The Project Gutenberg EBook of Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827 by Wilhelm Hauff Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. You can also find out about how to make a donation to Project Gutenberg, and how to get involved. **Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** **eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** *****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** Title: Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827 Author: Wilhelm Hauff Release Date: October, 2004 [EBook #6639] [Yes, we are more than one year ahead of schedule] [This file was first posted on January 9, 2003] Edition: 10 Language: German Character set encoding: ASCII *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MAERCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1827 *** Thanks are given to Delphine Lettau for finding a huge collection of ancient German books in London. This Etext is in German. We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- which requires a binary transfer, or sent as email attachment and may require more specialized programs to display the accents. This is the 7-bit version. This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg2000.de erreichbar. Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827 Wilhelm Hauff Inhalt: Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven (Rahmenerzaehlung) Der Zwerg Nase Abner, der Jude, der nichts gesehen hat Der arme Stephan Der gebackene Kopf Der Affe als Mensch (Der junge Englaender) Das Fest der Unterirdischen Schneeweisschen und Rosenrot Die Geschichte Almansors Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven Wilhelm Hauff Der Scheik von Alessandria, Ali Banu, war ein sonderbarer Mann; wenn er morgens durch die Strassen der Stadt ging, angetan mit einem Turban, aus den koestlichsten Kaschmirs gewunden, mit dem Festkleide und dem reichen Guertel, der fuenfzig Kamele wert war, wenn er einherging langsamen, gravitaetischen Schrittes, seine Stirne in finstere Falten gelegt, seine Augenbrauen zusammengezogen, die Augen niedergeschlagen und alle fuenf Schritte gedankenvoll seinen langen, schwarzen Bart streichend; wenn er so hinging nach der Moschee, um, wie es seine Wuerde forderte, den Glaeubigen Vorlesungen ueber den Koran zu halten: da blieben die Leute auf der Strasse stehen, schauten ihm nach und sprachen zueinander: "Es ist doch ein schoener, stattlicher Mann, und reich, ein reicher Herr", setzte wohl ein anderer hinzu, "sehr reich; hat er nicht ein Schloss am Hafen von Stambul? Hat er nicht Gueter und Felder und viele tausend Stueck Vieh und viele Sklaven?" "Ja", sprach ein dritter, "und der Tatar, der letzthin von Stambul her, vom Grossherrn selbst, den der Prophet segnen moege, an ihn geschickt kam, der sagte mir, dass unser Scheik sehr in Ansehen stehe beim Reis-Effendi, beim Kapidschi-Baschi, bei allen, ja beim Sultan selbst." "Ja", rief ein vierter, "seine Schritte sind gesegnet; er ist ein reicher, vornehmer Herr, aber--aber, ihr wisst, was ich meine!" "Ja, ja!" murmelten dann die anderen dazwischen, "es ist wahr, er hat auch ein Teil zu tragen, moechten nicht mit ihm tauschen; ist ein reicher, vornehmer Herr; aber, aber!" Ali Banu hatte ein herrliches Haus auf dem schoensten Platz von Alessandria; vor dem Hause war eine weite Terrasse, mit Marmor ummauert, beschattet von Palmbaeumen; dort sass er oft abends und rauchte seine Wasserpfeife. In ehrerbietiger Entfernung harrten dann zwoelf reichgekleidete Sklaven seines Winkes; der eine trug seinen Betel, der andere hielt seinen Sonnenschirm, ein dritter hatte Gefaesse von gediegenem Golde, mit koestlichem Sorbet angefuellt, ein vierter trug einen Wedel von Pfauenfedern, um die Fliegen aus der Naehe des Herrn zu verscheuchen; andere waren Saenger und trugen Lauten und Blasinstrumente, um ihn zu ergoetzen mit Musik, wenn er es verlangte, und der gelehrteste von allen trug mehrere Rollen, um ihm vorzulesen. Aber sie harreten vergeblich auf seinen Wink; er verlangte nicht Musik noch Gesang, er wollte keine Sprueche oder Gedichte weiser Dichter der Vorzeit hoeren, er wollte keinen Sorbet zu sich nehmen, noch Betel kauen, ja, selbst der mit dem Faecher aus Pfauenfeder hatte vergebliche Arbeit; denn der Herr bemerkte es nicht, wenn ihn eine Fliege summend umschwaermte. Da blieben oft die Voruebergehenden stehen, staunten ueber die Pracht des Hauses, ueber die reichgekleideten Sklaven und ueber die Bequemlichkeit, womit alles versehen war; aber wenn sie dann den Scheik ansahen, wie er so ernst und duester unter den Palmen sass, seine Augen nirgends hinwandte als auf die blaeulichen Woelkchen seiner Wasserpfeife, da schuettelten sie die Koepfe und sprachen: "Wahrlich, der reiche Mann ist ein armer Mann. Er, der viel hat, ist aermer als der, der nichts hat; denn der Prophet hat ihm den Verstand nicht gegeben, es zu geniessen." So sprachen die Leute, lachten ueber ihn und gingen weiter. Eines Abends, als der Scheik wiederum vor der Tuere seines Hauses sass, umgeben von allem Glanz der Erde, und traurig und einsam seine Wasserpfeife rauchte, standen nicht ferne davon einige junge Leute, betrachteten ihn und lachten. "Wahrlich", sprach der eine, "das ist ein toerichter Mann, der Scheik Ali Banu; haette ich seine Schaetze, ich wollte sie anders anwenden. Alle Tage wollte ich leben herrlich und in Freuden; meine Freunde muessten bei mir speisen in den grossen Gemaechern des Hauses, und Jubel und Lachen muessten diese traurigen Hallen fuellen." "Ja", erwiderte ein anderer. "Das waere nicht so uebel; aber viele Freunde zehren ein Gut auf, und waere es so gross als das des Sultans, den der Prophet segne; aber saesse ich abends so unter den Palmen auf dem schoenen Platze hier, da muessten mir die Sklaven dort singen und musizieren, meine Taenzer muessten kommen und tanzen und springen und allerlei wunderliche Stuecke auffuehren. Dazu rauchte ich recht vornehm die Wasserpfeife, liesse mir den koestlichen Sorbet reichen und ergoetzte mich an all diesem wie ein Koenig von Bagdad." "Der Scheik", sprach ein dritter dieser jungen Leute, der ein Schreiber war, "der Scheik soll ein gelehrter und weiser Mann sein, und wirklich, seine Vorlesungen ueber den Koran zeugen von Belesenheit in allen Dichtern und Schriften der Weisheit; aber ist auch sein Leben so eingerichtet, wie es einem vernuenftigen Manne geziemt? Dort steht ein Sklave mit einem ganzen Arm voll Rollen; ich gaebe mein Festkleid dafuer, nur eine davon lesen zu duerfen; denn es sind gewiss seltene Sachen. Aber er? Er sitzt und raucht und laesst Buecher--Buecher sein. Waere ich der Scheik Ali Banu, der Kerl muesste mir vorlesen, bis er keinen Atem mehr haette oder bis die Nacht heraufkaeme; und auch dann noch muesste er mir lesen, bis ich entschlummert waere." "Ha! Ihr wisst mir recht, wie man sich ein koestliches Leben einrichtet", lachte der vierte; "essen und trinken, singen und tanzen, Sprueche lesen und Gedichte hoeren von armseligen Dichtern! Nein, ich wuerde es ganz anders machen. Er hat die herrlichsten Pferde und Kamele und Geld die Menge. Da wuerde ich an seiner Stelle reisen, reisen bis an der Welt Ende und selbst zu den Moskowitern, selbst zu den Franken. Kein Weg waere mir zu weit, um die Herrlichkeiten der Welt zu sehen. So wuerde ich tun, waere ich jener Mann dort." "Die Jugend ist eine schoene Zeit und das Alter, wo man froehlich ist", sprach ein alter Mann von unscheinbarem Aussehen, der neben ihnen stand und ihre Reden gehoert hatte, "aber erlaubet mir, dass ich es sage, die Jugend ist auch toericht und schwatzt hier und da in den Tag hinein, ohne zu wissen, was sie tut." "Was wollt Ihr damit sagen, Alter?" fragten verwundert die jungen Leute. "Meinet Ihr uns damit? Was geht es Euch an, dass wir die Lebensart des Scheiks tadeln?" "Wenn einer etwas besser weiss als der andere, so berichtige er seinen Irrtum, so will es der Prophet", erwiderte der alte Mann, "der Scheik, es ist wahr, ist gesegnet mit Schaetzen und hat alles, wonach das Herz verlangt, aber er hat Ursache, ernst und traurig zu sein. Meinet ihr, er sei immer so gewesen? Nein, ich habe ihn noch vor fuenfzehn Jahren gesehen, da war er munter und ruestig wie die Gazelle und lebte froehlich und genoss sein Leben. Damals hatte er einen Sohn, die Freude seiner Tage, schoen und gebildet, und wer ihn sah und sprechen hoerte, musste den Scheik beneiden um diesen Schatz, denn er war erst zehn Jahre alt, und doch war er schon so gelehrt wie ein anderer kaum im achtzehnten." "Und der ist ihm gestorben? Der arme Scheik!" rief der junge Schreiber. "Es waere troestlich fuer ihn, zu wissen, dass er heimgegangen in die Wohnungen des Propheten, wo er besser lebte als hier in Alessandria; aber das, was er erfahren musste, ist viel schlimmer. Es war damals die Zeit, wo die Franken wie hungrige Woelfe herueberkamen in unser Land und Krieg mit uns fuehrten. Sie hatten Alessandria ueberwaeltigt und zogen von da aus weiter und immer weiter und bekriegten die Mamelucken. Der Scheik war ein kluger Mann und wusste sich gut mit ihnen zu vertragen; aber, sei es, weil sie luestern waren nach seinen Schaetzen, sei es, weil er sich seiner glaeubigen Brueder annahm, ich weiss es nicht genau; kurz, sie kamen eines Tages in sein Haus und beschuldigten ihn, die Mamelucken heimlich mit Waffen, Pferden und Lebensmitteln unterstuetzt zu haben. Er mochte seine Unschuld beweisen, wie er wollte, es half nichts, denn die Franken sind ein rohes, hartherziges Volk, wenn es darauf ankommt, Geld zu erpressen. Sie nahmen also seinen jungen Sohn, Kairam geheissen, als Geisel in ihr Lager. Er bot ihnen viel Geld fuer ihn; aber sie gaben ihn nicht los und wollten ihn zu noch hoeherem Gebot steigern. Da kam ihnen auf einmal von ihrem Bassa, oder was er war, der Befehl, sich einzuschiffen; niemand in Alessandria wusste ein Wort davon, und--ploetzlich waren sie auf der hohen See, und den kleinen Kairam, Ali Banus Sohn, schleppten sie wohl mit sich, denn man hat nie wieder etwas von ihm gehoert." "O der arme Mann, wie hat ihn doch Allah geschlagen!" riefen einmuetig die jungen Leute und schauten mitleidig hin nach dem Scheik, der, umgeben von Herrlichkeit, trauernd und einsam unter den Palmen sass. "Sein Weib, das er sehr geliebt hat, starb ihm aus Kummer um ihren Sohn; er selbst aber kaufte sich ein Schiff, ruestete es aus und bewog den fraenkischen Arzt, der dort unten am Brunnen wohnt, mit ihm nach Frankistan zu reisen, um den verlorenen Sohn aufzusuchen. Sie schifften sich ein und waren lange Zeit auf dem Meere und kamen endlich in das Land jener Giaurs, jener Unglaeubigen, die in Alessandria gewesen waren. Aber dort soll es gerade schrecklich zugegangen sein. Sie hatten ihren Sultan umgebracht, und die Paschas und die Reichen und Armen schlugen einander die Koepfe ab, und es war keine Ordnung im Lande. Vergeblich suchten sie in jeder Stadt nach dem kleinen Kairam, niemand wollte von ihm wissen, und der fraenkische Doktor riet endlich dem Scheik, sich einzuschiffen, weil sie sonst wohl selbst um ihre Koepfe kommen koennten. So kamen sie wieder zurueck, und seit seiner Ankunft hat der Scheik gelebt wie an diesem Tag, denn er trauert um seinen Sohn, und er hat recht. Muss er nicht, wenn er isst und trinkt, denken, jetzt muss vielleicht mein armer Kairam hungern und duersten? Und wenn er sich bekleidet mit reichen Schals und Festkleidern, wie es sein Amt und seine Wuerde will, muss er nicht denken, jetzt hat er wohl nichts, womit er seine Bloesse deckt? Und wenn er umgeben ist von Saengern und Taenzern und Vorlesern, seinen Sklaven, denkt er da nicht, jetzt muss wohl mein armer Sohn seinem fraenkischen Gebieter Spruenge vormachen und musizieren, wie er es haben will? Und was ihm den groessten Kummer macht, er glaubt, der kleine Kairam werde, so weit vom Lande seiner Vaeter und mitten unter Unglaeubigen, die seiner spotten, abtruennig werden vom Glauben seiner Vaeter und er werde ihn einst nicht umarmen koennen in den Gaerten des Paradieses! Darum ist er auch so mild gegen seine Sklaven und gibt grosse Summen an die Armen; denn er denkt, Allah werde es vergelten und das Herz seiner fraenkischen Herren ruehren, dass sie seinen Sohn mild behandeln. Auch gibt er jedesmal, wenn der Tag kommt, an welchem ihm sein Sohn entrissen wurde, zwoelf Sklaven frei." "Davon habe ich auch schon gehoert", entgegnete der Schreiber, "aber man traegt sich mit wundervollen Reden; von seinem Sohne wurde dabei nichts erwaehnt; wohl aber sagte man, er sei ein sonderbarer Mann und ganz besonders erpicht auf Erzaehlungen; da soll er jedes Jahr unter seinen Sklaven einen Wettstreit anstellen, und wer am besten erzaehlt, den gibt er frei." "Verlasset euch nicht auf das Gerede der Leute", sagte der alte Mann, "es ist so, wie ich es sage, und ich weiss es genau; moeglich ist, dass er sich an diesem schweren Tage aufheitern will und sich Geschichten erzaehlen laesst; doch gibt er sie frei um seines Sohnes willen. Doch, der Abend wird kuehl, und ich muss weitergehen. Salem aleikum, Friede sei mit euch, ihr jungen Herren, und denket in Zukunft besser von dem guten Scheik!" Die jungen Leute dankten dem Alten fuer seine Nachrichten, schauten noch einmal nach dem trauernden Vater und gingen die Strasse hinab, indem sie zueinander sprachen: "Ich moechte doch nicht der Scheik Ali Banu sein." Nicht lange Zeit, nachdem diese jungen Leute mit dem alten Mann ueber den Scheik Ali Banu gesprochen hatten, traf es sich, dass sie um die Zeit des Morgengebets wieder diese Strasse gingen. Da fiel ihnen der alte Mann und seine Erzaehlung ein, und sie beklagten zusammen den Scheik und blickten nach seinem Hause. Aber wie staunten sie, als sie dort alles aufs herrlichste ausgeschmueckt fanden! Von dem Dache, wo geputzte Sklavinnen spazierengingen, wehten Wimpeln und Fahnen, die Halle des Hauses war mit koestlichen Teppichen belegt, Seidenstoff schloss sich an diese an, der ueber die breiten Stufen der Treppe gelegt war, und selbst auf der Strasse war noch schoenes, feines Tuch ausgebreitet, wovon sich mancher wuenschen mochte zu einem Festkleid oder zu einer Decke fuer die Fuesse. "Ei, wie hat sich doch der Scheik geaendert in den wenigen Tagen!" sprach der junge Schreiber. "Will er ein Fest geben? Will er seine Saenger und Taenzer anstrengen? Seht mir diese Teppiche! Hat sie einer so schoen in ganz Alessandria! Und dieses Tuch auf dem gemeinen Boden, wahrlich, es ist schade dafuer!" "Weisst du, was ich denke?" sprach ein anderer. "Er empfaengt sicherlich einen hohen Gast; denn das sind Zubereitungen, wie man sie macht, wenn ein Herrscher von grossen Laendern oder ein Effendi des Grossherrn ein Haus mit seinem Besuch segnet. Wer mag wohl heute hierherkommen?" "Siehe da, geht dort unten nicht unser Alter von letzthin? Ei, der weiss ja alles und muss auch darueber Aufschluss geben koennen. Heda! Alter Herr! Wollet Ihr nicht ein wenig zu uns treten?" So riefen sie; der alte Mann aber bemerkte ihre Winke und kam zu ihnen; denn er erkannte sie als die jungen Leute, mit welchen er vor einigen Tagen gesprochen. Sie machten ihn aufmerksam auf die Zuruestungen im Hause des Scheiks und fragten ihn, ob er nicht wisse, welch hoher Gast wohl erwartet werde. "Ihr glaubt wohl", erwiderte er, "Ali Banu feiere heute ein grosses Freudenfest, oder der Besuch eines grossen Mannes beehre sein Haus? Dem ist nicht also; aber heute ist der zwoelfte Tag des Monats Ramadan, wie ihr wisset, und an diesem Tag wurde sein Sohn ins Lager gefuehrt." "Aber beim Bart des Propheten!" rief einer der jungen Leute. "Das sieht ja alles aus wie Hochzeit und Festlichkeiten, und doch ist es sein beruehmter Trauertag, wie reimt Ihr das zusammen? Gesteht, der Scheik ist denn doch etwas zerruettet im Verstand." "Urteilt Ihr noch immer so schnell, mein junger Freund?" fragte der Alte laechelnd. "Auch diesmal war Euer Pfeil wohl spitzig und scharf, die Sehne Eures Bogens straff angezogen, und doch habt Ihr weitab vom Ziele geschossen. Wisset, dass heute der Scheik seinen Sohn erwartet." "So ist er gefunden?" riefen die Juenglinge und freuten sich. "Nein, und er wird sich wohl lange nicht finden; aber wisset: Vor acht oder zehn Jahren, als der Scheik auch einmal mit Trauern und Klagen diesen Tag beging, auch Sklaven freigab und viele Arme speiste und traenkte, da traf es sich, dass er auch einem Derwisch, der muede und matt im Schatten jenes Hauses lag, Speise und Trank reichen liess. Der Derwisch aber war ein heiliger Mann und erfahren in Prophezeiungen und im Sterndeuten. Der trat, als er gestaerkt war durch die milde Hand des Scheiks, zu ihm und sprach: 'Ich kenne die Ursache deines Kummers; ist nicht heute der zwoelfte Ramadan, und hast du nicht an diesem Tage deinen Sohn verloren? Aber sei getrost, dieser Tag der Trauer wird dir zum Festtag werden, denn wisse, an diesem Tage wird einst dein Sohn zurueckkehren!' So sprach der Derwisch. Es waere Suende fuer jeden Muselmann, an der Rede eines solchen Mannes zu zweifeln; der Gram Alis wurde zwar dadurch nicht gemildert, aber doch harrt er an diesem Tage immer auf die Rueckkehr seines Sohnes und schmueckt sein Haus und seine Halle und die Treppen, als koenne jener zu jeder Stunde anlangen." "Wunderbar!" erwiderte der Schreiber. "Aber zusehen moechte ich doch, wie alles so herrlich bereitet ist, wie er selbst in dieser Herrlichkeit trauert, und hauptsaechlich moechte ich zuhoeren, wie er sich von seinen Sklaven erzaehlen laesst." "Nichts leichter als dies", antwortete der Alte. "Der Aufseher der Sklaven jenes Hauses ist mein Freund seit langen Jahren und goennt mir an diesem Tage immer ein Plaetzchen in dem Saal, wo man unter der Menge der Diener und Freunde des Scheiks den einzelnen nicht bemerkt. Ich will mit ihm reden, dass er euch einlaesst; ihr seid ja nur zu viert, und da kann es schon gehen; kommet um die neunte Stunde auf diesen Platz, und ich will euch Antwort geben." So sprach der Alte; die jungen Leute aber dankten ihm und entfernten sich, voll Begierde zu sehen, wie sich dies alles begeben wuerde. Sie kamen zur bestimmten Stunde auf den Platz vor dem Hause des Scheik und trafen da den Alten, der ihnen sagte, dass der Aufseher der Sklaven erlaubt habe, sie einzufuehren. Er ging voran, doch nicht durch die reichgeschmueckten Treppen und Tore, sondern durch ein Seitenpfoertchen, das er sorgfaeltig wieder verschloss. Dann fuehrte er sie durch mehrere Gaenge, bis sie in den grossen Saal kamen. Hier war ein grosses Gedraenge von allen Seiten; da waren reichgekleidete Maenner, angesehene Herren der Stadt und Freunde des Scheik, die gekommen waren, ihn in seinem Schmerz zu troesten. Da waren Sklaven aller Art und aller Nationen. Aber alle sahen kummervoll aus; denn sie liebten ihren Herrn und trauerten mit ihm. Am Ende des Saales, auf einem reichen Diwan, sassen die vornehmsten Freunde Alis und wurden von den Sklaven bedient. Neben ihnen auf dem Boden sass der Scheik; denn die Trauer um seinen Sohn erlaubte ihm nicht, auf dem Teppich der Freude zu sitzen. Er hatte sein Haupt in die Hand gestuetzt und schien wenig auf die Troestungen zu hoeren, die ihm seine Freunde zufluesterten. Ihm gegenueber sassen einige alte und junge Maenner in Sklaventracht. Der Alte belehrte seine jungen Freunde, dass dies die Sklaven seien, die Ah Banu an diesem Tage freigebe. Es waren unter ihnen auch einige Franken, und der Alte machte besonders auf einen von ihnen aufmerksam, der von ausgezeichneter Schoenheit und noch sehr jung war. Der Scheik hatte ihn erst einige Tage zuvor einem Sklavenhaendler von Tunis um eine grosse Summe abgekauft und gab ihn dennoch jetzt schon frei, weil er glaubte, je mehr Franken er in ihr Vaterland zurueckschicke, desto frueher werde der Prophet seinen Sohn erloesen. Nachdem man ueberall Erfrischungen umhergereicht hatte, gab der Scheik dem Aufseher der Sklaven ein Zeichen. Dieser stand auf, und es ward tiefe Stille im Saal. Er trat vor die Sklaven, welche freigelassen werden sollten, und sprach mit vernehmlichen Stimme: "Ihr Maenner, die ihr heute frei sein werdet durch die Gnade meines Herrn Ali Banu, des Scheik von Alessandria, tuet nur, wie es Sitte ist an diesem Tage in seinem Hause, und hebet an zu erzaehlen!" Sie fluesterten untereinander. Dann aber nahm ein alter Sklave das Wort und fing an zu erzaehlen: Der Zwerg Nase Wilhelm Hauff Herr! Diejenigen tun sehr unrecht, welche glauben, es habe nur zu Zeiten Haruns Al-Raschid, des Beherrschers von Bagdad, Feen und Zauberer gegeben, oder die gar behaupten, jene Berichte von dem Treiben der Genien und ihrer Fuersten, welche man von den Erzaehlern auf den Maerkten der Stadt hoert, seien unwahr. Noch heute gibt es Feen, und es ist nicht so lange her, dass ich selbst Zeuge einer Begebenheit war, wo offenbar die Genien im Spiele waren, wie ich euch berichten werde. In einer bedeutenden Stadt meines lieben Vaterlandes, Deutschlands, lebte vor vielen Jahren ein Schuster mit seiner Frau schlicht und recht. Er sass bei Tag an der Ecke der Strasse und flickte Schuhe und Pantoffeln und machte wohl auch neue, wenn ihm einer welche anvertrauen mochte; doch musste er dann das Leder erst einkaufen, denn er war arm und hatte keine Vorraete. Seine Frau verkaufte Gemuese und Fruechte, die sie in einem kleinen Gaertchen vor dem Tore pflanzte, und viele Leute kauften gerne bei ihr, weil sie reinlich und sauber gekleidet war und ihr Gemuese auf gefaellige Art auszubreiten wusste. Die beiden Leutchen hatten einen schoenen Knaben, angenehm von Gesicht, wohlgestaltet und fuer das Alter von zwoelf Jahren schon ziemlich gross. Er pflegte gewoehnlich bei der Mutter auf dem Gemuesemarkt zu sitzen, und den Weibern oder Koechen, die viel bei der Schustersfrau eingekauft hatten, trug er wohl auch einen Teil der Fruechte nach Hause, und selten kam er von einem solchen Gang zurueck ohne eine schoene Blume oder ein Stueckchen Geld oder Kuchen; denn die Herrschaften dieser Koeche sahen es gerne, wenn man den schoenen Knaben mit nach Hause brachte, und beschenkten ihn immer reichlich. Eines Tages sass die Frau des Schusters wieder wie gewoehnlich auf dem Markte, sie hatte vor sich einige Koerbe mit Kohl und anderm Gemuese, allerlei Kraeuter und Saemereien, auch in einem kleineren Koerbchen fruehe Birnen, Aepfel und Aprikosen. Der kleine Jakob, so hiess der Knabe, sass neben ihr und rief mit heller Stimme die Waren aus: "Hierher, ihr Herren, seht, welch schoener Kohl, wie wohlriechend diese Kraeuter; fruehe Birnen, ihr Frauen, fruehe Aepfel und Aprikosen, wer kauft? Meine Mutter gibt es wohlfeil." So rief der Knabe. Da kam ein altes Weib ueber den Markt her; sie sah etwas zerrissen und zerlumpt aus, hatte ein kleines, spitziges Gesicht, vom Alter ganz eingefurcht, rote Augen und eine spitzige, gebogene Nase, die gegen das Kinn hinabstrebte; sie ging an einem langen Stock, und doch konnte man nicht sagen, wie sie ging; denn sie hinkte und rutschte und wankte; es war, als habe sie Raeder in den Beinen und koenne alle Augenblicke umstuelpen und mit der spitzigen Nase aufs Pflaster fallen. Die Frau des Schusters betrachtete dieses Weib aufmerksam. Es waren jetzt doch schon sechzehn Jahre, dass sie taeglich auf dem Markte sass, und nie hatte sie diese sonderbare Gestalt bemerkt. Aber sie erschrak unwillkuerlich, als die Alte auf sie zuhinkte und an ihren Koerben stillstand. "Seid Ihr Hanne, die Gemuesehaendlerin?" fragte das alte Weib mit unangenehmer, kraechzender Stimme, indem sie bestaendig den Kopf hin und her schuettelte. "Ja, die bin ich", antwortete die Schustersfrau, "ist Euch etwas gefaellig?" "Wollen sehen, wollen sehen! Kraeutlein schauen, Kraeutlein schauen, ob du hast, was ich brauche", antwortete die Alte, beugte sich nieder vor den Koerben und fuhr mit ein Paar dunkelbraunen, haesslichen Haenden in den Kraeuterkorb hinein, packte die Kraeutlein, die so schoen und zierlich ausgebreitet waren, mit ihren langen Spinnenfingern, brachte sie dann eins um das andere hinauf an die lange Nase und beroch sie hin und her. Der Frau des Schusters wollte es fast das Herz abdrucken, wie sie das alte Weib also mit ihren seltenen Kraeutern hantieren sah; aber sie wagte nichts zu sagen; denn es war das Recht des Kaeufers, die Ware zu pruefen, und ueberdies empfand sie ein sonderbares Grauen vor dem Weibe. Als jene den ganzen Korb durchgemustert hatte, murmelte sie: "Schlechtes Zeug, schlechtes Kraut, nichts von allem, was ich will, war viel besser vor fuenfzig Jahren; schlechtes Zeug, schlechtes Zeug!" Solche Reden verdrossen nun den kleinen Jakob. "Hoere, du bist ein unverschaemtes, altes Weib", rief er unmutig, "erst faehrst du mit deinen garstigen, braunen Fingern in die schoenen Kraeuter hinein und drueckst sie zusammen, dann haeltst du sie an deine lange Nase, dass sie niemand mehr kaufen mag, wer zugesehen, und jetzt schimpfst du noch unsere Ware schlechtes Zeug, und doch kauft selbst der Koch des Herzogs alles bei uns!" Das alte Weib schielte den mutigen Knaben an, lachte widerlich und sprach mit heiserer Stimme: "Soehnchen, Soehnchen! Also gefaellt dir meine Nase, meine schoene lange Nase? Sollst auch eine haben mitten im Gesicht bis uebers Kinn herab." Waehrend sie so sprach, rutschte sie an den andern Korb, in welchem Kohl ausgelegt war. Sie nahm die herrlichsten weissen Kohlhaeupter in die Hand, drueckte sie zusammen, dass sie aechzten, warf sie dann wieder unordentlich in den Korb und sprach auch hier: "Schlechte Ware, schlechter Kohl!" "Wackle nur nicht so garstig mit dem Kopf hin und her!" rief der Kleine aengstlich. "Dein Hals ist ja so duenne wie ein Kohlstengel, der koennte leicht abbrechen, und dann fiele dein Kopf hinein in den Korb; wer wollte dann noch kaufen!" "Gefallen sie dir nicht, die duennen Haelse?" murmelte die Alte lachend. "Sollst gar keinen haben, Kopf muss in den Schultern stecken, dass er nicht herabfaellt vom kleinen Koerperlein!" "Schwatzt doch nicht so unnuetzes Zeug mit dem Kleinen da", sagte endlich die Frau des Schusters im Unmut ueber das lange Pruefen, Mustern und Beriechen, "wenn Ihr etwas kaufen wollt, so sputet Euch, Ihr verscheucht mir ja die anderen Kunden." "Gut, es sei, wie du sagst", rief die Alte mit grimmigem Blick. "Ich will dir diese sechs Kohlhaeupter abkaufen; aber siehe, ich muss mich auf den Stab stuetzen und kann nichts tragen; erlaube deinem Soehnlein, dass es mir die Ware nach Hause bringt, ich will es dafuer belohnen." Der Kleine wollte nicht mitgehen und weinte; denn ihm graute vor der haesslichen Frau, aber die Mutter befahl es ihm ernstlich, weil sie es doch fuer eine Suende hielt, der alten, schwaechlichen Frau diese Last allein aufzubuerden; halb weinend tat er, wie sie befohlen, raffte die Kohlhaeupter in ein Tuch zusammen und folgte dem alten Weibe ueber den Markt hin. Es ging nicht sehr schnell bei ihr, und sie brauchte beinahe drei Viertelstunden, bis sie in einen ganz entlegenen Teil der Stadt kam und endlich vor einem kleinen, baufaelligen Hause stillhielt. Dort zog sie einen alten, rostigen Haken aus der Tasche, fuhr damit geschickt in ein kleines Loch in der Tuere, und ploetzlich sprang diese krachend auf. Aber wie war der kleine Jakob ueberrascht, als er eintrat! Das Innere des Hauses war prachtvoll ausgeschmueckt, von Marmor waren die Decke und die Waende, die Geraetschaften vom schoensten Ebenholz, mit Gold und geschaffenen Steinen eingelegt, der Boden aber war von Glas und so glatt, dass der Kleine einigemal ausglitt und umfiel. Die Alte aber zog ein silbernes Pfeifchen aus der Tasche und pfiff eine Weise darauf, die gellend durch das Haus toente. Da kamen sogleich einige Meerschweinchen die Treppe herab; dem Jakob wollte es aber ganz sonderbar duenken, dass sie aufrecht auf zwei Beinen gingen, Nussschalen statt Schuhen an den Pfoten trugen, menschliche Kleider angelegt und sogar Huete nach der neuesten Mode auf die Koepfe gesetzt hatten. "Wo habt ihr meine Pantoffeln, schlechtes Gesindel?" rief die Alte und schlug mit dem Stock nach ihnen, dass sie jammernd in die Hoehe sprangen. "Wie lange soll ich noch so dastehen?" Sie sprangen schnell die Treppe hinauf und kamen wieder mit ein Paar Schalen von Kokosnuss, mit Leder gefuettert, welche sie der Alten geschickt an die Fuesse steckten. Jetzt war alles Hinken und Rutschen vorbei. Sie warf den Stab von sich und glitt mit grosser Schnelligkeit ueber den Glasboden hin, indem sie den kleinen Jakob an der Hand mit fortzog. Endlich hielt sie in einem Zimmer stille, das, mit allerlei Geraetschaften ausgeputzt, beinahe einer Kueche glich, obgleich die Tische von Mahagoniholz und die Sofas, mit reichen Teppichen behaengt, mehr zu einem Prunkgemach passten. "Setze dich, Soehnchen", sagte die Alte recht freundlich, indem sie ihn in die Ecke eines Sofas drueckte und einen Tisch also vor ihn hinstellte, dass er nicht mehr hervorkommen konnte. "Setze dich, du hast gar schwer zu tragen gehabt, die Menschenkoepfe sind nicht so leicht, nicht so leicht." "Aber, Frau, was sprechet Ihr so wunderlich", rief der Kleine. "Muede bin ich zwar, aber es waren ja Kohlkoepfe, die ich getragen, Ihr habt sie meiner Mutter abgekauft." "Ei, das weisst du falsch", lachte das Weib, deckte den Deckel des Korbes auf und brachte einen Menschenkopf hervor, den sie am Schopf gefasst hatte. Der Kleine war vor Schrecken ausser sich; er konnte nicht fassen, wie dies alles zuging; aber er dachte an seine Mutter; wenn jemand von diesen Menschenkoepfen etwas erfahren wuerde, dachte er bei sich, da wuerde man gewiss meine Mutter dafuer anklagen. "Muss dir nun auch etwas geben zum Lohn, weil du so artig bist", murmelte die Alte, "gedulde dich nur ein Weilchen, will dir ein Sueppchen einbrocken, an das du dein Leben lang denken wirst." So sprach sie und pfiff wieder. Da kamen zuerst viele Meerschweinchen in menschlichen Kleidern; sie hatten Kuechenschuerzen umgebunden und im Guertel Ruehrloeffel und Tranchiermesser; nach diesen kam eine Menge Eichhoernchen hereingehuepft; sie hatten weite tuerkische Beinkleider an, gingen aufrecht, und auf dem Kopf trugen sie gruene Muetzchen von Samt. Diese schienen die Kuechenjungen zu sein; denn sie kletterten mit grosser Geschwindigkeit an den Waenden hinauf und brachten Pfannen und Schuesseln, Eier und Butter, Kraeuter und Mehl herab und trugen, es auf den Herd; dort aber fuhr die alte Frau auf ihren Pantoffeln von Kokosschalen bestaendig hin und her, und der Kleine sah, dass sie es sich recht angelegen sein lasse, ihm etwas Gutes zu kochen. Jetzt knisterte das Feuer hoeher empor, jetzt rauchte und sott es in der Pfanne, ein angenehmer Geruch verbreitete sich im Zimmer; die Alte aber rannte auf und ab, die Eichhoernchen und Meerschweinchen ihr nach, und so oft sie am Herde vorbeikam, guckte sie mit ihrer langen Nase in den Topf. Endlich fing es an zu sprudeln und zu zischen, Dampf stieg aus dem Topf hervor, und der Schaum floss herab ins Feuer. Da nahm sie ihn weg, goss davon in eine silberne Schale und setzte sie dem kleinen Jakob vor. "So, Soehnchen, so", sprach sie, "iss nur dieses Sueppchen, dann hast du alles, was dir an mir so gefallen! Sollst auch ein geschickter Koch werden, dass du noch etwas bist; aber Kraeutlein, nein, das Kraeutlein sollst du nimmer finden--Warum hat es deine Mutter nicht in ihrem Korb gehabt?" Der Kleine verstand nicht recht, was sie sprach, desto aufmerksamer behandelte er die Suppe, die ihm ganz trefflich schmeckte. Seine Mutter hatte ihm manche schmackhafte Speise bereitet; aber so gut war ihm noch nichts geworden. Der Duft von feinen Kraeutern und Gewuerzen stieg aus der Suppe auf, dabei war sie suess und saeuerlich zugleich und sehr stark. Waehrend er noch die letzten Tropfen der koestlichen Speise austrank, zuendeten die Meerschweinchen arabischen Weihrauch an, der in blaeulichen Wolken durch das Zimmer schwebte; dichter und immer dichter wurden diese Wolken und sanken herab, der Geruch des Weihrauchs wirkte betaeubend auf den Kleinen, er mochte sich zurufen, so oft er wollte, dass er zu seiner Mutter zurueckkehren muesse; wenn er sich ermannte, sank er immer wieder von neuem in den Schlummer zurueck und schlief endlich wirklich auf dem Sofa des alten Weibes ein. Sonderbare Traeume kamen ueber ihn. Es war ihm, als ziehe ihm die Alte seine Kleider aus und umhuelle ihn dafuer mit einem Eichhoernchenbalg. Jetzt konnte er Spruenge machen und klettern wie ein Eichhoernchen; er ging mit den uebrigen Eichhoernchen und Meerschweinchen, die sehr artige, gesittete Leute waren, um und hatte mit ihnen den Dienst bei der alten Frau. Zuerst wurde er nur zu den Diensten eines Schuhputzers gebraucht, d. h. er musste die Kokosnuesse, welche die Frau statt der Pantoffeln trug, mit Oel salben und durch Reiben glaenzend machen. Da er nun in seines Vaters Hause zu aehnlichen Geschaeften oft angehalten worden war, so ging es ihm flink von der Hand; etwa nach einem Jahre, traeumte er weiter, wurde er zu einem feineren Geschaeft gebraucht; er musste naemlich mit noch einigen Eichhoernchen Sonnenstaeubchen fangen und, wenn sie genug hatten, solche durch das feinste Haarsieb sieben. Die Frau hielt naemlich die Sonnenstaeubchen fuer das Allerfeinste, und weil sie nicht gut beissen konnte, denn sie hatte keinen Zahn mehr, so liess sie sich ihr Brot aus Sonnenstaeubchen zubereiten. Wiederum nach einem Jahre wurde er zu den Dienern versetzt, die das Trinkwasser fuer die Alte sammelten. Man denke nicht, dass sie sich hierzu etwa eine Zisterne haette graben lassen oder ein Fass in den Hof stellte, um das Regenwasser darin aufzufangen; da ging es viel feiner zu; die Eichhoernchen, und Jakob mit ihnen, mussten mit Haselnussschalen den Tau aus den Rosen schoepfen, und das war das Trinkwasser der Alten. Da sie nun bedeutend viel trank, so hatten die Wassertraeger schwere Arbeit. Nach einem Jahr wurde er zum inneren Dienst des Hauses bestellt; er hatte naemlich das Amt, die Boeden rein zu machen; da nun diese von Glas waren, worin man jeden Hauch sah, war das keine geringe Arbeit. Sie mussten sie buersten und altes ach an die Fuesse schnallen und auf diesem kuenstlich im Zimmer umherfahren. Im vierten Jahre ward er endlich zur Kueche versetzt. Es war dies ein Ehrenamt, zu welchem man nur nach langer Pruefung gelangen konnte. Jakob diente dort vom Kuechenjungen aufwaerts bis zum ersten Pastetenmacher und erreichte eine so ungemeine Geschicklichkeit und Erfahrung in allem, was die Kueche betrifft, dass er sich oft ueber sich selbst wundern musste; die schwierigsten Sachen, Pasteten von zweihunderterlei Essenzen, Kraeutersuppen, von allen Kraeutlein der Erde zusammengesetzt, alles lernte er, alles verstand er schnell und kraeftig zu machen. So waren etwa sieben Jahre im Dienste des alten Weibes vergangen, da befahl sie ihm eines Tages, indem sie die Kokosschuhe auszog, Korb und Krueckenstock zur Hand nahm, um auszugehen, er sollte ein Huehnlein rupfen, mit Kraeutern fuellen und solches schoen braeunlich und gelb roesten, bis sie wiederkaeme. Er tat dies nach den Regeln der Kunst. Er drehte dem Huehnlein den Kragen um, bruehte es in heissem Wasser, zog ihm geschickt die Federn aus, schabte ihm nachher die Haut, dass sie glatt und fein wurde, und nahm ihm die Eingeweide heraus. Sodann fing er an, die Kraeuter zu sammeln, womit er das Huehnlein fuellen sollte. In der Kraeuterkammer gewahrte er aber diesmal ein Wandschraenkchen, dessen Tuere halb geoeffnet war und das er sonst nie bemerkt hatte. Er ging neugierig naeher, um zu sehen, was es enthalte, und siehe da, es standen viele Koerbchen darinnen, von welchen ein starker, angenehmer Geruch ausging. Er oeffnete eines dieser Koerbchen und fand darin Kraeutlein von ganz besonderer Gestalt und Farbe. Die Stengel und Blaetter waren blaugruen und trugen oben eine kleine Blume von brennendem Rot, mit Gelb verbraemt; er betrachtete sinnend diese Blume, beroch sie, und sie stroemte denselben starken Geruch aus, von dem einst jene Suppe, die ihm die Alte gekocht, geduftet hatte. Aber so stark war der Geruch, dass er zu niesen anfing, immer heftiger niesen musste und--am Ende niesend erwachte. Da lag er auf dem Sofa des alten Weibes und blickte verwundert umher. "Nein, wie man aber so lebhaft traeumen kann!" sprach er zu sich, "haette ich jetzt doch schwoeren wollen, dass ich ein schnoedes Eichhoernchen, ein Kamerad von Meerschweinen und anderem Ungeziefer, dabei aber ein grosser Koch geworden sei. Wie wird die Mutter lachen, wenn ich ihr alles erzaehle! Aber wird sie nicht auch schmaelen, dass ich in einem fremden Hause einschlafe, statt ihr zu helfen auf dem Markte?" Mit diesen Gedanken raffte er sich auf, um hinwegzugehen; noch waren seine Glieder vom Schlafe ganz steif, besonders sein Nacken, denn er konnte den Kopf nicht recht hin und her bewegen; er musste auch selbst ueber sich laecheln, dass er so schlaftrunken war; denn alle Augenblicke, ehe er es sich versah, stiess er mit der Nase an einen Schrank oder an die Wand oder schlug sie, wenn er sich schnell umwandte, an einen Tuerpfosten. Die Eichhoernchen und Meerschweinchen liefen winselnd um ihn her, als wollten sie ihn begleiten, er lud sie auch wirklich ein, als er auf der Schwelle war, denn es waren niedliche Tierchen; aber sie fuhren auf ihren Nussschalen schnell ins Haus zurueck, und er hoerte sie nur noch in der Ferne heulen. Es war ein ziemlich entlegener Teil der Stadt, wohin ihn die Alte gefuehrt hatte, und er konnte sich kaum aus den engen Gassen herausfinden, auch war dort ein grosses Gedraenge; denn es musste sich, wie ihm duenkte, gerade in der Naehe ein Zwerg sehen lassen; ueberall hoerte er rufen: "Ei, sehet den haesslichen Zwerg! Wo kommt der Zwerg her? Ei, was hat er doch fuer eine lange Nase, und wie ihm der Kopf in den Schultern steckt, und die braunen, haesslichen Haende!" Zu einer andern Zeit waere er wohl auch nachgelaufen, denn er sah fuer sein Leben gern Riesen oder Zwerge oder seltsame fremde Trachten, aber so musste er sich sputen, um zur Mutter zu kommen. Es war ihm ganz aengstlich zumute, als er auf den Markt kam. Die Mutter sass noch da und hatte noch ziemlich viele Fruechte im Korb, lange konnte er also nicht geschlafen haben; aber doch kam es ihm von weitem schon vor, als sei sie sehr traurig; denn sie rief die Voruebergehenden nicht an, einzukaufen, sondern hatte den Kopf in die Hand gestuetzt, und als er naeher kam, glaubte er auch, sie sei bleicher als sonst. Er zauderte, was er tun sollte; endlich fasste er sich ein Herz, schlich sich hinter sie hin, legte traulich seine Hand auf ihren Arm und sprach: "Muetterchen, was fehlt dir? Bist du boese auf mich?" Die Frau wandte sich um nach ihm, fuhr aber mit einem Schrei des Entsetzens zurueck. "Was willst du von mir, haesslicher Zwerg?" rief sie. "Fort, fort! Ich kann dergleichen Possenspiele nicht leiden." "Aber, Mutter, was hast du denn?" fragte Jakob ganz erschrocken. "Dir ist gewiss nicht wohl; warum willst du denn deinen Sohn von dir jagen?" "Ich habe dir schon gesagt, gehe deines Weges!" entgegnete Frau Hanne zuernend. "Bei mir verdienst du kein Geld durch deine Gaukeleien, haessliche Missgeburt!" "Wahrhaftig, Gott hat ihr das Licht des Verstandes geraubt!" sprach der Kleine bekuemmert zu sich. "Was fange ich nur an, um sie nach Haus zu bringen? Lieb Muetterchen, so sei doch nur vernuenftig; sieh mich doch nur recht an; ich bin ja dein Sohn, dein Jakob." "Nein, jetzt wird mir der Spass zu unverschaemt", rief Hanne ihrer Nachbarin zu, "seht nur den haesslichen Zwerg da; da steht er und vertreibt mir gewiss alle Kaeufer, und mit meinem Unglueck wagt er zu spotten. Spricht zu mir: Ich bin ja dein Sohn, dein Jakob! Der Unverschaemte!" Da erhoben sich die Nachbarinnen und fingen an zu schimpfen, so arg sie konnten--und Marktweiber, wisset ihr wohl, verstehen es--, und schalten ihn, dass er des Ungluecks der armen Hanne spotte, der vor sieben Jahren ihr bildschoener 'Knabe gestohlen worden sei, und drohten, insgesamt ueber ihn herzufallen und ihn zu zerkratzen, wenn er nicht alsobald ginge. Der arme Jakob wusste nicht, was er von diesem allem denken sollte. War er doch, wie er glaubte, heute frueh wie gewoehnlich mit der Mutter auf den Markt gegangen, hatte ihr die Fruechte aufstellen helfen, war nachher mit dem alten Weib in ihr Haus gekommen, hatte ein Sueppchen verzehrt, ein kleines Schlaefchen gemacht und war jetzt wieder da, und doch sprachen die Mutter und die Nachbarinnen von sieben Jahren! Und sie nannten ihn einen garstigen Zwerg! Was war denn nun mit ihm vorgegangen?--Als er sah, dass die Mutter gar nichts mehr von ihm hoeren wollte, traten ihm die Traenen in die Augen, und er ging trauernd die Strasse hinab nach der Bude, wo sein Vater den Tag ueber Schuhe flickte. "Ich will doch sehen", dachte er bei sich, "ob er mich auch nicht kennen will, unter die Tuere will ich mich stellen und mit ihm sprechen." Als er an der Bude des Schusters angekommen war, stellte er sich unter die Tuere und schaute hinein. Der Meister war so emsig mit seiner Arbeit beschaeftigt, dass er ihn gar nicht sah; als er aber zufaellig einen Blick nach der Tuere warf, liess er Schuhe, Draht und Pfriem auf die Erde fallen und rief mit Entsetzen: "Um Gottes willen, was ist das, was ist das!" "Guten Abend, Meister!" sprach der Kleine, indem er vollends in den Laden trat. "Wie geht es Euch?" "Schlecht, schlecht, kleiner Herr!" antwortete der Vater zu Jakobs grosser Verwunderung; denn er schien ihn auch nicht zu kennen. "Das Geschaeft will mir nicht von der Hand. Bin so allein und werde jetzt alt; doch ist mir ein Geselle zu teuer." "Aber habt Ihr denn kein Soehnlein, das Euch nach und nach an die Hand gehen koennte bei der Arbeit?" forschte der Kleine weiter. "Ich hatte einen, er hiess Jakob und muesste jetzt ein schlanker, gewandter Bursche von zwanzig Jahren sein, der mir tuechtig unter die Arme greifen koennte. Ha, das muesste ein Leben sein! Schon als er zwoelf Jahre alt war, zeigte er sich so anstellig und geschickt und verstand schon manches vom Handwerk, und huebsch und angenehm war er auch; der haette mir eine Kundschaft hergelockt, dass ich bald nicht mehr geflickt, sondern nichts als Neues geliefert haette! Aber so geht's in der Welt!" "Wo ist denn aber Euer Sohn?" fragte Jakob mit zitternder Stimme seinen Vater. "Das weiss Gott", antwortete er, "vor sieben Jahren, ja, so lange ist's jetzt her, wurde er uns vom Markte weg gestohlen." 'Vor sieben Jahren!" rief Jakob mit Entsetzen. "Ja, kleiner Herr, vor sieben Jahren; ich weiss noch wie heute, wie mein Weib nach Hause kam, heulend und schreiend, das Kind sei den ganzen Tag nicht zurueckgekommen, sie aber ueberall geforscht und gesucht und es nicht gefunden. Ich habe es immer gedacht und gesagt, dass es so kommen wuerde; er Jakob war ein schoenes Kind, das muss man sagen; da war meine Frau stolz auf ihn und sah es gerne, wenn ihn die Leute lobten, und schickte ihn oft mit Gemuese und dergleichen in vornehme Haeuser. Das war schon recht; er wurde allemal reichlich beschenkt; aber, sagte ich, gib acht! Die Stadt ist gross; viele schlechte Leute wohnen da, gib mir auf den Jakob acht! Und so war es, wie ich sagte. Kommt einmal ein altes, haessliches Weib auf den Markt, feilscht um Fruechte und Gemuese und kauft am Ende so viel, dass sie es nicht selbst tragen kann. Mein Weib, die mitleidige Seele, gibt ihr den Jungen mit und--hat ihn zur Stunde nicht mehr gesehen." "Und das ist jetzt sieben Jahre, sagt Ihr?" "Sieben Jahre wird es im Fruehling. Wir liessen ihn ausrufen, wir gingen von Haus zu Haus und fragten; manche hatten den huebschen Jungen gekannt und liebgewonnen und suchten jetzt mit uns, alles vergeblich. Auch die Frau, welche das Gemuese gekauft hatte, wollte niemand kennen; aber ein steinaltes Weib, die schon neunzig Jahre gelebt hatte, sagte, es koenne wohl die boese Fee Kraeuterweis gewesen sein, die alle fuenfzig Jahre einmal in die Stadt komme, um sich allerlei einzukaufen." So sprach Jakobs Vater und klopfte dabei seine Schuhe weidlich und zog den Draht mit beiden Faeusten weit hinaus. Dem Kleinen aber wurde es nach und nach klar, was mit ihm vorgegangen, dass er naemlich nicht getraeumt, sondern dass er sieben Jahre bei der boesen Fee als Eichhoernchen gedient habe. Zorn und Gram erfuellten sein Herz so sehr, dass es beinahe zerspringen wollte. Sieben Jahre seiner Jugend hatte ihm die Alte gestohlen, und was hatte er fuer Ersatz dafuer? Dass er Pantoffeln von Kokosnuessen blank putzen, dass er ein Zimmer mit glaesernem Fussboden reinmachen konnte? Dass er von den Meerschweinchen alle Geheimnisse der Kueche gelernt hatte? Er stand eine gute Weile so da und dachte ueber sein Schicksal nach; da fragte ihn endlich sein Vater: "Ist Euch vielleicht etwas von meiner Arbeit gefaellig, junger Herr? Etwa ein Paar neue Pantoffeln oder", setzte er laechelnd hinzu, "vielleicht ein Futteral fuer Eure Nase?" "Was wollt Ihr nur mit meiner Nase?" fragte Jakob, "warum sollte ich denn ein Futteral dazu brauchen?" "Nun", entgegnete der Schuster, "jeder nach seinem Geschmack; aber das muss ich Euch sagen, haette ich diese schreckliche Nase, ein Futteral liess ich mir darueber machen von rosenfarbigem Glanzleder. Schaut, da habe ich ein schoenes Stueckchen zur Hand; freilich wuerde man eine Elle wenigstens dazu brauchen. Aber wie gut waeret Ihr verwahrt, kleiner Herr; so, weiss ich gewiss, stosst Ihr Euch an jedem Tuerpfosten, an jedem Wagen, dem Ihr ausweichen wollet." Der Kleine stand stumm vor Schrecken; er belastete seine Nase, sie war dick und wohl zwei Haende lang! So hatte also die Alte auch seine Gestalt verwandelt! Darum kannte ihn also die Mutter nicht? Darum schalt man ihn einen haesslichen Zwerg?! "Meister!" sprach er halb weinend zu dem Schuster, "habt Ihr keinen Spiegel bei der Hand, worin ich mich beschauen koennte?" "Junger Herr", erwiderte der Vater mit Ernst, "Ihr habt nicht gerade eine Gestalt empfangen, die Euch eitel machen koennte, und Ihr habt nicht Ursache, alle Stunden in den Spiegel zu gucken. Gewoehnt es Euch ab, es ist besonders bei Euch eine laecherliche Gewohnheit." "Ach, so lasst mich doch in den Spiegel schauen", rief der Kleine, "gewiss, es ist nicht aus Eitelkeit!" "Lasset mich in Ruhe, ich hab' keinen im Vermoegen; meine Frau hat ein Spiegelchen, ich weiss aber nicht, wo sie es verborgen. Muesst Ihr aber durchaus in den Spiegel gucken, nun, ueber der Strasse hin wohnt Urban, der Barbier, der hat einen Spiegel, zweimal so gross als Euer Kopf; gucket dort hinein, und indessen guten Morgen!" Mit diesen Worten schob ihn der Vater ganz gelinde zur Bude hinaus, schloss die Tuer hinter ihm zu und setzte sich wieder zur Arbeit. Der Kleine aber ging sehr niedergeschlagen ueber die Strasse zu Urban, dem Barbier, den er noch aus frueheren Zeiten wohl kannte. "Guten Morgen, Urban", sprach er zu ihm, "ich komme, Euch um eine Gefaelligkeit zu bitten; seid so gut und lasset mich ein wenig in Euren Spiegel schauen!" "Mit Vergnuegen, dort steht er", rief der Barbier lachend, und seine Kunden, denen er den Bart scheren sollte, lachten weidlich mit. "Ihr seid ein huebsches Buerschchen, schlank und fein, ein Haelschen wie ein Schwan, Haendchen wie eine Koenigin, und ein Stumpfnaeschen, man kann es nicht schoener sehen. Ein wenig eitel seid Ihr darauf, das ist wahr; aber beschauet Euch immer! Man soll nicht von mir sagen, ich habe Euch aus Neid nicht in meinen Spiegel schauen lassen." So sprach der Barbier, und wieherndes Gelaechter faellte die Baderstube. Der Kleine aber war indes vor den Spiegel getreten und hatte sich beschaut. Traenen traten ihm in die Augen. "Ja, so konntest du freilich deinen Jakob nicht wiedererkennen, liebe Mutter", sprach er zu sich, "so war er nicht anzuschauen in den Tagen der Freude, wo du gerne mit ihm prangtest vor den Leuten!" Seine Augen waren klein geworden wie die der Schweine, seine Nase war ungeheuer und hing ueber Mund und Kinn herunter, der Hals schien gaenzlich weggenommen worden zu sein; denn sein Kopf stak tief in den Schultern, und nur mit den groessten Schmerzen konnte er ihn rechts und links bewegen. Sein Koerper war noch so gross als vor sieben Jahren, da er zwoelf Jahre alt war; aber wenn andere vom zwoelften bis ins zwanzigste in die Hoehe wachsen, so wuchs er in die Breite, der Ruecken und die Brust waren weit ausgebogen und waren anzusehen wie ein kleiner, aber sehr dick gefaellter Sack; dieser dicke Oberleib sass auf kleinen, schwachen Beinchen, die dieser Last nicht gewachsen schienen, aber um so groesser waren die Arme, die ihm am Leib herabhingen, sie hatten die Groesse wie die eines wohlgewachsenen Mannes, seine Haende waren grob und braungelb, seine Finger lang und spinnenartig, und wenn er sie recht ausstreckte, konnte er damit auf den Boden reichen, ohne dass er sich bueckte. So sah er aus, der kleine Jakob, zum missgestalteten Zwerg war er geworden. Jetzt gedachte er auch jenes Morgens, an welchem das alte Weib an die Koerbe seiner Mutter getreten war. Alles, was er damals an ihr getadelt hatte, die lange Nase, die haesslichen Finger, alles hatte sie ihm angetan, und nur den langen, zitternden Hals hatte sie gaenzlich weggelassen. "Nun, habt Ihr Euch jetzt genug beschaut, mein Prinz?" sagte der Barbier, indem er zu ihm trat und ihn lachend betrachtete. "Wahrlich, wenn man sich dergleichen traeumen lassen wollte, so komisch koennte es einem im Traume nicht vorkommen. Doch ich will Euch einen Vorschlag machen, kleiner Mann. Mein Barbierzimmer ist zwar sehr besucht, aber doch seit neuerer Zeit nicht so, wie ich wuensche. Das kommt daher, weil mein Nachbar, der Barbier Schaum, irgendwo einen Riesen aufgefunden hat, der ihm die Kunden ins Haus lockt. Nun, ein Riese zu werden, ist gerade keine Kunst, aber so ein Maennchen wie Ihr, ja, das ist schon ein ander Ding. Tretet bei mir in Dienste, kleiner Mann, Ihr sollt Wohnung, Essen, Trinken, Kleider, alles sollt Ihr haben; dafuer stellt Ihr Euch morgens unter meine Tuere und ladet die Leute ein, hereinzukommen. Ihr schlaget den Seifenschaum, reichet den Kunden das Handtuch und seid versichert, wir stehen uns beide gut dabei; ich bekomme mehr Kunden als jener mit dem Riesen, und jeder gibt Euch gerne noch ein Trinkgeld." Der Kleine war in seinem Innern empoert ueber den Vorschlag, als Lockvogel fuer einen Barbier zu dienen. Aber musste er sich nicht diesen Schimpf geduldig gefallen lassen? Er sagte dem Barbier daher ganz ruhig, dass er nicht Zeit habe zu dergleichen Diensten, und ging weiter. Hatte das boese alte Weib seine Gestalt unterdrueckt, so hatte sie doch seinem Geist nichts anhaben koennen, das fuehlte er wohl; denn er dachte und fuehlte nicht mehr, wie er vor sieben Jahren getan; nein, er glaubte in diesem Zeitraum weiser, verstaendiger geworden zu sein; er trauerte nicht um seine verlorene Schoenheit, nicht ueber diese haessliche Gestalt, sondern nur darueber, dass er wie ein Hund von der Tuere seines Vaters gejagt werde. Darum beschloss er, noch einen Versuch bei seiner Mutter zu machen. Er trat zu ihr auf den Markt und bat sie, ihm ruhig zuzuhoeren. Er erinnerte sie an jenen Tag, an welchem er mit dem alten Weibe gegangen, er erinnerte sie an alle einzelnen Vorfaelle seiner Kindheit, erzaehlte ihr dann, wie er sieben Jahre als Eichhoernchen gedient habe bei der Fee und wie sie ihn verwandelte, weil er sie damals getadelt. Die Frau des Schusters wusste nicht, was sie denken sollte. Alles traf zu, was er ihr von seiner Kindheit erzaehlte, aber wenn er davon sprach, dass er sieben Jahre lang ein Eichhoernchen gewesen sei, da sprach sie: "Es ist unmoeglich, und es gibt keine Feen", und wenn sie ihn ansah, so verabscheute sie den haesslichen Zwerg und glaubte nicht, dass dies ihr Sohn sein koenne. Endlich hielt sie es fuers beste, mit ihrem Manne darueber zu sprechen. Sie raffte also ihre Koerbe zusammen und hiess ihn mitgehen. So kamen sie zu der Bude des Schusters. "Sieh einmal", sprach sie zu diesem, "der Mensch da will unser verlorner Jakob sein. Er hat mir alles erzaehlt, wie er uns vor sieben Jahren gestohlen wurde und wie er von einer Fee verzaubert worden sei." "So?" unterbrach sie der Schuster mit Zorn, "hat er dir dies erzaehlt? Warte, du Range! Ich habe ihm alles erzaehlt noch vor einer Stunde, und jetzt geht er hin, dich so zu foppen! Verzaubert bist du worden, mein Soehnchen? Warte doch, ich will dich wieder entzaubern." Dabei nahm er ein Buendel Riemen, die er eben zugeschnitten hatte, sprang auf den Kleinen zu und schlug ihn auf den hohen Ruecken und auf die langen Arme, dass der Kleine vor Schmerz aufschrie und weinend davonlief. In jener Stadt gibt es, wie ueberall, wenige mitleidige Seelen, die einen Ungluecklichen, der zugleich etwas Laecherliches an sich traegt, unterstuetzen. Daher kam es, dass der unglueckliche Zwerg den ganzen Tag ohne Speise und Trank blieb und abends die Treppen einer Kirche, so hart und kalt sie waren, zum Nachtlager waehlen musste. Als ihn aber am naechsten Morgen die ersten Strahlen der Sonne erweckten, da dachte er ernstlich darueber nach, wie er sein Leben fristen koenne, da ihn Vater und Mutter verstossen. Er fuehlte sich zu stolz, um als Aushaengeschild eines Barbiers zu dienen, er wollte nicht zu einem Possenreisser sich verdingen und sich um Geld sehen lassen. Was sollte er anfangen? Da fiel ihm mit einemmal bei, dass er als Eichhoernchen grosse Fortschritte in der Kochkunst gemacht habe; er glaubte nicht mit Unrecht, hoffen zu duerfen, dass er es mit manchem Koch aufnehmen koenne; er beschloss, seine Kunst zu benuetzen. Sobald es daher lebhafter wurde auf den Strassen und der Morgen ganz heraufgekommen war, trat er zuerst in die Kirche und verrichtete sein Gebet. Dann trat er seinen Weg an. Der Herzog, der Herr des Landes, o Herr, war ein bekannter Schlemmer und Lecker, der eine gute Tafel liebte und seine Koeche in allen Weltteilen aufsuchte. Zu seinem Palast begab sich der Kleine. Als er an die aeusserste Pforte kam, fragten die Tuerhueter nach seinem Begehr und hatten ihren Spott mit ihm; er aber verlangte nach dem Oberkuechenmeister. Sie lachten und fuehrten ihn durch die Vorhoefe, und wo er hinkam, blieben die Diener stehen, schauten nach ihm, lachten weidlich und schlossen sich an, so dass nach und nach ein ungeheurer Zug von Dienern aller Art sich die Treppe des Palastes hinaufbewegte; die Stallknechte warfen ihre Striegel weg, die Laeufer liefen, was sie konnten, die Teppichbreiter vergassen, die Teppiche auszuklopfen, alles draengte und trieb sich, es war ein Gefuehl, als sei der Feind vor den Toren, und das Geschrei: "Ein Zwerg, ein Zwerg! Habt ihr den Zwerg gesehen?" faellte die Luefte. Da erschien der Aufseher des Hauses mit grimmigem Gesicht, eine ungeheure Peitsche in der Hand, in der Tuere. "Um des Himmels willen, ihr Hunde, was macht ihr solchen Laerm! Wisset ihr nicht, dass der Herr noch schlaeft?" Und dabei schwang er die Geissel und liess sie unsanft auf den Ruecken einiger Stallknechte und Tuerhalter niederfallen. "Ach, Herr!" riefen sie, "seht Ihr denn nicht? Da bringen wir einen Zwerg, einen Zwerg, wie Ihr noch keinen gesehen." Der Aufseher des Palastes zwang sich mit Muehe, nicht laut aufzulachen, als er des Kleinen ansichtig wurde; denn er fuerchtete, durch Lachen seiner Wuerde zu schaden. Er trieb daher mit der Peitsche die uebrigen hinweg, fuehrte den Kleinen ins Haus und fragte nach seinem Begehr. Als er hoerte, jener wolle zum Kuechenmeister, erwiderte er--"Du irrst dich, mein Soehnchen; zu mir, dem Aufseher des Hauses, willst du; du willst Leibzwerg werden beim Herzog; ist es nicht also?" "Nein, Herr!" antwortete der Zwerg. "Ich bin ein geschickter Koch und erfahren in allerlei seltenen Speisen; wollet mich zum Oberkuechenmeister bringen; vielleicht kann er meine Kunst brauchen." "Jeder nach seinem Willen, kleiner Mann; uebrigens bist du doch ein unbesonnener Junge. In die Kueche! Als Leibzwerg haettest du keine Arbeit gehabt und Essen und Trinken nach Herzenslust und schoene Kleider. Doch, wir wollen sehen, deine Kochkunst wird schwerlich so weit reichen, als ein Mundkoch des Herren noetig hat, und zum Kuechenjungen bist du zu gut." Bei diesen Worten nahm ihn der Aufseher des Palastes bei der Hand und fuehrte ihn in die Gemaecher des Oberkuechenmeisters. "Gnaediger Herr", sprach dort der Zwerg und verbeugte sich so tief, dass er mit der Nase den Fussteppich beruehrte, "brauchet Ihr keinen geschickten Koch?" Der Oberkuechenmeister betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Fuessen, brach dann in lautes Lachen aus und sprach: "Wie?" rief er, "du ein Koch? Meinst du, unsere Herde seien so niedrig, dass du nur auf einen hinaufschauen kannst, wenn du dich auch auf die Zehen stellst und den Kopf recht aus den Schultern herausarbeitest? O lieber Kleiner! Wer dich zu mir geschickt hat, um dich als Koch zu verdingen, der hat dich zum Narren gehabt." So sprach der Oberkuechenmeister und lachte weidlich, und mit ihm lachten der Aufseher des Palastes und alle Diener, die im Zimmer waren. Der Zwerg aber liess sich nicht aus der Fassung bringen. "Was liegt an einem Ei oder zweien, an ein wenig Sirup und Wein, an Mehl und Gewuerze in einem Hause, wo man dessen genug hat?" sprach er. "Gebet mir irgendeine leckerhafte Speise zu bereiten auf, schaffet mir, was ich dazu brauche, und sie soll vor Euren Augen schnell bereitet sein, und Ihr sollet sagen muessen, er ist ein Koch nach Regel und Recht." Solche und aehnliche Reden fuehrte der Kleine, und es war wunderlich anzuschauen, wie es dabei aus seinen kleinen Aeuglein hervorblitzte, wie seine lange Nase sich hin und her schlaengelte und seine duennen Spinnenfinger seine Rede begleiteten. "Wohlan!" rief der Kuechenmeister und nahm den Aufseher des Palastes unter dem Arme, "wohlan, es sei um des Spasses willen; lasset uns zur Kueche gehen!" Sie gingen durch mehrere Saele und Gaenge und kamen endlich in die Kueche. Es war dies ein grosses, weitlaeufiges Gebaeude, herrlich eingerichtet; auf zwanzig Herden brannten bestaendig Feuer; ein klares Wasser, das zugleich zum Fischbehaelter diente, floss mitten durch sie, in Schraenken von Marmor und koestlichem Holz waren die Vorraete aufgestellt, die man immer zur Hand haben musste, und zur Rechten und Linken waren zehn Saele, in welchen alles aufgespeichert war, was man in allen Laendern von Frankistan und selbst im Morgenlande Koestliches und Leckeres fuer den Gaumen erfunden. Kuechenbedienstete aller Art liefen umher und rasselten und hantierten mit Kesseln und Pfannen, mit Gabeln und Schaumloeffeln; als aber der Oberkuechenmeister in die Kueche eintrat, blieben sie alle regungslos stehen, und nur das Feuer hoerte man noch knistern und das Baechlein rieseln. "Was hat der Herr heute zum Fruehstueck befohlen?" fragte der Meister den ersten Fruehstuecksmacher, einen alten Koch. "Herr, die daenische Suppe hat er geruht zu befehlen und rote Hamburger Kloesschen." "Gut", sprach der Kuechenmeister weiter, "hast du gehoert, was der Herr speisen will? Getraust du dich, diese schwierigen Speisen zu bereiten? Die Kloesschen bringst du auf keinen Fall heraus, das ist ein Geheimnis." "Nichts leichter als dies", erwiderte zu allgemeinem Erstaunen der Zwerg; denn er hatte diese Speisen als Eichhoernchen oft gemacht; "nichts leichter! Man gebe mir zu der Suppe die und die Kraeuter, dies und jenes Gewuerz, Fett von einem wilden Schwein, Wurzeln und Eier; zu den Kloesschen aber", sprach er leiser, dass es nur der Kuechenmeister und der Fruehstuecksmacher hoeren konnten, "zu den Kloesschen brauche ich viererlei Fleisch, etwas Wein, Entenschmalz, Ingwer und ein gewisses Kraut, das man Magentrost heisst." "Hai Bei St. Benedikt! Bei welchem Zauberer hast du gelernt?" rief der Koch mit Staunen. "Alles bis auf ein Haar hat er gesagt, und das Kraeutlein Magentrost haben wir selbst nicht gewusst; ja, das muss es noch angenehmer machen. O du Wunder von einem Koch!" "Das haette ich nicht gedacht", sagte der Oberkuechenmeister, "doch lassen wir ihn die Probe machen; gebt ihm die Sachen, die er verlangt, Geschirr und alles, und lasset ihn das Fruehstueck bereiten." Man tat, wie er befohlen, und ruestete alles auf dem Herde zu; aber da fand es sich, dass der Zwerg kaum mit der Nase bis an den Herd reichen konnte. Man setzte daher ein paar Stuehle zusammen, legte eine Marmorplatte darueber und lud den kleinen Wundermann ein, sein Kunststueck zu beginnen. In einem grossen Kreise standen die Koeche, Kuechenjungen, Diener und allerlei Volk umher und sahen zu und staunten, wie ihm alles so flink und fertig von der Hand ging, wie er alles so reinlich und niedlich bereitete. Als er mit der Zubereitung fertig war, befahl er, beide Schuesseln ans Feuer zu setzen und genau so lange kochen zu lassen, bis er rufen werde; dann fing er an zu zaehlen, eins, zwei drei und so fort, und gerade als er fuenfhundert gezaehlt hatte, rief er: "Halt!" Die Toepfe wurden weggesetzt, und der Kleine lud den Kuechenmeister ein, zu kosten. Der Mundkoch liess sich von einem Kuechenjungen einen goldenen Loeffel reichen, spuelte ihn im Bach und ueberreichte ihn dem Oberkuechenmeister. Dieser trat mit feierlicher Miene an den Herd, nahm von den Speisen, kostete, drueckte die Augen zu, schnalzte vor Vergnuegen mit der Zunge und sprach dann: "Koestlich, bei des Herzogs Leben, koestlich! Wollet Ihr nicht auch ein Loeffelchen zu Euch nehmen, Aufseher des Palastes?" Dieser verbeugte sich, nahm den Loeffel, versuchte und war vor Vergnuegen und Lust ausser sich. "Eure Kunst in Ehren, lieber Fruehstuecksmacher, Ihr seid ein erfahrener Koch; aber so herrlich habt Ihr weder die Suppe noch die Hamburger Kloesse machen koennen!" Auch der Koch kostete jetzt, schuettelte dann dem Zwerg ehrfurchtsvoll die Hand und sagte: "Kleiner! Du bist Meister in der Kunst, ja, das Kraeutlein Magentrost, das gibt allem einen ganz eigenen Reiz." In diesem Augenblick kam der Kammerdiener des Herzogs in die Kueche und berichtete, dass der Herr das Fruehstueck verlange. Die Speisen wurden nun auf silberne Platten gelegt und dem Herzog zugeschickt; der Oberkuechenmeister aber nahm den Kleinen in sein Zimmer und unterhielt sich mit ihm. Kaum waren sie aber halb so lange da, als man ein Paternoster spricht (es ist dies das Gebet der Franken, o Herr, und dauert nicht halb so lange als das Gebet der Glaeubigen), so kam schon ein Bote und rief den Oberkuechenmeister zum Herrn. Er kleidete sich schnell in sein Festkleid und folgte dem Boten. Der Herzog sah sehr vergnuegt aus. Er hatte alles aufgezehrt, was auf den silbernen Platten gewesen war, und wischte sich eben den Bart ab, als der Oberkuechenmeister zu ihm eintrat. "Hoere, Kuechenmeister", sprach er, "ich bin mit deinen Koechen bisher immer sehr zufrieden gewesen; aber sage mir, wer hat heute mein Fruehstueck bereitet? So koestlich war es nie, seit ich auf dem Thron meiner Vaeter sitze; sage an, wie er heisst, der Koch, dass wir ihm einige Dukaten zum Geschenk schicken." "Herr, das ist eine wunderbare Geschichte", antwortete der Oberkuechenmeister und erzaehlte, wie man ihm heute frueh einen Zwerg gebracht, der durchaus Koch werden wollte und wie sich dies alles begeben. Der Herzog verwunderte sich hoechlich, liess den Zwerg vor sich rufen und fragte ihn aus, wer er sei und woher er komme. Da konnte nun der arme Jakob freilich nicht sagen, dass er verzaubert worden sei und frueher als Eichhoernchen gedient habe; doch blieb er bei der Wahrheit, indem er erzaehlte, er sei jetzt ohne Vater und Mutter und habe bei einer alten Frau kochen gelernt. Der Herzog fragte nicht weiter, sondern ergoetzte sich an der sonderbaren Gestalt seines neuen Kochs. "Willst du bei mir bleiben", sprach er, "so will ich dir jaehrlich fuenfzig Dukaten, ein Festkleid und noch ueberdies zwei Paar Beinkleider reichen lassen. Dafuer musst du aber taeglich mein Fruehstueck selbst bereiten, musst angeben, wie das Mittagessen gemacht werden soll, und Oberhaupt dich meiner Kueche annehmen. Da jeder in meinem Palast seinen eigenen Namen von mir empfaengt, so sollst du Nase heissen und die Wuerde eines Unterkuechenmeisters bekleiden." Der Zwerg Nase fiel nieder vor dem maechtigen Herzog in Frankenland, kuesste ihm die Fuesse und versprach, ihm treu zu dienen. So war nun der Kleine fuers erste versorgt, und er machte seinem Amt Ehre. Denn man kann sagen, dass der Herzog ein ganz anderer Mann war, waehrend der Zwerg Nase sich in seinem Hause aufhielt. Sonst hatte es ihm oft beliebt, die Schuesseln oder Platten, die man ihm auftrug, den Koechen an den Kopf zu werfen; ja, dem Oberkuechenmeister selbst warf er im Zorn einmal einen gebackenen Kalbsfass, der nicht weich genug geworden war, so heftig an die Stirne, dass er umfiel und drei Tage zu Bett liegen musste. Der Herzog machte zwar, was er im Zorn getan, durch einige Haende voll Dukaten wieder gut, aber dennoch war nie ein Koch ohne Zittern und Zagen mit den Speisen zu ihm gekommen. Seit der Zwerg im Hause war, schien alles wie durch Zauber umgewandelt. Der Herr ass jetzt statt dreimal des Tages fuenfmal, um sich an der Kunst seines kleinsten Dieners recht zu laben, und dennoch verzog er nie eine Miene zum Unmut. Nein, er fand alles neu, trefflich, war leutselig und angenehm und wurde von Tag zu Tag fetter. Oft liess er mitten unter der Tafel den Kuechenmeister und den Zwerg Nase rufen, setzte den einen rechts, den anderen links zu sich und schob ihnen mit seinen eigenen Fingern einige Bissen der koestlichsten Speisen in den Mund, eine Gnade, welche sie beide wohl zu schaetzen wussten. Der Zwerg war das Wunder der Stadt. Man erbat sich flehentlich Erlaubnis vom Oberkuechenmeister, den Zwerg kochen zu sehen, und einige der vornehmsten Maenner hatten es so weit gebracht beim Herzog, dass ihre Diener in der Kueche beim Zwerg Unterrichtsstunden geniessen durften, was nicht wenig Geld eintrug; denn jeder zahlte taeglich einen halben Dukaten. Und um die uebrigen Koeche bei guter Laune zu erhalten und sie nicht neidisch auf ihn zu machen, ueberliess ihnen Nase dieses Geld, das die Herren fuer den Unterricht ihrer Koeche zahlen mussten. So lebte Nase beinahe zwei Jahre in aeusserlichem Wohlleben und Ehre, und nur der Gedanke an seine Eltern betruebte ihn; so lebte er, ohne etwas Merkwuerdiges zu erfahren, bis sich folgender Vorfall ereignete. Der Zwerg Nase war besonders geschickt und gluecklich in seinen Einkaeufen. Daher ging er, so oft es ihm die Zeit erlaubte, immer selbst auf den Markt, um Gefluegel und Fruechte einzukaufen. Eines Morgens ging er auch auf den Gaensemarkt und forschte nach schweren, fetten Gaensen, wie sie der Herr liebte. Er war musternd schon einigemal auf und ab gegangen. Seine Gestalt, weit entfernt, hier Lachen und Spott zu erregen, gebot Ehrfurcht; denn man erkannte ihn als den beruehmten Mundkoch des Herzogs, und jede Gaensefrau fuehlte sich gluecklich, wenn er ihr die Nase zuwandte. Da sah er ganz am Ende einer Reihe in einer Ecke eine Frau sitzen, die auch Gaense feil hatte, aber nicht wie die uebrigen ihre Ware anpries; zu dieser trat er und mass und wog ihre Gaense. Sie waren, wie er sie wuenschte, und er kaufte drei samt dem Kaefig, lud sie auf seine breiten Schultern und trat den Rueckweg an. Da kam es ihm sonderbar vor, dass nur zwei von diesen Gaensen schnatterten und schrien, wie rechte Gaense zu tun pflegen, die dritte aber ganz still und in sich gekehrt dasass und Seufzer ausstiess und aechzte wie ein Mensch--"Die ist halbkrank", sprach er vor sich hin, "ich muss eilen, dass ich sie umbringe und zurichte." Aber die Gans antwortete ganz deutlich und laut: "Stichst du mich, So beiss' ich dich. Drueckst du mir die Kehle ab, Bring' ich dich ins fruehe Grab." Ganz erschrocken setzte der Zwerg Nase seinen Kaefig nieder, und die Gans sah ihn mit schoenen, klugen Augen an und seufzte. "Ei der Tausend!" rief Nase. "Sie kann sprechen, Jungfer Gans? Das haette ich nicht gedacht. Na, sei Sie nur nicht aengstlich! Man weiss zu leben und wird einem so seltenen Vogel nicht zu Leibe gehen. Aber ich wollte wetten, Sie ist nicht von jeher in diesen Federn gewesen. War ich ja selbst einmal ein schnoedes Eichhoernchen." "Du hast recht", erwiderte die Gans, "wenn du sagst, ich sei nicht in dieser schmachvollen Huelle geboren worden. Ach, an meiner Wiege wurde es mir nicht gesungen, dass Mimi, des grossen Wetterbocks Tochter, in der Kueche eines Herzogs getoetet werden soll!" "Sei Sie doch ruhig, liebe Jungfer Mimi", troestete der Zwerg. "So wahr ich ein ehrlicher Kerl und Unterkuechenmeister Seiner Durchlaucht bin, es soll Ihr keiner an die Kehle. Ich will Ihr in meinen eigenen Gemaechern einen Stall anweisen, Futter soll Sie genug haben, und meine freie Zeit werde ich Ihrer Unterhaltung widmen; den uebrigen Kuechenmenschen werde ich sagen, dass ich eine Gans mit allerlei besonderen Kraeutern fuer den Herzog maeste, und sobald sich Gelegenheit findet, setze ich Sie in Freiheit." Die Gans dankte ihm mit Traenen; der Zwerg aber tat, wie er versprochen, schlachtete die zwei anderen Gaense, fuer Mimi aber baute er einen eigenen Stall unter dem Vorwande, sie fuer den Herzog ganz besonders zuzurichten. Er gab ihr auch kein gewoehnliches Gaensefutter, sondern versah sie mit Backwerk und suessen Speisen. So oft er freie Zeit hatte, ging er hin, sich mit ihr zu unterhalten und sie zu troesten. Sie erzaehlten sich auch gegenseitig ihre Geschichten, und Nase erfuhr auf diesem Wege, dass die Gans eine Tochter des Zauberers Wetterbock sei, der auf der Insel Gotland lebe. Er sei in Streit geraten mit einer alten Fee, die ihn durch Raenke und List ueberwunden und sie zur Rache in eine Gans verwandelt und weit hinweg bis hierher gebracht habe. Als der Zwerg Nase ihr seine Geschichte ebenfalls erzaehlt hatte, sprach sie: "Ich bin nicht unerfahren in "lesen Sachen. Mein Vater hat mir und meinen Schwestern einige Anleitung gegeben, so viel er naemlich davon mitteilen durfte. Die Geschichte mit dem Streit am Kraeuterkorb, deine ploetzliche Verwandlung, als du an jenem Kraeutlein rochst, auch einige Worte der Alten, die du mir sagtest, beweisen mir, dass du auf Kraeuter verzaubert bist, das heisst, wenn du das Kraut auffindest, das sich die Fee bei deiner Verzauberung gedacht hat, so kannst du erloest werden." Es war dies ein geringer Trost fuer den Kleinen; denn wo sollte er das Kraut auffinden? Doch dankte er ihr und schoepfte einige Hoffnung. Um diese Zeit bekam der Herzog einen Besuch von einem benachbarten Fuersten, seinem Freunde. Er liess daher seinen Zwerg Nase vor sich kommen und sprach zu ihm: "Jetzt ist die Zeit gekommen, wo du mir zeigen musst, ob du mir treu dienst und Meister deiner Kunst bist. Dieser Fuerst, der bei mir zu Besuch ist, speist bekanntlich ausser mir am besten und ist ein grosser Kenner einer feinen Kueche und ein weiser Mann. Sorge nun dafuer, dass meine Tafel taeglich also besorgt werde, dass er immer mehr in Erstaunen geraet. Dabei darfst du, bei meiner Ungnade, so lange er da ist, keine Speise zweimal bringen. Dafuer kannst du dir von meinem Schatzmeister alles reichen lassen, was du nur brauchst. Und wenn du Gold und Diamanten in Schmalz baden musst so tu es! Ich will lieber ein armer Mann werden, als erroeten vor ihm." So sprach der Herzog! Der Zwerg aber sagte, indem er sich anstaendig verbeugte: "Es sei, wie du sagst, o Herr! So es Gott der gefaellt, werde ich alles so machen, dass es diesem Fuersten der Gutschmecker wohlgefaellt." Der kleine Koch suchte nun seine ganze Kunst hervor. Er schonte die Schaetze seines Herrn nicht, noch weniger aber sich selbst. Denn man sah ihn den ganzen Tag in eine Wolke von Rauch und Feuer eingehuellt, und seine Stimme hallte bestaendig durch das Gewoelbe der Kueche; denn er befahl als Herrscher den Kuechenjungen und niederen Koechen. Herr! Ich koennte es machen wie die Kameltreiber von Aleppo, wenn sie in ihren Geschichten, die sie den Reisenden erzaehlen, die Menschen herrlich speisen lassen. Sie fuehren eine ganze Stunde lang alle die Gerichte an, die aufgetragen worden sind, und erwecken dadurch grosse Sehnsucht und noch groesseren Hunger in ihren Zuhoerern, so dass diese unwillkuerlich die Vorraete oeffnen und eine Mahlzeit halten und den Kameltreibern reichlich mitteilen; doch ich nicht also. Der fremde Fuerst war schon vierzehn Tage beim Herzog und lebte herrlich und in Freuden. Sie speisten des Tages nicht weniger als fuenfmal, und der Herzog war zufrieden mit der Kunst des Zwerges; denn er sah Zufriedenheit auf der Stirne seines Gastes. Am fuenfzehnten Tage aber begab es sich, dass der Herzog den Zwerg zur Tafel rufen liess, ihn seinem Gast, dem Fuersten, vorstellte und diesen fragte, wie er mit dem Zwerg zufrieden sei. "Du bist ein wunderbarer Koch", antwortete der fremde Fuerst, "und weisst, was anstaendig essen heisst. Du hast in der ganzen Zeit, da ich hier bin, nicht eine einzige Speise wiederholt und alles trefflich bereitet. Aber sage mir doch, warum bringst du so lange nicht die Koenigin der Speisen, die Pastete Souzeraine?" Der Zwerg war sehr erschrocken; denn er hatte von dieser Pastetenkoenigin nie gehoert; doch fasste er sich und antwortete: "O Herr! Noch lange, hoffte ich, sollte dein Angesicht leuchten an diesem Hoflager, darum wartete ich mit dieser Speise; denn womit sollte dich denn der Koch begruessen am Tage des Scheidens als mit der Koenigin der Pasteten?" "So?" entgegnete der Herzog lachend. "Und bei mir wolltest du wohl warten bis an meinen Tod, um mich dann noch zu begruessen? Denn auch mir hast du die Pastete noch nie vorgesetzt. Doch denke auf einen anderen Scheidegruss; denn morgen musst du die Pastete auf die Tafel setzen." "Es sei, wie du sagst, Herr!" antwortete der Zwerg und ging. Aber er ging nicht vergnuegt; denn der Tag seiner Schande und seines Ungluecks war gekommen. Er wusste nicht, wie er die Pastete machen sollte. Er ging daher in seine Kammer und weinte ueber sein Schicksal. Da trat die Gans Mimi, die in seinem Gemach umhergehen durfte, zu ihm und fragte ihn nach der Ursache seines Jammers. "Stille deine Traenen", antwortete sie, als sie von der Pastete Souzeraine gehoert, "dieses Gericht kam oft auf meines Vaters Tisch, und ich weiss ungefaehr, was man dazu braucht; du nimmst dies und jenes, so und so viel, und wenn es auch nicht durchaus alles ist, was eigentlich dazu noetig, die Herren werden keinen so feinen Geschmack haben." So sprach Mimi. Der Zwerg aber sprang auf vor Freuden, segnete den Tag, an welchem er die Gans gekauft hatte, und schickte sich an, die Koenigin der Pasteten zuzurichten. Er machte zuerst einen kleinen Versuch, und siehe, es schmeckte trefflich, und der Oberkuechenmeister, dem er davon zu kosten gab, pries aufs neue seine ausgebreitete Kunst. Den anderen Tag setzte er die Pastete in groesserer Form auf und schickte sie warm, wie sie aus dem Ofen kam, nachdem er sie mit Blumenkraenzen geschmeckt hatte, auf die Tafel. Er selbst aber zog sein bestes Festkleid an und ging in den Speisesaal. Als r eintrat, war der Obervorschneider gerade damit beschaeftigt, die Pastete zu zerschneiden und auf einem silbernen Schaeufelein dem Herzog und seinem Gaste hinzureichen. Der Herzog tat einen tuechtigen Biss hinein, schlug die Augen auf zur Decke und srach, nachdem er geschluckt hatte: "Ah, ah, ah! Mit Recht nennt man dies die Koenigin der Pasteten; aber mein Zwerg ist auch der Koenig aller Koeche! Nicht also, lieber Freund?" Der Gast nahm einige kleine Bissen zu sich, kostete und pruefte aufmerksam und laechelte dabei hoehnisch und geheimnisvoll. "Das Ding ist recht artig gemacht", antwortete er, indem er den Teller hinwegrueckte, "aber die Souzeraine ist es denn doch nicht ganz; das habe ich mir wohl gedacht." Da runzelte der Herzog vor Unmut die Stirne und erroetete vor Beschaemung. "Hund von einem Zwerg!" rief er, "wie wagst du es, deinem Herrn dies anzutun? Soll ich dir deinen grossen Kopf abhacken lassen zur Strafe fuer deine schlechte Kocherei?" "Ach, Herr! Um des Himmels willen, ich habe das Gericht doch zubereitet nach den Regeln der Kunst, es kann gewiss nichts fehlen!" so sprach der Zwerg und zitterte. "Es ist eine Luege, du Bube!" erwiderte der Herzog und stiess ihn mit dem Fusse von sich. "Mein Gast wuerde sonst nicht sagen, es fehlt etwas. Dich selbst will ich zerhacken und backen lassen in eine Pastete!" "Habt Mitleiden!" rief der Kleine und rutschte auf den Knien zu dem Gast, dessen Fuesse er umfasste. "Saget, was fehlt in dieser Speise, dass sie Eurem Gaumen nicht zusagt? Lasset mich nicht sterben wegen einer Handvoll Fleisch und Mehl." "Das wird dir wenig helfen, mein lieber Nase", antwortete der Fremde mit Lachen, "das habe ich mir schon gestern gedacht, dass du diese Speise nicht machen kannst wie mein Koch. Wisse, es fehlt ein Kraeutlein, das man hierzulande gar nicht kennt, das Kraut Niesmitlust; ohne dieses bleibt die Pastete ohne Wuerze, und dein Herr wird sie nie essen wie ich." Da geriet der Herrscher in Frankistan in Wut. "Und doch werde ich sie essen", rief er mit funkelnden Augen, "denn ich schwoere bei meiner fuerstlichen Ehre: Entweder zeige ich Euch morgen die Pastete, wie Ihr sie verlangst--oder den Kopf dieses Burschen, aufgespiesst auf dem Tor meines Palastes. Gehe, du Hund, noch einmal gebe ich dir vierundzwanzig Stunden Zeit." So rief der Herzog; der Zwerg aber ging wieder weinend in sein Kaemmerlein und klagte der Gans sein Schicksal und dass er sterben muesse; denn von dem Kraut habe er nie gehoert. "Ist es nur dies", sprach sie, "da kann ich dir schon helfen; denn mein Vater lehrte mich alle Kraeuter kennen. Wohl waerest du vielleicht zu einer anderen Zeit des Todes gewesen; aber gluecklicherweise ist es gerade Neumond, und um diese Zeit blueht das Kraeutlein. Doch, sage an, sind alte Kastanienbaeume in der Naehe des Palastes?" "O ja!" erwiderte Nase mit leichterem Herzen. "Am See, zweihundert Schritte vom Haus, steht eine ganze Gruppe; doch warum diese?" "Nur am Fusse alter Kastanien blueht das Kraeutlein", sagte Mimi, "darum lass uns keine Zeit versaeumen und suchen, was du brauchst; nimm mich auf deinen Arm und setze mich im Freien nieder; ich will dir suchen." Er tat, wie sie gesagt, und ging mit ihr zur Pforte des Palastes. Dort aber streckte der Tuerhueter das Gewehr vor und sprach: "Mein guter Nase, mit dir ist's vorbei; aus dem Hause darfst du nicht, ich habe den strengsten Befehl darueber." "Aber in den Garten kann ich doch wohl gehen?" erwiderte der Zwerg. "Sei so gut und schicke einen deiner Gesellen zum Aufseher des Palastes und frage, ob ich nicht in den Garten gehen und Kraeuter suchen duerfe?" Der Tuerhueter tat also, und es wurde erlaubt; denn der Garten hatte hohe Mauern, und es war an kein Entkommen daraus zu denken. Als aber Nase mit der Gans Mimi ins Freie gekommen war, setzte er sie behutsam nieder, und sie ging schnell vor ihm her dem See zu, wo die Kastanien standen. Er folgte ihr nur mit beklommenem Herzen; denn es war ja seine letzte, einzige Hoffnung; fand sie das Kraeutlein nicht, so stand sein Entschluss fest, er stuerzte sich dann lieber in den See, als dass er sich koepfen liess. Die Gans suchte vergebens, sie wandelte unter allen Kastanien, sie wandte mit dem Schnabel jedes Graeschen um, es wollte sich nichts zeigen, und sie fing aus Mitleid und Angst an zu weinen; denn schon wurde der Abend dunkler und die Gegenstaende umher waren schwerer zu erkennen. Da fielen die Blicke des Zwerges ueber den See hin, und ploetzlich rief er: "Siehe, siehe, dort ueber dem See steht noch ein grosser, alter Baum; lass uns dorthin gehen und suchen, vielleicht blueht dort mein Glueck." Die Gans huepfte und flog voran, und er lief nach, so schnell seine kleinen Beine konnten; der Kastanienbaum warf einen grossen Schatten, und es war dunkel umher, fast war nichts mehr zu erkennen; aber da blieb ploetzlich die Gans stille stehen, schlug vor Freuden mit den Fluegeln, fuhr dann schnell mit dem Kopf ins hohe Gras und pflueckte etwas ab, das sie dem erstaunten Nase zierlich mit dem Schnabel ueberreichte und sprach: "Das ist das Kraeutlein, und hier waechst eine Menge davon, so dass es dir nie daran fehlen kann." Der Zwerg betrachtete das Kraut sinnend; ein suesser Duft stroemte ihm daraus entgegen, der ihn unwillkuerlich an die Szene seiner Verwandlung erinnerte; die Stengel, die Blaetter waren blaeulichgruen, sie trugen eine brennend rote Blume mit gelbem Rande. "Gelobt sei Gott!" rief er endlich aus. "Welches Wunder! Wisse, ich glaube, es ist dies dasselbe Kraut, das mich aus einem Eichhoernchen in diese schaendliche Gestalt umwandelte; soll ich den Versuch machen?" "Noch nicht", bat die Gans. "Nimm von diesem Kraut eine Handvoll mit dir, lass uns auf dein Zimmer gehen und dein Geld, und was du sonst hast, zusammenraffen, und dann wollen wir die Kraft des Krautes versuchen!" Sie taten also und gingen auf seine Kammer zurueck, und das Herz des Zwerges pochte hoerbar vor Erwartung. Nachdem er fuenfzig oder sechzig Dukaten, die er erspart hatte, einige Kleider und Schuhe zusammen in ein Buendel geknuepft hatte, sprach er: "So es Gott gefaellig ist, werde ich diese Buerde loswerden", steckte seine Nase tief in die Kraeuter und sog ihren Duft ein. Da zog und knackte es in allen seinen Gliedern, er fuehlte, wie sich sein Kopf aus den Schultern hob, er schielte herab auf seine Nase und sah sie kleiner und kleiner werden, sein Ruecken und seine Brust fingen an, sich zu ebnen, und seine Beine wurden laenger. Die Gans sah mit Erstaunen diesem allem zu. "Ha! Was du gross, was du schoen bist!" rief sie. "Gott sei gedankt, es ist nichts mehr an dir von allem, was du vorher warst!" Da freute sich Jakob sehr, und er faltete die Haende und betete. Aber seine Freude liess ihn nicht vergessen, welchen Dank er der Gans schuldig sei; zwar draengte ihn sein Herz, zu seinen Eltern zu gehen; doch besiegte er aus Dankbarkeit diesen Wunsch und sprach: "Wem anders als dir habe ich es zu danken, dass ich mir selbst wiedergeschenkt bin? Ohne dich haette ich dieses Kraut nimmer gefunden, haette also ewig in jener Gestalt bleiben oder vielleicht gar unter dem Beile des Henkers sterben muessen. Wohlan, ich will es dir vergelten. Ich will dich zu deinem Vater bringen; er, der erfahren ist in jedem Zauber, wird dich leicht entzaubern koennen." Die Gans vergoss Freudentraenen und nahm sein Anerbieten an. Jakob kam gluecklich und unerkannt mit der Gans aus dem Palast und machte sich auf den Weg nach dem Meeresstrand, Mimis Heimat, zu. Was soll ich noch weiter erzaehlen, dass sie ihre Reise gluecklich vollendeten, dass Wetterbock seine Tochter entzauberte und den Jakob, mit Geschenken beladen, entliess, dass er in seine Vaterstadt zurueckkam und dass seine Eltern in dem schoenen jungen Mann mit Vergnuegen ihren verlorenen Sohn erkannten, dass er von den Geschenken, die er von Wetterbock mitbrachte, sich einen Laden kaufte und reich und gluecklich wurde? Nur so viel will ich noch sagen, dass nach seiner Entfernung aus dem Palaste des Herzogs grosse Unruhe entstand; denn als am anderen Tage der Herzog seinen Schwur erfuellen und dem Zwerg, wenn er die Kraeuter nicht gefunden haette, den Kopf abschlagen lassen wollte, war er nirgends zu finden; der Fuerst aber behauptete, der Herzog habe ihn heimlich entkommen lassen, um sich nicht seines besten Kochs zu berauben, und klagte ihn an, dass er wortbruechig sei. Dadurch entstand denn ein grosser Krieg zwischen beiden Fuersten, der in der Geschichte unter dem Namen "Kraeuterkrieg" wohlbekannt ist; es wurde manche Schlacht geschlagen, aber am Ende doch Friede gemacht, und diesen Frieden nennt man bei uns den "Pastetenfrieden", weil beim Versoehnungsfest durch den Koch des Fuersten die Souzeraine, die Koenigin der Pasteten, zubereitet wurde, welche sich der Herr Herzog trefflich schmecken liess. So fuehren oft die kleinsten Ursachen zu grossen Folgen; und dies, o Herr, ist die Geschichte des Zwerges Nase. So erzaehlte der Sklave aus Frankistan; nachdem er geendet hatte, liess der Scheik Ali Banu ihm und den anderen Sklaven Fruechte reichen, sich zu erfrischen, und unterhielt sich, waehrend sie assen, mit seinen Freunden. Die jungen Maenner aber, die der Alte eingefuehrt hatte, waren voll Lobes ueber den Scheik, sein Haus und alle seine Einrichtungen. "Wahrlich", sprach der junge Schreiber, "es gibt keinen angenehmeren Zeitvertreib als Geschichten anzuhoeren. Ich koennte tagelang so hinsetzen, die Beine untergeschlagen, einen Arm aufs Kissen gestuetzt, die Stirne in die Hand gelegt, und, wenn es ginge, des Scheiks grosse Wasserpfeife in der Hand, und Geschichten anhoeren--so ungefaehr stelle ich mir das Leben vor in den Gaerten Mahomeds." "So lange Ihr jung seid und arbeiten koennt", sprach der Alte, "kann ein solcher traeger Wunsch nicht Euer Ernst sein. Aber das gebe ich Euch zu, dass ein eigener Reiz darin liegt, etwas erzaehlen zu hoeren. So alt ich bin, und ich gehe nun ins siebenundsiebzigste Jahr, so viel ich in meinem Leben schon gehoert habe, so verschmaehe ich es doch nicht, wenn an der Ecke ein Geschichtenerzaehler sitzt und um ihn in grossem Kreis die Zuhoerer, mich ebenfalls hinzusetzen und zuzuhoeren. Man traeumt sich ja in die Begebenheiten hinein, die erzaehlt werden, man lebt mit diesen Menschen, mit diesen wundervollen Geistern, mit Feen und dergleichen Leuten, die uns nicht alle Tage begegnen, und hat nachher, wenn man einsam ist, Stoff, sich alles zu wiederholen, wie der Wanderer, der sich gut versehen hat, wenn er durch die Wueste reist." "Ich habe nie so darueber nachgedacht", erwiderte ein anderer der jungen Leute, "worin der Reiz solcher Geschichten eigentlich liegt. Aber mir geht es wie euch. Schon als Kind konnte man mich, wenn ich ungeduldig war, durch eine Geschichte zum Schweigen bringen. Es war mir anfangs gleichgueltig, von was es handelte, wenn es nur erzaehlt war, wenn nur etwas geschah; wie oft habe ich, ohne zu ermueden, jene Fabeln angehoert, die weise Maenner erfunden und in welche sie einen Kern ihrer Weisheit gelegt haben, vom Fuchs und vom toerichten Raben, vom Fuchs und vom Wolf, viele Dutzend Geschichten vom Loewen und den uebrigen Tieren. Als ich aelter wurde und mehr unter die Menschen kam, genuegten mir jene kurzen Geschichten nicht mehr; sie mussten schon laenger sein, mussten von Menschen und ihren wunderbaren Schicksalen handeln." "Ja, ich entsinne mich noch wohl dieser Zeit", unterbrach ihn einer seiner Freunde. "Du warst es, der uns diesen Drang nach Erzaehlungen beibrachte. Einer Eurer Sklaven wusste so viel zu erzaehlen, als ein Kameltreiber von Mekka nach Medina spricht; wenn er fertig war mit seiner Arbeit, musste er sich zu uns setzen, und da baten wir so lange, bis er zu erzaehlen anfing, und das ging fort und fort, bis die Nacht heraufkam." "Und erschloss sich uns", entgegnete der Schreiber, "erschloss sich uns da nicht ein neues, nie gekanntes Reich, das Land der Genien und Feen, bebaut mit allen Wundern der Pflanzenwelt, mit reichen Palaesten von Smaragden und Rubinen, mit riesenhaften Sklaven bevoelkert, die erschienen, wenn man einen Ring hin und wider dreht oder die Wunderlampe reibt oder das Wort Salomos ausspricht, und in goldenen Schalen herrliche Speisen bringen. Wir fuehlten uns unwillkuerlich in jenes Land versetzt, wir machten mit Sindbad seine wunderbaren Fahrten, wir gingen mit Harun Al-Raschid, dem weisen Beherrscher der Glaeubigen, abends spazieren, wir kannten Giaffar, seinen Wesir, so gut als uns selbst, kurz, wir lebten in jenen Geschichten, wie man nachts in Traeumen lebt, und es gab keine schoenere Tageszeit fuer uns als den Abend, wo der alte Sklave uns erzaehlte. Aber sage uns, Alter, worin liegt es denn eigentlich, dass wir damals so gerne erzaehlen hoerten, dass es noch jetzt fuer uns keine angenehmere Unterhaltung gibt?" Die Bewegung, die im Zimmer entstand, und die Aufforderung zur Aufmerksamkeit, die der Sklavenaufseher gab, verhinderte den Alten zu antworten. Die jungen Leute wussten nicht, ob sie sich freuen sollten, dass sie eine neue Geschichte anhoeren durften, oder ungehalten sein darueber, dass ihr anziehendes Gespraech mit dem Alten unterbrochen worden war; aber ein zweiter Sklave erhob sich bereits und begann: Abner, der Jude, der nichts gesehen hat Wilhelm Hauff Herr, ich bin aus Mogador am Strande des grossen Meers, und als der grossmaechtigste Kaiser Muley Ismael ueber Fez und Marokko herrschte, hat sich die Geschichte zugetragen, die du vielleicht nicht ungerne hoeren wirst. Es ist die Geschichte von Abner, dem Juden, der nichts gesehen hat. Juden, wie du weisst, gibt es ueberall, und sie sind ueberall Juden: pfiffig, mit Falkenaugen fuer den kleinsten Vorteil begabt, verschlagen, desto verschlagener, je mehr sie misshandelt werden, ihrer Verschlagenheit sich bewusst und sich etwas darauf einbildend. Dass aber doch zuweilen ein Jude durch seine Pfiffe zu Schaden kommt, bewies Abner, als er eines Abends zum Tore von Marokko hinaus spazierenging. Er schreitet einher, mit der spitzen Muetze auf dem Kopf, in den bescheidenen, nicht uebermaessig reinlichen Mantel gehuellt, streichelt sich den Knebelbart, und trotz der umherrollenden Augen, welche ewige Furcht und Besorgnis und die Begierde, etwas zu erspaehen, womit etwas zu machen waere, keinen Augenblick ruhen laesst, leuchtet Zufriedenheit aus seiner Miene; er muss diesen Tag gute Geschaefte gemacht haben; und so ist es auch. Er ist Arzt, ist Kaufinann, ist alles, was Geld eintraegt; er hat heute einen Sklaven mit einem heimlichen Fehler verkauft, wohlfeil eine Kamelladung Gummi gekauft und einem reichen kranken Mann den letzten Trank, nicht vor seiner Genesung, sondern vor seinem Hintritt bereitet. Eben war er auf seinem Spaziergang aus einem kleinen Gehoelz von Palmen und Datteln getreten, da hoerte er lautes Geschrei herbeilaufender Menschen hinter sich; es war ein Haufe kaiserlicher Stallknechte, den Oberstallmeister an der Spitze, die nach allen Seiten unruhige Blicke umherwarfen, wie Menschen, die etwas Verlorenes eifrig suchen. "Philister", rief ihm keuchend der Oberstallmeister zu, "hast du nicht ein kaiserlich Pferd mit Sattel und Zeug vorueberrennen sehen?" Abner antwortete: "Der beste Galopplaeufer, den es gibt; zierlich klein ist sein Huf, seine Hufeisen sind von vierzehnloetigem Silber, sein Haar leuchtet golden, gleich dem grossen Sabbatleuchter in der Schule, fuenfzehn Faeuste ist er hoch, sein Schweif ist drei und einen halben Fuss lang, und die Stangen seines Gebisses sind von dreiundzwanzigkaraetigem Golde." "Er ist's!" rief der Oberstallmeister. "Er ist's!" rief der Chor der Stallknechte. "Es ist der Emir", rief ein alter Bereiter, "ich habe es dem Prinzen Abdallah zehnmal gesagt, er solle den Emir in der Trense reiten, ich kenne den Emir, ich habe es vorausgesagt, dass er ihn abwerfen wuerde, und sollte ich seine Rueckenschmerzen mit dem Kopf bezahlen muessen, ich habe es vorausgesagt. Aber schnell, wohinzu ist er gelaufen?" "Habe ich doch gar kein Pferd gesehen", erwiderte Abner laechelnd, "wie kann ich sagen, wohin es gelaufen ist, des Kaisers Pferd?" Erstaunt ueber diesen Widerspruch wollten die Herren vom Stalle eben weiter in Abner dringen; da kam ein anderes Ereignis dazwischen. Durch einen sonderbaren Zufall, wie es deren so viele gibt, war gerade zu dieser Zeit auch der Leibschosshund der Kaiserin entlaufen. Ein Haufe schwarze Sklaven kam herbeigerannt, und sie schrien schon von weitem: "Habt Ihr den Schosshund der Kaiserin nicht gesehen?" "Es ist kein Hund, den Ihr suchet, meine Herren", sagte Abner, "es ist eine Huendin." "Allerdings!" rief der erste Eunuch hocherfreut. "Aline, wo bist du?" "Ein kleiner Wachtelhund", fuhr Abner fort, "der vor kurzem Junge geworfen, langes Behaenge, Federschwanz, hinkt auf dem rechten vorderen Bein." "Sie ist's, wie sie leibt und lebt!" rief der Chor der Schwarzen. "Es ist Aline; die Kaiserin ist in Kraempfe verfallen, sobald sie vermisst wurde; Aline, wo bist du? Was soll aus uns werden, wenn wir ohne dich in den Harem zurueckkehren? Sprich geschwind, wohin hast du sie laufen sehen?" "Ich habe gar keinen Hund gesehen; weiss ich doch nicht einmal, dass meine Kaiserin, welche Gott erhalte, einen Wachtelhund besitzt." Da ergrimmten die Leute vom Stalle und vom Harem ueber Abners Unverschaemtheit, wie sie es nannten, ueber kaiserliches Eigentum seinen Scherz zu treiben, und zweifelten keinen Augenblick, so unwahrscheinlich dies auch war, dass er Hund und Pferd gestohlen habe. Waehrend die anderen ihre Nachforschungen fortsetzten, packten der Stallmeister und der erste Eunuch den Juden und fuehrten den halb pfiffig, halb aengstlich Laechelnden vor das Angesicht des Kaisers. Aufgebracht berief Mulen Ismael, als er den Hergang vernommen, den gewoehnlichen Rat des Palastes und fuehrte in Betracht der Wichtigkeit des Gegenstandes selbst den Vorsitz. Zur Eroeffnung der Sache wurde dem Angeschuldigten ein halbes Hundert Streiche auf die Fusssohlen zuerkannt. Abner mochte schreien und winseln, seine Unschuld beteuern oder versprechen, alles zu erzaehlen, wie es sich zugetragen, Sprueche aus der Schrift oder dem Talmud anfuehren, mochte rufen: "Die Ungnade des Koenigs ist wie das Bruellen eines jungen Loewen, aber seine Gnade ist Tau auf dem Grase"; oder: "Lass nicht zuschlagen deine Hand, wenn dir Augen und Ohren verschlossen sind"--Mulen Ismael winkte und schwur bei des Propheten Bart und seinem eigenen, der Philister solle die Schmerzen des Prinzen Abdallah und die Kraempfe der Kaiserin mit dem Kopfe bezahlen, wenn die Fluechtigen nicht wieder beigebracht wuerden. Noch erschallte der Palast des Kaisers von Marokko von dem Schmerzgeschrei des Patienten, als die Nachricht einlief, Hund und Pferd seien wiedergefunden. Aline ueberraschte man in der Gesellschaft einiger Moepse, sehr anstaendiger Leute, die sich aber fuer sie, als Hofdame, durchaus nicht schickte, und Emir hatte, nachdem er sich muede gelaufen, das duftende Gras auf den gruenen Wiesen am Bache Tara wohlschmeckender gefunden als den kaiserlichen Hafer; gleich dem ermuedeten fuerstlichen Jaeger, der, auf der Parforcejagd verirrt, ueber dem schwarzen Brot und der Butter in der Huette des Landmanns alle Leckereien seiner Tafel vergisst. Muley Ismael verlangte nun von Abner eine Erklaerung seines Betragens, und dieser sah sich nun, wiewohl etwas spaet, imstande, sich zu verantworten, was er, nachdem er vor seiner Hoheit Thron dreimal die Erde mit der Stirne beruehrte, in folgenden Worten tat: "Grossmaechtigster Kaiser, Koenig der Koenige, Herr des Besten, Stern der Gerechtigkeit, Spiegel der Wahrheit, Abgrund der Weisheit, der du so glaenzend bist wie Gold, so strahlend wie der Diamant, so hart wie das Eisen, hoere mich, weil es deinem Sklaven vergoennt ist, vor deinem strahlenden Angesichte seine Stimme zu erheben! Ich schwoere bei dem Gott meiner Vaeter, bei Moses und den Propheten, dass ich dein heiliges Pferd und meiner gnaedigen Kaiserin liebenswuerdigen Hund mit meines Leibes Augen nicht gesehen habe. Hoere aber, wie sich die Sache begeben: Ich spazierte, um mich von des Tages Last und Arbeit zu erholen, nichts denkend, in dem kleinen Gehoelze, wo ich die Ehre gehabt habe, Seiner Herrlichkeit, dem Oberstallmeister, und Seiner Wachsamkeit, dem schwarzen Aufseher deines gesegneten Harems, zu begegnen; da gewahrte ich im feinen Sande zwischen den Palmen die Spuren eines Tieres; ich, dem die Spuren der Tiere ueberaus gut bekannt sind, erkenne sie alsbald fuer die Fussstapfen eines kleinen Hundes; feine langgezogene Furchen liefen ueber die kleinen Unebenheiten des Sandbodens zwischen diesen Spuren hin; es ist eine Huendin, sprach ich zu mir selbst, und sie hat haengende Zitzen und hat Junge geworfen vor so und so langer Zeit; andere Spuren neben den Vordertatzen, wo der Sand leicht weggefegt zu sein schien, sagten mir, dass das Tier mit schoenen, weit herabhaengenden Ohren begabt sei; und da ich bemerkt, wie in laengeren Zwischenraeumen der Sand bedeutender aufgewuehlt war, dachte ich: Einen schoenen langbehaarten Schwanz hat die Kleine, und er muss anzusehen sein als ein Federbusch, und es hat ihr beliebt, zuweilen den Sand damit zu peitschen; auch entging mir nicht, dass eine Pfote sich bestaendig weniger tief in den Sand eindrueckte; leider konnte mir da nicht verborgen bleiben, dass die Huendin meiner gnaedigsten Frau, wenn es erlaubt ist, es auszusprechen, etwas hinke. Was das Ross deiner Hoheit betrifft, so wisse, dass ich, als ich in einem Gange des Gebuesches hinwandelte, auf die Spuren eines Pferdes aufmerksam wurde. Kaum hatte ich den edlen, kleinen Huf, den feinen und doch starken Strahl bemerkt, so sagte ich in meinem Herzen: Da ist gewesen ein Ross von der Rasse Tschenner, die da ist die vornehmste von allen. Ist es ja noch nicht vier Monate, hat mein gnaedigster Kaiser einem Fuersten in Frankenland eine ganze Koppel von dieser Rasse verkauft, und mein Bruder Ruben ist dabeigewesen, wie sie sind handelseinig geworden, und mein gnaedigster Kaiser hat dabei gewonnen so und so viel. Als ich sah, wie die Spuren so weit und so gleichmaessig voneinander entfernt waren, musste ich denken: Das galoppierte schoen, vornehm; und ist bloss mein Kaiser wert, solch ein Tier zu besitzen, und ich gedachte des Streitrosses, von dem geschrieben steht bei Hiob: ZEs stampfet auf den Boden und ist freudig mit Kraft und zeucht aus, den Geharnischten entgegen; es spottet der Furcht und erschrickt nicht und fleucht vor dem Schwert nicht, wenngleich wider es erklinget der Koecher, und glaenzen beide, Spiess und Lanzen.Z Und ich bueckte mich, da ich etwas glaenzen sah auf dem Boden, wie ich immer tue, und siehe, es war ein Marmelstein, darauf hatte das Hufeisen des eilenden Rosses einen Strich gezogen, und ich erkannte, dass es Hufeisen haben musste von vierzehnloetigem Silber; muss ich doch den Strich kennen von jeglichem Metall, sei es echt oder unecht. Der Baumgang, in dem ich spazierte, war sieben Fuss weit, und hie und da sah ich den Staub von den Palmen gestreift; der Gaul hat mit dem Schweif gefochten, sprach ich, und er ist lang drei und einen halben Fuss; unter Baeumen, deren Krone etwa fuenf Fuss vom Boden aufging, sah ich frisch abgestreifte Blaetter; seiner Schnelligkeit Ruecken musste sie abgestreift haben; da haben wir ein Pferd von fuenfzehn Faeusten; siehe da, unter denselben Baeumen kleine Bueschel goldglaenzender Haare, und siehe da, es ist ein Goldfuchs! Eben trat ich aus dem Gebuesche, da fiel an einer Felswand ein Goldstrich in mein Auge; diesen Strich solltest du kennen, sprach ich, und was war's? Ein Probierstein war eingesprengt in dem Gestein und ein haarfeiner Goldstrich darauf, wie ihn das Maennchen mit dem Pfeilbuendel auf den Fuechsen der sieben vereinigten Provinzen von Holland nicht feiner, nicht reiner ziehen kann. Der Strich musste von den Gebissstangen des fluechtigen Rosses ruehren, die es im Vorbeispringen gegen dieses Gestein gerieben. Kennt man ja doch deine erhabene Prachtliebe, Koenig der Koenige, weiss man ja doch, dass sich das geringste deiner Rosse schaemen wuerde, auf einen anderen als einen goldenen Zaum zu beissen. Also hat es sich begeben, und wenn--" "Nun, bei Mekka und Medina!" rief Muley Ismael, "das heisse ich Augen; solche Augen koennten dir nicht schaden, Oberjaegermeister, sie wuerden dir eine Koppel Schweisshunde ersparen; du, Polizeiminister, koenntest damit weiter sehen als alle deine Schergen und Aufpasser. Nun, Philister, wir wollen dich in Betracht deines ungemeinen Scharfsinns, der uns wohlgefallen hat, gnaedig behandeln; die fuenfzig Pruegel, die du richtig erhalten, sind fuenfzig Zechinen wert. Sie ersparen dir fuenfzig; denn du zahlst jetzt bloss noch fuenfzig bar; zieh deinen Beutel und enthalte dich fuer die Zukunft, unseres kaiserlichen Eigentums zu spotten! Wir bleiben dir uebrigens in Gnaden gewogen." Der ganze Hof bewunderte Abners Scharfsinn, denn seine Majestaet hatte geschworen, er sei ein geschickter Bursche; aber dies bezahlte ihm seine Schmerzen nicht, troestete ihn nicht fuer seine teuren Zechinen. Waehrend er stoehnend und seufzend eine nach der anderen aus dem Beutel fuehrte, jede noch zum Abschiede auf der Fingerspitze wog, hoehnte ihn noch Schnuri, der kaiserliche Spassmacher, fragte ihn, ob seine Zechinen alle auf dem Steine sich bewaehrten, auf dem der Goldfuchs des Prinzen Abdallah sein Gebiss probiert habe. "Deine Weisheit hat heute Ruhm geerntet", sprach er; "ich wollte aber noch fuenfzig Zechinen wetten, es waere dir lieber, du haettest geschwiegen. Aber wie spricht der Prophet? ZEin entschluepftes Wort holt kein Wagen ein, und wenn er mit vier fluechtigen Rossen bespannt waere.Z Auch kein Windspiel holt es ein, Herr Abner, auch wenn es nicht hinkt." Nicht lange nach diesem fuer Abner schmerzlichen Ereignis ging er wieder einmal in einem der gruenen Taeler zwischen den Vorbergen des Atlas spazieren. Da wurde er, gerade wie damals, von einem einherstuermenden Haufen Gewaffneter eingeholt, und der Anfuehrer schrie ihn an: "He, guter Freund, hast du nicht Goro, den schwarzen Leibschuetzen des Kaisers, vorbeilaufen sehen? Er ist entflohen, er muss diesen Weg genommen haben ins Gebirg." "Kann nicht dienen, Herr General", antwortete Abner. "Ach, bist du nicht der pfiffige Jude, der den Fuchsen und den Hund nicht gesehen hat? Mach nur keine Umstaende; hier muss der Sklave vorbeigekommen sein; riechst du vielleicht noch den Duft seines Schweisses in der Luft? Siehst du noch die Spuren seines fluechtigen Fusses im hohen Grase? Sprich, der Sklave muss herbei; er ist einzig im Sperlingsschiessen mit dem Blaserohr, und dies ist Seiner Majestaet Lieblingszeitvertreib. Sprich! Oder ich lasse dich sogleich krumm fesseln!" "Kann ich doch nicht sagen, ich habe gesehen, was ich doch nicht hab' gesehen." "Jude, zum letzten Male: Wohin ist der Sklave gelaufen? Denk an deine Fusssohlen, denk an deine Zechinen!" "O weh geschrien! Nun, wenn Ihr absolut haben wollt, dass ich soll gesehen haben den Sperlingsschuetzen, so lauft dorthin; ist er dort nicht, so ist er anderswo." "Du hast ihn also gesehen?" bruellte ihn der Soldat an. "Ja denn, Herr Offizier, weil Ihr es so haben wollt." Die Soldaten verfolgten eilig die angewiesene Richtung. Abner aber ging, innerlich ueber seine List zufrieden, nach Hause. Kaum aber war er vierundzwanzig Stunden aelter geworden, so drang ein Haufe von der Wache des Palastes in sein Haus und verunreinigte es, denn es war Sabbat, und schleppte ihn vor das Angesicht des Kaisers von Marokko. "Hund von einem Juden", schnaubte ihn der Kaiser an, "du wagst es, kaiserliche Bedienstete, die einen fluechtigen Sklaven verfolgen, auf falsche Spur ins Gebirge zu schicken, waehrend der Fluechtling der Meereskueste zueilt und beinahe auf einem spanischen Schiffe entkommen waere? Greift ihn, Soldaten! Hundert auf die Sohlen! Hundert Zechinen aus dem Beutel! Um wieviel die Sohlen schwellen unter den Hieben, um soviel soll der Beutel einschnurren." Du weisst es, o Herr, im Reiche Fez und Marokko liebt man schnelle Gerechtigkeit, und so wurde der arme Abner gepruegelt und besteuert, ohne dass man ihn zuvor um seine Einwilligung befragt haette. Er aber verfluchte sein Geschick, das ihn dazu verdammte, dass seine Sohlen und sein Beutel es hart empfinden sollten, so oft Seine Majestaet geruhten, etwas zu verlieren. Als er aber brummend und seufzend unter dem Gelaechter des rohen Hofvolks aus dem Saale hinkte, sprach zu ihm Schnuri, der Spassmacher: "Gib dich zufrieden, Abner, undankbarer Abner! Ist es nicht Ehre genug fuer dich, dass jeder Verlust, den unser gnaediger Kaiser, den Gott erhalte, erleidet, auch dir empfindlichen Kummer verursachen muss? Versprichst du mir aber ein gut Trinkgeld, so komme ich jedesmal, eine Stunde bevor der Herr des Westens etwas verliert, an deine Bude in der Judengasse und spreche: ZGehe nicht aus deiner Huette, Abner, du weisst schon warum; schliesse dich ein in dein Kaemmerlein bis zu Sonnenuntergang, beides unter Schloss und Riegel.Z" Dies, o Herr, ist die Geschichte von Abner, der nichts gesehen hat. Als der Sklave geendet hatte und es wieder stille im Saale geworden war, erinnerte der junge Schreiber den Alten, dass sie den Faden ihrer Unterhaltung abgebrochen hatten, und bat, ihnen zu erklaeren, worin denn eigentlich der maechtige Reiz des Maerchens liege. "Das will ich Euch jetzt sagen", erwiderte der Alte. "Der menschliche Geist ist noch leichter und beweglicher als das Wasser, das doch in alle Formen sich schmiegt und nach und nach auch die dichtesten Gegenstaende durchdringt. Er ist leicht und frei wie die Luft und wird wie diese, je hoeher er sich von der Erde hebt, desto leichter und reiner. Daher ist ein Drang in jedem Menschen, sich hinauf ueber das Gewoehnliche zu erheben und sich in hoeheren Raeumen leichter und freier zu bewegen, sei es auch nur in Traeumen. Ihr selbst, mein junger Freund, sagtet: ZWir lebten in jenen Geschichten, wir dachten und fuehlten mit jenen MenschenZ, und daher kommt der Reiz, den sie fuer Euch hatten. Indem Ihr den Erzaehlungen des Sklaven zuhoeret, die nur Dichtungen waren, die einst ein anderer erfand, habt Ihr selbst auch mitgedichtet. Ihr bliebet nicht stehen bei den Gegenstaenden um Euch her, bei Euren gewoehnlichen Gedanken, nein, Ihr erlebtet alles mit, Ihr waret es selbst, dem dies und jenes Wunderbare begegnete, so sehr nahmet Ihr teil an dem Manne, von dem man Euch erzaehlte. So erhob sich Euer Geist am Faden einer solchen Geschichte ueber die Gegenwart, die Euch nicht so schoen, nicht so anziehend duenkte; so bewegte sich dieser Geist in fremden, hoeheren Raeumen freier und ungebundener, das Maerchen wurde Euch zur Wirklichkeit, oder, wenn Ihr lieber wollet, die Wirklichkeit wurde zum Maerchen, weil Euer Dichten und Sein im Maerchen lebte." "Ganz verstehe ich Euch nicht", erwiderte der junge Kaufmann, "aber Ihr habt recht mit dem, was Ihr sagtet, wir lebten im Maerchen oder das Maerchen in uns. Sie ist mir noch wohl erinnerlich, jene schoene Zeit; wenn wir Musse dazu hatten, traeumten wir wachend; wir stellten uns vor, an wueste, unwirtbare Inseln verschlagen zu sein, wir berieten uns, was wir beginnen sollten, um unser Leben zu fristen, und oft haben wir im dichten Weidengebuesch uns Huetten gebaut, haben von elenden Fruechten ein kaergliches Mahl gehalten, obgleich wir hundert Schritte weit zu Haus das Beste haetten haben koennen, ja, es gab Zeiten, wo wir auf die Erscheinung einer guetigen Fee oder eines wunderbaren Zwerges warteten, die zu uns treten und sagen wuerden: ZDie Erde wird sich alsobald auftun, wollet dann nur gefaelligst herabsteigen in meinen Palast von Bergkristall und euch belieben lassen, was meine Diener, die Meerkatzen, euch auftischen.Z" Die jungen Leute lachten, gaben aber ihrem Freunde zu, dass er wahr gesprochen habe. "Noch jetzt", fuhr ein anderer fort, "noch jetzt beschleicht mich hier und da dieser Zauber; ich wuerde mich zum Beispiel nicht wenig aergern ueber die dumme Fabel, wenn mein Bruder zur Tuere hereingestuerzt kaeme und sagte: ZWeisst du schon das Unglueck von unserem Nachbarn, dem dicken Baecker? Er hat Haendel gehabt mit einem Zauberer, und dieser hat ihn aus Rache in einen Baeren verwandelt, und jetzt liegt er in seiner Kammer und heult entsetzlichZ; ich wuerde mich aergern und ihn einen Luegner schelten. Aber wie anders, wenn mir erzaehlt wuerde, der dicke Nachbar hab' eine weite Reise in ein fernes, unbekanntes Land unternommen, sei dort einem Zauberer in die Haende gefallen, der ihn in einen Baeren verwandelte. Ich wuerde mich nach und nach in die Geschichte versetzt fuehlen, wuerde mit dem dicken Nachbar reisen, Wunderbares erleben, und es wuerde mich nicht sehr ueberraschen, wenn er in ein Fell gesteckt wuerde und auf allen vieren gehen muesste." So sprachen die jungen Leute; da gab der Scheik wiederum das Zeichen, und alle setzten sich nieder. Der Aufseher der Sklaven aber trat zu den Freigelassenen und forderte sie auf, weiter forzufahren. Einer unter ihnen zeigte sich bereit, stand auf und hub an, folgendermassen zu erzaehlen: (im Maerchenalmanach auf das Jahr 1827 stand hier "Der arme Stephan" von Gustav Adolf Schoell.) Der Sklave hatte geendet, und seine Erzaehlung erhielt den Beifall des Scheik und seiner Freunde. Aber auch durch diese Erzaehlung wollte sich die Stirne des Scheik nicht entwoelken lassen, er war und blieb ernst und tiefsinnig wie zuvor, und die jungen Leute bemitleideten ihn. "Und doch", sprach der junge Kaufmann, "und doch kann ich nicht begreifen, wie der Scheik sich an einem solchen Tage Maerchen erzaehlen lassen mag, und zwar von seinen Sklaven. Ich fuer meinen Teil, haette ich einen solchen Kummer, so wuerde ich lieber hinausreiten in den Wald und mich setzen, wo es recht dunkel und einsam ist, aber auf keinen Fall dieses Geraeusch von Bekannten und Unbekannten um mich versammeln." "Der Weise", antwortete der alte Mann, "der Weise laesst sich von seinem Kummer nie so ueberwaeltigen, dass er ihm voellig unterliegt. Er wird ernst, er wird tiefsinnig sein, er wird aber nicht laut klagen oder verzweifeln. Warum also, wenn es in deinem Innern dunkel und traurig aussieht, warum noch ueberdies die Schatten dunkler Zedern suchen? Ihr Schatten faellt durch das Auge in dein Herz und macht es noch dunkler. An die Sonne musst du gehen, in den warmen, lichten Tag, fuer was du trauerst, und mit der Klarheit des Tages, mit der Waerme des Lichtes wird dir die Gewissheit aufgehen, dass Allahs Liebe ueber dir ist, erwaermend und ewig wie seine Sonne." "Ihr habt wahr gesprochen", setzte der Schreiber hinzu, "und geziemt es nicht einem weisen Mann, dem seine Umgebungen zu Gebot stehen, dass er an einem solchen Tage die Schatten des Grams so weit als moeglich entferne? Soll er zum Getraenke seine Zuflucht nehmen oder Opium speisen, um den Schmerz zu vergessen? Ich bleibe dabei, es ist die anstaendigste Unterhaltung in Leid und Freude, sich erzaehlen zu lassen, und der Scheik hat ganz recht." "Gut", erwiderte der junge Kaufmann, "aber hat er nicht Vorleser, nicht Freunde genug; warum muessen es gerade Sklaven sein, die erzaehlen?" "Diese Sklaven, lieber Herr", sagte der Alte, "sind vermutlich durch allerlei Unglueck in Sklaverei geraten und sind nicht gerade so ungebildete Leute, wie Ihr wohl gesehen habt, von welchen man sich nicht koennte erzaehlen lassen. Ueberdies stammen sie von allerlei Laendern und Voelkern, und es ist zu erwarten, dass sie bei sich zu Hause irgend etwas Merkwuerdiges gehoert oder gesehen, das sie nun zu erzaehlen wissen. Einen noch schoeneren Grund, den mir einst ein Freund des Scheik sagte, will ich Euch wiedergeben: Diese Leute waren bis jetzt in seinem Hause als Sklaven, hatten sie auch keine schwere Arbeit zu verrichten, so war es doch immer Arbeit, zu der sie gezwungen waren, und maechtig der Unterschied zwischen ihnen und freien Leuten. Sie durften sich, wie es Sitte ist, dem Scheik nicht anders als mit den Zeichen der Unterwuerfigkeit naehern. Sie durften nicht zu ihm reden, ausser er fragte sie, und ihre Rede musste kurz sein. Heute sind sie frei; und ihr erstes Geschaeft als freie Leute ist, in grosser Gesellschaft und vor ihrem bisherigen Herrn lange und offen sprechen zu duerfen. Sie fuehlen sich nicht wenig geehrt dadurch, und ihre unverhoffte Freilassung wird ihnen dadurch nur um so werter." "Siehe", unterbrach ihn der Schreiber, "dort steht der vierte Sklave auf; der Aufseher hat ihm wohl schon das Zeichen gegeben, lasset uns niedersetzen und hoeren!" (Im Maerchenalmanach auf das Jahr 1827 stand hier "Der gebackene Kopf" von James Justinian Morier) Der Scheik aeusserte seinen Beifall ueber diese Erzaehlung. Er hatte, was in Jahren nicht geschehen war, einigemal gelaechelt, und seine Freunde nahmen dies als eine gute Vorbedeutung. Dieser Eindruck war den jungen Maennern und dem Alten nicht entgangen. Auch sie freuten sich darueber, dass der Scheik, auf eine halbe Stunde wenigstens, zerstreut wurde; denn sie ehrten seinen Kummer und die Trauer um sein Unglueck, sie fuehlten ihre Brust beengt, wenn sie ihn so ernst und stille seinem Grame nachhaengen sahen, und gehobener, freudiger waren sie, als die Wolke seiner Stirne auf Augenblicke vorueberzog. "Ich kann mir wohl denken", sagte der Schreiber, "dass diese Erzaehlung guenstigen Eindruck auf ihn machen musste; es liegt so viel Sonderbares, Komisches darin, dass selbst der heilige Derwisch auf dem Berge Libanon, der in seinem Leben noch nie gelacht hat, laut auflachen muesste." "Und doch", sprach der Alte laechelnd, "und doch ist weder Fee noch Zauberer darin erschienen; kein Schloss von Kristall, keine Genien, die wunderbare Speisen bringen, kein Vogel Rock, noch ein Zauberpferd--" "Ihr beschaemt uns", rief der junge Kaufmann, "weil wir mit so vielem Eifer von jenen Maerchen unserer Kindheit sprachen, die uns noch jetzt so wunderbar anziehen, weil wir jene Momente aufzaehlten, wo uns das Maerchen so mit sich hinwegriss, dass wir darin zu leben waehnten, weil wir dies so hoch anschlugen, wollet Ihr uns beschaemen und auf feine Art zurechtweisen; nicht so?" "Mitnichten! Es sei ferne von mir, eure Liebe zum Maerchen zu tadeln; es zeugt von einem unverdorbenen Gemuet, dass ihr euch noch so recht gemuetlich in den Gang des Maerchens versetzen konntet, dass ihr nicht wie andere vornehm darauf, als auf ein Kinderspiel, herabsehet, dass ihr euch nicht langweilt und lieber ein Ross zureiten oder auf dem Sofa behaglich einschlummern oder halb traeumend die Wasserpfeife rauchen wolltet, statt dergleichen euer Ohr zu schenken. Es sei ferne von mir, euch darum zu tadeln; aber das freut mich, dass auch eine andere Art von Erzaehlung euch fesselt und ergoetzt, eine andere Art als die, welche man gewoehnlich Maerchen nennt." "Wie versteht Ihr dies? Erklaert uns deutlicher, was Ihr meinet. Eine andere Art als das Maerchen?" sprachen die Juenglinge unter sich. "Ich denke, man muss einen gewissen Unterschied machen zwischen Maerchen und Erzaehlungen, die man im gemeinen Leben Geschichten nennt. Wenn ich euch sage, ich will euch ein Maerchen erzaehlen, so werdet ihr zum voraus darauf rechnen, dass es eine Begebenheit ist, die von dem gewoehnlichen Gang des Lebens abschweift und sich in einem Gebiet bewegt, das nicht mehr durchaus irdischer Natur ist. Oder, um deutlicher zu sein, ihr werdet bei dem Maerchen auf die Erscheinung anderer Wesen als allein sterblicher Menschen rechnen koennen; es greifen in das Schicksal der Person, von welcher das Maerchen handelt, fremde Maechte, wie Feen und Zauberer, Genien und Geisterfuersten, ein; die ganze Erzaehlung nimmt eine aussergewoehnliche, wunderbare Gestalt an und ist ungefaehr anzuschauen wie die Gewebe unserer Teppiche oder viele Gemaelde unserer besten Meister, welche die Franken Arabesken nennen. Es ist dem echten Muselmann verboten, den Menschen, das Geschoepf Allahs, suendigerweise wiederzuschoepfen in Farben und Gemaelden, daher sieht man auf jenen Geweben wunderbar verschlungene Baeume und Zweige mit Menschenkoepfen, Menschen, die in einen Fisch oder Strauch ausgehen, kurz, Figuren, die an das gewoehnliche Leben erinnern und dennoch ungewoehnlich sind; ihr versteht mich doch?" "Ich glaube, Eure Meinung zu erraten", sagte der Schreiber, "doch fahret weiter fort!" "Von dieser Art ist nun das Maerchen; fabelhaft, ungewoehnlich, ueberraschend; weil es dem gewoehnlichen Leben fremd ist, wird es oft in fremde Laender oder in ferne, laengst vergangene Zeiten verschoben. Jedes Land, jedes Volk hat solche Maerchen, die Tuerken so gut als die Perser, die Chinesen wie die Mongolen; selbst in Frankenland soll es viele geben, wenigstens erzaehlte mir einst ein gelehrter Giaur davon; doch sind sie nicht so schoen als die unsrigen; denn statt schoener Feen, die in prachtvollen Palaesten wohnen, haben sie zauberhafte Weiber, die sie Hexen nennen, heimtueckisches, haessliches Volk, das in elenden Huetten wohnt, und statt in einem Muschelwagen, von Greisen gezogen, durch die blauen Luefte zu fahren, reiten sie auf einem Besen durch den Nebel. Sie haben auch Gnomen und Erdgeister, das sind kleine verwachsene Kerlchen, die allerlei Spuk machen. Das sind nun die Maerchen; ganz anders ist es aber mit den Erzaehlungen, die man gemeinhin Geschichten nennt. Diese bleiben ganz ordentlich auf der Erde, tragen sich im gewoehnlichen Leben zu, und wunderbar ist an ihnen meistens nur die Verkettung der Schicksale eines Menschen, der nicht durch Zauber, Verwuenschung oder Feenspuk, wie im Maerchen, sondern durch sie selbst oder die sonderbare Fuegung der Umstaende reich oder arm, gluecklich oder ungluecklich wird." "Richtig!" erwiderte einer der jungen Leute. "Solche reinen Geschichten finden sich auch in den herrlichen Erzaehlungen der Scheherazade, die man ZTausendundeine NachtZ nennt. Die meisten Begebenheiten des Koenigs Harun Al-Raschid und seines Wesirs sind dieser Art. Sie gehen verkleidet aus und sehen diesen oder jenen hoechst sonderbaren Vorfall, der sich nachher ganz natuerlich aufloest." "Und dennoch werdet ihr gestehen muessen", fuhr der Alte fort, "dass jene Geschichten nicht der schlechteste Teil der ZTausendundeine NachtZ sind. Und doch, wie verschieden sind sie in ihren Ursachen, in ihrem Gang, in ihrem ganzen Wesen von den Maerchen eines Prinzen Biribinker oder der drei Derwische mit einem Auge oder des Fischers, der den Kasten, verschlossen mit dem Siegel Salomos, aus dem Meere zieht! Aber am Ende ist es dennoch eine Grundursache, die beiden ihren eigentuemlichen Reiz gibt, naemlich das, dass wir etwas Auffallendes, Aussergewoehnliches miterleben. Bei dem Maerchen liegt dieses Aussergewoehnliche in jener Einmischung eines fabelhaften Zaubers in das gewoehnliche Menschenleben, bei den Geschichten geschieht etwas zwar nach natuerlichen Gesetzen, aber auf ueberraschende, ungewoehnliche Weise." "Sonderbar!" rief der Schreiber, "sonderbar, dass uns dann dieser natuerliche Gang der Dinge ebenso anzieht wie der uebernatuerliche im Maerchen; worin mag dies doch liegen?" "Das liegt in der Schilderung des einzelnen Menschen", antwortete der Alte; "im Maerchen haeuft sich das Wunderbare so sehr, der Mensch handelt so wenig mehr aus eigenem Trieb, dass die einzelnen Figuren und ihr Charakter nur fluechtig gezeichnet werden koennen. Anders bei der gewoehnlichen Erzaehlung, wo die Art, wie jeder seinem Charakter gemaess spricht und handelt, die Hauptsache und das Anziehende ist. So die Geschichte von dem gebackenen Kopf, die wir soeben gehoert haben. Der Gang der Erzaehlung waere im ganzen nicht auffallend, nicht ueberraschend, waere er nicht verwickelt durch den Charakter der Handelnden. Wie koestlich zum Beispiel ist die Figur des Schneiders. Man glaubt den alten, gekruemmten Mantelflicker vor sich zu sehen. Er soll zum erstenmal in seinem Leben einen tuechtigen Schnitt machen, ihm und seinem Weibe lacht schon zum voraus das Herz, und sie traktieren sich mit recht schwarzem Kaffee. Welches Gegenstueck zu dieser behaglichen Ruhe ist dann jene Szene, wo sie den Pack begierig oeffnen und den greulichen Kopf erblicken. Und nachher glaubt man ihn nicht zu sehen und zu hoeren, wie er auf dem Minarett umherschleicht, die Glaeubigen mit meckernder Stimme zum Gebet ruft und bei Erblickung des Sklaven ploetzlich, wie vom Donner geruehrt, verstummt? Dann der Barbier! Sehet ihr ihn nicht vor euch, den alten Suender, der, waehrend er die Seife anruehrt, viel schwatzt und gerne verbotenen Wein trinkt? Sehet ihr ihn nicht, wie er dem sonderbaren Kunden das Barbierschuesselchen unterhaelt und--den kalten Schaedel beruehrt? Nicht minder gut, wenn auch nur angedeutet, ist der Sohn des Baeckers, der verschmitzte Junge, und der Bratenmacher Yanakil. Ist nicht das Ganze eine ununterbrochene Reihe komischer Szenen, scheint nicht der Gang der Geschichte, so ungewoehnlich er ist, sich ganz natuerlich zu fuegen? Und warum? Weil die einzelnen Figuren richtig gezeichnet sind und aus ihrem ganzen Wesen alles so kommen muss, wie es wirklich geschieht." "Wahrlich, Ihr habt recht!" erwiderte der junge Kaufmann, "ich habe mir nie Zeit genommen, so recht darueber nachzudenken, habe alles nur so gesehen und an mir voruebergehen lassen, habe mich an dem einen ergoetzt, das andere langweilig gefunden, ohne gerade zu wissen, warum. Aber Ihr gebt uns da einen Schluessel, der uns das Geheimnis oeffnet, einen Probierstein, worauf wir die Probe machen und richtig urteilen koennen." "Tuet das immer", antwortete der Alte, "und euer Genuss wird sich vergroessern, wenn ihr nachdenken lernet ueber das, was ihr gehoert. Doch siehe, dort erhebt sich wieder ein neuer, um zu erzaehlen." So war es, und der fuenfte Sklave begann: Der arme Stephan Gustav Adolf Schoell Im "Maerchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Der arme Stephan" von Gustav Adolf Schoell. Der gebackene Kopf James Justinian Morier Im "Maerchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Der gebackene Kopf" von James Justinian Morier. Der Affe als Mensch Wilhelm Hauff "Herr! ich bin ein Deutscher von Geburt und habe mich in Euren Landen zu kurz aufgehalten, als dass ich ein persisches Maerchen oder eine ergoetzliche Geschichte von Sultanen und Wesiren erzaehlen koennte. Ihr muesst mir daher schon erlauben, dass ich etwas aus meinem Vaterland erzaehle, was Euch vielleicht auch einigen Spass macht. Leider sind unsere Geschichten nicht immer so vornehm wie die Euren, das heisst, sie handeln nicht von Sultanen oder unseren Koenigen, nicht von Wesiren und Paschas, was man bei uns Justiz- und Finanzminister, auch Geheimraete und dergleichen nennt, sondern sie leben, wenn sie nicht von Soldaten handeln, gewoehnlich ganz bescheiden und unter den Buergern. Im suedlichen Teil von Deutschland liegt das Staedtchen Gruenwiesel, wo ich geboren und erzogen bin. Es ist ein Staedtchen, wie sie alle sind. In der Mitte ein kleiner Marktplatz mit einem Brunnen, an der Seite ein kleines, altes Rathaus, umher auf dem Markt die Haeuser des Friedensrichters und der angesehensten Kaufleute, und in ein paar engen Strassen wohnen die uebrigen Menschen. Alles kennt sich, jedermann weiss, wie es da und dort zugeht, und wenn der Oberpfarrer oder der Buergermeister oder der Arzt ein Gericht mehr auf der Tafel hat, so weiss es schon am Mittagessen die ganze Stadt. Nachmittags kommen dann die Frauen zueinander in die Visite, wie man es nennt, besprechen sich bei starkem Kaffee und suessem Kuchen ueber diese grosse Begebenheit, und der Schluss ist, dass der Oberpfarrer wahrscheinlich in die Lotterie gesetzt und unchristlich viel gewonnen habe, dass der Buergermeister sich 'schmieren' lasse oder dass der Doktor vom Apotheker einige Goldstuecke bekommen habe, um recht teure Rezepte zu verschreiben. Ihr koennet Euch denken, Herr, wie unangenehm es fuer eine so wohleingerichtete Stadt wie Gruenwiesel sein musste, als ein Mann dorthin zog, von dem niemand wusste, woher er kam, was er wollte, von was er lebte. Der Buergermeister hatte zwar seinen Pass gesehen, ein Papier, das bei uns jedermann haben muss" "Ist es denn so unsicher auf den Strassen", unterbrach den Sklaven der Scheik, "dass Ihr einen Ferman Eures Sultans haben muesset, um die Raeuber in Respekt zu setzen?" "Nein, Herr", entgegnete jener, "diese Papiere halten keinen Dieb von uns ab, sondern es ist nur der Ordnung wegen, dass man ueberall weiss, wen man vor sich hat." Nun, der Buergermeister hatte den Pass untersucht und in einer Kaffeegesellschaft bei Doktors geaeussert, der Pass sei zwar ganz richtig visiert von Berlin bis Gruenwiesel, aber es stecke doch was dahinter; denn der Mann sehe etwas verdaechtig aus. Der Buergermeister hatte das groesste Ansehen in der Stadt, kein Wunder, dass von da an der Fremde als eine verdaechtige Person angesehen wurde. Und sein Lebenswandel konnte meine Landsleute nicht von dieser Meinung abbringen. Der fremde Mann mietete sich fuer einige Goldstuecke ein ganzes Haus, das bisher oede gestanden, liess einen ganzen Wagen voll sonderbarer Geraetschaften, als Oefen, Kunstherde, grosse Tiegel und dergleichen hineinschaffen und lebte von da an ganz fuer sich allein. Ja, er kochte sich sogar selbst, und es kam keine menschliche Seele in sein Haus als ein alter Mann aus Gruenwiesel, der ihm seine Einkaeufe in Brot, Fleisch und Gemuese besorgen musste. Doch auch dieser durfte nur in den Flur des Hauses kommen, und dort nahm der fremde Mann das Gekaufte in Empfang. Ich war ein Knabe von zehn Jahren, als der Mann in meiner Vaterstadt einzog, und ich kann mir noch heute, als waere es gestern geschehen, die Unruhe denken, die dieser Mann im Staedtchen verursachte. Er kam nachmittags nicht, wie andere Maenner, auf die Kegelbahn, er kam abends nicht ins Wirtshaus, um, wie die uebrigen, bei einer Pfeife Tabak ueber die Zeitung zu sprechen. Umsonst luden ihn nach der Reihe der Buergermeister, der Friedensrichter, der Doktor und der Oberpfarrer zum Essen oder Kaffee ein, er liess sich immer entschuldigen. Daher hielten ihn einige fuer verrueckt, andere fuer einen Juden, eine dritte Partie behauptete steif und fest, er sei ein Zauberer oder Hexenmeister. Ich wurde achtzehn, zwanzig Jahre alt, und noch immer hiess der Mann in der Stadt der fremde Herr. Es begab sich aber eines Tages, dass Leute mit fremden Tieren in die Stadt kamen. Es ist dies hergelaufenes Gesindel, das ein Kamel hat, welches sich verbeugen kann, einen Baeren, der tanzt, einige Hunde und Affen, die in menschlichen Kleidern komisch genug aussehen und allerlei Kuenste machen. Diese Leute durchziehen gewoehnlich die Stadt, halten an den Kreuzstrassen und Plaetzen, machen mit einer kleinen Trommel und einer Pfeife eine uebeltoenende Musik, lassen ihre Truppe tanzen und springen und sammeln dann in den Haeusern Geld ein. Die Truppe aber, die diesmal sich in Gruenwiesel sehen liess, zeichnete sich durch einen ungeheuren Orang-Utan aus, der beinahe Menschengroesse hatte, auf zwei Beinen ging und allerlei artige Kuenste zu machen verstand. Diese Hunds- und Affenkomoedie kam auch vor das Haus des fremden Herrn; er erschien, als die Trommel und Pfeife ertoenten, von Anfang ganz unwillig hinter den dunklen, vom Alter angelaufenen Fenstern; bald aber wurde er freundlicher, schaute zu jedermanns Verwundern zum Fenster heraus und lachte herzlich ueber die Kuenste des Orang-Utans; ja, er gab fuer den Spass ein so grosses Silberstueck, dass die ganze Stadt davon sprach. Am anderen Morgen zog die Tierbande weiter; das Kamel musste viele Koerbe tragen, in welchen die Hunde und Affen ganz bequem sassen, die Tiertreiber aber und der grosse Affe gingen hinter dem Kamel. Kaum aber waren sie einige Stunden zum Tore hinaus, so schickte der fremde Herr auf die Post, verlangte zu grosser Verwunderung des Postmeisters einen Wagen und Extrapost und fuhr zu demselben Tor hinaus den Weg hin, den die Tiere genommen hatten. Das ganze Staedtchen aergerte sich, dass man nicht erfahren konnte, wohin er gereist sei. Es war schon Nacht, als der fremde Herr wieder im Wagen vor dem Tor ankam; es sass aber noch eine Person im Wagen, die den Hut tief ins Gesicht gedrueckt und um Mund und Ohren ein seidenes Tuch gebunden hatte. Der Torschreiber hielt es fuer seine Pflicht, den anderen Fremden anzureden und um seinen Pass zu bitten; er antwortete aber sehr grob, indem er in einer ganz unverstaendlichen Sprache brummte. "Es ist mein Neffe", sagte der fremde Mann freundlich zum Torschreiber, indem er ihm einige Silbermuenzen in die Hand drueckte, "es ist mein Neffe und versteht bis dato noch wenig Deutsch; er hat soeben in seiner Mundart ein wenig geflucht, dass wir hier aufgehalten werden." "Ei, wenn es Dero Neffe ist", antwortete der Torschreiber, "so kann er wohl ohne Pass hereinkommen; er wird wohl ohne Zweifel bei Ihnen wohnen?" "Allerdings", sagte der Fremde, "und haelt sich wahrscheinlich laengere Zeit hier auf." Der Torschreiber hatte keine weitere Einwendung mehr, und der fremde Herr und sein Neffe fuhren ins Staedtchen. Der Buergermeister und die ganze Stadt waren uebrigens nicht sehr zufrieden mit dem Torschreiber. Er haette doch wenigstens einige Worte von der Sprache des Neffen sich merken sollen; daraus haette man dann leicht erfahren, was fuer ein Landeskind er und der Onkel waeren. Der Torschreiber versicherte aber, dass es weder Franzoesisch oder Italienisch sei, wohl aber habe es so breit geklungen wie Englisch, und wenn er nicht irre, so habe der junge Herr gesagt: "Goddam!" So half der Torschreiber sich selbst aus der Not und dem jungen Manne zu einem Namen; denn man sprach jetzt nur von dem jungen Englaender im Staedtchen. Aber auch der junge Englaender wurde nicht sichtbar, weder auf der Kegelbahn noch im Bierkeller; wohl aber gab er den Leuten auf andere Weise viel zu schaffen.--Es begab sich naemlich oft, dass von dem sonst so stillen Hause des Fremden ein schreckliches Geschrei und ein Laerm ausging, dass die Leute haufenweise vor dem Hause stehenblieben und hinaufsahen. Man sah dann den jungen Englaender, angetan mit einem roten Frack und gruenen Beinkleidern, mit struppichtem Haar und schrecklicher Miene unglaublich schnell an den Fenstern hin und her durch alle Zimmer laufen; der alte Fremde lief ihm in einem roten Schlafrock, eine Hetzpeitsche in der Hand, nach, verfehlte ihn oft, aber einigemal kam es doch der Menge auf der Strasse vor, als muesse er den Jungen erreicht haben; denn man hoerte klaegliche Angsttoene und klatschende Peitschenhiebe die Menge. An dieser grausamen Behandlung des fremden jungen Mannes nahmen die Frauen des Staedtchens so lebhaften Anteil, dass sie endlich den Buergermeister bewogen, einen Schritt in der Sache zu tun. Er schrieb dem fremden Herrn ein Billett, worin er ihm die unglimpfliche Behandlung seines Neffen in ziemlich derben Ausdruecken vorwarf und ihm drohte, wenn noch ferner solche Szenen vorfielen, den jungen Mann unter seinen besonderen Schutz zu nehmen. Wer war aber mehr erstaunt als der Buergermeister, wie er den Fremden selbst, zum erstenmal seit zehn Jahren, bei sich eintreten sah. Der alte Herr entschuldigte sein Verfahren mit dem besonderen Auftrag der Eltern des Juenglings, die ihm solchen zu erziehen gegeben; er sei sonst ein kluger, anstelliger Junge, aeusserte er, aber die Sprachen erlerne er sehr schwer; er wuensche so sehnlich, seinem Neffen das Deutsche recht gelaeufig beizubringen, um sich nachher die Freiheit zu nehmen, ihn in die Gesellschaft von Gruenwiesel einzufuehren, und dennoch gehe demselben diese Sprache so schwer ein, dass man oft nichts Besseres tun koenne, als ihn gehoerig durchzupeitschen. Der Buergermeister fand sich durch diese Mitteilung voellig befriedigt, riet dem Alten zur Maessigung und erzaehlte abends im Bierkeller, dass er selten einen so unterrichteten, artigen Mann gefunden als den Fremden; "es ist nur schade", setzte er hinzu, "dass er so wenig in Gesellschaft kommt; doch ich denke, wenn der Neffe nur erst ein wenig Deutsch spricht, besucht er meine Cercles oefter." Durch diesen einzigen Vorfall war die Meinung des Staedtchens voellig umgeaendert. Man hielt den Fremden fuer einen artigen Mann, sehnte sich nach seiner naeheren Bekanntschaft und fand es ganz in der Ordnung, wenn hier und da in dem oeden Hause ein graessliches Geschrei aufging. "Er gibt dem Neffen Unterricht in der deutschen Sprachlehre", sagten die Gruenwiesler und blieben nicht mehr stehen. Nach einem Vierteljahr ungefaehr schien der Unterricht im Deutschen beendigt; denn der Alte ging jetzt um eine Stufe weiter vor. Es lebte ein alter gebrechlicher Franzose in der Stadt, der den jungen Leuten Unterricht im Tanzen gab. Diesen liess der Fremde zu sich rufen und sagte ihm, dass er seinen Neffen im Tanzen unterrichten lassen wolle. Er gab ihm zu verstehen, dass derselbe zwar sehr gelehrig, aber, was das Tanzen betreffe, etwas eigensinnig sei; er habe naemlich frueher bei einem anderen Meister tanzen gelernt, und zwar nach so sonderbaren Touren, dass er sich nicht fueglich in der Gesellschaft produzieren koenne; der Neffe halte sich aber eben deswegen fuer einen grossen Taenzer, obgleich sein Tanz nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit Walzer oder Galopp (Taenze, die man in meinem Vaterlande tanzt, o Herr!), nicht einmal Aehnlichkeit mit Ekossaise oder Francaise habe. Er versprach uebrigens einen Taler fuer die Stunde, und der Tanzmeister war mit Vergnuegen bereit, den Unterricht des eigensinnigen Zoeglings zu uebernehmen. Es gab, wie der Franzose unterderhand versicherte, auf der Welt nichts Sonderbareres als diese Tanzstunden. Der Neffe, ein ziemlich grosser, schlanker junger Mann, der nur etwas sehr kurze Beine hatte, erschien in einem roten Frack, schoen frisiert, in gruenen, weiten Beinkleidern und glasierten Handschuhen. Er sprach wenig und mit fremdem Akzent, war von Anfang ziemlich artig und anstellig; dann verfiel er aber oft ploetzlich in fratzenhafte Spruenge, tanzte die kuehnsten Touren, wobei er Entrechats machte, dass dem Tanzmeister Hoeren und Sehen verging; wollte er ihn zurechtweisen, so zog er die zierlichen Tanzschuhe von den Fuessen, warf sie dem Franzosen an den Kopf und setzte nun auf allen Vieren im Zimmer umher. Bei diesem Laerm fuhr dann der alte Herr ploetzlich in einem weiten, roten Schlafrock, eine Muetze von Goldpapier auf dem Kopf, aus seinem Zimmer heraus und liess die Hetzpeitsche ziemlich unsanft auf den Ruecken des Neffen niederfallen. Der Neffe fing dann an, schrecklich zu heulen, sprang auf Tische und hohe Kommoden, ja selbst an den Kreuzstoecken der Fenster hinauf und sprach eine fremde, seltsame Sprache. Der Alte im roten Schlafrock aber liess sich nicht irremachen, fasste ihn am Bein, riss ihn herab, bleute ihn durch und zog ihm mittels einer Schnalle die Halsbinde fester an, worauf er immer wieder artig und manierlich wurde und die Tanzstunde ohne Stoerung weiterging. Als aber der Tanzmeister seinen Zoegling so weit gebracht hatte, dass man Musik zu der Stunde nehmen konnte, da war der Neffe wie umgewandelt. Ein Stadtmusikant wurde gemietet, der im Saal des oeden Hauses auf einen Tisch sich setzen musste. Der Tanzmeister stellte dann die Dame vor, indem ihm der alte Herr einen Frauenrock von Seide und einen ostindischen Schal anziehen liess; der Neffe forderte ihn auf und fing nun an, mit ihm zu tanzen und zu walzen; er aber war ein unermuedlicher, rasender Taenzer, er liess den Meister nicht aus seinen langen Armen; ob er aechzte und schrie, er musste tanzen, bis er ermattet umsank oder bis dem Stadtmusikus der Arm lahm wurde an der Geige. Den Tanzmeister brachten diese Unterrichtsstunden beinahe unter den Boden, aber der Taler, den er jedesmal richtig ausbezahlt bekam, der gute Wein, den der Alte aufwartete, machten, dass er immer wiederkam, wenn er auch den Tag zuvor sich fest vorgenommen hatte, nicht mehr in das oede Haus zu gehen. Die Leute in Gruenwiesel sahen aber die Sache ganz anders an als der Franzose. Sie fanden, dass der junge Mann viele Anlagen zum Gesellschaftlichen habe, und die Frauenzimmer im Staedtchen freuten sich, bei dem grossen Mangel an Herren einen so flinken Taenzer fuer den naechsten Winter zu bekommen. Eines Morgens berichteten die Maegde, die vom Markte heimkehrten, ihren Herrschaften ein wunderbares Ereignis. Vor dem oeden Hause sei ein praechtiger Glaswagen gestanden, mit schoenen Pferden bespannt, und ein Bediensteter in reicher Livree habe den Schlag gehalten. Da sei die Tuere des oeden Hauses aufgegangen und zwei schoen gekleidete Herren herausgetreten, wovon der eine der alte Fremde und der andere wahrscheinlich der junge Herr gewesen, der so schwer Deutsch gelernt und so rasend tanze. Die beiden seien in den Wagen gestiegen, der Bedienstete hinten aufs Brett gesprungen, und der Wagen, man stelle sich vor, sei geradezu auf Buergermeisters Haus zugefahren. Als die Frauen solches von ihren Maegden erzaehlen hoerten, rissen sie eilends die Kuechenschuerzen und die etwas unsauberen Hauben ab und versetzten sich in Staat; "es ist nichts gewisser", sagten sie zu ihrer Familie, indem alles umherrannte, um das Besuchszimmer, das zugleich zu sonstigem Gebrauch diente, aufzuraeumen, "es ist nichts gewisser, als dass der Fremde jetzt seinen Neffen in die Welt einfuehrt. Der alte Narr war seit zehn Jahren nicht so artig, einen Fuss in unser Haus zu setzen, aber es sei ihm wegen des Neffen verziehen, der ein charmanter Mensch sein soll." So sprachen sie und ermahnten ihre Soehne und Toechter, recht manierlich auszusehen, wenn die Fremden kaemen, sich gerade zu halten und sich auch einer besseren Aussprache zu bedienen als gewoehnlich. Und die klugen Frauen im Staedtchen hatten nicht unrecht geraten; denn nach der Reihe fuhr der alte Herr mit seinem Neffen umher; sich und ihn in die Gewogenheit der Familien zu empfehlen. Man war ueberall ganz erfuellt von den beiden Fremden und bedauerte, nicht schon frueher diese angenehme Bekanntschaft gemacht zu haben. Der alte Herr zeigte sich als ein wuerdiger, sehr vernuenftiger Mann, der zwar bei allem, was er sagte, ein wenig laechelte, so dass man nicht gewiss war, ob es ihm Ernst sei oder nicht, aber er sprach ueber das Wetter, ueber die Gegend, ueber das Sommervergnuegen auf dem Keller am Berge so klug und durchdacht, dass jedermann davon bezaubert war. Aber der Neffe! Er bezauberte alles, er gewann alle Herzen fuer sich. Man konnte zwar, was sein Aeusseres betraf, sein Gesicht nicht schoen nennen; der untere Teil, besonders die Kinnlade, stand allzusehr hervor, und der Teint war sehr braeunlich; auch machte er zuweilen allerlei sonderbare Grimassen, drueckte die Augen zu und fletschte mit den Zaehnen; aber dennoch fand man den Schnitt seiner Zuege ungemein interessant. Es konnte nichts Beweglicheres, Gewandteres geben als seine Gestalt. Die Kleider hingen ihm zwar etwas sonderbar am Leib, aber es stand ihm alles trefflich; er fuhr mit grosser Lebendigkeit im Zimmer umher, warf sich hier aufs Sofa, dort in einen Lehnstuhl und streckte die Beine von sich; aber was man bei einem anderen jungen Mann hoechst gemein und unschicklich gefunden haette, galt bei dem Neffen fuer Genialitaet. "Er ist ein Englaender", sagte man, "so sind sie alle; ein Englaender kann sich aufs Kanapee legen und einschlafen, waehrend zehn Damen keinen Platz haben und umherstehen muessen, einem Englaender kann man so etwas nicht uebelnehmen." Gegen den alten Herrn, seinen Oheim, war er sehr fuegsam; denn wenn er anfing, im Zimmer umherzuhuepfen oder, wie er gerne tat, die Fuesse auf den Sessel hinaufzuziehen, so reichte ein ernsthafter Blick hin, ihn zur Ordnung zu bringen. Und wie konnte man ihm so etwas uebelnehmen, als vollends der Onkel in jedem Haus zu der Dame sagte: "Mein Neffe ist noch ein wenig roh und ungebildet; aber ich verspreche mir viel von der Gesellschaft, die wird ihn gehoerig formen und bilden, und ich empfehle ihn namentlich Ihnen aufs angelegenste." So war der Neffe also in die Welt eingefuehrt, und ganz Gruenwiesel sprach an diesem und den folgenden Tagen von nichts anderem als von diesem Ereignis. Der alte Herr blieb aber hierbei nicht stehen; er schien seine Denk- und Lebensart gaenzlich geaendert zu haben. Nachmittags ging er mit dem Neffen hinaus in den Felsenkeller am Berg, wo die vornehmeren Herren von Gruenwiesel Bier tranken und sich am Kegelschieben ergoetzten. Der Neffe zeigte sich dort als ein flinker Meister im Spiel; denn er warf nie unter fuenf oder sechs; hier und da schien zwar ein sonderbarer Geist ueber ihn zu kommen; es konnte ihm einfallen, dass er pfeilschnell mit der Kugel hinaus- und unter die Kegel hineinfuhr und dort allerhand tollen Rumor anrichtete, oder wenn er den Kranz oder den Koenig geworfen, stand er ploetzlich auf seinem schoen frisierten Haar und streckte die Beine in die Hoehe, oder wenn ein Wagen vorbeifuhr, sass er, ehe man sich's dessen versah, oben auf dem Kutschenhimmel und machte Grimassen herab, fuhr so ein Stueckchen weit mit und kam dann wieder zur Gesellschaft gesprungen. Der alte Herr pflegte dann bei solchen Szenen den Buergermeister und die anderen Maenner sehr um Entschuldigung zu bitten wegen der Ungezogenheit seines Neffen; sie aber lachten, schrieben es seiner Jugend zu, behaupteten, in diesem Alter selbst so leichtfuessig gewesen zu sein, und liebten den jungen Springinsfeld, wie sie ihn nannten, ungemein. Es gab aber auch Zeiten, wo sie sich nicht wenig ueber ihn aergerten und dennoch nichts zu sagen wagten, weil der junge Englaender allgemein als ein Muster von Bildung und Verstand galt. Der alte Herr pflegte naemlich mit seinem Neffen auch abends in den Goldenen Hirsch, das Wirtshaus des Staedtchens, zu kommen. Obgleich der Neffe noch ein ganz junger Mensch war, tat er doch schon ganz wie ein Alter, setzte sich hinter sein Glas, tat eine ungeheure Brille auf, zog eine gewaltige Pfeife heraus, zuendete sie an und dampfte unter allen am aergsten. Wurde nun ueber die Zeitungen, ueber Krieg und Frieden gesprochen, gab der Doktor die Meinung, der Buergermeister jene, waren die anderen Herren ganz erstaunt ueber so tiefe politische Kenntnisse, so konnte es dem Neffen ploetzlich einfallen, ganz anderer Meinung zu sein; er schlug dann mit der Hand, von welcher er nie die Handschuhe ablegte, auf den Tisch und gab dem Buergermeister und dem Doktor nicht undeutlich zu verstehen, dass sie von diesem allem nichts genau wuessten, dass er diese Sachen ganz anders gehoert habe und tiefere Einsicht besitze. Er gab dann in einem sonderbar gebrochenen Deutsch seine Meinung preis, die alle, zum grossen Aergernis des Buergermeisters, ganz trefflich fanden; denn er musste als Englaender natuerlich alles besser wissen. Setzten sich dann der Buergermeister und der Doktor in ihrem Zorn, den sie nicht laut werden lassen durften, zu einer Partie Schach, so rueckte der Neffe hinzu, schaute dem Buergermeister mit seiner grossen Brille ueber die Schulter herein und tadelte diesen oder jenen Zug, sagte dem Doktor, so und so muesse er ziehen, so dass beide Maenner heimlich ganz grimmig wurden. Bot ihm dann der Buergermeister aergerlich eine Partie an, um ihn gehoerig matt zu machen, denn er hielt sich fuer einen zweiten Philidor, so schnallte der alte Herr dem Neffen die Halsbinde fester zu, worauf dieser ganz artig und manierlich wurde und den Buergermeister matt machte. Man hatte bisher in Gruenwiesel beinahe jeden Abend Karten gespielt, die Partie um einen halben Kreuzer; das fand nun der Neffe erbaermlich, setzte Kronentaler und Dukaten, behauptete, kein einziger spiele so fein wie er, soehnte aber die beleidigten Herren gewoehnlich dadurch wieder aus, dass er ungeheure Summen an sie verlor. Sie machten sich auch gar kein Gewissen daraus, ihm recht viel Geld abzunehmen; denn "er ist ja ein Englaender, also von Hause aus reich", sagten sie und schoben die Dukaten in die Tasche. So kam der Neffe des fremden Herrn in kurzer Zeit bei Stadt und Umgegend in ungemeines Ansehen. Man konnte sich seit Menschengedenken nicht erinnern, einen jungen Mann dieser Art in Gruenwiesel gesehen zu haben, und es war die sonderbarste Erscheinung, die man je bemerkt. Man konnte nicht sagen, dass der Neffe irgend etwas gelernt haette als etwa tanzen. Latein und Griechisch waren ihm, wie man zu sagen pflegt, boehmische Doerfer. Bei einem Gesellschaftsspiel in Buergermeisters Hause sollte er etwas schreiben, und es fand sich, dass er nicht einmal seinen Namen schreiben konnte; in der Geographie machte er die auffallendsten Schnitzer; denn es kam ihm nicht darauf an, eine deutsche Stadt nach Frankreich oder eine daenische nach Polen zu versetzen, er hatte nichts gesehen, nichts studiert, und der Oberpfarrer schuettelte oft bedenklich den Kopf ueber die rohe Unwissenheit des jungen Mannes; aber dennoch fand man alles trefflich, was er tat oder sagte; denn er war so unverschaemt, immer recht haben zu wollen, und das Ende jeder seiner Reden war: "Ich verstehe das besser!" So kam der Winter heran, und jetzt erst trat der Neffe mit noch groesserer Glorie auf. Man fand jede Gesellschaft langweilig, wo nicht er zugegen war, man gaehnte, wenn ein vernuenftiger Mann etwas sagte; wenn aber der Neffe selbst das toerichteste Zeug in schlechtem Deutsch vorbrachte, war alles Ohr. Es fand sich jetzt, dass der treffliche junge Mann auch ein Dichter war; denn nicht leicht verging ein Abend, an welchem er nicht einiges Papier aus der Tasche zog und der Gesellschaft einige Sonette vorlas. Es gab zwar einige Leute, die von dem einen Teil dieser Dichtungen behaupteten, sie seien schlecht und ohne Sinn, einen anderen Teil wollten sie schon irgendwo gedruckt gelesen haben; aber der Neffe liess sich nicht irremachen, er las und las, machte dann auf die Schoenheiten seiner Verse aufmerksam, und jedesmal erfolgte rauschender Beifall. Sein Triumph waren aber die Gruenwieseler Baelle. Es konnte niemand anhaltender, schneller tanzen als er; keiner machte so kuehne und ungemein zierliche Spraenge wie er. Dabei kleidete ihn sein Onkel immer aufs praechtigste nach dem neuesten Geschmack, und obgleich ihm die Kleider nicht recht am Leibe sitzen wollten, fand man dennoch, dass ihn alles allerliebst kleide. Die Maenner fanden sich zwar bei diesen Taenzen etwas beleidigt durch die neue Art, womit er auftrat. Sonst hatte immer der Buergermeister in eigener Person den Ball eroeffnet, die vornehmsten jungen Leute hatten das Recht, die uebrigen Taenze anzuordnen aber seit der fremde junge Herr erschien, war dies alles ganz anders. Ohne viel zu fragen, nahm er die naechste beste Dame bei der Hand, stellte sich mit ihr oben an, machte alles, wie es ihm gefiel, und war Herr und Meister und Ballkoenig. Weil aber die Frauen diese Manieren ganz trefflich und angenehm fanden, so durften die Maenner nichts dagegen einwenden, und der Neffe blieb bei seiner selbstgewaehlten Wuerde. Das groesste Vergnuegen schien ein solcher Ball dem alten Herrn zu gewaehren; er verwandte kein Auge von seinem Neffen, laechelte immer in sich hinein, und wenn alle Welt herbeistroemte, um ihm ueber den anstaendigen, wohlgezogenen Juengling Lobsprueche zu erteilen, so konnte er sich vor Freude gar nicht fassen; er brach dann in ein lustiges Gelaechter aus und bezeugte sich wie naerrisch; die Gruenwieseler schrieben diese sonderbaren Ausbrueche der Freude seiner grossen Liebe zu dem Neffen zu und fanden es ganz in der Ordnung. Doch hier und da musste er auch sein vaeterliches Ansehen gegen den Neffen anwenden. Denn mitten in den zierlichsten Taenzen konnte es dem jungen Mann einfallen, mit einem kuehnen Sprung auf die Tribuene, wo die Stadtmusikanten sassen, zu setzen, dem Organisten den Kontrabass aus der Hand zu reissen und schrecklich darauf umherzukratzen; oder er wechselte auf einmal und tanzte auf den Haenden, indem er die Beine in die Hoehe streckte. Dann pflegte ihn der Onkel auf die Seite zu nehmen, machte ihm dort ernstliche Vowuerfe und zog ihm die Halsbinde fester an, dass er wieder ganz gesittet wurde. So betrug sich nun der Neffe in Gesellschaft und auf Baellen. Wie es aber mit den Sitten zu geschehen pflegt, die schlechten verbreiten sich immer leichter als die guten, und eine neue, auffallende Mode, wenn sie auch hoechst laecherlich sein solle, hat etwas Ansteckendes an sich fuer junge Leute, die noch nicht ueber sich selbst und die Welt nachgedacht haben. So war es auch in Gruenwiesel mit dem Neffen und seinen sonderbaren Sitten. Als naemlich die junge Welt sah, wie derselbe mit seinem linkischen Wesen, mit seinem rohen Lachen und Schwatzen, mit seinen groben Antworten gegen Aeltere eher geschaetzt als getadelt werde, dass man dies alles sogar sehr geistreich finde, so dachten sie bei sich: "Es ist mir ein leichtes, auch solch ein geistreicher Schlingel zu werden." Sie waren sonst fleissige, geschickte junge Leute gewesen; jetzt dachten sie: "Zu was hilft Gelehrsamkeit, wenn man mit Unwissenheit besser fortkoemmt?" Sie liessen die Buecher liegen und trieben sich ueberall umher auf Plaetzen und Strassen. Sonst waren sie artig gewesen und hoeflich gegen jedermann, hatten gewartet, bis man sie fragte, und anstaendig und bescheiden geantwortet; jetzt standen sie in die Reihe der Maenner, schwatzten mit, gaben ihre Meinung preis und lachten selbst dem Buergermeister unter die Nase, wenn er etwas sagte, und behaupteten, alles viel besser zu wissen. Sonst hatten die jungen Gruenwieser Abscheu gehegt gegen rohes und gemeines Wesen. Jetzt sangen sie allerlei schlechte Lieder, rauchten aus ungeheuren Pfeifen Tabak und trieben sich in gemeinen Kneipen umher; auch kauften sie sich, obgleich sie ganz gut sahen, grosse Brillen, setzten solche auf die Nase und glaubten nun, gemachte Leute zu sein; denn sie sahen ja aus wie der beruehmte Neffe. Zu Hause oder wenn sie auf Besuch waren, lagen sie mit Stiefeln und Sporen auf dem Kanapee, schaukelten sich auf dem Stuhl in guter Gesellschaft oder stuetzten die Wangen in beide Faeuste, die Ellbogen aber auf den Tisch, was nun ueberaus reizend anzusehen war. Umsonst sagten ihnen ihre Muetter und Freunde, wie toericht, wie unschicklich dies alles sei, sie beriefen sich auf das glaenzende Beispiel des Neffen. Umsonst stellte man ihnen vor, dass man dem Neffen, als einem jungen Englaender, eine gewisse Nationalroheit verzeihen muesse, die jungen Gruenwieseler behaupteten, ebensogut als der beste Englaender das Recht zu haben, auf geistreiche Weise ungezogen zu sein; kurz, es war ein Jammer, wie durch das boese Beispiel des Neffen die Sitten und guten Gewohnheiten in Gruenwiesel voellig untergingen. Aber die Freude der jungen Leute an ihrem rohen, ungebundenen Leben dauerte nicht lange; denn folgender Vorfall veraenderte auf einmal die ganze Szene: Die Wintervergnuegungen sollte ein grosses Konzert beschliessen, das teils von den Stadtmusikanten, teils von geschickten Musikfreunden in Gruenwiesel aufgefuehrt werden sollte. Der Buergermeister spielte das Violoncell, der Doktor das Fagott ganz vortrefflich, der Apotheker, obgleich er keinen rechten Ansatz hatte, blies die Floete, einige Jungfrauen aus Gruenwiesel hatten Arien einstudiert, und alles war trefflich vorbereitet. Da aeusserte der alte Fremde, dass zwar das Konzert auf diese Art trefflich werden wuerde, es fehle aber offenbar an einem Duett, und ein Duett muesse in jedem ordentlichen Konzert notwendigerweise vorkommen. Man war etwas betreten ueber diese Aeusserung; die Tochter des Buergermeisters sang zwar wie eine Nachtigall; aber wo einen Herrn herbekommen, der mit ihr ein Duett singen koennte? Man wollte endlich auf den alten Organisten verfallen, der einst einen trefflichen Bass gesungen hatte; der Fremde aber behauptete, dies alles sei nicht noetig, indem sein Neffe ganz ausgezeichnet singe. Man war nicht wenig erstaunt ueber diese neue treffliche Eigenschaft des jungen Mannes; er musste zur Probe etwas singen, und einige sonderbare Manieren abgerechnet, die man fuer englisch hielt, sang er wie ein Engel. Man studierte also in der Eile das Duett ein, und der Abend erschien endlich, an welchem die Ohren der Gruenwieseler durch das Konzert erquickt werden sollten. Der alte Fremde konnte leider dem Triumph seines Neffen nicht beiwohnen, weil er krank war; er gab aber dem Buergermeister, der ihn eine Stunde zuvor noch besuchte, einige Massregeln ueber seinen Neffen auf. "Er ist eine gute Seele, mein Neffe", sagte er, "aber hier und da verfaellt er in allerlei sonderbare Gedanken und faengt dann tolles Zeug an; es ist mir eben deswegen leid, dass ich dem Konzert nicht beiwohnen kann; denn vor mir nimmt er sich gewaltig in acht, er weiss wohl, warum! Ich muss uebrigens zu seiner Ehre sagen, dass dies nicht geistiger Mutwillen ist, sondern es ist koerperlich, es liegt in seiner Natur. Wollten Sie nun, Herr Buergermeister, wenn er etwa in solche Gedanken verfiele, dass er sich auf ein Notenpult setzte oder dass er durchaus den Kontrabass streichen wollte oder dergleichen, wollten Sie ihm dann nur seine hohe Halsbinde etwas lockerer machen oder, wenn es auch dann nicht besser wird, ihm solche ganz ausziehen, Sie werden sehen, wie artig und manierlich er dann wird." Der Buergermeister dankte dem Kranken fuer sein Zutrauen und versprach, im Fall der Not also zu tun, wie er ihm geraten. Der Konzertsaal war gedraengt voll; denn ganz Gruenwiesel und die Umgegend hatten sich eingefunden. Alle Jaeger, Pfarrer, Amtleute, Landwirte und dergleichen aus dem Umkreis von drei Stunden waren mit zahlreicher Familie herbeigestroemt, um den seltenen Genuss mit den Gruenwieselern zu teilen. Die Stadtmusikanten hielten sich vortrefflich; nach ihnen trat der Buergermeister auf, der das Violoncell spielte, begleitet vom Apotheker, der die Floete blies; nach diesen sang der Organist eine Bassarie mit allgemeinem Beifall, und auch der Doktor wurde nicht wenig beklatscht, als er auf dem Fagott sich hoeren liess. Die erste Abteilung des Konzertes war vorbei, und jedermann war nun auf die zweite gespannt, in welcher der junge Fremde mit des Buergermeisters Tochter ein Duett vortragen sollte. Der Neffe war in einem glaenzenden Anzug erschienen und hatte schon laengst die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen. Er hatte sich naemlich, ohne viel zu fragen, in den praechtigen Lehnstuhl gelegt, der fuer eine Graefin aus der Nachbarschaft hergesetzt worden war; er streckte die Beine weit von sich, schaute jedermann durch ein ungeheueres Perspektiv an, das er noch ausser seiner grossen Brille gebrauchte, und spielte mit einem grossen Fleischerhund, den er trotz des Verbotes, Hunde mitzunehmen, in die Gesellschaft eingefuehrt hatte. Die Graefin, fuer welche der Lehnstuhl bereitet war, erschien; aber wer keine Miene machte, aufzustehen und ihr den Platz einzuraeumen, war der Neffe; er setzte sich im Gegenteil noch bequemer hinein, und niemand wagte es, dem jungen Mann etwas darueber zu sagen; die vornehme Dame aber musste auf einem ganz gemeinen Strohsessel mitten unter den uebrigen Frauen des Staedtchens sitzen und soll sich nicht wenig geaergert haben. Waehrend des herrlichen Spieles des Buergermeisters, waehrend des Organisten trefflicher Bassarie, ja sogar waehrend der Doktor auf dem Fagott phantasierte und alles den Atem anhielt und lauschte, liess der Neffe den Hund das Schnupftuch apportieren oder schwatzte ganz laut mit seinen Nachbarn, so dass jedermann, der ihn nicht kannte, ueber die absonderlichen Sitten des jungen Herrn sich wunderte. Kein Wunder daher, dass alles sehr begierig war, wie er sein Duett vortragen wuerde. Die zweite Abteilung begann; die Stadtmusikanten hatten etwas weniges aufgespielt, und nun trat der Buergermeister mit seiner Tochter zu dem jungen Mann, ueberreichte ihm ein Notenblatt und sprach: "Mosjoeh, waere es Ihnen jetzt gefaellig, das Duetto zu singen?" Der junge Mann lachte, fletschte mit den Zaehnen, sprang auf, und die beiden anderen folgten ihm an das Notenpult, und die ganze Gesellschaft war voll Erwartung. Der Organist schlug den Takt und winkte dem Neffen, anzufangen. Dieser schaute durch seine grossen Brillenglaeser in die Noten und stiess greuliche, jaemmerliche Toene aus. Der Organist aber schrie ihm zu: "Zwei Toene tiefer, Wertester, C muessen Sie singen, C!" Statt aber C zu singen, zog der Neffe einen seiner Schuhe ab und warf ihn dem Organisten an den Kopf, dass der Puder weit umherflog. Als dies der Buergermeister sah, dachte er. "Ha, jetzt hat er wieder seine koerperlichen Zufaelle!", sprang hinzu, packte ihn am Hals und band ihm das Tuch etwas leichter; aber dadurch wurde es nur noch schlimmer mit dem jungen Mann. Er sprach nicht mehr Deutsch, sondern eine ganz sonderbare Sprache, die niemand verstand, und machte grosse Spruenge. Der Buergermeister war in Verzweiflung ueber diese unangenehme Stoerung; er fasste daher den Entschluss, dem jungen Mann, dem etwas ganz Besonderes zugestossen sein musste, das Halstuch vollends abzuloesen. Aber kaum hatte er dies getan, so blieb er vor Schrecken wie erstarrt stehen; denn statt menschlicher Haut und Farbe umgab den Hals des jungen Menschen ein dunkelbraunes Fell, und alsobald setzte derselbe auch seine Spruenge noch hoeher und sonderbarer fort, fuhr sich mit den glasierten Handschuhen in die Haare, zog diese ab, und o Wunder, diese schoenen Haare waren eine Peruecke, die er dem Buergermeister ins Gesicht warf, und sein Kopf erschien jetzt mit demselben braunen Fell bewachsen. Er setzte ueber Tische und Baenke, warf die Notenpulte um, zertrat Geigen und Klarinette und erschien wie ein Rasender. "Fangt ihn, fangt ihn!" rief der Buergermeister ganz ausser sich, "er ist von Sinnen, fangt ihn!" Das war aber eine schwierige Sache; denn er hatte die Handschuhe abgezogen und zeigte Naegel an den Haenden, mit welchen er den Leuten ins Gesicht fuhr und sie jaemmerlich kratzte. Endlich gelang es einem mutigen Jaeger, seiner habhaft zu werden. Er presste ihm die langen Arme zusammen, dass er nur noch mit den Fuessen zappelte und mit heiserer Stimme lachte und schrie. Die Leute sammelten sich umher und betrachteten den sonderbaren jungen Herrn, der jetzt gar nicht mehr aussah wie ein Mensch. Aber ein gelehrter Herr aus der Nachbarschaft, der ein grosses Naturalienkabinett und allerlei ausgestopfte Tiere besass, trat naeher, betrachtete ihn genau und rief dann voll Verwunderung: "Mein Gott, verehrte Herren und Damen, wie bringen Sie nur dies Tier in honette Gesellschaft, das ist ja ein Affe, der Homo Troglodytes Linnaei, ich gebe sogleich sechs Taler fuer ihn, wenn Sie mir ihn ablassen, und balge ihn aus fuer mein Kabinett." Wer beschreibt das Erstaunen der Gruenwieseler, als sie dies hoerten! "Was, ein Affe, ein Orang-Utan in unserer Gesellschaft? Der junge Fremde ein ganz gewoehnlicher Affe?" riefen sie und sahen einander ganz dumm vor Verwunderung an. Man wollte nicht glauben, man traute seinen Ohren nicht, die Maenner untersuchten das Tier genauer, aber es war und blieb ein ganz natuerlicher Affe. "Aber, wie ist dies moeglich!" rief die Frau Buergermeister. "Hat er mir nicht oft seine Gedichte vorgelesen? Hat er nicht wie ein anderer Mensch bei mir zu Mittag gespeist?" "Was?" eiferte die Frau Doktorin. "Wie? Hat er nicht oft und viel den Kaffee bei mir getrunken und mit meinem Manne gelehrt gesprochen und geraucht?" "Wie! Ist es moeglich!" riefen die Maenner. "Hat er nicht mit uns am Felsenkeller Kugeln geschoben und ueber Politik gestritten wie unsereiner?" "Und wie?" klagten sie alle. "Hat er nicht sogar vorgetanzt auf unseren Baellen? Ein Affe! Ein Affe? Es ist ein Wunder, es ist Zauberei!" sagten die Buerger. "Ja, es ist Zauberei und teuflischer Spuk", sagte der Buergermeister, indem er das Halstuch des Neffen oder Affen herbeibrachte. "Seht! In diesem Tuch steckte der ganze Zauber, der ihn in unseren Augen liebenswuerdig machte. Da ist ein breiter Streifen elastischen Pergaments, mit allerlei wunderlichen Zeichen beschrieben. Ich glaube gar, es ist Lateinisch; kann es niemand lesen?" Der Oberpfarrer, ein gelehrter Mann, der oft an den Affen eine Partie Schach verloren hatte, trat hinzu, betrachtete das Pergament und sprach: "Mitnichten! Es sind nur lateinische Buchstaben, es heisst: DER--AFFE--SEHR--POSSIERLICH--IST--ZUMAL--WANN--ER--VOM--APFEL--FRISST -Ja, ja, es ist hoellischer Betrug, eine Art von Zauberei", fuhr er fort, "und es muss exemplarisch bestraft werden." Der Buergermeister war derselben Meinung und machte sich sogleich auf den Weg zu dem Fremden, der ein Zauberer sein musste, und sechs Stadtsoldaten trugen den Affen; denn der Fremde sollte sogleich ins Verhoer genommen werden. Sie kamen, umgeben von einer ungeheuren Anzahl Menschen, an das oede Haus; denn jedermann wollte sehen, wie sich die Sache weiter begeben wuerde. Man pochte an das Haus, man zog die Glocke, aber vergeblich, es zeigte sich niemand. Da liess der Buergermeister in seiner Wut die Tuere einschlagen und begab sich hierauf in die Zimmer des Fremden. Aber dort war nichts zu sehen als allerlei alter Hausrat. Der fremde Mann war nicht zu finden. Auf seinem Arbeitstisch aber lag ein grosser, versiegelter Brief, an den Buergermeister ueberschrieben, den dieser auch sogleich oeffnete. Er las: "Meine lieben Gruenwieseler! Wenn Ihr dies leset, bin ich nicht mehr in Eurem Staedtchen, und Ihr werdet dann laengst erfahren haben, wes Standes und Vaterlandes mein lieber Neffe ist. Nehmet den Scherz, den ich mit Euch erlaubte, als eine gute Lehre auf, einen Fremden, der fuer sich leben will, nicht in Eure Gesellschaft zu noetigen. Ich selbst fuehlte mich zu gut, um Euer ewiges Klatschen, um Eure schlechten Sitten und Euer laecherliches Wesen zu teilen. Darum erzog ich einen jungen Orang-Utan, den Ihr als meinen Stellvertreter so liebgewonnen habt. Lebet wohl und benuetzet diese Lehre nach Kraeften!" Die Gruenwieseler schaemten sich nicht wenig vor dem ganzen Land. Ihr Trost war, dass dies alles mit unnatuerlichen Dingen zugegangen sei. Am meisten schaemten sich aber die jungen Leute in Gruenwiesel, weil sie die schlechten Gewohnheiten und Sitten des Affen nachgeahmt hatten. Sie stemmten von jetzt an keinen Ellbogen mehr auf, sie schaukelten nicht mit dem Sessel, sie schwiegen, bis sie gefragt wurden, sie legten die Brillen ab und waren artig und gesittet wie zuvor, und wenn je einer wieder in solche schlechten, laecherlichen Sitten verfiel, so sagten die Gruenwieseler: "Es ist ein Affe." Der Affe aber, welcher so lange die Rolle eines jungen Herrn gespielt hatte, wurde dem gelehrten Mann, der ein Naturalienkabinett besass, ueberantwortet. Dieser laesst ihn in seinem Hof umhergehen, fuettert ihn und zeigt ihn als Seltenheit jedem Fremden, wo er noch bis auf den heutigen Tag zu sehen ist. Es entstand ein Gelaechter im Saal, als der Sklave geendet hatte, und auch die jungen Maenner lachten mit. "Es muss doch sonderbare Leute geben unter diesen Franken, und wahrhaftig, da bin ich lieber beim Scheik und Mufti in Alessandria als in Gesellschaft des Oberpfarrers, des Buergermeisters und ihrer toerichten Frauen in Gruenwiesel!" "Da hast du gewiss recht gesprochen", erwiderte der junge Kaufmann. "In Frankistan moechte ich nicht tot sein. Die Franken sind ein rohes, wildes, barbarisches Volk, und fuer einen gebildeten Tuerken oder Perser muesste es schrecklich sein, dort zu leben." "Das werdet ihr bald hoeren", versprach der Alte, "so viel mir der Sklavenaufseher sagte, wird der schoene junge Mann dort vieles von Frankistan erzaehlen; denn er war lange dort und ist doch seiner Geburt nach ein Muselmann." "Wie, jener, der zuletzt sitzt in der Reihe? Wahrlich, es ist eine Suende, dass der Herr Scheik diesen losgibt! Es ist der schoenste Sklave im ganzen Land; schaut nur dieses mutige Gesicht, dieses kuehne Auge, diese schoene Gestalt! Er kann ihm ja leichte Geschaefte geben; er kann ihn zum Fliegenwedeler machen oder zum Pfeifentraeger; es ist ein Spass, ein solches Amt zu versehen, und wahrlich, ein solcher SkIave ist die Zierde von einem ganzen Haus. Und erst drei Tage hat er ihn und gibt ihn weg? Es ist Torheit, es ist Suende!" "Tadelt ihn doch nicht, ihn, der weiser ist als ganz Aegypten!" sprach der Alte mit Nachdruck. "Sagte ich euch nicht schon, dass er ihn loslaesst, weil er glaubt, den Segen Allahs dadurch zu verdienen? Ihr sagt, er ist schoen und wohlgebildet, und ihr sprecht die Wahrheit. Aber der Sohn des Scheik, den der Prophet in sein Vaterhaus zurueckbringen moege, der Sohn des Scheik war ein schoener Knabe und muss jetzt auch gross sein und wohlgebildet. Soll er also das Gold sparen und einen wohlfeilen, verwachsenen Sklaven hingeben in der Hoffnung, seinen Sohn dafuer zu bekommen? Wer etwas tun will in der Welt, der tut es lieber gar nicht oder--recht!" "Und sehet, des Scheik Augen sind immer auf diesen Sklaven geheftet; ich bemerkte es schon den ganzen Abend. Waehrend der Erzaehlungen streifte oft sein Blick dorthin und verweilte auf den edlen Zuegen des Freigelassenen. Es muss ihn doch ein wenig schmerzen, ihn freizugeben." "Denke nicht also von dem Mann! Meinst du, tausend Tomans schmerzen ihn, der jeden Tag das Dreifache einnimmt?" sagte der alte Mann. "Aber wenn sein Blick mit Kummer auf dem Juengling weilt, so denkt er wohl an seinen Sohn, der in der Fremde schmachtet; er denkt wohl, ob dort vielleicht ein barmerziger Mann wohne, der ihn loskaufe und zurueckschicke zum Vater. " "Ihr moegt recht haben", erwiderte der junge Kaufmann, "und ich schaeme mich, dass ich von den Leuten nur immer das Gemeinere und Unedle denke, waehrend Ihr lieber eine schoene Gesinnung unterlegt. Und doch sind die Menschen in der Regel schlecht, habt Ihr dies nicht auch gefunden, Alter?" "Gerade, weil ich dies nicht gefunden habe, denke ich gerne gut von den Menschen", antwortete dieser, "es ging mir gerade wie euch; ich lebte so in den Tag hinein, hoerte viel Schlimmes von den Menschen, musste selbst an mir viel Schlechtes erfahren und fing an, die Menschen alle fuer schlechte Geschoepfe zu halten. Doch da fiel mir bei, dass Allah, der so gerecht ist als weise, nicht dulden koennte, dass ein so verworfenes Geschlecht auf dieser schoenen Erde hause. Ich dachte nach ueber das, was ich gesehen, was ich erlebt hatte, und siehe--ich hatte nur das Boese gezaehlt und das Gute vergessen. Ich hatte nicht achtgegeben, wenn einer eine Handlung der Barmherzigkeit uebte, ich hatte es natuerlich gefunden, wenn ganze Familien tugendhaft lebten und gerecht waren; so oft ich aber Boeses, Schlechtes hoerte, hatte ich es wohl angemerkt in meinem Gedaechtnis. Da fing ich an, mit ganz anderen Augen um mich zu schauen; es freute mich, wenn ich das Gute nicht so sparsam keimen sah, wie ich anfangs dachte; ich bemerkte das Boese weniger, oder es fiel mir nicht so sehr auf, und so lernte ich die Menschen lieben, lernte Gutes von ihnen denken und habe mich in langen Jahren seltener geirrt, wenn ich von einem Gutes sprach, als wenn ich ihn fuer geizig oder gemein oder gottlos hielt." Der Alte wurde bei diesen Worten von dem Aufseher der Sklaven unterbrochen, der zu ihm trat und sprach: "Mein Herr, der Scheik von Alessandria, Ali Banu, hat Euch mit Wohlgefallen in seinem Saale bemerkt und ladet Euch ein, zu ihm zu treten und Euch neben ihn zu setzen." Die jungen Leute waren nicht wenig erstaunt ueber die Ehre, die dem Alten widerfahren sollte, den sie fuer einen Bettler gehalten, und als dieser hingegangen war, sich zu dem Scheik zu setzen, hielten sie den Sklavenaufseher zurueck, und der Schreiber fragte ihn: "Beim Bart des Propheten beschwoere ich dich, sage uns, wer ist dieser alte Mann, mit dem wir sprachen und den der Scheik also ehrt?" "Wie!" rief der Aufseher der Sklaven und schlug vor Verwunderung die Haende zusammen. "Diesen Mann kennet ihr nicht?" "Nein, wir wissen nicht, wer er ist." "Aber ich sah euch doch schon einigemal mit ihm auf der Strasse sprechen, und mein Herr, der Scheik, hat dies auch bemerkt und erst letzthin gesagt: 'Das muessen wackere junge Leute sein, die dieser Mann eines Gespraeches wuerdigt.'" "Aber, so sage doch, wer er ist!" rief der junge Kaufmann in hoechster Ungeduld. "Gehet, Ihr wollet mich nur zum Narren haben", antwortete der Sklavenaufseher. "In diesen Saal kommt sonst niemand, wer nicht ausdruecklich eingeladen ist, und heute liess der Alte dem Scheik sagen, er werde einige junge Maenner in seinen Saal mitbringen, wenn es ihm nicht ungelegen sei, und Ali Banu liess ihm sagen, er habe ueber sein Haus zu gebieten." "Lasse uns nicht laenger in Ungewissheit; so wahr ich lebe, ich weiss nicht, wer dieser Mann ist. Wir lernten ihn zufaellig kennen und sprachen mit ihm." "Nun, dann duerfet ihr euch gluecklich preisen; denn ihr habt mit einem gelehrten, beruehmten Mann gesprochen, und alle Anwesenden ehren und bewundern euch deshalb; es ist niemand anders als Mustapha, der gelehrte Derwisch." "Mustapha, der weise Mustapha, der den Sohn des Scheik erzogen hat? Der viele gelehrte Buecher schrieb, der grosse Reisen machte in alle Weltteile! Mit Mustapha haben wir gesprochen? Und gesprochen, als waer' er unsereiner, so ganz ohne alle Ehrerbietung?" So sprachen die jungen Maenner untereinander und waren sehr beschaemt; denn der Derwisch Mustapha galt damals fuer den weisesten und gelehrtesten Mann im ganzen Morgenland. "Troest' euch darueber", antwortete der Sklavenaufseher, seid froh, dass ihr ihn nicht kanntet; er kann es nicht leiden, wenn man ihn lobt, und haettet ihr ihn ein einziges Mal die Sonne der Gelehrsamkeit oder das Gestirn der Weisheit genannt, wie es gebraeuchlich ist bei Maennern dieser Axt, er haette euch von Stund' an verlassen. Doch ich muss jetzt zurueck zu den Leuten, die heute erzaehlen. Der, der jetzt kommt, ist tief hinten in Frankistan gebuertig, wollen sehen, was er weiss." So sprach der Sklavenaufseher; der aber, an welchen jetzt die Reihe zu erzaehlen kam, stand auf und sprach: "Herr! ich bin aus einem Lande, das weit gegen Mitternacht liegt, Norwegen genannt, wo die Sonne nicht, wie in deinem gesegneten Vaterlande, Feigen und Zitronen kocht, wo sie nur wenige Monde ueber die gruene Erde scheint und ihr im Flug sparsame Blueten und Fruechte entlockt. Du sollst, wenn es dir angenehm ist, ein paar Maerchen hoeren, wie man sie bei uns in den warmen Stuben erzaehlt, wenn das Nordlicht ueber die Schneefelder flimmert." (Im Maerchenalmanach auf das Jahr 1827 standen hier "Das Fest der Unterirdischen" (norwegisches Maerchen nach muendlicher Ueberlieferung) und "Schneeweisschen und Rosenrot" von Wilhelm Grimm) Noch waren die jungen Maenner im Gespraech ueber diese Maerchen und ueber den Alten, den Derwisch Mustapha; sie fuehlten sich nicht wenig geehrt, dass ein so alter und beruehmter Mann sie seiner Aufmerksamkeit gewuerdigt und sogar oefters mit ihnen gesprochen und gestritten hatte. Da kam ploetzlich der Aufseher der Sklaven zu ihnen und lud sie ein, ihm zum Scheik zu folgen, der sie sprechen wolle. Den Juenglingen pochte das Herz. Noch nie hatten sie mit einem so vornehmen Mann gesprochen, nicht einmal allein, viel weniger in so grosser Gesellschaft. Doch sie fassten sich, um nicht als Toren zu erscheinen, und folgten dem Aufseher der Sklaven zum Scheik. Ali Banu sass auf einem reichen Polster und nahm Sorbet zu sich. Zu seiner Rechten sass der Alte, sein duerftiges Kleid ruhte auf herrlichen Polstern, seine aermlichen Sandalen hatte er auf einen reichen Teppich von persischer Arbeit gestellt; aber sein schoener Kopf, sein Auge voll Wuerde und Weisheit zeigten an, dass er wuerdig sei, neben einem Mann wie dem Scheik zu sitzen. Der Scheik war sehr ernst, und der Alte schien ihm Trost und Mut zuzusprechen. Die Juenglinge glaubten auch in ihrem Ruf vor das Angesicht des Scheik eine List des Alten zu entdecken, der wahrscheinlich den trauernden Vater durch ein Gespraech mit ihnen zerstreuen wollte. "Willkommen, ihr jungen Maenner", sprach der Scheik, "willkommen in dem Hause Ali Banus! Mein alter Freund hier hat sich meinen Dank verdient, dass er euch hier einfuehrte; doch zuernte ich ihm ein wenig, dass er mich nicht frueher mit euch bekannt machte. Wer von euch ist denn der junge Schreiber?" "Ich, o Herr und zu Euren Diensten!" sprach der junge Schreiber, indem er die Arme ueber der Brust kreuzte und sich tief verbeugte. "Ihr hoert also gerne Geschichten und leset gerne Buecher mit schoenen Versen und Denkspruechen?" Der junge Mensch erschrak und erroetete; denn ihm fiel bei, wie er damals den Scheik bei dem Alten getadelt und gesagt hatte, an seine Stelle wuerde er sich erzaehlen oder aus Buechern vorlesen lassen. Er war dem schwatzhaften Alten, der dem Scheik gewiss alles verraten hatte, in diesem Augenblicke recht gram, warf ihm einen boesen Blick zu und sprach dann: "O Herr! Allerdings kenne ich fuer meinen Teil keine angenehmere Beschaeftigung, als mit dergleichen den Tag zuzubringen. Es bildet den Geist und vertreibt die Zeit. Aber jeder nach seiner Weise! Ich tadle darum gewiss keinen, der nicht--" "Schon gut, schon gut", unterbrach ihn der Scheik lachend und winkte den zweiten herbei. "Wer bist denn du?" fragte er ihn. "Herr, ich bin meines Amtes der Gehilfe eines Arztes und habe selbst schon einige Kranke geheilt." "Richtig", erwiderte der Scheik, "und Ihr seid es auch, der das Wohlleben liebet; Ihr moechtet gerne mit guten Freunden hier und da tafeln und guter Dinge sein? Nicht wahr, ich habe es erraten?" Der junge Mann war beschaemt; er fuehlte, dass er verraten war und dass der Alte auch von ihm gebeichtet haben musste. Er fasste sich aber ein Herz und antwortete: "O ja, Herr, ich rechne es unter des Lebens Glueckseligkeiten, hier und da mit guten Freunden froehlich sein zu koennen. Mein Beutel reicht nun zwar nicht weiter hin, als meine Freunde mit Wassermelonen oder dergleichen wohlfeilen Sachen zu bewirten; doch sind wir auch dabei froehlich, und es laesst sich denken, dass wir es noch um ein gutes Teil mehr waeren, wenn ich mehr Geld haette." Dem Scheik gefiel diese beherzte Antwort, und er konnte sich nicht enthalten, darueber zu lachen. "Welcher ist denn der junge Kaufmann?" fragte er weiter. Der junge Kaufmann verbeugte sich mit freiem Anstand vor dem Scheik; denn er war ein Mensch von guter Erziehung; der Scheik aber sprach: "Und Ihr? Ihr habt Freude an Musik und Tanz? Ihr hoeret es gerne, wenn gute Kuenstler etwas spielen und singen und sehet gerne Taenzer kuenstliche Taenze ausfuehren?" Der junge Kaufmann antwortete: "Ich sehe wohl, o Herr, dass jener alte Mann, um Euch zu belustigen, unsere Torheiten insgesamt verraten hat. Wenn es ihm gelang, Euch dadurch aufzuheitern, so habe ich gerne zu Eurem Scherz gedient. Was aber Musik und Tanz betrifft, so gestehe ich, es gibt nicht leicht etwas, was mein Herz also vergnuegt. Doch glaubet nicht, dass ich deswegen Euch tadle, o Herr, wenn Ihr nicht ebenfalls--" "Genug, nicht weiter!" rief der Scheik, laechelnd mit der Hand abwehrend. "Jeder nach seiner Weise, wollet Ihr sagen; aber dort steht ja noch einer; das ist wohl der, welcher so gerne reisen moechte? Wer seid denn Ihr, junger Herr?" "Ich bin ein Maler, o Herr", antwortete der junge Mann, "ich male Landschaften teils an die Waende der Saele, teils auf Leinwand. Fremde Laender zu sehen, ist allerdings mein Wunsch; denn man sieht dort allerlei schoene Gegenden, die man wieder anbringen kann; und was man sieht und abzeichnet, ist doch in der Regel immer schoener, als was man nur so selbst erfindet." Der Scheik betrachtete jetzt die schoenen jungen Leute, und sein Blick wurde ernst und duester. "Ich hatte einst auch einen lieben Sohn", sagte er, "und er muesste nun auch so herangewachsen sein wie ihr. Da solltet ihr seine Genossen und Begleiter sein, und jeder eurer Wuensche wuerde von selbst befriedigt werden. Mit jenem wuerde er lesen, mit diesem Musik hoeren, mit dem anderen wuerde er gute Freunde einladen und froehlich und guter Dinge sein, und mit dem Maler liesse ich ihn ausziehen in schoene Gegenden und waere dann gewiss, dass er immer wieder zu mir zurueckkehrte. So hat es aber Allah nicht gewollt, und ich fuege mich in seinen Willen ohne Murren. Doch es steht in meiner Macht, eure Wuensche dennoch zu erfuellen, und ihr sollt freudigen Herzens von Ali Banu gehen. Ihr, mein gelehrter Freund", fuhr er fort, indem er sich zu dem Schreiber wandte, "wohnt von jetzt an in meinem Hause und seid ueber meine Buecher gesetzt. Ihr koennet noch dazu anschaffen, was Ihr wollet und fuer gut haltet, und Euer einziges Geschaeft sei, mir, wenn Ihr etwas recht Schoenes gelesen habt, zu erzaehlen. Ihr, der Ihr eine gute Tafel unter Freunden liebet, Ihr sollet der Aufseher ueber meine Vergnuegungen sein. Ich selbst zwar lebe einsam und ohne Freude, aber es ist meine Pflicht, und mein Amt bringt es mit sich, hier und da viele Gaeste einzuladen. Dort sollet Ihr an meiner Stelle alles besorgen und koennet von Euren Freunden dazu einladen, wen Ihr nur wollet; versteht sich, auf etwas Besseres als Wassermelonen. Den jungen Kaufmann da darf ich freilich seinem Geschaeft nicht entziehen, das ihm Geld und Ehre bringt; aber alle Abende stehen Euch, mein junger Freund, Taenzer, Saenger und Musikanten zu Dienste, so viel Ihr wollet. Lasset Euch aufspielen und tanzen nach Herzenslust. Und Ihr", sprach er zu dem Maler, "Ihr sollet fremde Laender sehen und das Auge durch Erfahrung schaerfen. Mein Schatzmeister wird Euch zu der ersten Reise, die Ihr morgen antreten koennet, tausend Goldstuecke reichen nebst zwei Pferden und einem Sklaven. Reiset, wohin Euch das Herz treibt, und wenn Ihr etwas Schoenes sehet, so malet es fuer mich!" Die jungen Leute waren ausser sich vor Erstaunen, sprachlos vor Freude und Dank. Sie wollten den Boden vor den Fuessen des gueltigen Mannes kuessen; aber er liess es nicht zu. "Wenn ihr einem zu danken habt", sprach er, "so ist es diesem weisen Mann hier, der mir von euch erzaehlte. Auch mir hat er dadurch Vergnuegen gemacht, vier so muntere junge Leute eurer Art kennenzulernen." Der Derwisch Mustapha aber wehrte den Dank der Juenglinge ab. "Sehet", sprach er, "wie man nie voreilig urteilen muss; habe ich euch zuviel von diesem edlen Manne gesagt?" "Lasset uns nun noch den letzten meiner Sklaven, die heute frei sind, erzaehlen hoeren", unterbrach ihn Ali Banu. Jener junge Sklave, der die Aufmerksamkeit aller durch seinen Wuchs, durch seine Schoenheit und seinen mutigen Blick auf sich gezogen hatte, stand jetzt auf, verbeugte sich vor dem Scheik und fing wohltoenend also zu sprechen an: Das Fest der Unterirdischen Wilhelm Grimm Im "Maerchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Das Fest der Unterirdischen" von Wilhelm Grimm. Schneeweisschen und Rosenrot Wilhelm Grimm Im "Maerchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Schneeweisschen und Rosenrot" von Wilhelm Grimm. Die Geschichte Almansors Wilhelm Hauff O Herr! Die Maenner, die vor mir gesprochen haben, erzaehlten mancherlei wunderbare Geschichten, die sie gehoert hatten in fremden Laendern; ich muss mit Beschaemung gestehen, dass ich keine einzige Erzaehlung weiss, die Eurer Aufmerksamkeit wuerdig waere. Doch wenn es Euch nicht langweilt, will ich Euch die wunderbaren Schicksale eines meiner Freunde vortragen. Auf jenem algerischen Kaperschiff, von welchem mich Eure milde Hand befreit hat, war ein junger Mann in meinem Alter, der mir nicht fuer das Sklavenkleid geboren schien, das er trug. Die uebrigen Ungluecklichen auf dem Schiffe waren entweder rohe Menschen, mit denen ich nicht leben mochte, oder Leute, deren Sprache ich nicht verstand; darum fand ich mich zu der Zeit, wo wir ein Stuendchen frei hatten, gerne zu dem jungen Mann. Er nannte sich Almansor und war seiner Aussprache nach ein Aegypter. Wir unterhielten uns recht angenehm miteinander und kamen eines Tages auch darauf, uns unsere Geschichte zu erzaehlen, da dann die meines Freundes allerdings bei weitem merkwuerdiger war als die meinige. Almansors Vater war ein vornehmer Mann in einer aegyptischen Stadt, deren Namen er mir nicht nannte. Er lebte die Tage seiner Kindheit vergnuegt und froh und umgeben von allem Glanz und aller Bequemlichkeit der Erde. Aber er wurde dabei doch nicht weichlich erzogen, und sein Geist wurde fruehzeitig ausgebildet; denn sein Vater war ein weiser Mann, der ihm Lehren der Tugend gab, und ueberdies hatte er zum Lehrer einen beruehmten Gelehrten, der ihn in allem unterrichtete, was ein junger Mensch wissen muss--Almansor war etwa zehn Jahre alt, als die Franken ueber das Meer her in das Land kamen und Krieg mit seinem Volke fuehrten. Der Vater des Knaben musste aber den Franken nicht sehr guenstig gewesen sein; denn eines Tages, als er eben zum Morgengebet gehen wollte, kamen sie und verlangten zuerst seine Frau als Geisel seiner treuen Gesinnungen gegen das Frankenvolk, und als er sie nicht geben wollte, schleppten sie seinen Sohn mit Gewalt ins Lager. Als der junge Sklave also erzaehlte, verhuellte der Scheik sein Angesicht, und es entstand ein Murren des Unwillens im Saal. "Wie", riefen die Freunde des Scheik, "wie kann der junge Mann dort so toericht handeln und durch solche Geschichten die Wunden Ali Banus aufreissen, statt sie zu mildern? Wie kann er ihm seinen Schmerz erneuern, statt ihn zu zerstreuen?" Der Sklavenaufseher selbst war voll Zorn ueber den unverschaemten Juengling und gebot ihm zu schweigen. Der junge Sklave aber war sehr erstaunt ueber dies alles und fragte den Scheik, ob denn in seiner Erzaehlung etwas liege, das sein Missfallen erregt habe. Der Scheik richtete sich auf und sprach: "Seid doch ruhig, Freunde; wie kann denn dieser Juengling etwas von meinem betruebten Schicksal wissen, da er nur kaum drei Tage unter diesem Dache ist! Kann es denn bei den Greueln, die diese Franken veruebten, nicht ein aehnliches Geschick wie das meine geben? Kann nicht vielleicht selbst jener Almansor--doch erzaehle immer weiter, mein junger Freund!" Der junge Sklave verbeugte sich und fuhr fort: Der junge Almansor wurde also in das fraenkische Lager gefuehrt. Es erging ihm dort im ganzen gut; denn einer der Feldherrn liess ihn in sein Zelt kommen und hatte seine Freude an den Antworten des Knaben, die ihm ein Dragoman uebersetzen musste; er sorgte fuer ihn, dass ihm an Speise und Kleidung nichts abginge; aber die Sehnsucht nach Vater und Mutter machte dennoch den Knaben hoechst ungluecklich. Er weinte viele Tage lang, aber seine Traenen ruehrten diese Maenner nicht. Das Lager wurde aufgebrochen, und Almansor glaubte jetzt wieder zurueckkehren zu duerfen; aber es war nicht so; das Heer zog hin und her, fuehrte Krieg mit den Mamelucken, und den jungen Almansor schleppten sie immer mit sich. Wenn er dann die Hauptleute und Feldherren anflehte, ihn doch wieder heimkehren zu lassen, so verweigerten sie es und sagten, er muesse ein Unterpfand von seines Vaters Treue sein. So war er viele Tage lang auf dem Marsch. Auf einmal aber entstand eine Bewegung im Heere, die dem Knaben nicht entging; man sprach von Einpacken, von Zurueckziehen, vom Einschiffen, und Almansor war ausser sich vor Freude; denn jetzt, wenn die Franken in ihr Land zurueckkehrten, jetzt musste er ja frei werden. Man zog mit Ross und Wagen rueckwaerts gegen die Kueste, und endlich war man so weit, dass man die Schiffe vor Anker liegen sah. Die Soldaten schifften sich ein; aber es wurde Nacht, bis nur ein kleiner Teil eingeschifft war. So gerne Almansor gewacht haette, weil er jede Stunde glaubte, freigelassen zu werden, so verfiel er doch endlich in einen tiefen Schlaf, und er glaubte, die Franken haben ihm etwas unter das Wasser gemischt, um ihn einzuschlaefern. Denn als er aufwachte, schien der helle Tag in eine kleine Kammer, worin er nicht gewesen war, als er einschlief. Er sprang auf von seinem Lager, aber als er auf den Boden kam, fiel er um; denn der Boden schwankte hin und wieder, und es schien sich alles zu bewegen und im Kreis um ihn her zu tanzen. Er raffte sich auf, hielt sich an den Waenden fest, um aus dem Gemach zu kommen, worin er sich befand. Ein sonderbares Brausen und Zischen war um ihn her; er wusste nicht, ob er traeume oder wache; denn er hatte nie Aehnliches gesehen oder gehoert. Endlich erreichte er eine kleine Treppe, mit Muehe klimmte er hinauf, und welcher Schrecken befiel ihn! Ringsumher war nichts als Himmel und Meer, er befand sich auf einem Schiffe. Da fing er klaeglich an zu weinen. Er wollte zurueckgebracht werden, er wollte ins Meer sich stuerzen und hinueberschwimmen nach seiner Heimat; aber die Franken hielten ihn fest, und einer der Befehlshaber liess ihn zu sich kommen, versprach ihm, wenn er gehorsam sei, solle er bald wieder in seine Heimat zurueck, und stellte ihm vor, dass es nicht mehr moeglich gewesen waere, ihn vom Land aus nach Hause zu bringen, dort aber haette er, wenn man ihn zurueckgelassen, elendiglich umkommen muessen. Wer aber nicht Wort hielt, waren die Franken; denn das Schiff segelte viele Tage lang weiter, und als es endlich landete, war man nicht an Aegyptens Kueste, sondern in Frankistan! Almansor hatte waehrend der langen Fahrt und schon im Lager einiges von der Sprache der Franken verstehen und sprechen gelernt, was ihm in diesem Lande, wo niemand seine Sprache kannte, sehr gut zustatten kam. Er wurde viele Tage lang durch das Land in das Innere gefuehrt, und ueberall stroemte das Volk zusammen, um ihn zu sehen; denn seine Begleiter sagten aus, er waere der Sohn des Koenigs von Aegypten, der ihn zu seiner Ausbildung nach Frankistan schicke. So sagten aber die Soldaten nur, um das Volk glauben zu machen, sie haben Aegypten besiegt und stehen in tiefem Frieden mit diesem Land. Nachdem die Reise zu Land mehrere Tage gedauert hatte, kamen sie in eine grosse Stadt, dem Ziel ihrer Reise. Dort wurde er einem Arzt uebergeben, der ihn in sein Haus nahm und in allen Sitten und Gebraeuchen von Frankistan unterwies. Er musste vor allem fraenkische Kleider anlegen, die sehr enge und knapp waren und bei weitem nicht so schoen wie seine aegyptischen. Dann durfte er nicht mehr seine Verbeugung mit gekreuzten Armen machen, sondern wollte er jemand seine Ehrerbietung bezeugen, so musste er mit der einen Hand die ungeheure Muetze von schwarzem Filz, die alle Maenner trugen und die man auch ihm aufgesetzt hatte, vom Kopfe reissen, mit der anderen Hand musste er auf die Seite fahren und mit dem rechten Fuss auskratzen. Er durfte auch nicht mehr mit ueberschlagenen Beinen sitzen, wie es angenehme Sitte ist im Morgenlande, sondern auf hochbeinige Stuehle musste er sich setzen und die Fuesse herabhaengen lassen auf den Boden. Das Essen machte ihm auch nicht geringe Schwierigkeit; denn alles, was er zum Munde bringen wollte, musste er zuvor auf eine Gabel von Eisen stecken. Der Doktor aber war ein strenger, boeser Mann, der den Knaben plagte: Denn wenn er sich jemals vergass und zu einem Besuch sagte: "Salem aleikum", so schlug er ihn mit dem Stock; denn er sollte sagen: "Votre serviteur!" Er durfte auch nicht mehr in seiner Sprache denken und sprechen oder schreiben, hoechstens durfte er darin traeumen, und er haette vielleicht seine Sprache gaenzlich verlernt, wenn nicht ein Mann in jener Stadt gelebt haette, der ihm von grossem Nutzen war. Es war dies ein alter, aber sehr gelehrter Mann, der viele morgenlaendische Sprachen verstand. Arabisch, Persisch, Koptisch, sogar Chinesisch, von jedem etwas; er galt in jenem Land fuer ein Wunder von Gelehrsamkeit, und man gab ihm viel Geld, dass er diese Sprachen andere Leute lehrte. Dieser Mann liess nun den jungen Almansor alle Wochen einigemal zu sich kommen, bewirtete ihn mit seltenen Fruechten und dergleichen, und dem Juengling war es dann, als waere er zu Haus. Denn der alte Herr war gar ein sonderbarer Mann. Er hatte Almansor Kleider machen lassen, wie sie vornehme Leute in Aegypten tragen. Diese Kleider bewahrte er in seinem Hause in einem besonderen Zimmer auf. Kam nun Almansor, so schickte er ihn mit einem Bediensteten in jenes Zimmer und liess ihn ganz nach seiner Landessitte ankleiden. Von da ging es dann nach "Kleinarabien"; so nannte man einen Saal im Hause des Gelehrten. Dieser Saal war mit allerlei kuenstlich aufgezogenen Baeumen, als Palmen, Bambus, jungen Zedern und dergleichen, und mit Blumen ausgeschmueckt, die nur im Morgenland wachsen. Persische Teppiche lagen auf dem Fussboden, und an den Waenden waren Polster, nirgends aber ein fraenkischer Stuhl oder Tisch. Auf einem dieser Polster sass der alte Professor; er sah aber ganz anders aus als gewoehnlich; um den Kopf hatte er einen feinen tuerkischen Schal als Turban gewunden, er hatte einen grauen Bart umgeknuepft, der ihm bis zum Guertel reichte und aussah wie ein natuerlicher, ehrwuerdiger Bart eines gewichtigen Mannes. Dazu trug er einen Talar, den er aus einem brokatnen Schlafrock hatte machen lassen, weite tuerkische Beinkleider, gelbe Pantoffeln, und so friedlich er sonst war, an diesen Tagen hatte er einen tuerkischen Saebel umgeschnallt, und im Guertel stak ein Dolch, mit falschen Steinen besetzt. Dazu rauchte er aus einer zwei Ellen langen Pfeife und liess sich von seinen Leuten bedienen, die ebenfalls persisch gekleidet waren und wovon die Haelfte Gesicht und Haende schwarz gefaerbt hatte. Von Anfang wollte dies alles dem jungen Almansor gar wunderlich beduenken; aber bald sah er ein, dass solche Stunden, wenn er in die Gedanken des Alten sich fuegte, sehr nuetzlich fuer ihn seien. Durfte er beim Doktor kein aegyptisches Wort sprechen, so war hier die fraenkische Sprache sehr verboten. Almansor musste beim Eintreten den Friedensgruss sprechen, den der alte Perser sehr feierlich erwiderte; dann winkte er dem Juengling, sich neben ihn zu setzen, und begann Persisch, Arabisch, Koptisch und alle Sprachen untereinander zu sprechen und nannte dies eine gelehrte morgenlaendische Unterhaltung. Neben ihm stand ein Bediensteter oder, was sie an diesem Tage vorstellten, ein Sklave, der ein grosses Buch hielt; das Buch war aber ein Woerterbuch, und wenn dem Alten die Worte ausgingen, winkte er dem Sklaven, schlug flugs auf, was er sagen wollte, und fuhr dann zu sprechen fort. Die Sklaven aber brachten in tuerkischem Geschirr Sorbet und dergleichen, und wollte Almansor dem Alten ein grosses Vergnuegen machen, so musste er sagen, es sei alles bei ihm angeordnet wie im Morgenland. Almansor las sehr schoen Persisch, und das war der Hauptvorteil fuer den Alten. Er hatte viele persische Manuskripte; aus diesen liess er sich von dem Juengling vorlesen, las aufmerksam nach und merkte sich auf diese Art die richtige Aussprache. Das waren die Freudentage des armen Almansor; denn nie entliess ihn der alte Professor unbeschenkt, und oft trug er sogar kostbare Gaben an Geld und Leinenzeug oder anderen notwendigen Dingen davon, die ihm der Doktor nicht geben wollte. So lebte Almansor einige Jahre in der Hauptstadt des Frankenlandes, und nie wurde seine Sehnsucht nach der Heimat geringer. Als er aber etwa fuenfzehn Jahre alt war, begab sich ein Vorfall, der auf sein Schicksal grossen Einfluss hatte. Die Franken naemlich waehlten ihren ersten Feldherrn, denselben, mit welchem Almansor so oft in Aegypten gesprochen hatte, zu ihrem Koenig und Beherrscher; Almansor wusste zwar und erkannte es an den grossen Festlichkeiten, dass etwas dergleichen in dieser grossen Stadt geschehe; doch konnte er sich nicht denken, dass der Koenig derselbe sei, den er in Aegypten gesehen; denn jener Feldherr war noch ein sehr junger Mann. Eines Tages aber ging Almansor ueber eine jener Bruecken, die ueber den breiten Fluss fahren, der die Stadt durchstroemt; da gewahrte er in dem einfachen Kleid eines Soldaten einen Mann, der am Brueckengelaender lehnte und in die Wellen sah. Die Zuege des Mannes fielen ihm auf, und er erinnerte sich, ihn schon gesehen zu haben. Er ging also schnell die Kammern seiner Erinnerung durch, und als er an die Pforte der Kammer von Aegypten kam, da eroeffnete sich ihm ploetzlich das Verstaendnis, dass dieser Mann jener Feldherr der Franken sei, mit welchem er oft im Lager gesprochen und der immer guetig fuer ihn gesorgt hatte. Er wusste seinen rechten Namen nicht genau; er fasste sich daher ein Herz, trat zu ihm, nannte ihn, wie ihn die Soldaten unter sich nannten, und sprach, indem er nach seiner Landessitte die Arme ueber der Brust kreuzte: "Salem aleikum, Petit-Caporal!" Der Mann sah sich erstaunt um, blickte den jungen Menschen mit scharfen Augen an, dachte ueber ihn nach und sagte dann: "Himmel, ist es moeglich! Du hier, Almansor? Was macht dein Vater? Wie geht es in Aegypten? Was fuehrt dich zu uns hierher?" Da konnte sich Almansor nicht laenger halten; er fing an, bitterlich zu weinen, und sagte zu dem Mann: "So weisst du also nicht, was die Hunde, deine Landsleute, mit mir gemacht haben, Petit-Caporal? Du weisst nicht, dass ich das Land meiner Vaeter nicht mehr gesehen habe seit vielen Jahren?" "Ich will nicht hoffen", sagte der Mann, und seine Stirne wurde finster, "ich will nicht hoffen, dass man dich mit hinwegschleppte." "Ach, freilich", antwortete Almansor, "an jenem Tage, wo Eure Soldaten sich einschifften, sah ich mein Vaterland zum letztenmal; sie nahmen mich mit sich hinweg, und ein Hauptmann, den mein Elend ruehrte, zahlt ein Kostgeld fuer mich bei einem verwuenschten Doktor, der mich schlaegt und halb Hungers sterben laesst. Aber hoere, Petit-Caporal", fuhr er ganz treuherzig fort, "es ist gut, dass ich dich hier traf, du musst mir helfen." Der Mann, zu welchem er dies sprach, laechelte und fragte, auf welche Weise er denn helfen sollte. "Siehe", sagte Almansor, "es waere unbillig, wollte ich von dir etwas verlangen; du warst von jeher so guetig gegen mich, aber ich weiss, du bist auch ein armer Mensch, und wenn du auch Feldherr warst, gingst du nie so schoen gekleidet wie die anderen; auch jetzt musst du, nach deinem Rock und Hut zu urteilen, nicht in den besten Umstaenden sein. Aber da haben ja die Franken letzthin einen Sultan gewaehlt, und ohne Zweifel kennst du Leute, die sich ihm nahen duerfen, etwa seinen Janitscharen-Aga oder den Reis-Effendi oder seinen Rapudan-Pascha; nicht?" "Nun ja", antwortete der Mann, "aber wie weiter?" "Bei diesen koenntest du ein gutes Wort fuer mich einlegen, Petit-Caporal, dass sie den Sultan der Franken bitten, er moechte mich freilassen; dann brauche ich auch etwas Geld zur Reise uebers Meer; vor allem aber musst du mir versprechen, weder dem Doktor noch dem arabischen Professor etwas davon zu sagen." "Wer ist denn der arabische Professor?" fragte jener. "Ach, das ist ein sonderbarer Mann; doch von diesem erzaehle ich dir ein andermal. Wenn es die beiden hoerten, duerfte ich nicht mehr aus Frankistan weg. Aber willst du fuer mich sprechen bei den Agas? Sage es mir aufrichtig!" "Komm mit mir", sagte der Mann, "vielleicht kann ich dir jetzt gleich nuetzlich sein." "Jetzt?" rief der Juengling mit Schrecken. "Jetzt um keinen Preis, da wuerde mich der Doktor pruegeln; ich muss eilen, dass ich nach Hause komme." "Was traegst du denn in diesem Korb?" fragte jener, indem er ihn zurueckhielt. Almansor erroetete und wollte es anfangs nicht zeigen; endlich aber sagte er: "Siehe, Petit- Caporal, ich muss hier Dienste tun wie der geringste Sklave meines Vaters. Der Doktor ist ein geiziger Mann und schickt mich alle Tage von unserem Hause eine Stunde weit auf den Gemuese- und Fischmarkt; da muss ich dann unter den schmutzigen Marktweibern einkaufen, weil es dort um einige Kupfermuenzen wohlfeiler ist als in unserem Stadtteil. Siehe, wegen dieses schlechten Herings, wegen dieser Handvoll Salat, wegen dieses Stueckchens Butter muss ich alle Tage zwei Stunden gehen. Ach, wenn es mein Vater wuesste!" Der Mann, zu welchem Almansor dies sprach, war geruehrt ueber die Not des Knaben und antwortete: "Komm nur mit mir und sei getrost; der Doktor soll dir nichts anhaben duerfen, wenn er auch heute weder Hering noch Salat verspeist! Sei getrosten Mutes und komm!" Er nahm bei diesen Worten Almansor bei der Hand und fuehrte ihn mit sich, und obgleich diesem das Herz pochte, wenn er an den Doktor dachte, so lag doch so viel Zuversicht in den Worten und Mienen des Mannes, dass er sich entschloss, ihm zu folgen. Er ging also, sein Koerbchen am Arm, neben dem Soldaten viele Strassen durch, und wunderbar wollte es ihm beduenken, dass alle Leute die Huete vor ihnen abnahmen und stehenblieben und ihnen nachschauten. Er aeusserte dies auch gegen seinen Begleiter, dieser aber lachte und sagte nichts darueber. Sie gelangten endlich an ein prachtvolles Schloss, auf welches der Mann zuging. "Wohnst du hier, Petit-Caporal?" fragte Almansor. "Hier ist meine Wohnung", entgegnete jener, "und ich will dich zu meiner Frau fuehren." "Ei, da wohnst du schoen!" fahr Almansor fort. "Gewiss hat dir der Sultan hier freie Wohnung gegeben?" "Diese Wohnung habe ich vom Kaiser, du hast recht", antwortete sein Begleiter und fuehrte ihn in das Schloss. Dort stiegen sie eine breite Treppe hinan, und in einem schoenen Saal hiess er ihn seinen Korb absetzen und trat dann mit ihm in ein prachtvolles Gemach, wo eine Frau auf einem Diwan sass. Der Mann sprach mit ihr in einer fremden Sprache, worauf sie beide nicht wenig lachten, und die Frau fragte dann Almansor in fraenkischer Sprache vieles ueber Aegypten. Endlich sagte Petit-Caporal zu dem Juengling: "Weisst du, was das beste ist? Ich will dich gleich selbst zum Kaiser fuehren und bei ihm fuer dich sprechen." Almansor erschrak sehr; aber er gedachte an sein Elend und seine Heimat. "Dem Ungluecklichen", sprach er zu den beiden, "dem Ungluecklichen verleiht Allah einen hohen Mut in der Stunde der Not; er wird auch mich armen Knaben nicht verlassen. Ich will es tun, ich will zu ihm gehen. Aber sage, Caporal, muss ich vor ihm niederfallen? Muss ich die Stirne mit dem Boden beruehren? Was muss ich tun?" Die beiden lachten von neuem und versicherten, dies alles sei nicht noetig. "Sieht er schrecklich und majestaetisch aus?" fragte er weiter, "hat er einen langen Bart? Macht er feurige Augen? Sage, wie sieht er aus?" Sein Begleiter lachte von neuem und sprach dann: "Ich will dir ihn lieber gar nicht beschreiben, Almansor, du selbst sollst erraten, welcher es ist. Nur das will ich dir als Kennzeichen angeben: Alle im Saale des Kaisers werden, wenn er da ist, die Huete ehrerbietig abnehmen; der, welcher den Hut auf dem Kopf behaelt, der ist der Kaiser." Bei diesen Worten nahm er ihn bei der Hand und ging mit ihm nach dem Saal des Kaisers. Je naeher er kam, desto lauter pochte ihm das Herz, und die Knie fingen ihm an zu zittern, als sie sich der Tuere naeherten. Ein Bediensteter oeffnete die Tuere, und da standen in einem Halbkreis wenigstens dreissig Maenner, alle praechtig gekleidet und mit Gold und Sternen ueberdeckt, wie es Sitte ist im Lande der Franken bei den vornehmsten Agas und Bassas der Koenige; und Almansor dachte, sein Begleiter, der so unscheinbar gekleidet war, muesse der Geringsten einer sein unter diesen. Sie hatten alle das Haupt entbloesst, und Almansor fing nun an, nach dem zu suchen, der den Hut auf dem Kopfe haette; denn dieser musste der Kaiser sein. Aber vergebens war sein Suchen. Alle hatten den Hut in der Hand, und der Kaiser musste also nicht unter ihnen sein; da fiel kein Blick zufaellig auf seinen Begleiter, und siehe--dieser hatte den Hut auf dem Kopfe sitzen! Der Juengling war erstaunt, betroffen. Er sah seinen Begleiter lange an und sagte dann, indem er selbst seinen Hut abnahm: "Salem aleikum, Petit-Caporal! Soviel ich weiss, bin ich selbst nicht der Sultan der Franken, also kommt es mir nicht zu, mein Haupt zu bedecken; doch du bist der, der den Hut traegt--Petit-Caporal, bist denn du der Kaiser?". "Du hast's erraten", antwortete jener, "und ueberdies bin ich dein Freund. Schreibe dein Unglueck nicht mir, sondern einer ungluecklichen Verwirrung der Umstaende zu, und sei versichert, dass du mit dem ersten Schiff in dein Vaterland zuruecksegelst. Gehe jetzt wieder hinein zu meiner Frau, erzaehle ihr vom arabischen Professor und was du weisst. Die Heringe und den Salat will ich dem Doktor schicken; du aber bleibst fuer deinen Aufenthalt in meinem Palast." So sprach der Mann, der Kaiser war; Almansor aber fiel vor ihm nieder, kuesste seine Hand und bat ihn um Verzeihung, dass er ihn nicht erkannt habe; er habe es ihm gewiss nicht angesehen, dass er Kaiser sei. "Du hast recht", erwiderte jener lachend, "wenn man nur wenige Tage Kaiser ist, kann man es nicht an der Stirne geschrieben haben." So sprach er und winkte ihm, sich zu entfernen. Seit diesem Tage lebte Almansor gluecklich und in Freuden. Den arabischen Professor, von welchem er dem Kaiser erzaehlte, durfte er noch einigemal besuchen den Doktor aber sah er nicht mehr. Nach einigen Wochen liess ihn der Kaiser zu sich rufen und kuendigte ihm an, dass ein Schiff vor Anker liege, mit dem er ihn nach Aegypten senden wolle. Almansor war ausser sich vor Freude; wenige Tage reichten hin, um ihn auszuruesten, und mit einem Herzen voll Dankes und mit Schaetzen und Geschenken reich beladen, reiste er vom Kaiser ab ans Meer und schiffte sich ein. Aber Allah wollte ihn noch laenger pruefen, wollte seinen Mut im Unglueck noch laenger staehlen und liess ihn die Kueste seiner Heimat noch nicht sehen. Ein anderes fraenkisches Volk, die Englaender, fuehrten damals Krieg mit dem Kaiser auf der See. Sie nahmen ihm alle Schiffe weg, die sie besiegen konnten, und so kam es, dass am sechsten Tage der Reise das Schiff, auf welchem sich Almansor befand, von englischen Schiffen umgeben und beschossen wurde; es musste sich ergeben, und die ganze Mannschaft wurde auf ein kleineres Schiff gebracht, das mit den anderen weitersegelte. Doch auf der See ist es nicht weniger unsicher als in der Wueste, wo unversehens die Raeuber auf die Karawanen fallen und totschlagen und pluendern. Ein Kaper von Tunis ueberfiel das kleine Schiff, das der Sturm von den groesseren Schiffen getrennt hatte, und--es wurde genommen und alle Mannschaft nach Algier gefuehrt und verkauft. Almansor kam zwar nicht in so harte Sklaverei als die Christen, weil er ein rechtglaeubiger Muselmann war, aber dennoch war jetzt alle Hoffnung verschwunden, die Heimat und den Vater wiederzusehen. Dort lebte er bei einem reichen Manne fuenf Jahre und musste die Blumen begiessen und den Garten bauen. Da starb der reiche Mann ohne nahe Erben, seine Besitzungen wurden zerrissen, seine Sklaven geteilt, und Almansor fiel in die Haende eines Sklavenmaklers. Dieser ruestete um diese Zeit ein Schiff aus, um seine Sklaven anderwaerts teurer zu verkaufen. Der Zufall wollte, dass ich selbst ein Sklave dieses Haendlers war und auf dasselbe Schiff kam, wo auch Almansor sich befand. Dort lernten wir uns kennen, und dort erzaehlte er mir seine wunderbaren Schicksale. Doch--als wir landeten, war ich Zeuge der wunderbarsten Fuegung Allahs; es war die Kueste seines Vaterlandes, an welche wir aus dem Boot stiegen, es war der Markt seiner Vaterstadt, wo wir oeffentlich ausgeboten wurden, und, o Herr, dass ich es kurz sage, es war sein eigener, sein teurer Vater, der ihn kaufte! Der Scheik Ali Banu war in tiefes Nachdenken versunken ueber diese Erzaehlung; sie hatte ihn unwillkuerlich mit sich fortgerissen, seine Brust hob sich, sein Auge gluehte, und er war oft nahe daran, seinen jungen Sklaven zu unterbrechen; aber das Ende der Erzaehlung schien ihn nicht zu befriedigen. "Er koennte jetzt einundzwanzig Jahre haben, sagst du?" so fing er an zu fragen. "Herr, er ist in meinem Alter, ein- bis zweiundzwanzig Jahre." "Und welche Stadt nannte er seine Geburtsstadt? Das hast du uns noch nicht gesagt." "Wenn ich nicht irre", antwortete jener, "so war es Alessandria!" "Alessandria!" rief der Scheik. "Es ist mein Sohn; wo ist er geblieben? Sagtest du nicht, dass er Kairam hiess? Hat er dunkle Augen und braunes Haar?" "Er hat es, und in traulichen Stunden nannte er sich Kairam und nicht Almansor." "Aber, Allah! Allah! Sage mir doch, sein Vater haette ihn vor deinen Augen gekauft, sagst du? Sagte er, es sei sein Vater? Also ist er doch nicht mein Sohn!" Der Sklave antwortete: "Er sprach zu mir: "Allah sei gepriesen nach so langem Unglueck: Das ist der Marktplatz meiner Vaterstadt." Nach einer Weile aber kam ein vornehmer Mann um die Ecke; da rief er: "Oh, was fuer ein teures Geschenk des Himmels sind die Augen! Ich sehe noch einmal meinen ehrwuerdigen Vater!" Der Mann aber trat zu uns, betrachtet diesen und jenen und kauft endlich den, dem dies alles begegnet ist. Da rief er Allah an, sprach ein heisses Dankgebet und fluesterte mir zu: "Jetzt gehe ich wieder ein in die Hallen meines Glueckes, es ist mein eigener Vater, der mich gekauft hat."" "Es ist also doch nicht mein Sohn, mein Kairam!" sagte der Scheik, von Schmerz bewegt. Da konnte sich der Juengling nicht mehr zurueckhalten; Traenen der Freude entstuerzten seinen Augen, er warf sich nieder vor dem Scheik und rief: "Und dennoch ist es Euer Sohn, Kairam: Almansor; denn Ihr seid es, der ihn gekauft hat." "Allah, Allah! Ein Wunder, ein grosses Wunder!" riefen die Anwesenden und draengten sich herbei; der Scheik aber stand sprachlos und staunte den Juengling an, der sein schoenes Antlitz zu ihm aufhob. "Mein Freund Mustapha!" sprach er zu dem alten Derwisch, "vor meinen Augen haengt ein Schleier von Traenen, dass ich nicht sehen kann, ob die Zuege seiner Mutter, die mein Kairam trug, auf seinem Gesicht eingegraben sind. Trete du her und schaue ihn an!" Der Alte trat herzu, sah ihn lange an, legte seine Hand auf die Stirne des jungen Mannes und sprach: "Kairam! Wie hiess der Spruch, den ich dir am Tage, des Ungluecks mitgab ins Lager der Franken?" "Mein teurer Lehrer!" antwortete der Juengling, indem er die Hand des Alten an seine Lippen zog, "er hiess: So einer Allah liebt und ein gutes Gewissen hat, ist er auch in der Wueste des Elends nicht allein; denn er hat zwei Gefaehrten, die ihm troestend zur Seite gehen." Da hob der Alte seine Augen dankend auf zum Himmel, zog den Juengling herauf an seine Brust und gab ihn dem Scheik und sprach: "Nimm ihn hin! So gewiss du zehn Jahre um ihn trauertest, so gewiss ist es dein Sohn Kairam." Der Scheik war ausser sich vor Freude und Entzuecken; er betrachtete immer von neuem wieder die Zuege des Wiedergefundenen, und unleugbar fand er das Bild seines Sohnes wieder, wie er ihn verloren hatte. Und alle Anwesenden teilten seine Freude; denn sie liebten den Scheik, und jedem unter ihnen war es, als waere ihm heute ein Sohn geschenkt worden. Jetzt fuellte wieder Gesang und Jubel diese Halle wie in den Tagen des Glueckes und der Freude. Noch einmal musste der Juengling, und noch ausfuehrlicher, seine Geschichte erzaehlen, und alle priesen den arabischen Professor und den Kaiser und jeden, der sich Kairams angenommen hatte. Man war beisammen bis in die Nacht, und als man aufbrach, beschenkte der Scheik jeden seiner Freunde reichlich, auf dass er immer dieses Freudentages gedenke. Die vier jungen Maenner aber stellte er seinem Sohne vor und lud sie ein, ihn immer zu besuchen, und es war ausgemachte Sache, dass er mit dem Schreiber lesen, mit dem Maler kleine Reisen machen sollte, dass der Kaufmann Gesang und Tanz mit ihm teile und der andere alle Vergnuegungen fuer sie bereiten solle. Auch sie wurden reich beschenkt und traten freudig aus dem Hause des Scheik. "Wem haben wir dies alles zu verdanken", sprachen sie untereinander, "wem anders als dem Alten? Wer haette dies damals gedacht, als wir vor diesem Hause standen und ueber den Scheik loszogen?" "Und wie leicht haette es uns einfallen koennen, die Lehren des alten Mannes zu ueberhoeren", sagte ein anderer, "oder ihn gar zu verspotten? Denn er sah doch recht zerrissen und aermlich aus, und wer koenne denken, dass dies der weise Mustapha sei?" "Und wunderbar! War es nicht hier, wo wir unsere Wuensche laut werden liessen?" sprach der Schreiber. "Da wollte der eine reisen, der andere singen und tanzen, der dritte gute Gesellschaft haben und ich--Geschichten lesen und hoeren, und sind nicht alle unsere Wuensche in Erfuellung gegangen? Darf ich nicht alle Buecher des Scheik lesen und kaufen, was ich will?" "Und darf ich nicht seine Tafel zurichten und seine schoensten Vergnuegen anordnen und selbst dabeisein?" sagte der andere. "Und ich, so oft mich mein Herz geluestet, Gesang und Saitenspiel zu hoeren oder einen Tanz zu sehen, darf ich nicht hingehen und mir seine Sklaven ausbitten?" "Und ich", rief der Maler, "vor diesem Tage war ich arm und konnte keinen Fuss aus dieser Stadt setzen, und jetzt kann ich reisen, wohin ich will." "Ja", sprachen sie alle, "es war doch gut, dass wir dem Alten folgten, wer weiss, was aus uns geworden waere!" So sprachen sie und gingen freudig und gluecklich nach Hause. Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827", von Wilhelm Hauff. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MAERCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1827 *** This file should be named 7alm210.txt or 7alm210.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7alm211.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7alm210a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. 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