den anderen Tag nach ihrer Ankunft veranstaltete er ein grosses Fest, an welchem die ganze Stadt teilnahm. Vor einer grossen Versammlung von Verwandten und Freunden musste mein Bruder seine Geschichte erzaehlen, und einstimmig priesen sie ihn und den edlen Raeuber. Als aber mein Bruder geschlossen hatte, stand mein Vater auf und fuehrte Zoraide ihm zu. "So loese ich denn", sprach er mit feierlicher Stimme, "den Fluch von deinem Haupte; nimm diese hin als die Belohnung, die du dir durch deinen rastlosen Eifer erkaempft hast; nimm meinen vaeterlichen Segen, und moege es nie unserer Stadt an Maennern fehlen, die an bruederlicher Liebe, an Klugheit und Eifer dir gleichen!" Die Karawane hatte das Ende der Wueste erreicht, und froehlich begruessten die Reisenden die gruenen Matten und die dichtbelaubten Baeume, deren lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In einem schoenen Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager waehlten, und obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, so war doch die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; denn der Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise durch die Wueste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen geoeffnet und die Gemueter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Laecheln entlockten. Aber nicht genug, dass er seine Gefaehrten durch Tanz und Spiel erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, die er ihnen versprochen hatte, und hub, als er von seinen Luftspruengen sich erholt hatte, also zu erzaehlen an: Die Geschichte von dem kleinen Muck. Die Geschichte von dem kleinen Muck Wilhelm Hauff In Nicea, meiner lieben Vaterstadt, wohnte ein Mann, den man den kleinen Muck hiess. Ich kann mir ihn, ob ich gleich damals noch sehr jung war, noch recht wohl denken, besonders weil ich einmal von meinem Vater wegen seiner halbtot gepruegelt wurde. Der kleine Muck naemlich war schon ein alter Geselle, als ich ihn kannte; doch war er nur drei bis vier Schuh hoch, dabei hatte er eine sonderbare Gestalt, denn sein Leib, so klein und zierlich er war, musste einen Kopf tragen, viel groesser und dicker als der Kopf anderer Leute; er wohnte ganz allein in einem grossen Haus und kochte sich sogar selbst, auch haette man in der Stadt nicht gewusst, ob er lebe oder gestorben sei, denn er ging nur alle vier Wochen einmal aus, wenn nicht um die Mittagsstunde ein maechtiger Dampf aus dem Hause aufgestiegen waere, doch sah man ihn oft abends auf seinem Dache auf und ab gehen, von der Strasse aus glaubte man aber, nur sein grosser Kopf allein laufe auf dem Dache umher. Ich und meine Kameraden waren boese Buben, die jedermann gerne neckten und belachten, daher war es uns allemal ein Festtag, wenn der kleine Muck ausging; wir versammelten uns an dem bestimmten Tage vor seinem Haus und warteten, bis er herauskam; wenn dann die Tuere aufging und zuerst der grosse Kopf mit dem noch groesseren Turban herausguckte, wenn das uebrige Koerperlein nachfolgte, angetan mit einem abgeschabten Maentelein, weiten Beinkleidern und einem breiten Guertel, an welchem ein langer Dolch hing, so lang, dass man nicht wusste, ob Muck an dem Dolch, oder der Dolch an Muck stak, wenn er so heraustrat, da ertoente die Luft von unserem Freudengeschrei, wir warfen unsere Muetzen in die Hoehe und tanzten wie toll um ihn her. Der kleine Muck aber gruesste uns mit ernsthaftem Kopfnicken und ging mit langsamen Schritten die Strasse hinab. Wir Knaben liefen hinter ihm her und schrien immer: "Kleiner Muck, kleiner Muck!" Auch hatten wir ein lustiges Verslein, das wir ihm zu Ehren hier und da sangen; es hiess: "Kleiner Muck, kleiner Muck, Wohnst in einem grossen Haus, Gehst nur all vier Wochen aus, Bist ein braver, kleiner Zwerg, Hast ein Koepflein wie ein Berg, Schau dich einmal um und guck, Lauf und fang uns, kleiner Muck!" So hatten wir schon oft unsere Kurzweil getrieben, und zu meiner Schande muss ich es gestehen, ich trieb's am aergsten; denn ich zupfte ihn oft am Maentelein, und einmal trat ich ihm auch von hinten auf die grossen Pantoffeln, dass er hinfiel. Dies kam mir nun hoechst laecherlich vor, aber das Lachen verging mir, als ich den kleinen Muck auf meines Vaters Haus zugehen sah. Er ging richtig hinein und blieb einige Zeit dort. Ich versteckte mich an der Haustuere und sah den Muck wieder herauskommen, von meinem Vater begleitet, der ihn ehrerbietig an der Hand hielt und an der Tuere unter vielen Buecklingen sich von ihm verabschiedete. Mir war gar nicht wohl zumute; ich blieb daher lange in meinem Versteck; endlich aber trieb mich der Hunger, den ich aerger fuerchtete als Schlaege, heraus, und demuetig und mit gesenktem Kopf trat ich vor meinen Vater. "Du hast, wie ich hoere, den guten Muck beschimpft?" sprach er in sehr ernstem Tone. "Ich will dir die Geschichte dieses Muck erzaehlen, und du wirst ihn gewiss nicht mehr auslachen; vor- und nachher aber bekommst du das Gewoehnliche." Das Gewoehnliche aber waren fuenfundzwanzig Hiebe, die er nur allzu richtig aufzuzaehlen pflegte. Er nahm daher sein langes Pfeifenrohr, schraubte die Bernsteinmundspitze ab und bearbeitete mich aerger als je zuvor. Als die Fuenfundzwanzig voll waren, befahl er mir, aufzumerken, und erzaehlte mir von dem kleinen Muck: Der Vater des kleinen Muck, der eigentlich Muckrah heisst, war ein angesehener, aber armer Mann hier in Nicea. Er lebte beinahe so einsiedlerisch wie jetzt sein Sohn. Diesen konnte er nicht wohl leiden, weil er sich seiner Zwerggestalt schaemte, und liess ihn daher auch in Unwissenheit aufwachsen. Der kleine Muck war noch in seinem sechzehnten Jahr ein lustiges Kind, und der Vater, ein ernster Mann, tadelte ihn immer, dass er, der schon laengst die Kinderschuhe zertreten haben sollte, noch so dumm und laeppisch sei. Der Alte tat aber einmal einen boesen Fall, an welchem er auch starb und den kleinen Muck arm und unwissend zurueckliess. Die harten Verwandten, denen der Verstorbene mehr schuldig war, als er bezahlen konnte, jagten den armen Kleinen aus dem Hause und rieten ihm, in die Welt hinauszugehen und sein Glueck zu suchen. Der kleine Muck antwortete, er sei schon reisefertig, bat sich aber nur noch den Anzug seines Vaters aus, und dieser wurde ihm auch bewilligt. Sein Vater war ein grosser, starker Mann gewesen, daher passten die Kleider nicht. Muck aber wusste bald Rat; er schnitt ab, was zu lang war, und zog dann die Kleider an. Er schien aber vergessen zu haben, dass er auch in der Weite davon schneiden muesse, daher sein sonderbarer Aufzug, wie er noch heute zu sehen ist; der grosse Turban, der breite Guertel, die weiten Hosen, das blaue Maentelein, alles dies sind Erbstuecke seines Vaters, die er seitdem getragen; den langen Damaszenerdolch seines Vaters aber steckte er in den Guertel, ergriff ein Stoecklein und wanderte zum Tor hinaus. Froehlich wanderte er den ganzen Tag; denn er war ja ausgezogen, um sein Glueck zu suchen; wenn er eine Scherbe auf der Erde im Sonnenschein glaenzen sah, so steckte er sie gewiss zu sich, im Glauben, dass sie sich in den schoensten Diamanten verwandeln werde; sah er in der Ferne die Kuppel einer Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen See wie einen Spiegel blinken, so eilte er voll Freude darauf zu; denn er dachte, in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! Jene Trugbilder verschwanden in der Naehe, und nur allzubald erinnerten ihn seine Muedigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, dass er noch im Lande der Sterblichen sich befinde. So war er zwei Tage gereist unter Hunger und Kummer und verzweifelte, sein Glueck zu finden; die Fruechte des Feldes waren seine einzige Nahrung, die harte Erde sein Nachtlager. Am Morgen des dritten Tages erblickte er von einer Anhoehe eine grosse Stadt. Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen, bunte Fahnen schimmerten auf den Daechern und schienen den kleinen Muck zu sich herzuwinken. Ueberrascht stand er stille und betrachtete Stadt und Gegend. "Ja, dort wird Klein-Muck sein Glueck finden", sprach er zu sich und machte trotz seiner Muedigkeit einen Luftsprung, "dort oder nirgends." Er raffte alle seine Kraefte zusammen und schritt auf die Stadt zu. Aber obgleich sie ganz nahe schien, konnte er sie doch erst gegen Mittag erreichen; denn seine kleinen Glieder versagten ihm beinahe gaenzlich ihren Dienst, und er musste sich oft in den Schatten einer Palme setzen, um auszuruhen. Endlich war er an dem Tor der Stadt angelangt. Er legte sein Maentelein zurecht, band den Turban schoener um, zog den Guertel noch breiter an und steckte den langen Dolch schiefer; dann wischte er den Staub von den Schuhen, ergriff sein Stoecklein und ging mutig zum Tor hinein. Er hatte schon einige Strassen durchwandert; aber nirgends oeffnete sich ihm die Tuere, nirgends rief man, wie er sich vorgestellt hatte: "Kleiner Muck, komm herein und iss und trink und lass deine Fuesslein ausruhen!" Er schaute gerade auch wieder recht sehnsuechtig an einem grossen, schoenen Haus hinauf; da oeffnete sich ein Fenster, eine alte Frau schaute heraus und rief mit singender Stimme: "Herbei, herbei! Gekocht ist der Brei, Den Tisch liess ich decken, Drum lasst es euch schmecken; Ihr Nachbarn herbei, Gekocht ist der Brei." Die Tuere des Hauses oeffnete sich, und Muck sah viele Hunde und Katzen hineingehen. Er stand einige Augenblicke in Zweifel, ob er der Einladung folgen sollte; endlich aber fasste er sich ein Herz und ging in das Haus. Vor ihm her gingen ein paar junge Kaetzlein, und er beschloss, ihnen zu folgen, weil sie vielleicht die Kueche besser wuessten als er. Als Muck die Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er jener alten Frau, die zum Fenster herausgeschaut hatte. Sie sah ihn muerrisch an und fragte nach seinem Begehr. "Du hast ja jedermann zu deinem Brei eingeladen", antwortete der kleine Muck, "und weil ich so gar hungrig bin, bin ich auch gekommen." Die Alte lachte und sprach: "Woher kommst du denn, wunderlicher Gesell? Die ganze Stadt weiss, dass ich fuer niemand koche als fuer meine lieben Katzen, und hier und da lade ich ihnen Gesellschaft aus der Nachbarschaft ein, wie du siehst." Der kleine Muck erzaehlte der alten Frau, wie es ihm nach seines Vaters Tod so hart ergangen sei, und bat sie, ihn heute mit ihren Katzen speisen zu lassen. Die Frau, welcher die treuherzige Erzaehlung des Kleinen wohl gefiel, erlaubte ihm, ihr Gast zu sein, und gab ihm reichlich zu essen und zu trinken. Als er gesaettigt und gestaerkt war, betrachtete ihn die Frau lange und sagte dann: "Kleiner Muck, bleibe bei mir in meinem Dienste! Du hast geringe Muehe und sollst gut gehalten sein." Der kleine Muck, dem der Katzenbrei geschmeckt hatte, willigte ein und wurde also der Bedienstete der Frau Ahavzi. Er hatte einen leichten, aber sonderbaren Dienst. Frau Ahavzi hatte naemlich zwei Kater und vier Katzen, diesen musste der kleine Muck alle Morgen den Pelz kaemmen und mit koestlichen Salben einreiben; wenn die Frau ausging, musste er auf die Katzen Achtung geben, wenn sie assen, musste er ihnen die Schuesseln vorlegen, und nachts musste er sie auf seidene Polster legen und sie mit samtenen Decken einhuellen. Auch waren noch einige kleine Hunde im Haus, die er bedienen musste, doch wurden mit diesen nicht so viele Umstaende gemacht wie mit den Katzen, welche Frau Ahavzi wie ihre eigenen Kinder hielt. Uebrigens fuehrte Muck ein so einsames Leben wie in seines Vaters Haus, denn ausser der Frau sah er den ganzen Tag nur Hunde und Katzen. Eine Zeitlang ging es dem kleinen Muck ganz gut; er hatte immer zu essen und wenig zu arbeiten, und die alte Frau schien recht zufrieden mit ihm zu sein, aber nach und nach wurden die Katzen unartig, wenn die Alte ausgegangen war, sprangen sie wie besessen in den Zimmern umher, warfen alles durcheinander und zerbrachen manches schoene Geschirr, das ihnen im Weg stand. Wenn sie aber die Frau die Treppe heraufkommen hoerten, verkrochen sie sich auf ihre Polster und wedelten ihr mit den Schwaenzen entgegen, wie wenn nichts geschehen waere. Die Frau Ahavzi geriet dann in Zorn, wenn sie ihre Zimmer so verwuestet sah, und schob alles auf Muck, er mochte seine Unschuld beteuern, wie er wollte, sie glaubte ihren Katzen, die so unschuldig aussahen, mehr als ihrem Diener. Der kleine Muck war sehr traurig, dass er also auch hier sein Glueck nicht gefunden hatte, und beschloss bei sich, den Dienst der Frau Ahavzi zu verlassen. Da er aber auf seiner ersten Reise erfahren hatte, wie schlecht man ohne Geld lebt, so beschloss er, den Lohn, den ihm seine Gebieterin immer versprochen, aber nie gegeben hatte, sich auf irgendeine Art zu verschaffen. Es befand sich in dem Hause der Frau Ahavzi ein Zimmer, das immer verschlossen war und dessen Inneres er nie gesehen hatte. Doch hatte er die Frau oft darin rumoren gehoert, und er haette oft fuer sein Leben gern gewusst, was sie dort versteckt habe. Als er nun an sein Reisegeld dachte, fiel ihm ein, dass dort die Schaetze der Frau versteckt sein koennten. Aber immer war die Tuer fest verschlossen, und er konnte daher den Schaetzen nie beikommen. Eines Morgens, als die Frau Ahavzi ausgegangen war, zupfte ihn eines der Hundlein, welches von der Frau immer sehr stiefmuetterlich behandelt wurde, dessen Gunst er sich aber durch allerlei Liebesdienste in hohem Grade erworben hatte, an seinen weiten Beinkleidern und gebaerdete sich dabei, wie wenn Muck ihm folgen sollte. Muck, welcher gerne mit den Hunden spielte, folgte ihm, und siehe da, das Hundlein fuehrte ihn in die Schlafkammer der Frau Ahavzi vor eine kleine Tuere, die er nie zuvor dort bemerkt hatte. Die Tuere war halb offen. Das Hundlein ging hinein, und Muck folgte ihm, und wie freudig war er ueberrascht, als er sah, dass er sich in dem Gemach befand, das schon lange das Ziel seiner Wuensche war. Er spaehte ueberall umher, ob er kein Geld finden koenne, fand aber nichts. Nur alte Kleider und wunderlich geformte Geschirre standen umher. Eines dieser Geschirre zog seine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Es war von Kristall, und schoene Figuren waren darauf ausgeschnitten. Er hob es auf und drehte es nach allen Seiten. Aber, o Schrecken! Er hatte nicht bemerkt, dass es einen Deckel hatte, der nur leicht darauf hingesetzt war. Der Deckel fiel herab und zerbrach in tausend Stuecke. Lange stand der kleine Muck vor Schrecken leblos. Jetzt war sein Schicksal entschieden, jetzt musste er entfliehen, sonst schlug ihn die Alte tot. Sogleich war auch seine Reise beschlossen, und nur noch einmal wollte er sich umschauen, ob er nichts von den Habseligkeiten der Frau Ahavzi zu seinem Marsch brauchen koennte. Da fielen ihm ein Paar maechtig grosse Pantoffeln ins Auge; sie waren zwar nicht schoen; aber seine eigenen konnten keine Reise mehr mitmachen; auch zogen ihn jene wegen ihrer Groesse an; denn hatte er diese am Fuss, so mussten ihm hoffentlich alle Leute ansehen, dass er die Kinderschuhe vertreten habe. Er zog also schnell seine Toeffelein aus und fuhr in die grossen hinein. Ein Spazierstoecklein mit einem schoen geschnittenen Loewenkopf schien ihm auch hier allzu muessig in der Ecke zu stehen; er nahm es also mit und eilte zum Zimmer hinaus. Schnell ging er jetzt auf seine Kammer, zog sein Maentelein an, setzte den vaeterlichen Turban auf, steckte den Dolch in den Guertel und lief, so schnell ihn seine Fuesse trugen, zum Haus und zur Stadt hinaus. Vor der Stadt lief er, aus Angst vor der Alten, immer weiter fort, bis er vor Muedigkeit beinahe nicht mehr konnte. So schnell war er in seinem Leben nicht gegangen; ja, es schien ihm, als koenne er gar nicht aufhoeren zu rennen; denn eine unsichtbare Gewalt schien ihn fortzureissen. Endlich bemerkte er, dass es mit den Pantoffeln eine eigene Bewandtnis haben muesse; denn diese schossen immer fort und fuehrten ihn mit sich. Er versuchte auf allerlei Weise stillzustehen; aber es wollte nicht gelingen; da rief er in der hoechsten Not, wie man den Pferden zuruft, sich selbst zu: "Oh--oh, halt, oh!" Da hielten die Pantoffeln, und Muck warf sich erschoepft auf die Erde nieder. Die Pantoffeln freuten ihn ungemein. So hatte er sich denn doch durch seine Verdienste etwas erworben, das ihm in der Welt auf seinem Weg das Glueck zu suchen, forthelfen konnte. Er schlief trotz seiner Freude vor Erschoepfung ein; denn das Koerperlein des kleinen Muck, das einen so schweren Kopf zu tragen hatte, konnte nicht viel aushalten. Im Traum erschien ihm das Hundlein, welches ihm im Hause der Frau Ahavzi zu den Pantoffeln verholfen hatte, und sprach zu ihm: "Lieber Muck, du verstehst den Gebrauch der Pantoffeln noch nicht recht; wisse, wenn du dich in ihnen dreimal auf dem Absatz herumdrehst, so kannst du hinfliegen, wohin du nur willst, und mit dem Stoecklein kannst du Schaetze finden, denn wo Gold vergraben ist, da wird es dreimal auf die Erde schlagen, bei Silber zweimal." So traeumte der kleine Muck. Als er aber aufwachte, dachte er ueber den wunderbaren Traum nach und beschloss, alsbald einen Versuch zu machen. Er zog die Pantoffeln an, lupfte einen Fuss und begann sich auf dem Absatz umzudrehen. Wer es aber jemals versucht hat, in einem ungeheuer weiten Pantoffel dieses Kunststueck dreimal hintereinander zu machen, der wird sich nicht wundern, wenn es dem kleinen Muck nicht gleich glueckte, besonders wenn man bedenkt, dass ihn sein schwerer Kopf bald auf diese, bald auf jene Seite hinueberzog. Der arme Kleine fiel einigemal tuechtig auf die Nase; doch liess er sich nicht abschrecken, den Versuch zu wiederholen, und endlich glueckte es. Wie ein Rad fuhr er auf seinem Absatz herum, wuenschte sich in die naechste grosse Stadt, und--die Pantoffeln ruderten hinauf in die Luefte, liefen mit Windeseile durch die Wolken, und ehe sich der kleine Muck noch besinnen konnte, wie ihm geschah, befand er sich schon auf einem grossen Marktplatz, wo viele Buden aufgeschlagen waren und unzaehlige Menschen geschaeftig hin und her liefen. Er ging unter den Leuten hin und her, hielt es aber fuer ratsamer, sich in eine einsamere Strasse zu begeben; denn auf dem Markt trat ihm bald da einer auf die Pantoffeln, dass er beinahe umfiel, bald stiess er mit seinem weit hinausstehenden Dolch einen oder den anderen an, dass er mit Muehe den Schlaegen entging. Der kleine Muck bedachte nun ernstlich, was er wohl anfangen koennte, um sich ein Stueck Geld zu verdienen; er hatte zwar ein Staeblein, das ihm verborgene Schaetze anzeigte, aber wo sollte er gleich einen Platz finden, wo Gold oder Silber vergraben waere? Auch haette er sich zur Not fuer Geld sehen lassen koennen; aber dazu war er doch zu stolz. Endlich fiel ihm die Schnelligkeit seiner Fuesse ein, "vielleicht", dachte er, "koennen mir meine Pantoffeln Unterhalt gewaehren", und er beschloss, sich als Schnellaeufer zu verdingen. Da er aber hoffen durfte, dass der Koenig dieser Stadt solche Dienste am besten bezahle, so erfragte er den Palast. Unter dem Tor des Palastes stand eine Wache, die ihn fragte, was er hier zu suchen habe. Auf seine Antwort, dass er einen Dienst suche, wies man ihn zum Aufseher der Sklaven. Diesem trug er sein Anliegen vor und bat ihn, ihm einen Dienst unter den koeniglichen Boten zu besorgen. Der Aufseher mass ihn mit seinen Augen von Kopf bis zu den Fuessen und sprach: "Wie, mit deinen Fuesslein, die kaum so lang als eine Spanne sind, willst du koeniglicher Schnellaeufer werden? Hebe dich weg, ich bin nicht dazu da, mit jedem Narren Kurzweil zu machen." Der kleine Muck versicherte ihm aber, dass es ihm vollkommen ernst sei mit seinem Antrag und dass er es mit dem Schnellsten auf eine Wette ankommen lassen wollte. Dem Aufseher kam die Sache gar laecherlich vor; er befahl ihm, sich bis auf den Abend zu einem Wettlauf bereitzuhalten, fuehrte ihn in die Kueche und sorgte dafuer, dass ihm gehoerig Speis' und Trank gereicht wurde; er selbst aber begab sich zum Koenig und erzaehlte ihm vom kleinen Muck und seinem Anerbieten. Der Koenig war ein lustiger Herr, daher gefiel es ihm wohl, dass der Aufseher der Sklaven den kleinen Menschen zu einem Spass behalten habe, er befahl ihm, auf einer grossen Wiese hinter dem Schloss Anstalten zu treffen, dass das Wettlaufen mit Bequemlichkeit von seinem ganzen Hofstaat koennte gesehen werden, und empfahl ihm nochmals, grosse Sorgfalt fuer den Zwerg zu haben. Der Koenig erzaehlte seinen Prinzen und Prinzessinnen, was sie diesen Abend fuer ein Schauspiel haben wuerden, diese erzaehlten es wieder ihren Dienern, und als der Abend herankam, war man in gespannter Erwartung, und alles, was Fuesse hatte, stroemte hinaus auf die Wiese, wo Gerueste aufgeschlagen waren, um den grosssprecherischen Zwerg laufen zu sehen. Als der Koenig und seine Soehne und Toechter auf dem Geruest Platz genommen hatten, trat der kleine Muck heraus auf die Wiese und machte vor den hohen Herrschaften eine ueberaus zierliche Verbeugung. Ein allgemeines Freudengeschrei ertoente, als man des Kleinen ansichtig wurde; eine solche Figur hatte man dort noch nie gesehen. Das Koerperlein mit dem maechtigen Kopf, das Maentelein und die weiten Beinkleider, der lange Dolch in dem breiten Guertel, die kleinen Fuesslein in den weiten Pantoffeln--nein! Es war zu drollig anzusehen, als dass man nicht haette laut lachen sollen. Der kleine Muck liess sich aber durch das Gelaechter nicht irremachen. Er stellte sich stolz, auf sein Stoecklein gestuetzt, hin und erwartete seinen Gegner. Der Aufseher der Sklaven hatte nach Mucks eigenem Wunsche den besten Laeufer ausgesucht. Dieser trat nun heraus, stellte sich neben den Kleinen, und beide harrten auf das Zeichen. Da winkte Prinzessin Amarza, wie es ausgemacht war, mit ihrem Schleier, und wie zwei Pfeile, auf dasselbe Ziel abgeschossen, flogen die beiden Wettlaeufer ueber die Wiese hin. Von Anfang hatte Mucks Gegner einen bedeutenden Vorsprung, aber dieser jagte ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk nach, holte ihn ein, ueberfing ihn und stand laengst am Ziele, als jener noch, nach Luft schnappend, daherlief. Verwunderung und Staunen fesselten einige Augenblicke die Zuschauer, als aber der Koenig zuerst in die Haende klatschte, da jauchzte die Menge, und alle riefen: "Hoch lebe der kleine Muck, der Sieger im Wettlauf!" Man hatte indes den kleinen Muck herbeigebracht; er warf sich vor dem Koenig nieder und sprach: "Grossmaechtigster Koenig, ich habe dir hier nur eine kleine Probe meiner Kunst gegeben; wolle nur gestatten, dass man mir eine Stelle unter deinen Laeufern gebe!" Der Koenig aber antwortete ihm: "Nein, du sollst mein Leiblaeufer und immer um meine Person sein, lieber Muck, jaehrlich sollst du hundert Goldstuecke erhalten als Lohn, und an der Tafel meiner ersten Diener sollst du speisen." So glaubte denn Muck, endlich das Glueck gefunden zu haben, das er so lange suchte, und war froehlich und wohlgemut in seinem Herzen. Auch erfreute er sich der besonderen Gnade des Koenigs, denn dieser gebrauchte ihn zu seinen schnellsten und geheimsten Sendungen, die er dann mit der groessten Genauigkeit und mit unbegreiflicher Schnelle besorgte. Aber die uebrigen Diener des Koenigs waren ihm gar nicht zugetan, weil sie sich ungern durch einen Zwerg, der nichts verstand, als schnell zu laufen, in der Gunst ihres Herrn zurueckgesetzt sahen. Sie veranstalteten daher manche Verschwoerung gegen ihn, um ihn zu stuerzen; aber alle schlugen fehl an dem grossen Zutrauen, das der Koenig in seinen geheimen Oberleiblaeufer (denn zu dieser Wuerde hatte er es in so kurzer Zeit gebracht) setzte. Muck, dem diese Bewegungen gegen ihn nicht entgingen, sann nicht auf Rache, dazu hatte er ein zu gutes Herz, nein, auf Mittel dachte er, sich bei seinen Feinden notwendig und beliebt zu machen. Da fiel ihm sein Staeblein, das er in seinem Glueck ausser acht gelassen hatte, ein; wenn er Schaetze finde, dachte er, wuerden ihm die Herren schon geneigter werden. Er hatte schon oft gehoert, dass der Vater des jetzigen Koenigs viele seiner Schaetze vergraben habe, als der Feind sein Land ueberfallen; man sagte auch, er sei darueber gestorben, ohne dass er sein Geheimnis habe seinem Sohn mitteilen koennen. Von nun an nahm Muck immer sein Stoecklein mit, in der Hoffnung, einmal an einem Ort vorueberzugehen, wo das Geld des alten Koenigs vergraben sei. Eines Abends fuehrte ihn der Zufall in einen entlegenen Teil des Schlossgartens, den er wenig besuchte, und ploetzlich fuehlte er das Stoecklein in seiner Hand zucken, und dreimal schlug es gegen den Boden. Nun wusste er schon, was dies zu bedeuten hatte. Er zog daher seinen Dolch heraus, machte Zeichen in die umstellenden Baeume und schlich sich wieder in das Schloss; dort verschaffte er sich einen Spaten und wartete die Nacht zu seinem Unternehmen ab. Das Schatzgraben selbst machte uebrigens dem kleinen Muck mehr zu schaffen, als er geglaubt hatte. Seine Arme waren gar zu schwach, sein Spaten aber gross und schwer; und er mochte wohl schon zwei Stunden gearbeitet haben, ehe er ein paar Fuss tief gegraben hatte. Endlich stiess er auf etwas Hartes, das wie Eisen klang. Er grub jetzt emsiger, und bald hatte er einen grossen eisernen Deckel zutage gefoerdert; er stieg selbst in die Grube hinab, um nachzuspaehen, was wohl der Deckel koennte bedeckt haben, und fand richtig einen grossen Topf, mit Goldstuecken angefuellt. Aber seine schwachen Kraefte reichten nicht hin, den Topf zu heben, daher steckte er in seine Beinkleider und seinen Guertel, so viel er zu tragen vermochte, und auch sein Maentelein fuellte er damit, bedeckte das uebrige wieder sorgfaeltig und lud es auf den Ruecken. Aber wahrlich, wenn er die Pantoffeln nicht an den Fuessen gehabt haette, er waere nicht vom Fleck gekommen, so zog ihn die Last des Goldes nieder. Doch unbemerkt kam er auf sein Zimmer und verwahrte dort sein Gold unter den Polstern seines Sofas. Als der kleine Muck sich im Besitz so vielen Goldes sah, glaubte er, das Blatt werde sich jetzt wenden und er werde sich unter seinen Feinden am Hofe viele Goenner und warme Anhaenger erwerben. Aber schon daran konnte man erkennen, dass der gute Muck keine gar sorgfaeltige Erziehung genossen haben musste, sonst haette er sich wohl nicht einbilden koennen, durch Gold wahre Freunde zu gewinnen. Ach, dass er damals seine Pantoffeln geschmiert und sich mit seinem Maentelein voll Gold aus dem Staub gemacht haette! Das Gold, das der kleine Muck von jetzt an mit vollen Haenden austeilte, erweckte den Neid der uebrigen Hofbediensteten. Der Kuechenmeister Ahuli sagte: "Er ist ein Falschmuenzer." Der Sklavenaufseher Achmet sagte: "Er hat's dem Koenig abgeschwatzt." Archaz, der Schatzmeister, aber, sein aergster Feind, der selbst hier und da einen Griff in des Koenigs Kasse tun mochte, sagte geradezu: "Er hat's gestohlen." Um nun ihrer Sache gewiss zu sein, verabredeten sie sich, und der Obermundschenk Korchuz stellte sich eines Tages recht traurig und niedergeschlagen vor die Augen des Koenigs. Er machte seine traurigen Gebaerden so auffallend, dass ihn der Koenig fragte, was ihm fehle. "Ah", antwortete er, "ich bin traurig, dass ich die Gnade meines Herrn verloren habe." "Was fabelst du, Freund Korchuz?" entgegnete ihm der Koenig. "Seit wann haette ich die Sonne meiner Gnade nicht ueber dich leuchten lassen?" Der Obermundschenk antwortete ihm, dass er ja den geheimen Oberleiblaeufer mit Gold belade, seinen armen, treuen Dienern aber nichts gebe. Der Koenig war sehr erstaunt ueber diese Nachricht, liess sich die Goldausteilungen des kleinen Muck erzaehlen, und die Verschworenen brachten ihm leicht den Verdacht bei, dass Muck auf irgendeine Art das Geld aus der Schatzkammer gestohlen habe. Sehr lieb war diese Wendung der Sache dem Schatzmeister, der ohnehin nicht gerne Rechnung ablegte. Der Koenig gab daher den Befehl, heimlich auf alle Schritte des kleinen Muck achtzugeben, um ihn womoeglich auf der Tat zu ertappen. Als nun in der Nacht, die auf diesen Unglueckstag folgte, der kleine Muck, da er durch seine Freigebigkeit seine Kasse sehr erschoepft sah, den Spaten nahm und in den Schlossgarten schlich, um dort von seinem geheimen Schatze neuen Vorrat zu holen, folgten ihm von weitem die Wachen, von dem Kuechenmeister Ahuli und Archaz, dem Schatzmeister, angefuehrt, und in dem Augenblick, da er das Gold aus dem Topf in sein Maentelein legen wollte, fielen sie ueber ihn her, banden ihn und fuehrten ihn sogleich vor den Koenig. Dieser, den ohnehin die Unterbrechung seines Schlafes muerrisch gemacht hatte, empfing seinen armen Oberleiblaeufer sehr ungnaedig und stellte sogleich das Verhoer ueber ihn an. Man hatte den Topf vollends aus der Erde gegraben und mit dem Spaten und mit dem Maentelein voll Gold vor die Fuesse des Koenigs gesetzt. Der Schatzmeister sagte aus, dass er mit seinen Wachen den Muck ueberrascht habe, wie er diesen Topf mit Gold gerade in die Erde gegraben habe. Der Koenig befragte hierauf den Angeklagten, ob es wahr sei und woher er das Gold, das er vergraben, bekommen habe. Der kleine Muck, im Gefuehl seiner Unschuld, sagte aus, dass er diesen Topf im Garten entdeckt habe, dass er ihn habe nicht ein-, sondern ausgraben wollen. Alle Anwesenden lachten laut ueber diese Entschuldigung, der Koenig aber, aufs hoechste erzuernt ueber die vermeintliche Frechheit des Kleinen, rief aus: "Wie, Elender! Du willst deinen Koenig so dumm und schaendlich beluegen, nachdem du ihn bestohlen hast? Schatzmeister Archaz! Ich fordere dich auf, zu sagen, ob du diese Summe Goldes fuer die naemliche erkennst, die in meinem Schatze fehlt." Der Schatzmeister aber antwortete, er sei seiner Sache ganz gewiss, so viel und noch mehr fehle seit einiger Zeit von dem koeniglichen Schatz, und er koenne einen Eid darauf ablegen, dass dies das Gestohlene sei. Da befahl der Koenig, den kleinen Muck in enge Ketten zu legen und in den Turm zu fuehren; dem Schatzmeister aber uebergab er das Gold, um es wieder in den Schatz zu tragen. Vergnuegt ueber den gluecklichen Ausgang der Sache, zog dieser ab und zaehlte zu Haus die blinkenden Goldstuecke; aber das hat dieser schlechte Mann niemals angezeigt, dass unten in dem Topf ein Zettel lag, der sagte: "Der Feind hat mein Land ueberschwemmt, daher verberge ich hier einen Teil meiner Schaetze; wer es auch finden mag, den treffe der Fluch seines Koenigs, wenn er es nicht sogleich meinem Sohne ausliefert! Koenig Sadi." Der kleine Muck stellte in seinem Kerker traurige Betrachtungen an; er wusste, dass auf Diebstahl an koeniglichen Sachen der Tod gesetzt war, und doch mochte er das Geheimnis mit dem Staebchen dem Koenig nicht verraten, weil er mit Recht fuerchtete, dieses und seiner Pantoffeln beraubt zu werden. Seine Pantoffeln konnten ihm leider auch keine Hilfe bringen; denn da er in engen Ketten an die Mauer geschlossen war, konnte er, so sehr er sich quaelte, sich nicht auf dem Absatz umdrehen. Als ihm aber am anderen Tage sein Tod angekuendigt wurde, da gedachte er doch, es sei besser, ohne das Zauberstaebchen zu leben als mit ihm zu sterben, liess den Koenig um geheimes Gehoer bitten und entdeckte ihm das Geheimnis. Der Koenig mass von Anfang an seinem Gestaendnis keinen Glauben bei; aber der kleine Muck versprach eine Probe, wenn ihm der Koenig zugestuende, dass er nicht getoetet werden solle. Der Koenig gab ihm sein Wort darauf und liess, von Muck ungesehen, einiges Gold in die Erde graben und befahl diesem, mit seinem Staebchen zu suchen. In wenigen Augenblicken hatte er es gefunden; denn das Staebchen schlug deutlich dreimal auf die Erde. Da merkte der Koenig, dass ihn sein Schatzmeister betrogen hatte, und sandte ihm, wie es im Morgenland gebraeuchlich ist, eine seidene Schnur, damit er sich selbst erdrossle. Zum kleinen Muck aber sprach er: "Ich habe dir zwar dein Leben versprochen; aber es scheint mir, als ob du nicht allein dieses Geheimnis mit dem Staebchen besitzest; darum bleibst du in ewiger Gefangenschaft, wenn du nicht gestehst, was fuer eine Bewandtnis es mit deinem Schnellaufen hat." Der kleine Muck, den die einzige Nacht im Turm alle Lust zu laengerer Gefangenschaft benommen hatte, bekannte, dass seine ganze Kunst in den Pantoffeln liege, doch lehrte er den Koenig nicht das Geheimnis von dem dreimaligen Umdrehen auf dem Absatz. Der Koenig schluepfte selbst in die Pantoffeln, um die Probe zu machen, und jagte wie unsinnig im Garten umher; oft wollte er anhalten; aber er wusste nicht, wie man die Pantoffeln zum Stehen brachte, und der kleine Muck, der diese kleine Rache sich nicht versagen konnte, liess ihn laufen, bis er ohnmaechtig niederfiel. Als der Koenig wieder zur Besinnung zurueckgekehrt war, war er schrecklich aufgebracht ueber den kleinen Muck, der ihn so ganz ausser Atem hatte laufen lassen. "Ich habe dir mein Wort gegeben, dir Freiheit und Leben zu schenken; aber innerhalb zwoelf Stunden musst du mein Land verlassen, sonst lasse ich dich aufknoepfen!" Die Pantoffeln und das Staebchen aber liess er in seine Schatzkammer legen. So arm als je wanderte der kleine Muck zum Land hinaus, seine Torheit verwuenschend, die ihm vorgespiegelt hatte, er koenne eine bedeutende Rolle am Hofe spielen. Das Land, aus dem er gejagt wurde, war zum Glueck nicht gross, daher war er schon nach acht Stunden auf der Grenze, obgleich ihn das Gehen, da er an seine lieben Pantoffeln gewoehnt war, sehr sauer ankam. Als er ueber der Grenze war, verliess er die gewoehnliche Strasse, um die dichteste Einoede der Waelder aufzusuchen und dort nur sich zu leben; denn er war allen Menschen gram. In einem dichten Walde traf er auf einen Platz, der ihm zu dem Entschluss, den er gefasst hatte, ganz tauglich schien. Ein klarer Bach, von grossen, schattigen Feigenbaeumen umgeben, ein weicher Rasen luden ihn ein; hier warf er sich nieder mit dem Entschluss, keine Speise mehr zu sich zu nehmen, sondern hier den Tod zu erwarten. Ueber traurigen Todesbetrachtungen schlief er ein; als er aber wieder aufwachte und der Hunger ihn zu quaelen anfing, bedachte er doch, dass der Hungertod eine gefaehrliche Sache sei, und sah sich um, ob er nirgends etwas zu essen bekommen koennte. Koestliche reife Feigen hingen an dem Baume, unter welchem er geschlafen hatte; er stieg hinauf, um sich einige zu pfluecken, liess es sich trefflich schmecken und ging dann hinunter an den Bach, um seinen Durst zu loeschen. Aber wie gross war sein Schrecken, als ihm das Wasser seinen Kopf mit zwei gewaltigen Ohren und einer dicken, langen Nase geschmueckt zeigte! Bestuerzt griff er mit den Haenden nach den Ohren, und wirklich, sie waren ueber eine halbe Elle lang. "Ich verdiene Eselsohren!" rief er aus; "denn ich habe mein Glueck wie ein Esel mit Fuessen getreten." Er wanderte unter den Baeumen umher, und als er wieder Hunger fuehlte, musste er noch einmal zu den Feigen seine Zuflucht nehmen; denn sonst fand er nichts Essbares an den Baeumen. Als ihm ueber der zweiten Portion Feigen einfiel, ob wohl seine Ohren nicht unter seinem grossen Turban Platz haetten, damit er doch nicht gar zu laecherlich aussehe, fuehlte er, dass seine Ohren verschwunden waren. Er lief gleich an den Bach zurueck, um sich davon zu ueberzeugen, und wirklich, es war so, seine Ohren hatten ihre vorige Gestalt, seine lange, unfoermliche Nase war nicht mehr. Jetzt merkte er aber, wie dies gekommen war; von dem ersten Feigenbaum hatte er die lange Nase und Ohren bekommen, der zweite hatte ihn geheilt; freudig erkannte er, dass sein guetiges Geschick ihm noch einmal die Mittel in die Hand gebe, gluecklich zu sein. Er pflueckte daher von jedem Baum so viel, wie er tragen konnte, und ging in das Land zurueck, das er vor kurzem verlassen hatte. Dort machte er sich in dem ersten Staedtchen durch andere Kleider ganz unkenntlich und ging dann weiter auf die Stadt zu, die jener Koenig bewohnte, und kam auch bald dort an. Es war gerade zu einer Jahreszeit, wo reife Fruechte noch ziemlich selten waren; der kleine Muck setzte sich daher unter das Tor des Palastes; denn ihm war von frueherer Zeit her wohl bekannt, dass hier solche Seltenheiten von dem Kuechenmeister fuer die koenigliche Tafel eingekauft wurden. Muck hatte noch nicht lange gesessen, als er den Kuechenmeister ueber den Hof herueberschreiten sah. Er musterte die Waren der Verkaeufer, die sich am Tor des Palastes eingefunden hatten; endlich fiel sein Blick auch auf Mucks Koerbchen. "Ah, ein seltener Bissen", sagte er, "der Ihro Majestaet gewiss behagen wird. Was willst du fuer den ganzen Korb?" Der kleine Muck bestimmte einen maessigen Preis, und sie waren bald des Handels einig. Der Kuechenmeister uebergab den Korb einem Sklaven und ging weiter; der kleine Muck aber macht sich einstweilen aus dem Staub, weil er befuerchtete, wenn sich das Unglueck an den Koepfen des Hofes zeigte, moechte man ihn als Verkaeufer aufsuchen und bestrafen. Der Koenig war ueber Tisch sehr heiter gestimmt und sagte seinem Kuechenmeister einmal ueber das andere Lobsprueche wegen seiner guten Kueche und der Sorgfalt, mit der er immer das Seltenste fuer ihn aussuche; der Kuechenmeister aber, welcher wohl wusste, welchen Leckerbissen er noch im Hintergrund habe, schmunzelte gar freundlich und liess nur einzelne Worte fallen, als: "Es ist noch nicht aller Tage Abend", oder "Ende gut, alles gut", so dass die Prinzessinnen sehr neugierig wurden, was er wohl noch bringen werde. Als er aber die schoenen, einladenden Feigen aufsetzen liess, da entfloh ein allgemeines Ah! dem Munde der Anwesenden. "Wie reif, wie appetitlich!" rief der Koenig. "Kuechenmeister, du bist ein ganzer Kerl und verdienst unsere ganz besondere Gnade!" Also sprechend, teilte der Koenig, der mit solchen Leckerbissen sehr sparsam zu sein pflegte, mit eigener Hand die Feigen an seiner Tafel aus. Jeder Prinz und jede Prinzessin bekam zwei, die Hofdamen und die Wesire und Agas eine, die uebrigen stellte er vor sich hin und begann mit grossem Behagen sie zu verschlingen. "Aber, lieber Gott, wie siehst du so wunderlich aus, Vater?" rief auf einmal die Prinzessin Amarza. Alle sahen den Koenig erstaunt an; ungeheure Ohren hingen ihm am Kopf, eine lange Nase zog sich ueber sein Kinn herunter; auch sich selbst betrachteten sie untereinander mit Staunen und Schrecken; alle waren mehr oder minder mit dem sonderbaren Kopfputz geschmeckt. Man denke sich den Schrecken des Hofes! Man schickte sogleich nach allen Aerzten der Stadt; sie kamen haufenweise, verordneten Pillen und Mixturen; aber die Ohren und die Nasen blieben. Man operierte einen der Prinzen; aber die Ohren wuchsen nach. Muck hatte die ganze Geschichte in seinem Versteck, wohin er sich zurueckgezogen hatte, gehoert und erkannte, dass es jetzt Zeit sei zu handeln. Er hatte sich schon vorher von dem aus den Feigen geloesten Geld einen Anzug verschafft, der ihn als Gelehrten darstellen konnte; ein langer Bart aus Ziegenhaaren vollendete die Taeuschung. Mit einem Saeckchen voll Feigen wanderte er in den Palast des Koenigs und bot als fremder Arzt seine Hilfe an. Man war von Anfang sehr unglaeubig; als aber der kleine Muck eine Feige einem der Prinzen zu essen gab und Ohren und Nase dadurch in den alten Zustand zurueckbrachte, da wollte alles von dem fremden Arzte geheilt sein. Aber der Koenig nahm ihn schweigend bei der Hand und fuehrte ihn in sein Gemach; dort schloss er eine Tuere auf, die in die Schatzkammer fuehrte, und winkte Muck, ihm zu folgen. "Hier sind meine Schaetze", sprach der Koenig, "waehle dir, was es auch sei, es soll dir gewaehrt werden, wenn du mich von diesem schmachvollen Uebel befreist." Das war suesse Musik in des kleinen Muck Ohren; er hatte gleich beim Eintritt seine Pantoffeln auf dem Boden stehen sehen, gleich daneben lag auch sein Staebchen. Er ging nun umher in dem Saal, wie wenn er die Schaetze des Koenigs bewundern wollte; kaum aber war er an seine Pantoffeln gekommen, so schluepfte er eilends hinein, ergriff sein Staebchen, riss seinen falschen Bart herab und zeigte dem erstaunten Koenig das wohlbekannte Gesicht seines verstossenen Muck. "Treuloser Koenig", sprach er, "der du treue Dienste mit Undank lohnst, nimm als wohlverdiente Strafe die Missgestalt, die du traegst. Die Ohren lass ich dir zurueck, damit sie dich taeglich erinnern an den kleinen Muck." Als er so gesprochen hatte, drehte er sich schnell auf dem Absatz herum, wuenschte sich weit hinweg, und ehe noch der Koenig um Hilfe rufen konnte, war der kleine Muck entflohen. Seitdem lebt der kleine Muck hier in grossem Wohlstand, aber einsam; denn er verachtet die Menschen. Er ist durch Erfahrung ein weiser Mann geworden, welcher, wenn auch sein Aeusseres etwas Auffallendes haben mag, deine Bewunderung mehr als deinen Spott verdient. "So erzaehlte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue ueber mein rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte mir die andere Haelfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich erzaehlte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und wir gewannen ihn so lieb, dass ihn keiner mehr schimpfte. Im Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm immer so tief wie vor Kadi und Mufti gebueckt." Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu staerken. Die gestrige Froehlichkeit ging auch auf diesen Tag ueber, und sie ergoetzten sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie dem fuenften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich den uebrigen zu tun und eine Geschichte zu erzaehlen. Er antwortete, sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als dass er ihnen etwas davon mitteilen moechte, daher wolle er ihnen etwas anderes erzaehlen, naemlich: Das Maerchen vom falschen Prinzen. Das Maerchen vom falschen Prinzen Wilhelm Hauff Es war einmal ein ehrsamer Schneidergeselle, namens Labakan, der bei einem geschickten Meister in Alessandria sein Handwerk lernte. Man konnte nicht sagen, dass Labakan ungeschickt mit der Nadel war, im Gegenteil, er konnte recht feine Arbeit machen. Auch tat man ihm unrecht, wenn man ihn geradezu faul schalt; aber ganz richtig war es doch nicht mit dem Gesellen, denn er konnte oft stundenweis in einem fort naehen, dass ihm die Nadel in der Hand gluehend ward und der Faden rauchte, da gab es ihm dann ein Stueck wie keinem anderen; ein andermal aber, und dies geschah leider oefters, sass er in tiefen Gedanken, sah mit starren Augen vor sich hin und hatte dabei in Gesicht und Wesen etwas so Eigenes, dass sein Meister und die uebrigen Gesellen von diesem Zustand nie anders sprachen als: "Labakan hat wieder sein vornehmes Gesicht." Am Freitag aber, wenn andere Leute vom Gebet ruhig nach Haus an ihre Arbeit gingen, trat Labakan in einem schoenen Kleid, das er sich mit vieler Muehe zusammengespart hatte, aus der Moschee, ging langsam und stolzen Schrittes durch die Plaetze und Strassen der Stadt, und wenn ihm einer seiner Kameraden ein "Friede sei mit dir", oder "Wie geht es, Freund Labakan?" bot, so winkte er gnaedig mit der Hand oder nickte, wenn es hoch kam, vornehm mit dem Kopf. Wenn dann sein Meister im Spass zu ihm sagte: "An dir ist ein Prinz verlorengegangen, Labakan", so freute er sich darueber und antwortete: "Habt Ihr das auch bemerkt?" oder: "Ich habe es schon lange gedacht!" So trieb es der ehrsame Schneidergeselle Labakan schon eine geraume Zeit, sein Meister aber duldete seine Narrheit, weil er sonst ein guter Mensch und geschickter Arbeiter war. Aber eines Tages schickte Selim, der Bruder des Sultans, der gerade durch Alessandria reiste, ein Festkleid zu dem Meister, um einiges daran veraendern zu lassen, und der Meister gab es Labakan, weil dieser die feinste Arbeit machte. Als abends der Meister und die Gesellen sich hinwegbegeben hatten, um nach des Tages Last sich zu erholen, trieb eine unwiderstehliche Sehnsucht Labakan wieder in die Werkstatt zurueck, wo das Kleid des kaiserlichen Bruders hing. Er stand lange sinnend davor, bald den Glanz der Stickerei, bald die schillernden Farben des Samts und der Seide an dem Kleide bewundernd. Er konnte nicht anders, er musste es anziehen, und siehe da, es passte ihm so trefflich, wie wenn es fuer ihn waere gemacht worden. "Bin ich nicht so gut ein Prinz als einer?" fragte er sich, indem er im Zimmer auf und ab schritt. "Hat nicht der Meister selbst schon gesagt, dass ich zum Prinzen geboren sei?" Mit den Kleidern schien der Geselle eine ganz koenigliche Gesinnung angezogen zu haben; er konnte sich nicht anders denken, als er sei ein unbekannter Koenigssohn, und als solcher beschloss er, in die Welt zu reisen und einen Ort zu verlassen, wo die Leute bisher so toericht gewesen waren, unter der Huelle seines niederen Standes nicht seine angebotene Wuerde zu erkennen. Das prachtvolle Kleid schien ihm von einer guetigen Fee geschickt, er huetete sich daher wohl, ein so teures Geschenk zu verschmaehen, steckte seine geringe Barschaft zu sich und wanderte, beguenstigt von dem Dunkel der Nacht, aus Alessandrias Toren. Der neue Prinz erregte ueberall auf seiner Wanderschaft Verwunderung, denn das prachtvolle Kleid und sein ernstes, majestaetisches Wesen wollten gar nicht passen fuer einen Fussgaenger. Wenn man ihn darueber befragte, pflegte er mit geheimnisvoller Miene zu antworten, dass das seine eigenen Ursachen habe. Als er aber merkte, dass er sich durch seine Fusswanderungen laecherlich machte, kaufte er um geringen Preis ein altes Ross, welches sehr fuer ihn passte, da es ihn mit seiner gesetzten Ruhe und Sanftmut nie in die Verlegenheit brachte, sich als geschickter Reiter zeigen zu muessen, was gar nicht seine Sache war. Eines Tages, als er Schritt vor Schritt auf seinem Murva, so hatte er sein Ross genannt,; seine Strasse zog, schloss sich ein Reiter an ihn an und bat ihn, in seiner Gesellschaft reiten zu duerfen, weil ihm der Weg viel kuerzer werde im Gespraech mit einem anderen. Der Reiter war ein froehlicher, junger Mann, schoen und angenehm im Umgang. Er hatte mit Labakan bald ein Gespraech angeknuepft ueber Woher und Wohin, und es traf sich, dass auch er, wie der Schneidergeselle, ohne Plan in die Welt hinauszog. Er sagte, er heisse Omar, sei der Neffe Elfi Beys, des ungluecklichen Bassas von Kairo, und reise nun umher, um einen Auftrag, den ihm sein Oheim auf dem Sterbebette erteilt habe, auszurichten. Labakan liess sich nicht so offenherzig ueber seine Verhaeltnisse aus, er gab ihm zu verstehen, dass er von hoher Abkunft sei und zu seinem Vergnuegen reise. Die beiden jungen Herren fanden Gefallen aneinander und zogen fuerder. Am zweiten Tage ihrer gemeinschaftlichen Reise fragte Labakan seinen Gefaehrten Omar nach den Auftraegen, die er zu besorgen habe, und erfuhr zu seinem Erstaunen folgendes: Elfi Bey, der Bassa von Kairo, hatte den Omar seit seiner fruehesten Kindheit erzogen, und dieser hatte seine Eltern nie gekannt. Als nun Elfi Bey von seinen Feinden ueberfallen worden war und nach drei ungluecklichen Schlachten, toedlich verwundet, fliehen musste, entdeckte er seinem Zoegling, dass er nicht sein Neffe sei, sondern der Sohn eines maechtigen Herrschers, welcher aus Furcht vor den Prophezeiungen seiner Sterndeuter den jungen Prinzen von seinem Hofe entfernt habe, mit dem Schwur, ihn erst an seinem zweiundzwanzigsten Geburtstage wiedersehen zu wollen. Elfi Bey habe ihm den Namen seines Vaters nicht genannt, sondern ihm nur aufs bestimmteste aufgetragen, am fuenften Tage des kommenden Monats Ramadan, an welchem Tage er zweiundzwanzig Jahre alt werde, sich an der beruehmten Saeule El-Serujah, vier Tagreisen oestlich von Alessandria, einzufinden; dort soll er den Maennern, die an der Saeule stehen wuerden, einen Dolch, den er ihm gab, ueberreichen mit den Worten: "leer bin ich, den ihr suchet"; wenn sie antworteten: "Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt!", so solle er ihnen folgen, sie wuerden ihn zu seinem Vater fuehren. Der Schneidergeselle Labakan war sehr erstaunt ueber diese Mitteilung, er betrachtete von jetzt an den Prinzen Omar mit neidischen Augen, erzuernt darueber, dass das Schicksal jenem, obgleich er schon fuer den Neffen eines maechtigen Bassa galt, noch die Wuerde eines Fuerstensohnes verliehen, ihm aber, den es mit allem, was einem Prinzen nottut, ausgeruestet, gleichsam zum Hohn eine dunkle Geburt und einen gewoehnlichen Lebensweg verliehen habe. Er stellte Vergleichungen zwischen sich und dem Prinzen an. Er musste sich gestehen, es sei jener ein Mann von sehr vorteilhafter Gesichtsbildung; schoene, lebhafte Augen, eine kuehngebogene Nase, ein sanftes, zuvorkommendes Benehmen, kurz, so viele Vorzuege des Aeusseren, die jemand empfehlen koennen, waren jenem eigen. Aber so viele Vorzuege er auch an seinem Begleiter fand, so gestand er sich doch bei diesen Beobachtungen, dass ein Labakan dem fuerstlichen Vater wohl noch willkommener sein duerfte als der wirkliche Prinz. Diese Betrachtungen verfolgten Labakan den ganzen Tag, mit ihnen schlief er im naechsten Nachtlager ein, aber als er morgens aufwachte und sein Blick auf den neben ihm schlafenden Omar fiel, der so ruhig schlafen und von seinem gewissen Glueck traeumen konnte, da erwachte in ihm der Gedanke, sich durch List oder Gewalt zu erstreben, was ihm das unguenstige Schicksal versagt hatte. Der Dolch, das Erkennungszeichen des heimkehrenden Prinzen, sah aus dem Guertel des Schlafenden hervor, leise zog er ihn hervor, um ihn in die Brust des Eigentuemers zu stossen. Doch vor dem Gedanken des Mordes entsetzte sich die friedfertige Seele des Gesellen; er begnuegte sich, den Dolch zu sich zu stecken, das schnellere Pferd des Prinzen fuer sich aufzaeumen zu lassen, und ehe Omar aufwachte und sich aller seiner Hoffnungen beraubt sah, hatte sein treuloser Gefaehrte schon einen Vorsprung von mehreren Meilen. Es war gerade der erste Tag des heiligen Monats Ramadan, an welchem Labakan den Raub an dem Prinzen begangen hatte, und er hatte also noch vier Tage, um zu der Saeule El Serujah, welche ihm wohlbekannt war, zu gelangen. Obgleich die Gegend, worin sich diese Saeule befand, hoechstens noch zwei Tagreisen entfernt sein konnte, so beeilte er sich doch hinzukommen, weil er immer fuerchtete, von dem wahren Prinzen eingeholt zu werden. Am Ende des zweiten Tages erblickte Labakan die Saeule El-Serujah. Sie stand auf einer kleinen Anhoehe in einer weiten Ebene und konnte auf zwei bis drei Stunden gesehen werden. Labakans Herz pochte lauter bei diesem Anblick; obgleich er die letzten zwei Tage hindurch Zeit genug gehabt, ueber die Rolle, die er zu spielen hatte, nachzudenken, so machte ihn doch das boese Gewissen etwas aengstlich, aber der Gedanke, dass er zum Prinzen geboren sei, staerkte ihn wieder, so dass er getroesteter seinem Ziele entgegenging. Die Gegend um die Saeule El-Serujah war unbewohnt und oede, und der neue Prinz waere wegen seines Unterhalts etwas in Verlegenheit gekommen, wenn er sich nicht auf mehrere Tage versehen haette. Er lagerte sich also neben seinem Pferd unter einigen Palmen und erwartete dort sein ferneres Schicksal. Gegen die Mitte des anderen Tages sah er einen grossen Zug von Pferden und Kamelen ueber die Ebene her auf die Saeule El-Serujah zuziehen. Der Zug hielt am Fusse des Huegels, auf welchem die Saeule stand, man schlug praechtige Zelte auf, und das Ganze sah aus wie der Reisezug eines reichen Bassa oder Scheik. Labakan ahnte, dass die vielen Leute, welche er sah, sich seinetwegen hierher bemueht hatten, und haette ihnen gerne schon heute ihren kuenftigen Gebieter gezeigt; aber er maessigte seine Begierde, als Prinz aufzutreten, da ja doch der naechste Morgen seine kuehnsten Wuensche vollkommen befriedigen musste. Die Morgensonne weckte den uebergluecklichen Schneider zu dem wichtigsten Augenblick seines Lebens, welcher ihn aus einem niederen, unbekannten Sterblichen an die Seite eines fuerstlichen Vaters erheben sollte; zwar fiel ihm, als er sein Pferd aufzaeumte, um zu der Saeule hinzureiten, wohl auch das Unrechtmaessige seines Schrittes ein; zwar fuehrten ihm seine Gedanken den Schmerz des in seinen schoenen Hoffnungen betrogenen Fuerstensohnes vor, aber--der Wuerfel war geworfen, er konnte nicht mehr ungeschehen machen, was geschehen war, und seine Eigenliebe fluesterte ihm zu, dass er stattlich genug aussehe, um dem maechtigsten Koenig sich als Sohn vorzustellen; ermutigt durch diesen Gedanken, schwang er sich auf sein Ross, nahm alle seine Tapferkeit zusammen, um es in einen ordentlichen Galopp zu bringen, und in weniger als einer Viertelstunde war er am Fusse des Huegels angelangt. Er stieg ab von seinem Pferd und band es an eine Staude, deren mehrere an dem Huegel wuchsen; hierauf zog er den Dolch des Prinzen Omar hervor und stieg den Huegel hinan. Am Fuss der Saeule standen sechs Maenner um einen Greis von hohem, koeniglichem Ansehen; ein prachtvoller Kaftan von Goldstoff, mit einem weissen Kaschmirschal umguertet, der weisse, mit blitzenden Edelsteinen geschmueckte Turban bezeichneten ihn als einen Mann von Reichtum und Wuerde. Auf ihn ging Labakan zu, neigte sich tief vor ihm und sprach, indem er den Dolch darreichte: "Hier bin ich, den Ihr suchet. " "Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt!" antwortete der Greis mit Freudentraenen. "Umarme deinen alten Vater, mein geliebter Sohn Omar!" Der gute Schneider war sehr geruehrt durch diese feierlichen Worte und sank mit einem Gemisch von Freude und Scham in die Arme des alten Fuersten. Aber nur einen Augenblick sollte er ungetruebt die Wonne seines neuen Standes geniessen; als er sich aus den Armen des fuerstlichen Greises aufrichtete, sah er einen Reiter ueber die Ebene her auf den Huegel zueilen. Der Reiter und sein Ross gewaehrten einen sonderbaren Anblick; das Ross schien aus Eigensinn oder Muedigkeit nicht vorwaerts zu wollen, in einem stolpernden Gang, der weder Schritt noch Trab war, zog es daher, der Reiter aber trieb es mit Haenden und Fuessen zu schnellerem Laufe an. Nur zu bald erkannte Labakan sein Ross Murva und den echten Prinzen Omar, aber der boese Geist der Luege war einmal in ihn gefahren, und er beschloss, wie es auch kommen moege, mit eiserner Stirne seine angemassten Rechte zu behaupten. Schon aus der Ferne hatte man den Reiter winken gesehen; jetzt war er trotz des schlechten Trabes des Rosses Murva am Fusse des Huegels angekommen, warf sich vom Pferd und stuerzte den Huegel hinan. "Haltet ein!" rief er. "Wer ihr auch sein moeget, haltet ein und lasst euch nicht von dem schaendlichsten Betrueger taeuschen; ich heisse Omar, und kein Sterblicher wage es, meinen Namen zu missbrauchen!" Auf den Gesichtern der Umstehenden malte sich tiefes Erstaunen ueber diese Wendung der Dinge; besonders schien der Greis sehr betroffen, indem er bald den einen, bald den anderen fragend ansah; Labakan aber sprach mit muehsam errungener Ruhe: "Gnaedigster Herr und Vater, lasst Euch nicht irremachen durch diesen Menschen da! Es ist, soviel ich weiss, ein wahnsinniger Schneidergeselle aus Alessandria, Labakan geheissen, der mehr unser Mitleid als unseren Zorn verdient." Bis zur Raserei aber brachten diese Worte den Prinzen; schaeumend vor Wut wollte er auf Labakan eindringen, aber die Umstehenden warfen sich dazwischen und hielten ihn fest, und der Fuerst sprach: "Wahrhaftig, mein lieber Sohn, der arme Mensch ist verrueckt; man binde ihn und setze ihn auf eines unserer Dromedare, vielleicht, dass wir dem Ungluecklichen Hilfe schaffen koennen." Die Wut des Prinzen hatte sich gelegt, weinend rief er dem Fuersten zu: "Mein Herz sagt mir, dass Ihr mein Vater seid; bei dem Andenken meiner Mutter beschwoere ich Euch, hoert mich an!" "Ei, Gott bewahre uns!" antwortete dieser, "er faengt schon wieder an, irre zu reden, wie doch der Mensch auf so tolle Gedanken kommen kann!" Damit ergriff er Labakans Arm und liess sich von ihm den Huegel hinuntergeleiten; sie setzten sich beide auf schoene, mit reichen Decken behaengte Pferde und ritten an der Spitze des Zuges ueber die Ebene hin. Dem ungluecklichen Prinzen aber fesselte man die Haende und band ihn auf einem Dromedar fest, und zwei Reiter waren ihm immer zur Seite, die ein wachsames Auge auf jede seiner Bewegungen hatten. Der fuerstliche Greis war Saaud, der Sultan der Wechabiten. Er hatte lange ohne Kinder gelebt, endlich wurde ihm ein Prinz geboren, nach dem er sich so lange gesehnt hatte; aber die Sterndeuter, welche er um die Vorbedeutungen des Knaben befragte, taten den Ausspruch, "dass er bis ins zweiundzwanzigste Jahr in Gefahr stehe, von einem Feinde verdraengt zu werden", deswegen, um recht sicherzugehen, hatte der Sultan den Prinzen seinem alten, erprobten Freunde Elfi-Bey zum Erziehen gegeben und zweiundzwanzig schmerzliche Jahre auf seinen Anblick geharrt. Dieses hatte der Sultan seinem (vermeintlichen) Sohne erzaehlt und sich ihm ausserordentlich zufrieden mit seiner Gestalt und seinem wuerdevollen Benehmen gezeigt. Als sie in das Land des Sultans kamen, wurden sie ueberall von den Einwohnern mit Freudengeschrei empfangen; denn das Geruecht von der Ankunft des Prinzen hatte sich wie ein Lauffeuer durch alle Staedte und Doerfer verbreitet. Auf den Strassen, durch welche sie zogen, waren Boegen von Blumen und Zweigen errichtet, glaenzende Teppiche von allen Farben schmeckten die Haeuser, und das Volk pries laut Gott und seinen Propheten, der ihnen einen so schoenen Prinzen gesandt habe. Alles dies erfuellte das stolze Herz des Schneiders mit Wonne; desto ungluecklicher musste sich aber der echte Omar fuehlen, der, noch immer gefesselt, in stiller Verzweiflung dem Zuge folgte. Niemand kuemmerte sich um ihn bei dem allgemeinen Jubel, der doch ihm galt; den Namen Omar riefen tausend und wieder tausend Stimmen, aber ihn, der diesen Namen mit Recht trug, ihn beachtete keiner; hoechstens fragte einer oder der andere, wen man denn so fest gebunden mit fortfahre, und schrecklich toente in das Ohr des Prinzen die Antwort seiner Begleiter, es sei ein wahnsinniger Schneider. Der Zug war endlich in die Hauptstadt des Sultans gekommen, wo alles noch glaenzender zu ihrem Empfang bereitet war als in den uebrigen Staedten. Die Sultanin, eine aeltliche, ehrwuerdige Frau, erwartete sie mit ihrem ganzen Hofstaat in dem prachtvollsten Saal des Schlosses. Der Boden dieses Saales war mit einem ungeheuren Teppich bedeckt, die Waende waren mit hellblauem Tuch geschmeckt, das in goldenen Quasten und Schnueren an grossen, silbernen Haken hing. Es war schon dunkel, als der Zug anlangte, daher waren im Saale viele kugelrunde, farbige Lampen angezuendet, welche die Nacht zum Tag erhellten. Am klarsten und vielfarbigsten strahlten sie aber im Hintergrund des Saales, wo die Sultanin auf einem Throne sass. Der Thron stand auf vier Stufen und war von lauterem Golde und mit grossen Amethysten ausgelegt. Die vier vornehmsten Emire hielten einen Baldachin von roter Seide ueber dem Haupte der Sultanin, und der Scheik von Medina faechelte ihr mit einer Windfuchtel von weissen Pfauenfedern Kuehlung zu. So erwartete die Sultanin ihren Gemahl und ihren Sohn, auch sie hatte ihn seit seiner Geburt nicht mehr gesehen, aber bedeutsam Traeume hatten ihr den Ersehnten gezeigt, dass sie ihn aus Tausenden erkennen wollte. Jetzt hoerte man das Geraeusch des nahenden Zuges, Trompeten und Trommeln mischten sich in das Zujauchzen der Menge, der Hufschlag der Rosse toente im Hof des Palastes, naeher und naeher rauschten die Tritte der Kommenden, die Tueren des Saales flogen auf, und durch die Reihen der niederfallenden Diener eilte der Sultan an der Hand seines Sohnes vor den Thron der Mutter. "Hier", sprach er, "bringe ich dir den, nach welchem du dich so lange gesehnet." Die Sultanin aber fiel ihm in die Rede: "Das ist mein Sohn nicht!" rief sie aus, "das sind nicht die Zuege, die mir der Prophet im Traume gezeigt hat!" Gerade, als ihr der Sultan ihren Aberglauben verweisen wollte, sprang die Tuere des Saales auf. Prinz Omar stuerzte herein, verfolgt von seinen Waechtern, denen er sich mit Anstrengung aller seiner Kraft entrissen hatte, er warf sich atemlos vor dem Throne nieder: "leer will ich sterben, lasst mich toeten, grausamer Vater; denn diese Schmach dulde ich nicht laenger!" Alles war bestuerzt ueber diese Reden; man draengte sich um den Ungluecklichen her, und schon wollten ihn die herbeieilenden Wachen ergreifen und ihm wieder seine Bande anlegen, als die Sultanin, die in sprachlosem Erstaunen dieses alles mit angesehen hatte, von dem Throne aufsprang. "Haltet ein!" rief sie, "dieser und kein anderer ist der Rechte, dieser ist's, den meine Augen nie gesehen und den mein Herz doch gekannt hat!" Die Waechter hatten unwillkuerlich von Omar abgelassen, aber der Sultan, entflammt von wuetendem Zorn, rief ihnen zu, den Wahnsinnigen zu binden: "Ich habe hier zu entscheiden", sprach er mit gebietender Stimme, "und hier richtet man nicht nach den Traeumen der Weiber, sondern nach gewissen, untrueglichen Zeichen. Dieser hier (indem er auf Labakan zeigte) ist mein Sohn; denn er hat mir das Wahrzeichen meines Freundes Elfi, den Dolch, gebracht." "Gestohlen hat er ihn", schrie Omar, "mein argloses Vertrauen hat er zum Verrat missbraucht!" Der Sultan aber hoerte nicht auf die Stimme seines Sohnes; denn er war in allen Dingen gewohnt, eigensinnig nur seinem Urteil zu folgen; daher liess er den ungluecklichen Omar mit Gewalt aus dem Saal schleppen. Er selbst aber begab sich mit Labakan in sein Gemach, voll Wut ueber die Sultanin, seine Gemahlin, mit der er doch seit fuenfundzwanzig Jahren in Frieden gelebt hatte. Die Sultanin aber war voll Kummer ueber diese Begebenheiten; sie war vollkommen ueberzeugt, dass ein Betrueger sich des Herzens des Sultans bemaechtigt hatte, denn jenen Ungluecklichen hatten ihr so viele bedeutsam Traeume als ihren Sohn gezeigt. Als sich ihr Schmerz ein wenig gelegt hatte, sann sie auf Mittel, um ihren Gemahl von seinem Unrecht zu ueberzeugen. Es war dies allerdings schwierig; denn jener, der sich fuer ihren Sohn ausgab, hatte das Erkennungszeichen, den Dolch, ueberreicht und hatte auch, wie sie erfuhr, so viel von Omars frueherem Leben von diesem selbst sich erzaehlen lassen, dass er seine Rolle, ohne sich zu verraten, spielte. Sie berief die Maenner zu sich, die den Sultan zu der Saeule El-Serujah begleitet hatten, um sich alles genau erzaehlen zu lassen, und hielt dann mit ihren vertrautesten Sklavinnen Rat. Sie waehlten und verwarfen dies und jenes Mittel; endlich sprach Melechsalah, eine alte, kluge Zierkassierin: "Wenn ich recht gehoert habe, verehrte Gebieterin, so nannte der Ueberbringer des Dolches den, welchen du fuer deinen Sohn haeltst, Labakan, einen verwirrten Schneider?" "Ja, so ist es", antwortete die Sultanin, "aber was willst du damit?" "Was meint Ihr", fuhr jene fort, "wenn dieser Betrueger Eurem Sohn seinen eigenen Namen aufgeheftet haette?--Und wenn dies ist, so gibt es ein herrliches Mittel, den Betrueger zu fangen, das ich Euch ganz im geheimen sagen will." Die Sultanin bot ihrer Sklavin das Ohr, und diese fluesterte ihr einen Rat zu, der ihr zu behagen schien, denn sie schickte sich an, sogleich zum Sultan zu gehen. Die Sultanin war eine kluge Frau, welche wohl die schwachen Seiten des Sultans kannte und sie zu benuetzen verstand. Sie schien daher, ihm nachgeben und den Sohn anerkennen zu wollen, und bat sich nur eine Bedingung aus; der Sultan, dem sein Aufbrausen gegen seine Frau leid tat, gestand die Bedingung zu, und sie sprach: "Ich moechte gerne den beiden eine Probe ihrer Geschicklichkeit auferlegen; eine andere wuerde sie vielleicht reiten, fechten oder Speere werfen lassen, aber das sind Sachen, die ein jeder kann; nein, ich will ihnen etwas geben, wozu Scharfsinn gehoert! Es soll naemlich jeder von ihnen einen Kaftan und ein Paar Beinkleider verfertigen, und da wollen wir einmal sehen, wer die schoensten macht." Der Sultan lachte und sprach: "Ei, da hast du ja etwas recht Kluges ausgesonnen. Mein Sohn sollte mit deinem wahnsinnigen Schneider wetteifern, wer den besten Kaftan macht? Nein, das ist nichts." Die Sultanin aber berief sich darauf, dass er ihr die Bedingung zum Voraus zugesagt habe, und der Sultan, welcher ein Mann von Wort war, gab endlich nach, obgleich er schwor, wenn der wahnsinnige Schneider seinen Kaftan auch noch so schoen mache, koenne er ihn doch nicht fuer seinen Sohn erkennen. Der Sultan ging selbst zu seinem Sohn und bat ihn, sich in die Grillen seiner Mutter zu schicken, die nun einmal durchaus einen Kaftan von seiner Hand zu sehen wuensche. Dem guten Labakan lachte das Herz vor Freude; wenn es nur an dem fehlt, dachte er bei sich, da soll die Frau Sultanin bald Freude an mir erleben. Man hatte zwei Zimmer eingerichtet, eines fuer den Prinzen, das andere fuer den Schneider; dort sollten sie ihre Kunst erproben, und man hatte jedem nur ein hinlaengliches Stueck Seidenzeug, Schere, Nadel und Faden gegeben. Der Sultan war sehr begierig, was fuer ein Ding von Kaftan wohl sein Sohn zutage foerdern werde, aber auch der Sultanin pochte unruhig das Herz, ob ihre List wohl gelingen werde oder nicht. Man hatte den beiden zwei Tage zu ihrem Geschaeft ausgesetzt, am dritten liess der Sultan seine Gemahlin rufen, und als sie erschienen war, schickte er in jene zwei Zimmer, um die beiden Kaftane und ihre Verfertiger holen zu lassen. Triumphierend trat Labakan ein und breitete seinen Kaftan vor den erstaunten Blicken des Sultans aus. "Siehe her, Vater", sprach er, "siehe her, verehrte Mutter, ob dies nicht ein Meisterstueck von einem Kaftan ist? Da lass ich es mit dem geschicktesten Hofschneider auf eine Wette ankommen, ob er einen solchen herausbringt." Die Sultanin laechelte und wandte sich zu Omar: "Und was hast du herausgebracht, mein Sohn?" Unwillig warf dieser den Seidenstoff und die Schere auf den Boden: "Man hat mich gelehrt, ein Ross zu baendigen und einen Saebel zu schwingen, und meine Lanze trifft auf sechzig Gaenge ihr Ziel--aber die Kuenste der Nadel sind mir fremd, sie waeren auch unwuerdig fuer einen Zoegling Elfi Beys, des Beherrschers von Kairo." "Oh, du echter Sohn meines Herrn", rief die Sultanin, "ach, dass ich dich umarmen, dich Sohn nennen duerfte! Verzeihet, mein Gemahl und Gebieter", sprach sie dann, indem sie sich zum Sultan wandte, "dass ich diese List gegen Euch gebraucht habe; sehet Ihr jetzt noch nicht ein, wer Prinz und wer Schneider ist; fuerwahr, der Kaftan ist koestlich, den Euer Herr Sohn gemacht hat, und ich moechte ihn gerne fragen, bei welchem Meister er gelernt habe." Der Sultan sass in tiefen Gedanken, misstrauisch bald seine Frau, bald Labakan anschauend, der umsonst sein Erroeten und seine Bestuerzung, dass er sich so dumm verraten habe, zu bekaempfen suchte. "Auch dieser Beweis genuegt nicht", sprach er, "aber ich weiss, Allah sei es gedankt, ein Mittel, zu erfahren, ob ich betrogen bin oder nicht." Er befahl, sein schnellstes Pferd vorzufahren, schwang sich auf und ritt in einen Wald, der nicht weit von der Stadt begann. Dort wohnte nach einer alten Sage eine guetige Fee, Adolzaide geheissen, welche oft schon den Koenigen seines Stammes in der Stunde der Not mit ihrem Rat beigestanden war; dorthin eilte der Sultan. In der Mitte des Waldes war ein freier Platz, von hohen Zedern umgeben. Dort wohnte nach der Sage die Fee, und selten betrat ein Sterblicher diesen Platz, denn eine gewisse Scheu davor hatte sich aus alten Zeiten vom Vater auf den Sohn vererbt. Als der Sultan dort angekommen war, stieg er ab, band sein Pferd an einen Baum, stellte sich in die Mitte des Platzes und sprach mit lauter Stimme: "Wenn es wahr ist, dass du meinen Vaetern guetigen Rat erteiltest in der Stunde der Not, so verschmaehe nicht die Bitte ihres Enkels und rate mir, wo menschlicher Verstand zu kurzsichtig ist!" Er hatte kaum die letzten Worte gesprochen, als sich eine der Zedern oeffnete und eine verschleierte Frau in langen, weissen Gewaendern hervortrat. "Ich weiss, warum du zu mir kommst, Sultan Saaud, dein Wille ist redlich; darum soll dir auch meine Hilfe werden. Nimm diese zwei Kistchen! Lass jene beiden, welche deine Soehne sein wollen, waehlen! Ich weiss, dass der, welcher der echte ist, das rechte nicht verfehlen wird." So sprach die Verschleierte und reichte ihm zwei kleine Kistchen von Elfenbein, reich mit Gold und Perlen verziert; auf den Deckeln, die der Sultan vergebens zu oeffnen versuchte, standen Inschriften von eingesetzten Diamanten. Der Sultan besann sich, als er nach Hause ritt, hin und her, was wohl in den Kistchen sein koennte, welche er mit aller Muehe nicht zu oeffnen vermochte. Auch die Aufschrift gab ihm kein Licht in der Sache; denn auf dem einen stand: "Ehre und Ruhm", auf dem anderen: "Glueck und Reichtum". Der Sultan dachte bei sich, da wuerde auch ihm die Wahl schwer werden unter diesen beiden Dingen, die gleich anziehend, gleich lockend seien. Als er in seinen Palast zurueckgekommen war, liess er die Sultanin rufen und sagte ihr den Ausspruch der Fee, und eine wunderbare Hoffnung erfuellte sie, dass jener, zu dem ihr Herz sie hinzog, das Kistchen waehlen Wuerde, welches seine koenigliche Abkunft beweisen sollte. Vor dem Ibrone des Sultans wurden zwei Tische aufgestellt; auf sie setzte der Sultan mit eigener Hand die beiden Kistchen, bestieg dann den Thron und winkte einem seiner Sklaven, die Pforte des Saales zu oeffnen. Eine glaenzende Versammlung von Bassas und Emiren des Reiches, die der Sultan berufen hatte, stroemte durch die geoeffnete Pforte. Sie liessen sich auf prachtvollen Polstern nieder, welche die Waende entlang aufgestellt waren. Als sie sich alle niedergelassen hatten, winkte der Koenig zum zweitenmal, und Labakan wurde hereingefuehrt. Mit stolzem Schritte ging er durch den Saal, warf sich vor dem Throne nieder und sprach: "Was befiehlt mein Herr und Vater?" Der Sultan erhob sich auf seinem Thron und sprach: "Mein Sohn! Es sind Zweifel an der Echtheit deiner Ansprueche auf diesen Namen erhoben worden; eines jener Kistchen enthaelt die Bestaetigung deiner echten Geburt, waehle! Ich zweifle nicht, du wirst das rechte waehlen!" Labakan erhob sich und trat vor die Kistchen, er erwog lange, was er waehlen sollte, endlich sprach er: "Verehrter Vater! Was kann es Hoeheres geben als das Glueck, dein Sohn zu sein, was Edleres als den Reichtum deiner Gnade? Ich waehle das Kistchen, das die Aufschrift "Gliick und Reichtum" zeigt." "Wir werden nachher erfahren, ob du recht gewaehlt hast; einstweilen setze dich dort auf das Polster zum Bassa von Medina", sagte der Sultan und winkte seinen Sklaven. Omar wurde hereingefuehrt; sein Blick war duester, seine Miene traurig, und sein Anblick erregte allgemeine Teilnahme unter den Anwesenden. Er warf sich vor dem Throne nieder und fragte nach dem Willen des Sultans. Der Sultan deutete ihm an, dass er eines der Kistchen zu waehlen habe, er stand auf und trat vor den Tisch. Er las aufmerksam beide Inschriften und sprach: "Die letzten Tage haben mich gelehrt, wie unsicher das Glueck, wie vergaenglich der Reichtum ist; sie haben mich aber auch gelehrt, dass ein unzerstoerbares Gut in der Brust des Tapferen wohnt, die Ehre, und dass der leuchtende Stern des Ruhmes nicht mit dem Glueck zugleich vergeht. Und sollte ich einer Krone entsagen, der Wuerfel liegt--Ehre und Ruhm, ich waehle euch!" Er setzte seine Hand auf das Kistchen, das er erwaehlt hatte; aber der Sultan befahl ihm, einzuhalten; er winkte Labakan, gleichfalls vor seinen Tisch zu treten, und auch dieser legte seine Hand auf sein Kistchen. Der Sultan aber liess sich ein Becken mit Wasser von dem heiligen Brunnen Zemzem in Mekka bringen, wusch seine Haende zum Gebet, wandte sein Gesicht nach Osten, warf sich nieder und betete: "Gott meiner Vaeter! Der du seit Jahrhunderten unsern Stamm rein und unverfaelscht bewahrtest, gib nicht zu, dass ein Unwuerdiger den Namen der Abassiden schaende, sei mit deinem Schutze meinem echten Sohne nahe in dieser Stunde der Pruefung!" Der Sultan erhob sich und bestieg seinen Thron wieder; allgemeine Erwartung fesselte die Anwesenden, man wagte kaum zu atmen, man haette ein Maeuschen ueber den Saal gehen hoeren koennen, so still und gespannt waren alle, die hintersten machten lange Haelse, um ueber die vorderen nach den Kistchen sehen zu koennen. Jetzt sprach der Sultan: "Oeffnet die Kistchen", und diese, die vorher keine Gewalt zu oeffnen vermochte, sprangen von selbst auf. In dem Kistchen, das Omar gewaehlt hatte, lagen auf einem samtenen Kissen eine kleine goldene Krone und ein Zepter; in Labakans Kistchen--eine grosse Nadel und ein wenig Zwirn! Der Sultan befahl den beiden, ihre Kistchen vor ihn zu bringen. Er nahm das Kroenchen von dem Kissen in seine Hand, und wunderbar war es anzusehen, wie er es nahm, wurde es groesser und groesser, bis es die Groesse einer rechten Krone erreicht hatte. Er setzte die Krone seinem Sohn Omar, der vor ihm kniete, auf das Haupt, kuesste ihn auf die Stirne und hiess ihn zu seiner Rechten sich niedersetzen. Zu Labakan aber wandte er sich und sprach: "Es ist ein altes Sprichwort: Der Schuster bleibe bei seinem Leisten! Es scheint, als solltest du bei der Nadel bleiben. Zwar hast du meine Gnade nicht verdient, aber es hat jemand fuer dich gebeten, dem ich heute nichts abschlagen kann; drum schenke ich dir dein armseliges Leben, aber wenn ich dir guten Rates bin, so beeile dich, dass du aus meinem Lande kommst!" Beschaemt, vernichtet, wie er war, vermochte der arme Schneidergeselle nichts zu erwidern; er warf sich vor dem Prinzen nieder, und Traenen drangen ihm aus den Augen: "Koennt Ihr mir vergeben, Prinz?" sagte er. "Treue gegen den Freund, Grossmut gegen den Feind ist des Abassiden Stolz", antwortete der Prinz, indem er ihn aufhob, "gehe hin in Frieden!" "O du mein echter Sohn!" rief geruehrt der alte Sultan und sank an die Brust des Sohnes; die Emire und Bassa und alle Grossen des Reiches standen auf von ihren Sitzen und riefen: "Heil dem neuen Koenigssohn!" Und unter dem allgemeinen Jubel schlich sich Labakan, sein Kistchen unter dem Arm, aus dem Saal. Er ging hinunter in die Staelle des Sultans, zaeumte sein Ross Murva auf und ritt zum Tore hinaus, Alessandria zu. Sein ganzes Prinzenleben kam ihm wie ein Traum vor, und nur das prachtvolle Kistchen, reich mit Perlen und Diamanten geschmueckt, erinnerte ihn, dass er doch nicht getraeumt habe. Als er endlich wieder nach Alessandria kam, ritt er vor das Haus seines alten Meisters, stieg ab, band sein Roesslein an die Tuere und trat in die Werkstatt. Der Meister, der ihn nicht gleich kannte, machte ein grosses Wesen und fragte, was ihm zu Dienst stehe; als er aber den Gast naeher ansah und seinen alten Labakan erkannte, rief er seine Gesellen und Lehrlinge herbei, und alle stuerzten sich wie wuetend auf den armen Labakan, der keines solchen Empfangs gewaertig war, stiessen und schlugen ihn mit Buegeleisen und Ellenmass, stachen ihn mit Nadeln und zwickten ihn mit scharfen Scheren, bis er erschoepft auf einen Haufen alter Kleider niedersank. Als er nun so dalag, hielt ihm der Meister eine Strafrede ueber das gestohlene Kleid; vergebens versicherte Labakan, dass er nur deswegen wiedergekommen sei, um ihm alles zu ersetzen, vergebens bot er ihm den dreifachen Schadenersatz, der Meister und seine Gesellen fielen wieder ueber ihn her, schlugen ihn weidlich und warfen ihn zur Tuere hinaus; zerschlagen und zerfetzt stieg er auf das Ross Murva und ritt in eine Karawanserei. Dort legte er sein muedes, zerschlagenes Haupt nieder und stellte Betrachtungen an ueber die Leiden der Erde, ueber das so oft verkannte Verdienst und ueber die Nichtigkeit und Fluechtigkeit aller Gueter. Er schlief mit dem Entschluss ein, aller Groesse zu entsagen und ein ehrsamer Buerger zu werden. Und den andere Tag gereute ihn sein Entschluss nicht; denn die schweren Haende des Meisters und seiner Gesellen schienen alle Hoheit aus ihm herausgepruegelt zu haben. Er verkaufte um einen hohen Preis sein Kistchen an einen Juwelenhaendler, kaufte sich ein Haus und richtete sich eine Werkstatt zu seinem Gewerbe ein. Als er alles eingerichtet und auch ein Schild mit der Aufschrift Labakan, Kleidermacher vor sein Fenster gehaengt hatte, setzte er sich und begann mit jener Nadel und dem Zwirn, die er in dem Kistchen gefunden, den Rock zu flicken, welchen ihm sein Meister so grausam zerfetzt hatte. Er wurde von seinem Geschaeft abgerufen, und als er sich wieder an die Arbeit setzen wollte, welch sonderbarer Anblick bot sich ihm dar! Die Nadel naehte emsig fort, ohne von jemand gefuehrt zu werden; sie machte feine, zierliche Stiche, wie sie selbst Labakan in seinen kunstreichsten Augenblicken nicht gemacht hatte! Wahrlich, auch das geringste Geschenk einer guetigen Fee ist nuetzlich und von grossem Wert! Noch einen andere Wert hatte aber dies Geschenk, naemlich: Das Stueckchen Zwirn ging nie aus, die Nadel mochte so fleissig sein, als sie wollte. Labakan bekam viele Kunden und war bald der beruehmteste Schneider weit und breit; er schnitt die Gewaender zu und machte den ersten Stich mit der Nadel daran, und flugs arbeitete diese weiter ohne Unterlass, bis das Gewand fertig war. Meister Labakan hatte bald die ganze Stadt zu Kunden; denn er arbeitete schoen und ausserordentlich billig, und nur ueber eines schuettelten die Leute von Alessandria den Kopf, naemlich: dass er ganz ohne Gesellen und bei verschlossenen Tueren arbeitete. So war der Spruch des Kistchens, Glueck und Reichtum verheissend, in Erfuellung gegangen; Glueck und Reichtum begleiteten, wenn auch in bescheidenem Masse, die Schritte des guten Schneiders, und wenn er von dem Ruhm des jungen Sultans Omar, der in aller Munde lebte, hoerte, wenn er hoerte, dass dieser Tapfere der Stolz und die Liebe seines Volkes und der Schrecken seiner Feinde sei, da dachte der ehemalige Prinz bei sich: "Es ist doch besser, dass ich ein Schneider geblieben bin; denn um die Ehre und den Ruhm ist es eine gar gefaehrliche Sache." So lebte Labakan, zufrieden mit sich, geachtet von seinen Mitbuergern, und wenn die Nadel indes nicht ihre Kraft verloren, so naeht sie noch jetzt mit dem ewigen Zwirn der guetigen Fee Adolzaide. Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach Birket el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei Stunden Weges nach Kairo waren--Man hatte um diese Zeit die Karawane erwartet, und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch das Tor Bebel Falch; denn es wird fuer eine glueckliche Vorbedeutung gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, weil der Prophet hindurchgezogen ist. Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier tuerkischen Kaufleute von dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet habe, zu erscheinen. Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er auf der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die Speisen und Getraenke in gehoeriger Ordnung aufgestellt waren, setzte er sich, seinen Gast zu erwarten. Langsam und schweren Schrittes hoerte er ihn den Gang, der zu seinem Gemach fuehrte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich entgegenzusehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll Entsetzen fuhr er zurueck, als er die Tuere oeffnete; denn jener schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick auf ihn, es war keine Taeuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, die Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote Mantel mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus den schrecklichsten Stunden seines Lebens. Widerstreitende Gefuehle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit diesem Bild seiner Erinnerung laengst ausgesoehnt und ihm vergeben, und doch riss sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Bluete seines Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele vorueber. "Was willst du, Schrecklicher?" rief der Grieche aus, als die Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. "Weiche schnell von hinnen, dass ich dir nicht fluche!" "Zaleukos!" sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. "Zaleukos! So empfaengst du deinen Gastfreund?" Der Sprechende nahm die Larve ab, schlug den Mantel zurueck; es war Selim Baruch, der Fremde. Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen. "Ich errate deine Gedanken", nahm dieser das Wort, als sie sich gesetzt hatten. "Deine Augen sehen fragend auf mich--ich haette schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen koennen, aber ich bin dir Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die Gefahr hin, dass du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu erscheinen. Du sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Vaeter befiehlt mir, ihn zu lieben, auch ist er wohl ungluecklicher als ich; glaube dieses, mein Freund, und hoere meine Rechtfertigung! Ich muss weit ausholen, um mich dir ganz verstaendlich zu machen. Ich bin in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der juengere Sohn eines alten, beruehmten franzoesischen Hauses, war Konsul seines Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an in Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verliess erst einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, ueber dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empoerte Volk der Franzosen entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten wir. Aber ach! Ich fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es sein sollte; die aeusseren Stuerme der bewegten Zeit waren zwar noch nicht bis hierher gelangt, desto unerwarteter hatte das Unglueck mein Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein junger, hoffnungsvoller Mann, erster Sekretaer meines Vaters, hatte sich erst seit kurzem mit einem jungen Maedchen, der Tochter eines florentinischen Edelmanns, der in unserer Nachbarschaft wohnte, verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war diese auf einmal verschwunden, ohne dass weder unsere Familie noch ihr Vater die geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte endlich, sie habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in Raeuberhaende gefallen. Beinahe troestlicher waere dieser Gedanke fuer meinen armen Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund wurde. Die Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie im Hause ihres Vaters kennengelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, aufs aeusserste empoert ueber diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige zur Strafe zu ziehen; doch vergebens; seine Versuche, die in Neapel und Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und unser aller Unglueck zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste in sein Vaterland zurueck, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht zu verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknuepft hatte, nieder und wusste seinen Einfluss, den er auf alle Art sich verschafft hatte, so gut zu benuetzen, dass mein Vater und mein Bruder ihrer Regierung verdaechtig gemacht und durch die schaendlichsten Mittel gefangen, nach Frankreich gefuehrt und dort vom Beil des Henkers getoetet wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach zehn langen Monaten erloeste sie der Tod von ihrem schrecklichen Zustand, der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewusstsein geworden war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur ein Gedanke beschaeftigte meine Seele, nur ein Gedanke liess mich meine Trauer vergessen, es war jene maechtige Flamme, die meine Mutter in ihrer letzten Stunde in mir angefacht hatte. In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewusstsein zurueckgekehrt; sie liess mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem Schicksal und ihrem Ende. Dann aber liess sie alle aus dem Zimmer gehen, richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem aermlichen Lager auf und sagte, ich koenne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr schwoere, etwas auszufahren, das sie mir auftragen wuerde--Ergriffen von den Worten der sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide zu tun, wie sie mir sagen werde. Sie brach nun in Verwuenschungen gegen den Florentiner und seine Tochter aus und legte mir mit den fuerchterlichsten Drohungen ihres Fluches auf, mein unglueckliches Haus an ihm zu raechen. Sie starb in meinen Armen. Jener Gedanke der Rache hatte schon lange in meiner Seele geschlummert; jetzt erwachte er mit aller Macht. Ich sammelte den Rest meines vaeterlichen Vermoegens und schwor mir, alles an meine Rache zu setzen oder selbst mit unterzugehen. Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als moeglich aufhielt; mein Plan war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das geringste ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. Eines Abends sah ich einen Menschen in bekannter Livree durch die Strassen gehen; sein unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das halblaut herausgestossene "Santo sacramento", "Maledetto diavolo" liessen mich den alten Pietro, einen Diener des Florentiners, den ich schon in Alessandria gekannt hatte, erkennen. Ich war nicht in Zweifel, dass er ueber seinen Herrn in Zorn geraten sei, und beschloss, seine Stimmung zu benuetzen. Er schien sehr ueberrascht, mich hier zu sehen, klagte mir sein Leiden, dass er seinem Herrn, seit er Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen koenne, und mein Gold, unterstuetzt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf meine Seite. Das Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann in meinem Solde, der mir zu jeder Stunde die Tuere meines Feindes oeffnete, und nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das Leben des alten Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem Untergang meines Hauses gegenueber, zu haben. Sein Liebstes musste er gemordet sehen, und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so schaendlich an meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache unseres Ungluecks. Gar erwuenscht kam sogar meinem racheduerstigen Herzen die Nachricht, dass in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermaehlen wollte, es war beschlossen, sie musste sterben. Aber mir selbst graute vor der Tat, und auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum spaehten wir umher nach einem Mann, der das Geschaeft vollbringen koenne. Unter den Florentinern wagte ich keinen zu dingen, denn gegen den Gouverneur wuerde keiner etwas Solches unternommen haben. Da fiel Pietro der Plan ein, den ich nachher ausgefuehrt habe; zugleich schlug er dich als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. Den Verlauf der Sache weisst du. Nur an deiner grossen Vorsicht und Ehrlichkeit schien mein Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel. Pietro oeffnete uns das Pfoertchen an dem Palast des Gouverneurs; er haette uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Tuerspalte darbot, erschreckt, entflohen waeren. Von Schrecken und Reue gejagt, war ich ueber zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen einer Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und mein erster Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn man dich in dem Hause faende. Ich schlich an den Palast, aber weder von Pietro noch von dir konnte ich eine Spur entdecken; das Pfoertchen aber war offen, so konnte ich wenigstens hoffen, dass du die Gelegenheit zur Flucht benuetzt haben koenntest. Als aber der Tag anbrach, liess mich die Angst vor der Entdeckung und ein unabweisbares Gefuehl von Reue nicht mehr in den Mauern von Florenz. Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestuerzung, als man dort nach einigen Tagen ueberall diese Geschichte erzaehlte mit dem Beisatz, man habe den Moerder, einen griechischen Arzt, gefangen. Ich kehrte in banger Besorgnis nach Florenz zurueck; denn schien mir meine Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich fuehlte, als ich dich das Schafott besteigen und so heldenmuetig leiden sah. Aber damals, als dein Blut in Stroemen aufspritzte, war der Entschluss fest in mir, dir deine uebrigen Lebenstage zu versuessen. Was weiter geschehen ist, weisst du, nur das bleibt mir noch zu sagen uebrig, warum ich diese Reise mit dir machte. Als eine schwere Last drueckte mich der Gedanke, dass du mir noch immer nicht vergeben habest; darum entschloss ich mich, viele Tage mit dir zu leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit dir getan." Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehoert; mit sanftem Blick bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. "Ich wusste wohl, dass du ungluecklicher sein muesstest als ich, denn jene grausame Tat wird wie eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir von Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: Wie kommst du unter dieser Gestalt in die Wueste? Was fingst du an, nachdem du in Konstantinopel mir das Haus gekauft hattest?" "Ich ging nach Alessandria zurueck", antwortete der Gefragte. "Hass gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Hass besonders gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter meinen Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in Alessandria, als jene Landung meiner Landsleute erfolgte. Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; darum sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner Bekanntschaft und schloss mich jenen tapferen Mamelucken an, die so oft der Schrecken des franzoesischen Heeres wurden. Als der Feldzug beendigt war, konnte ich mich nicht entschliessen, zu den Kuensten des Friedens zurueckzukehren. Ich lebte mit einer kleinen Anzahl gleichdenkender Freunde ein unstetes und fluechtiges, dem Kampf und der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die mich wie ihren Fuersten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so gebildet sind wie Eure Europaeer, so sind sie doch weit entfernt von Neid und Verleumdung, von Selbstsucht und Ehrgeiz." Zaleukos dankte dem Fremden fuer seine Mitteilung, aber er verbarg ihm nicht, dass er es fuer seinen Stand, fuer seine Bildung angemessener faende, wenn er in christlichen, in europaeischen Laendern leben und wirken wuerde. Er fasste seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, bei ihm zu leben und zu sterben. Geruehrt sah ihn der Gastfreund an. "Daraus erkenne ich", sagte er, "dass du mir ganz vergeben hast, dass du mich liebst. Nimm meinen innigsten Dank dafuer!" Er sprang auf und stand in seiner ganzen Groesse vor dem Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel blitzenden Augen, der tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. "Dein Vorschlag ist schoen", sprach jener weiter, "er moechte fuer jeden andern lockend sein--ich kann ihn nicht benuetzen. Schon steht mein Ross gesattelt, erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!" Die Freunde, die das Schicksal so wunderbar zusammengefuehrt, umarmten sich zum Abschied. "Und wie nenne ich dich? Wie heisst mein Gastfreund, der auf ewig in meinem Gedaechtnis leben wird?" fragte der Grieche. Der Fremde sah ihn lange an, drueckte ihm noch einmal die Hand und sprach: "Man nennt mich den Herrn der Wueste; ich bin der Raeuber Orbasan." Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Maerchen-Almanach auf das Jahr 1826", von Wilhelm Hauff. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MAERCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1826 *** This file should be named 7alm110.txt or 7alm110.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7alm111.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7alm110a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. 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