The Project Gutenberg EBook of Maerchen-Almanach auf das Jahr 1828 by Wilhelm Hauff Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- which requires a binary transfer, or sent as email attachment and may require more specialized programs to display the accents. This is the 7-bit version. This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg2000.de erreichbar. Maerchen-Almanach auf das Jahr 1828 Wilhelm Hauff Inhalt: Das Wirtshaus im Spessart (Rahmenerzaehlung) Die Sage vom Hirschgulden Das kalte Herz I Saids Schicksale Die Hoehle von Steenfoll--Eine schottlaendische Sage Das kalte Herz II Das Wirtshaus im Spessart Wilhelm Hauff Vor vielen Jahren, als im Spessart die Wege noch schlecht und nicht so haeufig als jetzt befahren waren, zogen zwei junge Burschen durch diesen Wald. Der eine mochte achtzehn Jahre alt sein und war ein Zirkelschmied, der andere, ein Goldarbeiter, konnte nach seinem Aussehen kaum sechzehn Jahre haben und tat wohl jetzt eben seine erste Reise in die Welt. Der Abend war schon heraufgekommen, und die Schatten der riesengrossen Fichten und Buchen verfinsterten den schmalen Weg, auf dem die beiden wanderten. Der Zirkelschmied schritt wacker vorwaerts und pfiff ein Lied, schwatzte auch zuweilen mit Munter, seinem Hund, und schien sich nicht viel darum zu kuemmern, dass die Nacht nicht mehr fern, desto ferner aber die naechste Herberge sei; aber Felix, der Goldarbeiter, sah sich oft aengstlich um. Wenn der Wind durch die Baeume rauschte, so war es ihm, als hoere er Tritte hinter sich; wenn das Gestraeuch am Wege hin und her wankte und sich teilte, glaubte er Gesichter hinter den Bueschen lauern zu sehen. Der junge Goldschmied war sonst nicht aberglaeubisch oder mutlos. In Wuerzburg, wo er gelernt hatte, galt er unter seinen Kameraden fuer einen unerschrockenen Burschen, dem das Herz am rechten Fleck sitze; aber heute war ihm doch sonderbar zumute. Man hatte ihm vom Spessart so mancherlei erzaehlt; eine grosse Raeuberbande sollte dort ihr Wesen treiben, viele Reisende waren in den letzten Wochen gepluendert worden, ja man sprach sogar von einigen greulichen Mordgeschichten, die vor nicht langer Zeit dort vorgefallen seien. Da war ihm nun doch etwas bange fuer sein Leben, denn sie waren ja nur zu zweit und konnten gegen bewaffnete Raeuber gar wenig ausrichten. Oft gereute es ihn, dass er dem Zirkelschmied gefolgt war, noch eine Station zu gehen, statt am Eingang des Waldes ueber Nacht zu bleiben. "Und wenn ich heute nacht totgeschlagen werde und um Leben und alles komme, was ich bei mir habe, so ist's nur deine Schuld, Zirkelschmied; denn du hast mich in den schrecklichen Wald hereingeschwaetzt." "Sei kein Hasenfuss", erwiderte der andere, "ein rechter Handwerksbursche soll sich eigentlich gar nicht fuerchten. Und was meinst du denn? Meinst du, die Herren Raeuber im Spessart werden uns die Ehre antun, uns zu ueberfallen und totzuschlagen? Warum sollten sie sich diese Muehe geben? Etwa wegen meines Sonntagsrocks, den ich im Ranzen habe, oder wegen des Zehrpfennigs von einem Taler? Da muss man schon mit Vieren fahren, in Gold und Seide gekleidet sein, wenn sie es der Muehe wert finden, einen totzuschlagen." "Halt! Hoerst du nicht etwas pfeifen im Wald?" rief Felix aengstlich. "Das war der Wind, der um die Baeume pfeift, geh nur rasch vorwaerts, lange kann es nicht mehr dauern." "Ja, du hast gut reden wegen des Totschlagens", fuhr der Goldarbeiter fort. "Dich fragen sie, was du hast, durchsuchen dich und nehmen dir allenfalls den Sonntagsrock und den Gulden und dreissig Kreuzer; aber mich, mich schlagen sie gleich anfangs tot, nur weil ich Gold und Geschmeide mit mir fuehre. " "Ei, warum sollten sie dich totschlagen deswegen? Kaemen jetzt vier oder fuenf dort aus dem Busch mit geladenen Buechsen, die sie auf uns anlegten, und fragten ganz hoeflich: "Ihr Herren, was habt ihr bei euch?" und "Machet es euch bequem, wir wollen's euch tragen helfen", und was dergleichen anmutige Redensarten sind; da waerest du wohl kein Tor, machtest dein Raenzchen auf und legtest die gelbe Weste, den blauen Rock, zwei Hemden und alle Halsbaender und Armbaender und Kaemme, und was du sonst noch hast, hoeflich auf die Erde und bedanktest dich fuers Leben, das sie dir schenkten." "So, meinst du", entgegnete Felix sehr eifrig, "den Schmuck fuer meine Frau Pate, die vornehme Graefin, soll ich hergeben? Eher mein Leben; eher lass ich mich in kleine Stuecke zerschneiden. Hat sie nicht Mutterstelle an mir vertreten und seit meinem zehnten Jahr mich aufziehen lassen? Hat sie nicht die Lehre fuer mich bezahlt und Kleider und alles? Und jetzt, da ich sie besuchen darf und etwas mitbringe von meiner eigenen Arbeit, das sie beim Meister bestellt hat, jetzt, da ich ihr an dem schoenen Geschmeide zeigen koennte, was ich gelernt habe, jetzt soll ich das alles hergeben und die gelbe Weste dazu, die ich auch von ihr habe? Nein, lieber sterben, als dass ich den schlechten Menschen meiner Frau Pate Geschmeide gebe!" "Sei kein Narr!" rief der Zirkelschmied. "Wenn sie dich totschlagen, bekommt die Frau Graefin den Schmuck dennoch nicht. Drum ist es besser, du gibst ihn her und erhaeltst dein Leben." Felix antwortete nicht; die Nacht war jetzt ganz heraufgekommen, und bei dem ungewissen Schein des Neumonds konnte man kaum auf fuenf Schritte vor sich sehen; er wurde immer aengstlicher, hielt sich naeher an seinen Kameraden und war mit sich uneinig, ob er seine Reden und Beweise billigen sollte oder nicht. Noch eine Stunde beinahe waren sie fortgegangen, da erblickten sie in der Ferne ein Licht. Der junge Goldschmied meinte aber, man duerfe nicht trauen, vielleicht koennte es ein Raeuberhaus sein, aber der Zirkelschmied belehrte ihn, dass die Raeuber ihre Haeuser oder Hoehlen unter der Erde haben, und dies muesse das Wirtshaus sein, das ihnen ein Mann am Eingang des Waldes beschrieben. Es war ein langes, aber niedriges Haus, ein Karren stand davor, und nebenan im Stalle hoerte man Pferde wiehern. Der Zirkelschmied winkte seinen Gesellen an ein Fenster, dessen Laden geoeffnet waren. Sie konnten, wenn sie sich auf die Zehen stellten, die Stube uebersehen. Am Ofen in einem Armstuhl schlief ein Mann, der seiner Kleidung nach ein Fuhrmann und wohl auch der Herr des Karrens vor der Tuere sein konnte. An der andern Seite des Ofens sassen ein Weib und ein Maedchen und spannen; hinter dem Tisch an der Wand sass ein Mensch, der ein Glas Wein vor sich, den Kopf in die Haende gestuetzt hatte, so dass sie sein Gesicht nicht sehen konnten. Der Zirkelschmied aber wollte aus seiner Kleidung bemerken, dass es ein vornehmer Herr sein muesse. Als sie so noch auf der Lauer standen, schlug ein Hund im Hause an. Munter, des Zirkelschmieds Hund, antwortete, und eine Magd erschien in der Tuere und schaute nach den Fremden heraus. Man versprach, ihnen Nachtessen und Betten geben zu koennen; sie traten ein und legten die schweren Buendel, Stock und Hut in die Ecke und setzten sich zu dem Herrn am Tische. Dieser richtete sich bei ihrem Grusse auf, und sie erblickten einen feinen jungen Mann, der ihnen freundlich fuer ihren Gruss dankte. "Ihr seid spaet auf der Bahn", sagte er, "habt Ihr Euch nicht gefuerchtet, in so dunkler Nacht durch den Spessart zu reisen? Ich fuer meinen Teil habe lieber mein Pferd in dieser Schenke eingestellt, als dass ich nur noch eine Stunde geritten waere." "Da habt Ihr allerdings recht gehabt, Herr!" erwiderte der Zirkelschmied. "Der Hufschlag eines schoenen Pferdes ist Musik in den Ohren dieses Gesindels und lockt sie auf eine Stunde weit; aber wenn ein paar arme Burschen wie wir durch den Wald schleichen, Leute, welchen die Raeuber eher selbst etwas schenken koennten, da heben sie keinen Fuss auf!" "Das ist wohl wahr", entgegnete der Fuhrmann, der, durch die Ankunft der Fremden erweckt, auch an den Tisch getreten war, "einem armen Mann koennen sie nicht viel anhaben seines Geldes willen; aber man hat Beispiele, dass sie arme Leute nur aus Mordlust niederstiessen oder sie zwangen, unter die Bande zu treten und als Raeuber zu dienen." "Nun, wenn es so aussieht mit diesen Leuten im Wald", bemerkte der junge Goldschmied, "so wird uns wahrhaftig auch dieses Haus wenig Schutz gewaehren. Wir sind nur zu viert und mit dem Hausknecht fuenf; wenn es ihnen einfaellt, zu zehnt uns zu ueberfallen, was koennen wir gegen sie? Und ueberdies", setzte er leise und fluesternd hinzu, "wer steht uns dafuer, dass diese Wirtsleute ehrlich sind?" "Da hat es gute Wege", erwiderte der Fuhrmann. "Ich kenne diese Wirtschaft seit mehr als zehn Jahren und habe nie etwas Unrechtes darin verspuert. Der Mann ist selten zu Hause, man sagt, er treibe Weinhandel; die Frau aber ist eine stille Frau, die niemand Boeses will; nein, dieser tut Ihr unrecht, Herr!" "Und doch", nahm der junge vornehme Herr das Wort, "doch moechte ich nicht so ganz verwerfen, was er gesagt. Erinnert Euch an die Geruechte von jenen Leuten, die in diesem Wald auf einmal spurlos verschwunden sind. Mehrere davon hatten vorher gesagt, sie wuerden in diesem Wirtshaus uebernachten, und als man nach zwei oder drei Wochen nichts von ihnen vernahm, ihrem Weg nachforschte und auch hier im Wirtshaus nachfragte, da soll nun keiner gesehen worden sein; verdaechtig ist es doch." "Weiss Gott", rief der Zirkelschmied, "da handelten wir ja vernuenftiger, wenn wir unter dem naechsten Baum unser Nachtlager naehmen als hier in diesen vier Waenden, wo an kein Entspringen zu denken ist, wenn sie einmal die Tuere besetzt haben; denn die Fenster sind vergittert." Sie waren alle durch diese Reden nachdenklich geworden. Es schien gar nicht unwahrscheinlich, dass die Schenke im Wald, sei es gezwungen oder freiwillig, im Einverstaendnis mit den Raeubern war. Die Nacht schien ihnen daher gefaehrlich; denn wie manche Sage hatten sie gehoert von Wanderern, die man im Schlaf ueberfallen und gemordet hatte; und sollte es auch nicht an ihr Leben gehen, so war doch ein Teil der Gaeste in der Waldschenke von so beschraenkten Mitteln, dass ihnen ein Raub an einem Teil ihrer Habe sehr empfindlich gewesen waere. Sie schauten verdriesslich und duester in ihre Glaeser. Der junge Herr wuenschte, auf seinem Ross durch ein sicheres, offenes Tal zu traben, der Zirkelschmied wuenschte sich zwoelf seiner handfesten Kameraden, mit Knuetteln bewaffnet, als Leibgarde, Felix, der Goldarbeiter, trug bange mehr um den Schmuck seiner Wohltaeterin als um sein Leben; der Fuhrmann aber, der einigemal den Rauch seiner Pfeife nachdenklich vor sich hingeblasen, sprach leise: "Ihr Herren, im Schlaf wenigstens sollen sie uns nicht ueberfallen. Ich fuer meinen Teil will, wenn nur noch einer mit mir haelt, die ganze Nacht wach bleiben." "Das will ich auch"--"ich auch", riefen die drei uebrigen; "schlafen koennte ich doch nicht", setzte der junge Herr hinzu. "Nun, so wollen wir etwas treiben, dass wir wach bleiben", sagte der Fuhrmann, "ich denke, weil wir doch gerade zu viert sind, koennten wir Karten spielen, das haelt wach und vertreibt die Zeit." "Ich spiele niemals Karten", erwiderte der junge Herr, "darum kann ich wenigstens nicht mithalten." "Und ich kenne die Karten gar nicht", setzte Felix hinzu. "Was koennen wir denn aber anfangen, wenn wir nicht spielen", sprach der Zirkelschmied, "singen? Das geht nicht und wuerde nur das Gesindel herbeilocken; einander Raetsel und Sprueche aufgeben zum Erraten? Das dauert auch nicht lange. Wisst ihr was? Wie waere es, wenn wir uns etwas erzaehlten? Lustig oder ernsthaft, wahr oder erdacht, es haelt doch wach und vertreibt die Zeit so gut wie Kartenspiel." "Ich bin's zufrieden, wenn Ihr anfangen wolltet", sagte der junge Herr laechelnd. "Ihr Herren vom Handwerk kommt in allen Laendern herum und koennet schon etwas erzaehlen; hat doch jede Stadt ihre eigenen Sagen und Geschichten." "Ja, ja, man hoert manches", erwiderte der Zirkelschmied, "dafuer studieren Herren wie Ihr fleissig in den Buechern, wo gar wundervolle Sachen geschrieben stehen; da wuesstet Ihr noch Kluegeres und Schoeneres zu erzaehlen als ein schlichter Handwerksbursche wie unsereiner. Mich muesste alles truegen, oder Ihr seid ein Student, ein Gelehrter." "Ein Gelehrter nicht", laechelte der junge Herr, "wohl aber ein Student und will in den Ferien nach der Heimat reisen; doch was in unsern Buechern steht, eignet sich weniger zum Erzaehlen, als was Ihr hier und dort gehoeret. Darum hebet immer an, wenn anders diese da gerne zuhoeren!" "Noch hoeher als Kartenspiel", erwiderte der Fuhrmann, "gilt bei mir, wenn einer eine schoene Geschichte erzaehlt. Oft fahre ich auf der Landstrasse lieber im elendesten Schritt und hoere einem zu, der nebenhergeht und etwas Schoenes erzaehlt; manchen habe ich schon im schlechten Wetter auf den Karren genommen, unter der Bedingung, dass er etwas erzaehle, und einen Kameraden von mir habe ich, glaube ich, nur deswegen so lieb, weil er Geschichten weiss, die sieben Stunden lang und laenger dauern." "So geht es auch mir", setzte der junge Goldarbeiter hinzu, "erzaehlen hoere ich fuer mein Leben gerne, und mein Meister in Wuerzburg musste mir die Buecher ordentlich verbieten, dass ich nicht zuviel Geschichten las und die Arbeit darueber vernachlaessigte. Darum gib nur etwas Schoenes preis, Zirkelschmied, ich weiss, du koenntest erzaehlen von jetzt an, bis es Tag wird, ehe dein Vorrat ausginge." Der Zirkelschmied trank, um sich zu seinem Vortrag zu staerken, und hub alsdann also an: Die Sage vom Hirschgulden Wilhelm Hauff "Das ist die Sage von dem Hirschgulden", endete der Zirkelschmied, "und wahr soll sie sein. Der Wirt in Duerrwangen, das nicht weit von den drei Schloessern liegt, hat sie meinem guten Freund erzaehlt, der oft als Wegweiser ueber die schwaebische Alb ging und immer in Duerrwangen einkehrte." Die Gaeste gaben dem Zirkelschmied Beifall. "Was man doch nicht alles hoert in der Welt", rief der Fuhrmann. "Wahrhaftig, jetzt erst freut es mich, dass wir die Zeit nicht mit Kartenspielen verderbten, so ist es wahrlich besser; und gemerkt habe ich mir die Geschichte, dass ich sie morgen meinen Kameraden erzaehlen kann, ohne ein Wort zu fehlen." "Mir fiel da, waehrend Ihr so erzaehltet, etwas ein", sagte der Student. "O erzaehlet, erzaehlet!" baten der Zirkelschmied und Felix. "Gut", antwortete jener, "ob die Reihe jetzt an mich kommt oder spaeter, ist gleichviel; ich muss ja doch heimgehen, was ich gehoert. Das, was ich erzaehlen will, soll sich wirklich einmal begeben haben." Er setzte sich zurecht und wollte eben anheben zu erzaehlen, als die Wirtin den Spinnrocken beiseitesetzte und zu den Gaesten an den Tisch trat. "Jetzt, ihr Herren, ist es Zeit, zu Bette zu gehen", sagte sie, "es hat neun Uhr geschlagen, und morgen ist auch ein Tag." "Ei, so gehe zu Bette!" rief der Student, "setze noch eine Flasche Wein fuer uns hierher, und dann wollen wir dich nicht laenger abhalten." "Mitnichten", entgegnete sie graemlich, "solange noch Gaeste in der Wirtsstube sitzen, koennen Wirtin und Dienstboten nicht weggehen. Und kurz und gut, ihr Herren, machet, dass ihr auf eure Kammern kommet; mir wird die Zeit lange, und laenger als neun Uhr darf in meinem Hause nicht gezecht werden." "Was faellt Euch ein, Frau Wirtin?" sprach der Zirkelschmied staunend, "was schadet es denn Euch, ob wir hier sitzen, wenn Ihr auch schon laengst schlafet; wir sind rechtliche Leute und werden Euch nichts hinwegtragen, noch ohne Bezahlung fortgehen. Aber so lasse ich mir in keinem Wirtshaus ausbieten." Die Frau rollte zornig die Augen: "Meint ihr, ich werde wegen jedem Lumpen von Handwerksburschen, wegen jedem Strassenlaeufer, der mir zwoelf Kreuzer zu verdienen gibt, meine Hausordnung aendern? Ich sag' euch jetzt zum letztenmal, dass ich den Unfug nicht leide!" Noch einmal wollte der Zirkelschmied etwas entgegnen; aber der Student sah ihn bedeutend an und winkte mit den Augen den uebrigen. "Gut", sprach er, "wenn es denn die Frau Wirtin nicht haben will, so lasst uns auf unsere Kammern gehen. Aber Lichter moechten wir gerne haben, um den Weg zu finden." "Damit kann ich nicht dienen", entgegnete sie finster, "die andern werden schon den Weg im Dunkeln finden, und fuer Euch ist dies Stuempfchen hier hinlaenglich; mehr habe ich nicht im Hause." Schweigend nahm der junge Herr das Licht und stand auf. Die andern folgten ihm, und die Handwerksburschen nahmen ihre Buendel, um sie in der Kammer bei sich niederzulegen. Sie gingen dem Studenten nach, der ihnen die Treppe hinanleuchtete. Als sie oben angekommen waren, bat sie der Student, leise aufzutreten, schloss sein Zimmer auf und winke ihnen herein. "Jetzt ist kein Zweifel mehr", sagte er, "sie will uns verraten; habt ihr nicht bemerkt, wie aengstlich sie uns zu Bett zu bringen suchte, wie sie uns alle Mittel abschnitt, wach und beisammen zu bleiben? Sie meint wahrscheinlich, wir werden uns jetzt niederlegen und dann werde sie um so leichteres Spiel haben." "Aber meint Ihr nicht, wir koennten noch entkommen?" fragte Felix. "Im Wald kann man doch eher auf Rettung denken als hier im Zimmer." "Die Fenster sind auch hier vergittert", rief der Student, indem er vergebens versuchte, einen der Eisenstaebe des Gitters loszumachen. "Uns bleibt nur ein Ausweg, wenn wir entweichen wollen, durch die Haustuere; aber ich glaube nicht, dass sie uns fortlassen werden." "Es kaeme auf den Versuch an", sprach der Fuhrmann, "ich will einmal probieren, ob ich bis in den Hof kommen kann. Ist dies moeglich, so kehre ich zurueck und hole euch nach." Die uebrigen billigten diesen Vorschlag, der Fuhrmann legte die Schuhe ab und schlich sich auf den Zehen nach der Treppe; aengstlich lauschten seine Genossen oben im Zimmer; schon war er die eine Haelfte der Treppe gluecklich und unbemerkt hinabgestiegen; aber als er sich dort um einen Pfeiler wandte, richtete sich ploetzlich eine ungeheure Dogge vor ihm in die Hoehe, legte ihre Tatzen auf seine Schultern und wies ihm, gerade seinem Gesicht gegenueber, zwei Reihen langer, scharfer Zaehne. Er wagte weder vor- noch rueckwaerts auszuweichen; denn bei der geringsten Bewegung schnappte der entsetzliche Hund nach seiner Kehle. Zugleich fing er an zu heulen und zu bellen, und alsobald erschienen der Hausknecht und die Frau mit Lichtern. "Wohin, was wollt Ihr?" rief die Frau. "Ich habe noch etwas in meinem Karren zu holen", antwortete der Fuhrmann, am ganzen Leibe zitternd; denn als die Tuere aufgegangen war, hatte er mehrere braune, verdaechtige Gesichter, Maenner mit Buechsen in der Hand, im Zimmer bemerkt. "Das haettet Ihr alles auch vorher abmachen koennen", sagte die Wirtin muerrisch. "Fassan, daher! Schliess die Hoftuere zu, Jakob, und leuchte dem Mann an seinen Karren!" Der Hund zog seine greuliche Schnauze und seine Tatzen von der Schulter des Fuhrmanns zurueck und lagerte sich wieder quer ueber die Treppe; der Hausknecht aber hatte das Hoftor zugeschlossen und leuchtete dem Fuhrmann. An ein Entkommen war nicht zu denken. Aber als er nachsann, was er denn eigentlich aus dem Karren holen sollte, fiel ihm ein Pfund Wachslichter ein, die er in die naechste Stadt ueberbringen sollte. "Das Stuempfchen Licht oben kann kaum noch eine Viertelstunde dauern", sagte er zu sich, "und Licht muessen wir dennoch haben!" Er nahm also zwei Wachskerzen aus dem Wagen, verbarg sie in dem Aermel und holte dann zum Schein seinen Mantel aus dem Karren, womit er sich, wie er dem Hausknecht sagte, heute nacht bedecken wolle. Gluecklich kam er wieder auf dem Zimmer an. Er erzaehlte von dem grossen Hund, der als Wache an der Treppe liege, von den Maennern, die er fluechtig gesehen, von allen Anstalten, die man gemacht, um sich ihrer zu versichern, und schloss damit, dass er seufzend sagte: "Wir werden diese Nacht nicht ueberleben." "Das glaube ich nicht", erwiderte der Student, "fuer so toericht kann ich diese Leute nicht halten, dass sie wegen des geringen Vorteils, den sie von uns haetten, vier Menschen ans Leben gehen sollten. Aber verteidigen duerfen wir uns nicht. Ich fuer meinen Teil werde wohl am meisten verlieren; mein Pferd ist schon in ihren Haenden, es kostete mich fuenfzig Dukaten noch vor vier Wochen; meine Boerse, meine Kleider gebe ich willig hin; denn mein Leben ist mir am Ende doch lieber als alles dies." "Ihr habt gut reden", erwiderte der Fuhrmann, "solche Sachen, wie Ihr sie verlieren koennt, ersetzt Ihr Euch leicht wieder; aber ich bin der Bote von Aschaffenburg und habe allerlei Gueter auf meinem Karren, und im Stall zwei schoene Rosse, meinen einzigen Reichtum." "Ich kann unmoeglich glauben, dass sie Euch ein Leides tun werden", bemerkte der Goldschmied, "einen Boten zu berauben, wuerde schon viel Geschrei und Laermen im Land machen. Aber dafuer bin ich auch, was der Herr dort sagt; lieber will ich gleich alles hergeben, was ich habe, und mit einem Eid versprechen, nichts zu sagen, ja niemals zu klagen, als mich gegen Leute, die Buechsen und Pistolen haben, um meine geringe Habe wehren." Der Fuhrmann hatte waehrend dieser Reden seine Wachskerzen hervorgezogen. Er klebte sie auf den Tisch und zuendete sie an. "So lasst uns in Gottes Namen erwarten, was ueber uns kommen wird", sprach er, "wir wollen uns wieder zusammen niedersetzen und durch Sprechen den Schlaf abhalten." "Das wollen wir", antwortete der Student, "und weil vorhin die Reihe an mir stehengeblieben war, will ich euch etwas erzaehlen." Das kalte Herz Bei diesen Worten wurde der Erzaehler durch ein Geraeusch vor der Schenke unterbrochen. Man hoerte einen Wagen anfahren, mehrere Stimmen riefen nach Licht, es wurde heftig an das Hoftor gepocht, und dazwischen heulten mehrere Hunde. Die Kammer, die man dem Fuhrmann und den Handwerksburschen angewiesen hatte, ging nach der Strasse hinaus; die vier Gaeste sprangen auf und liefen dorthin, um zu sehen, was vorgefallen sei. Soviel sie bei dem Schein einer Laterne sehen konnten, stand ein grosser Reisewagen vor der Schenke; soeben war ein grosser Mann beschaeftigt, zwei verschleierte Frauen aus dem Wagen zu heben, und einen Kutscher in Livree sah man die Pferde abspannen, ein Bediensteter aber schnallte den Koffer los. "Diesen sei Gott gnaedig", seufzte der Fuhrmann. "Wenn diese mit heiler Haut aus der Schenke kommen, so ist mir fuer meinen Karren auch nicht mehr bange." "Stille!" fluesterte der Student. "Mir ahnet, dass man eigentlich nicht uns, sondern dieser Dame auflauert; wahrscheinlich waren sie unten schon von ihrer Reise unterrichtet. Wenn man sie nur warnen koennte! Doch halt! Es ist im ganzen Wirtshaus kein anstaendiges Zimmer fuer die Damen als das neben dem meinigen. Dorthin wird man sie fuehren. Bleibet ihr ruhig in dieser Kammer; ich will die Bediensteten zu unterrichten suchen." Der junge Mann schlich sich auf sein Zimmer, loeschte die Kerzen aus und liess nur das Licht brennen, das ihm die Wirtin gegeben. Dann lauschte er an der Tuere. Bald kam die Wirtin mit den Damen die Treppe herauf und fuehrte sie mit freundlichen, sanften Worten in das Zimmer nebenan. Sie redete ihren Gaesten zu, sich bald niederzulegen, weil sie von der Reise erschoepft sein wuerden; dann ging sie wieder hinab. Bald darauf hoerte der Student schwere maennliche Tritte die Treppe heraufkommen. Er oeffnete behutsam die Tuere und erblickte durch eine kleine Spalte den grossen Mann, welcher die Damen aus dem Wagen gehoben. Er trug ein Jagdkleid und hatte einen Hirschfaenger an der Seite und war wohl der Reisestallmeister oder Begleiter der fremden Damen. Als der Student merkte, dass dieser allein heraufgekommen war, oeffnete er schnell die Tuer und winkte dem Mann, zu ihm einzutreten. Verwundert trat dieser naeher, und ehe er noch fragen konnte, was man von ihm wolle, fluesterte ihm jener zu: "Mein Herr! Sie sind heute nacht in eine Raeuberschenke geraten." Der Mann erschrak; der Student zog ihn aber vollends in seine Tuere und erzaehlte ihm, wie verdaechtig es in diesem Hause aussehe. Der Jaeger wurde sehr besorgt, als er dies hoerte; er belehrte den jungen Mann, dass die Damen, eine Graefin und ihre Kammerfrau, anfaenglich die ganze Nacht durch haben fahren wollen; aber etwa eine halbe Stunde von dieser Schenke sei ihnen ein Reiter begegnet, der sie angerufen und gefragt habe, wohin sie reisen wollten. Als er vernommen, dass sie gesonnen seien, die ganze Nacht durch den Spessart zu reisen, habe er ihnen abgeraten, indem es gegenwaertig sehr unsicher sei. "Wenn Ihnen am Rat eines redlichen Mannes etwas liegt", habe er hinzugesetzt, "so stehen Sie ab von diesem Gedanken; es liegt nicht weit von hier eine Schenke; so schlecht und unbequem sie sein mag, so uebernachten Sie lieber daselbst, als dass Sie sich in dieser dunklen Nacht unnoetig der Gefahr preisgeben." Der Mann, der ihnen dies geraten, habe sehr ehrlich und rechtlich ausgesehen, und die Graefin habe in der Angst vor einem Raeuberanfall befohlen, an dieser Schenke stille zu halten. Der Jaeger hielt es fuer seine Pflicht, die Damen von der Gefahr, worin sie schwebten, zu unterrichten. Er ging in das andere Zimmer, und bald darauf oeffnete er die Tuere, welche von dem Zimmer der Graefin in das des Studenten fuehrte. Die Graefin, eine Dame von etwa vierzig Jahren, trat, vor Schrecken bleich, zu dem Studenten heraus und liess sich alles noch einmal von ihm wiederholen. Dann beriet man sich, was in dieser misslichen Lage zu tun sei, und beschloss, so behutsam als moeglich die zwei Bediensteten, den Fuhrmann und die Handwerksburschen herbeizuholen, um im Fall eines Angriffs wenigstens gemeinsame Sache machen zu koennen. Als dieses bald darauf geschehen war, wurde das Zimmer der Graefin gegen den Hausflur hin verschlossen und mit Kommoden und Stuehlen verrammelt. Sie setzte sich mit ihrer Kammerfrau aufs Bette, und die zwei Bediensteten hielten bei ihr Wache. Die frueheren Gaeste aber und der Jaeger setzten sich im Zimmer des Studenten um den Tisch und beschlossen, die Gefahr zu erwarten. Es mochte jetzt etwa zehn Uhr sein, im Hause war alles ruhig und still, und noch machte man keine Miene, die Gaeste zu stoeren. Da sprach der Zirkelschmied: "Um wach zu bleiben, waere es wohl das beste, wir machten es wieder wie zuvor; wir erzaehlten naemlich, was wir von allerlei Geschichten wissen, und wenn der Herr Jaeger nichts dagegen hat, so koennten wir weiter fortfahren." Der Jaeger aber hatte nicht nur nichts dagegen einzuwenden, sondern um seine Bereitwilligkeit zu zeigen, versprach er, selbst etwas zu erzaehlen. Er hub an: Saids Schicksale "Bei solcher Unterhaltung kaeme mir kein Schlaf in die Augen, wenn ich auch zwei, drei und mehrere Naechte wach bleiben muesste", sagte der Zirkelschmied, als der Jaeger geendigt hatte. "Und oft schon habe ich dies bewaehrt gefunden. So war ich in frueherer Zeit als Geselle bei einem Glockengiesser. Der Meister war ein reicher Mann und kein Geizhals; aber eben darum wunderten wir uns nicht wenig, als wir einmal eine grosse Arbeit hatten, und er, ganz gegen seine Gewohnheit, so knickerig als moeglich erschien. Es wurde in die neue Kirche eine Glocke gegossen, und wir Jungen und Gesellen mussten die ganze Nacht am Herd sitzen und das Feuer hueten. Wir glaubten nicht anders, als der Meister werde sein Mutterfaesschen anstechen und uns den besten Wein vorsetzen. Aber nicht also. Er liess nur alle Stunden einen Umtrank tun und fing an, von seiner Wanderschaft, von seinem Leben allerlei Geschichten zu erzaehlen; dann kam es an den Obergesellen, und so nach der Reihe, und keiner von uns wurde schlaefrig, denn begierig horchten wir alle zu. Ehe wir uns dessen versahen, war es Tag. Da erkannten wir die List des Meisters, dass er uns durch Reden habe wach halten wollen. Denn als die Glocke fertig war, schonte er seinen Wein nicht und holte ein, was er weislich in jener Nacht versaeumte." "Das ist ein vernuenftiger Mann", erwiderte der Student, "gegen den Schlaf, das ist gewiss, hilft nichts als Reden. Darum moechte ich diese Nacht nicht einsam bleiben, weil ich mich gegen elf Uhr hin des Schlafes nicht erwehren koennte." "Das haben auch die Bauersleute wohlbedacht", sagte der Jaeger, "wenn die Frauen und Maedchen in den langen Winterabenden bei Licht spinnen, so bleiben sie nicht einsam zu Hause, weil sie da wohl mitten unter der Arbeit einschliefen, sondern sie kommen zusammen in den sogenannten Lichtstuben, setzen sich in grosser Gesellschaft zur Arbeit und erzaehlen." "Ja", fiel der Fuhrmann ein, "da geht es oft recht greulich zu, dass man sich ordentlich fuerchten moechte, denn sie erzaehlen von feurigen Geistern, die auf der Wiese gehen, von Kobolden, die nachts in den Kammern poltern, und von Gespenstern, die Menschen und Vieh aengstigen." "Da haben sie nun freilich nicht die beste Unterhaltung", entgegnete der Student. "Mir, ich gestehe es, ist nichts so verhasst als Gespenstergeschichten." "Ei, da denke ich gerade das Gegenteil", rief der Zirkelschmied. "Mir ist es recht behaglich bei einer rechten Schauergeschichte. Es ist gerade wie beim Regenwetter, wenn man unter dem Dach schlaeft. Man hoert die Tropfen tick, tack, tick, tack auf die Ziegel herunterrauschen und fuehlt sich recht warm im Trockenen. So, wenn man bei Licht und in Gesellschaft von Gespenstern hoert, fuehlt man sich sicher und behaglich." "Aber nachher?" sagte der Student. "Wenn einer zugehoert hat, der dem laecherlichen Glauben an Gespenster ergeben ist, wird er sich nicht grauen, wenn er allein ist und im Dunkeln? Wird er nicht an alles das Schauerliche denken, was er gehoert? Ich kann mich noch heute ueber diese Gespenstergeschichten aergern, wenn ich an meine Kindheit denke. Ich war ein munterer, aufgeweckter Junge und mochte vielleicht etwas unruhiger sein, als meiner Amme lieb war. Da wusste sie nun kein anderes Mittel, mich zum Schweigen zu bringen, als sie machte mich fuerchten. Sie erzaehlte mir allerlei schauerliche Geschichten von Hexen und boesen Geistern, die im Hause spuken sollten, und wenn eine Katze auf dem Boden ihr Wesen trieb, fluesterte sie mir aengstlich zu: "Hoerst du, Soehnchen? Jetzt geht er wieder Treppe auf, Treppe ab, der tote Mann. Er traegt seinen Kopf unter dem Arm, aber seine Augen glaenzen doch wie Laternen; Krallen hat er statt der Finger, und wenn er einen im Dunkeln erwischt, dreht er ihm den Hals um."" Die Maenner lachten ueber diese Geschichten, aber der Student fuhr fort: "Ich war zu jung, als dass ich haette einsehen koennen, dies alles sei unwahr und erfunden. Ich fuerchtete mich nicht vor dem groessten Jagdhund, warf jeden meiner Gespielen in den Sand; aber wenn ich ins Dunkle kam, drueckte ich vor Angst die Augen zu, denn ich glaubte, jetzt werde der tote Mann heranschleichen. Es ging soweit, dass ich nicht mehr allein und ohne Licht aus der Tuere gehen wollte, wenn es dunkel war, und wie manchmal hat mich mein Vater nachher gezuechtigt, als er diese Unart bemerkte. Aber lange Zeit konnte ich diese kindische Furcht nicht loswerden, und allein meine toerichte Amme trug die Schuld." "Ja, das ist ein grosser Fehler", bemerkte der Jaeger, "wenn man die kindlichen Gedanken mit solchem Aberwitz fuellt. Ich kann versichern, dass ich brave, beherzte Maenner gekannt habe, Jaeger, die sich sonst vor drei Feinden nicht fuerchteten wenn sie nachts im Wald auf Wild lauern sollten oder auf Wilddiebe, da gebrach es ihnen oft ploetzlich an Mut; denn sie sahen einen Baum fuer ein schreckliches Gespenst, einen Busch fuer eine Hexe und ein paar Gluehwuermer fuer die Augen eines Ungetuems an, das im Dunklen auf sie laure." "Und nicht nur fuer Kinder", entgegnete der Student, "halte ich Unterhaltungen dieser Art fuer hoechst schaedlich und toericht, sondern auch fuer jeden; denn welcher vernuenftige Mensch wird sich ueber das Treiben und Wesen von Dingen unterhalten, die eigentlich nur im Hirn eines Toren wirklich sind. Dort spukt es, sonst nirgends. Doch am allerschaedlichsten sind diese Geschichten unter dem Landvolk. Dort glaubt man fest und unabweichlich an Torheiten dieser Art, und dieser Glaube wird in den Spinnstuben und in der Schenke genaehrt, wo sie sich enge zusammensetzen und mit furchtbarer Stimme die allergreulichsten Geschichten erzaehlen." "Ja, Herr!" erwiderte der Fuhrmann. "Ihr moeget nicht unrecht haben; schon manches Unglueck ist durch solche Geschichten entstanden, ist ja doch sogar meine eigene Schwester dadurch elendiglich ums Leben gekommen." "Wie das? An solchen Geschichten?" riefen die Maenner erstaunt. "Jawohl, an solchen Geschichten", sprach jener weiter. "In dem Dorf, wo unser Vater wohnte, ist auch die Sitte, dass die Frauen und die Maedchen in den Winterabenden zum Spinnen sich zusammensetzen. Die jungen Burschen kommen dann auch und erzaehlen mancherlei. So kam es eines Abends, dass man von Gespenstern und Erscheinungen sprach, und die jungen Burschen erzaehlten von einem alten Kraemer, der schon vor zehn Jahren gestorben sei, aber im Grab keine Ruhe finde. Jede Nacht werfe er die Erde von sich ab, steige aus dem Grab, schleiche langsam und hustend, wie er im Leben getan, nach seinem Laden und waege dort Zucker und Kaffee ab, indem er vor sich hinmurmle: "Drei Vierling, drei Vierling um Mitternacht Haben bei Tag ein Pfund gemacht." Viele behaupteten, ihn gesehen zu haben, und die Maedchen und Weiber fingen an, sich zu fuerchten. Meine Schwester aber, ein Maedchen von sechzehn Jahren, wollte klueger sein als die andern und sagte: "Das glaube ich alles nicht; wer einmal tot ist, kommt nicht wieder!" Sie sagte es, aber leider ohne Ueberzeugung; denn sie hatte sich oft schon gefuerchtet. Da sagte einer von den jungen Leuten: "Wenn du dies glaubst, so wirst du dich auch nicht vor ihm fuerchten; sein Grab ist nur zwei Schritte von Kaethchens, die letzthin gestorben. Wage es einmal, gehe hin auf den Kirchhof, brich von Kaethchens Grab eine Blume und bringe sie uns, so wollen wir glauben, dass du dich vor dem Kraemer nicht fuerchtest!" Meine Schwester schaemte sich, von den andern verlacht zu werden, darum sagte sie, "oh! das ist mir ein leichtes; was wollt ihr denn fuer eine Blume?" "Es blueht im ganzen Dorf keine weisse Rose als dort; darum bring' uns einen Strauss von diesen", antwortete eine ihrer Freundinnen. Sie stand auf und ging, und alle Maenner lobten ihren Mut; aber die Frauen schuettelten den Kopf und sagten: "Wenn es nur gut ablaeuft!" Meine Schwester ging dem Kirchhof zu; der Mond schien hell, und sie fing an zu schaudern, als es zwoelf Uhr schlug und sie die Kirchhofpforte oeffnete. Sie stieg ueber manchen Grabhuegel weg, den sie kannte, und ihr Herz wurde bange und immer banger, je naeher sie zu Kaethchens weissen Rosen und zum Grab des gespenstigen Kraemers kam. Jetzt war sie da, zitternd kniete sie nieder und knickte die Blumen ab. Da glaubte sie ganz in der Naehe ein Geraeusch zu vernehmen; sie sah sich um; zwei Schritte von ihr flog die Erde von einem Grabe hinweg, und langsam richtete sich eine Gestalt daraus empor. Es war ein alter, bleicher Mann mit einer weissen Schlafmuetze auf dem Kopf. Meine Schwester erschrak; sie schaute noch einmal hin, um sich zu ueberzeugen, ob sie recht gesehen; als aber der im Grabe mit naeselnder Stimme anfing zu sprechen: "Guten Abend, Jungfer; woher so spaet?" da erfasste sie ein Grauen des Todes; sie raffte sich auf, sprang ueber die Graeber hin nach jenem Hause, erzaehlte beinahe atemlos, was sie gesehen, und wurde so schwach, dass man sie nach Hause tragen musste. Was nuetzte es uns, dass wir am andern Tage erfuhren, dass es der Totengraeber gewesen sei, der dort ein Grab gemacht und zu meiner armen Schwester gesprochen habe? Sie verfiel, noch ehe sie dies erfahren konnte, in ein hitziges Fieber, an welchem sie nach drei Tagen starb. Die Rosen zu ihrem Totenkranz hatte sie sich selbst gebrochen." Der Fuhrmann schwieg, und eine Traene hing in seinen Augen, die andern aber sahen teilnehmend auf ihn. "So hat das arme Kind auch an diesem Koehlerglauben sterben muessen", sagte der junge Goldarbeiter, "mir faellt da eine Sage bei, die ich euch wohl erzaehlen moechte und die leider mit einem solchen Trauerfall zusammenhaengt": Die Hoehle von Steenfoll "Mitternacht ist laengst vorueber", sagte der Student, als der junge Goldarbeiter seine Erzaehlung geendigt hatte, "jetzt hat es wohl keine Gefahr mehr, und ich fuer meinen Teil bin so schlaefrig, dass ich allen raten moechte, niederzuliegen und getrost einzuschlafen." "Vor zwei Uhr morgens moecht' ich doch nicht trauen", entgegnete der Jaeger, "das Sprichwort sagt, von elf bis zwei Uhr ist Diebes Zeit." "Das glaube ich auch", bemerkte der Zirkelschmied, "denn wenn man uns etwas anhaben will, ist wohl keine Zeit gelegener als die nach Mitternacht. Darum meine ich, der Studiosus koennte an seiner Erzaehlung fortfahren, die er noch nicht ganz vollendet hat." "Ich straeube mich nicht", sagte dieser, "obgleich unser Nachbar, der Herr Jaeger, den Anfang nicht gehoert hat." "Ich muss ihn mir hinzudenken, fanget nur an!" rief der Jaeger. "Nun denn", wollte eben der Student beginnen, als sie durch das Anschlagen eines Hundes unterbrochen wurden. Alle hielten den Atem an und horchten; zugleich stuerzte einer der Bediensteten aus dem Zimmer der Graefin und rief, dass wohl zehn bis zwoelf bewaffnete Maenner von der Seite her auf die Schenke zukaemen. Der Jaeger griff nach seiner Buechse, der Student nach seiner Pistole, die Handwerksburschen nach ihren Stoecken, und der Fuhrmann zog ein langes Messer aus der Tasche. So standen sie und sahen ratlos einander an. "Lasst uns an die Treppe gehen!" rief der Student, "zwei oder drei dieser Schurken sollen doch zuvor ihren Tod finden, ehe wir ueberwaeltigt werden." Zugleich gab er dem Zirkelschmied seine zweite Pistole und riet, dass sie nur einer nach dem anderen schiessen wollten. Sie stellten sich an die Treppe; der Student und der Jaeger nahmen gerade ihre ganze Breite ein; seitwaerts neben dem Jaeger stand der mutige Zirkelschmied und beugte sich ueber das Gelaender, indem er die Muendung seiner Pistole auf die Mitte der Treppe hielt: Der Goldarbeiter und der Fuhrmann standen hinter ihnen, bereit, wenn es zu einem Kampf Mann gegen Mann kommen sollte, das ihrige zu tun. So standen sie einige Minuten in stiller Erwartung: Endlich hoerte man die Haustuere aufgehen, sie glaubten auch das Fluestern mehrerer Stimmen zu vernehmen. Jetzt hoerte man Tritte vieler Menschen der Treppe nahen; man kam die Treppe herauf, und auf der ersten Haelfte zeigten sich drei Maenner, die wohl nicht auf den Empfang gefasst waren, der ihnen bereitet war. Denn als sie sich um die Pfeiler der Treppe wandten, schrie der Jaeger mit starker Stimme: "Halt! Noch einen Schritt weiter, und ihr seid des Todes. Spannet die Hahnen, Freunde, und gut gezielt!" Die Raeuber erschraken, zogen sich eilig zurueck und berieten sich mit den uebrigen. Nach einer Weile kam einer davon zurueck und sprach: "Ihr Herren! Es waere Torheit von euch, umsonst euer Leben aufopfern zu wollen, denn wir sind unserer genug, um euch voellig aufzureiben; aber ziehet euch zurueck, es soll keinem das Geringste zuleide geschehen; wir wollen keines Groschen Wert von euch nehmen." "Was wollt ihr denn sonst?" rief der Student. "Meint ihr, wir werden solchem Gesindel trauen? Nimmermehr! Wollt ihr etwas holen, in Gottes Namen, so kommet, aber den ersten, der sich um die Ecke wagt, brenne ich auf die Stirne, dass er auf ewig keine Kopfschmerzen mehr haben soll!" "Gebt uns die Dame heraus, gutwillig!" antwortete der Raeuber. "Es soll ihr nichts geschehen; wir wollen sie an einen sicheren und bequemen Ort fuehren, ihre Leute koennen zurueckreiten und den Herrn Grafen bitten, er moege sie mit zwanzigtausend Gulden ausloesen." "Solche Vorschlaege sollen wir uns machen lassen?" entgegnete der Jaeger, knirschend vor Wut, und spannte den Hahn. "Ich zaehle drei, und wenn du da unten nicht bei drei hinweg bist, so druecke ich los, eins, zwei--" "Halt!" schrie der Raeuber mit donnernder Stimme. "Ist das Sitte, auf einen wehrlosen Mann zu schiessen, der mit euch friedlich unterhandelt? Toerichter Bursche, du kannst mich totschiessen, und dann hast du erst keine grosse Heldentat getan; aber hier stehen zwanzig meiner Kameraden, die mich raechen werden. Was nuetzt es dann deiner Frau Graefin, wenn ihr tot oder verstuemmelt auf dem Flur lieget? Glaube mir, wenn sie freiwillig mitgeht, soll sie mit Achtung behandelt werden; aber wenn du, bis ich drei zaehle, nicht den Hahnen in Ruhe setzest, so soll es ihr uebel ergehen. Hahnen in Ruh', eins, zwei, drei!" "Mit diesen Hunden ist nicht zu spassen", fluesterte der Jaeger, indem er den Befehl des Raeubers befolgte, "wahrhaftig, an meinem Leben liegt nichts; aber wenn ich einen niederschiesse, koennten sie meine Dame um so haerter behandeln. Ich will die Graefin um Rat fragen. Gebt uns", fuhr er mit lauter Stimme fort, "gebt uns eine halbe Stunde Waffenstillstand, um die Graefin vorzubereiten; sie wuerde, wenn sie es so ploetzlich erfaehrt, den Tod davon haben." "Zugestanden", antwortete der Raeuber und liess zugleich den Ausgang der Treppe mit sechs Maennern besetzen. Bestuerzt und verwirrt folgten die ungluecklichen Reisenden dem Jaeger in das Zimmer der Graefin; es lag dieses so nahe, und so laut hatte man verhandelt, dass ihr kein Wort entgangen war. Sie war bleich und zitterte heftig; aber dennoch schien sie fest entschlossen, sich in ihr Schicksal zu ergeben. "Warum soll ich nutzlos das Leben so vieler braver Leute aufs Spiel setzen?" fragte sie. "Warum euch zu einer vergeblichen Verteidigung auffordern, euch, die ihr mich gar nicht kennet? Nein, ich sehe, dass keine andere Rettung ist, als den Elenden zu folgen." Man war allgemein von dem Mut und dem Unglueck der Dame ergriffen; der Jaeger weinte und schwur, dass er diese Schmach nicht ueberleben koenne. Der Student aber schmaehte auf sich und seine Groesse von sechs Fuss. "Waere ich nur um einen halben Kopf kleiner", rief er, "und haette ich keinen Bart, so wuesste ich wohl, was ich zu tun haette; ich liesse mir von der Frau Graefin Kleider geben, und diese Elenden sollten spaet genug erfahren, welchen Missgriff sie getan." Auch auf Felix hatte das Unglueck dieser Frau grossen Eindruck gemacht. Ihr ganzes Wesen kam ihm so ruehrend und bekannt vor; es war ihm, als sei es seine fruehe verstorbene Mutter, die sich in dieser schrecklichen Lage befaende. Er fuehlte sich so gehoben, so mutig, dass er gerne sein Leben fuer das ihrige gegeben haette. Doch als der Student jene Worte sprach, da blitzte auf einmal ein Gedanke in seiner Seele auf; er vergass alle Angst, alle Ruecksichten, und er dachte nur an die Rettung dieser Frau. "Ist es nur dies", sprach er, indem er schuechtern und erroetend hervortrat, "gehoert nur ein kleiner Koerper, ein bartloses Kinn und ein mutiges Herz dazu, die gnaedige Frau zu retten, so bin ich vielleicht auch nicht zu schlecht dazu; ziehet in Gottes Namen meinen Rock an, setzet meinen Hut auf Euer schoenes Haar und nehmet mein Buendel auf den Ruecken und ziehet als Felix, der Goldarbeiter, Eure Strasse!" Alle waren erstaunt ueber den Mut des Juenglings, der Jaeger aber fiel ihm freudig um den Hals. "Goldjunge", rief er, "das wolltest du tun? Wolltest dich in meiner gnaedigen Frau Kleider stecken lassen und sie retten? Das hat dir Gott eingegeben; aber allein sollst du nicht gehen, ich will mich mit gefangen geben, will bei dir bleiben an deiner Seite als dein bester Freund, und solange ich lebe, sollen sie dir nichts anhaben duerfen." "Auch ich ziehe mit dir, so wahr ich lebe!" rief der Student. Es kostete lange Ueberredung, um die Graefin zu diesem Vorschlag zu ueberreden. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ein fremder Mensch fuer sie sich aufopfern sollte; sie dachte sich im Falle einer spaeteren Entdeckung die Rache der Raeuber, die ganz auf den Ungluecklichen fallen wuerde, schrecklich. Aber endlich siegten teils die Bitten des jungen Menschen, teils die Ueberzeugung, im Falle sie gerettet wuerde, alles aufbieten zu koennen, um ihren Retter wieder zu befreien. Sie willigte ein. Der Jaeger und die uebrigen Reisenden begleiteten Felix in das Zimmer des Studenten, wo er sich schnell einige Kleider der Graefin ueberwarf. Der Jaeger setzte ihm noch zum Ueberfluss einige falsche Haarlocken der Kammerfrau und einen Damenhut auf, und alle versicherten, dass man ihn nicht erkennen wuerde. Selbst der Zirkelschmied schwur, dass, wenn er ihm auf der Strasse begegnete, er flink den Hut abziehen und nicht ahnen wuerde, dass er vor seinem mutigen Kameraden sein Kompliment mache. Die Graefin hatte sich indessen mit Hilfe ihrer Kammerfrau aus dem Raenzchen des jungen Goldarbeiters mit Kleidern versehen. Der Hut, tief in die Stirne gedrueckt, der Reisestock in der Hand, das etwas leichter gewordene Buendel auf dem Ruecken machten sie voellig unkenntlich, und die Reisenden wuerden,zu jeder anderen Zeit ueber diese komische Maskerade nicht wenig gelacht haben. Der neue Handwerksbursche dankte Felix mit Traenen und versprach die schleunigste Hilfe. "Nur noch eine Bitte habe ich", antwortete Felix, "in diesem Raenzchen, das Sie auf dem Ruecken tragen, befindet sich eine kleine Schachtel; verwahren Sie diese sorgfaeltig! Wenn sie verlorenginge, waere ich auf immer und ewig ungluecklich; ich muss sie meiner Pflegmutter bringen und--" "Gottfried, der Jaeger, weiss mein Schloss", entgegnete sie, "es soll Euch alles unbeschaedigt wieder zurueckgestellt werden; denn ich hoffe, Ihr kommet dann selbst, edler junger Mann, um den Dank meines Gatten und den meinigen zu empfangen." Ehe noch Felix darauf antworten konnte, ertoenten von der Treppe her die rauhen Stimmen der Raeuber; sie riefen, die Frist sei verflossen und alles zur Abfahrt der Graefin bereit. Der Jaeger ging zu ihnen hinab und erklaerte ihnen, dass er die Dame nicht verlassen werde und lieber mit ihnen gehe, wohin es auch sei, ehe er ohne seine Gebieterin vor seinem Herrn erschiene. Auch der Student erklaerte, diese Dame begleiten zu wollen. Sie beratschlagten sich ueber diesen Fall und gestanden es endlich zu unter der Bedingung, dass der Jaeger sogleich seine Waffen abgebe. Zugleich befahlen sie, dass die uebrigen Reisenden sich ruhig verhalten sollten, wenn die Graefin hinweggefuehrt werde Felix liess den Schleier nieder, der ueber seinen Hut gebreitet war, setzte sich in eine Ecke, die Stirne in die Hand gestuetzt, und in dieser Stellung eines tief Betruebten erwartete er die Raeuber. Die Reisenden hatten sich in das andere Zimmer zurueckgezogen, doch so, dass sie, was vorging, ueberschauen konnten; der Jaeger sass anscheinend traurig, aber auf alles lauernd in der anderen Ecke des Zimmers, das die Graefin bewohnt hatte. Nachdem sie einige Minuten so gesessen, ging die Tuere auf, und ein schoener, stattlich gekleideter Mann von etwa sechsunddreissig Jahren trat in das Zimmer. Er trug eine Art von militaerischer Uniform, einen Orden auf der Brust, einen langen Saebel an der Seite, und in der Hand hielt er einen Hut, von welchem schoene Federn herabwallten. Zwei seiner Leute hatten gleich nach seinem Eintritt die Tuere besetzt. Er ging mit einer tiefen Verbeugung auf Felix zu; er schien vor einer Dame dieses Ranges etwas in Verlegenheit zu sein, er setzte mehrere Male an, bis es ihm gelang, geordnet zu sprechen. "Gnaedige Frau", sagte er, "es gibt Faelle, in die man sich in Geduld schicken muss. Ein solcher ist der Ihrige. Glauben Sie nicht, dass ich den Respekt vor einer so ausgezeichneten Dame auch nur auf einen Augenblick aus den Augen setzen werde; Sie werden alle Bequemlichkeiten haben, Sie werden ueber nichts klagen koennen als vielleicht ueber den Schrecken, den Sie diesen Abend gehabt." Hier hielt er inne, als erwartete er eine Antwort; als aber Felix beharrlich schwieg, fuhr er fort: "Sehen Sie in mir keinen gemeinen Dieb, keinen Kehlenabschneider. Ich bin ein ungluecklicher Mann, den widrige Verhaeltnisse zu diesem Leben zwangen. Wir wollen uns auf immer aus dieser Gegend entfernen; aber wir brauchen Reisegeld. Es waere uns ein leichtes gewesen, Kaufleute oder Postwagen zu ueberfallen; aber dann haetten wir vielleicht mehrere Leute auf immer ins Unglueck gestuerzt. Der Herr Graf, Ihr Gemahl, hat vor sechs Wochen eine Erbschaft von fuenfmalhunderttausend Talern gemacht. Wir erbitten uns zwanzigtausend Gulden von diesem Ueberfluss, gewiss eine gerechte und bescheidene Forderung. Sie werden daher die Gnade haben, jetzt sogleich einen offenen Brief an Ihren Gemahl zu schreiben, worin Sie ihm melden, dass wir Sie zurueckgehalten, dass er die Zahlung so bald als moeglich leisten moege, widrigenfalls--Sie verstehen mich, wir muessten dann etwas haerter mit Ihnen selbst verfahren. Die Zahlung wird nicht angenommen, wenn sie nicht unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit von einem einzelnen Manne hierhergebracht wird." Diese Szene wurde mit der gespanntesten Aufmerksamkeit von allen Gaesten der Waldschenke, am aengstlichsten wohl von der Graefin beobachtet. Sie glaubte jeden Augenblick, der Juengling, der sich fuer sie geopfert, koennte sich verraten. Sie war fest entschlossen, ihn um einen grossen Preis loszukaufen; aber ebenso fest stand ihr Gedanke, um keinen Preis der Welt auch nur einen Schritt weit mit den Raeubern zu gehen. Sie hatte in der Rocktasche des Goldarbeiters ein Messer gefunden. Sie hielt es geoeffnet krampfhaft in der Hand, bereit, sich lieber zu toeten als eine solche Schmach zu erdulden. Jedoch nicht minder aengstlich war Felix selbst. Zwar staerkte und troestete ihn der Gedanke, dass es eine maennliche und wuerdige Tat sei, einer bedraengten, hilflosen Frau auf diese Weise beizustehen; aber er fuerchtete, sich durch jede Bewegung, durch seine Stimme zu verraten. Seine Angst steigerte sich, als der Raeuber von einem Briefe sprach, den er schreiben sollte. Wie sollte er schreiben? Welche Titel dem Grafen geben, welche Form dem Briefe, ohne sich zu verraten? Seine Angst stieg aber aufs hoechste, als der Anfuehrer der Raeuber Papier und Feder vor ihn hinlegte, ihn bat, den Schleier zurueckzuschlagen und zu schreiben. Felix wusste nicht, wie huebsch ihm die Tracht passte, in welche er gekleidet war; haette er es gewusst, er wuerde sich vor einer Entdeckung nicht im mindesten gefuerchtet haben. Denn als er endlich notgedrungen den Schleier zurueckschlug, schien der Herr in Uniform, betroffen von der Schoenheit der Dame und ihren etwas maennlichen, mutigen Zuegen, sie nur noch ehrfurchtsvoller zu betrachten. Dem klaren Blick des jungen Goldschmieds entging dies nicht; getrost, dass wenigstens in diesem gefaehrlichen Augenblick keine Entdeckung zu fuerchten sei, ergriff er die Feder und schrieb an seinen vermeintlichen Gemahl nach einer Form, wie er sie einst in einem alten Buche gelesen; er schrieb: "Mein Herr und Gemahl! Ich unglueckliche Frau bin auf meiner Reise mitten in der Nacht ploetzlich angehalten worden, und zwar von Leuten, welchen ich keine gute Absicht zutrauen kann. Sie werden mich solange zurueckhalten, bis Sie, Herr Graf, die Summe von 20 000 Gulden fuer mich niedergelegt haben. Die Bedingung ist dabei, dass Sie nicht im mindesten ueber die Sache sich bei der Obrigkeit beschweren noch ihre Hilfe nachsuchen, dass Sie das Geld durch einen einzelnen Mann in die Waldschenke im Spessart schicken; widrigenfalls ist mir mit laengerer und harter Gefangenschaft gedroht. Es fleht Sie um schleunige Hilfe an Ihre unglueckliche Gemahlin." Er reichte den merkwuerdigen Brief dem Anfuehrer der Raeuber, der ihn durchlas und billigte. "Es kommt nun ganz auf Ihre Bestimmung an", fuhr er fort, "ob Sie Ihre Kammerfrau oder Ihren Jaeger zur Begleitung waehlen werden. Die eine dieser Personen werde ich mit dem Briefe an Ihren Herrn Gemahl zurueckschicken." "Der Jaeger 'und dieser Herr hier werden mich begleiten", antwortete Felix. "Gut", entgegnete jener, indem er an die Tuere ging und die Kammerfrau herbeirief, "so unterrichten Sie diese Frau, was sie zu tun habe!" Die Kammerfrau erschien mit Zittern und Beben. Auch Felix erblasste, wenn er bedachte, wie leicht er sich auch jetzt wieder verraten koennte. Doch ein unbegreiflicher Mut, der ihn in jenen gefaehrlichen Augenblicken staerkte, gab ihm auch jetzt wieder seine Reden ein. "Ich habe dir nichts weiter aufzutragen", sprach er, "als dass du den Grafen bittest, mich sobald als moeglich aus dieser ungluecklichen Lage zu reissen." "Und", fuhr der Raeuber fort, "dass Sie dem Herrn Grafen aufs genaueste und ausdruecklichste empfehlen, dass er alles verschweige und nichts gegen uns unternehme, bis seine Gemahlin in seinen Haenden ist. Unsere Kundschafter wuerden uns bald genug davon unterrichten, und ich moechte dann fuer nichts stehen." Die zitternde Kammerfrau versprach alles. Es wurde ihr noch befohlen, einige Kleidungsstuecke und Linnenzeug fuer die Frau Graefin in ein Buendel zu packen, weil man sich nicht mit vielem Gepaecke beladen koenne, und als dies geschehen war, forderte der Anfuehrer der Raeuber die Dame mit einer Verbeugung auf, ihm zu folgen. Felix stand auf, der Jaeger und der Student folgten ihm, und alle drei stiegen, begleitet von dem Anfuehrer der Raeuber, die Treppe hinab. Vor der Waldschenke standen viele Pferde; eines wurde dem Jaeger angewiesen, ein anderes, ein schoenes kleines Tier, mit einem Damensattel versehen, stand fuer die Graefin bereit, ein drittes gab man dem Studenten. Der Hauptmann hob den jungen Goldschmied in den Sattel, schnallte ihn fest und bestieg dann selbst sein Ross. Er stellte sich zur Rechten der Dame auf, zur Linken hielt einer der Raeuber; auf gleiche Weise waren auch der Jaeger und der Student umgeben. Nachdem sich auch die uebrige Bande zu Pferde gesetzt hatte, gab der Anfuehrer mit einer helltoenenden Pfeife das Zeichen zum Aufbruch, und bald war die ganze Schar im Walde verschwunden. Die Gesellschaft, die im oberen Zimmer versammelt war, erholte sich nach diesem Auftritt allmaehlich von ihrem Schrecken. Sie waeren, wie es nach grossem Unglueck oder ploetzlicher Gefahr zu geschehen pflegt, vielleicht sogar heiter gewesen, haette sie nicht der Gedanke an ihre drei Gefaehrten beschaeftigt, die man vor ihren Augen hinweggefuehrt hatte. Sie brachen in Bewunderung des jungen Goldschmieds aus, und die Graefin vergoss Traenen der Ruehrung, wenn sie bedachte, dass sie einem Menschen so unendlich viel zu verdanken habe, dem sie nie zuvor Gutes getan, den sie nicht einmal kannte. Ein Trost war es fuer alle, dass der heldenmuetige Jaeger und der wackere Student ihn begleitet hatten, konnten sie ihn doch troesten, wenn sich der junge Mann ungluecklich fuehlte, ja, der Gedanke lag nicht gar zu ferne, dass der verschlagene Waidmann vielleicht Mittel zu ihrer Flucht finden koennte. Sie berieten sich noch miteinander, was zu tun sei. Die Graefin beschloss, da ja sie kein Schwur gegen den Raeuber binde, sogleich zu ihrem Gemahl zurueckzureisen und alles aufzubieten, den Aufenthalt der Gefangenen zu entdecken, sie zu befreien; der Fuhrmann versprach, nach Aschaffenburg zu reiten und die Gerichte zur Verfolgung der Raeuber anzurufen. Der Zirkelschmied aber wollte seine Reise fortsetzen. Die Reisenden wurden in der Nacht nicht mehr beunruhigt; Totenstille herrschte in der Waldschenke, die noch vor kurzem der Schauplatz so schrecklicher Szenen gewesen war. Als aber am Morgen die Bediensteten der Graefin zu der Wirtin hinabgingen, um alles zur Abfahrt fertig zu machen, kehrten sie schnell zurueck und berichteten, dass sie die Wirtin und ihr Gesinde in elendem Zustande gefunden haetten; sie laegen gebunden in der Schenke und flehten um Beistand. Die Reisenden sahen sich bei dieser Nachricht erstaunt an. "Wie?" rief der Zirkelschmied, "so sollten diese Leute dennoch unschuldig sein? So haetten wir ihnen unrecht getan, und sie staenden nicht im Einverstaendnis mit den Raeubern?" "Ich lasse mich aufhaengen statt ihrer", erwiderte der Fuhrmann, "wenn wir nicht dennoch recht hatten. Dies alles ist nur Betrug, um nicht ueberwiesen werden zu koennen. Erinnert ihr euch nicht der verdaechtigen Mienen dieser Wirtschaft? Erinnert ihr euch nicht, als ich hinabgehen wollte, wie mich der abgerichtete Hund nicht losliess, wie die Wirtin und der Hausknecht sogleich erschienen und muerrisch fragten, was ich denn noch zu tun haette? Doch sie sind unser, wenigstens der Frau Graefin Glueck. Haette es in der Schenke weniger verdaechtig ausgesehen, haette uns die Wirtin nicht so misstrauisch gemacht, wir waeren nicht zusammengestanden, waeren nicht wach geblieben. Die Raeuber haetten uns ueberfallen im Schlafe, haetten zum wenigsten unsere Tuere bewacht, und diese Verwechslung des braven jungen Burschen waere nimmer moeglich geworden." Sie stimmten mit der Meinung des Fuhrmanns alle ueberein und beschlossen, auch die Wirtin und ihr Gesinde bei der Obrigkeit anzugeben. Doch um sie desto sicherer zu machen, wollten sie sich jetzt nichts merken lassen. Die Bediensteten und der Fuhrmann gingen daher hinab in das Schenkzimmer, loesten die Bande der Diebeshehler auf und bezeugten sich so mitleidig und bedauernd als moeglich. Um ihre Gaeste noch mehr zu versoehnen, machte die Wirtin nur eine kleine Rechnung fuer jeden und lud sie ein, recht bald wiederzukommen. Der Fuhrmann zahlte seine Zeche, nahm von seinen Leidensgenossen Abschied und fuhr seine Strasse. Nach diesem machten sich die beiden Handwerksburschen auf den Weg. So leicht das Buendel des Goldschmieds war, so drueckte es doch die zarte Dame nicht wenig. Aber noch viel schwerer wurde ihr ums Herz, als unter der Haustuere die Wirtin ihre verbrecherische Hand hinstreckte, um Abschied zu nehmen. "Ei, was seid Ihr doch ein junges Blut", rief sie beim Abschied des zarten Jungen, "noch so jung und schon in die Welt hinaus! Ihr seid gewiss ein verdorbenes Kraeutlein, das der Meister aus der Werkstatt jagte. Nun, was geht es mich an, schenket mir die Ehre bei der Heimkehr, glueckliche Reise!" Die Graefin wagte vor Angst und Beben nicht zu antworten, sie fuerchtete, sich durch ihre zarte Stimme zu verraten. Der Zirkelschmied merkte es, nahm seinen Gefaehrten unter den Arm, sagte der Wirtin ade und stimmte ein lustiges Lied an, waehrend er dem Walde zuschnitt. "Jetzt erst bin ich in Sicherheit!" rief die Graefin, als sie etwa hundert Schritte entfernt waren. "Noch immer glaubte ich, die Frau werde mich erkennen und durch ihre Knechte festnehmen. Oh, wie will ich euch allen danken! Kommet auch Ihr auf mein Schloss, Ihr muesst doch Euern Reisegenossen bei mir wieder abholen." Der Zirkelschmied sagte zu, und waehrend sie noch sprachen, kam der Wagen der Graefin ihnen nachgefahren; schnell wurde die Tuere geoeffnet, die Dame schluepfte hinein, gruesste den jungen Handwerksburschen noch einmal, und der Wagen fuhr weiter. Um dieselbe Zeit hatten die Raeuber und ihre Gefangenen den Lagerplatz der Bande erreicht. Sie waren durch eine ungebahnte Waldstrasse im schnellsten Trab weggeritten; mit ihren Gefangenen wechselten sie kein Wort, auch unter sich fluesterten sie nur zuweilen, wenn die Richtung des Weges sich veraenderte. Vor einer tiefen Waldschlucht machte man endlich halt. Die Raeuber sassen ab, und ihr Anfuehrer hob den Goldarbeiter vom Pferd, indem er sich fuer den harten und eiligen Ritt entschuldigte und fragte, ob doch die gnaedige Frau nicht gar zu sehr angegriffen sei. Felix antwortete ihm so zierlich als moeglich, dass er sich nach Ruhe sehne, und der Hauptmann bot ihm den Arm, ihn in die Schlucht zu fuhren. Es ging einen steilen Abhang hinab; der Fusspfad, welcher hinunterfuehrte, war so schmal und abschuessig, dass der Anfuehrer oft seine Dame unterstuetzen musste, um sie vor der Gefahr, hinabzustuerzen, zu bewahren. Endlich langte man unten an. Felix sah vor sich beim matten Schein des anbrechenden Morgens ein enges, kleines Tal von hoechstens hundert Schritten im Umfang, das tief in einem Kessel hoch hinanstrebender Felsen lag. Etwa sechs bis acht kleine Huetten waren in dieser Schlucht aus Brettern und abgehauenen Baeumen aufgebaut. Einige schmutzige Weiber schauten neugierig aus diesen Hoehlen hervor, und ein Rudel von zwoelf grossen Hunden und ihren unzaehligen Jungen umsprang heulend und bellend die Ankommenden. Der Hauptmann fuehrte die vermeintliche Graefin in die beste dieser Huetten und sagte ihr, diese sei ausschliesslich zu ihrem Gebrauch bestimmt; auch erlaubte er auf Felix' Verlangen, dass der Jaeger und der Student zu ihm gelassen wurden. Die Huette war mit Rehfellen und Matten ausgelegt, die zugleich zum Fussboden und Sitze dienen mussten. Einige Kruege und Schuesseln, aus Holz geschnitzt, eine alte Jagdflinte und in der hintersten Ecke ein Lager, aus ein paar Brettern gezimmert und mit wollenen Decken bekleidet, welchem man den Namen eines Bettes nicht geben konnte, waren die einzigen Geraete dieses graeflichen Palastes. Jetzt erst, allein gelassen in dieser elenden Huette, hatten die drei Gefangenen Zeit, ueber ihre sonderbare Lage nachzudenken. Felix, der zwar seine edelmuetige Handlung keinen Augenblick bereute, aber doch fuer seine Zukunft im Falle einer Entdeckung bange war, wollte sich in lauten Klagen Luft machen; der Jaeger aber rueckte ihm schnell naeher und fluesterte ihm zu: "Sei um Gottes willen stille, lieber Junge; glaubst du denn nicht, dass man uns behorcht?" "Aus jedem Wort, aus dem Ton deiner Sprache koennten sie Verdacht schoepfen", setzte der Student hinzu. Dem armen Felix blieb nichts uebrig, als stille zu weinen. "Glaubt mir, Herr Jaeger", sagte er, "ich weine nicht aus Angst vor diesen Raeubern oder aus Furcht vor dieser elenden Huette; nein, es ist ein ganz anderer Kummer, der mich drueckt. Wie leicht kann die Graefin vergessen, was ich ihr schnell noch sagte, und dann haelt man mich fuer einen Dieb, und ich bin elend auf immer!" "Aber was ist es denn, was dich so aengstigt?" fragte der Jaeger, verwundert ueber das Benehmen des jungen Menschen, der sich bisher so mutig und stark betragen hatte. "Hoeret zu, und ihr werdet mir recht geben", antwortete Felix. "Mein Vater war ein geschickter Goldarbeiter in Nuernberg, und meine Mutter hatte frueher bei einer vornehmen Frau gedient als Kammerfrau, und als sie meinen Vater heiratete, wurde sie von der Graefin, welcher sie gedient hatte, trefflich ausgestattet. Diese blieb meinen Eltern immer gewogen, und als ich auf die Welt kam, wurde sie meine Pate und beschenkte mich reichlich. Aber als meine Eltern bald nacheinander an einer Seuche starben und ich ganz allein und verlassen in der Welt stand und ins Waisenhaus gebracht werden sollte, da vernahm die Frau Pate unser Unglueck, nahm sich meiner an und gab mich in ein Erziehungshaus; und als ich alt genug war, schrieb sie mir, ob ich nicht des Vaters Gewerbe lernen wollte. Ich war froh darueber und sagte zu, und so gab sie mich meinem Meister in Wuerzburg in die Lehre. Ich hatte Geschick zur Arbeit und brachte es bald so weit, dass mir der Lehrbrief ausgestellt wurde und ich auf die Wanderschaft mich ruesten konnte. Dies schrieb ich der Frau Pate, und flugs antwortete sie, dass sie das Geld zur Wanderschaft gebe. Dabei schickte sie prachtvolle Steine mit und verlangte, ich solle sie fassen zu einem schoenen Geschmeide, ich solle dann solches als Probe meiner Geschicklichkeit selbst ueberbringen und das Reisegeld in Empfang nehmen. Meine Frau Pate habe ich in meinem Leben nicht gesehen, und ihr koennet denken, wie ich mich auf sie freute. Tag und Nacht arbeitete ich an dem Schmuck, er wurde so schoen und zierlich, dass selbst der Meister darueber erstaunte. Als es fertig war, packte ich alles sorgfaeltig auf den Boden meines Raenzels, nahm Abschied vom Meister und wanderte meine Strasse nach dem Schlosse der Frau Pate. Da kamen", fuhr er in Traenen ausbrechend fort, "diese schaendlichen Menschen und zerstoerten all meine Hoffnung. Denn wenn Eure Frau Graefin den Schmuck verliert oder vergisst, was ich ihr sagte, und das schlechte Raenzchen wegwirft, wie soll ich dann vor meine gnaedige Frau Pate treten? Mit was soll ich mich ausweisen? Woher die Steine ersetzen? Und das Reisegeld ist dann auch verloren, und ich erscheine als ein undankbarer Mensch, der anvertrautes Gut so leichtfertig weggegeben. Und am Ende--wird man mir glauben, wenn ich den wunderbaren Vorfall erzaehle?" "Ueber das letztere seid getrost!" erwiderte der Jaeger. "Ich glaube nicht, dass bei der Graefin Euer Schmuck verlorengehen kann; und wenn auch, so wird sie sicherlich ihn ihrem Retter wieder erstatten und ein Zeugnis ueber diese Vorfaelle ausstellen. Wir verlassen Euch jetzt auf einige Stunden; denn wahrhaftig, wir brauchen Schlaf, und nach den Anstrengungen dieser Nacht werdet Ihr ihn auch noetig haben. Nachher lasst uns im Gespraech unser Unglueck auf Augenblicke vergessen oder, besser noch, auf unsere Flucht denken!" Sie gingen; Felix blieb allein zurueck und versuchte, dem Rat des Jaegers zu folgen. Als nach einigen Stunden der Jaeger mit dem Studenten zurueckkam, fand er seinen jungen Freund gestaerkter und munterer als zuvor. Er erzaehlte dem Goldschmied, dass ihm der Hauptmann alle Sorgfalt fuer die Dame empfohlen habe, und in wenigen Minuten werde eines der Weiber, die sie unter den Huetten gesehen hatten, der gnaedigen Graefin Kaffee bringen und ihre Dienste zur Aufwartung anbieten. Sie beschlossen, um ungestoert zu sein, diese Gefaelligkeit nicht anzunehmen, und als das alte, haessliche Zigeunerweib kam, das Fruehstueck versetzte und mit grinsender Freundlichkeit fragte, ob sie nicht sonst noch zu Diensten sein koennte, winkte ihr Felix zu gehen, und als sie noch zauderte, scheuchte sie der Jaeger aus der Huette. Der Student erzaehlte dann weiter, was sie sonst noch von dem Lager der Raeuber gesehen. "Die Huette, die Ihr bewohnt, schoenste Frau Graefin", sprach er, "scheint urspruenglich fuer den Hauptmann bestimmt. Sie ist nicht so geraeumig, aber schoener als die uebrigen. Ausser dieser sind noch sechs andere da, in welchen die Weiber und Kinder wohnen; denn von den Raeubern sind selten mehr als sechs zu Hause. Einer steht nicht weit von dieser Huette Wache, der andere unten am Weg in der Hoehe, und ein dritter hat den Lauerposten oben am Eingang in die Schlucht. Von zwei zu zwei Stunden werden sie von den drei uebrigen abgeloest. Jeder hat ueberdies zwei grosse Hunde neben sich liegen, und sie alle sind so wachsam, dass man keinen Fuss aus der Huette setzen kann, ohne dass sie anschlagen. Ich habe keine Hoffnung, dass wir uns durchstehlen koennen." "Machet mich nicht traurig, ich bin nach dem Schlummer mutiger geworden", entgegnete Felix, "gebet nicht alle Hoffnung auf, und fuerchtet Ihr Verrat, so lasset uns lieber jetzt von etwas anderem reden und nicht lange voraus schon kummervoll sein! Herr Student, in der Schenke habt Ihr angefangen, etwas zu erzaehlen, fahret jetzt fort; denn wir haben Zeit zum Plaudern." "Kann ich mich doch kaum erinnern, was es war", antwortete der junge Mann. "Ihr erzaehltet die Sage von dem kalten Herz und seid stehengeblieben, wie der Wirt und der andere Spieler den Kohlenpeter aus der Tuere werfen." "Gut, jetzt entsinne ich mich wieder", entgegnete er, "nun, wenn ihr weiter hoeren wollet, will ich fortfahren": Das kalte Herz II Es mochten etwa schon fuenf Tage vergangen sein, waehrend Felix, der Jaeger und der Student noch immer unter den Raeubern gefangen sassen. Sie wurden zwar von dem Hauptmann und seinen Untergebenen gut behandelt, aber dennoch sehnten sie sich nach Befreiung, denn je mehr die Zeit fortrueckte, desto hoeher stieg auch ihre Angst vor Entdeckung. Am Abend des fuenften Tages erklaerte der Jaeger seinen Leidensgenossen, dass er entschlossen sei, in dieser Nacht loszubrechen, und wenn es ihn auch das Leben kosten sollte. Er munterte seine Gefaehrten zum gleichen Entschluss auf und zeigte ihnen, wie sie ihre Flucht ins Werk setzen koennten. "Den, der uns zunaechst steht, nehme ich auf mich; es ist Notwehr, und Not kennt kein Gebot, er muss sterben." "Sterben!" rief Felix entsetzt. "Ihr wollt ihn totschlagen?" "Das bin ich fest entschlossen, wenn es darauf ankommt, zwei Menschenleben zu retten. Wisset, dass ich die Raeuber mit besorglicher Miene habe fluestern hoeren, im Wald werde nach ihnen gestreift, und die alten Weiber verrieten in ihrem Zorn die boese Absicht der Bande; sie schimpften auf uns und gaben zu verstehen, wenn die Raeuber angegriffen wuerden, so muessten wir ohne Gnade sterben." "Gott im Himmel!" schrie der Juengling entsetzt und verbarg sein Gesicht in die Haende. "Noch haben sie uns das Messer nicht an die Kehle gesetzt", fuhr der Jaeger fort, "drum lasst uns ihnen zuvorkommen! Wenn es dunkel ist, schleiche ich auf die naechste Wache zu; sie wird anrufen; ich werde ihm zufluestern, die Graefin sei ploetzlich sehr krank geworden, und indem er sich umsieht, stosse ich ihn nieder. Dann hole ich Euch ab, junger Mann, und der zweite kann uns ebensowenig entgehen; und beim dritten haben wir zu zweit leichtes Spiel." Der Jaeger sah bei diesen Worten so schrecklich aus, dass Felix sich vor ihm fuerchtete. Er wollte ihn bereden, von diesem blutigen Gedanken abzustehen, als die Tuere leise aufging und schnell eine Gestalt hereinschluepfte. Es war der Hauptmann. Behutsam schloss er wieder zu und winkte den beiden Gefangenen, sich ruhig zu verhalten. Er setzte sich neben Felix nieder und sprach: "Frau Graefin, Ihr seid in schlimmer Lage. Euer Herr Gemahl hat nicht Wort gehalten, er hat nicht nur das Loesegeld nicht geschickt, sondern er hat auch die Regierungen umher aufgeboten; bewaffnete Mannschaft streift von allen Seiten durch den Wald, um mich und meine Leute auszuheben. Ich habe Eurem Gemahl gedroht, Euch zu toeten, wenn er Miene macht, uns anzugreifen; doch es muss ihm entweder an Eurem Leben wenig liegen, oder er traut unseren Schwueren nicht. Euer Leben ist in unserer Hand, ist nach unseren Gesetzen verwirkt. Was wollet Ihr dagegen einwenden?" Bestuerzt sahen die Gefangenen vor sich nieder, sie wussten nicht zu antworten, denn Felix erkannte wohl, dass ihn das Gestaendnis ueber seine Verkleidung nur noch mehr in Gefahr setzen koennte. Es ist mir unmoeglich", fuhr der Hauptmann fort, "eine Dame, die meine vollkommene Achtung hat, also in Gefahr zu sehen. Darum will ich Euch einen Vorschlag zur Rettung machen, es ist der einzige Ausweg, der Euch uebrig bleibt: Ich will mit Euch entfliehen." "Erstaunt, ueberrascht blickten ihn beide an; er aber sprach weiter: "Die Mehrzahl meiner Gesellen ist entschlossen, nach Italien zu ziehen und unter einer weitverbreiteten Bande Dienste zu nehmen. Mir fuer meinen Teil behagt es nicht, unter einem anderen zu dienen, und darum werde ich keine gemeinschaftliche Sache mit ihnen machen. Wenn Ihr mir nun Euer Wort geben wolltet, Frau Graefin, fuer mich gutzusprechen, Eure maechtigen Verbindungen zu meinem Schutze anzuwenden, so kann ich Euch noch freimachen, ehe es zu spaet ist." Felix schwieg verlegen; sein redliches Herz straeubte sich, den Mann, der ihm das Leben retten wollte, geflissentlich einer Gefahr auszusetzen, vor welcher er ihn nachher nicht schuetzen koennte. Als er noch immer schwieg, fahr der Hauptmann fort: "Man sucht gegenwaertig ueberall Soldaten; ich will mit dem geringsten Dienst zufrieden sein. Ich weiss, dass Ihr viel vermoeget; aber ich will ja nichts weiter als Euer Versprechen, etwas fuer mich in dieser Sache zu tun." "Nun denn", antwortete Felix mit niedergeschlagenen Augen, "ich verspreche Euch, was ich tun kann, was in meinen Kraeften steht, anzuwenden, um Euch nuetzlich zu sein. Liegt doch, wie es Euch ergehe, ein Trost fuer mich darin, dass Ihr diesem Raeuberleben Euch selbst freiwillig entzogen habt." Geruehrt kuesste der Hauptmann die Hand dieser guetigen Dame, fluesterte ihr noch zu, sich zwei Stunden nach Anbruch der Nacht bereitzuhalten, und verliess dann ebenso vorsichtig, wie er gekommen war, die Huette. Die Gefangenen atmeten freier, als er hinweggegangen war. "Wahrlich!" rief der Jaeger, "dem hat Gott das Herz gelenkt! Wie wunderbar sollen wir errettet werden! Haette ich mir traeumen lassen, dass in der Welt noch etwas dergleichen geschehen koennte und dass mir ein solches Abenteuer begegnen sollte?" "Wunderbar, allerdings!" erwiderte Felix. "Aber habe ich auch recht getan, diesen Mann zu betruegen? Was kann ihm mein Schutz frommen? Saget selbst, Jaeger, heisst es ihn nicht an den Galgen locken, wenn ich ihm nicht gestehe, wer ich bin?" "Ei, wie moegt Ihr solche Skrupel haben, lieber Junge!" entgegnete der Student. "Nachdem Ihr Eure Rolle so meisterhaft gespielt! Nein, darueber duerft Ihr Euch nicht aengstigen, das ist nichts anderes als erlaubte Notwehr. Hat er doch den Frevel begangen, eine angesehene Frau schaendlicherweise von der Strasse hinwegfuehren zu wollen, und waeret Ihr nicht gewesen, wer weiss, wie es um das Leben der Graefin staende? Nein, Ihr habt nicht unrecht getan; uebrigens glaube ich, er wird bei den Gerichten sich einen Stein im Brett gewinnen, wenn er, das Haupt dieses Gesindels, sich selbst ausliefert." Dieser letztere Gedanke troestete den jungen Goldschmied. Freudig bewegt und doch wieder voll banger Besorgnis ueber das Gelingen des Planes durchlebten sie die naechsten Stunden. Es war schon dunkel, als der Hauptmann auf einen Augenblick in die Huette trat, ein Buendel Kleider niederlegte und sprach: "Frau Graefin, um unsere Flucht zu erleichtern, muesst Ihr notwendig diese Maennerkleidung anlegen. Machet Euch fertig! In einer Stunde treten wir den Marsch an." Nach diesen Worten verliess er die Gefangenen, und der Jaeger hatte Muehe, nicht laut zu lachen. "Das waere nun die zweite Verkleidung"> rief er, "und ich wollte schwoeren, diese steht Euch noch besser als die erste!" Sie oeffneten das Buendel und fanden ein huebsches Jagdkleid mit allem Zubehoer, das Felix trefflich passte. Nachdem er sich geruestet, wollte der Jaeger die Kleider der Graefin in einen Winkel der Huette werfen, Felix gab es aber nicht zu; er legte sie zu einem kleinen Buendel zusammen und aeusserte, er wolle die Graefin bitten, sie ihm zu schenken, und sie dann sein ganzes Leben hindurch zum Andenken an diese merkwuerdigen Tage aufbewahren. Endlich kam der Hauptmann. Er war vollstaendig bewaffnet und brachte dem Jaeger die Buechse, die man ihm abgenommen, und ein Pulverhorn. Auch dem Studenten gab er eine Flinte, und Felix reichte er einen Hirschfaenger, mit der Bitte, ihn auf den Fall der Not umzuhaengen. Es war ein Glueck fuer die drei, dass es sehr dunkel war; denn leicht haetten die leuchtenden Blicke, womit Felix diese Waffe empfing, dem Raeuber seinen wahren Stand verraten koennen. Als sie behutsam aus der Huette getreten waren, bemerkte der Jaeger, dass der gewoehnliche Posten an der Huette diesmal nicht besetzt sei. So war es moeglich, dass sie unbemerkt an den Huetten vorbeischleichen konnten; doch schlug der Hauptmann nicht den gewoehnlichen Pfad ein, der aus der Schlucht in den Wald hinausfuehrte, sondern er naeherte sich einem Felsen, der ganz senkrecht und, wie es schien, unzugaenglich vor ihnen lag. Als sie dort angekommen waren, machte der Hauptmann auf eine Strickleiter aufmerksam, die an dem Felsen herabgespannt war. Er warf seine Buechse auf den Ruecken und stieg zuerst hinan; dann rief er der Graefin zu, ihm zu folgen, und bot ihr die Hand zur Hilfe, der Jaeger stieg zuletzt herauf. Hinter diesem Felsen zeigte sich ein Fusspfad, den sie einschlugen und rasch vorwaerts gingen. "Dieser Fusspfad", sprach der Hauptmann, "fuehrt nach der Aschaffenburger Strasse. Dorthin wollen wir uns begeben; denn ich habe genau erfahren, dass Ihr Gemahl, der Graf, sich gegenwaertig dort aufhaelt." Schweigend zogen sie weiter, der Raeuber immer voran, die drei anderen dicht hinter ihm. Nach drei Stunden hielten sie an; der Hauptmann lud Felix ein, sich auf einen Baumstamm zu setzen, um auszuruhen. Er zog Brot, eine Feldflasche mit altem Wein hervor und bot es den Ermuedeten an. "Ich glaube, wir werden, ehe eine Stunde vergeht, auf den Kordon stossen, den das Militaer durch den Wald gezogen hat. In diesem Fall bitte ich Sie, mit dem Anfuehrer der Soldaten zu sprechen und gute Behandlung fuer mich zu verlangen." Felix sagte auch dies zu, obwohl er sich von seiner Verwendung geringen Erfolg versprach. Sie ruhten noch eine halbe Stunde und brachen dann auf. Sie mochten etwa wieder eine Stunde gegangen sein und naeherten sich schon der Landstrasse; der Tag fing an heraufzukommen, und die Daemmerung verbreitete sich schon im Wald, als ihre Schritte ploetzlich durch ein lautes: "Halt! Steht!" gefesselt wurden. Sie hielten, und fuenf Soldaten rueckten gegen sie vor und bedeuteten ihnen, sie muessten folgen und vor dem kommandierenden Major sich ueber ihre Reise ausweisen. Als sie noch etwa fuenfzig Schritte gegangen waren, sahen sie links und rechts im Gebuesch Gewehre blitzen, eine grosse Schar schien den Wald besetzt zu haben. Der Major sass mit mehreren Offizieren und anderen Maennern unter einer Eiche. Als die Gefangenen vor ihn gebracht wurden und er eben anfangen wollte, sie zu examinieren ueber das "Woher" und "Wohin", sprang einer der Maenner auf und rief: "Mein Gott, was sehe ich? Das ist ja Gottfried, unser Jaeger!" "Jawohl, Herr Amtmann!" antwortete der Jaeger mit freudiger Stimme, "da bin ich, und wunderbar gerettet aus der Hand des schlechten Gesindels." Die Offiziere erstaunten, ihn hier zu sehen; der Jaeger aber bat den Major und den Amtmann, mit ihm auf die Seite zu treten, und erzaehlte in kurzen Worten, wie sie errettet worden und wer der dritte sei, welcher ihn und den jungen Goldschmied begleitete. Erfreut ueber diese Nachricht, traf der Major sogleich seine Massregeln, den wichtigen Gefangenen weiter transportieren zu lassen; den jungen Goldschmied aber fuehrte er zu seinen Kameraden, stellte ihn als den heldenmuetigen Juengling vor, der die Graefin durch seinen Mut und seine Geistesgegenwart gerettet habe, und alle schuettelten Felix freudig die Hand, lobten ihn und konnten nicht satt werden, sich von ihm und dem Jaeger ihre Schicksale erzaehlen zu lassen. Indessen war es voellig Tag geworden. Der Major beschloss, die Befreiten selbst bis in die Stadt zu begleiten; er ging mit ihnen und dem Amtmann der Graefin in das naechste Dorf, wo sein Wagen stand, und dort musste sich Felix zu ihm in den Wagen setzen; der Jaeger, der Student, der Amtmann und viele andere Leute ritten vor und hinter ihnen, und so zogen sie im Triumph der Stadt zu. Wie ein Lauffeuer hatte sich das Geruecht von dem Ueberfall in der Waldschenke, von der Aufopferung des jungen Goldarbeiters in der Gegend verbreitet, und ebenso reissend ging jetzt die Sage von seiner Befreiung von Mund zu Mund. Es war daher nicht zu verwundern, dass in der Stadt, wohin sie zogen, die Strassen gedraengt voll Menschen standen, die den jungen Helden sehen wollten. Alles draengte sich zu, als der Wagen langsam hereinfuhr. "Das ist er", riefen sie, "seht ihr ihn dort im Wagen neben dem Offizier! Es lebe der brave Goldschmiedsjunge!" Und ein tausendstimmiges "Hoch!" fuellte die Luefte. Felix war beschaemt, geruehrt von der rauschenden Freude der Menge. Aber noch ein ruehrenderer Anblick stand ihm auf dem Rathause der Stadt bevor. Ein Mann von mittleren Jahren, in reichen Kleidern, empfing ihn an der Treppe und umarmte ihn mit Traenen in den Augen. "Wie kann ich dir vergelten, mein Sohn!" rief er. "Du hast mir viel gegeben, als ich nahe daran war, unendlich viel zu verlieren! Du hast mir die Gattin, meinen Kindern die Mutter gerettet; denn ihr zartes Leben haette die Schrecken einer solchen Gefangenschaft nicht ertragen." Es war der Gemahl der Graefin, der diese Worte sprach. So sehr sich Felix straeuben mochte, einen Lohn fuer seine Aufopferung zu bestimmen, so unerbittlich schien der Graf darauf bestehen zu wollen. Da fiel dem Juengling das unglueckliche Schicksal des Raeuberhauptmanns ein; er erzaehlte, wie er ihn gerettet, wie diese Rettung eigentlich der Graefin gegolten habe. Der Graf, geruehrt nicht sowohl von der Handlung des Hauptmanns als von dem neuen Beweis einer edlen Uneigennuetzigkeit, den Felix durch die Wahl seiner Bitte ablegte, versprach, das Seinige zu tun, um den Raeuber zu retten. Noch an demselben Tag aber fuehrte der Graf, begleitet von dem wackeren Jaeger, den jungen Goldschmied nach seinem Schlosse, wo die Graefin, noch immer besorgt um das Schicksal des jungen Mannes, der sich fuer sie geopfert, sehnsuchtsvoll auf Nachrichten wartete. Wer beschreibt ihre Freude, als ihr Gemahl, den Retter an der Hand, in ihr Zimmer trat? Sie fand kein Ende, ihn zu befragen, ihm zu danken; sie liess ihre Kinder herbeibringen und zeigte ihnen den hochherzigen Juengling, dem ihre Mutter so unendlich viel verdanke, und die Kleinen fassten seine Haende, und der zarte Sinn ihres kindlichen Dankes, ihre Versicherungen, dass er ihnen nach Vater und Mutter auf der ganzen Erde das Liebste sei, waren ihm die schoenste Entschaedigung fuer manchen Kummer, fuer die schlaflosen Naechte in der Huette der Raeuber. Als die ersten Momente des frohen Wiedersehens vorueber waren, winkte die Graefin einem Diener, welcher bald darauf jene Kleider und das wohlbekannte Raenzchen herbeibrachte, welche Felix der Graefin in der Waldschenke ueberlassen hatte. "Hier ist alles", sprach sie mit guetigem Laecheln, "was Ihr mir in jenen furchtbaren Augenblicken gegeben; es ist der Zauber, womit Ihr mich umhuellt habt, um meine Verfolger mit Blindheit zu schlagen. Es steht Euch wieder zu Diensten; doch will ich Euch den Vorschlag machen, diese Kleider, die ich zum Andenken an Euch aufbewahren moechte, mir zu ueberlassen und zum Tausch dafuer die Summe anzunehmen, welche die Raeuber zum Loesegeld fuer mich bestimmten." Felix erschrak ueber die Groesse dieses Geschenkes; sein edler Sinn straeubte sich, einen Lohn fuer das anzunehmen, was er aus freiem Willen getan. "Gnaedige Frau", sprach er bewegt, "ich kann dies nicht gelten lassen. Die Kleider sollen Euer sein, wie Ihr es befehlet; jedoch die Summe, von der Ihr sprechet, kann ich nicht annehmen. Doch, weil ich weiss, dass Ihr mich durch irgend etwas belohnen wollet, so erhaltet mir Eure Gnade statt anderen Lohnes, und sollte ich in den Fall kommen, Eurer Hilfe zu beduerfen, so koennt Ihr darauf rechnen, dass ich Euch darum bitten werde." Noch lange drang man in den jungen Mann; aber nichts konnte seinen Sinn aendern. Die Graefin und ihr Gemahl gaben endlich nach, und schon wollte der Diener die Kleider und das Raenzchen wieder wegtragen, als Felix sich an das Geschmeide erinnerte, das er im Gefuehl so vieler freudiger Szenen ganz vergessen hatte. "Halt!" rief er. "Nur etwas muesst Ihr mir noch aus meinem Raenzchen zu nehmen erlauben, gnaedige Frau; das uebrige ist dann ganz und voellig Euer." "Schaltet nach Belieben", sprach sie, "obgleich ich gerne alles zu Eurem Gedaechtnis behalten haette, so nehmet nur, was Ihr etwa davon nicht entbehren wollet! Doch, wenn man fragen darf, was liegt Euch denn so sehr am Herzen, dass Ihr es mir nicht ueberlassen moeget?" Der Juengling hatte waehrend dieser Worte sein Raenzchen geoeffnet und ein Kaestchen von rotem Saffian herausgenommen. "Was mein ist, koennet Ihr alles haben", erwiderte er laechelnd, "doch dies gehoert meiner lieben Frau Pate; ich habe es selbst gefertigt und muss es ihr bringen. Es ist ein Schmuck, gnaedige Frau", fuhr er fort, indem er das Kaestchen oeffnete und ihr hinbot, "ein Schmuck, an welchem ich mich selbst versucht habe." Sie nahm das Kaestchen; aber nachdem sie kaum einen Blick darauf geworfen, fuhr sie betroffen zurueck. "Wie? Diese Steine!" rief sie. "Und fuer Eure Pate sind sie bestimmt, sagtet Ihr?" "Jawohl", antwortete Felix, "meine Frau Pate hat mir die Steine geschickt; ich habe sie gefasst und bin auf dem Wege, sie selbst zu ueberbringen." Geruehrt sah ihn die Graefin an; Traenen drangen aus ihren Augen. "So bist du Felix Perner aus Nuernberg?" rief sie. "Jawohl! Aber woher wisst Ihr so schnell meinen Namen?" fragte der Juengling und sah sie bestuerzt an. "Oh, wundervolle Fuegung des Himmels!" sprach sie geruehrt zu ihrem staunenden Gemahl. "Das ist ja Felix, unser Patchen, der Sohn unserer Kammerfrau Sabine! Felix! Ich bin es ja, zu der du kommen wolltest; so hast du deine Pate gerettet, ohne es zu wissen." "Wie? Seid denn Ihr die Graefin Sandau, die so viel an mir und meiner Mutter getan? Und dies ist das Schloss Mayenburg, wohin ich wandern wollte? Wie danke ich dem guetigen Geschick, das mich so wunderbar mit Euch zusammentreffen liess; so habe ich Euch doch durch die Tat, wenn auch in geringem Masse, meine grosse Dankbarkeit bezeugen koennen!" "Du hast mehr an mir getan", erwiderte sie, "als ich je an dir haette tun koennen; doch so lange ich lebe, will ich dir zu zeigen suchen, wie unendlich viel wir alle dir schuldig sind. Mein Gatte soll dein Vater, meine Kinder deine Geschwister und ich selbst will deine treue Mutter sein, und dieser Schmuck, der dich zu mir fuehrte in der Stunde der hoechsten Not, soll meine beste Zierde werden; denn er wird mich immer an dich und deinen Edelmut erinnern." So sprach die Graefin und hielt Wort. Sie unterstuetzte den gluecklichen Felix auf seinen Wanderungen reichlich. Als er zurueckkam als ein geschickter Arbeiter in seiner Kunst, kaufte sie ihm in Nuernberg ein Haus, richtete es vollstaendig ein, und ein nicht geringer Schmuck in seinem besten Zimmer waren schoen gemalte Bilder, welche die Szenen in der Waldschenke und Felix' Leben unter den Raeubern vorstellten. Dort lebte Felix als ein geschickter Goldarbeiter; der Ruhm seiner Kunst verband sich mit der wunderbaren Sage von seinem Heldenmut und verschaffte ihm Kunden im ganzen Reiche. Viele Fremde, wenn sie durch die schoene Stadt Nuernberg kamen, liessen sich in die Werkstatt des beruehmten Meisters Felix fuehren, um ihn zu sehen, zu bewundern, wohl auch ein schoenes Geschmeide bei ihm zu bestellen. Die angenehmsten Besuche waren ihm aber der Jaeger, der Zirkelschmied, der Student und der Fuhrmann. So oft der letztere von Wuerzburg nach Fuerth fuhr, sprach er bei Felix ein; der Jaeger brachte ihm beinahe alle Jahre Geschenke von der Graefin, der Zirkelschmied aber liess sich, nachdem er in allen Laendern umhergewandert war, bei Meister Felix nieder. Eines Tages besuchte sie auch der Student. Er war indessen ein bedeutender Mann im Staat geworden, schaemte sich aber nicht, bei Meister Felix und dem Zirkelschmied ein Abendessen zu verzehren. Sie erinnerten sich an alle Szenen der Waldschenke; und der ehemalige Student erzaehlte, er habe den Raeuberhauptmann in Italien wiedergesehen; er habe sich gaenzlich gebessert und diene als braver Soldat dem Koenig von Neapel. Felix freute sich, als er dies hoerte. Ohne diesen Mann waere er zwar vielleicht nicht in jene gefaehrliche Lage gekommen, aber ohne ihn haette er sich auch nicht aus Raeuberhand befreien koennen. Und so geschah es, dass der wackere Meister Goldschmied nur friedliche und freundliche Erinnerungen hatte, wenn er zurueckdachte an _das Wirtshaus im Spessart_. Die Sage vom Hirschgulden Wilhelm Hauff In Oberschwaben stehen noch heutzutage die Mauern einer Burg, die einst die stattlichste der Gegend war, Hohenzollern. Sie erhebt sich auf einem runden, steilen Berg, und von ihrer schroffen Hoehe sieht man weit und frei ins Land. So weit und noch viel weiter, als man diese Burg im Land umher sehen kann, ward das tapfere Geschlecht der Zollern gefuerchtet, und ihren Namen kannte und ehrte man in allen deutschen Landen. Nun lebte vor vielen hundert Jahren, ich glaube, das Schiesspulver war noch nicht einmal erfunden, auf dieser Feste ein Zollern, der von Natur ein sonderbarer Mensch war. Man konnte nicht sagen, dass er seine Untertanen hart gedrueckt oder mit seinen Nachbarn in Fehde gelebt haette, aber dennoch traute ihm niemand ueber den Weg ob seinem finsteren Auge, seiner krausen Stirne und seinem einsilbigen, muerrischen Wesen. Es gab wenige Leute ausser dem Schlossgesinde, die ihn je hatten ordentlich sprechen hoeren wie andere Menschen, denn wenn er durch das Tal ritt, einer ihm begegnete und schnell die Muetze abnahm, sich hinstellte und sagte: "Guten Abend, Herr Graf, heute ist es schoen Wetter", so antwortete er "dummes Zeug", oder "weiss schon". Hatte aber einer etwas nicht recht gemacht fuer ihn oder seine Rosse, begegnete ihm ein Bauer im Hohlweg mit dem Karren, dass er auf seinem Rappen nicht schnell genug vorueberkommen konnte, so entlud sich sein Ingrimm in einem Donner von Fluechen; doch hat man nie gehoert, dass er bei solchen Gelegenheiten einen Bauern geschlagen haette. In der Gegend aber hiess man ihn "das boese Wetter von Zollern". "Das boese Wetter von Zollern" hatte eine Frau, die der Widerpart von ihm und so mild und freundlich war wie ein Maitag. Oft hatte sie Leute, die ihr Eheherr durch harte Reden beleidigt hatte, durch freundliche Worte und ihre guetigen Blicke wieder mit ihm ausgesoehnt; den Armen aber tat sie Gutes, wo sie konnte, und liess es sich nicht verdriessen, sogar im heissen Sommer oder im schrecklichsten Schneegestoeber den steilen Berg herabzugehen, um arme Leute oder kranke Kinder zu besuchen. Begegnete ihr auf solchen Wegen der Graf, so sagte er muerrisch: "Weiss schon, dummes Zeug". Manch andere Frau haette dieses muerrische Wesen abgeschreckt oder eingeschuechtert; die eine haette gedacht, was gehen mich die armen Leute an, wenn mein Herr sie fuer dummes Zeug haelt; die andere haette vielleicht aus Stolz oder Unmut die Liebe gegen einen so muerrischen Gemahl erkalten lassen; doch nicht also Frau Hedwig von Zollern. Die liebte ihn nach wie vor, suchte mit ihrer schoenen weissen Hand die Falten von seiner braunen Stirn zu streichen und liebte und ehrte ihn; als aber nach Jahr und Tag der Himmel ein junges Graeflein zum Angebinde bescherte, liebte sie ihren Gatten nicht minder, indem sie ihrem Soehnlein dennoch alle Pflichten einer zaertlichen Mutter erzeigte. Drei Jahre lang vergingen, und der Graf von Zollern sah seinen Sohn nur alle Sonntage nach Tische, wo er ihm von der Amme dargereicht wurde. Er blickte ihn dann unverwandt an, brummte etwas in den Bart und gab ihn der Amme zurueck. Als jedoch der Kleine "Vater" sagen konnte, schenkte der Graf der Amme einen Gulden--dem Kinde machte er kein froehlicher Gesicht. An seinem dritten Geburtstag aber liess der Graf seinem Sohn die ersten Hoeslein anziehen und kleidete ihn praechtig in Samt und Seide; dann befahl er, seinen Rappen und ein anderes schoenes Pferd vorzufahren, nahm den Kleinen auf den Arm und fing an, mit klirrenden Sporen die Wendeltreppe hinabzusteigen. Frau Hedwig erstaunte, als sie dies sah. Sie war sonst gewohnt, nicht zu fragen, wo aus und wann heim, wenn er ausritt; aber diesmal oeffnete die Sorge um ihr Kind ihre Lippen. "Wollet Ihr ausreiten, Herr Graf?" sprach sie.--Er gab keine Antwort. "Wozu denn den Kleinen?" fragte sie weiter. "Kuno wird mit mir spazierengehen." "Weiss schon", entgegnete das boese Wetter von Zollern und ging weiter; und als er im Hof stand, nahm er den Knaben bei einem Fuesslein, hob ihn schnell in den Sattel, band ihn mit einem Tuch fest, schwang sich selbst auf den Rappen und trabte zum Burgtore hinaus, indem er den Zuegel vom Rosse seines Soehnleins in die Hand nahm. Dem Kleinen schien es anfangs grosses Vergnuegen zu gewaehren, mit dem Vater den Berg hinabzureiten. Er klopfte in die Haende, er lachte und schuettelte sein Roesslein an den Maehnen, damit es schneller laufen sollte, und der Graf hatte seine Freude daran, rief auch einigemal: "Kannst ein wackerer Bursche werden!" Als sie aber in die Ebene angekommen waren und der Graf statt Schritt Trab anschlug, da vergingen dem Kleinen die Sinne; er bat anfangs ganz bescheiden, sein Vater moechte langsamer reiten, als es aber immer schneller ging und der heftige Wind dem armen Kuno beinahe den Atem nahm, da fing er an, still zu weinen, wurde immer ungeduldiger und schrie am Ende aus Leibeskraeften. "Weiss schon, dummes Zeug!" fing jetzt sein Vater an. "Heult der Junge beim ersten Ritt; schweig oder--" Doch den Augenblick, als er mit einem Fluche sein Soehnlein aufmuntern wollte, baeumte sich sein Ross; der Zuegel des andern entfiel seiner Hand, er arbeitete sich ab, Meister seines Tieres zu werden, und als er es zur Ruhe gebracht hatte und sich aengstlich nach seinem Kind umsah, erblickte er dessen Pferd, wie es ledig und ohne den kleinen Reiter der Burg zulief. So ein harter, finsterer Mann der Graf von Zollern sonst war, so ueberwand doch dieser Anblick sein Herz; er glaubte nicht anders, als sein Kind liege zerschmettert am Weg; er raufte sich den Bart und jammerte. Aber nirgends, so weit er zurueckritt, sah er eine Spur von dem Knaben; schon stellte er sich vor, das scheu gewordene Ross habe ihn in einen Wassergraben geschleudert, der neben dem Wege lag. Da hoerte er von einer Kinderstimme hinter sich seinen Namen rufen, und als er sich flugs umwandte--sieh, da sass ein altes Weib unweit der Strasse unter einem Baum und wiegte den Kleinen auf ihren Knien. "Wie kommst du zu dem Knaben, alte Hexe?" schrie der Graf in grossem Zorn, "sogleich bringe ihn heran zu mir!" "Nicht so rasch, nicht so rasch, Euer Gnaden!" lachte die alte, haessliche Frau. "Koenntet sonst auch ein Unglueck nehmen auf Eurem stolzen Ross! Wie ich zu dem Junkerlein kam, fraget Ihr? Nun, sein Pferd ging durch, und er hing nur noch mit einem Fuesschen angebunden, und das Haar streifte fast am Boden; da habe ich ihn aufgefangen in meiner Schuerze." "Weiss schon!" rief der Herr von Zollern unmutig, "gib ihn jetzt her; ich kann nicht wohl absteigen; das Ross ist wild und koennte ihn schlagen." "Schenket mir einen Hirschgulden!" erwiderte die Frau, demuetig bittend. "Dummes Zeug!" schrie der Graf und warf ihr einige Pfennige unter den Baum. "Nein, einen Hirschgulden koennte ich gut brauchen", fuhr sie fort. "Was, Hirschgulden! Bist selbst keinen Hirschgulden wert", eiferte der Graf. "Schnell das Kind her, oder ich hetze die Hunde auf dich!" "So? Bin ich keinen Hirschgulden wert", antwortete jene mit hoehnischem Laecheln, "na, man wird ja sehen, was von Eurem Erbe einen Hirschgulden wert ist; aber da, die Pfennige behaltet fuer Euch!" Indem sie dies sagte, warf sie die drei kleinen Kupferstuecke dem Grafen zu, und so gut konnte die Alte werfen, dass alle drei ganz gerade in den kleinen Lederbeutel fielen, den der Graf noch in der Hand hielt. Der Graf wusste einige Minuten vor Staunen ueber diese wunderbare Geschicklichkeit kein Wort hervorzubringen; endlich aber loeste sich sein Staunen in Wut auf. Er fasste seine Buechse, spannte den Hahn und zielte dann auf die Alte. Diese herzte und kuesste ganz ruhig den kleinen Grafen, indem sie ihn so vor sich hin hielt, dass ihn die Kugel zuerst haette treffen muessen. "Bist ein guter, frommer Junge", sprach sie, "bleibe nur so, und es wird dir nicht fehlen." Dann liess sie ihn los, draeute dem Grafen mit dem Finger: "Zollern, Zollern, den Hirschgulden bleibt Ihr mir noch schuldig", rief sie und schlich, unbekuemmert um die Schimpfworte des Grafen, an einem Buchsbaumstaebchen in den Wald. Konrad, der Knappe, aber stieg zitternd von seinem Ross, hob das Herrlein in den Sattel, schwang sich hinter ihm auf und ritt seinem Gebieter nach, den Schlossberg hinauf. Es war dies das erste- und letztemal gewesen, dass das boese Wetter von Zollern sein Soehnlein mitnahm zum Spazierenreiten; denn er hielt ihn, weil er geweint und geschrien, als die Pferde im Trab gingen, fuer einen weichlichen Jungen, aus dem nicht viel Gutes zu machen sei, sah ihn nur mit Unlust an, und so oft der Knabe, der seinen Vater herzlich liebte, schmeichelnd und freundlich zu seinen Knien kam, winkte er ihm, fortzugehen und rief: "Weiss schon, dummes Zeug!" Frau Hedwig hatte alle boesen Launen ihres Gemahls gerne getragen; aber dieses unfreundliche Benehmen gegen das unschuldige Kind kraenkte sie tief; sie erkrankte mehrere Male aus Schrecken, wenn der finstere Graf den Kleinen wegen irgendeines geringen Fehlers hart abgestraft hatte, und starb endlich in ihren besten Jahren, von ihrem Gesinde und der ganzen Umgegend, am schmerzlichsten aber von ihrem Sohn, beweint. Von jetzt an wandte sich der Sinn des Grafen nur noch mehr von dem Kleinen ab; er gab ihn seiner Amme und dem Hauskaplan zur Erziehung und sah nicht viel nach ihm um, besonders, da er bald darauf wieder ein reiches Fraeulein heiratete, die ihm nach Jahresfrist Zwillinge, zwei junge Graeflein, schenkte. Kunos liebster Spaziergang war zu dem alten Weiblein, die ihm einst das Leben gerettet hatte. Sie erzaehlte ihm immer vieles von seiner verstorbenen Mutter, und wieviel Gutes diese an ihr getan habe. Die Knechte und Maegde warnten ihn oft, er solle nicht soviel zu der Frau Feldheimerin, so hiess die Alte, gehen, weil sie nichts mehr und nichts weniger als eine Hexe sei, aber der Kleine fuerchtete sich nicht, denn der Schlosskaplan hatte ihn gelehrt, dass es keine Hexen gebe, und dass die Sage, dass gewisse Frauen zaubern koennen und auf der Ofengabel durch die Luft und auf den Brocken reiten, erlogen sei. Zwar sah er bei der Frau Feldheimerin allerlei Dinge, die er nicht begreifen konnte; des Kunststueckchens mit den drei Pfennigen, die sie seinem Vater so geschickt in den Beutel geworfen, erinnerte er sich noch ganz wohl, auch konnte sie allerhand kuenstliche Salben und Traenklein bereiten, womit sie Menschen und Vieh heilte, aber das war nicht wahr, was man ihr nachsagte, dass sie eine Wetterpfanne habe, und wenn sie diese ueber das Feuer haenge, komme ein schreckliches Donnerwetter. Sie lehrte den kleinen Grafen mancherlei, was ihm nuetzlich war, zum Beispiel allerlei Mittel fuer kranke Pferde, einen Trank gegen die Hundswut, eine Lockspeise fuer Fische und viele andere nuetzliche Sachen. Die Frau Feldheimerin war auch bald seine einzige Gesellschaft, denn seine Amme starb, und seine Stiefmutter kuemmerte sich nicht um ihn. Als seine Brueder nach und nach heranwuchsen, hatte Kuno ein noch traurigeres Leben als zuvor, sie hatten das Glueck, beim ersten Ritt nicht vom Pferd zu stuerzen, und das boese Wetter von Zollern hielt sie daher fuer ganz vernuenftige und taugliche Jungen, liebte sie ausschliesslich, ritt alle Tage mit ihnen aus und lehrte sie alles, was er selbst verstand. Da lernten sie aber nicht viel Gutes; Lesen und Schreiben konnte er selbst nicht, und seine beiden trefflichen Soehne sollten sich auch nicht die Zeit damit verderben; aber schon in ihrem zehnten Jahre konnten sie so graesslich fluchen wie ihr Vater, fingen mit jedem Haendel an, vertrugen sich unter sich selbst so schlecht wie ein Hund und Kater, und nur wenn sie gegen Kuno einen Streich verueben wollten, verbanden sie sich und wurden Freunde. Ihrer Mutter machte dies nicht viel Kummer; denn sie hielt es fuer gesund und kraeftig, wenn sich die Jungen balgten, aber dem alten Grafen sagte es eines Tags ein Diener, und der antwortete zwar: "Weiss schon, dummes Zeug!", nahm sich aber dennoch vor, fuer die Zukunft auf ein Mittel zu sinnen, dass sich seine Soehne nicht gegenseitig totschlugen; denn die Drohung der Frau Feldheimerin, die er in seinem Herzen fuer eine ausgemachte Hexe hielt: "Na, man wird ja sehen, was von Eurem Erbe einen Hirschgulden wert ist"--lag ihm noch immer in seinem Sinn. Eines Tages, da er in der Umgegend seines Schlosses jagte, fielen ihm zwei Berge ins Auge, die ihrer Form wegen wie zu Schloessern geschaffen schienen, und sogleich beschloss er auch, dort zu bauen. Er baute auf dem einen das Schloss Schalksberg, das er nach dem kleinern der Zwillinge so nannte, weil dieser wegen allerlei boeser Streiche laengst von ihm den Namen _"kleiner Schalk"_ erhalten hatte, das andere Schloss, das er baute, wollte er anfaenglich Hirschguldenberg nennen, um die Hexe zu verhoehnen, weil sie sein Erbe nicht einmal eines Hirschguldens wert achtete; er liess es aber bei dem einfacheren Hirschberg bewenden, und so heissen die beiden Berge noch bis auf den heutigen Tag, und wer die Alb bereist, kann sie sich zeigen lassen. Das boese Wetter von Zollern hatte anfaenglich im Sinn, seinem aeltesten Sohn Zollern, dem _kleinen Schalk_ Schalksberg und dem andern Hirschberg im Testament zu vermachen; aber seine Frau ruhte nicht eher, bis er es aenderte. "Der dumme Kuno", so nannte diese den armen Knaben, weil er nicht so wild und ausgelassen war wie ihre Soehne, "der dumme Kuno ist ohnedies reich genug durch das, was er von seiner Mutter erbte, und er soll auch noch das schoene, reiche Zollern haben? Und meine Soehne sollen nichts bekommen als jeder eine Burg, zu welcher nichts gehoert als Wald?" Vergebens stellte ihr der Graf vor, dass man Kuno billigerweise das Erstgeburtsrecht nicht rauben duerfe, sie weinte und zankte so lange, bis das boese Wetter, das sonst niemand sich fuegte, des lieben Friedens willen nachgab und im Testament dem kleinen Schalk Schalksberg, Wolf, dem groesseren Zwillingsbruder, Zollern, und Kuno Hirschberg mit dem Staedtchen Balingen verschrieb. Bald darauf, nachdem er also verfuegt hatte, fiel er auch in eine schwere Krankheit. Zu dem Arzt, der ihm sagte, dass er sterben muesse, sagte er: "Ich weiss schon", und dem Schlosskaplan, der ihn ermahnte, sich zu einem frommen Ende vorzubereiten, antwortete er: "Dummes Zeug", und er fluchte und raste fort und starb, wie er gelebt hatte, roh und als ein grosser Suender. Aber sein Leichnam war noch nicht beigesetzt, so kam die Frau Graefin schon mit dem Testament herbei, sagte zu Kuno, ihrem Stiefsohn, spoettisch, er moechte jetzt seine Gelehrsamkeit beweisen und selbst nachlesen, was im Testament stehe, naemlich, dass er in Zollern nichts mehr zu tun habe, und freute sich mit ihren Soehnen ueber das schoene Vermoegen und die beiden Schloesser, die sie ihm, dem Erstgeborenen, entrissen hatten. Kuno fuegte sich ohne Murren in den Willen des Verstorbenen, aber mit Traenen nahm er Abschied von der Burg, wo er geboren worden, wo seine gute Mutter begraben lag und wo der gute Schlosskaplan und nahe dabei seine einzige alte Freundin, Frau Feldheimerin, wohnte. Das Schloss Hirschberg war zwar ein schoenes, stattliches Gebaeude, aber es war ihm doch zu einsam und oede, und er waere bald krank vor Sehnsucht nach Hohenzollern geworden. Die Graefin und die Zwillingsbrueder, die jetzt achtzehn Jahre alt waren, sassen eines Abends auf dem Soeller und schauten den Schlossberg hinab; da gewahrten sie einen stattlichen Ritter, der zu Pferde heraufritt und dem eine prachtvolle Saenfte, von zwei Maultieren getragen, und mehrere Knechte folgten. Sie rieten lange hin und her, wer es wohl sein moechte; da rief endlich der kleine Schalk: "Ei, das ist niemand anders als unser Herr Bruder von Hirschberg." "Der dumme Kuno?" sprach die Frau Graefin verwundert. "Ei, der wird uns die Ehre antun, uns zu sich einzuladen, und die schoene Saenfte hat er fuer mich mitgebracht, um mich abzuholen nach Hirschberg; nein, soviel Guete und Lebensart haette ich meinem Herrn Sohn, dem dummen Kuno, nicht zugetraut; eine Hoeflichkeit ist der andern wert, lasset uns hinabsteigen an das Schlosstor, ihn zu empfangen; macht auch freundliche Gesichter, vielleicht schenkt er uns in Hirschberg etwas, dir ein Pferd und dir einen Harnisch, und den Schmuck seiner Mutter haette ich schon lange gerne gehabt." "Geschenkt mag ich nichts von dem dummen Kuno", antwortete Wolf, "und ein gutes Gesicht mach' ich ihm auch nicht. Aber unserem seligen Herrn Vater koennte er meinetwegen bald folgen, dann wuerden wir Hirschberg erben und alles, und Euch, Frau Mutter, wollten wir den Schmuck um billigen Preis ablassen." "So, du Range!" eiferte die Mutter, "abkaufen soll ich euch den Schmuck? Ist das der Dank dafuer, dass ich euch Zollern verschafft habe? Kleiner Schalk, nicht wahr, ich soll den Schmuck umsonst haben?" "Umsonst ist der Tod, Frau Mutter!" erwiderte der Sohn lachend, "und wenn es wahr ist, dass der Schmuck soviel wert ist als manches Schloss, so werden wir wohl nicht die Toren sein, ihn Euch um den Hals zu haengen. Sobald Kuno die Augen schliesst, reiten wir hinunter, teilen ab, und meinen Part am Schmuck verkaufe ich. Gebt Ihr dann mehr als der Jude, Frau Mutter, so sollt Ihr ihn haben." Sie waren unter diesem Gespraech bis unter das Schlosstor gekommen, und mit Muehe zwang sich die Frau Graefin, ihren Grimm ueber den Schmuck zu unterdruecken, denn soeben ritt Graf Kuno ueber die Zugbruecke. Als er seiner Stiefmutter und seiner Brueder ansichtig wurde, hielt er sein Pferd an, stieg ab und gruesste sie hoeflich. Denn obgleich sie ihm viel Leids angetan, bedachte er doch, dass es seine Brueder seien und dass diese boese Frau sein Vater geliebt hatte. "Ei, das ist ja schoen, dass der Herr Sohn uns auch besucht", sagte die Frau Graefin mit suesser Stimme und huldreichem Laecheln. "Wie geht es denn auf Hirschberg? Kann man sich dort eingewoehnen? Und gar eine Saenfte hat man sich angeschafft? Ei, und wie praechtig, es duerfte sich keine Kaiserin daran schaemen; nun wird wohl auch die Hausfrau nicht mehr lange fehlen, dass sie darin im Lande umherreist." "Habe bis jetzt noch nicht daran gedacht, gnaedige Frau Mutter", erwiderte Kuno, "will mir deswegen andere Gesellschaft zur Unterhaltung ins Haus nehmen und bin deswegen mit der Saenfte hierhergereist." "Ei, Ihr seid gar guetig und besorgt", unterbrach ihn die Dame, indem sie sich verneigte und laechelte. "Denn er kommt doch nicht mehr gut zu Pferde fort", sprach Kuno ganz ruhig weiter, "der Pater Joseph naemlich, der Schlosskaplan. Ich will ihn zu mir nehmen, er ist mein alter Lehrer, und wir haben es so abgemacht, als ich Zollern verliess. Will auch unten am Berg die alte Frau Feldheimerin mitnehmen. Lieber Gott! Sie ist jetzt steinalt und hat mir einst das Leben gerettet, als ich zum erstenmal ausritt mit meinem seligen Vater; habe ja Zimmer genug in Hirschberg, und dort soll sie absterben." Er sprach es und ging durch den Hof, um den Pater Schlosskaplan zu holen. Aber der Junker Wolf biss vor Grimm die Lippen zusammen, die Frau Graefin wurde gelb vor Aerger, und der _"kleine Schalk"_ lachte laut auf. "Was gebt Ihr fuer meinen Gaul, den ich von ihm geschenkt kriege?" sagte er. "Bruder Wolf, gib mir deinen Harnisch, den er dir gegeben, dafuer. Ha! ha! ha! Den Pater und die alte Hexe will er zu sich nehmen? Das ist ein schoenes Paar, da kann er nun vormittags Griechisch lernen beim Kaplan und nachmittags Unterricht im Hexen nehmen bei der Frau Feldheimerin. Ei, was macht doch der dumme Kuno fuer Streiche." "Er ist ein ganz gemeiner Mensch!" erwiderte die Frau Graefin, "und du solltest nicht darueber lachen, kleiner Schalk; das ist eine Schande fuer die ganze Familie, und man muss sich ja schaemen vor der ganzen Umgegend, wenn es heisst, der Graf von Zollern hat die alte Hexe, die Feldheimerin, abgeholt in einer prachtvollen Saenfte und Maulesel dabei und laesst sie bei sich wohnen. Das hat er von seiner Mutter, die war auch immer so gemein mit Kranken und schlechtem Gesindel; ach, sein Vater wuerde sich im Sarg wenden, wuesste er es." "Ja", setzte der kleine Schalk hinzu, "der Vater wuerde noch in der Gruft sagen: "Weiss schon, dummes Zeug"." "Wahrhaftig! Da kommt er mit dem alten Mann und schaemt sich nicht, ihn selbst unter dem Arm zu fahren", rief die Frau Graefin mit Entsetzen, "kommt, ich will ihm nicht mehr begegnen." Sie entfernten sich, und Kuno geleitete seinen alten Lehrer bis an die Bruecke und half ihm selbst in die Saenfte; unten aber am Berg hielt er vor der Huette der Frau Feldheimerin und fand sie schon fertig, mit einem Buendel voller Glaeschen und Toepfchen und Traenklein und anderem Geraete nebst ihrem Buchsbaumstoecklein, einzusteigen. Es kam uebrigens nicht also, wie die Frau Graefin von Zollern in ihrem boesen Sinn hatte voraussehen wollen. In der ganzen Umgegend wunderte man sich nicht ueber Ritter Kuno. Man fand es schoen und loeblich, dass er die letzten Tage der alten Frau Feldheimerin aufheitern wollte, man pries ihn als einen frommen Herrn, weil er den alten Pater Joseph in sein Schloss aufgenommen hatte. Die einzigen, die ihm gram waren und auf ihn schmaehten, waren seine Brueder und die Graefin; aber nur zu ihrem eigenen Schaden, denn man nahm allgemein ein Aergernis an so unnatuerlichen Bruedern, und zur Wiedervergeltung ging die Sage, dass sie mit ihrer Mutter schlecht und in bestaendigem Hader leben und unter sich selbst sich alles moegliche zuleide tun. Graf Kuno von Zollern-Hirschberg machte mehrere Versuche, seine Brueder mit sich auszusoehnen, denn es war ihm unertraeglich, wenn sie oft an seiner Feste vorbeiritten, aber nie einsprachen, wenn sie ihm in Wald und Feld begegneten und ihn kaelter begruessten als einen Landfremden. Aber seine Versuche schlugen meist fehl, und er wurde noch ueberdies von ihnen verhoehnt. Eines Tages fiel ihm noch ein Mittel ein, wie er vielleicht ihre Herzen gewinnen koennte, denn er wusste, sie waren geizig und habgierig. Es lag ein Teich zwischen den drei Schloessern, beinahe in der Mitte, jedoch so, dass er noch in Kunos Revier gehoerte. In diesem Teich befanden sich aber die besten Hechte und Karpfen der ganzen Umgegend, und es war fuer die Brueder, die gerne fischten, ein nicht geringer Verdruss, dass ihr Vater vergessen hatte, den Teich auf ihr Teil zu schreiben. Sie waren zu stolz, um ohne Vorwissen ihres Bruders dort zu fischen, und doch mochten sie ihm auch kein gutes Wort geben, dass er es ihnen erlauben moechte. Nun kannte er aber seine Brueder, dass ihnen der Teich am Herzen liege; er lud sie daher eines Tages ein, mit ihm dort zusammenzukommen. Es war ein schoener Fruehlingsmorgen, als beinahe in demselben Augenblick die drei Brueder von den drei Burgen dort zusammenkamen. "Ei, sieh da!" rief der kleine Schalk, "das trifft sich ordentlich! Ich bin mit Schlag sieben Uhr von Schalksberg weggeritten." "Ich auch--und ich"--antworteten die Brueder vom Hirschberg und vom Zollern. "Nun, da muss der Teich hier gerade in der Mitte liegen", fuhr der Kleine fort. "Es ist ein schoenes Wasser." "Ja, und eben darum habe ich euch hierher beschieden. Ich weiss, ihr seid beide grosse Freunde vom Fischen, und ob ich gleich auch zuweilen gerne die Angel auswerfe, so hat doch der Weiher Fische genug fuer drei Schloesser, und an seinen Ufern ist Platz genug fuer drei, selbst wenn wir alle auf einmal zu angeln kaemen. Darum will ich von heute an, dass dieses Wasser Gemeingut fuer uns sei, und jeder von euch soll gleiche Rechte daran haben wie ich." "Ei, der Herr Bruder ist ja gewaltig gnaedig gesinnt", sprach der kleine Schalk mit hoehnischem Laecheln, "gibt uns wahrhaftig sechs Morgen Wasser und ein paar hundert Fischlein! Nu und was werden wir dagegen geben muessen? Denn umsonst ist der Tod!" "Umsonst sollt ihr ihn haben", sagte Kuno. "Ach, ich moechte euch ja nur zuweilen an diesem Teich sehen und sprechen! Sind wir doch eines Vaters Soehne." "Nein!" erwiderte der vom Schalksberg, "das ginge schon nicht, denn es ist nichts Einfaeltigeres, als in Gesellschaft zu fischen, es verjagt immer einer dem andern die Fische. Wollen wir aber Tage ausmachen, etwa Montag und Donnerstag du, Kuno, Dienstag und Freitag Wolf, Mittwoch und Sonnabend ich--so ist es mir ganz recht." "Mir nicht einmal dann", rief der finstere Wolf. "Geschenkt will ich nichts haben und will auch mit niemand teilen; du hast recht, Kuno, dass du uns den Weiher anbietest; denn wir haben eigentlich alle drei gleichen Anteil daran, aber lasset uns darum wuerfeln, wer ihn in Zukunft besitzen soll; werde ich gluecklicher sein als ihr, so koennt ihr immer bei mir anfragen, ob ihr fischen duerfet." "Ich wuerfle nie", entgegnete Kuno, traurig ueber die Verstocktheit seiner Brueder. "Ja, freilich", lachte der kleine Schalk, "er ist ja gar fromm und gottesfuerchtig, der Herr Bruder, und haelt das Wuerfelspiel fuer eine Todsuende; aber ich will euch was anders vorschlagen, woran sich der froemmste Klausner nicht schaemen duerfte. Wir wollen uns Angelschnuere und Haken holen; und wer diesen Morgen, bis die Glocke in Zollern zwoelf Uhr schlaegt, die meisten Fische angelt, soll den Weiher eigen haben." "Ich bin eigentlich ein Tor", sagte Kuno, "um das noch zu kaempfen, was mir mit Recht als Erbe zugehoert; aber damit ihr sehet, dass es mir mit der Teilung ernst war, will ich mein Fischgeraete holen." Sie ritten heim, jeder nach seinem Schloss. Die Zwillinge schickten in aller Eile ihre Diener aus, liessen alle alten Steine aufheben, um Wuermer zur Lockspeise fuer die Fische im Teich zu finden; Kuno aber nahm sein gewoehnliches Angelzeug und die Speise, die ihn einst Frau Feldheimerin zubereiten gelehrt, und war der erste, der wieder auf dem Platz erschien. Er liess, als die beiden Zwillinge kamen, diese die besten und bequemsten Stellen auswaehlen und warf dann selbst eine Angel aus. Da war es, als ob die Fische in ihm den Herrn des Teiches erkannt haetten. Ganze Zuege von Karpfen und Hechten zogen heran und wimmelten um seine Angel; die aeltesten und groessten draengten die kleinen weg, jeden Augenblick zog er einen heraus, und wenn er die Angel wieder ins Wasser warf, sperrten schon zwanzig, dreissig Maeuler auf, um an den spitzigen Haken anzubeissen. Es hatte noch nicht zwei Stunden gedauert, so lag der Boden um ihn her voll der schoensten Fische. Da hoerte er auf zu fischen und ging zu seinen Bruedern, um zu sehen, was fuer Geschaefte sie machten. Der kleine Schalk hatte einen kleinen Karpfen und zwei elende Weissfische, Wolf drei Barben und zwei kleine Gruendlinge, und beide schauten truebselig in den Teich; denn sie konnten die ungeheure Menge, die Kuno gefangen, gar wohl von ihrem Platze aus bemerken. Als Kuno an seinen Bruder Wolf herankam, sprang dieser halbwuetend auf, zerriss die Angelschnur, brach die Rute in Stuecke und warf sie in den Teich. "Ich wollte, es waeren tausend Haken, die ich hineinwerfe, statt des einen, und an jedem muesste eine von diesen Kreaturen zappeln", rief er; "aber mit rechten Dingen geht es nimmer zu, es ist ein Zauberspiel und Hexenwerk. Wie solltest du denn, dummer Kuno, mehr Fische fangen in einer Stunde als ich in einem Jahr?" "Ja, ja, jetzt erinnere ich mich", fuhr der kleine Schalk fort, "bei der Frau Feldheimerin, bei der schnoeden Hexe, hat er das Fischen gelernt, und wir waren Toren, mit ihm zu fischen, er wird doch bald Hexenmeister werden." "Ihr schlechten Menschen!" entgegnete Kuno unmutig. "Diesen Morgen habe ich hinlaenglich Zeit gehabt, euren Geiz, eure Unverschaemtheit und eure Roheit einzusehen. Gehet jetzt und kommet nie wieder hierher und glaubet mir, es waer fuer eure Seelen besser, wenn ihr nur halb so fromm und gut waeret als jene Frau, die ihr eine Hexe scheltet." "Nein, eine eigentliche Hexe ist sie nicht!" sagte der Schalk, spoettisch lachend. "Solche Weiber koennen wahrsagen, aber Frau Feldheimerin ist so wenig eine Wahrsagerin, als eine Gans ein Schwan werden kann; hat sie doch dem Vater gesagt: Von seinem Erbe werde man einen guten Teil um einen Hirschgulden kaufen koennen, das heisst, er werde ganz verlumpen, und doch hat bei seinem Tod alles ihm gehoert, so weit man von der Zinne von Zollern sehen kann! Geh, geh, Frau Feldheimerin ist nichts als ein toerichtes altes Weib, und du--der dumme Kuno." Nach diesen Worten entfernte sich der Kleine eilig, denn er fuerchtete den starken Arm seines Bruders, und Wolf folgte ihm, indem er alle Flueche hersagte, die er von seinem Vater gelernt hatte. In tiefster Seele betruebt, ging Kuno nach Hause, denn er sah jetzt deutlich, dass seine Brueder nie mehr mit ihm sich vertragen wollten. Er nahm sich auch ihre harten Worte so sehr zu Herzen, dass er des andern Tages sehr krank wurde, und nur der Trost des wuerdigen Pater Joseph und die kraeftigen Traenklein der Frau Feldheimerin retteten ihn vom Tode. Als aber seine Brueder erfuhren, dass ihr Bruder Kuno schwer daniederliegen hielten sie ein froehliches Bankett, und im Weinmut sagten sie sich zu, wenn der dumme Kuno sterbe, so solle der, welcher es zuerst erfahre, alle Kanonen loesen, um es dem andern anzuzeigen, und wer zuerst kanoniere, solle das beste Fass Wein aus Kunos Keller vorwegnehmen duerfen. Wolf liess nun von da an immer einen Diener in der Naehe von Hirschberg Wache halten, und der kleine Schalk bestach sogar einen Diener Kunos mit vielem Geld, damit er es ihm schnell anzeige, wenn sein Herr in den letzten Zuegen liege. Dieser Knecht aber war seinem milden und frommen Herrn mehr zugetan als dem boesen Grafen von Schalksberg; er fragte also eines Abends Frau Feldheimerin teilnehmend nach dem Befinden seines Herrn, und als diese sagte, dass es ganz gut mit ihm stehe, erzaehlte er ihr den Anschlag der beiden Brueder und dass sie Freudenschuesse tun wollten auf des Grafen Kunos Tod. Darueber ergrimmte die Alte sehr; sie erzaehlte es flugs wieder dem Grafen, und als dieser an eine so grosse Lieblosigkeit seiner Brueder nicht glauben wollte, so riet sie ihm, er solle die Probe machen und aussprengen lassen, er sei tot, so werde man bald hoeren, ob sie kanonieren, ob nicht. Der Graf liess den Diener, den sein Bruder bestochen, vor sich kommen, befragte ihn nochmals und befahl ihm, nach Schalksberg zu reiten und sein nahes Ende zu verkuenden. Als nun der Knecht eilends den Hirschberg herabritt, sah ihn der Diener des Grafen Wolf von Zollern, hielt ihn an und fragte, wohin er so eilends zu reiten willens sei. "Ach", sagte dieser, "mein armer Herr wird diesen Abend nicht ueberleben, sie haben ihn alle aufgegeben." "So? Ist's um diese Zeit?" rief jener, lief nach seinem Pferd, schwang sich auf und jagte so eilends nach Zollern und den Schlossberg hinan, dass sein Pferd am Tore niederfiel und er selbst nur noch "Graf Kuno stirbt!" rufen konnte, ehe er ohnmaechtig wurde. Da donnerten die Kanonen von Hohenzollern herab; Graf Wolf freute sich mit seiner Mutter ueber das gute Fass Wein und das Erbe, den Teich, ueber den Schmuck und den starken Widerhall, den seine Kanonen gaben. Aber was er fuer Widerhall gehalten, waren die Kanonen von Schalksberg, und Wolf sagte laechelnd zu seiner Mutter: "So hat der Kleine auch einen Spion gehabt, und wir muessen auch den Wein gleich teilen wie das uebrige Erbe." Dann aber sass er zu Pferde; denn er argwohnte, der kleine Schalk moechte ihm zuvorkommen und vielleicht einig Kostbarkeiten des Verstorbenen wegnehmen, ehe er kaeme. Aber am Fischteiche begegneten sich die beiden Brueder, und jeder erroetete vor dem andern, weil beide zuerst nach Hirschberg hatten kommen wollen. Von Kuno sprachen sie kein Wort, als sie zusammen ihren Weg fortsetzten, sondern sie berieten sich bruederlich, wie man es in Zukunft halten wolle und wem Hirschberg gehoeren solle. Wie sie aber ueber die Zugbruecke in den Schlosshof ritten, da schaute ihr Bruder wohlbehalten und gesund zum Fenster heraus; aber Zorn und Unmut spruehten aus seinen Blicken. Die Brueder erschraken sehr, als sie ihn sahen, hielten ihn anfaenglich fuer ein Gespenst und bekreuzten sich; als sie aber sahen, dass er noch Fleisch und Blut habe, rief Wolf: "Ei, so wollt' ich doch! Dummes Zeug, ich glaubte, du waerest gestorben." "Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben", sagte der Kleine, der mit giftigen Blicken nach seinem Bruder hinaufschaute. Dieser aber sprach mit donnernder Stimme: "Von dieser Stunde an sind alle Bande der Verwandtschaft zwischen uns los und ledig. Ich habe eure Freudenschuesse wohl vernommen; aber sehet zu, auch ich habe fuenf Feldschlangen hier auf dem Hof stehen und habe sie euch zu Ehren scharf laden lassen. Machet, dass ihr aus dem Bereich meiner Kugeln kommt, oder ihr sollt erfahren, wie man auf Hirschberg schiesst." Sie liessen es sich nicht zweimal sagen; denn sie sahen ihm an, wie ernst es ihm war; sie gaben also ihren Pferden die Sporen und hielten einen Wettlauf den Berg hinunter, und ihr Bruder schoss eine Stueckkugel hinter ihnen her, die ueber ihren Koepfen wegsauste, dass sie beide zugleich eine tiefe und hoefliche Verbeugung machten; er wollte sie aber nur schrecken und nicht verwunden. "Warum hast du denn geschossen?" fragte der kleine Schalk unmutig. "Du Tor, ich schoss nur, weil ich dich hoerte." "Im Gegenteil, frag nur die Mutter!" erwiderte Wolf, "du warst es, der zuerst schoss, und du hast diese Schande ueber uns gebracht, kleiner Dachs." Der Kleine blieb ihm keinen Ehrentitel schuldig, und als sie am Fischteich angekommen waren, gaben sie sich gegenseitig noch die vom alten Wetter von Zollern geerbten Flueche zum besten und trennten sich in Hass und Unlust. Tags darauf aber machte Kuno sein Testament, und Frau Feldheimerin sagte zum Pater: "Ich wollte was wetten, er hat keinen guten Brief fuer die Kanoniere geschrieben." Aber so neugierig sie war und so oft sie in ihren Liebling drang, er sagte ihr nicht, was im Testament stehe, und sie erfuhr es auch nimmer, denn ein Jahr nachher verschied die gute Frau, und ihre Salben und Traenklein halfen ihr nichts, denn sie starb an keiner Krankheit, sondern am achtundneunzigsten Jahr, das auch einen ganz gesunden Menschen endlich unter den Boden bringen kann. Graf Kuno liess sie bestatten, als ob sie nicht eine arme Frau, sondern seine Mutter gewesen waere, und es kam ihm nachher noch viel einsamer vor auf seinem Schloss, besonders da der Pater Joseph der Frau Feldheimerin bald folgte. Doch diese Einsamkeit fuehlte er nicht sehr lange; der gute Kuno starb schon in seinem achtundzwanzigsten Jahr, und boese Leute behaupteten an Gift, das ihm der kleine Schalk beigebracht hatte. Wie dem aber auch sei, einige Stunden nach seinem Tod vernahm man wieder den Donner der Kanonen, und in Zollern und Schalksberg tat man fuenfundzwanzig Schuesse. "Diesmal hat er doch dran glauben muessen", sagte der Schalk, als sie unterwegs zusammentrafen. "Ja", antwortete Wolf, "und wenn er noch einmal aufersteht und zum Fenster herausschimpft wie damals, so hab' ich eine Buechse bei mir, die ihn hoeflich und stumm machen soll." Als sie den Schlossberg hinanritten, gesellte sich ein Reiter mit Gefolge zu ihnen, den sie nicht kannten. Sie glaubten, es sei vielleicht ein Freund ihres Bruders und komme, um ihn beisetzen zu helfen. Daher gebaerdeten sie sich klaeglich, priesen vor ihm den Verstorbenen, beklagten sein fruehes Hinscheiden, und der kleine Schalk presste sich sogar einige Krokodilstraenen aus. Der Ritter antwortete ihnen aber nicht, sondern ritt still und stumm an ihrer Seite den Hirschberg hinauf. "So, jetzt wollen wir es uns bequem machen, und Wein herbei, Kellermeister, vom besten!" rief Wolf, als er abstieg. Sie gingen die Wendeltreppe hinauf und in den Saal; auch dahin folgte ihnen der stumme Reiter, und als sich die Zwillinge ganz breit an den Tisch gesetzt hatten, zog jener ein Silberstueck aus dem Wams, warf es auf den Schiefertisch, dass es umherrollte und klingelte, und sprach: "So, und da habt ihr jetzt euer Erbe, und es wird just recht sein, ein Hirschgulden." Da sahen sich die beiden Brueder verwundert an, lachten und fragten ihn, was er damit sagen wolle. Der Ritter aber zog ein Pergament hervor, mit hinlaenglichen Siegeln; darin hatte der dumme Kuno alle Feindseligkeiten aufgezeichnet, die ihm die Brueder bei seinen Lebzeiten bewiesen, und am Ende hatte er verordnet und bekannt, dass sein ganzes Erbe, Hab und Gut, ausser dem Schmuck seiner seligen Frau Mutter, auf den Fall seines Todes an Wuerttemberg verkauft sei, und zwar--um einen elenden Hirschgulden!< Um den Schmuck aber solle man in der Stadt Balingen ein Armenhaus erbauen. Da erstaunten nun die Brueder abermals, lachten aber nicht dazu, sondern bissen die Zaehne zusammen; denn sie konnten gegen Wuerttemberg nichts ausrichten, und so hatten sie das schoene Gut, Wald, Feld, die Stadt Balingen und selbst den Fischteich verloren und nichts geerbt als einen schlechten Hirschgulden. Den steckte Wolf in sein Wams, sagte nicht ja und nicht nein, warf sein Barett auf den Kopf und ging trotzig und ohne Gruss an dem wuerttembergischen Kommissaer vorbei, schwang sich auf sein Ross und ritt nach Zollern. Als ihn aber am andern Morgen seine Mutter mit Vorwuerfen plagte, dass sie Gut und Schmuck verscherzet haben, ritt er hinueber zum Schalk auf der Schalksburg: "Wollen wir unser Erbe verspielen oder vertrinken?" fragte er ihn. "Vertrinken ist besser", sagte der Schalk, "dann haben beide gewonnen. Wir wollen nach Balingen reiten und uns den Leuten zum Trotz dort sehen lassen, wenn wir auch gleich das Staedtlein schmaehlich verloren." "Und im Lamm schenkt man Roten, der Kaiser trinkt ihn nicht besser", setzte Wolf hinzu. So ritten sie miteinander nach Balingen ins Lamm und fragten, was die Mass Roter koste, und tranken sich zu, bis der Hirschgulden voll war. Dann stand Wolf auf, zog das Silberstueck mit dem springenden Hirsch aus dem Wams, warf es auf den Tisch und sprach: "Da habt Ihr Euern Gulden, so wird's richtig sein." Der Wirt aber nahm den Gulden, besah ihn links, besah ihn rechts und sagte laechelnd: "Ja, wenn es kein Hirschgulden waer'; aber gestern nacht kam der Bote von Stuttgart, und heute frueh hat man es ausgetrommelt im Namen des Grafen von Wuerttemberg, dem jetzt das Staedtlein eigen; die sind abgeschaetzt, und gebt mir nur anderes Geld!" Da sahen sich die beiden Brueder erbleichend an: "Zahl aus!" sagte der eine. "Hast du keine Muenze?" sagte der andere, und kurz, sie mussten den Gulden schuldig bleiben im Lamm in Balingen. Sie zogen schweigend und nachdenkend ihren Weg, als sie aber an den Kreuzweg kamen, wo es rechts nach Zollern und links nach Schalksberg ging, da sagte der Schalk: "Wie nun? Jetzt haben wir sogar weniger geerbt als gar nichts, und der Wein war ueberdies schlecht." "Jawohl", erwiderte sein Bruder. "Aber was die Feldheimerin sagte, ist doch eingetroffen: "Seht zu, wieviel von seinem Erbe uebrigbleiben wird, um einen Hirschgulden!" Jetzt haben wir nicht einmal ein Mass Wein dafuer kaufen koennen." "Weiss schon!" antwortete der von der Schalksburg. "Dummes Zeug!" sagte der von Zollern und ritt zerfallen mit sich und der Welt seinem Schloss zu. "Das ist die Sage von dem Hirschgulden", endete der Zirkelschmied, "und wahr soll sie sein. Der Wirt in Duerrwangen, das nicht weit von den drei Schloessern liegt, hat sie meinem guten Freund erzaehlt, der oft als Wegweiser ueber die schwaebische Alb ging und immer in Duerrwangen einkehrte." Die Gaeste gaben dem Zirkelschmied Beifall. "Was man doch nicht alles hoert in der Welt", rief der Fuhrmann. "Wahrhaftig, jetzt erst freut es mich, dass wir die Zeit nicht mit Kartenspielen verderbten, so ist es wahrlich besser; und gemerkt habe ich mir die Geschichte, dass ich sie morgen meinen Kameraden erzaehlen kann, ohne ein Wort zu fehlen." "Mir fiel da, waehrend Ihr so erzaehltet, etwas ein", sagte der Student. "O erzaehlet, erzaehlet!" baten der Zirkelschmied und Felix. "Gut", antwortete jener, "ob die Reihe jetzt an mich kommt oder spaeter, ist gleichviel; ich muss ja doch heimgehen, was ich gehoert. Das, was ich erzaehlen will, soll sich wirklich einmal begeben haben." Er setzte sich zurecht und wollte eben anheben zu erzaehlen, als die Wirtin den Spinnrocken beiseitesetzte und zu den Gaesten an den Tisch trat. "Jetzt, ihr Herren, ist es Zeit, zu Bette zu gehen", sagte sie, "es hat neun Uhr geschlagen, und morgen ist auch ein Tag." "Ei, so gehe zu Bette!" rief der Student, "setze noch eine Flasche Wein fuer uns hierher, und dann wollen wir dich nicht laenger abhalten." "Mitnichten", entgegnete sie graemlich, "solange noch Gaeste in der Wirtsstube sitzen, koennen Wirtin und Dienstboten nicht weggehen. Und kurz und gut, ihr Herren, machet, dass ihr auf eure Kammern kommet; mir wird die Zeit lange, und laenger als neun Uhr darf in meinem Hause nicht gezecht werden." "Was faellt Euch ein, Frau Wirtin?" sprach der Zirkelschmied staunend, "was schadet es denn Euch, ob wir hier sitzen, wenn Ihr auch schon laengst schlafet; wir sind rechtliche Leute und werden Euch nichts hinwegtragen, noch ohne Bezahlung fortgehen. Aber so lasse ich mir in keinem Wirtshaus ausbieten." Die Frau rollte zornig die Augen: "Meint ihr, ich werde wegen jedem Lumpen von Handwerksburschen, wegen jedem Strassenlaeufer, der mir zwoelf Kreuzer zu verdienen gibt, meine Hausordnung aendern? Ich sag' euch jetzt zum letztenmal, dass ich den Unfug nicht leide!" Noch einmal wollte der Zirkelschmied etwas entgegnen; aber der Student sah ihn bedeutend an und winkte mit den Augen den uebrigen. "Gut", sprach er, "wenn es denn die Frau Wirtin nicht haben will, so lasst uns auf unsere Kammern gehen. Aber Lichter moechten wir gerne haben, um den Weg zu finden." "Damit kann ich nicht dienen", entgegnete sie finster, "die andern werden schon den Weg im Dunkeln finden, und fuer Euch ist dies Stuempfchen hier hinlaenglich; mehr habe ich nicht im Hause." Schweigend nahm der junge Herr das Licht und stand auf. Die andern folgten ihm, und die Handwerksburschen nahmen ihre Buendel, um sie in der Kammer bei sich niederzulegen. Sie gingen dem Studenten nach, der ihnen die Treppe hinanleuchtete. Als sie oben angekommen waren, bat sie der Student, leise aufzutreten, schloss sein Zimmer auf und winke ihnen herein. "Jetzt ist kein Zweifel mehr", sagte er, "sie will uns verraten; habt ihr nicht bemerkt, wie aengstlich sie uns zu Bett zu bringen suchte, wie sie uns alle Mittel abschnitt, wach und beisammen zu bleiben? Sie meint wahrscheinlich, wir werden uns jetzt niederlegen und dann werde sie um so leichteres Spiel haben." "Aber meint Ihr nicht, wir koennten noch entkommen?" fragte Felix. "Im Wald kann man doch eher auf Rettung denken als hier im Zimmer." "Die Fenster sind auch hier vergittert", rief der Student, indem er vergebens versuchte, einen der Eisenstaebe des Gitters loszumachen. "Uns bleibt nur ein Ausweg, wenn wir entweichen wollen, durch die Haustuere; aber ich glaube nicht, dass sie uns fortlassen werden." "Es kaeme auf den Versuch an", sprach der Fuhrmann, "ich will einmal probieren, ob ich bis in den Hof kommen kann. Ist dies moeglich, so kehre ich zurueck und hole euch nach." Die uebrigen billigten diesen Vorschlag, der Fuhrmann legte die Schuhe ab und schlich sich auf den Zehen nach der Treppe; aengstlich lauschten seine Genossen oben im Zimmer; schon war er die eine Haelfte der Treppe gluecklich und unbemerkt hinabgestiegen; aber als er sich dort um einen Pfeiler wandte, richtete sich ploetzlich eine ungeheure Dogge vor ihm in die Hoehe, legte ihre Tatzen auf seine Schultern und wies ihm, gerade seinem Gesicht gegenueber, zwei Reihen langer, scharfer Zaehne. Er wagte weder vor- noch rueckwaerts auszuweichen; denn bei der geringsten Bewegung schnappte der entsetzliche Hund nach seiner Kehle. Zugleich fing er an zu heulen und zu bellen, und alsobald erschienen der Hausknecht und die Frau mit Lichtern. "Wohin, was wollt Ihr?" rief die Frau. "Ich habe noch etwas in meinem Karren zu holen", antwortete der Fuhrmann, am ganzen Leibe zitternd; denn als die Tuere aufgegangen war, hatte er mehrere braune, verdaechtige Gesichter, Maenner mit Buechsen in der Hand, im Zimmer bemerkt. "Das haettet Ihr alles auch vorher abmachen koennen", sagte die Wirtin muerrisch. "Fassan, daher! Schliess die Hoftuere zu, Jakob, und leuchte dem Mann an seinen Karren!" Der Hund zog seine greuliche Schnauze und seine Tatzen von der Schulter des Fuhrmanns zurueck und lagerte sich wieder quer ueber die Treppe; der Hausknecht aber hatte das Hoftor zugeschlossen und leuchtete dem Fuhrmann. An ein Entkommen war nicht zu denken. Aber als er nachsann, was er denn eigentlich aus dem Karren holen sollte, fiel ihm ein Pfund Wachslichter ein, die er in die naechste Stadt ueberbringen sollte. "Das Stuempfchen Licht oben kann kaum noch eine Viertelstunde dauern", sagte er zu sich, "und Licht muessen wir dennoch haben!" Er nahm also zwei Wachskerzen aus dem Wagen, verbarg sie in dem Aermel und holte dann zum Schein seinen Mantel aus dem Karren, womit er sich, wie er dem Hausknecht sagte, heute nacht bedecken wolle. Gluecklich kam er wieder auf dem Zimmer an. Er erzaehlte von dem grossen Hund, der als Wache an der Treppe liege, von den Maennern, die er fluechtig gesehen, von allen Anstalten, die man gemacht, um sich ihrer zu versichern, und schloss damit, dass er seufzend sagte: "Wir werden diese Nacht nicht ueberleben." "Das glaube ich nicht", erwiderte der Student, "fuer so toericht kann ich diese Leute nicht halten, dass sie wegen des geringen Vorteils, den sie von uns haetten, vier Menschen ans Leben gehen sollten. Aber verteidigen duerfen wir uns nicht. Ich fuer meinen Teil werde wohl am meisten verlieren; mein Pferd ist schon in ihren Haenden, es kostete mich fuenfzig Dukaten noch vor vier Wochen; meine Boerse, meine Kleider gebe ich willig hin; denn mein Leben ist mir am Ende doch lieber als alles dies." "Ihr habt gut reden", erwiderte der Fuhrmann, "solche Sachen, wie Ihr sie verlieren koennt, ersetzt Ihr Euch leicht wieder; aber ich bin der Bote von Aschaffenburg und habe allerlei Gueter auf meinem Karren, und im Stall zwei schoene Rosse, meinen einzigen Reichtum." "Ich kann unmoeglich glauben, dass sie Euch ein Leides tun werden", bemerkte der Goldschmied, "einen Boten zu berauben, wuerde schon viel Geschrei und Laermen im Land machen. Aber dafuer bin ich auch, was der Herr dort sagt; lieber will ich gleich alles hergeben, was ich habe, und mit einem Eid versprechen, nichts zu sagen, ja niemals zu klagen, als mich gegen Leute, die Buechsen und Pistolen haben, um meine geringe Habe wehren." Der Fuhrmann hatte waehrend dieser Reden seine Wachskerzen hervorgezogen. Er klebte sie auf den Tisch und zuendete sie an. "So lasst uns in Gottes Namen erwarten, was ueber uns kommen wird", sprach er, "wir wollen uns wieder zusammen niedersetzen und durch Sprechen den Schlaf abhalten." "Das wollen wir", antwortete der Student, "und weil vorhin die Reihe an mir stehengeblieben war, will ich euch etwas erzaehlen." Das kalte Herz Ein Maerchen Erste Abteilung Wilhelm Hauff Wer durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen, auch ein wenig in den Schwarzwald hineinzuschauen; nicht der Baeume wegen, obgleich man nicht ueberall solch unermessliche Menge herrlich aufgeschossener Tannen findet, sondern wegen der Leute, die sich von den andern Menschen ringsumher merkwuerdig unterscheiden. Sie sind groesser als gewoehnliche Menschen, breitschultrig, von starken Gliedern, und es ist, als ob der staerkende Duft, der morgens durch die Tannen stroemt, ihnen von Jugend auf einen freieren Atem, ein klareres Auge und einen festeren, wenn auch rauheren Mut als den Bewohnern der Stromtaeler und Ebenen gegeben haette. Und nicht nur durch Haltung und Wuchs, auch durch ihre Sitten und Trachten sondern sie sich von den Leuten, die ausserhalb des Waldes wohnen, streng ab. Am schoensten kleiden sich die Bewohner des badenschen Schwarzwaldes; die Maenner lassen den Bart wachsen, wie er von Natur dem Mann ums Kinn gegeben ist; ihre schwarzen Waemser, ihre ungeheuren, enggefalteten Pluderhosen, ihre roten Struempfe und die spitzen Huete, von einer weiten Scheibe umgeben, verleihen ihnen etwas Fremdartiges, aber etwas Ernstes, Ehrwuerdiges. Dort beschaeftigen sich die Leute gewoehnlich mit Glasmachen; auch verfertigen sie Uhren und tragen sie in der halben Welt umher. Auf der andern Seite des Waldes wohnt ein Teil desselben Stammes, aber ihre Arbeiten haben ihnen andere Sitten und Gewohnheiten gegeben als den Glasmachern. Sie handeln mit ihrem Wald; sie faellen und behauen ihre Tannen, floessen sie durch die Nagold in den Neckar und von dem oberen Neckar den Rhein hinab, bis weit hinein nach Holland, und am Meer kennt man die Schwarzwaelder und ihre langen Floesse; sie halten an jeder Stadt, die am Strom liegt, an und erwarten stolz, ob man ihnen Balken und Bretter abkaufen werde; ihre staerksten und laengsten Balken aber verhandeln sie um schweres Geld an die Mynheers, welche Schiffe daraus bauen. Diese Menschen nun sind an ein rauhes, wanderndes Leben gewoehnt. Ihre Freude ist, auf ihrem Holz die Stroeme hinabzufahren, ihr Leid, am Ufer wieder heraufzuwandeln. Darum ist auch ihr Prachtanzug so verschieden von dem der Glasmaenner im andern Teil des Schwarzwaldes. Sie tragen Waemser von dunkler Leinwand, einen handbreiten gruenen Hosentraeger ueber die breite Brust, Beinkleider von schwarzem Leder, aus deren Tasche ein Zollstab von Messing wie ein Ehrenzeichen hervorschaut; ihr Stolz und ihre Freude aber sind ihre Stiefel, die groessten wahrscheinlich, welche auf irgendeinem Teil der Erde Mode sind; denn sie koennen zwei Spannen weit ueber das Knie hinaufgezogen werden, und die "Floezer" koennen damit in drei Schuh tiefem Wasser umherwandeln, ohne sich die Fuesse nass zu machen. Noch vor kurzer Zeit glaubten die Bewohner dieses Waldes an Waldgeister, und erst in neuerer Zeit hat man ihnen diesen toerichten Aberglauben benehmen koennen. Sonderbar ist es aber, dass auch die Waldgeister, die der Sage nach im Schwarzwalde hausen, in diese verschiedenen Trachten sich geteilt haben. So hat man versichert, dass das "Glasmaennlein", ein gutes Geistchen von dreieinhalb Fuss Hoehe, sich nie anders zeige als in einem spitzen Huetlein mit grossem Rand, mit Wams und Pluderhoeschen und roten Struempfchen. Der Hollaender-Michel aber, der auf der anderen Seite des Waldes umgeht, soll ein riesengrosser, breitschultriger Kerl in der Kleidung der Floezer sein, und mehrere, die ihn gesehen haben wollen, versichern, dass sie die Kaelber nicht aus ihrem Beutel bezahlen moechten, deren Felle man zu seinen Stiefeln brauchen wuerde. "So gross, dass ein gewoehnlicher Mann bis an den Hals hineinstehen koennte", sagten sie und wollten nichts uebertrieben haben. Mit diesen Waldgeistern soll einmal ein junger Schwarzwaelder eine sonderbare Geschichte gehabt haben, die ich erzaehlen will. Es lebte naemlich im Schwarzwald eine Witwe, Frau Barbara Munkin; ihr Gatte war Kohlenbrenner gewesen, und nach seinem Tode hielt sie ihren sechzehnjaehrigen Knaben nach und nach zu demselben Geschaeft an. Der junge Peter Munk, ein schlanker Bursche, liess es sich gefallen, weil er es bei seinem Vater auch nicht anders gesehen hatte, die ganze Woche ueber am rauchenden Meiler zu sitzen oder, schwarz und berusst und den Leuten ein Abscheu, hinab in die Staedte zu fahren und seine Kohlen zu verkaufen. Aber ein Koehler hat viel Zeit zum Nachdenken ueber sich und andere, und wenn Peter Munk an seinem Meiler sass, stimmten die dunklen Baeume umher und die tiefe Waldesstille sein Herz zu Traenen und unbewusster Sehnsucht. Es betruebte ihn etwas, es aergerte ihn etwas, er wusste nicht recht was. Endlich merkte er sich ab, was ihn aergerte, und das war--sein Stand. "Ein schwarzer, einsamer Kohlenbrenner!" sagte er sich. "Es ist ein elend Leben. Wie angesehen sind die Glasmaenner, die Uhrmacher, selbst die Musikanten am Sonntag abends! Und wenn Peter Munk, rein gewaschen und geputzt, in des Vaters Ehrenwams mit silbernen Knoepfen und mit nagelneuen roten Struempfen erscheint, und wenn dann einer hinter mir hergeht und denkt, wer ist wohl der schlanke Bursche? und lobt bei sich die Struempfe und meinen stattlichen Gang--sieh, wenn er voruebergeht und schaut sich um, sagt er gewiss: 'Ach, es ist nur der Kohlenmunk-Peter.'" Auch die Floezer auf der andern Seite waren ein Gegenstand seines Neides. Wenn diese Waldriesen.herueberkamen, mit stattlichen Kleidern, und an Knoepfen, Schnallen und Ketten einen halben Zentner Silber auf dem Leib trugen, wenn sie mit ausgespreizten Beinen und vornehmen Gesichtern dem Tanz zuschauten, hollaendisch fluchten und wie die vornehmsten Mynheers aus ellenlangen koelnischen Pfeifen rauchten, da stellte er sich als das vollendetste Bild eines gluecklichen Menschen solch einen Floezer vor. Und wenn diese Gluecklichen dann erst in die Taschen fuhren, ganze Haende voll grosser Taler herauslangten und um Sechsbaetzner wuerfelten, fuenf Gulden hin, zehn her, so wollten ihm die Sinne vergehen, und er schlich truebselig nach seiner Huette; denn an manchem Feiertagabend hatte er einen oder den andern dieser "Holzherren" mehr verspielen sehen, als der arme Vater Munk in einem Jahr verdiente. Es waren vorzueglich drei dieser Maenner, von welchen er nicht wusste, welchen er am meisten bewundern sollte. Der eine war ein dicker, grosser Mann mit rotem Gesicht und galt fuer den reichsten Mann in der Runde. Man hiess ihn den dicken Ezechiel. Er reiste alle Jahre zweimal mit Bauholz nach Amsterdam und hatte das Glueck, es immer um so viel teurer als andere zu verkaufen, dass er, wenn die uebrigen zu Fuss heimgingen, stattlich herauffahren konnte. Der andere war der laengste und magerste Mensch im ganzen Wald, man nannte ihn den langen Schlurker, und diesen beneidete Munk wegen seiner ausnehmenden Kuehnheit; er widersprach den angesehensten Leuten, brauchte, wenn man noch so gedraengt im Wirtshaus sass, mehr Platz als vier der Dicksten; denn er stuetzte entweder beide Ellbogen auf den Tisch oder zog eines seiner langen Beine zu sich auf die Bank, und doch wagte ihm keiner zu widersprechen, denn er hatte unmenschlich viel Geld. Der dritte war ein schoener junger Mann, der am besten tanzte weit und breit und daher den Namen _Tanzbodenkoenig_ hatte. Er war ein armer Mensch gewesen und hatte bei einem Holzherrn als Knecht gedient; da wurde er auf einmal steinreich; die einen sagten, er habe unter einer alten Tanne einen Topf voll Geld gefunden, die andern behaupteten, er habe unweit Bingen im Rhein mit der Stechstange, womit die Floezer zuweilen nach den Fischen stechen, einen Pack mit Goldstuecken heraufgefischt, und der Pack gehoere zu dem grossen Nibelungenhort, der dort vergraben liegt; kurz, er war auf einmal reich geworden und wurde von jung und alt angesehen wie ein Prinz. An diese drei Maenner dachte Kohlenmunk-Peter oft, wenn er einsam im Tannenwald sass. Zwar hatten alle drei einen Hauptfehler, der sie bei den Leuten verhasst machte, es war dies ihr unmenschlicher Geiz, ihre Gefuehllosigkeit gegen Schuldner und Arme; denn die Schwarzwaelder sind ein gutmuetiges Voelklein; aber man weiss, wie es mit solchen Dingen geht; waren sie auch wegen ihres Geizes verhasst, so standen sie doch wegen ihres Geldes in Ansehen; denn wer konnte Taler wegwerfen wie sie, als ob man das Geld von den Tannen schuettelte? "So geht es nicht mehr weiter", sagte Peter eines Tages schmerzlich betruebt zu sich, denn tags zuvor war Feiertag gewesen und alles Volk in der Schenke, "wenn ich nicht bald auf den gruenen Zweig komme, so tu ich mir etwas zuleid; waer'ich doch nur so angesehen und reich wie der dicke Ezechiel oder so kuehn und so gewaltig wie der lange Schlurker oder so beruehmt und koennte den Musikanten Taler statt Kreuzer zuwerfen wie der _Tanzbodenkoenig_! Wo nur der Bursche das Geld her hat?" Allerlei Mittel ging er durch, wie man sich Geld erwerben koenne, aber keines wollte ihm gefallen; endlich fielen ihm auch die Sagen von Leuten ein, die vor alten Zeiten durch den Hollaender-NEchel und durch das Glasmaennlein reich geworden waren. Solang' sein Vater noch lebte, kamen oft andere arme Leute zu Besuch, und da wurde oft lang und breit von reichen Menschen gesprochen, und wie sie reich geworden; da spielte nun oft das Glasmaennlein eine Rolle; ja, wenn er recht nachsann, konnte er sich beinahe noch des Versleins erinnern, das man am Tannenbuehl in der Mitte des Waldes sprechen musste, wenn es erscheinen sollte. Es fing an: "Schatzhauser im gruenen Tannenwald, Bist schon viel hundert Jahre alt, Dir gehoert all Land, wo Tannen stehn -" Aber er mochte sein Gedaechtnis anstrengen, wie er wollte, weiter konnte er sich keines Verses mehr entsinnen. Er dachte oft, ob er nicht diesen oder jenen alten Mann fragen sollte, wie das Spruechlein heisse; aber immer hielt ihn eine gewisse Scheu, seine Gedanken zu verraten, ab, auch schloss er, es muesse die Sage vom Glasmaennlein nicht sehr bekannt sein und den Spruch muessen nur wenige wissen; denn es gab nicht viele reiche Leute im Wald, und--warum hatten denn nicht sein Vater und die andern armen Leute ihr Glueck versucht? Er brachte endlich einmal seine Mutter auf das Maennlein zu sprechen, und diese erzaehlte ihm, was er schon wusste, kannte auch nur noch die erste Zeile von dem Spruch und sagte ihm endlich, nur Leuten, die an einem Sonntag zwischen elf und zwei Uhr geboren seien, zeige sich das Geistchen. Er selbst wuerde wohl dazu passen, wenn er nur das Spruechlein wuesste; denn er sei Sonntags mittags zwoelf Uhr geboren. Als dies der Kohlenmunk-Peter hoerte, war er vor Freude und vor Begierde, dies Abenteuer zu unternehmen, beinahe ausser sich. Es schien ihm hinlaenglich, einen Teil des Spruechleins zu wissen und am Sonntag geboren zu sein, und Glasmaennlein mussten sich ihm zeigen. Als er daher eines Tages seine Kohlen verkauft hatte, zuendete er keinen neuen Meiler an, sondern zog seines Vaters Staatswams und neue rote Struempfe an, setzte den Sonntagshut auf, fasste seinen fuenf Fuss hohen Schwarzdornstock in die Hand und nahm von der Mutter Abschied: "Ich muss aufs Amt in die Stadt, denn wir werden bald spielen muessen, wer Soldat wird, und da will ich dem Amtmann nur noch einmal einschaerfen, dass Ihr Witwe seid und ich Euer einziger Sohn." Die Mutter lobte seinen Entschluss, er aber machte sich auf nach dem Tannenbuehl. Der Tannenbuehl liegt auf der hoechsten Hoehe des Schwarzwaldes, und auf zwei Stunden im Umkreis stand damals kein Dorf, ja nicht einmal eine Huette; denn die aberglaeubischen Leute meinten, es sei dort unsicher. Man schlug auch, so hoch und prachtvoll dort die Tannen standen, ungern Holz in jenem Revier; denn oft waren den Holzhauern, wenn sie dort arbeiteten, die Aexte vom Stiel gesprungen und in den Fuss gefahren, oder die Baeume waren schnell umgestuerzt und hatten die Maenner mit umgerissen und beschaedigt oder gar getoetet; auch haette man die schoensten Baeume von dorther nur zu Brennholz brauchen koennen, denn die Flossherren nahmen nie einen Stamm aus dem Tannenbuehl unter ein Floss auf, weil die Sage ging, dass Mann und Holz verungluecke, wenn ein Tannenbuehler mit im Wasser sei. Daher kam es, dass im Tannenbuehl die Baeume so dicht und so hoch standen, dass es am hellen Tag beinahe Nacht war, und Peter Munk wurde es ganz schaurig dort zumute; denn er hoerte keine Stimme, keinen Tritt als den seinigen, keine Axt; selbst die Voegel schienen diese dichte Tannennacht zu vermeiden. Kohlenmunk-Peter hatte jetzt den hoechsten Punkt des Tannenbuehls erreicht und stand vor einer Tanne von ungeheurem Umfang, um die ein hollaendischer Schiffsherr an Ort und Stelle viele hundert Gulden gegeben haette. "Hier", dachte er, "wird wohl der Schatzhauser wohnen", zog seinen grossen Sonntagshut, machte vor dem Baum eine tiefe Verbeugung, raeusperte sich und sprach mit zitternder Stimme: "Wuensche glueckseligen Abend, Herr Glasmann." Aber es erfolgte keine Antwort, und alles umher war so still wie zuvor. "Vielleicht muss ich doch das Verslein sprechen", dachte er weiter und murmelte: "Schatzhauser im gruenen Tannenwald, Bist schon viel hundert Jahre alt, Dir gehoert all Land, wo Tannen stehn -" Indem er diese Worte sprach, sah er zu seinem grossen Schrekken eine ganz kleine, sonderbare Gestalt hinter der dicken Tanne hervorschauen; es war ihm, als habe er das Glasmaennlein gesehen, wie man es beschrieben, das schwarze Waemschen, die roten Struempfchen, das Huetchen, alles war so, selbst das blasse, aber feine und kluge Gesichtchen, wovon man erzaehlte, glaubte er gesehen zu haben. Aber ach, so schnell es hervorgeschaut hatte, das Glasmaennlein, so schnell war es auch wieder verschwunden! "Herr Glasmann", rief nach einigem Zoegern Peter Munk, "seid so guetig und haltet mich nicht zum Narren. --Herr Glasmann, wenn Ihr meint, ich habe Euch nicht gesehen, so taeuschet Ihr Euch sehr, ich sah Euch wohl hinter dem Baum hervorgucken." Immer keine Antwort, nur zuweilen glaubte er ein leises, heiseres Kichern hinter dem Baum zu vernehmen. Endlich ueberwand seine Ungeduld die Furcht, die ihn bis jetzt noch abgehalten hatte. "Warte, du kleiner Bursche", rief er, "dich will ich bald haben!", sprang mit einem Satz hinter die Tanne, aber da war kein Schatzhauser im gruenen Tannenwald, und nur ein kleines, zierliches Eichhoernchen jagte an dem Baum hinauf. Peter Munk schuettelte den Kopf; er sah ein, dass er die Beschwoerung bis auf einen gewissen Grad gebracht habe und dass ihm vielleicht nur noch ein Reim zu dem Spruechlein fehle, so koenne er das Glasmaennlein hervorlocken; aber er sann hin, er sann her, und fand nichts. Das Eichhoernchen zeigte sich an den untersten Aesten der Tanne und schien ihn aufzumuntern oder zu verspotten. Es putze sich, es rollte den schoenen Schweif, es schaute ihn mit klugen Augen an, aber endlich fuerchtete er sich doch beinahe, mit diesem Tier allein zu sein; denn bald schien das Eichhoernchen einen Menschenkopf zu haben und einen dreispitzigen Hut zu tragen, bald war es ganz wie ein anderes Eichhoernchen und hatte nur an den Hinterfuessen rote Struempfe und schwarze Schuhe. Kurz, es war ein lustiges Tier; aber dennoch graute Kohlenpeter; denn er meinte, es gehe nicht mit rechten Dingen zu. Mit schnelleren Schritten, als er gekommen war, zog Peter wieder ab. Das Dunkel des Tannenwaldes schien immer schwaerzer zu werden, die Baeume standen immer dichter, und ihm fing an so zu grauen, dass er im Trab davonjagte, und erst, als er in der Ferne Hunde bellen hoerte und bald darauf den Rauch einer Huette erblickte, wurde er wieder ruhiger. Aber als er naeher kam und die Tracht der Leute in der Huette erblickte, fand er, dass er aus Angst gerade die entgegengesetzte Richtung genommen und statt zu den Glasleuten zu den Floezern gekommen sei. Die Leute, die in der Huette wohnten, waren Holzfaeller; ein alter Mann, sein Sohn, der Hauswirt und einige erwachsene Enkel. Sie nahmen Kohlenmunk-Peter, der um ein Nachtlager bat, gut auf, ohne nach seinem Namen und Wohnort zu fragen, gaben ihm Apfelwein zu trinken, und abends wurde ein grosser Auerhahn aufgesetzt. Nach dem Nachtessen setzten sich die Hausfrau und ihre Toechter mit ihren Kunkeln um den grossen Lichtspan, den die Jungen mit dem feinsten Tannenharz unterhielten, der Grossvater, der Gast und der Hauswirt rauchten und schauten den Weibem zu, die Burschen aber waren beschaeftigt, Loeffel und Gabeln aus Holz zu schnitzeln. Draussen im Wald heulte der Sturm und raste in den Tannen, man hoerte da und dort sehr heftige Schlaege, und es schien oft, als ob ganze Baeume abgeknickt wuerden und zusammenkrachten. Die furchtlosen Jungen wollten hinaus in den Wald laufen und dieses furchtbar schoene Schauspiel mit ansehen, ihr Grossvater aber hielt sie mit strengem Wort und Blick zurueck. "Ich will keinem raten, dass er jetzt vor die Tuer geht", rief er ihnen zu, "bei Gott, der kommt nimmermehr wieder; denn der Hollaender--Michel haut sich heute nacht ein neues G'stair (Flossgelenke) im Wald." Die Kleinen staunten ihn an; sie mochten von dem Hollaender-Michel schon gehoert haben, aber sie baten jetzt den Ehni, einmal recht schoen von jenem zu erzaehlen. Auch Peter Munk, der vom Hollaender-Michel auf der anderen Seite des Waldes nur undeutlich hatte sprechen hoeren, stimmte mit ein und fragte den Alten, wer und wo er sei. "Er ist der Herr dieses Waldes, und nach dem zu schliessen, dass Ihr in Eurem Alter dies noch nicht erfahren, muesst Ihr drueben ueber dem Tannenbuehl oder wohl gar noch weiter zu Hause sein. Vom Hollaender--Michel will ich Euch aber erzaehlen, was ich weiss, und wie die Sage von ihm geht. Vor etwa hundert Jahren, so erzaehlte es wenigstens mein Ehni, war weit und breit kein ehrlicheres Volk auf Erden als die Schwarzwaelder. Jetzt, seit so viel Geld im Land ist, sind die Menschen unredlich und schlecht. Die jungen Burschen tanzen und johlen am Sonntag und fluchen, dass es ein Schrecken ist; damals war es aber anders, und wenn er jetzt zum Fenster dort hereinschaute, so sag' ich's und hab' es oft gesagt, der Hollaender-Michel ist schuld an all dieser Verderbnis. Es lebte also vor hundert Jahren und drueber ein reicher Holzherr, der viel Gesind hatte; er handelte bis weit in den Rhein hinab, und sein Geschaeft war gesegnet, denn er war ein frommer Mann. Kommt eines Abends ein Mann an seine Tuere, dergleichen er noch nie gesehen. Seine Kleidung war wie die der Schwarzwaelder Burschen, aber er war einen guten Kopf hoeher als alle, und man hatte noch nie geglaubt, dass es einen solchen Riesen geben koenne. Dieser bittet um Arbeit bei dem Holzherrn, und der Holzherr, der ihm ansah, dass er stark und zu grossen Lasten tuechtig sei, rechnet mit ihm seinen Lohn, und sie schlagen ein. Der Michel war ein Arbeiter, wie selbiger Holzherr noch keinen gehabt. Beim Baumschlagen galt er fuer drei, und wenn sechs an einem Ende schleppten, trug er allein das andere. Als er aber ein halb Jahr Holz geschlagen, trat er eines Tages vor seinen Herrn und begehrte von ihm: "Hab' jetzt lang genug hier Holz gehackt, und so moecht' ich auch sehen, wohin meine Staemme kommen, und wie waer' es, wenn Ihr mich auch 'nmal auf das Floss liesset?" Der Holzherr antwortete: "Ich will dir nicht im Weg sein, Michel, wenn du ein wenig hinaus willst in die Welt, und zwar beim Holzfaellen brauche ich starke Leute, wie du bist, auf dem Floss aber kommt es auf Geschicklichkeit an, aber es sei fuer diesmal." Und so war es; das Floss, mit dem er abgehen sollte, hatte acht Glaich (Glieder), und waren im letzten von den groessten Zimmerbalken. Aber was geschah? Am Abend zuvor bringt der lange Michel noch acht Balken ans Wasser, so dick und lang, als man keinen je sah, und jeden trug er so leicht auf der Schulter wie eine Floezerstange, so dass sich alles entsetzte. Wo er sie gehauen, weiss bis heute noch niemand. Dem Holzherrn lachte das Herz, als er dies sah; denn er berechnete, was diese Balken kosten koennten; Michel aber sagte: "So, die sind fuer mich zum Fahren; auf den kleinen Spaenen dort kann ich nicht fortkommen." Sein Herr wollte ihm zum Dank ein paar Floezerstiefel schenken; aber er warf sie auf die Seite und brachte ein Paar hervor, wie es sonst keine gab; mein Grossvater hat versichert, sie haben hundert Pfund gewogen und seien fuenf Fuss lang gewesen. Das Floss fuhr ab, und hatte der Michel frueher die Holzhauer in Verwunderung gesetzt, so staunten jetzt die Floezer; denn statt dass das Floss, wie man wegen der ungeheuern Balken geglaubt hatte, langsamer auf dem Fluss ging, flog es, sobald sie in den Neckar kamen, wie ein Pfeil; machte der Neckar eine Wendung und hatten sonst die Floezer Muehe gehabt, das Floss in der Mitte zu halten, um nicht auf Kies oder Sand zu stossen, so sprang jetzt Michel allemal ins Wasser, rueckte mit einem Zug das Floss links oder rechts, so dass es ohne Gefahr vorueberglitt, und kam dann eine gerade Stelle, so lief er aufs erste G'stair (Gelenk) vor, liess alle ihre Stangen beisetzen, steckte seinen ungeheuren Weberbaum in den Kies, und mit einem Druck flog das Floss dahin, dass das Land und Baeume und Doerfer vorbeizujagen schienen. So waren sie in der Haelfte der Zeit, die man sonst brauchte, nach Koeln am Rhein gekommen, wo sie sonst ihre Ladung verkauft hatten; aber hier sprach Michel: "Ihr seid mir rechte Kaufleute und versteht euren Nutzen! Meinet ihr denn, die Koelner brauchen all dies Holz, das aus dem Schwarzwald kommt, fuer sich? Nein, um den halben Wert kaufen sie es euch ab und verhandeln es teuer nach Holland. Lasset uns die kleinen Balken hier verkaufen und mit den grossen nach Holland gehen; was wir ueber den gewoehnlichen Preis loesen, ist unser eigener Profit." So sprach der arglistige Michel, und die anderen waren es zufrieden; die einen, weil sie gerne nach Holland gezogen waeren, es zu sehen, die anderen des Geldes wegen. Nur ein einziger war redlich und mahnte sie ab, das Gut ihres Herrn der Gefahr auszusetzen oder ihn um den hoeheren Preis zu betruegen, aber sie hoerten nicht auf ihn und vergassen seine Worte, aber der Hollaender-Michel vergass sie nicht. Sie fuhren auch mit dem Holz den Rhein hinab, und Michel leitete das Floss und brachte sie schnell bis nach Rotterdam. Dort bot man ihnen das Vierfache von dem frueheren Preis, und besonders die ungeheuren Balken des Michel wurden mit schwerem Geld bezahlt. Als die Schwarzwaelder so viel Geld sahen, wussten sie sich vor Freude nicht zu fassen. Michel teilte ab, einen Teil dem Holzherrn, die drei anderen unter die Maenner. Und nun setzten sie sich mit Matrosen und anderem schlechten Gesindel in die Wirtshaeuser, verschlemmten und verspielten ihr Geld; den braven Mann aber, der ihnen abgeraten, verkaufte der Hollaender-Michel an einen Seelenverkaeufer, und man hat nichts mehr von ihm gehoert. Von da an war den Burschen im Schwarzwald Holland das Paradies und Hollaender-Michel ihr Koenig; die Holzherren erfuhren lange nichts von dem Handel, und unvermerkt kamen Geld, Flueche, schlechte Sitten, Trunk und Spiel aus Holland herauf. Der Hollaender-Michel war, als die Geschichte herauskam, nirgends zu finden, aber tot ist er auch nicht; seit hundert Jahren treibt er seinen Spuk im Wald, und man sagt, dass er schon vielen behilflich gewesen sei, reich zu werden, aber--auf Kosten ihrer armen Seele, und mehr will ich nicht sagen. Aber so viel ist gewiss, dass er noch jetzt in solchen Sturmnaechten im Tannenbuehl, wo man nicht hauen soll, ueberall die schoensten Tannen aussucht, und mein Vater hat ihn eine vier Schuh dicke umbrechen sehen wie ein Rohr. Mit diesen beschenkt er die, welche sich vom Rechten abwenden und zu ihm gehen; um Mitternacht bringen sie dann die G'stair ins Wasser, und er rudert mit ihnen nach Holland. Aber waere ich Herr und Koenig in Holland, ich liesse ihn mit Kartaetschen in den Boden schmettern; denn alle Schiffe, die von dem Hollaender-Michel auch nur einen Balken haben, muessen untergehen. Daher kommt es, dass man von so vielen Schiffbruechigen hoert; wie koennte denn sonst ein schoenes, starkes Schiff, so gross als eine Kirche, zugrund gehen auf dem Wasser? Aber so oft Hollaender-Michel in einer Sturmnacht im Schwarzwald eine Tanne faellt, springt eine seiner alten aus den Fugen des Schiffes; das Wasser dringt ein, und das Schiff ist mit Mann und Maus verloren. Das ist die Sage vom Hollaender-Michel, und wahr ist es, alles Boese im Schwarzwald schreibt sich von ihm her; o! Er kann einen reich machen", setzte der Greis geheimnisvoll hinzu, "aber ich moechte nichts von ihm haben; ich moechte um keinen Preis in der Haut des _dicken Ezechiel_ und des langen Schlurkers stecken; auch der _Tanzbodenkoenig_ soll sich ihm ergeben haben!" Der Sturm hatte sich waehrend der Erzaehlung des Alten gelegt; die Maedchen zuendeten schuechtern die Lampen an und gingen weg; die Maenner aber legten Peter Munk einen Sack voll Laub als Kopfkissen auf die Ofenbank und wuenschten ihm gute Nacht. Kohlenmunk-Peter hatte noch nie so schwere Traeume gehabt wie in dieser Nacht; bald glaubte er, der finstere, riesige Hollaender-Michel reisse die Stubenfenster auf und reiche mit seinem ungeheuer langen Arm einen Beutel voll Goldstuecke herein, die er untereinander schuettelte, dass es hell und lieblich klang; bald sah er wieder das kleine, freundliche Glasmaennchen auf einer ungeheuren gruenen Flasche im Zimmer umherreiten, und er meinte das heisere Lachen wiederzuhoeren wie im Tannenbuehl; dann brummte es ihm wieder ins linke Ohr: "In Holland gibt's Gold! Koennet's haben, wenn Ihr wollt Um geringen Sold Gold, Gold!" Dann hoerte er wieder in sein rechtes Ohr das Liedchen vom Schatzhauser im gruenen Tannenwald, und eine zarte Stimme fluesterte: "Dummer Kohlenpeter, dummer Peter Munk, kannst kein Spruechlein reimen auf stehen, und bist doch am Sonntag geboren Schlag zwoelf Uhr. Reime, dummer Peter, reime!" Er aechzte, er stoehnte im Schlaf, er muehte sich ab, einen Reim zu finden, aber da er in seinem Leben noch keinen gemacht hatte, war seine Muehe im Traume vergebens. Als er aber mit dem ersten Fruehrot erwachte, kam ihm doch sein Traum sonderbar vor; er setzte sich mit verschraenkten Armen hinter den Tisch und dachte ueber die Einfluesterungen nach, die ihm noch immer im Ohr lagen; "reime, dummer Kohlenmunk-Peter, reime", sprach er zu sich und pochte mit dem Finger an seine Stirn, aber es wollte kein Reim hervorkommen. Als er noch so dasass und truebe vor sich hinschaute und an den Reim auf stehen dachte, da zogen drei Burschen vor dem Hause vorbei in den Wald, und einer sang im Voruebergehen: "Am Berge tat ich stehen, Und schaute in das Tal, Da hab' ich sie gesehen Zum allerletztenmal." Das fuhr wie ein leuchtender Blitz durch Peters Ohr, und hastig raffte er sich auf, stuerzte aus dem Haus, weil er meinte, nicht recht gehoert zu haben, sprang den drei Burschen nach und packte den Saenger hastig und unsanft beim Arm. "Halt, Freund!" rief er, "was habt Ihr da auf stehen gereimt, tut mir die Liebe und sprecht, was Ihr gesungen." "Was ficht's dich an, Bursche?" entgegnete der Schwarzwaelder. "Ich kann singen, was ich will, und lass gleich meinen Arm los, oder--" "Nein, sagen sollst du, was du gesungen hast!" schrie Peter beinahe ausser sich und packte ihn noch fester an; die zwei anderen aber, als sie dies sahen, zoegerten nicht lange, sondern fielen mit derben Faeusten ueber den armen Peter her und walkten ihn derb, bis er vor Schmerzen das Gewand des dritten liess und erschoepft in die Knie sank. "Jetzt hast du dein Teil", sprachen sie lachend, "und merk dir, toller Bursche, dass du Leute, wie wir sind, nimmer anfaellst auf offenem Wege." "Ach, ich will mir es gewisslich merken!" erwiderte Kohlenpeter seufzend, "aber so ich die Schlaege habe, seid so gut und saget deutlich, was jener gesungen!" Da lachten sie aufs neue und spotteten ihn aus; aber der das Lied gesungen, sagte es ihm vor, und lachend und singend zogen sie weiter. "Also sehen", sprach der arme Geschlagene, indem er sich muehsam aufrichtete, "sehen auf stehen--jetzt, Glasmaennlein, wollen wir wieder ein Wort zusammen sprechen." Er ging in die Huette, holte seinen Hut und den langen Stock, nahm Abschied von den Bewohnern der Huette und trat seinen Rueckweg nach dem Tannenbuehl an. Er ging langsam und sinnend seine Strasse, denn er musste ja einen Vers ersinnen; endlich, als er schon in dem Bereich des Tannenbuehls ging und die Tannen hoeher und dichter wurden, hatte er auch seinen Vers gefunden und machte vor Freude einen Sprung in die Hoehe. Da trat ein riesengrosser Mann in Floezerkleidung und eine Stange so lang wie ein Mastbaum in der Hand hinter den Tannen hervor. Peter Munk sank beinahe in die Knie, als er jenen langsamen Schrittes neben sich wandeln sah; denn er dachte, das ist der Hollaender-Michel und kein anderer. Noch immer schwieg die furchtbare Gestalt, und Peter schielte zuweilen furchtsam nach ihm hin. Er war wohl einen Kopf groesser als der laengste Mann, den Peter je gesehen; sein Gesicht war nicht mehr jung, doch auch nicht alt, aber voll Furchen und Falten; er trug ein Wams von Leinwand, und die ungeheuren Stiefel, ueber die Lederbeinkleider heraufgezogen, waren Peter aus der Sage wohlbekannt. "Peter Munk, was tust du im Tannenbuehl?" fragte der Waldkoenig endlich mit tiefer, droehnender Stimme. "Guten Morgen, Landsmann", antwortete Peter, indem er sich unerschrocken zeigen wollte, aber heftig zitterte, "ich will durch den Tannenbuehl nach Haus zurueck." "Peter Munk", erwiderte jener und warf einen stechenden, furchtbaren Blick nach ihm herueber, "dein Weg geht nicht durch diesen Hain." "Nun, so gerade just nicht", sagte jener, "aber es macht heute warm, da dachte ich, es wird hier kuehler sein." "Luege nicht, du, Kohlenpeter!" rief Hollaender-Michel mit donnernder Stimme, "oder ich schlag' dich mit der Stange zu Boden; meinst, ich hab' dich nicht betteln sehen bei dem Kleinen?" setzte er sanft hinzu. "Geh, geh, das war ein dummer Streich, und gut ist es, dass du das Spruechlein nicht wusstest; er ist ein Knauser, der kleine Kerl, und gibt nicht viel, und wem er gibt, der wird seines Lebens nicht froh. Peter, du bist ein armer Tropf und dauerst mich in der Seele; so ein munterer, schoener Bursche, der in der Welt was anfangen koennte, und sollst Kohlen brennen! Wenn andere grosse Taler oder Dukaten aus dem Aermel schuetteln, kannst du kaum ein paar Sechser aufwenden; 's ist ein aermlich Leben." "Wahr ist's, und recht habt Ihr, ein elendes Leben." "Na, mir soll's nicht drauf ankommen", fuhr der schreckliche Michel fort, "hab' schon manchem braven Kerl aus der Not geholfen, und du waerest nicht der erste. Sag' einmal, wieviel hundert Taler brauchst du fuers erste?" Bei diesen Worten schuettelte er das Geld in seiner ungeheuren Tasche untereinander, und es klang wieder wie diese Nacht im Traum. Aber Peters Herz zuckte aengstlich und schmerzhaft bei diesen Worten, es wurde ihm kalt und warm, und der Hollaender-Michel sah nicht aus, wie wenn er aus Mitleid Geld wegschenkte, ohne etwas dafuer zu verlangen. Es fielen ihm die geheimnisvollen Worte des alten Mannes ueber die reichen Menschen ein, und von unerklaerlicher Angst und Bangigkeit gejagt, rief er: "Schoenen Dank, Herr! Aber mit Euch will ich nichts zu schaffen haben, und ich kenn' Euch schon", und lief, was er laufen konnte. Aber der Waldgeist schritt mit ungeheuren Schritten neben ihm her und murmelte dumpf und drohend: "Wirst's noch bereuen, Peter, auf deiner Stirne steht's geschrieben, in deinem Auge ist's zu lesen; du entgehst mir nicht. Lauf nicht so schnell, hoere nur noch ein vernuenftges Wort, dort ist schon meine Grenze!" Aber als Peter dies hoerte und unweit vor ihm einen kleinen Graben sah, beeilte er sich nur noch mehr, ueber die Grenze zu kommen, so dass Michel am Ende schneller laufen musste und unter Fluechen und Drohungen ihn verfolgte. Der junge Mann setzte mit einem verzweifelten Sprung ueber den Graben; denn er sah, wie der Waldgeist mit seiner Stange ausholte und sie auf ihn niederschmettern lassen wollte; er kam gluecklich jenseits an, und die Stange zersplitterte in der Luft, wie an einer unsichtbaren Mauer, und ein langes Stueck fiel zu, Peter herueber. Triumphierend hob er es auf, um es dem groben Hollaender-Michel zuzuwerfen; aber in diesem Augenblick fuehlte er das Stueck Holz in seiner Hand sich bewegen, und zu seinem Entsetzen sah er, dass es eine ungeheure Schlange sei, was er in der Hand hielt, die sich schon mit geifernder Zunge und mit blitzenden Augen an ihm hinaufbaeumte. Er liess sie los; aber sie hatte sich schon fest um seinen Arm gewickelt und kam mit schwankendem Kopfe seinem Gesicht immer naeher; da rauschte auf einmal ein ungeheurer Auerhahn nieder, packte den Kopf der Schlange mit dem Schnabel, erhob sich mit ihr in die Luefte, und Hollaender-Michel, der dies alles von dem Graben aus gesehen hatte, heulte und schrie und raste, als die Schlange von einem Gewaltigeren entfuehrt ward. Erschoepft und zitternd setzte Peter seinen Weg fort; der Pfad wurde steiler, die Gegend wilder, und bald befand er sich an der ungeheuren Tanne. Er machte wieder seine Verbeugungen gegen das unsichtbare Glasmaennlein und hub dann an: "Schatzhauser im gruenen Tannenwald, Bist schon viel hundert Jahre alt, Dein ist all Land, wo Tannen stehn, Laesst dich nur Sonntagskindern sehn." "Hast's zwar nicht ganz getroffen; aber weil du es bist, Kohlenmunk-Peter, so soll es hingehen", sprach eine zarte, feine Stimme neben ihm. Erstaunt sah er sich um, und unter einer schoenen Tanne sass ein kleines, altes Maennlein in schwarzem Wams und roten Struempfen und den grossen Hut auf dem Kopf. Er hatte ein feines, freundliches Gesichtchen und ein Baertchen so zart wie aus Spinnweben; er rauchte, was sonderbar anzusehen war, aus einer Pfeife von blauem Glas, und als Peter naeher trat, sah er zu seinem Erstaunen, dass auch Kleider, Schuhe und Hut des Kleinen aus gefaerbtem Glas bestanden; aber es war geschmeidig, als ob es noch heiss waere; denn es schmiegte sich wie Tuch nach jeder Bewegung des Maennleins. "Du bist dem Flegel begegnet, dem Hollaender-Michel?" sagte der Kleine, indem er zwischen jedem Wort sonderbar huestelte, "er hat dich recht aengstigen wollen, aber seinen Kunstpruegel habe ich ihm abgejagt, den soll er nimmer wiederkriegen." "Ja, Herr Schatzhauser", erwiderte Peter mit einer tiefen Verbeugung, "es war mir recht bange. Aber Ihr seid wohl der Herr Auerhahn gewesen, der die Schlange totgebissen; da bedanke ich mich schoenstens. Ich komme aber, um mir Rat zu holen bei Euch; es geht mir gar schlecht und hinderlich; ein Kohlenbrenner bringt es nicht weit, und da ich noch jung bin, daechte ich doch, es koennte noch was Besseres aus mir werden; und wenn ich oft andere sehe, wie weit die es in kurzer Zeit gebracht haben; wenn ich nur den Ezechiel nehme und den Tanzbodenkoenig, die haben Geld wie Heu." "Peter", sagte der Kleine sehr ernst und blies den Rauch aus seiner Pfeife weit hinweg; "Peter, sag mir nichts von _diesen_. Was haben sie davon, wenn sie hier ein paar Jahre dem Schein nach gluecklich und dann nachher desto ungluecklicher sind? Du musst dein Handwerk nicht verachten; dein Vater und Grossvater waren Ehrenleute und haben es auch getrieben, Peter Munk! Ich will nicht hoffen, dass es Liebe zum Muessiggang ist, was dich zu mir fuehrt." Peter erschrak vor dem Ernst des Maennleins und erroetete. "Nein", sagte er, "Muessiggang ist aller Laster Anfang, aber das koennet Ihr mir nicht uebelnehmen, wenn mir ein anderer Stand besser gefaellt als der meinige. Ein Kohlenbrenner ist halt so gar etwas Geringes auf der Welt, und die Glasleute und Floezer und Uhrmacher und alle sind angesehener." "Hochmut kommt oft vor dem Fall", erwiderte der kleine Herr vom Tannenwald etwas freundlicher. "Ihr seid ein sonderbar Geschlecht, ihr Menschen! Selten ist einer mit dem Stand ganz zufrieden, in dem er geboren und erzogen ist, und was gilt's, wenn du ein Glasmann waerest, moechtest du gern ein Holzherr sein, und waerest du Holzherr, so stuende dir des Foersters Dienst oder des Amtmanns Wohnung an. Aber es sei: Wenn du versprichst, brav zu arbeiten, so will ich dir zu etwas Besserem verhelfen, Peter. Ich pflege jedem Sonntagskind, das sich zu mir zu finden weiss, drei Wuensche zu gewaehren. Die ersten zwei sind frei; den dritten kann ich verweigern, wenn er toericht ist. So wuensche dir also jetzt etwas; aber--Peter, etwas Gutes und Nuetzliches!" "Heisa! Ihr seid ein treffliches Glasmaennlein, und mit Recht nennt man Euch Schatzhauser, denn bei Euch sind die Schaetze zu Hause. Nu--und also darf ich wuenschen, wonach mein Herz begehrt, so will ich denn fuers erste, dass ich noch besser tanzen koenne als der Tanzbodenkoenig; und jedesmal noch einmal so viel Geld ins Wirtshaus bringe als er." "Du Tor!" erwiderte der Kleine zuernend. "Welch ein erbaermlicher Wunsch ist dies, gut tanzen zu koennen und Geld zum Spiel zu haben! Schaemst du dich nicht, dummer Peter, dich selbst so um dein Glueck zu betruegen? Was nuetzt es dir und deiner armen Mutter, wenn du tanzen kannst? Was nuetzt dir dein Geld, das nach deinem Wunsch nur fuer das Wirtshaus ist und wie das des elenden Tanzbodenkoenigs dort bleibt? Dann hast du wieder die ganze Woche nichts und darbst wie zuvor. Noch einen Wunsch gebe ich dir frei; aber sieh dich vor, dass du vernuenftiger wuenschest!" Peter kratzte sich hinter den Ohren und sprach nach einigem Zoegern: "Nun, so wuensche ich mir die schoenste und reichste Glashuette im ganzen Schwarzwald mit allem Zubehoer und Geld, sie zu leiten." "Sonst nichts?" fragte der Kleine mit besorglicher Miene. "Peter, sonst nichts?" "Nun--Ihr koennet noch ein Pferd dazutun und ein Waegelchen--" "Oh, du dummer Kohlenmunk-Peter!" rief der Kleine und warf seine glaeserne Pfeife im Unmut an eine dicke Tanne, dass sie in hundert Stuecke sprang. "Pferde? Waegelchen? Verstand, sag' ich dir, Verstand, gesunden Menschenverstand und Einsicht haettest du wuenschen sollen, aber nicht Pferdchen und Waegelchen. Nun, werde nur nicht so traurig, wir wollen sehen, dass es auch so nicht zu deinem Schaden ist; denn der zweite Wunsch war im ganzen nicht toericht. Eine gute Glashuette naehrt auch ihren Mann und Meister; nur haettest du Einsicht und Verstand dazu mitnehmen koennen, Wagen und Pferde waeren dann wohl von selbst gekommen." "Aber, Herr Schatzhauser", erwiderte Peter, "ich habe ja noch einen Wunsch uebrig; da koennte ich ja Verstand wuenschen, wenn er mir so noetig ist, wie Ihr meinet." "Nichts da; du wirst noch in manche Verlegenheit kommen, wo du froh sein wirst, wenn du noch _einen_ Wunsch frei hast; und nun mache dich auf den Weg nach Hause. Hier sind", sprach der kleine Tannengeist, indem er ein kleines Beutelein aus der Tasche zog, "hier sind zweitausend Gulden, und damit genug, und komm mir nicht wieder, um Geld zu fordern, denn dann muesste ich dich an die hoechste Tanne aufhaengen! So hab' ich's gehalten, seit ich in dem Wald wohne. Vor drei Tagen aber ist der alte Winkfritz gestorben, der die grosse Glashuette gehabt hat im Unterwald. Dorthin gehe morgen fruehe und mach ein Bot auf das Gewerbe, wie es recht ist! Halt dich wohl, sei fleissig, und ich will dich zuweilen besuchen und dir mit Rat und Tat an die Hand gehen, weil du dir doch keinen Verstand erbeten. Aber, das sag' ich dir ernstlich, dein erster Wunsch war boese. Nimm dich in acht vor dem Wirtshauslaufen, Peter! 's hat noch bei keinem lange gut getan." Das Maennlein hatte, waehrend es dies sprach, eine neue Pfeife vom schoensten Beinglas hervorgezogen, sie mit gedoerrten Tannenzapfen gestopft und in den kleinen, zahnlosen Mund gesteckt. Dann zog es ein ungeheures Brennglas hervor, trat in die Sonne und zuendete seine Pfeife an. Als er damit fertig war, bot er dem Peter freundlich die Hand, gab ihm noch ein paar gute Lehren auf den Weg, rauchte und blies immer schneller und verschwand endlich in einer Rauchwolke, die nach echtem hollaendischem Tabak roch und, langsam sich kraeuselnd, in den Tannenwipfeln vorschwebte. Als Peter nach Hause kam, fand er seine Mutter sehr in Sorgen um ihn; denn die gute Frau glaubte nicht anders, als ihr Sohn sei zum Soldaten ausgehoben worden. Er aber war froehlich und guter Dinge und erzaehlte ihr, wie er im Walde einen guten Freund getroffen, der ihm Geld vorgeschossen habe, um ein anderes Geschaeft als Kohlenbrennen anzufangen. Obgleich seine Mutter schon seit dreissig Jahren in der Koehlerhuette wohnte und an den Anblick berusster Leute so gewoehnt war als jede Muellerin an das Mehlgesicht ihres Mannes, so war sie doch eitel genug, sobald ihr Peter ein glaenzenderes Los zeigte, ihren frueheren Stand zu verachten und sprach: "Ja, als Mutter eines Mannes, der eine Glashuette besitzt, bin ich doch was anderes als Nachbarin Grete und Bete und setze mich in Zukunft vornehin in der Kirche, wo rechte Leute sitzen." Ihr Sohn aber wurde mit den Erben der Glashuette bald handelseinig; er behielt die Arbeiter, die er vorfand, bei sich und liess nun Tag und Nacht Glas machen. Anfangs gefiel ihm das Handwerk wohl; er pflegte gemaechlich in die Glashuette hinabzusteigen, ging dort mit vornehmen Schritten, die Haende in die Taschen gesteckt, hin und her, guckte dahin, guckte dorthin, sprach dies und jenes, worueber seine Arbeiter oft nicht wenig lachten, und seine groesste Freude war, das Glas blasen zu sehen, und oft machte er sich selbst an die Arbeit und formte aus der noch weichen Masse die sonderbarsten Figuren. Bald aber war ihm die Arbeit entleidet, und er kam zuerst nur noch eine Stunde des Tages in die Huette, dann nur alle zwei Tage, endlich die Woche nur einmal, und seine Gesellen machten, was sie wollten. Das alles kam aber nur vom Wirtshauslaufen. Den Sonntag, nachdem er vom Tannenbuehl zurueckgekommen war, ging er ins Wirtshaus, und wer schon auf dem Tanzboden sprang, war der Tanzbodenkoenig, und der dicke Ezechiel sass auch schon hinter der Masskanne und knoechelte um Kronentaler. Da fuhr Peter schnell in die Tasche, zu sehen, ob ihm das Glasmaennlein Wort gehalten, und siehe, seine Tasche strotzte von Silber und Gold. Auch in seinen Beinen zuckte und drueckte es, wie wenn sie tanzen und springen wollten, und als der erste Tanz zu Ende war, stellte er sich mit seiner Taenzerin oben an neben den Tanzbodenkoenig, und sprang dieser drei Schuh hoch, so flog Peter vier, und machte dieser wunderliche und zierliche Schritte, so verschlang und drehte Peter seine Fuesse, dass alle Zuschauer vor Lust und Verwunderung beinahe ausser sich kamen. Als man aber auf dem Tanzboden vernahm, dass Peter eine Glashuette gekauft habe, als man sah, dass er, so oft er an den Musikanten vorbeitanzte, ihnen einen Sechsbaetzner zuwarf, da war des Staunens kein Ende. Die einen glaubten, er habe einen Schatz im Walde gefunden, die anderen meinten, er habe eine Erbschaft getan, aber alle verehrten ihn jetzt und hielten ihn fuer einen gemachten Mann, nur weil er Geld hatte. Verspielte er doch noch an demselben Abend zwanzig Gulden, und nichtsdestominder rasselte und klang es in seiner Tasche, wie wenn noch hundert Taler darin waeren. Als Peter sah, wie angesehen er war, wusste er sich vor Freude und Stolz nicht zu fassen. Er warf das Geld mit vollen Haenden weg und teilte es den Armen reichlich mit, wusste er doch, wie ihn selbst einst die Armut gedrueckt hatte. Des Tanzbodenkoenigs Kuenste wurden vor den uebernatuerlichen Kuensten des neuen Taenzers zuschanden, und Peter fuehrte jetzt den Namen Tanz-Kaiser. Die unternehmendsten Spieler am Sonntag wagten nicht so viel wie er, aber sie verloren auch nicht so viel. Und je mehr er verlor, desto mehr gewann er. Das verhielt sich aber ganz so, wie er es vom kleinen Glasmaennlein verlangt hatte. Er hatte sich gewuenscht, immer so viel Geld in der Tasche zu haben, wie der dicke Ezechiel. Und gerade dieser war es, an welchen er sein Geld verspielte. Und wenn er zwanzig, dreissig Gulden auf einmal verlor, so hatte er sie alsbald wieder in der Tasche, wenn sie Ezechiel einstrich. Nach und nach brachte er es aber im Schlemmen und Spielen weiter als die schlechtesten Gesellen im Schwarzwald, und man nannte ihn oefter Spielpeter als Tanzkaiser; denn er spielte jetzt auch beinahe an allen Werktagen. Darueber kam aber seine Glashuette nach und nach in Verfall, und daran war Peters Unverstand schuld. Glas liess er machen, so viel man immer machen konnte; aber er hatte mit der Huette nicht zugleich das Geheimnis gekauft, wohin man es am besten verschleissen koenne. Er wusste am Ende mit der Menge Glas nichts anzufangen und verkaufte es um den halben Preis an herumziehende Haendler, nur um seine Arbeiter bezahlen zu koennen. Eines Abends ging er auch wieder vom Wirtshaus heim und dachte trotz des vielen Weines, den er getrunken, um sich froehlich zu machen, mit Schrecken und Gram an den Verfall seines Vermoegens. Da bemerkte er auf einmal, dass jemand neben ihm gehe; er sah sich um, und siehe da--es war das Glasmaennlein. Da geriet er in Zorn und Eifer, vermass sich hoch und teuer und schwur, der Kleine sei an all seinem Unglueck schuld. "Was tu' ich nun mit Pferd und Waegelchen?" rief er. "Was nutzt mir die Huette und all mein Glas? Selbst als ich noch ein elender Koehlersbursch war, lebte ich froher und hatte keine Sorgen. Jetzt weiss ich nicht, wann der Amtmann kommt und meine Habe schaetzt und versteigert, der Schulden wegen!" "So?" entgegnete das Glasmaennlein. "So? Ich also soll schuld daran sein, wenn du ungluecklich bist? Ist dies der Dank fuer meine Wohltaten? Wer hiess dich so toericht wuenschen? Ein Glasmann wolltest du sein und wusstest nicht, wohin dein Glas verkaufen? Sagte ich dir nicht, du solltest behutsam wuenschen? Verstand, Peter, Klugheit hat dir gefehlt." "Was, Verstand und Klugheit!" rief jener. "Ich bin ein so kluger Bursche als irgendeiner und will es dir zeigen, Glasmaennlein", und bei diesen Worten fasste er das Maennlein unsanft am Kragen und schrie: "Hab' ich dich jetzt, Schatzhauser im gruenen Tannenwald? Und den dritten Wunsch will ich jetzt tun, den sollst du mir gewaehren. Und so will ich hier auf der Stelle zweimalhunderttausend harte Taler und ein Haus und o weh!" schrie er und schuettelte die Hand; denn das Waldmaennlein hatte sich in gluehendes Glas verwandelt und brannte in seiner Hand wie spruehendes Feuer. Aber von dem Maennlein war nichts mehr zu sehen. Mehrere Tage lang erinnerte ihn seine geschwollene Hand an seine Undankbarkeit und Torheit. Dann aber uebertaeubte er sein Gewissen und sprach: "Und wenn sie mir die Glashuette und alles verkaufen, so bleibt mir doch immer der dicke Ezechiel. So lange der Geld hat am Sonntag, kann es mir nicht fehlen." Ja, Peter! Aber wenn er keines hat?--Und so geschah es eines Tages und war ein wunderliches Rechenexempel. Denn eines Sonntags kam er angefahren ans Wirtshaus, und die Leute streckten die Koepfe durch die Fenster, und der eine sagte, da kommt der Spielpeter, und der andere, ja, der Tanzkaiser, der reiche Glasmann, und ein dritter schuettelte den Kopf und sprach: "Mit dem Reichtum kann man es machen, man sagt allerlei von seinen Schulden, und in der Stadt hat einer gesagt, der Amtmann werde nicht mehr lange saeumen zum Auspfaenden." Indessen gruesste der reiche Peter die Gaeste am Fenster vornehm und gravitaetisch, stieg vom Wagen und schrie: "Sonnenwirt, guten Abend, ist der dicke Ezechiel schon da?" Und eine tiefe Stimme rief: "Nur herein, Peter! Dein Platz ist dir aufbehalten, wir sind schon da und bei den Karten." So trat Peter Munk in die Wirtsstube, fuhr gleich in die Tasche und merkte, dass Ezechiel gut versehen sein muesse; denn seine Tasche war bis oben angefuellt. Er setzte sich hinter den Tisch zu den anderen und gewann und verlor hin und her, und so spielten sie, bis andere ehrliche Leute nach Hause gingen, und spielten bei Licht, bis zwei andere Spieler sagten: "Jetzt ist's genug, und wir muessen heim zu Frau und Kind." Aber Spielpeter forderte den dicken Ezechiel auf zu bleiben. Dieser wollte lange nicht, endlich aber rief er: "Gut, jetzt will ich mein Geld zaehlen, und dann wollen wir knoechern, den Satz um fuenf Gulden; denn niederer ist es doch nur Kinderspiel." Er zog den Beutel und zaehlte und fand hundert Gulden bar, und Spielpeter wusste nun, wieviel er selbst habe, und brauchte es nicht erst zu zaehlen. Aber hatte Ezechiel vorher gewonnen, so verlor er jetzt Satz fuer Satz und fluchte greulich dabei. Warf er einen Pasch, gleich warf Spielpeter auch einen und immer zwei Augen hoeher. Da setzte er endlich die letzten fuenf Gulden auf den Tisch und rief: "Noch einmal, und wenn ich auch den noch verliere, so hoere ich doch nicht auf; dann leihst du mir von deinem Gewinn, Peter! Ein ehrlicher Kerl hilft dem anderen." "Soviel du willst, und wenn es hundert Gulden sein sollten", sprach der Tanzkaiser, froehlich ueber seinen Gewinn, und der dicke Ezechiel schuettelte die Wuerfel und warf fuenfzehn. "Pasch!" rief er, "jetzt wollen wir sehen!" Peter aber warf achtzehn, und eine heisere bekannte Stimme hinter ihm sprach: "So, das war der letzte." Er sah sich um, und riesengross stand der Hollaender-Michel hinter ihm. Erschrocken liess er das Geld fallen, das er schon eingezogen hatte. Aber der dicke Ezechiel sah den Waldmann nicht, sondern verlangte, der Spielpeter sollte ihm zehn Gulden vorstrecken zum Spiel; halb im Traum fuhr dieser mit der Hand in die Tasche, aber da war kein Geld, er suchte in der anderen Tasche, aber auch da fand sich nichts, er kehrte den Rock um, aber es fiel kein roter Heller heraus, und jetzt erst gedachte er seines eigenen ersten Wunsches, immer soviel Geld zu haben als der dicke Ezechiel. Wie Rauch war alles verschwunden. Der Wirt und Ezechiel sahen ihn staunend an, als er immer suchte und sein Geld nicht finden konnte, sie wollten ihm nicht glauben, dass er keines mehr habe, aber als sie endlich selbst in seinen Taschen suchten, wurden sie zornig und schwuren, der Spielpeter sei ein boeser Zauberer und habe all das gewonnene Geld und sein eigenes nach Hause gewuenscht. Peter verteidigte sich standhaft; aber der Schein war gegen ihn. Ezechiel sagte, er wolle die schreckliche Geschichte allen Leuten im Schwarzwald erzaehlen, und der Wirt versprach ihm, morgen mit dem fruehesten in die Stadt zu gehen und Peter Munk als Zauberer anzuklagen, und er wolle es erleben, setzte er hinzu, dass man ihn verbrenne. Dann fielen sie wuetend ueber ihn her, rissen ihm das Wams vom Leib und warfen ihn zur Tuer hinaus. Kein Stern schien am Himmel, als Peter truebselig seiner Wohnung zuschlich; aber dennoch konnte er eine dunkle Gestalt erkennen, die neben ihm herschritt und endlich sprach: "Mit dir ist's aus, Peter Munk, all deine Herrlichkeit ist zu Ende, und das haett' ich dir schon damals sagen koennen, als du nichts von mir hoeren wolltest und zu dem dummen Glaszwerg liefst. Da siehst du jetzt, was man davon hat, wenn man meinen Rat verachtet. Aber versuch es einmal mit mir, ich habe Mitleiden mit deinem Schicksal. Noch keinen hat es gereut, der sich an mich wandte, und wenn du den Weg nicht scheust, morgen den ganzen Tag bin ich am Tannenbuehl zu sprechen, wenn du mich rufst." Peter merkte wohl, wer so zu ihm spreche; aber es kam ihn ein Grauen an. Er antwortete nichts, sondern lief seinem Haus zu. Bei diesen Worten wurde der Erzaehler durch ein Geraeusch vor der Schenke unterbrochen. Man hoerte einen Wagen anfahren, mehrere Stimmen riefen nach Licht, es wurde heftig an das Hoftor gepocht, und dazwischen heulten mehrere Hunde. Die Kammer, die man dem Fuhrmann und den Handwerksburschen angewiesen hatte, ging nach der Strasse hinaus; die vier Gaeste sprangen auf und liefen dorthin, um zu sehen, was vorgefallen sei. Soviel sie bei dem Schein einer Laterne sehen konnten, stand ein grosser Reisewagen vor der Schenke; soeben war ein grosser Mann beschaeftigt, zwei verschleierte Frauen aus dem Wagen zu heben, und einen Kutscher in Livree sah man die Pferde abspannen, ein Bediensteter aber schnallte den Koffer los. "Diesen sei Gott gnaedig", seufzte der Fuhrmann. "Wenn diese mit heiler Haut aus der Schenke kommen, so ist mir fuer meinen Karren auch nicht mehr bange." "Stille!" fluesterte der Student. "Mir ahnet, dass man eigentlich nicht uns, sondern dieser Dame auflauert; wahrscheinlich waren sie unten schon von ihrer Reise unterrichtet. Wenn man sie nur warnen koennte! Doch halt! Es ist im ganzen Wirtshaus kein anstaendiges Zimmer fuer die Damen als das neben dem meinigen. Dorthin wird man sie fuehren. Bleibet ihr ruhig in dieser Kammer; ich will die Bediensteten zu unterrichten suchen." Der junge Mann schlich sich auf sein Zimmer, loeschte die Kerzen aus und liess nur das Licht brennen, das ihm die Wirtin gegeben. Dann lauschte er an der Tuere. Bald kam die Wirtin mit den Damen die Treppe herauf und fuehrte sie mit freundlichen, sanften Worten in das Zimmer nebenan. Sie redete ihren Gaesten zu, sich bald niederzulegen, weil sie von der Reise erschoepft sein wuerden; dann ging sie wieder hinab. Bald darauf hoerte der Student schwere maennliche Tritte die Treppe heraufkommen. Er oeffnete behutsam die Tuere und erblickte durch eine kleine Spalte den grossen Mann, welcher die Damen aus dem Wagen gehoben. Er trug ein Jagdkleid und hatte einen Hirschfaenger an der Seite und war wohl der Reisestallmeister oder Begleiter der fremden Damen. Als der Student merkte, dass dieser allein heraufgekommen war, oeffnete er schnell die Tuer und winkte dem Mann, zu ihm einzutreten. Verwundert trat dieser naeher, und ehe er noch fragen konnte, was man von ihm wolle, fluesterte ihm jener zu: "Mein Herr! Sie sind heute nacht in eine Raeuberschenke geraten." Der Mann erschrak; der Student zog ihn aber vollends in seine Tuere und erzaehlte ihm, wie verdaechtig es in diesem Hause aussehe. Der Jaeger wurde sehr besorgt, als er dies hoerte; er belehrte den jungen Mann, dass die Damen, eine Graefin und ihre Kammerfrau, anfaenglich die ganze Nacht durch haben fahren wollen; aber etwa eine halbe Stunde von dieser Schenke sei ihnen ein Reiter begegnet, der sie angerufen und gefragt habe, wohin sie reisen wollten. Als er vernommen, dass sie gesonnen seien, die ganze Nacht durch den Spessart zu reisen, habe er ihnen abgeraten, indem es gegenwaertig sehr unsicher sei. "Wenn Ihnen am Rat eines redlichen Mannes etwas liegt", habe er hinzugesetzt, "so stehen Sie ab von diesem Gedanken; es liegt nicht weit von hier eine Schenke; so schlecht und unbequem sie sein mag, so uebernachten Sie lieber daselbst, als dass Sie sich in dieser dunklen Nacht unnoetig der Gefahr preisgeben." Der Mann, der ihnen dies geraten, habe sehr ehrlich und rechtlich ausgesehen, und die Graefin habe in der Angst vor einem Raeuberanfall befohlen, an dieser Schenke stille zu halten. Der Jaeger hielt es fuer seine Pflicht, die Damen von der Gefahr, worin sie schwebten, zu unterrichten. Er ging in das andere Zimmer, und bald darauf oeffnete er die Tuere, welche von dem Zimmer der Graefin in das des Studenten fuehrte. Die Graefin, eine Dame von etwa vierzig Jahren, trat, vor Schrecken bleich, zu dem Studenten heraus und liess sich alles noch einmal von ihm wiederholen. Dann beriet man sich, was in dieser misslichen Lage zu tun sei, und beschloss, so behutsam als moeglich die zwei Bediensteten, den Fuhrmann und die Handwerksburschen herbeizuholen, um im Fall eines Angriffs wenigstens gemeinsame Sache machen zu koennen. Als dieses bald darauf geschehen war, wurde das Zimmer der Graefin gegen den Hausflur hin verschlossen und mit Kommoden und Stuehlen verrammelt. Sie setzte sich mit ihrer Kammerfrau aufs Bette, und die zwei Bediensteten hielten bei ihr Wache. Die frueheren Gaeste aber und der Jaeger setzten sich im Zimmer des Studenten um den Tisch und beschlossen, die Gefahr zu erwarten. Es mochte jetzt etwa zehn Uhr sein, im Hause war alles ruhig und still, und noch machte man keine Miene, die Gaeste zu stoeren. Da sprach der Zirkelschmied: "Um wach zu bleiben, waere es wohl das beste, wir machten es wieder wie zuvor; wir erzaehlten naemlich, was wir von allerlei Geschichten wissen, und wenn der Herr Jaeger nichts dagegen hat, so koennten wir weiter fortfahren." Der Jaeger aber hatte nicht nur nichts dagegen einzuwenden, sondern um seine Bereitwilligkeit zu zeigen, versprach er, selbst etwas zu erzaehlen. Er hub an: Saids Schicksale Wilhelm Hauff Zur Zeit Harun Al-Raschids, des Beherrschers von Bagdad, lebte ein Mann in Balsora, mit Namen Benazar. Er hatte gerade so viel Vermoegen, um fuer sich bequem und ruhig leben zu koennen, ohne ein Geschaeft oder einen Handel zu treiben. Auch als ihm ein Sohn geboren wurde, ging er von dieser Weise nicht ab; "warum soll ich in meinem Alter noch schachern und handeln", sprach er zu seinen Nachbarn, "um vielleicht Said, meinem Sohn, tausend Goldstuecke mehr hinterlassen zu koennen, wenn es gut geht, und geht es schlecht, tausend weniger? Wo zwei speisen, wird auch ein dritter satt, sagt das Sprichwort, und wenn er nur sonst ein guter Junge wird, soll es ihm an nichts fehlen." So sprach Benazar und hielt Wort; denn er liess auch seinen Sohn nicht zum Handel oder einem Gewerbe erziehen, doch unterliess er nicht, die Buecher der Weisheit mit ihm zu lesen, und da nach seiner Ansicht einen jungen Mann ausser Gelehrsamkeit und Ehrfurcht vor dem Alter nichts mehr zierte als ein gewandter Arm und Mut, so liess er ihn fruehe in den Waffen unterweisen, und Said galt bald unter seinen Altersgenossen, ja selbst unter aelteren Juenglingen, fuer einen gewaltigen Kaempfer, und im Reiten und Schwimmen tat es ihm keiner zuvor. Als er achtzehn Jahre alt war, schickte ihn sein Vater nach Mekka zum Grab des Propheten, um an Ort und Stelle sein Gebet und seine religioesen Uebungen zu verrichten, wie es Sitte und Gebot erfordern. Ehe er abreiste, liess ihn sein Vater noch einmal vor sich kommen, lobte seine Auffuehrung, gab ihm gute Lehren, versah ihn mit Geld und sprach dann: "Noch etwas, mein Sohn Said! Ich bin ein Mann, der ueber die Vorurteile des Poebels erhaben ist. Ich hoere zwar gerne Geschichten von Feen und Zauberern erzaehlen, weil mir die Zeit dabei angenehm vergeht, doch bin ich weit entfernt, daran zu glauben, wie so viele unwissende Menschen tun, dass diese Genien, oder wer sie sonst sein moegen, Einfluss auf das Leben und Treiben der Menschen haben. Deine Mutter aber, sie ist jetzt zwoelf Jahre tot, deine Mutter glaubte so fest daran als an den Koran; ja, sie hat mir in einer einsamen Stunde, nachdem ich ihr geschworen, es niemand als ihrem Kinde zu entdecken, vertraut, dass sie selbst von ihrer Geburt an mit einer Fee in Beruehrung gestanden habe. Ich habe sie deswegen ausgelacht, und doch muss ich gestehen, Said, dass bei deiner Geburt einige Dinge vorfielen, die mich selbst in Erstaunen setzten. Es hatte den ganzen Tag geregnet und gedonnert, und der Himmel war so schwarz, dass man nichts lesen konnte ohne Licht. Aber um vier Uhr nachmittags sagte man mir an, es sei mir ein Knaeblein geboren. Ich eilte nach den Gemaechern deiner Mutter, um meinen Erstgeborenen zu sehen und zu segnen; aber alle ihre Zofen standen vor der Tuere, und auf meine Fragen antworteten sie, dass jetzt niemand in das Zimmer treten duerfe; Zemira, deine Mutter, habe alle hinausgehen heissen, weil sie allein sein wolle. Ich pochte an die Tuere, aber umsonst; sie blieb verschlossen. Waehrend ich so halb unwillig unter den Zofen vor der Tuere stand, klaerte sich der Himmel so ploetzlich auf, wie ich es nie gesehen hatte, und das Wunderbarste war, dass nur ueber unserer lieben Stadt Balsora eine reine blaue Himmelswoelbung erschien; ringsum aber lagen die Wolken schwarz aufgerollt, und Blitze zuckten und schlaengelten sich in diesem Umkreis. Waehrend ich noch dieses Schauspiel neugierig betrachtete, flog die Tuere meiner Gattin auf; ich aber liess die Maegde noch aussen harren und trat allein in das Gemach, deine Mutter zu fragen, warum sie sich eingeschlossen habe. Als ' ich eintrat, quoll mir ein so betaeubender Geruch von Rosen, Nelken und Hyazinthen entgegen, dass ich beinahe verwirrt wurde. Deine Mutter brachte mir dich dar und deutete zugleich auf ein silbernes Pfeifchen, das du um den Hals an einer goldenen Kette, so fein wie Seide, trugst: "Die guetige Frau, von welcher ich dir einst erzaehlte, ist dagewesen", sprach deine Mutter, "sie hat deinem Knaben dieses Angebinde gegeben. "--"Das war also die Hexe, die das Wetter schoen machte und diesen Rosen- und Nelkenduft hinterliess?" sprach ich lachend und unglaeubig. "Aber sie haette etwas Besseres bescheren koennen als dieses Pfeifchen, etwa einen Beutel voll Gold, ein Pferd oder dergleichen!" Deine Mutter beschwor mich, nicht zu spotten, weil die Feen, leicht erzuernt, ihren Segen in Unsegen verwandeln. Ich tat es ihr zu Gefallen und schwieg, weil sie krank war, wir sprachen auch nicht mehr von dem sonderbaren Vorfall bis sechs Jahre nachher, als sie fuehlte, dass sie, so jung sie noch war, sterben muesse. Da gab sie mir das Pfeifchen, trug mir auf, es einst, wenn du zwanzig Jahre alt seiest, dir zu geben; denn keine Stunde zuvor duerfte ich dich von mir lassen. Sie starb. Eher ist nun das Geschenk", fuhr Benazar fort, indem er ein silbernes Pfeifchen an einer langen goldenen Kette aus einem Kaestchen hervorsuchte, "und ich gebe es dir in deinem achtzehnten statt in deinem zwanzigsten Jahre, weil du abreisest und ich vielleicht, ehe du heimkehrst, zu meinen Vaetern versammelt werde. Ich sehe keinen vernuenftigen Grund ein, warum du noch zwei Jahre hier bleiben sollst, wie es deine besorgte Mutter wuenschte. Du bist ein guter und gescheiter Junge; fuehrst die Waffen so gut als einer von vierundzwanzig Jahren, daher kann ich dich heute ebensogut fuer muendig erklaeren, als waerest du schon zwanzig. Und nun ziehe in Frieden und denke im Glueck und Unglueck, vor welchem der Himmel dich bewahren wolle, an deinen Vater!" So sprach Benazar von Balsora, als er seinen Sohn entliess. Said nahm bewegt von ihm Abschied, hing die Kette um den Hals, steckte das Pfeifchen in den Guertel, schwang sich aufs Pferd und ritt nach dem Ort, wo sich die Karawane nach Mekka versammelte. In kurzer Zeit waren an achtzig Kamele und viele hundert Reiter beisammen; die Karawane setzte sich in Marsch, und Said ritt aus dem Tor von Balsora, seiner Vaterstadt, die er in langer Zeit nicht mehr sehen sollte. Das Neue einer solchen Reise und die mancherlei niegesehenen Gegenstaende, die sich ihm aufdraengten, zerstreuten ihn anfangs; als man sich aber der Wueste naeherte und die Gegend immer oeder und einsamer wurde, da fing er an, ueber manches nachzudenken und unter anderem auch ueber die Worte, womit ihn Benazar, sein Vater, entlassen hatte. Er zog das Pfeifchen hervor, beschaute es hin und her und setzte es endlich an den Mund, um einen Versuch zu machen, ob es vielleicht einen recht hellen und schoenen Ton von sich gebe; aber siehe, es toente nicht, er blaehte die Backen auf und blies aus Leibeskraeften, aber er konnte keinen Ton hervorbringen, und, unwillig ueber das nutzlose Geschenk, steckte er das Pfeifchen wieder in den Guertel. Aber bald richteten sich alle seine Gedanken wieder auf die geheimnisvollen Worte seiner Mutter; er hatte von Feen manches gehoert; aber nie hatte er erfahren, dass dieser oder jener Nachbar in Balsora mit einem uebernatuerlichen Genius in Verbindung gestanden sei, sondern man hatte die Sagen von diesen Geistern immer in weit entfernte Laender und alte Zeiten versetzt, und so glaubte er, es gebe heutzutage keine solchen Erscheinungen mehr, oder die Feen haben aufgehoert, die Menschen zu besuchen und an ihren Schicksalen teilzunehmen. Obgleich er aber also dachte, so war er doch immer wieder von neuem versucht, an irgend etwas Geheimnisvolles und Uebernatuerliches zu glauben, was mit seiner Mutter vorgegangen sein koennte, und so kam es, dass er beinahe einen ganzen Tag wie ein Traeumender zu Pferde sass und weder an den Gespraechen der Reisenden teilnahm, noch auf ihren Gesang oder ihr Gelaechter achtete. Said war ein sehr schoener Juengling; sein Auge war mutig und kuehn, sein Mund voll Anmut, und so jung er war, so hatte er doch in seinem ganzen Wesen schon eine gewisse Wuerde, die man in diesem Alter nicht so oft trifft, und der Anstand, womit er leicht, aber sicher und in vollem kriegerischem Schmuck zu Pferde sass, zog die Blicke manches der Reisenden auf sich. Ein alter Mann, der an seiner Seite ritt, fand Wohlgefallen an ihm und versuchte, durch manche Fragen auch seinen Geist zu pruefen. Said, welchem Ehrfurcht gegen das Alter eingepraegt worden war, antwortete bescheiden, aber klug und umsichtig, so dass der Alte eine grosse Freude an ihm hatte. Da aber der Geist des jungen Mannes schon den ganzen Tag nur mit einem Gegenstand beschaeftigt war, so geschah es, dass man bald auf das geheimnisvolle Reich der Feen zu sprechen kam, und endlich fragte Said den Alten geradezu, ob er glaube, dass es Feen, gute oder boese Geister geben koenne, welche den Menschen beschuetzen oder verfolgen. Der alte Mann strich sich den Bart, neigte seinen Kopf hin und her und sprach dann: "Leugnen laesst es sich nicht, dass es solche Geschichten gegeben hat, obgleich ich bis heute weder einen Geisterzwerg, noch einen Genius als Riesen, weder einen Zauberer, noch eine Fee gesehen habe." Der Alte hub dann an und erzaehlte dem jungen Mann so viele und wunderbare Geschichten, dass ihm der Kopf schwindelte und er nicht anders dachte, als alles, was bei seiner Geburt vorgegangen, die Aenderung des Wetters, der suesse Rosen- und Hyazinthenduft, sei von grosser und gluecklicher Vorbedeutung, er selbst stehe unter dem besonderen Schutz einer maechtigen, guetigen Fee, und das Pfeifchen sei zu nichts Geringerem ihm geschenkt worden, als der Fee im Fall der Not zu pfeifen. Er traeumte die ganze Nacht von Schloessern, Zauberpferden, Genien und dergleichen und lebte in einem wahren Feenreich. Doch leider musste er schon am folgenden Tag die Erfahrung machen, wie nichtig all seine Traeume im Schlafen oder Wachen seien. Die Karawane war schon den groessten Teil des Tages im gemaechlichen Schritt fortgezogen, Said immer an der Seite seines alten Gefaehrten, als man dunkle Schatten am fernsten Ende der Wueste bemerkte; die einen hielten sie fuer Sandhuegel, die anderen fuer Wolken, wieder andere fuer eine neue Karawane; aber der Alte, der schon mehrere Reisen gemacht hatte, rief mit lauter Stimme, sich vorzusehen; denn es sei eine Horde raeuberischer Araber im Anzug. Die Maenner griffen zu den Waffen, die Weiber und die Waren wurden in die Mitte genommen, und alles war auf einen Angriff gefasst. Die dunkle Masse bewegte sich langsam ueber die Ebene her und war anzusehen wie eine grosse Schar Stoerche, wenn sie in ferne Laender ausziehen. Nach und nach kamen sie schneller heran, und kaum hatte man Maenner und Lanzen unterschieden, als sie auch schon mit Windeseile herangekommen waren und auf die Karawane einstuermten. Die Maenner wehrten sich tapfer; aber die Raeuber waren ueber vierhundert Mann stark, umschwaermten sie von allen Seiten, toeteten viele aus der Ferne her und machten dann einen Angriff mit der Lanze. In diesem furchtbaren Augenblick fiel Said, der immer unter den Vordersten wacker gestritten hatte, sein Pfeifchen ein, er zog es schnell hervor, setzte es an den Mund, blies und--liess es schmerzlich wieder sinken; denn es gab auch nicht den leisesten Ton von sich. Wuetend ueber diese grausame Enttaeuschung, zielte er und schoss einen Araber, der sich durch seine prachtvolle Kleidung auszeichnete, durch die Brust; jener wankte und fiel vom Pferd. "Allah! Was habt Ihr gemacht, junger Mensch!" rief der Alte an seiner Seite. "Jetzt sind wir alle verloren." Und so schien es auch; denn kaum sahen die Raeuber diesen Mann fallen, als sie ein schreckliches Geschrei erhoben und mit solcher Wut eindrangen, dass die wenigen noch unverwundeten Maenner bald zersprengt wurden. Said sah sich in einem Augenblick von fuenf oder sechs umschwaermt. Er fuehrte seine Lanze so gewandt, dass keiner sich heranzunahen wagte; endlich hielt einer an, legte einen Pfeil auf, zielte und wollte eben die Sehne schnellen lassen, als ihm ein anderer winkte. Der junge Mann machte sich auf einen neuen Angriff gefasst; aber ehe er sich dessen versah, hatte ihm einer der Araber eine Schlinge ueber den Kopf geworfen, und so sehr er sich bemuehte, das Seil zu zerreissen, so war doch alles umsonst; die Schlinge wurde fester und immer fester angezogen, und Said war gefangen. Die Karawane war endlich entweder ganz aufgerieben oder gefangen worden, und die Araber, welche nicht zu einem Stamm gehoerten, teilten jetzt die Gefangenen und die uebrige Beute und zogen dann, der eine Teil nach Sueden, der andere nach Osten. Neben Said ritten vier Bewaffnete, welche ihn oft mit bitterem Grimm anschauten und Verwuenschungen ueber ihn ausstiessen; er merkte, dass es ein vornehmer Mann, vielleicht sogar ein Prinz gewesen sei, welchen er getoetet hatte. Die Sklaverei, welcher er entgegensah, war noch haerter als der Tod; darum wuenschte er sich im stillen Glueck, den Grimm der ganzen Horde auf sich gezogen zu haben; denn er glaubte nicht anders, als in ihrem Lager getoetet zu werden. Die Bewaffneten bewachten alle seine Bewegungen, und so oft er sich umschaute, drohten sie ihm mit ihren Spiessen; einmal aber, als das Pferd des einen strauchelte, wandte er den Kopf schnell um und erblickte zu seiner Freude den Alten, seinen Reisegefaehrten, welchen er unter den Toten geglaubt hatte. Endlich sah man in der Ferne Baeume und Zelte; als sie naeher kamen, stroemte ein ganzer Schwall von Kindern und Weibern entgegen; aber kaum hatten diese einige Worte mit den Raeubern gewechselt, als sie in ein schreckliches Geheul ausbrachen und alle nach Said hinblickten, die Arme gegen ihn aufhoben und Verwuenschungen ausstiessen. "Jener ist es", schrien sie, "der den grossen Almansor erschlagen hat, den tapfersten aller Maenner; er muss sterben, wir wollen sein Fleisch dem Schakal der Wueste zur Beute geben." Dann drangen sie mit Holzstuecken, Erdschollen und was sie zur Hand hatten so furchtbar auf Said ein, dass sich die Raeuber selbst ins Mittel legen mussten. "Hinweg, ihr Unmuendigen, fort, ihr Weiber!" riefen sie und trieben die Menge mit den Lanzen auseinander, "er hat den grossen Almansor erschlagen im Gefecht, und er muss sterben, aber nicht von der Hand eines Weibes, sondern vom Schwert der Tapferen." Als sie unter den Zelten auf einem freien Platz angelangt waren, machten sie halt; die Gefangenen wurden je zwei und zwei zusammengebunden, die Beute in die Zelte gebracht, Said aber wurde einzeln gefesselt und in ein grosses Zelt gefuehrt. Dort sass ein alter, prachtvoll gekleideter Mann, dessen ernste, stolze Miene verkuendete, dass er das Oberhaupt dieser Horde sei. Die Maenner, welche Said fuehrten, traten traurig und mit gesenktem Haupt vor ihn hin. "Das Geheul der Weiber sagt mir, was geschehen ist", sprach der majestaetische Mann, indem er die Raeuber der Reihe nach anblickte, "eure Mienen bestaetigen es--Almansor ist gefallen." "Almansor ist gefallen", antworteten die Maenner, "aber hier, Selim, Beherrscher der Wueste, ist sein Moerder, und wir bringen ihn, damit du ihn richtest; welche Todesart soll er sterben? Sollen wir ihn aus der Ferne mit Pfeilen erschiessen, sollen wir ihn durch eine Gasse von Lanzen jagen, oder willst du, dass er an einem Strick aufgehaengt oder von Pferden zerrissen werde?" "Wer bist du?" fragte Selim, duester auf den Gefangenen blickend, der zum Tod bereit, aber mutig vor ihm stand. Said beantwortete seine Frage kurz und offen. "Hast du meinen Sohn meuchlings umgebracht? Hast du ihn von hinten mit einem Pfeil oder einer Lanze durchbohrt?" "Nein, Herr!" entgegnete Said. "Ich habe ihn in offenem Kampf beim Angriff auf unsere Reihen von vorne getoetet, weil er schon acht meiner Genossen vor meinen Augen erschlagen hatte." "Ist es also, wie er sprach?" fragte Selim die Maenner, die ihn gefangen hatten. "Ja, Herr, er hat Almansor im offenen Kampfe getoetet", sprach einer von den Gefragten. "Dann hat er nicht mehr und nicht minder getan, als wir selbst getan haben wuerden", versetzte Selim, "er hat seinen Feind, der ihm Freiheit und Leben rauben wollte, bekaempft und erschlagen; drum loeset schnell seine Bande!" Die Maenner sahen ihn staunend an und gingen nur zaudernd und mit Widerwillen ans Werk. "So soll der Moerder deines Sohnes, des tapferen Almansor, nicht sterben?" fragte einer, indem er wuetende Blicke auf Said warf, "haetten wir ihn lieber gleich umgebracht!" "Er soll nicht sterben!" rief Selim, "und ich nehme ihn sogar in mein eigenes Zelt auf, ich nehme ihn als meinen gerechten Anteil an der Beute, er sei mein Diener!" Said fand keine Worte, dem Alten zu danken, die Maenner aber verliessen murrend das Zelt, und als sie den Weibern und Kindern, die draussen versammelt waren und auf Saids Hinrichtung warteten, den Entschluss des alten Selim mitteilten, erhoben sie ein schreckliches Geheul und Geschrei und riefen, sie wuerden Almansors Tod an seinem Moerder raechen, weil sein eigener Vater die Blutrache nicht ueben wolle. Die uebrigen Gefangenen wurden an die Horden verteilt; einige entliess man, um Loesegeld fuer die reicheren einzutreiben, andere wurden zu den Herden als Hirten geschickt, und manche, die vorher von zehn Sklaven sich bedienen liessen, mussten die niedrigsten Dienste in diesem Lager versehen. Nicht so Said. War es sein mutiges, heldenmaessiges Aussehen oder der geheimnisvolle Zauber einer guetigen Fee, was den alten Selim fuer den Juengling einnahm? Man wusste es nicht zu sagen, aber Said lebte in seinem Zelt mehr als Sohn denn als Diener. Aber die unbegreifliche Zuneigung des alten Mannes zog ihm die Feindschaft der uebrigen Diener zu; er begegnete ueberall nur feindlichen Blicken, und wenn er allein durchs Lager ging, so hoerte er ringsumher Schimpfworte und Verwuenschungen ausstossen, ja, einigemal flogen Pfeile an seiner Brust vorueber, die offenbar ihm gegolten hatten, und dass sie ihn nicht trafen, schrieb er nur dem geheimnisvollen Pfeifchen zu, das er noch immer auf der Brust trug und welchem er diesen Schutz zuschrieb. Oft beklagte er sich bei Selim ueber diese Angriffe auf sein Leben, aber vergebens suchte dieser die Meuchelmoerder ausfindig zu machen, denn die ganze Horde schien gegen den beguenstigten Fremdling verbunden zu sein. Da sprach eines Tages Selim zu ihm: "Ich hatte gehofft, du werdest mir vielleicht den Sohn ersetzen, der durch deine Hand umgekommen ist; an dir und mir liegt nicht die Schuld, dass es nicht sein konnte; alle sind gegen dich erbittert, und ich selbst kann dich in Zukunft nicht mehr schuetzen; denn was hilft es dir oder mir, wenn sie dich heimlich getoetet haben, den Schuldigen zur Strafe zu ziehen. Darum, wenn die Maenner von ihrem Streifzug heimkehren, werde ich sagen, dein Vater habe mir Loesegeld geschickt, und ich werde dich durch einige treue Maenner durch die Wueste geleiten lassen." "Aber kann ich irgendeinem ausser dir trauen?" fragte Said bestuerzt; "werden sie mich nicht unterwegs toeten?" "Davor schuetzt dich der Eid, den sie mir schwoeren muessen, und den noch keiner gebrochen hat", erwiderte Selim mit grosser Ruhe. Einige Tage nachher kehrten die Maenner ins Lager zurueck, und Selim hielt sein Versprechen. Er schenkte dem Juengling Waffen, Kleider und ein Pferd, versammelte die streitbaren Maenner, waehlte fuenf zur Begleitung Saids aus, liess sie einen furchtbaren Eid ablegen, dass sie ihn nicht toeten wollten, und entliess ihn dann mit Traenen. Die fuenf Maenner ritten finster und schweigend mit Said durch die Wueste; der Juengling sah, wie ungern sie den Auftrag erfuellten, und es machte ihm nicht wenig Besorgnis, dass zwei von ihnen bei jenem Kampf zugegen waren, wo er Almansor toetete. Als sie etwa acht Stunden zurueckgelegt hatten, hoerte Said, dass sie untereinander fluesterten, und bemerkte, dass ihre Mienen noch duesterer wurden als vorher. Er strengte sich an, aufzuhorchen, und vernahm, dass sie sich in einer Sprache unterhielten, die nur von dieser Horde und immer nur bei geheimnisvollen oder gefaehrlichen Unternehmungen gesprochen wurde; Selim, der den Plan gehabt hatte, den jungen Mann auf immer in seinem Zelte zu behalten, hatte sich manche Stunde damit abgegeben, ihn diese geheimnisvollen Worte zu lehren; aber es war nichts Erfreuliches, was er jetzt vernahm. "Hier ist die Stelle", sprach einer, "hier griffen wir die Karawane an, und hier fiel der tapferste Mann von der Hand eines Knaben." "Der Wind hat die Spuren seines Pferdes verweht", fuhr ein anderer fort, "aber ich habe sie nicht vergessen." "Und zu unserer Schande soll der noch leben und frei sein, der Hand an ihn legte? Wann hat man je gehoert, dass ein Vater den Tod seines einzigen Sohnes nicht raechte? Aber Selim wird alt und kindisch." "Und wenn es der Vater unterlaesst", sagte ein vierter, "so ist es Freundes Pflicht, den gefallenen Freund zu raechen. Hier an dieser Stelle sollten wir ihn niederhauen. So ist es Recht und Brauch seit den aeltesten Zeiten." "Aber wir haben dem Alten geschworen", rief ein fuenfter, "wir duerfen ihn nicht toeten, unser Eid darf nicht gebrochen werden." "Es ist wahr", sprachen die anderen, "wir haben geschworen, und der Moerder darf frei ausgehen aus den Haenden seiner Feinde." "Halt!" rief einer, der finsterste unter allen. "Der alte Selim ist ein kluger Kopf, aber doch nicht so klug, als man glaubt; haben wir ihm geschworen, diesen Burschen da- oder dorthin zu bringen? Nein, er nahm uns den Schwur auf sein Leben ab, und dieses wollen wir ihm schenken. Aber die brennende Sonne und die scharfen Zaehne des Schakals werden unsere Rache uebernehmen. Hier an dieser Stelle wollen wir ihn gebunden liegen lassen." So sprach der Raeuber; aber schon seit einigen Minuten hatte sich Said auf das Aeusserste gefasst gemacht, und indem jener noch die letzten Worte sprach, riss er sein Pferd auf die Seite, trieb es mit einem tuechtigen Hieb an und flog wie ein Vogel ueber die Ebene hin. Die fuenf Maenner staunten einen Augenblick, aber wohlbewandert in solchen Verfolgungen, teilten sie sich, jagten rechts und links nach, und weil sie die Art und Weise, wie man in der Wueste reiten muss, besser kannten, hatten zwei von ihnen den Fluechtling bald ueberholt, wandten sich gegen ihn um, und als er auf die Seite floh, fand er auch dort zwei Gegner und den fuenften in seinem Ruecken. Der Eid, ihn nicht zu toeten, hielt sie ab, ihre Waffen zu gebrauchen; sie warfen ihm auch jetzt wieder von hinten eine Schlinge ueber den Kopf, zogen ihn vom Pferd, schlugen unbarmherzig auf ihn los, banden ihn dann an Haenden und Fuessen und legten ihn in den gluehenden Sand der Wueste. Said flehte sie um Barmherzigkeit an, er versprach ihnen schreiend ein grosses Loesegeld; aber lachend schwangen sie sich auf und jagten davon. Noch einige Augenblicke lauschte er auf die leichten Tritte ihrer Rosse, dann aber gab er sich verloren. Er dachte an seinen Vater, an den Gram des alten Mannes, wenn sein Sohn nicht mehr heimkehre. Er dachte an sein eigenes Elend, dass er so fruehe sterben muesse; denn nichts war ihm gewisser, als dass er in dem heissen Sand den martervollen Tod des Verschmachtens sterben muesse oder dass er von einem Schakal zerrissen werde. Die Sonne stieg immer hoeher und brannte gluehend auf seiner Stirne. Mit unendlicher Muehe gelang es ihm endlich, sich aufzuwaelzen; aber es gab ihm wenig Erleichterung. Das Pfeifchen an der Kette war durch diese Anstrengung aus seinem Kleid gefallen. Er muehte sich so lange, bis er es mit dem Mund fassen konnte; endlich beruehrten es seine Lippen, er versuchte zu blasen, aber auch in dieser schrecklichen Not versagte es den Dienst. Verzweiflungsvoll liess er den Kopf zuruecksinken, und endlich beraubte ihn die stechende Sonne der Sinne; er fiel in eine tiefe Betaeubung. Nach vielen Stunden erwachte Said von einem Geraeusch in seiner Naehe; er fuehlte zugleich, dass seine Schulter gepackt wurde, und er stiess einen Schrei des Entsetzens aus, denn er glaubte nichts anderes, als ein Schakal sei herangekommen, ihn zu zerreissen. Jetzt wurde er auch an den Beinen angefasst, aber er fuehlte, dass es nicht die Krallen eines Raubtieres seien, die ihn umfassten, sondern die Haende eines Mannes, der sich sorgsam mit ihm beschaeftigte und mit zwei oder drei anderen sprach. "Er lebt", fluesterten sie, "aber er haelt uns fuer Feinde." Endlich schlug Said die Augen auf und erblickte ueber sich das Gesicht eines kleinen, dicken Mannes mit kleinen Augen und langem Bart. Dieser sprach ihm freundlich zu, half ihm sich aufrichten, reichte ihm Speise und Trank und erzaehlte ihm, waehrend er sich staerkte, er sei ein Kaufmann aus Bagdad, heisse Kalum-Beck und handle mit Schals und feinen Schleiern fuer die Frauen. Er habe eine Handelsreise gemacht, sei jetzt auf der Rueckkehr nach Hause begriffen und habe ihn elend und halb im Sand liegen sehen. Sein prachtvoller Anzug und die blitzenden Steine seines Dolches haetten ihn aufmerksam gemacht; er habe alles angewandt, ihn zu beleben, und es sei ihm also gelungen. Der Juengling dankte ihm fuer sein Leben, denn er sah wohl ein, dass er ohne die Dazwischenkunft dieses Mannes elend haette sterben muessen; und da er weder Mittel hatte, sich selbst fortzuhelfen, noch willens war, zu Fuss und allein durch die Wueste zu wandern, so nahm er dankbar einen Sitz auf einem der schwer beladenen Kamele des Kaufmanns an und beschloss fuers erste, mit nach Bagdad zu ziehen, vielleicht koennte er dort sich an eine Gesellschaft, die nach Balsora reisete, anschliessen. Unterwegs erzaehlte der Kaufmann seinem Reisegefaehrten manches von dem trefflichen Beherrscher der Glaeubigen, Harun Al-Raschid. Er erzaehlte ihm von seiner Gerechtigkeitsliebe und seinem Scharfsinn, wie er die wunderbarsten Prozesse auf einfache und bewundernswuerdige Weise zu schlichten wisse; unter anderem fuehrte er die Geschichte von dem Seiler, die Geschichte von dem Topf mit Oliven an, Geschichten, die jedes Kind weiss, die aber Said sehr bewunderte. "Unser Herr, der Beherrscher der Glaeubigen", fuhr der Kaufmann fort, "unser Herr ist ein wunderbarer Mann. Wenn Ihr meinet, er schlafe, wie andere gemeine Leute, so taeuschet Ihr Euch sehr. Zwei, drei Stunden in der Morgendaemmerung ist alles. Ich muss das wissen, denn Messour, sein erster Kaemmerer, ist mein Vetter, und obgleich er so verschwiegen ist wie das Grab, was die Geheimnisse seines Herrn anbelangt, so laesst er doch, der guten Verwandtschaft zulieb, hin und wieder einen Wink fallen, wenn er sieht, dass einer aus Neugierde beinahe vom Verstand kommen koennte. Statt nun wie andere Menschen zu schlafen, schleicht der Kalif nachts durch die Strassen von Bagdad, und selten verstreicht eine Woche, worin er nicht ein Abenteuer aufstoesst; denn Ihr muesst wissen, wie ja auch aus der Geschichte mit dem Oliventopf erhellt, die so wahr ist als das Wort des Propheten, dass er nicht mit der Wache und zu Pferd, in vollem Putz und mit hundert Fackeltraegern seine Runde macht, wie er wohl tun koennte, wenn er wollte, sondern angezogen bald als Kaufmann, bald als Schiffer, bald als Soldat, bald als Mufti geht er umher und schaut, ob alles recht und in Ordnung sei. Daher kommt es aber auch, dass man in keiner Stadt nachts so hoeflich gegen jeden Narren ist, auf den man stoesst, wie in Bagdad; denn es koennte ebensogut der Kalif wie ein schmutziger Araber aus der Wueste sein, und es waechst Holz genug, um allen Menschen in und um Bagdad die Bastonade zu geben." So sprach der Kaufmann, und Said, so sehr ihn hin und wieder die Sehnsucht nach seinem Vater quaelte, freute sich doch, Bagdad und den beruehmten Harun Al-Raschid zu sehen. Nach zehn Tagen kamen sie in Bagdad an, und Said staunte und bewunderte die Herrlichkeit dieser Stadt, die damals gerade in ihrem hoechsten Glanz war. Der Kaufmann lud ihn ein, mit in sein Haus zu kommen, und Said nahm es gerne an; denn jetzt erst unter dem Gewuehl der Menschen fiel es ihm ein, dass hier wahrscheinlich ausser der Luft und dem Wasser des Tigris und einem Nachtlager auf den Stufen einer Moschee nichts umsonst zu haben sein werde. Den Tag nach seiner Ankunft, als er sich eben angekleidet hatte und sich gestand, dass er in diesem prachtvollen kriegerischen Aufzug sich in Bagdad wohl sehen lassen koenne und vielleicht manchen Blick auf sich ziehe, trat der Kaufmann in sein Zimmer. Er betrachtete den schoenen Juengling mit schelmischem Laecheln, strich sich den Bart und sprach dann: "Das ist alles recht schoen, junger Herr! Aber was soll denn nun aus Euch werden? Ihr seid, kommt es mir vor, ein grosser Traeumer und denket nicht an den folgenden Tag; oder habt Ihr so viel Geld bei Euch, um dem Kleid gemaess zu leben, das Ihr traget?" "Lieber Herr Kalum-Beck", sprach der Juengling verlegen und erroetend, "Geld habe ich freilich nicht, aber vielleicht strecket Ihr mir etwas vor, womit ich heimreisen kann; mein Vater wird es gewiss richtig erstatten." "Dein Vater, Bursche?" rief der Kaufmann laut lachend. "Ich glaube, die Sonne hat dir das Hirn verbrannt. Meinst du, ich glaube dir so aufs Wort das ganze Maerchen, das du mir in der Wueste erzaehltest, dass dein Vater ein reicher Mann in Balsora sei, du sein einziger Sohn, und den Anfall der Araber und dein Leben in ihrer Horde und dies und jenes. Schon damals aergerte ich mich ueber deine frechen Luegen und deine Unverschaemtheit. Ich weiss, dass in Balsora alle reichen Leute Kaufleute sind, habe schon mit allen gehandelt und muesste von einem Benazar gehoert haben, und wenn er nur sechstausend Tomans im Vermoegen haette. Es ist also entweder erlogen, dass du aus Balsora bist, oder dein Vater ist ein armer Schlucker, dessen hergelaufenem Jungen ich keine Kupfermuenze leihen mag. Sodann der Ueberfall in der Wueste! Wann hat man gehoert, seit der weise Kalif Harun die Handelswege durch die Wueste gesichert hat, dass es Raeuber gewagt haben, eine Karawane zu pluendern und sogar Menschen hinwegzufuehren? Auch muesste es bekannt geworden sein, aber auf meinem ganzen Weg, und auch hier in Bagdad, wo Menschen aus allen Gegenden der Welt zusammenkommen, hat man nichts davon gesprochen. Das ist die zweite Luege, junger, unverschaemter Mensch!" Bleich vor Zorn und Unmut wollte Said dem kleinen boesen Mann in die Rede fallen, jener aber schrie staerker als er und focht dazu mit den Armen. "Und die dritte Luege, du frecher Luegner, ist die Geschichte im Lager Selims. Selims Name ist wohlbekannt unter allen, die jemals einen Araber gesehen haben, aber Selim ist bekannt als der schrecklichste und grausamste Raeuber, und du wagst zu erzaehlen, du habest seinen Sohn getoetet und seiest nicht sogleich in Stuecke gehauen worden; ja, du treibest die Frechheit so weit, dass du das Unglaubliche sagst, Selim habe dich gegen seine Horde beschuetzt, in sein eigenes Zelt aufgenommen und ohne Loesegeld entlassen, statt dass er dich aufgehaengt haette an den naechsten besten Baum, er, der oft Reisende gehaengt hat, nur um zu sehen, welche Gesichter sie machen, wenn sie aufgehaengt sind. Oh, du abscheulicher Luegner!" "Und ich kann nichts weiter sagen", rief der Juengling, "als dass alles wahr ist bei meiner Seele und beim Bart des Propheten!" "Was, bei deiner Seele willst du schwoeren?" schrie der Kaufmann, "bei deiner schwarzen, luegenhaften Seele? Wer soll da glauben? Und beim Bart des Propheten, du, der du selbst keinen Bart hast? Wer soll da trauen?" "Ich habe freilich keinen Zeugen", fuhr Said fort, "aber habt Ihr mich nicht gefesselt und elend gefunden?" "Das beweist mir gar nichts", sprach jener, "du bist gekleidet wie ein stattlicher Raeuber, und leicht hast du einen angefallen, der staerker war als du, dich ueberwand und band." "Den einzelnen oder sogar zwei moechte ich sehen", entgegnete Said, "die mich niederstrecken und binden, wenn sie mir nicht von hinten eine Schlinge ueber den Kopf werfen. Ihr moegt in Eurem Basar freilich nicht wissen, was ein einzelner vermag, wenn er in den Waffen geuebt ist. Aber Ihr habt mir das Leben gerettet, und ich danke Euch. Was wollt Ihr denn aber jetzt mit mir beginnen? Wenn Ihr mich nicht unterstuetzet, so muss ich betteln, und ich mag keinen meinesgleichen um eine Gnade anflehen; an den Kalifen will ich mich wenden." "So?" sprach der Kaufmann, hoehnisch laechelnd. "An niemand anders wollt Ihr Euch wenden als an unseren allergnaedigsten Herrn? Das heisse ich vornehm betteln! Ei, ei! Bedenket aber, junger vornehmer Herr, dass der Weg zum Kalifen an meinem Vetter Messour vorbeigeht, und dass es mich ein Wort kostet, den Oberkaemmerer darauf aufmerksam zu machen, wie trefflich Ihr luegen koennet. Aber mich dauert deine Jugend, Said. Du kannst dich bessern, es kann noch etwas aus dir werden. Ich will dich in mein Gewoelbe im Basar nehmen, dort sollst du mir ein Jahr lang dienen, und ist dies vorbei und willst du nicht bei mir bleiben, so zahle ich dir deinen Lohn aus und lasse dich gehen, wohin du willst, nach Aleppo oder Medina, nach Stambul oder nach Balsora, meinetwegen zu den Unglaeubigen. Bis Mittag gebe ich dir Bedenkzeit; willst du, so ist es gut, willst du nicht, so berechne ich dir nach billigem Anschlag die Reisekosten, die du mir machtest, und den Platz auf dem Kamel, mache mich mit deinen Kleidern und allem, was du hast, bezahlt und werfe dich auf die Strasse; dann kannst du beim Kalifen oder beim Mufti, an der Moschee oder im Basar betteln. " Mit diesen Worten verliess der boese Mann den ungluecklichen Juengling. Said blickte ihm voll Verachtung nach. Er war so empoert ueber die Schlechtigkeit dieses Menschen, der ihn absichtlich mitgenommen und in sein Haus gelockt hatte, damit er ihn in seine Gewalt bekaeme. Er versuchte, ob er nicht entfliehen koennte, aber sein Zimmer war vergittert und die Tuere verschlossen. Endlich, nachdem sein Sinn sich lange dagegen gestraeubt hatte, beschloss er, fuers erste den Vorschlag des Kaufmanns anzunehmen und ihm in seinem Gewoelbe zu dienen. Er sah ein, dass ihm nichts Besseres zu tun uebrigbleibe; denn wenn er auch entfloh, so konnte er ohne Geld doch nicht bis Balsora kommen. Aber er nahm sich vor, sobald als moeglich den Kalifen selbst um Schutz anzuflehen. Den folgenden Tag fuehrte Kalum-Beck seinen neuen Diener in sein Gewoelbe im Basar. Er zeigte Said alle Schals und Schleier und andere Waren, womit er handelte, und wies ihm seinen besonderen Dienst an. Dieser bestand darin, dass Said, angekleidet wie ein Kaufmannsdiener und nicht mehr im kriegerischen Schmuck, in der einen Hand einen Schal, in der anderen einen prachtvollen Schleier, unter der Tuere des Gewoelbes stand, die voruebergehenden Maenner oder Frauen anrief, seine Ware vorzeigte, ihren Preis nannte und die Leute zum Kaufen einlud; und jetzt konnte sich Said auch erklaeren, warum ihn Kalum-Beck zu diesem Geschaeft bestimmt habe. Er war ein kleiner, haesslicher Alter, und wenn er selbst unter dem Laden stund und anrief, so sagte mancher Nachbar oder auch einer der Voruebergehenden ein witziges Wort ueber ihn, oder die Knaben spotteten seiner, und die Frauen nannten ihn eine Vogelscheuche; aber jedermann sah gerne den jungen schlanken Said, der mit Anstand die Kunden anrief und Schal und Schleier geschickt und zierlich zu halten wusste. Als Kalum-Beck sah, dass sein Laden im Basar an Kunden zunahm, seitdem Said unter der Tuere stand, wurde er freundlicher gegen den jungen Mann, speiste ihn besser als zuvor und war darauf bedacht, ihn in seiner Kleidung immer schoen und stattlich zu halten. Aber Said wurde durch solche Beweise der milderen Gesinnungen seines Herrn wenig geruehrt und sann den ganzen Tag und selbst in seinen Traeumen auf gute Art und Weise, um in seine Vaterstadt zurueckzukehren. Eines Tages war im Gewoelbe vieles gekauft worden, und alle Packknechte, welche die Waren nach Hause trugen, waren schon versandt, als eine Frau eintrat und noch einiges kaufte. Sie hatte bald gewaehlt und verlangte dann jemand, der ihr gegen ein Trinkgeld die Waren nach Hause trage. "In einer halben Stunde kann ich Euch alles schicken", antwortete Kalum-Beck, "nur so lange muesst Ihr Euch gedulden oder irgendeinen anderen Packer nehmen." "Seid Ihr ein Kaufmann und wollet Euren Kunden fremde Packer mitgeben?" rief die Frau. "Kann nicht ein solcher Bursche im Gedraeng mit meinem Pack davonlaufen? Und an wen soll ich mich dann wenden? Nein, Eure Pflicht ist es nach Marktrecht, mir meinen Pack nach Hause tragen zu lassen, und an Euch kann und will ich mich halten." "Aber nur eine halbe Stunde wartet, werte Frau!" sprach der Kaufmann, sich immer aengstlicher drehend. "Alle meine Packknechte sind verschickt--" "Das ist ein schlechtes Gewoelbe, das nicht immer einige Knechte uebrig hat", entgegnete das boese Weib. "Aber dort steht ja noch solch ein junger Muessiggaenger, komm, junger Bursche, nimm meinen Pack und trag ihn mir nach!" "Halt, halt!" schrie Kalum-Beck. "Das ist mein Aushaengeschild, mein Ausrufer, mein Magnet! Der darf die Schwelle nicht verlassen!" "Was da!" erwiderte die alte Dame und steckte Said ohne weiteres ihren Pack unter den Arm, "das sind ein schlechter Kaufmann und elende Waren, die sich nicht selbst loben und erst noch solch einen muessigen Bengel zum Schild brauchen. Geh, geh, Bursche, du sollst heute ein Trinkgeld verdienen!" "So lauf im Namen Arimans und aller boesen Geister", murmelte Kalum-Beck seinem Magnet zu, "und siehe zu, dass du bald wiederkommst; die alte Hexe koennte mich ins Geschrei bringen auf dem ganzen Basar, wollte ich mich laenger weigern." Said folgte der Frau, die leichteren Schrittes, als man ihrem Alter zutrauen sollte, durch den Markt und die Strassen eilte. Sie stand endlich vor einem prachtvollen Hause still, pochte an, die Fluegeltueren sprangen auf, und sie stieg eine Marmortreppe hinan und winkte Said zu folgen. Sie gelangten endlich in einen hohen, weiten Saal, der mehr Pracht und Herrlichkeit enthielt, als Said jemals geschaut hatte. Dort setzte sich die alte Frau erschoepft auf ein Polster, winkte dem jungen Mann, seinen Pack niederzulegen, reichte ihm ein kleines Silberstueck und hiess ihn gehen. Er war schon an der Tuere, als eine helle, feine Stimme "Said" rief; verwundert, dass man ihn hier kenne, schaute er sich um, und eine wunderschoene Dame, umgeben von vielen Sklaven und Dienerinnen, sass statt der Alten auf dem Polster. Said, ganz stumm vor Verwunderung, kreuzte seine Arme und machte eine tiefe Verbeugung. "Said, mein lieber Junge", sprach die Dame, "so sehr ich die Unfaelle bedaure, die dich nach Bagdad fuehrten, so war doch dies der einzige vom Schicksal bestimmte Ort, wo sich, wenn du vor dem zwanzigsten Jahr dein Vaterhaus verliessest, dein Schicksal loesen wuerde. Said, hast du noch dein Pfeifchen?" "Wohl hab' ich es noch", rief er freudig, indem er die goldene Kette hervorzog, "und Ihr seid vielleicht die guetige Fee, die mir dieses Angebinde gab, als ich geboren wurde?" "Ich war die Freundin deiner Mutter", antwortete die Fee, "und bin auch deine Freundin, solange du gut bleibst. Ach, dass dein Vater, der leichtsinnige Mann, meinen Rat befolgt haette! Du wuerdest vielen Leiden entgangen sein." "Nun, es hat wohl so kommen muessen!" erwiderte Said. "Aber gnaedigste Fee, lasset einen tuechtigen Nordostwind an Euren Wolkenwagen spannen, nehmet mich auf und faehrt mich in ein paar Minuten nach Balsora zu meinem Vater; ich will dann die sechs Monate bis zu meinem zwanzigsten Jahre geduldig dort ausharren." Die Fee laechelte. "Du hast eine gute Weise, mit uns zu sprechen", antwortete sie, "aber, armer Said, es ist nicht moeglich; ich vermag jetzt, wo du ausser deinem Vaterhause bist, nichts Wunderbares fuer dich zu tun. Nicht einmal aus der Gewalt des elenden Kalum-Beck vermag ich dich zu befreien. Er steht unter dem Schutze deiner maechtigen Feindin." "Also nicht nur eine guetige Freundin habe ich", fragte Said, "auch eine Feindin? Nun, ich glaube ihren Einfluss schon oefter erfahren zu haben. Aber mit Rat duerfet Ihr mich doch unterstuetzen? Soll ich nicht zum Kalifen gehen und ihn um Schutz bitten? Er ist ein weiser Mann, er wird mich gegen Kalum-Beck beschuetzen." "Ja, Harun ist ein weiser Mann!" erwiderte die Fee. "Aber leider ist er auch nur ein Mensch. Er traut seinem Grosskaemmerer Messour soviel als sich selbst, und er hat recht; denn er hat Messour erprobt und treu gefunden. Messour aber traut deinem Freund Kalum-Beck auch wie sich selbst, und darin hat er unrecht, denn Kalum ist ein schlechter Mann, wenn er schon Messours Verwandter ist. Kalum ist zugleich ein verschlagener Kopf und hat, sobald er hierherkam, seinem Vetter Grosskaemmerer eine Fabel ueber dich erdichtet und angeheftet, und dieser hat sie wieder dem Kalifen erzaehlt, so dass du, kaemest du auch jetzt gleich in den Palast Haruns, schlecht empfangen werden wuerdest, denn er traute dir nicht. Aber es gibt andere Mittel und Wege, sich ihm zu nahen, und es steht in den Sternen geschrieben, dass du seine Gnade erwerben sollst." "Das ist freilich schlimm", sagte Said wehmuetig. "Da werde ich schon noch einige Zeit der Ladenhueter des elenden Kalum-Beck sein muessen. Aber eine Gnade, verehrte Frau, koennet Ihr mir doch gewaehren. Ich bin zum Waffenwerk erzogen, und meine hoechste Freude ist ein Kampfspiel, wo recht tuechtig gefochten wird mit Lanze, Bogen und stumpfem Schwert. Nun halten die edelsten Juenglinge dieser Stadt alle Wochen ein solches Kampfspiel. Aber nur Leute im hoechsten Schmuck und ueberdies nur freie Maenner duerfen in die Schranken reiten, namentlich aber kein Diener aus dem Basar. Wenn Ihr nun bewirken koenntet, dass ich alle Wochen ein Pferd, Kleider und Waffen haben koennte und dass man mein Gesicht nicht so leicht erkennte--" "Das ist ein Wunsch, wie ihn ein edler junger Mann wohl wagen darf", sprach die Fee, "der Vater deiner Mutter war der tapferste Mann in Syrien, und sein Geist scheint sich auf dich vererbt zu haben. Merke dir dies Haus; du sollst jede Woche hier ein Pferd und zwei berittene Knappen, ferner Waffen und Kleider finden, und ein Waschwasser fuer dein Gesicht, das dich fuer alle Augen unkenntlich machen soll. Und nun, Said, lebe wohl! Harre aus und sei klug und tugendhaft! In sechs Monaten wird dein Pfeifchen toenen, und Zulimas Ohr wird fuer seine Toene offen sein." Der Juengling schied von seiner wunderbaren Beschuetzerin mit Dank und Verehrung; er merkte sich das Haus und die Strasse genau und ging dann wieder nach dem Basar. Als Said in den Basar zurueckkehrte, kam er gerade noch zu rechter Zeit, um seinen Herrn und Meister Kalum-Beck zu unterstuetzen und zu retten. Ein grosses Gedraenge war um den Laden, Knaben tanzten um den Kaufmann her und verhoehnten ihn, und die Alten lachten. Er selbst stand vor Wut zitternd und in grosser Verlegenheit vor dem Laden, in der einen Hand einen Schal, in der andern den Schleier. Diese sonderbare Szene kam aber von einem Vorfall her, der sich nach Saids Abwesenheit ereignet hatte. Kalum hatte sich statt seines schoenen Dieners unter die Tuere gestellt und ausgerufen, aber niemand mochte bei dem alten haesslichen Burschen kaufen. Da gingen zwei Maenner den Basar herab und wollten fuer ihre Frauen Geschenke kaufen. Sie waren suchend schon einigemal auf und nieder gegangen, und eben jetzt sah man sie mit umherirrenden Blicken wieder herabsehen. Kalum-Beck, der dies bemerkte, wollte es sich zu Nutzen machen und rief: "Hier, meine Herren, hier! Was suchet ihr? Schoene Schleier, schoene Ware?" "Guter Alter", erwiderte einer, "deine Waren moegen recht gut sein, aber unsere Frauen sind wunderlich, und es ist Sitte in der Stadt geworden, die Schleier bei niemand zu kaufen als bei dem schoenen Ladendiener Said; wir gehen schon eine halbe Stunde umher, ihn zu suchen, und finden ihn nicht; aber kannst du uns sagen, wo wir ihn etwa treffen, so kaufen wir dir ein andermal ab." "Allahit, Allah!" rief Kalum-Beck freundlich grinsend. "Euch hat der Prophet vor die rechte Tuere gefuehrt. Zum schoenen Ladendiener wollet ihr, um Schleier zu kaufen? Nun tretet nur ein, hier ist sein Gewoelbe." Der eine dieser Maenner lachte ueber Kalums kleine und haessliche Gestalt und seine Behauptung, dass er der schoene Ladendiener sei; der andere aber glaubte, Kalum wolle sich ueber ihn lustig machen, blieb ihm nichts schuldig, sondern schimpfte ihn weidlich. Dadurch kam Kalum-Beck ausser sich; er rief seine Nachbarn zu Zeugen auf, dass man keinen andern Laden als den seinigen das Gewoelbe des schoenen Ladendieners nenne; aber die Nachbarn, welche ihn wegen des Zulaufs, den er seit einiger Zeit hatte, beneideten, wollten hiervon nichts wissen, und die beiden Maenner gingen nun dem alten Luegner, wie sie ihn nannten, ernstlich zu Leib. Kalum verteidigte sich mehr durch Geschrei und Schimpfworte als durch seine Faust, und so lockte er eine Menge Menschen vor sein Gewoelbe; die halbe Stadt kannte ihn als einen geizigen, gemeinen Filz, alle Umstehenden goennten ihm die Pueffe, die er bekam, und schon packte ihn einer der beiden Maenner am Bart, als eben dieser am Arm gefasst und mit einem einzigen Ruck zu Boden geworfen wurde, so dass sein Turban herabfiel und seine Pantoffeln weit hinwegflogen. Die Menge, welche es wahrscheinlich gerne gesehen haette, wenn Kalum-Beck misshandelt worden waere, murrte laut, der Gefaehrte des Niedergeworfenen sah sich nach dem um, der es gewagt hatte, seinen Freund niederzuwerfen; als er aber einen hohen, kraeftigen Juengling mit blitzenden Augen und mutiger Miene vor sich stehen sah, wagte er es nicht, ihn anzugreifen, da ueberdies Kalum, dem seine Rettung wie ein Wunder erschien, auf den jungen Mann deutete und schrie: "Nun, was wollt ihr denn mehr? Da steht er ja, ihr Herren, das ist Said, der schoene Ladendiener." Die Leute umher lachten, weil sie wussten, dass Kalum-Beck vorhin unrecht geschehen war. Der niedergeworfene Mann stand beschaemt auf und hinkte mit seinem Genossen weiter, ohne weder Schal noch Schleier zu kaufen. "O du Stern aller Ladendiener, du Krone des Basars!" rief Kalum, als er seinen Diener in den Laden fuehrte, "wahrlich, das heisse ich zu rechter Zeit kommen, das nenne ich die Hand ins Mittel legen; lag doch der Bursche auf dem Boden, als ob er nie auf den Beinen gestanden waere, und ich--ich haette keinen Barbier mehr gebraucht, um mir den Bart kaemmen und salben zu lassen, wenn du nur zwei Minuten spaeter kamst; womit kann ich es dir vergelten?" Es war nur das schnelle Gefuehl des Mitleids gewesen, was Saids Hand und Herz regiert hatte; jetzt, als dieses Gefuehl sich legte, reute es ihn fast, dass er die gute Zuechtigung dem boesen Manne erspart hatte; ein Dutzend Barthaare weniger, dachte er, haetten ihn auf zwoelf Tage sanft und geschmeidig gemacht; er suchte aber dennoch die guenstige Stimmung des Kaufmanns zu benuetzen und erbat sich von ihm zum Dank die Gunst, alle Wochen einmal einen Abend fuer sich benuetzen zu duerfen zu einem Spaziergang, oder zu was es auch sei. Kalum gab es zu; denn er wusste wohl, dass sein gezwungener Diener zu vernuenftig sei, um ohne Geld und gute Kleider zu entfliehen. Bald hatte Said erreicht, was er wollte. Am naechsten Mittwoch, dem Tag, wo sich die jungen Leute aus den vornehmsten Staenden auf einem oeffentlichen Platz der Stadt versammelten, um ihre kriegerischen Uebungen zu halten, sagte er zu Kalum, er wolle diesen Abend fuer sich benuetzen, und als dieser es erlaubt hatte, ging er in die Strasse, wo die Fee wohnte, pochte an, und sogleich sprang die Pforte auf. Die Diener schienen auf seine Ankunft schon vorbereitet gewesen zu sein; denn ohne ihn erst nach seinem Begehren zu fragen, fuehrten sie ihn die Treppe hinan in ein schoenes Gemach; dort reichten sie ihm zuerst das Waschwasser, das ihn unkenntlich machen sollte. Er benetzte sein Gesicht damit, schaute dann in einen Metallspiegel und kannte sich beinahe selbst nicht mehr; denn er war jetzt von der Sonne gebraeunt, trug einen schoenen schwarzen Bart und sah zum mindesten zehn Jahre aelter aus, als er in der Tat zaehlte. Hierauf fuehrten sie ihn in ein zweites Gemach, wo er eine vollstaendige und prachtvolle Kleidung fand, in welcher sich der Kalif von Bagdad selbst nicht haette schaemen duerfen an dem Tag, wo er im vollen Glanze seiner Herrlichkeit sein Heer musterte. Ausser einem Turban vom feinsten Gewebe mit einer Agraffe von Diamanten und hohen Reiherfedern, einem Kleid von schwerem rotem Seidenzeug, mit silbernen Blumen durchwirkt, fand Said einen Brustpanzer von silbernen Ringen, der so fein gearbeitet war, dass er sich nach jeder Bewegung des Koerpers schmiegte, und doch zugleich so fest, dass ihn weder die Lanze noch das Schwert durchdringen konnten. Eine Damaszenerklinge in reich verzierter Scheide mit einem Griff, dessen Steine Said unschaetzbar deuchten, vollendete seinen kriegerischen Schmuck. Als er voellig geruestet wieder aus der Tuere trat, ueberreichte ihm einer der Diener ein seidenes Tuch und sagte ihm, dass die Gebieterin des Hauses ihm dieses Tuch schicke; wenn er damit sein Gesicht abwische, so werden der Bart und die braune Farbe verschwinden. In dem Hof des Hauses standen drei schoene Pferde; das schoenste bestieg Said, die beiden andern seine Diener, und dann trabte er freudig dem Platze zu, wo die Kampfspiele gehalten werden sollten. Durch den Glanz seiner Kleider und die Pracht seiner Waffen zog er aller Augen auf sich, und ein allgemeines Gefluester des Staunens entstand, als er in den Ring, welchen die Menge umgab, einritt. Es war eine glaenzende Versammlung der tapfersten und edelsten Juenglinge Bagdads; selbst die Brueder des Kalifen sah man ihre Rosse tummeln und die Lanzen schwangen. Als Said heranritt und niemand ihn zu kennen schien, ritt der Sohn des Grosswesirs mit einigen Freunden auf ihn zu, gruesste ihn ehrerbietig, lud ihn ein, an ihren Spielen teilzunehmen, und fragte ihn nach seinem Namen und seinem Vaterland. Said gab vor, er heisse Almansor und komme von Kairo, sei auf einer Reise begriffen und habe von der Tapferkeit und Geschicklichkeit der jungen Edlen von Bagdad so vieles gehoert, dass er nicht gesaeumt habe, sie zu sehen und kennenzulernen. Den jungen Leuten gefielen der Anstand und das mutige Wesen Said-Almansors; sie liessen ihm eine Lanze reichen und seine Partei waehlen; denn die ganze Gesellschaft hatte sich in zwei Parteien geteilt, um einzeln und in Scharen gegeneinander zu fechten. Aber hatte schon Saids Aeusseres die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt, so staunte man jetzt noch mehr ueber seine ungewoehnliche Geschicklichkeit und Behendigkeit. Sein Pferd war schneller als ein Vogel, und sein Schwert schwirrte noch behender umher. Er warf die Lanze so leicht, weit und sicher, als waere sie ein Pfeil, den er von einem sicheren Bogen abgeschnellt haette. Die Tapfersten seiner Gegenpartei besiegte er, und am Schluss der Spiele war er so allgemein als Sieger anerkannt, dass einer der Brueder des Kalifen und der Sohn des Grosswesirs, die auf Saids Seite gekaempft hatten, ihn baten, auch mit ihnen zu streiten. Ali, der Bruder des Kalifen, wurde von ihm besiegt, aber der Sohn des Grosswesirs widerstand ihm so tapfer, dass sie es nach langem Kampfe fuer besser hielten, die Entscheidung fuer das naechstemal aufzusparen. Den Tag nach diesen Spielen sprach man in ganz Bagdad von nichts als dem schoenen, reichen und tapfren Fremdling; alle, die ihn gesehen hatten, ja selbst die von ihm besiegt waren, waren entzueckt von seinen edlen Sitten, und sogar vor seinen eigenen Ohren im Gewoelbe Kalum-Becks wurde ueber ihn gesprochen, und man beklagte nur, dass niemand wisse, wo er wohne. Das naechstemal fand er im Hause der Fee ein noch schoeneres Kleid und noch koestlicheren Waffenschmuck. Diesmal hatte sich halb Bagdad zugedraengt, selbst der Kalif sah von einem Balkon herab dem Schauspiel zu; auch er bewunderte den Fremdling Almansor und hing ihm, als die Spiele geendet hatten, eine grosse Denkmuenze von Gold an einer goldenen Kette um den Hals, um ihm seine Bewunderung zu bezeigen. Es konnte nicht anders kommen, als dass dieser zweite, noch glaenzendere Sieg den Neid der jungen Leute von Bagdad aufregte. "Ein Fremdling", sprachen sie untereinander, "soll hierher kommen nach Bagdad, uns Ruhm, Ehre und Sieg zu entreissen? Er soll sich an andern Orten damit bruesten koennen, dass unter der Bluete von Bagdads Juenglingen keiner gewesen sei, der es entfernt haette mit ihm aufnehmen koennen?" So sprachen sie und beschlossen, beim naechsten Kampfspiel, als waere es durch Zufall geschehen, zu fuenf oder sechs ueber ihn herzufallen. Saids scharfen Blicken entgingen diese Zeichen des Unmuts nicht; er sah, wie sie in der Ecke zusammenstanden, fluesterten und mit boesen Mienen auf ihn deuteten; er ahnte, dass ausser dem Bruder des Kalifen und dem Sohn des Grosswesirs keiner sehr freundlich gegen ihn gesinnt sein moechte, und diese selbst wurden ihm durch ihre Fragen laestig, wo sie ihn aufsuchen koennten, womit er sich beschaeftige, was ihm in Bagdad wohlgefallen habe und dergleichen. Es war ein sonderbarer Zufall, dass derjenige der jungen Maenner, welcher Said-Almansor mit den grimmigsten Blicken betrachtete und am feindseligsten gegen ihn gesinnt schien, niemand anders war als der Mann, den er vor einiger Zeit bei Kalum-Becks Bude niedergeworfen hatte, als er gerade im Begriff war, dem ungluecklichen Kaufmann den Bart auszureissen. Dieser Mann betrachtete ihn immer aufmerksam und neidisch. Said hatte ihn zwar schon einigemal besiegt, aber dies war kein Grund zu solcher Feindseligkeit, und Said fuerchtete schon, jener moechte ihn an seinem Wuchs oder an der Stimme als Kalum-Becks Ladendiener erkannt haben, eine Entdeckung, die ihn dem Spott und der Rache dieser Leute aussetzen wuerde. Der Anschlag, welchen seine Neider auf ihn gemacht hatten, scheiterte sowohl an seiner Vorsicht und Tapferkeit als auch an der Freundschaft, womit ihm der Bruder des Kalifen und der Sohn des Grosswesirs zugetan waren. Als diese sahen, dass er von wenigstens sechs umringt sei, die ihn vom Pferd zu werfen oder zu entwaffnen suchten, sprengten sie herbei, jagten den ganzen Trupp auseinander und drohten den jungen Leuten, welche so verraeterisch gehandelt hatten, sie aus der Kampfbahn zu stossen. Mehr denn vier Monate hatte Said auf diese Weise zum Erstaunen Bagdads seine Tapferkeit erprobt, als er eines Abends beim Nachhausegehen von dem Kampfplatz einige Stimmen vernahm, die ihm bekannt schienen. Vor ihm gingen vier Maenner, die sich langsamen Schrittes ueber etwas zu beraten schienen. Als Said leise naeher trat, hoerte er, dass sie den Dialekt der Horde Selims in der Wueste sprachen, und ahnte, dass die vier Maenner auf irgendeine Raeuberei ausgingen. Sein erstes Gefuehl war, sich von diesen vieren zurueckzuziehen; als er aber bedachte, dass er irgend etwas Boeses verhindern koennte, schlich er sich noch naeher herzu, diese Maenner zu behorchen. "Der Tuersteher hat ausdruecklich gesagt, die Strasse rechts vom Basar", sprach der eine, "dort werde und muesse er heute nacht mit dem Grosswesir durchkommen." "Gut", antwortete ein anderer. "Den Grosswesir fuerchte ich nicht; er ist alt und wohl kein sonderlicher Held, aber der Kalif soll ein gutes Schwert fuhren, und ich traue ihm nicht; es schleichen ihm gewiss zehn oder zwoelf von der Leibwache nach." "Keine Seele", entgegnete ihm ein dritter. "Wenn man ihn je gesehen und erkannt hat bei Nacht, war er immer nur allein mit dem Wesir oder mit dem Oberkaemmerling. Heute nacht muss er unser sein, aber es darf ihm kein Leid geschehen." "Ich denke, das beste ist", sprach der erste, "wir werfen ihm eine Schlinge ueber den Kopf; toeten duerfen wir ihn nicht; denn fuer seinen Leichnam wuerden sie ein geringes Loesegeld geben, und ueberdies waeren wir nicht sicher, es zu bekommen." "Also eine Stunde vor Mitternacht!" sagten sie zusammen und schieden, der eine hierhin, der andere dorthin. Said war ueber diesen Anschlag nicht wenig erschrocken. Er beschloss, sogleich zum Palast des Kalifen zu eilen und ihn von der Gefahr, die ihm drohte, zu unterrichten. Aber als er schon durch mehrere Strassen gelaufen war, fielen ihm die Worte der Fee bei, die ihm gesagt hatte, wie schlecht er bei dem Kalifen angeschrieben sei; er bedachte, dass man vielleicht seine Angabe verlachen oder als einen Versuch, bei dem Beherrscher von Bagdad sich einzuschmeicheln, ansehen koennte, und so hielt er seine Schritte an und achtete es fuer das beste, sich auf sein gutes Schwert zu verlassen und den Kalifen persoenlich aus den Haenden der Raeuber zu retten. Er ging daher nicht in Kalum-Becks Haus zurueck, sondern setzte sich auf die Stufen einer Moschee und wartete dort, bis die Nacht voellig angebrochen war; dann ging er am Basar vorbei in jene Strasse, welche die Raeuber bezeichnet hatten, und verbarg sich hinter dem Vorsprung eines Hauses. Er mochte ungefaehr eine Stunde dort gestanden sein, als er zwei Maenner langsam die Strasse herabkommen hoerte, anfaenglich glaubte er, es seien der Kalif und sein Grosswesir, aber einer der Maenner klatschte in die Hand, und sogleich eilten zwei andere sehr leise die Strasse herauf vom Basar her. Sie fluesterten eine Weile und verteilten sich dann; drei versteckten sich nicht weit von ihm, und einer ging in der Strasse auf und ab. Die Nacht war sehr finster, aber stille, und so musste sich Said auf sein scharfes Ohr beinahe ganz allein verlassen. Wieder war etwa eine halbe Stunde vergangen, als man gegen den Basar hin Schritte vernahm. Der Raeuber mochte sie auch gehoert haben; er schlich an Said vorueber dem Basar zu. Die Schritte kamen naeher, und schon konnte Said einige dunkle Gestalten erkennen, als der Raeuber in die Hand klatschte, und in demselben Augenblicke stuerzten die drei aus dem Hinterhalt hervor. Die Angegriffenen mussten uebrigens bewaffnet sein; denn er vernahm den Klang von aneinander geschlagenen Schwertern. Sogleich zog er seine Damaszenerklinge und stuerzte sich mit dem Ruf: "Nieder mit den Feinden des grossen Harun!" auf die Raeuber, streckte mit dem ersten Hieb einen zu Boden und drang dann auf zwei andere ein, die eben im Begriff waren, einen Mann, um welchen sie einen Strick geworfen hatten, zu entwaffnen. Er hieb blindlings auf den Strick ein, um ihn zu zerschneiden, aber er traf dabei einen der Raeuber so heftig ueber den Arm, dass er ihm die Hand abschlug; der Raeuber stuerzte mit fuerchterlichem Geschrei auf die Knie. Jetzt wandte sich der vierte, der mit einem andern Mann gefochten hatte, gegen Said, der noch mit dem dritten im Kampf war; aber der Mann, um welchen man die Schlinge geworfen hatte, sah sich nicht sobald frei, als er seinen Dolch zog und ihn dem Angreifenden von der Seite in die Brust stiess. Als dies der noch Uebriggebliebene sah, warf er seinen Saebel weg und floh. Said blieb nicht lange in Ungewissheit, wen er gerettet habe; denn der groessere der beiden Maenner trat zu ihm und sprach: "Das eine ist so sonderbar wie das andere, dieser Angriff auf mein Leben oder meine Freiheit, wie die unbegreifliche Hilfe und Rettung. Wie wusstet Ihr, wer ich bin? Habt Ihr von dem Anschlag dieser Menschen gewusst?" "Beherrscher der Glaeubigen", antwortete Said, "denn ich zweifle nicht, dass du es bist, ich ging heute abend durch die Strasse EI Malek hinter einigen Maennern, deren fremden und geheimnisvollen Dialekt ich einst gelernt habe. Sie sprachen davon, dich gefangenzunehmen und den wuerdigen Mann, deinen Wesir, zu toeten. Weil es nun zu spaet war, dich zu warnen, beschloss ich, an den Platz zu gehen, wo sie dir auflauern wollten, um dir beizustehen." "Danke dir", sprach Harun, "an dieser Staette ist uebrigens nicht gut weilen; nimm diesen Ring und komm damit morgen in meinen Palast; wir wollen dann mehr ueber dich und deine Hilfe reden und sehen, wie ich dich am besten belohnen kann. Komm, Wesir, hier ist nicht gut bleiben; sie koennen wiederkommen." Er sprach es und wollte den Grosswesir fortziehen, nachdem er dem Juengling einen Ring an den Finger gesteckt hatte, dieser aber bat ihn, noch ein wenig zu verweilen, wandte sich um und reichte dem ueberraschten Juengling einen schweren Beutel. "Junger Mann", sprach er, "mein Herr, der Kalif, kann dich zu allem machen, wozu er will, selbst zu meinem Nachfolger, ich selbst kann wenig tun, und was ich tun kann, geschieht heute besser als morgen; drum nimm diesen Beutel. Das soll meinen Dank uebrigens nicht abkaufen. So oft du irgendeinen Wunsch hast, komm getrost zu mir!" Ganz trunken vor Glueck eilte Said nach Hause. Aber hier wurde er uebel empfangen; Kalum-Beck wurde ueber sein langes Ausbleiben zuerst unwillig und dann besorgt; denn er dachte, er koennte leicht das schoene Aushaengeschild seines Gewoelbes verlieren. Er empfing ihn mit Schmaehworten und tobte und raste wie ein Wahnsinniger. Aber Said, der einen Blick in den Beutel getan und gefunden hatte, dass er lauter Goldstuecke enthalte, bedachte, dass er jetzt nach seiner Heimat reisen koenne, auch ohne die Gnade des Kalifen, die gewiss nicht geringer war als der Dank seines Wesirs, und so blieb er ihm kein Wort schuldig, sondern erklaerte ihm rund und deutlich, dass er keine Stunde laenger bei ihm bleiben werde. Von Anfang erschrak Kalum-Beck hierueber sehr, dann aber lachte er hoehnisch und sprach: "Du Lump und Landlaeufer, du aermlicher Wicht! Wohin willst du denn deine Zuflucht nehmen, wenn ich meine Hand von dir abziehe? Wo willst du ein Mittagessen bekommen und wo ein Nachtlager?" "Das soll Euch nicht bekuemmern, Herr Kalum-Beck", antwortete Said trotzig, "gehabt Euch wohl, mich sehet Ihr nicht wieder!" Er sprach es und lief zur Tuere hinaus, und Kalum-Beck schaute ihm sprachlos vor Staunen nach. Den andern Morgen aber, nachdem er sich den Fall recht ueberlegt hatte, schickte er seine Packknechte aus und liess ueberall nach dem Fluechtling spaehen. Lange suchten sie umsonst, endlich aber kam einer zurueck und sagte, er habe Said, den Ladendiener, aus einer Moschee kommen und in eine Karawanserei gehen sehen. Er sei aber ganz veraendert, trage ein schoenes Kleid, einen Dolch und Saebel und einen prachtvollen Turban. Als Kalum-Beck dies hoerte, schwur er und rief: "Bestohlen hat er mich und sich dafuer gekleidet. Oh, ich geschlagener Mann!" Dann lief er zum Aufseher der Polizei, und da man wusste, dass er ein Verwandter von Messour, dem Oberkaemmerling, sei, so wurde es ihm nicht schwer, einige Polizeidiener von ihm zu erlangen, um Said zu verhaften. Said sass vor einer Karawanserei und besprach sich ganz ruhig mit einem Kaufmann, den er da gefunden, ueber eine Reise nach Balsora, seiner Vaterstadt; da fielen ploetzlich einige Maenner ueber ihn her und banden ihm trotz seiner Gegenwehr die Haende auf den Ruecken. Er fragte sie, was sie zu dieser Gewalttat berechtige, und sie antworteten, es geschehe im Namen der Polizei und seines rechtmaessigen Gebieters Kalum-Beck. Zugleich trat der kleine, haessliche Mann herzu, verhoehnte und verspottete Said, griff in seine Tasche und zog zum Staunen der Umstehenden und mit Triumphgeschrei einen grossen Beutel mit Gold heraus. "Sehet! Das alles hat er mir nach und nach gestohlen, der schlechte Mensch!" rief er, und die Leute sahen mit Abscheu auf den Gefangenen und riefen: "Wie! Noch so jung, so schoen und doch so schlecht! Zum Gericht, zum Gericht, damit er die Bastonade erhalte--" So schleppten sie ihn fort, und ein ungeheurer Zug Menschen aus allen Staenden schloss sich an; sie riefen: "Sehet, das ist der schoenste Ladendiener vom Basar--er hat seinen Herrn bestohlen und ist entflohen--zweihundert Goldstuecke hat er gestohlen." Der Aufseher der Polizei empfing den Gefangenen mit finsterer Miene; Said wollte sprechen, aber der Beamte gebot ihm zu schweigen und verhoerte nur den kleinen Kaufmann. Er zeigte ihm den Beutel und fragte ihn, ob ihm dieses Gold gestohlen worden sei; Kalum-Beck beschwor es; aber sein Meineid verhalf ihm zwar zu dem Gold, doch nicht zu dem schoenen Ladendiener, der ihm tausend Goldstuecke wert war; denn der Richter sprach: "Nach einem Gesetz, das mein grossmaechtigster Herr, der Kalif, erst vor wenigen Tagen geschaerft hat, wird jeder Diebstahl, der hundert Goldstuecke uebersteigt und auf dem Basar begangen wird, mit ewiger Verbannung auf eine wueste Insel bestraft. Dieser Dieb kommt gerade zu rechter Zeit, er macht die Zahl von zwanzig solcher Burschen voll; morgen werden sie auf eine Barke gepackt und in die See gefuehrt." Said war in Verzweiflung; er beschwor den Beamten, ihn anzuhoeren, ihn nur ein Wort mit dem Kalifen sprechenzulassen; aber er fand keine Gnade. Kalum-Beck, der jetzt seinen Schwur bereute, sprach ebenfalls fuer ihn, aber der Richter antwortete: "Du hast dein Gold und kannst zufrieden sein, gehe nach Hause und verhalte dich ruhig, sonst strafe ich dich fuer jeden Widerspruch um zehn Goldstuecke." Kalum schwieg bestuerzt, der Richter aber winkte, und der unglueckliche Said wurde abgefuehrt. Man brachte ihn in ein finsteres und feuchtes Gefaengnis; neunzehn elende Menschen lagen dort auf Stroh umher und empfingen ihn als ihren Leidensgefaehrten mit rohem Gelaechter und Verwuenschungen gegen den Richter und den Kalifen. So schrecklich sein Schicksal vor ihm lag, so fuerchterlich der Gedanke war, auf eine wueste Insel verbannt zu werden, so fand er doch noch einigen Trost darin, schon am folgenden Tag aus diesem schrecklichen Gefaengnis erloest zu werden. Aber er taeuschte sich sehr, als er glaubte, sein Zustand auf dem Schiff wuerde besser sein. In den untersten Raum, wo man nicht aufrecht stehen konnte, wurden die zwanzig Verbrecher hinabgeworfen, und dort stiessen und schlugen sie sich um die besten Plaetze. Die Anker wurden gelichtet, und Said weinte bittere Traenen, als das Schiff, das ihn von seinem Vaterlande entfahren sollte, sich zu bewegen anfing. Nur einmal des Tages teilte man ihnen ein wenig Brot und Fruechte und einen Trunk suessen Wassers aus, und so dunkel war es in dem Schiffsraum, dass man immer Lichter herabbringen musste, wenn die Gefangenen speisen sollten. Beinahe alle zwei, drei Tage fand man einen Toten unter ihnen, so ungesund war die Luft in diesem Wasserkerker, und Said wurde nur durch seine Jugend und seine feste Gesundheit erhalten. Vierzehn Tage waren sie schon auf dem Wasser, als eines Tages die Wellen heftiger rauschten und ein ungewoehnliches Treiben und Rennen auf dem Schiffe entstand. Said ahnete, dass ein Sturm im Anzug sei; es war ihm sogar angenehm, denn er hoffte dann zu sterben. Heftiger wurde das Schiff hin und her geworfen, und endlich sass es mit schrecklichem Krachen fest. Geschrei und Geheul scholl von dem Verdeck herab und mischte sich mit dem Brausen des Sturmes. Endlich wurde es wieder stille, aber zu gleicher Zeit entdeckte auch einer der Gefangenen, dass das Wasser in das Schiff eindringe. Sie pochten an der Falltuere nach oben, aber man antwortete ihnen nicht. Als daher das Wasser immer heftiger eindrang, draengten sie sich mit vereinigten Kraeften gegen die Tuere und sprengten sie auf. Sie stiegen die Treppe hinan, aber oben fanden sie keinen Menschen mehr. Die ganze Schiffsmannschaft hatte sich in Booten gerettet. Jetzt gerieten die meisten Gefangenen in Verzweiflung; denn der Sturm wuetete immer heftiger, das Schiff krachte und senkte sich. Noch einige Stunden sassen sie auf dem Verdeck und hielten ihre letzte Mahlzeit von den Vorraeten, die sie im Schiff gefunden; dann erneuerte sich auf einmal der Sturm, das Schiff wurde von der Klippe, worauf es festsass, hinweggerissen und brach zusammen. Said hatte sich am Mast angeklammert und hielt ihn, als das Schiff geborsten war, noch immer fest. Die Wellen warfen ihn hin und her; aber er hielt sich, mit den Fuessen rudernd, immer wieder oben. So schwamm er in immerwaehrender Todesgefahr eine halbe Stunde; da fiel die Kette mit dem Pfeifchen wieder aus seinem Kleid, und noch einmal wollte er versuchen, ob es nicht toene. Mit der einen Hand klammerte er sich fest, mit der andern setzte er es an seinen Mund, blies, ein heller, klarer Ton erscholl, und augenblicklich legte sich der Sturm, und die Wellen glaetteten sich, als haette man Oel darauf ausgegossen. Kaum hatte er sich mit leichterem Atem umgesehen, ob er nicht irgendwo Land erspaehen koennte, als der Mast unter ihm sich auf eine sonderbare Weise auszudehnen und zu bewegen anfing, und zu seinem nicht geringen Schrecken nahm er wahr, dass er nicht mehr auf Holz, sondern auf einem ungeheuren Delphin reite; nach einigen Augenblicken aber kehrte seine Fassung zurueck, und da er sah, dass der Delphin zwar schnell, aber ruhig und gelassen seine Bahn fortschwimme, schrieb er seine wunderbare Rettung dem silbernen Pfeifchen und der guetigen Fee zu und rief seinen feurigsten Dank in die Luefte. Pfeilschnell trug ihn sein wunderbares Pferd durch die Wogen, und noch ehe es Abend wurde, sah er Land und erkannte einen breiten Fluss, in welchen der Delphin auch sogleich einbog. Stromaufwaerts ging es langsamer, und um nicht verschmachten zu muessen, nahm Said, der sich aus alten Zaubergeschichten erinnerte, wie man zaubern muesse, das Pfeifchen heraus, pfiff laut und herzhaft und wuenschte sich dann ein gutes Mahl. Sogleich hielt der Fisch stille, und hervor aus dem Wasser tauchte ein Tisch, so wenig nass, als ob er acht Tage an der Sonne gestanden waere, und reich besetzt mit koestlichen Speisen. Said griff weidlich zu, denn seine Kost waehrend seiner Gefangenschaft war schmal und elend gewesen, und als er sich hinlaenglich gesaettigt hatte, sagte er Dank; der Tisch tauchte nieder, er aber stauchte den Delphin in die Seite, und sogleich schwamm dieser weiter den Fluss hinauf. Die Sonne fing schon an zu sinken, als Said in dunkler Ferne eine grosse Stadt erblickte, deren Minaretts ihm Aehnlichkeit mit denen von Bagdad zu haben schienen. Der Gedanke an Bagdad war ihm nicht sehr angenehm; aber sein Vertrauen auf die guetige Fee war so gross, dass er fest glaubte, sie werde ihn nicht wieder in die Haende des schaendlichen Kalum-Beck fallen lassen. Zur Seite, etwa eine Meile von der Stadt und nahe am Fluss, erblickte er ein prachtvolles Landhaus, und zu seiner grossen Verwunderung lenkte der Fisch nach diesem Hause hin. Auf dem Dach des Hauses standen mehrere schoen gekleidete Maenner, und am Ufer sah Said eine grosse Menge Diener, und alle schauten nach ihm und schlugen vor Verwunderung die Haende zusammen. An einer Marmortreppe, die vom Wasser nach dem Lustschloss hinauffuehrte, hielt der Delphin an, und kaum hatte Said einen Fuss auf die Treppe gesetzt, so war auch schon der Fisch spurlos verschwunden. Zugleich eilten einige Diener die Treppe hinab und baten im Namen ihres Herrn, zu ihm hinaufzukommen, und boten ihm trockene Kleider an. Er kleidete sich schnell um und folgte dann den Dienern auf das Dach, wo er drei Maenner fand, von welchen der groesste und schoenste ihm freundlich und huldreich entgegenkam. "Wer bist du, wunderbarer Fremdling", sprach er, "der du die Fische des Meeres zaehmst und links und rechts leitest, wie der beste Reiter sein Streitross? Bist du ein Zauberer oder ein Mensch wie wir?" "Herr!" antwortete Said, "mir ist es in den letzten Wochen schlecht ergangen; wenn Ihr aber Vergnuegen daran findet, so will ich Euch erzaehlen." Und nun hub er an und erzaehlte den drei Maennern seine Geschichte von dem Augenblick an, wo er seines Vaters Haus verlassen hatte, bis zu seiner wunderbaren Rettung. Oft wurde er von ihnen mit Zeichen des Staunens und der Verwunderung unterbrochen; als er aber geendet hatte, sprach der Herr des Hauses, der ihn so freundlich empfangen hatte: "Ich traue deinen Worten, Said! Aber du erzaehltest uns, dass du im Wettkampfe eine Kette gewonnen, und dass dir der Kalif einen Ring geschenkt; kannst du wohl diese uns zeigen?" "Hier auf meinem Herzen habe ich beide verwahrt", sprach der Juengling, "und nur mit meinem Leben haette ich so teure Geschenke hergegeben; denn ich achte es fuer die ruhmvollste und schoenste Tat, dass ich den grossen Kalifen aus den Haenden seiner Moerder befreite." Zugleich zog er Kette und Ring hervor und uebergab beides den Maennern. "Beim Bart des Propheten, er ist's, es ist mein Ring!" rief der hohe, schoene Mann. "Grosswesir" lass uns ihn umarmen; denn hier steht unser Retter!" Said war es wie ein Traum, als diese zwei ihn umschlangen, aber alsobald warf er sich nieder und sprach: "Verzeihe, Beherrscher der Glaeubigen, dass ich so vor dir gesprochen habe; denn du bist kein anderer als Harun Al-Raschid, der grosse Kalif von Bagdad." "Der bin ich und dein Freund!" antwortete Harun, "und von dieser Stunde an sollen sich alle deine trueben Schicksale wenden. Folge mir nach Bagdad, bleibe in meiner Umgebung und sei einer meiner vertrautesten Beamten; denn wahrlich, du hast in jener Nacht gezeigt, dass dir Harun nicht gleichgueltig sei, und nicht jeden meiner treuesten Diener moechte ich auf gleiche Probe stellen!" Said dankte dem Kalifen; er versprach ihm, auf immer bei ihm zu bleiben, wenn er zuvor eine Reise zu seinem Vater, der in grossen Sorgen um ihn sein muesse, gemacht haben werde, und der Kalif fand dies gerecht und billig. Sie setzten sich bald zu Pferd und kamen noch vor Sonnenuntergang in Bagdad an. Der Kalif liess Said eine lange Reihe prachtvoll geschmueckter Zimmer in seinem Palast anweisen und versprach ihm noch ueberdies, ein eigenes Haus fuer ihn erbauen zu lassen. Auf die erste Kunde von diesem Ereignis eilten die alten Waffenbrueder Saids, der Bruder des Kalifen und der Sohn des Grosswesirs, herbei; sie umarmten ihn als Retter dieser teuren Maenner und baten ihn, er moechte ihr Freund werden. Aber sprachlos wurden sie vor Erstaunen, als er sagte: "Euer Freund bin ich laengst", als er die Kette, die er als Kampfpreis erhalten, hervorzog und sie an dieses und jenes erinnerte. Sie hatten ihn immer nur schwaerzlichbraun und mit langem Bart gesehen, und erst, als er erzaehlte, wie und warum er sich entstellt habe, als er zu seiner Rechtfertigung stumpfe Waffen herbeibringen liess, mit ihnen focht und ihnen den Beweis gab, dass er Almansor der Tapfere sei, erst dann umarmten sie ihn mit Jubel von neuem und priesen sich gluecklich, einen solchen Freund zu haben. Den folgenden Tag, als eben Said mit dem Grosswesir bei Harun sass, trat Messour, der Oberkaemmerer, herein und sprach: "Beherrscher der Glaeubigen, so es anders sein kann, moechte ich dich um eine Gnade bitten." "Ich will zuvor hoeren", antwortete Harun. "Draussen steht mein lieber leiblicher Vetter Kalum-Beck, ein beruehmter Kaufmann auf dem Basar", sprach er, "der hat einen sonderbaren Handel mit einem Mann aus Balsora, dessen Sohn bei Kalum-Beck diente, nachher gestohlen hat, dann entlaufen ist, und niemand weiss, wohin. Nun will aber der Vater seinen Sohn von Kalum haben, und dieser hat ihn doch nicht. Er wuenscht daher und bittet um die Gnade, du moechtest kraft deiner grossen Erleuchtung und Weisheit sprechen zwischen dem Mann aus Balsora und ihm." "Ich will richten", erwiderte der Kalif. "In einer halben Stunde moege dein Herr Vetter mit seinem Gegner in den Gerichtssaal treten!" Als Messour dankend gegangen war, sprach Harun: "Das ist niemand anders als dein Vater, Said, und da ich nun gluecklicherweise alles, wie es ist, erfahren habe, will ich richten wie Salomo. Du, Said, verbirgst dich hinter dem Vorhang meines Thrones, bis ich dich rufe, und du, Grosswesir, laesst mir sogleich den schlechten und voreiligen Polizeirichter holen; ich werde ihn im Verhoer brauchen." Sie taten beide, wie er befohlen. Saids Herz pochte staerker, als er seinen Vater bleich und abgehaermt, mit wankenden Schritten in den Gerichtssaal treten sah, und Kalum-Becks feines, zuversichtiges Laecheln, womit er zu seinem Vetter Oberkaemmerer fluesterte, machte ihn so grimmig, dass er gerne hinter dem Vorhang hervor auf ihn losgestuerzt waere. Denn seine groessten Leiden und Kuemmernisse hatte er diesem schlechten Menschen zu danken. Es waren viele Menschen im Saal, die den Kalifen Recht sprechen hoeren wollten. Der Grosswesir gebot, nachdem der Herrscher von Bagdad auf seinem Thron Platz genommen hatte, Stille und fragte, wer hier als Klaeger vor seinem Herrn erscheine. Kalum-Beck trat mit frecher Stimme vor und sprach: "Vor einigen Tagen stand ich unter der Tuere meines Gewoelbes im Basar, als ein Ausrufer, einen Beutel in der Hand und diesen Mann hier neben sich, durch die Buden schritt und rief: "Einen Beutel Gold dem, der Auskunft geben kann ueber Said aus Balsora. " Dieser Said war in meinen Diensten gewesen, und ich rief daher: "Hierher, Freund! Ich kann den Beutel verdienen." Dieser Mann, der jetzt so feindlich gegen mich ist, kam freundlich und fragte, was ich wuesste. Ich antwortete: "Ihr seid wohl Benazar, sein Vater?" Und als er dies freudig bejahte, erzaehlte ich ihm, wie ich den jungen Menschen in der Wueste gefunden, gerettet und gepflegt und nach Bagdad gebracht habe. In der Freude seines Herzens schenkte er mir den Beutel. Aber hoert diesen unsinnigen Menschen; wie ich ihm nun weiter erzaehlte, dass sein Sohn bei mir gedient habe, dass er schlechte Streiche gemacht, gestohlen habe und davongegangen sei, will er es nicht glauben, hadert schon seit einigen Tagen mit mir, fordert seinen Sohn und sein Geld zurueck, und beides kann ich nicht geben, denn das Geld gebuehrt mir fuer die Nachricht, die ich ihm gab, und seinen ungeratenen Burschen kann ich nicht herbeischaffen." Jetzt sprach auch Benazar; er schilderte seinen Sohn, wie edel und tugendhaft er sei, und dass er nie habe so schlecht sein koennen zu stehlen. Er forderte den Kalifen auf, streng zu untersuchen. "Ich hoffe", sprach Harun, "du hast, wie es Pflicht ist, den Diebstahl angezeigt, Kalum-Beck?" "Ei, freilich!" rief jener laechelnd. "Vor den Polizeirichter habe ich ihn gefuehrt." "Man bringe den Polizeirichter!" befahl der Kalif. Zum allgemeinen Erstaunen erschien dieser sogleich, wie durch Zauberei herbeigebracht. Der Kalif fragte ihn, ob er sich dieses Handelns erinnere, und dieser gestand den Fall zu. "Hast du den jungen Mann verhoert, hat er den Diebstahl eingestanden?" fragte Harun. "Nein, er war sogar so verstockt, dass er niemand als Euch selbst gestehen wollte!" erwiderte der Richter. "Aber ich erinnere mich nicht, ihn gesehen zu haben", sagte der Kalif. "Ei, warum auch! Da muesste ich alle Tage einen ganzen Pack solches Gesindel zu Euch schicken, die Euch sprechen wollen." "Du weisst, dass mein Ohr fuer jeden offen ist", antwortete Harun, "aber wahrscheinlich waren die Beweise ueber den Diebstahl so klar, dass es nicht noetig war, den jungen Menschen vor mein Angesicht zu bringen. Du hattest wohl Zeugen, dass das Geld, das dir gestohlen wurde, dein gehoerte, Kalum?" "Zeugen?" fragte dieser erbleichend, "nein, Zeugen hatte ich nicht, und Ihr wisset ja, Beherrscher der Glaeubigen, dass ein Goldstueck aussieht wie das andere. Woher konnte ich denn Zeugen nehmen, dass diese hundert Stuecke in meiner Kasse fehlen." "An was erkanntest du denn, dass jene Summe gerade dir gehoere?" fragte der Kalif. "An dem Beutel, in welchem sie war", erwiderte Kalum. "Hast du den Beutel hier?" forschte jener weiter. "Hier ist er", sprach der Kaufmann, zog einen Beutel hervor und reichte ihn dem Grosswesir, damit er ihn dem Kalifen gebe. Doch dieser rief mit verstelltem Erstaunen: "Beim Bart des Propheten! Der Beutel soll dein sein, du Hund? Mir gehoerte dieser Beutel, und ich gab ihn, mit hundert Goldstuecken gefuellt, einem braven jungen Mann, der mich aus einer grossen Gefahr befreite." "Kannst du darauf schwoeren?" fragte der Kalife. "So gewiss, als ich einst ins Paradies kommen will", antwortete der Wesir, "denn meine Tochter hat ihn selbst verfertigt." "Ei! ei!" rief Harun, "so wurdest du also falsch berichtet, Polizeirichter? Warum hast du denn geglaubt, dass der Beutel diesem Kaufmann gehoere?" "Er hat geschworen", antwortete der Polizeirichter furchtsam. "So hast du falsch geschworen!" donnerte der Kalif den Kaufmann an, der erbleichend und zitternd vor ihm stand. "Allah, Allah!" rief jener. "Ich will gewiss nichts gegen den Herrn Grosswesir sagen, er ist ein glaubwuerdiger Mann, aber ach, der Beutel gehoerte doch mir, und der nichtswuerdige Said hat ihn gestohlen. Tausend Toman wollte ich geben, wenn er jetzt zur Stelle waere." "Was hast du denn mit diesem Said angefangen?" fragte der Kalif. "Sag an, wohin man schicken muss, damit er vor mir Bekenntnis ablege!" "Ich habe ihn auf eine wueste Insel geschickt", sprach der Polizeirichter. "O Said! Mein Sohn, mein Sohn!" rief der unglueckliche Vater und weinte. "So hat er also das Verbrechen bekannt?" fragte Harun. Der Polizeirichter erbleichte. Er rollte seine Augen hin und her, und endlich sprach er: "Wenn ich mich noch recht erinnern kann--ja." "Du weisst es also nicht gewiss?" fuhr der Kalif mit schrecklicher Stimme fort, "so wollen wir ihn selbst fragen. Tritt hervor, Said, und du, Kalum-Beck, zahlst vor allem tausend Goldstuecke, weil er jetzt hier zur Stelle ist!" Kalum und der Polizeirichter glaubten ein Gespenst zu sehen. Sie stuerzten nieder und riefen: "Gnade! Gnade!" Benazar, vor Freude halb ohnmaechtig, eilte in die Arme seines verlorenen Sohnes. Aber mit eiserner Strenge fragte jetzt der Kalif : "Polizeirichter, hier steht Said, hat er eingestanden?" "Nein, nein!" heulte der Polizeirichter, "ich habe nur Kalums Zeugnis gehoert, weil er ein angesehener Mann ist." "Habe ich dich darum als Richter ueber alle bestellt, dass du nur den Vornehmen hoerest?" rief Harun Al-Raschid mit edlem Zorn. "Auf zehn Jahre verbanne ich dich auf eine wueste Insel mitten im Meere, da kannst du ueber Gerechtigkeit nachdenken, und du, elender Mensch, der du Sterbende erweckst, nicht um sie zu retten, sondern um sie zu deinen Sklaven zu machen, du zahlst, wie schon gesagt, tausend Tomans, weil du sie versprochen, wenn Said kaeme, um fuer dich zu zeugen." Kalum freute sich, so wohlfeil aus dem boesen Handel zu kommen, und wollte eben dem guetigen Kalifen danken. Doch dieser fuhr fort: "Fuer den falschen Eid wegen der hundert Goldstuecke bekommst du hundert Hiebe auf die Fusssohlen. Ferner hat Said zu waehlen, ob er dein ganzes Gewoelbe und dich als Lasttraeger nehmen will, oder ob er mit zehn Goldstuecken fuer jeden Tag, welchen er dir diente, zufrieden ist." "Lasset den Elenden laufen, Kalif!" rief der Juengling, "ich will nichts, das ihm gehoerte." "Nein", antwortete Harun, "ich will, dass du entschaedigt werdest. Ich waehle statt deiner die zehn Goldstuecke fuer den Tag, und du magst berechnen, wieviel Tage du in seinen Klauen warst. Jetzt fort mit diesen Elenden!" Sie wurden abgefuehrt, und der Kalif fuehrte Benazar und Said in einen andern Saal, dort erzaehlte er ihm selbst seine wunderbare Rettung durch Said und wurde nur zuweilen durch das Geheul Kalum-Becks unterbrochen, dem man soeben im Hof seine hundert vollwichtigen Goldstuecke auf die Fusssohlen zaehlte. Der Kalif lud Benazar ein, mit Said bei ihm in Bagdad zu leben. Er sagte es zu und reiste nur noch einmal nach Hause, um sein grosses Vermoegen abzuholen. Said aber lebte in dem Palast, den ihm der dankbare Kalif erbaut hatte, wie ein Fuerst. Der Bruder des Kalifen und der Sohn des Grosswesirs waren seine Gesellschafter, und es war in Bagdad zum Sprichwort geworden, ich moechte so gut und so gluecklich sein als Said, der Sohn Benazars. "Bei solcher Unterhaltung kaeme mir kein Schlaf in die Augen, wenn ich auch zwei, drei und mehrere Naechte wach bleiben muesste", sagte der Zirkelschmied, als der Jaeger geendigt hatte. "Und oft schon habe ich dies bewaehrt gefunden. So war ich in frueherer Zeit als Geselle bei einem Glockengiesser. Der Meister war ein reicher Mann und kein Geizhals; aber eben darum wunderten wir uns nicht wenig, als wir einmal eine grosse Arbeit hatten, und er, ganz gegen seine Gewohnheit, so knickerig als moeglich erschien. Es wurde in die neue Kirche eine Glocke gegossen, und wir Jungen und Gesellen mussten die ganze Nacht am Herd sitzen und das Feuer hueten. Wir glaubten nicht anders, als der Meister werde sein Mutterfaesschen anstechen und uns den besten Wein vorsetzen. Aber nicht also. Er liess nur alle Stunden einen Umtrank tun und fing an, von seiner Wanderschaft, von seinem Leben allerlei Geschichten zu erzaehlen; dann kam es an den Obergesellen, und so nach der Reihe, und keiner von uns wurde schlaefrig, denn begierig horchten wir alle zu. Ehe wir uns dessen versahen, war es Tag. Da erkannten wir die List des Meisters, dass er uns durch Reden habe wach halten wollen. Denn als die Glocke fertig war, schonte er seinen Wein nicht und holte ein, was er weislich in jener Nacht versaeumte." "Das ist ein vernuenftiger Mann", erwiderte der Student, "gegen den Schlaf, das ist gewiss, hilft nichts als Reden. Darum moechte ich diese Nacht nicht einsam bleiben, weil ich mich gegen elf Uhr hin des Schlafes nicht erwehren koennte." "Das haben auch die Bauersleute wohlbedacht", sagte der Jaeger, "wenn die Frauen und Maedchen in den langen Winterabenden bei Licht spinnen, so bleiben sie nicht einsam zu Hause, weil sie da wohl mitten unter der Arbeit einschliefen, sondern sie kommen zusammen in den sogenannten Lichtstuben, setzen sich in grosser Gesellschaft zur Arbeit und erzaehlen." "Ja", fiel der Fuhrmann ein, "da geht es oft recht greulich zu, dass man sich ordentlich fuerchten moechte, denn sie erzaehlen von feurigen Geistern, die auf der Wiese gehen, von Kobolden, die nachts in den Kammern poltern, und von Gespenstern, die Menschen und Vieh aengstigen." "Da haben sie nun freilich nicht die beste Unterhaltung", entgegnete der Student. "Mir, ich gestehe es, ist nichts so verhasst als Gespenstergeschichten." "Ei, da denke ich gerade das Gegenteil", rief der Zirkelschmied. "Mir ist es recht behaglich bei einer rechten Schauergeschichte. Es ist gerade wie beim Regenwetter, wenn man unter dem Dach schlaeft. Man hoert die Tropfen tick, tack, tick, tack auf die Ziegel herunterrauschen und fuehlt sich recht warm im Trockenen. So, wenn man bei Licht und in Gesellschaft von Gespenstern hoert, fuehlt man sich sicher und behaglich." "Aber nachher?" sagte der Student. "Wenn einer zugehoert hat, der dem laecherlichen Glauben an Gespenster ergeben ist, wird er sich nicht grauen, wenn er allein ist und im Dunkeln? Wird er nicht an alles das Schauerliche denken, was er gehoert? Ich kann mich noch heute ueber diese Gespenstergeschichten aergern, wenn ich an meine Kindheit denke. Ich war ein munterer, aufgeweckter Junge und mochte vielleicht etwas unruhiger sein, als meiner Amme lieb war. Da wusste sie nun kein anderes Mittel, mich zum Schweigen zu bringen, als sie machte mich fuerchten. Sie erzaehlte mir allerlei schauerliche Geschichten von Hexen und boesen Geistern, die im Hause spuken sollten, und wenn eine Katze auf dem Boden ihr Wesen trieb, fluesterte sie mir aengstlich zu: "Hoerst du, Soehnchen? Jetzt geht er wieder Treppe auf, Treppe ab, der tote Mann. Er traegt seinen Kopf unter dem Arm, aber seine Augen glaenzen doch wie Laternen; Krallen hat er statt der Finger, und wenn er einen im Dunkeln erwischt, dreht er ihm den Hals um."" Die Maenner lachten ueber diese Geschichten, aber der Student fuhr fort: "Ich war zu jung, als dass ich haette einsehen koennen, dies alles sei unwahr und erfunden. Ich fuerchtete mich nicht vor dem groessten Jagdhund, warf jeden meiner Gespielen in den Sand; aber wenn ich ins Dunkle kam, drueckte ich vor Angst die Augen zu, denn ich glaubte, jetzt werde der tote Mann heranschleichen. Es ging soweit, dass ich nicht mehr allein und ohne Licht aus der Tuere gehen wollte, wenn es dunkel war, und wie manchmal hat mich mein Vater nachher gezuechtigt, als er diese Unart bemerkte. Aber lange Zeit konnte ich diese kindische Furcht nicht loswerden, und allein meine toerichte Amme trug die Schuld." "Ja, das ist ein grosser Fehler", bemerkte der Jaeger, "wenn man die kindlichen Gedanken mit solchem Aberwitz fuellt. Ich kann versichern, dass ich brave, beherzte Maenner gekannt habe, Jaeger, die sich sonst vor drei Feinden nicht fuerchteten wenn sie nachts im Wald auf Wild lauern sollten oder auf Wilddiebe, da gebrach es ihnen oft ploetzlich an Mut; denn sie sahen einen Baum fuer ein schreckliches Gespenst, einen Busch fuer eine Hexe und ein paar Gluehwuermer fuer die Augen eines Ungetuems an, das im Dunklen auf sie laure." "Und nicht nur fuer Kinder", entgegnete der Student, "halte ich Unterhaltungen dieser Art fuer hoechst schaedlich und toericht, sondern auch fuer jeden; denn welcher vernuenftige Mensch wird sich ueber das Treiben und Wesen von Dingen unterhalten, die eigentlich nur im Hirn eines Toren wirklich sind. Dort spukt es, sonst nirgends. Doch am allerschaedlichsten sind diese Geschichten unter dem Landvolk. Dort glaubt man fest und unabweichlich an Torheiten dieser Art, und dieser Glaube wird in den Spinnstuben und in der Schenke genaehrt, wo sie sich enge zusammensetzen und mit furchtbarer Stimme die allergreulichsten Geschichten erzaehlen." "Ja, Herr!" erwiderte der Fuhrmann. "Ihr moeget nicht unrecht haben; schon manches Unglueck ist durch solche Geschichten entstanden, ist ja doch sogar meine eigene Schwester dadurch elendiglich ums Leben gekommen." "Wie das? An solchen Geschichten?" riefen die Maenner erstaunt. "Jawohl, an solchen Geschichten", sprach jener weiter. "In dem Dorf, wo unser Vater wohnte, ist auch die Sitte, dass die Frauen und die Maedchen in den Winterabenden zum Spinnen sich zusammensetzen. Die jungen Burschen kommen dann auch und erzaehlen mancherlei. So kam es eines Abends, dass man von Gespenstern und Erscheinungen sprach, und die jungen Burschen erzaehlten von einem alten Kraemer, der schon vor zehn Jahren gestorben sei, aber im Grab keine Ruhe finde. Jede Nacht werfe er die Erde von sich ab, steige aus dem Grab, schleiche langsam und hustend, wie er im Leben getan, nach seinem Laden und waege dort Zucker und Kaffee ab, indem er vor sich hinmurmle: "Drei Vierling, drei Vierling um Mitternacht Haben bei Tag ein Pfund gemacht." Viele behaupteten, ihn gesehen zu haben, und die Maedchen und Weiber fingen an, sich zu fuerchten. Meine Schwester aber, ein Maedchen von sechzehn Jahren, wollte klueger sein als die andern und sagte: "Das glaube ich alles nicht; wer einmal tot ist, kommt nicht wieder!" Sie sagte es, aber leider ohne Ueberzeugung; denn sie hatte sich oft schon gefuerchtet. Da sagte einer von den jungen Leuten: "Wenn du dies glaubst, so wirst du dich auch nicht vor ihm fuerchten; sein Grab ist nur zwei Schritte von Kaethchens, die letzthin gestorben. Wage es einmal, gehe hin auf den Kirchhof, brich von Kaethchens Grab eine Blume und bringe sie uns, so wollen wir glauben, dass du dich vor dem Kraemer nicht fuerchtest!" Meine Schwester schaemte sich, von den andern verlacht zu werden, darum sagte sie, "oh! das ist mir ein leichtes; was wollt ihr denn fuer eine Blume?" "Es blueht im ganzen Dorf keine weisse Rose als dort; darum bring' uns einen Strauss von diesen", antwortete eine ihrer Freundinnen. Sie stand auf und ging, und alle Maenner lobten ihren Mut; aber die Frauen schuettelten den Kopf und sagten: "Wenn es nur gut ablaeuft!" Meine Schwester ging dem Kirchhof zu; der Mond schien hell, und sie fing an zu schaudern, als es zwoelf Uhr schlug und sie die Kirchhofpforte oeffnete. Sie stieg ueber manchen Grabhuegel weg, den sie kannte, und ihr Herz wurde bange und immer banger, je naeher sie zu Kaethchens weissen Rosen und zum Grab des gespenstigen Kraemers kam. Jetzt war sie da, zitternd kniete sie nieder und knickte die Blumen ab. Da glaubte sie ganz in der Naehe ein Geraeusch zu vernehmen; sie sah sich um; zwei Schritte von ihr flog die Erde von einem Grabe hinweg, und langsam richtete sich eine Gestalt daraus empor. Es war ein alter, bleicher Mann mit einer weissen Schlafmuetze auf dem Kopf. Meine Schwester erschrak; sie schaute noch einmal hin, um sich zu ueberzeugen, ob sie recht gesehen; als aber der im Grabe mit naeselnder Stimme anfing zu sprechen: "Guten Abend, Jungfer; woher so spaet?" da erfasste sie ein Grauen des Todes; sie raffte sich auf, sprang ueber die Graeber hin nach jenem Hause, erzaehlte beinahe atemlos, was sie gesehen, und wurde so schwach, dass man sie nach Hause tragen musste. Was nuetzte es uns, dass wir am andern Tage erfuhren, dass es der Totengraeber gewesen sei, der dort ein Grab gemacht und zu meiner armen Schwester gesprochen habe? Sie verfiel, noch ehe sie dies erfahren konnte, in ein hitziges Fieber, an welchem sie nach drei Tagen starb. Die Rosen zu ihrem Totenkranz hatte sie sich selbst gebrochen." Der Fuhrmann schwieg, und eine Traene hing in seinen Augen, die andern aber sahen teilnehmend auf ihn. "So hat das arme Kind auch an diesem Koehlerglauben sterben muessen", sagte der junge Goldarbeiter, "mir faellt da eine Sage bei, die ich euch wohl erzaehlen moechte und die leider mit einem solchen Trauerfall zusammenhaengt": Die Hoehle von Steenfoll Eine schottlaendische Sage Wilhelm Hauff Auf einer der Felseninseln Schottlands lebten vor vielen Jahren zwei Fischer in gluecklicher Eintracht. Sie waren beide unverheiratet, hatten auch sonst keine Angehoerigen, und ihre gemeinsame Arbeit, obgleich verschieden angewendet, naehrte sie beide. Im Alter kamen sie einander ziemlich nahe, aber von Person und an Gemuetsart glichen sie einander nicht mehr als ein Adler und ein Seekalb. Kaspar Strumpf war ein kurzer, dicker Mensch mit einem breiten, fetten Vollmondsgesicht und gutmuetig lachenden Augen, denen Gram und Sorge fremd zu sein schienen. Er war nicht nur fett, sondern auch schlaefrig und faul, und ihm fielen daher die Arbeiten des Hauses, Kochen und Backen, das Stricken der Netze zum eigenen Fischfang und zum Verkaufe, auch ein grosser Teil der Bestellung ihres kleinen Feldes anheim. Ganz das Gegenteil war sein Gefaehrte; lang und hager, mit kuehner Habichtsnase und scharfen Augen, war er als der taetigste und gluecklichste Fischer, der unternehmendste Kletterer nach Voegeln und Daunen, der fleissigste Feldarbeiter auf den Inseln und dabei als der geldgierigste Haendler auf dem Markte zu Kirchwall bekannt; aber da seine Waren gut und sein Wandel frei von Betrug war, so handelte jeder gern mit ihm, und Wilm Falke (so nannten ihn seine Landsleute) und Kaspar Strumpf, mit welchem ersterer trotz seiner Habsucht gerne seinen schwer errungenen Gewinn teilte, hatten nicht nur eine gute Nahrung, sondern waren auch auf gutem Wege, einen gewissen Grad von Wohlhabenheit zu erlangen. Aber Wohlhabenheit allein war es nicht, was Falkes habsuechtigem Gemuete zusagte; er wollte reich, sehr reich werden, und da er bald einsehen lernte, dass auf dem gewoehnlichen Wege des Fleisses das Reichwerden nicht sehr schnell vor sich ging, so verfiel er zuletzt auf den Gedanken, er muesste seinen Reichtum durch irgendeinen ausserordentlichen Glueckszufall erlangen, und da nun dieser Gedanke einmal von seinem heftig wallenden Geiste Besitz genommen, fand er fuer nichts anderes Raum darin, und er fing an, mit Kaspar Strumpf davon als von einer gewissen Sache zu reden. Dieser, dem alles, was Falke sagte, fuer Evangelium galt, erzaehlte es seinen Nachbarn, und bald verbreitete sich das Geruecht, Wilm Falke haette sich entweder wirklich dem Boesen fuer Gold verschrieben, oder haette doch ein Anerbieten dazu von dem Fuersten der Unterwelt bekommen. Anfangs zwar verlachte Falke diese Geruechte, aber allmaehlich gefiel er sich in dem Gedanken, dass irgendein Geist ihm einmal einen Schatz verraten koenne, und er widersprach nicht laenger, wenn ihn seine Landsleute damit aufzogen. Er trieb zwar noch immer sein Geschaeft fort, aber mit weniger Eifer, und verlor oft einen grossen Teil der Zeit, die er sonst mit Fischfang oder andern nuetzlichen Arbeiten zuzubringen pflegte, in zwecklosem Suchen irgendeines Abenteuers, wodurch er ploetzlich reich werden sollte. Auch wollte es sein Unglueck, dass, als er eines Tages am einsamen Ufer stand und in unbestimmter Hoffnung auf das bewegte Meer hinausblickte, als solle ihm von dorther sein grosses Glueck kommen, eine grosse Welle unter einer Menge losgerissenen Mooses und Gesteins eine gelbe Kugel--eine Kugel von Gold--zu seinen Fuessen rollte. Wilm stand wie bezaubert; so waren denn seine Hoffnungen nicht leere Traeume gewesen, das Meer hatte ihm Gold, schoenes, reines Gold geschenkt, wahrscheinlich die Ueberreste eines schweren Barrens, welchen die Wellen auf dem Meeresgrund bis zur Groesse einer Flintenkugel abgerieben. Und nun stand es klar vor seiner Seele, dass einmal irgendwo an dieser Kueste ein reich beladenes Schiff gescheitert sein muesse, und dass er dazu ersehen sei, die im Schosse des Meeres begrabenen Schaetze zu heben. Dies ward von nun an sein einziges Streben: Seinen Fund sorgfaeltig, selbst vor seinem Freunde verbergend, damit nicht auch andere seiner Entdeckung auf die Spur kaemen, versaeumte er alles andere und brachte Tage und Naechte an dieser Kueste zu, wo er nicht sein Netz nach Fischen, sondern eine eigens dazu verfertigte Schaufel--nach Gold auswarf. Aber er fand nichts als Armut, denn er selbst verdiente nichts mehr, und Kaspars schlaefrige Bemuehungen reichten nicht hin, sie beide zu ernaehren. Im Suchen groesserer Schaetze verschwand nicht nur das gefundene Gold, sondern allmaehlich auch das ganze Eigentum der Junggesellen. Aber so wie Strumpf frueher stillschweigend von Falke den besten Teil seiner Nahrung hatte erwerben lassen, so ertrug er es auch jetzt schweigend und ohne Murren, dass die zwecklose Taetigkeit desselben sie ihm jetzt entzog; und gerade dieses sanftmuetige Dulden seines Freundes war es, was jenen nur noch staerker anspornte, sein rastloses Suchen nach Reichtum weiter fortzusetzen. Was ihn aber noch taetiger machte, war, dass, so oft er sich zur Ruhe niederlegte und seine Augen sich zum Schlummer schlossen, etwas ihm ein Wort ins Ohr raunte, das er zwar sehr deutlich zu vernehmen glaubte und das ihm jedesmal dasselbe schien, das er aber niemals behalten konnte. Zwar wusste er nicht, was dieser Umstand, so sonderbar er auch war, mit seinem jetzigen Streben zu tun haben koenne; aber auf ein Gemuet wie Wilm Falkes musste alles wirken, und auch dieses geheimnisvolle Fluestern half ihn in dem Glauben bestaerken, dass ihm ein grosses Glueck bestimmt sei, das er nur in einem Goldhaufen zu finden hoffte. Eines Tages ueberraschte ihn ein Sturm am Ufer, wo er den Goldbarren gefunden hatte, und die Heftigkeit desselben trieb ihn an, in einer nahen Hoehle zuflucht zu suchen. Diese Hoehle, welche die Einwohner die Hoehle von Steenfoll nennen, besteht aus einem langen unterirdischen Gange, weicher sich mit zwei Muendungen gegen das Meer oeffnet und den Wellen einen freien Durchgang laesst, die sich bestaendig mit lautem Bruellen schaeumend durch denselben hinarbeiten. Diese Hoehle war nur an einer Stelle zugaenglich, und zwar durch eine Spalte von oben her, welche aber selten von jemand anderem als mutwilligen Knaben betreten ward, indem zu den eigenen Gefahren des Ortes sich noch der Ruf eines Geisterspuks gesellte. Mit Muehe liess Wilm sich in denselben hinab und nahm ungefaehr zwoelf Fuss tief von der Oberflaeche auf einem vorspringenden Stein und unter einem ueberhaengenden Felsenstueck Platz, wo er mit den brausenden Wellen unter seinen Fuessen und dem wuetenden Sturm ueber seinem Haupte in seinen gewoehnlichen Gedankenzug verfiel, naemlich von dem gescheiterten Schiff, und was fuer ein Schiff es wohl gewesen sein mochte; denn trotz aller seiner Erkundigungen hatte er selbst von den aeltesten Einwohnern von keinem an dieser Stelle gescheiterten Fahrzeuge Nachricht erhalten koennen. Wie lange er so gesessen, wusste er selbst nicht; als er aber endlich aus seinen Traeumereien erwachte, entdeckte er, dass der Sturm vorueber war; und er wollte eben wieder emporsteigen, als eine Stimme sich aus der Tiefe vernehmen liess und das Wort Car-mil-han ganz deutlich in sein Ohr drang. Erschrocken fuhr er in die Hoehe und blickte in den leeren Abgrund hinab. "Grosser Gott!" schrie er, "das ist das Wort, das mich in meinem Schlafe verfolgt! Was, um Himmels willen, mag es bedeuten?" "Carmilhan!" seufzte es noch einmal aus der Hoehle herauf, als er schon mit einem Fuss die Spalte verlassen hatte, und er floh wie ein gescheuchtes Reh seiner Huette zu. Wilm war indessen keine Memme; die Sache war ihm nur unerwartet gekommen, und sein Geldgeiz war auch ueberdies zu maechtig in ihm, als dass ihn irgendein Anschein von Gefahr haette abschrecken koennen, auf seinem gefahrvollen Pfade fortzuwandern. Einst, als er spaet in der Nacht beim Mondschein der Hoehle von Steenfoll gegenueber mit seiner Schaufel nach Schaetzen fischte, blieb dieselbe auf einmal an etwas haengen. Er zog aus Leibeskraeften, aber die Masse blieb unbeweglich. Inzwischen erhob sich der Wind, dunkle Wolken ueberzogen den Himmel, heftig schaukelte das Boot und drohte umzuschlagen; aber Wilm liess sich nichts irren; er zog und zog, bis der Widerstand aufhoerte, und da er kein Gewicht fuehlte, glaubte er, sein Seil waere gebrochen. Aber gerade, als die Wolken sich ueber dem Monde zusammenziehen wollten, erschien eine runde schwarze Masse auf der Oberflaeche, und es erklang das ihn verfolgende Wort Carmilhan! Hastig wollte er nach ihr greifen, aber ebenso schnell, als er den Arm danach ausstreckte, verschwand sie in der Dunkelheit der Nacht, und der eben losbrechende Sturm zwang ihn, unter den nahen Felsen Zuflucht zu suchen. Hier schlief er vor Ermuedung ein, um im Schlafe, von einer ungezuegelten Einbildungskraft gepeinigt, aufs neue die Qualen zu erdulden, die ihn sein rastloses Streben nach Reichtum am Tage erleiden liess. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne fielen auf den jetzt ruhigen Spiegel des Meeres, als Falke erwachte. Eben wollte er wieder hinaus an die gewohnte Arbeit, als er von ferne etwas auf sich zukommen sah. Er erkannte es bald fuer ein Boot und in demselben eine menschliche Gestalt; was aber sein groesstes Erstaunen erregte, war, dass das Fahrzeug sich ohne Segel oder Ruder fortbewegte, und zwar mit dem Schnabel gegen das Ufer gekehrt, und ohne dass die darin sitzende Gestalt sich im geringsten um das Steuer zu bekuemmern schien, wenn es ja eins hatte. Das Boot kam immer naeher und hielt endlich neben Wilms Fahrzeug stille. Die Person in demselben zeigte sich jetzt als ein kleines, verschrumpftes, altes Maennchen, das in gelbe Leinwand gekleidet war und mit roter, in die Hoehe stehender Nachtmuetze, mit geschlossenen Augen und unbeweglich wie ein getrockneter Leichnam dasass. Nachdem er es vergebens angerufen und gestossen hatte, wollte er eben einen Strick an dem Boot befestigen und es wegfuhren, als das Maennchen die Augen aufschlug und sich zu bewegen anfing auf eine Weise, welche selbst den kuehnen Fischer mit Grausen erfuellte. "Wo bin ich?" fragte es nach einem tiefen Seufzer auf hollaendisch. Falke, welcher von den hollaendischen Heringsfaengern etwas von ihrer Sprache gelernt hatte, nannte ihm den Namen der Insel und fragte, wer er denn sei und was ihn hierhergebracht. "Ich komme, um nach der Carmilhan zu sehen." "Der Carmilhan? Um Gottes willen! Was ist das?" rief der begierige Fischer. "Ich gebe keine Antwort auf Fragen, die man mir auf diese Weise tut", erwiderte das Maennchen mit sichtbarer Angst. "Nun", schrie Falke, "was ist die Carmilhan?" "Die Carmilhan ist jetzt nichts, aber einst war sie ein schoenes Schiff, mit mehr Gold beladen, als je ein anderes Fahrzeug getragen." "Wo ging es zugrunde und wann?" "Es war vor hundert Jahren; wo, weiss ich nicht genau; ich komme, um die Stelle aufzusuchen und das verlorene Gold aufzufischen; willst du mir helfen, so wollen wir den Fund miteinander teilen." "Mit ganzem Herzen; sag' mir nur, was muss ich tun?" "Was du tun musst, erfordert Mut; du musst dich gerade vor Mitternacht in die wildeste und einsamste Gegend auf der Insel begeben, begleitet von einer Kuh, die du dort schlachten und dich von jemand in ihre frische Haut wickeln lassen musst. Dein Begleiter muss dich dann niederlegen und allein lassen, und ehe es ein Uhr schlaegt, weisst du, wo die Schaetze der Carmilhan liegen." "Auf diese Weise fiel des alten Engrol Sohn mit Leib und Seele ins Verderben!" rief Wilm mit Entsetzen. "Du bist der boese Geist", fuhr er fort, indem er hastig davonruderte, "geh zur Hoelle! Ich mag nichts mit dir zu tun haben." Das Maennchen knirschte, schimpfte und fluchte ihm nach; aber der Fischer, welcher zu beiden Rudern gegriffen hatte, war ihm bald ausser Gehoer und, nachdem er um einen Felsen gebogen, auch aus dem Gesichte. Aber die Entdeckung, dass der boese Geist sich seinen Geiz zunutze zu machen und mit Gold in seine Schlingen zu locken suchte, heilte den verblendeten Fischer nicht, im Gegenteil, er meinte die Mitteilung des gelben Maennchens benuetzen zu koennen, ohne sich dem Boesen zu ueberliefern, und indem er fortfuhr, an der oeden Kueste nach Gold zu fischen, vernachlaessigte er den Wohlstand, den ihm die reichen Fischzuege in andern Gegenden des Meeres darboten, sowie alle andern Mittel, auf die er ehemals seinen Fleiss verwendet, und versank von Tag zu Tage nebst seinem Gefaehrten in tiefere Armut, bis es endlich oft an den notwendigsten Lebensbeduerfnissen zu fehlen anfing. Aber obgleich dieser Verfall gaenzlich Falkes Halsstarrigkeit und falscher Begierde zugeschrieben werden musste und die Ernaehrung beider jetzt Kaspar Strumpf allein anheimfiel, so machte ihm doch dieser niemals den geringsten Vorwurf; ja, er bezeugte ihm immer noch dieselbe Unterwuerfigkeit, dasselbe Vertrauen in seinen besseren Verstand als zur Zeit, wo ihm seine Unternehmungen allezeit geglueckt waren; dieser Umstand vermehrte Falkes Leiden um ein Grosses, aber trieb ihn noch mehr, nach Gold zu suchen, weil er dadurch hoffte, auch seinen Freund fuer sein gegenwaertiges Entbehren schadlos halten zu koennen. Dabei verfolgte ihn das teuflische Gefluester des Wortes Carmilhan noch immer in seinem Schlummer. Kurz, Not, getaeuschte Erwartung und Geiz trieben ihn zuletzt zu einer Art von Wahnsinn, so dass er wirklich beschloss, das zu tun, was ihm das Maennchen angeraten, obgleich er nach der alten Sage wohl wusste, dass er sich damit den Maechten der Finsternis uebergab. Alle Gegenvorstellungen Kaspars waren vergebens. Falke ward nur um so heftiger, je mehr jener ihn anflehte, von seinem verzweifelten Vorhaben abzustehen, und der gute, schwache Mensch willigte endlich ein, ihn zu begleiten und ihm seinen Plan ausfahren zu helfen. Beider Herzen zogen sich schmerzhaft zusammen, als sie einen Strick um die Hoerner einer schoenen Kuh, ihr letztes Eigentum, legten, die sie vom Kalbe aufgezogen und die sie sich immer zu verkaufen geweigert hatten, weil sie's nicht uebers Herz bringen konnten, sie in fremden Haenden zu sehen. Aber der boese Geist, welcher sich Wilms bemeisterte, erstickte jetzt alle besseren Gefuehle in ihm, und Kaspar wusste ihm in nichts zu widerstehen. Es war im September, und die langen Naechte des schottlaendischen Winters hatten angefangen. Die Nachtwolken waelzten sich schwer vor dem rauhen Abendwinde und tuermten sich wie Eisberge im Maelstrom; tiefer Schatten fuellte die Schluchten zwischen dem Gebirge und den feuchten Torfsuempfen, und die trueben Bette der Stroeme blickten schwarz und furchtbar wie Hoellenschluende. Falke ging voran, und Strumpf folgte, schaudernd ueber seine eigene Kuehnheit, und Traenen fuellten sein mattes Auge, so oft er das arme Tier ansah, welches so vertrauensvoll und bewusstlos seinem baldigen Tode entgegenging, der ihm von der Hand werden sollte, die ihm bisher seine Nahrung gereicht. Mit Muehe kamen sie in das enge, sumpfige Bergtal, welches hier und da mit Moos und Heidekraut bewachsen, mit grossen Steinen uebersaet war und von einer wilden Gebirgskette umgeben lag, die sich in grauen Nebel verlor und wohin der Fuss eines Menschen sich selten verstieg. Sie naeherten sich auf wankendem Boden einem grossen Stein, welcher in der Mitte stand und von welchem ein verscheuchter Adler kraechzend in die Hoehe flog. Die arme Kuh bruellte dumpf, als erkenne sie die Schrecknisse des Ortes und ihr bevorstehendes Schicksal. Kaspar wandte sich weg, um sich die schnellfliessenden Traenen abzuwischen. Er blickte hinab durch die Felsenoeffnung, durch welche sie heraufgekommen waren, von wo aus man die ferne Brandung des Meeres hoerte, und dann hinauf nach den Berggipfeln, auf welche sich ein kohlschwarzes Gewoelk gelagert hatte, aus welchem man von Zeit zu Zeit ein dumpfes Murmeln vernahm. Als er sich wieder nach Wilm umsah, hatte dieser bereits die arme Kuh an den Stein gebunden und stand mit aufgehobener Axt im Begriff, das gute Tier zu faellen. Dies war zuviel fuer seinen Entschluss, sich in den Willen seines Freundes zu fuegen. Mit gesungenen Haenden stuerzte er sich auf die Knie. "Um Gottes willen, Wilm Falke!" schrie er mit der Stimme der Verzweiflung, "schone dich, schone die Kuh! Schone dich und mich! Schone deine Seele!--Schone dein Leben! Und musst du Gott so versuchen, so warte bis morgen und opfere lieber ein anderes Tier als unsere liebe Kuh." "Kaspar, bist du toll?" schrie Wilm wie ein Wahnsinniger, indem er noch immer die Axt in die Hoehe geschwungen hielt. "Soll ich die Kuh schonen und verhungern?" "Du sollst nicht verhungern", antwortete Kaspar entschlossen. "Solange ich Haende habe, sollst du nicht verhungern. Ich will vom Morgen bis in die Nacht fuer dich arbeiten. Nur bring' ich nicht um deiner Seele Seligkeit und lass mir das arme Tier leben!" "Dann nimm die Axt und spalte mir den Kopf", schrie Falke mit verzweifeltem Tone, "ich gehe nicht von diesem Fleck, bis ich habe, was ich verlange.--Kannst du die Schaetze der Carmilhan fuer mich heben? Koennen deine Haende mehr erwerben als die elendesten Beduerfnisse des Lebens?--Aber sie koennen meinen Jammer enden--komm und lass mich das Opfer sein!" "Wilm, toete die Kuh, toete mich! Es liegt mir nichts daran, es ist mir ja nur um deine Seligkeit zu tun. Ach, dies ist ja der Piktenaltar, und das Opfer, das du bringen willst, gehoert der Finsternis." "Ich weiss von nichts dergleichen", rief Falke, wild lachend wie einer, der entschlossen ist, nichts wissen zu wollen, was ihn von seinem Vorsatz abbringen koennte. "Kaspar, du bist toll und machst mich toll--aber da", fuhr er fort, indem er das Beil von sich warf und das Messer vom Steine aufnahm, wie wenn er sich durchstossen wollte, "da, behalte die Kuh statt meiner!" Kaspar war in einem Augenblicke bei ihm, riss ihm das Mordwerkzeug aus der Hand, erfasste das Beil, schwang es hoch in der Luft und liess es mit solcher Gewalt auf des geliebten Tieres Kopf fallen, dass es ohne zu zucken und tot zu seines Herrn Fuessen niederstuerzte. Ein Blitz, begleitet von einem Donnerschlage, folgte dieser raschen Handlung, und Falke starrte seinen Freund mit den Augen an, womit ein Mann ein Kind anstaunen wuerde, das sich das zu tun getrauet, was er selbst nicht gewagt. Strumpf schien aber weder von dem Donner erschreckt, noch durch das starre Erstaunen seines Gefaehrten ausser Fassung gebracht, sondern fiel, ohne ein Wort zu reden, ueber die Kuh her und fing an, ihr die Haut abzuziehen. Als Wilm sich ein wenig erholt hatte, half er ihm in diesem Geschaefte, aber mit so sichtbarem Widerwillen, als er vorher begierig gewesen war, das Opfer vollendet zu sehen. Waehrend dieser Arbeit hatte sich das Gewitter zusammengezogen, der Donner bruellte laut im Gebirge, und furchtbare Blitze schlaengelten sich um den Stein und ueber das Moos der Schlucht hin, waehrend der Wind, welcher diese Hoehe noch nicht erreicht hatte, die untern Taeler und das Gestade mit wildem Heulen erfuellte. Und als die Haut endlich abgezogen war, fanden beide Fischer sich schon bis auf die Haut durchnaesst. Sie breiteten jene auf dem Boden aus, und Kaspar wickelte und band Falken, so wie dieser es ihn geheissen, in derselben fest ein. Dann erst, als dies geschehen war, brach der arme Mensch das lange Stillschweigen, und indem er mitleidig auf seinen betoerten Freund hinabblickte, fragte er mit zitternder Stimme: "Kann ich noch etwas fuer dich tun, Wilm?" "Nichts mehr", erwiderte der andere, "lebe wohl!" "Leb' wohl", erwiderte Kaspar, "Gott sei mit dir und vergebe dir, wie ich es tue!" Dies waren die letzten Worte, welche Wilm von ihm hoerte; denn im naechsten Augenblicke war er in der immer zunehmenden Dunkelheit verschwunden. Und in demselben Augenblicke brach auch einer der fuerchterlichsten Gewitterstuerme, die Wilm nur je gehoert hatte, aus. Er fing an mit einem Blitze, welcher Falken nicht nur die Berge und Felsen in seiner unmittelbaren Naehe, sondern auch das Tal unter ihm mit dem schaeumenden Meere und den in der Bucht zerstreut liegenden Felseninseln zeigte, zwischen welchen er die Erscheinung eines grossen, fremdartigen und entmasteten Schiffes zu erblicken glaubte, welches auch im Augenblicke wieder in der schwaerzesten Dunkelheit verschwand. Die Donnerschlaege wurden ganz betaeubend. Eine Masse Felsenstuecke rollte vom Gebirge herab und drohte, ihn zu erschlagen. Der Regen ergoss sich in solcher Menge, dass er in einem Augenblicke das enge Sumpftal mit einer hohen Flut ueberstroemte, welche bald bis zu Wilms Schultern hinaufreichte; denn gluecklicherweise hatte ihn Kaspar mit dem obern Teile des Koerpers auf eine Erhoehung gelegt, sonst haette er auf einmal ertrinken muessen. Das Wasser stieg immer hoeher, und je mehr Wilm sich anstrengte, sich aus seiner gefahrvollen Lage zu befreien, desto fester umgab ihn die Haut. Umsonst rief er nach Kaspar. Kaspar war weit weg. Gott in seiner Not anzurufen, wagte er nicht, und ein Schauder ergriff ihn, wenn er die Maechte anflehen wollte, deren Gewalt er sich hingegeben fuehlte. Schon drang ihm das Wasser in die Ohren, schon beruehrte es den Rand der Lippen. "Gott, ich bin verloren!" schrie er, indem er einen Strom ueber sein Gesicht hinstuerzen fuehlte--aber in demselben Augenblick drang ein Schall wie von einem nahen Wasserfall schwach in sein Gehoer, und sogleich war auch sein Mund wieder unbedeckt. Die Flut hatte sich durch das Gestein Bahn gebrochen; und da zu gleicher Zeit der Regen etwas nachliess und das tiefe Dunkel des Himmels sich etwas verzog, so liess auch seine Verzweiflung nach, und es schien ihm ein Strahl der Hoffnung zurueckzukehren. Aber obgleich er sich wie von einem Todeskampfe erschoepft fuehlte und sehnlich wuenschte, aus seiner Gefangenschaft erloest zu sein, so war doch der Zweck seines verzweifelten Strebens noch nicht erreicht, und mit der verschwundenen unmittelbaren Lebensgefahr kam auch die Habsucht mit all ihren Furien in seine Brust zurueck. Aber ueberzeugt, dass er in seiner Lage ausharren muesse, um sein Ziel zu erreichen, hielt er sich ruhig und fiel vor Kaelte und Ermuedung in einen festen Schlaf. Er mochte ungefaehr zwei Stunden geschlafen haben, als ihn ein kalter Wind, der ihm uebers Gesicht fuhr, und ein Rauschen wie von herannahenden Meereswogen aus seiner gluecklichen Selbstvergessenheit aufruettelten. Der Himmel hatte sich aufs neue verfinstert. Ein Blitz wie der, welcher den ersten Sturm herbeigefuehrt, erhellte noch einmal die Gegend umher, und er glaubte abermals, das fremde Schiff zu erblicken, das jetzt dicht vor der Steenfollklippe auf einer hohen Welle zu haengen und dann jaehlings in den Abgrund zu schiessen schien. Er starrte noch immer nach dem Phantom; denn ein unaufhoerliches Blitzen hielt jetzt das Meer erleuchtet, als sich auf einmal eine berghohe Wasserhose aus dem Tale erhob und ihn mit solcher Gewalt gegen einen Felsen schleuderte, dass ihm alle Sinne vergingen. Als er wieder zu sich selbst kam, hatte sich das Wetter verzogen, der Himmel war heiter; aber das Wetterleuchten dauerte noch immer fort. Er lag dicht am Fusse des Gebirges, welches dieses Tal umschloss, und er fuehlte sich so zerschlagen, dass er sich kaum zu ruehren vermochte. Er hoerte das stillere Brausen der Brandung und mitten drinnen eine feierliche Musik wie Kirchengesang. Diese Toene waren anfangs so schwach, dass er sie fuer Taeuschung hielt. Aber sie liessen sich immer wieder aufs neue vernehmen, und jedesmal deutlicher und naeher, und es schien ihm zuletzt, als koenne er darin die Melodie eines Psalms unterscheiden, die er im vorigen Sommer an Bord eines hollaendischen Heringsfaengers gehoert hatte. Endlich unterschied er sogar Stimmen, und es deuchte ihn, als vernehme er sogar die Worte jenes Liedes; die Stimmen waren jetzt in dem Tale, und als er sich mit Muehe zu einem Steine hingeschoben, auf den er den Kopf legte, erblickte er wirklich einen Zug von menschlichen Gestalten, von welchem diese Musik ausging und der sich gerade auf ihn zu bewegte. Kummer und Angst lagen auf den Gesichtern der Leute, deren Kleider von Wasser zu triefen schienen. Jetzt waren sie dicht bei ihm, und ihr Gesang schwieg. An ihrer Spitze waren mehrere Musikanten, dann mehrere Seeleute, und hinter diesen kam ein grosser, starker Mann in altvaeterlicher, reich mit Gold besetzter Tracht, mit einem Schwert an der Seite und einem langen, dicken, spanischen Rohr mit goldenem Knopfe in der Hand. Ihm zur Seite ging ein Negerknabe, welcher seinem Herrn von Zeit zu Zeit eine lange Pfeife reichte, aus der er einige feierliche Zuege tat und dann weiterschritt. Er blieb kerzengerade vor Wilm stehen, und ihm zu beiden Seiten stellten sich andere minder praechtig gekleidete Maenner, welche alle Pfeifen in den Haenden hatten, die aber nicht so kostbar schienen als die Pfeife, welche dem dicken Manne nachgetragen wurde. Hinter diesen traten andere Personen auf, worunter mehrere Frauenspersonen, von denen einige Kinder in den Armen oder an der Hand hatten, alle in kostbarer, aber fremdartiger Kleidung. Ein Haufen hollaendischer Matrosen schloss den Zug, deren jeder den Mund voll Tabak und zwischen den Zaehnen ein braunes Pfeifchen hatte, das sie in duesterer Stille rauchten. Der Fischer blickte mit Grausen auf diese sonderbare Versammlung; aber die Erwartung dessen, was da kommen werde, hielt seinen Mut aufrecht. Lange standen sie um ihn her, und der Rauch ihrer Pfeifen erhob sich wie eine Wolke ueber sie, zwischen welcher die Sterne hindurchblinkten. Der Kreis zog sich immer enger um Wilm her, das Rauchen ward immer heftiger und dicker die Wolke, die aus Mund und Pfeifen hervorstieg. Falke war ein kuehner, verwegener Mann; er hatte sich auf Ausserordentliches vorbereitet--aber als er diese unbegreifliche Menge immer naeher auf sich eindringen sah, als wolle sie ihn mit ihrer Masse erdruecken, da entsank ihm der Mut, dicker Schweiss trat ihm vor die Stirne, und er glaubte, vor Angst vergehen zu muessen. Aber man denke sich erst seinen Schrecken, als er von ungefaehr die Augen wandte und dicht an seinem Kopfe das gelbe Maennchen steif und aufrecht sitzen sah, als wie er es zum erstenmal erblickt, nur dass es jetzt, als wie zum Spotte der ganzen Versammlung, auch eine Pfeife im Munde hatte. In der Todesangst, die ihn jetzt ergriff, rief er, zu der Hauptperson gewendet: "Im Namen dessen, dem Ihr dienet, wer seid Ihr? Und was verlangt Ihr von mir?" Der grosse Mann rauchte drei Zuege, feierlicher als je, gab dann die Pfeife seinem Diener und antwortete mit schreckhafter Kaelte: "Ich bin Aldret Franz Van der Swelder, Befehlshaber des Schiffes Carmilhan von Amsterdam,' welches auf dem Heimwege von Batavia mit Mann und Maus an dieser Felsenkueste zugrunde ging; dies sind meine Offiziere, dies meine Passagiere und jenes meine braven Seeleute, welche alle mit mir ertranken. Warum hast du uns aus unseren tiefen Wohnungen im Meere hervorgerufen? Warum stoertest du unsere Ruhe?" "Ich moechte wissen, wo die Schaetze der Carmilhan liegen." "Am Boden des Meeres." "Wo?" "In der Hoehle von Steenfoll." "Wie soll ich sie bekommen?" "Eine Gans taucht in den Schlund nach einem Hering; sind die Schaetze der Camaan nicht ebensoviel wert?" "Wieviel davon werd' ich bekommen?" "Mehr, als du je verzehren wirst." Das gelbe Maennchen grinste, und die ganze Versammlung lachte laut auf. "Bist du zu Ende?" fragte der Hauptmann weiter. "Ich bin's. Gehab dich wohl!" "Leb' wohl, bis aufs Wiedersehen", erwiderte der Hollaender und wandte sich zum Gehen, die Musikanten traten aufs neue an die Spitze, und der ganze Zug entfernte sich in derselben Ordnung, in welcher er gekommen war, und mit demselben feierlichen Gesang, welcher mit der Entfernung immer leiser und undeutlicher wurde, bis er sich nach einiger Zeit gaenzlich im Geraeusche der Brandung verlor. Jetzt strengte Wilm seine letzten Kraefte an, sich aus seinen Banden zu befreien, und es gelang ihm endlich, einen Arm loszubekommen, womit er die ihn umwindenden Stricke loeste und sich endlich ganz aus der Haut wickelte. Ohne sich umzusehen, eilte er nach seiner Huette und fand den armen Kaspar Strumpf in starrer Bewusstlosigkeit am Boden liegen. Mit Muehe brachte er ihn wieder zu sich selbst, und der gute Mensch weinte vor Freude, als er den verloren geglaubten Jugendfreund wieder vor sich sah. Aber dieser beglueckende Strahl verschwand schnell wieder, als er von diesem vernahm, welch verzweifeltes Unternehmen er jetzt vorhatte. "Ich wollte mich lieber in die Hoelle stuerzen als diese nackten Waende und dieses Elend laenger ansehen. Folge mir oder nicht, ich gehe." Mit diesen Worten fasste Wilm eine Fackel, ein Feuerzeug und ein Seil und eilte davon. Kaspar eilte ihm nach, so schnell er's vermochte, und fand ihn schon auf dem Felsstueck stehen, auf welchem er vormals gegen den Sturm Schutz gefunden, und bereit, sich an dem Stricke in den brausenden, schwarzen Schlund hinabzulassen. Als er fand, dass alle seine Vorstellungen nichts ueber den rasenden Menschen vermochten, bereitete er sich, ihm nachzusteigen; aber Falke befahl ihm, zu bleiben und den Strick zu halten. Mit furchtbarer Anstrengung, wozu nur die Mindeste Habsucht den Mut und die Staerke geben konnte, kletterte Falke in die Hoehle hinab und kam endlich auf ein vorspringendes Felsenstueck zu stehen, unter welchem die Wogen, schwarz und mit weissem Schaum bekraeuselt, brausend dahineilten. Er blickte begierig umher und sah endlich etwas gerade unter ihm im Wasser schimmern. Er legte die Fackel nieder, stuerzte sich hinab und erfasste etwas Schweres, das er auch heraufbrachte. Es war ein eisernes Kaestchen voller Goldstuecke. Er verkuendigte seinem Gefaehrten, was er gefunden, wollte aber durchaus nicht auf sein Flehen hoeren, sich damit zu begnuegen und wieder heraufzusteigen. Falke meinte, dies waere nur die erste Frucht seiner langen Bemuehungen. Er stuerzte sich noch einmal hinab--es erscholl ein lautes Gelaechter aus dem Meere, und Wilm Falke ward nie wieder gesehen. Kaspar ging allein nach Hause, aber als ein anderer Mensch. Die seltsamen Erschuetterungen, die sein schwacher Kopf und sein empfindsames Herz erlitten, zerruetteten ihm die Sinne. Er liess alles um sich her verfallen und wanderte Tag und Nacht gedankenlos vor sich starrend umher, von allen seinen vorigen Bekannten bedauert und gemieden. Ein Fischer will Wilm Falke in einer stuermischen Nacht mitten unter der Mannschaft der Carmilhan am Ufer erkannt haben, und in derselben Nacht verschwand auch Kaspar Strumpf. Man suchte ihn allenthalben, allein nirgends hat man eine Spur von ihm finden koennen. Aber die Sage geht, dass er oft nebst Falke mitten unter der Mannschaft des Zauberschiffes gesehen worden sei, welches seitdem zu regelmaessigen Zeiten an der Hoehle von Steenfoll erschien. "Mitternacht ist laengst vorueber", sagte der Student, als der junge Goldarbeiter seine Erzaehlung geendigt hatte, "jetzt hat es wohl keine Gefahr mehr, und ich fuer meinen Teil bin so schlaefrig, dass ich allen raten moechte, niederzuliegen und getrost einzuschlafen." "Vor zwei Uhr morgens moecht' ich doch nicht trauen", entgegnete der Jaeger, "das Sprichwort sagt, von elf bis zwei Uhr ist Diebes Zeit." "Das glaube ich auch", bemerkte der Zirkelschmied, "denn wenn man uns etwas anhaben will, ist wohl keine Zeit gelegener als die nach Mitternacht. Darum meine ich, der Studiosus koennte an seiner Erzaehlung fortfahren, die er noch nicht ganz vollendet hat." "Ich straeube mich nicht", sagte dieser, "obgleich unser Nachbar, der Herr Jaeger, den Anfang nicht gehoert hat." "Ich muss ihn mir hinzudenken, fanget nur an!" rief der Jaeger. "Nun denn", wollte eben der Student beginnen, als sie durch das Anschlagen eines Hundes unterbrochen wurden. Alle hielten den Atem an und horchten; zugleich stuerzte einer der Bediensteten aus dem Zimmer der Graefin und rief, dass wohl zehn bis zwoelf bewaffnete Maenner von der Seite her auf die Schenke zukaemen. Der Jaeger griff nach seiner Buechse, der Student nach seiner Pistole, die Handwerksburschen nach ihren Stoecken, und der Fuhrmann zog ein langes Messer aus der Tasche. So standen sie und sahen ratlos einander an. "Lasst uns an die Treppe gehen!" rief der Student, "zwei oder drei dieser Schurken sollen doch zuvor ihren Tod finden, ehe wir ueberwaeltigt werden." Zugleich gab er dem Zirkelschmied seine zweite Pistole und riet, dass sie nur einer nach dem anderen schiessen wollten. Sie stellten sich an die Treppe; der Student und der Jaeger nahmen gerade ihre ganze Breite ein; seitwaerts neben dem Jaeger stand der mutige Zirkelschmied und beugte sich ueber das Gelaender, indem er die Muendung seiner Pistole auf die Mitte der Treppe hielt: Der Goldarbeiter und der Fuhrmann standen hinter ihnen, bereit, wenn es zu einem Kampf Mann gegen Mann kommen sollte, das ihrige zu tun. So standen sie einige Minuten in stiller Erwartung: Endlich hoerte man die Haustuere aufgehen, sie glaubten auch das Fluestern mehrerer Stimmen zu vernehmen. Jetzt hoerte man Tritte vieler Menschen der Treppe nahen; man kam die Treppe herauf, und auf der ersten Haelfte zeigten sich drei Maenner, die wohl nicht auf den Empfang gefasst waren, der ihnen bereitet war. Denn als sie sich um die Pfeiler der Treppe wandten, schrie der Jaeger mit starker Stimme: "Halt! Noch einen Schritt weiter, und ihr seid des Todes. Spannet die Hahnen, Freunde, und gut gezielt!" Die Raeuber erschraken, zogen sich eilig zurueck und berieten sich mit den uebrigen. Nach einer Weile kam einer davon zurueck und sprach: "Ihr Herren! Es waere Torheit von euch, umsonst euer Leben aufopfern zu wollen, denn wir sind unserer genug, um euch voellig aufzureiben; aber ziehet euch zurueck, es soll keinem das Geringste zuleide geschehen; wir wollen keines Groschen Wert von euch nehmen." "Was wollt ihr denn sonst?" rief der Student. "Meint ihr, wir werden solchem Gesindel trauen? Nimmermehr! Wollt ihr etwas holen, in Gottes Namen, so kommet, aber den ersten, der sich um die Ecke wagt, brenne ich auf die Stirne, dass er auf ewig keine Kopfschmerzen mehr haben soll!" "Gebt uns die Dame heraus, gutwillig!" antwortete der Raeuber. "Es soll ihr nichts geschehen; wir wollen sie an einen sicheren und bequemen Ort fuehren, ihre Leute koennen zurueckreiten und den Herrn Grafen bitten, er moege sie mit zwanzigtausend Gulden ausloesen." "Solche Vorschlaege sollen wir uns machen lassen?" entgegnete der Jaeger, knirschend vor Wut, und spannte den Hahn. "Ich zaehle drei, und wenn du da unten nicht bei drei hinweg bist, so druecke ich los, eins, zwei--" "Halt!" schrie der Raeuber mit donnernder Stimme. "Ist das Sitte, auf einen wehrlosen Mann zu schiessen, der mit euch friedlich unterhandelt? Toerichter Bursche, du kannst mich totschiessen, und dann hast du erst keine grosse Heldentat getan; aber hier stehen zwanzig meiner Kameraden, die mich raechen werden. Was nuetzt es dann deiner Frau Graefin, wenn ihr tot oder verstuemmelt auf dem Flur lieget? Glaube mir, wenn sie freiwillig mitgeht, soll sie mit Achtung behandelt werden; aber wenn du, bis ich drei zaehle, nicht den Hahnen in Ruhe setzest, so soll es ihr uebel ergehen. Hahnen in Ruh', eins, zwei, drei!" "Mit diesen Hunden ist nicht zu spassen", fluesterte der Jaeger, indem er den Befehl des Raeubers befolgte, "wahrhaftig, an meinem Leben liegt nichts; aber wenn ich einen niederschiesse, koennten sie meine Dame um so haerter behandeln. Ich will die Graefin um Rat fragen. Gebt uns", fuhr er mit lauter Stimme fort, "gebt uns eine halbe Stunde Waffenstillstand, um die Graefin vorzubereiten; sie wuerde, wenn sie es so ploetzlich erfaehrt, den Tod davon haben." "Zugestanden", antwortete der Raeuber und liess zugleich den Ausgang der Treppe mit sechs Maennern besetzen. Bestuerzt und verwirrt folgten die ungluecklichen Reisenden dem Jaeger in das Zimmer der Graefin; es lag dieses so nahe, und so laut hatte man verhandelt, dass ihr kein Wort entgangen war. Sie war bleich und zitterte heftig; aber dennoch schien sie fest entschlossen, sich in ihr Schicksal zu ergeben. "Warum soll ich nutzlos das Leben so vieler braver Leute aufs Spiel setzen?" fragte sie. "Warum euch zu einer vergeblichen Verteidigung auffordern, euch, die ihr mich gar nicht kennet? Nein, ich sehe, dass keine andere Rettung ist, als den Elenden zu folgen." Man war allgemein von dem Mut und dem Unglueck der Dame ergriffen; der Jaeger weinte und schwur, dass er diese Schmach nicht ueberleben koenne. Der Student aber schmaehte auf sich und seine Groesse von sechs Fuss. "Waere ich nur um einen halben Kopf kleiner", rief er, "und haette ich keinen Bart, so wuesste ich wohl, was ich zu tun haette; ich liesse mir von der Frau Graefin Kleider geben, und diese Elenden sollten spaet genug erfahren, welchen Missgriff sie getan." Auch auf Felix hatte das Unglueck dieser Frau grossen Eindruck gemacht. Ihr ganzes Wesen kam ihm so ruehrend und bekannt vor; es war ihm, als sei es seine fruehe verstorbene Mutter, die sich in dieser schrecklichen Lage befaende. Er fuehlte sich so gehoben, so mutig, dass er gerne sein Leben fuer das ihrige gegeben haette. Doch als der Student jene Worte sprach, da blitzte auf einmal ein Gedanke in seiner Seele auf; er vergass alle Angst, alle Ruecksichten, und er dachte nur an die Rettung dieser Frau. "Ist es nur dies", sprach er, indem er schuechtern und erroetend hervortrat, "gehoert nur ein kleiner Koerper, ein bartloses Kinn und ein mutiges Herz dazu, die gnaedige Frau zu retten, so bin ich vielleicht auch nicht zu schlecht dazu; ziehet in Gottes Namen meinen Rock an, setzet meinen Hut auf Euer schoenes Haar und nehmet mein Buendel auf den Ruecken und ziehet als Felix, der Goldarbeiter, Eure Strasse!" Alle waren erstaunt ueber den Mut des Juenglings, der Jaeger aber fiel ihm freudig um den Hals. "Goldjunge", rief er, "das wolltest du tun? Wolltest dich in meiner gnaedigen Frau Kleider stecken lassen und sie retten? Das hat dir Gott eingegeben; aber allein sollst du nicht gehen, ich will mich mit gefangen geben, will bei dir bleiben an deiner Seite als dein bester Freund, und solange ich lebe, sollen sie dir nichts anhaben duerfen." "Auch ich ziehe mit dir, so wahr ich lebe!" rief der Student. Es kostete lange Ueberredung, um die Graefin zu diesem Vorschlag zu ueberreden. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ein fremder Mensch fuer sie sich aufopfern sollte; sie dachte sich im Falle einer spaeteren Entdeckung die Rache der Raeuber, die ganz auf den Ungluecklichen fallen wuerde, schrecklich. Aber endlich siegten teils die Bitten des jungen Menschen, teils die Ueberzeugung, im Falle sie gerettet wuerde, alles aufbieten zu koennen, um ihren Retter wieder zu befreien. Sie willigte ein. Der Jaeger und die uebrigen Reisenden begleiteten Felix in das Zimmer des Studenten, wo er sich schnell einige Kleider der Graefin ueberwarf. Der Jaeger setzte ihm noch zum Ueberfluss einige falsche Haarlocken der Kammerfrau und einen Damenhut auf, und alle versicherten, dass man ihn nicht erkennen wuerde. Selbst der Zirkelschmied schwur, dass, wenn er ihm auf der Strasse begegnete, er flink den Hut abziehen und nicht ahnen wuerde, dass er vor seinem mutigen Kameraden sein Kompliment mache. Die Graefin hatte sich indessen mit Hilfe ihrer Kammerfrau aus dem Raenzchen des jungen Goldarbeiters mit Kleidern versehen. Der Hut, tief in die Stirne gedrueckt, der Reisestock in der Hand, das etwas leichter gewordene Buendel auf dem Ruecken machten sie voellig unkenntlich, und die Reisenden wuerden,zu jeder anderen Zeit ueber diese komische Maskerade nicht wenig gelacht haben. Der neue Handwerksbursche dankte Felix mit Traenen und versprach die schleunigste Hilfe. "Nur noch eine Bitte habe ich", antwortete Felix, "in diesem Raenzchen, das Sie auf dem Ruecken tragen, befindet sich eine kleine Schachtel; verwahren Sie diese sorgfaeltig! Wenn sie verlorenginge, waere ich auf immer und ewig ungluecklich; ich muss sie meiner Pflegmutter bringen und--" "Gottfried, der Jaeger, weiss mein Schloss", entgegnete sie, "es soll Euch alles unbeschaedigt wieder zurueckgestellt werden; denn ich hoffe, Ihr kommet dann selbst, edler junger Mann, um den Dank meines Gatten und den meinigen zu empfangen." Ehe noch Felix darauf antworten konnte, ertoenten von der Treppe her die rauhen Stimmen der Raeuber; sie riefen, die Frist sei verflossen und alles zur Abfahrt der Graefin bereit. Der Jaeger ging zu ihnen hinab und erklaerte ihnen, dass er die Dame nicht verlassen werde und lieber mit ihnen gehe, wohin es auch sei, ehe er ohne seine Gebieterin vor seinem Herrn erschiene. Auch der Student erklaerte, diese Dame begleiten zu wollen. Sie beratschlagten sich ueber diesen Fall und gestanden es endlich zu unter der Bedingung, dass der Jaeger sogleich seine Waffen abgebe. Zugleich befahlen sie, dass die uebrigen Reisenden sich ruhig verhalten sollten, wenn die Graefin hinweggefuehrt werde Felix liess den Schleier nieder, der ueber seinen Hut gebreitet war, setzte sich in eine Ecke, die Stirne in die Hand gestuetzt, und in dieser Stellung eines tief Betruebten erwartete er die Raeuber. Die Reisenden hatten sich in das andere Zimmer zurueckgezogen, doch so, dass sie, was vorging, ueberschauen konnten; der Jaeger sass anscheinend traurig, aber auf alles lauernd in der anderen Ecke des Zimmers, das die Graefin bewohnt hatte. Nachdem sie einige Minuten so gesessen, ging die Tuere auf, und ein schoener, stattlich gekleideter Mann von etwa sechsunddreissig Jahren trat in das Zimmer. Er trug eine Art von militaerischer Uniform, einen Orden auf der Brust, einen langen Saebel an der Seite, und in der Hand hielt er einen Hut, von welchem schoene Federn herabwallten. Zwei seiner Leute hatten gleich nach seinem Eintritt die Tuere besetzt. Er ging mit einer tiefen Verbeugung auf Felix zu; er schien vor einer Dame dieses Ranges etwas in Verlegenheit zu sein, er setzte mehrere Male an, bis es ihm gelang, geordnet zu sprechen. "Gnaedige Frau", sagte er, "es gibt Faelle, in die man sich in Geduld schicken muss. Ein solcher ist der Ihrige. Glauben Sie nicht, dass ich den Respekt vor einer so ausgezeichneten Dame auch nur auf einen Augenblick aus den Augen setzen werde; Sie werden alle Bequemlichkeiten haben, Sie werden ueber nichts klagen koennen als vielleicht ueber den Schrecken, den Sie diesen Abend gehabt." Hier hielt er inne, als erwartete er eine Antwort; als aber Felix beharrlich schwieg, fuhr er fort: "Sehen Sie in mir keinen gemeinen Dieb, keinen Kehlenabschneider. Ich bin ein ungluecklicher Mann, den widrige Verhaeltnisse zu diesem Leben zwangen. Wir wollen uns auf immer aus dieser Gegend entfernen; aber wir brauchen Reisegeld. Es waere uns ein leichtes gewesen, Kaufleute oder Postwagen zu ueberfallen; aber dann haetten wir vielleicht mehrere Leute auf immer ins Unglueck gestuerzt. Der Herr Graf, Ihr Gemahl, hat vor sechs Wochen eine Erbschaft von fuenfmalhunderttausend Talern gemacht. Wir erbitten uns zwanzigtausend Gulden von diesem Ueberfluss, gewiss eine gerechte und bescheidene Forderung. Sie werden daher die Gnade haben, jetzt sogleich einen offenen Brief an Ihren Gemahl zu schreiben, worin Sie ihm melden, dass wir Sie zurueckgehalten, dass er die Zahlung so bald als moeglich leisten moege, widrigenfalls--Sie verstehen mich, wir muessten dann etwas haerter mit Ihnen selbst verfahren. Die Zahlung wird nicht angenommen, wenn sie nicht unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit von einem einzelnen Manne hierhergebracht wird." Diese Szene wurde mit der gespanntesten Aufmerksamkeit von allen Gaesten der Waldschenke, am aengstlichsten wohl von der Graefin beobachtet. Sie glaubte jeden Augenblick, der Juengling, der sich fuer sie geopfert, koennte sich verraten. Sie war fest entschlossen, ihn um einen grossen Preis loszukaufen; aber ebenso fest stand ihr Gedanke, um keinen Preis der Welt auch nur einen Schritt weit mit den Raeubern zu gehen. Sie hatte in der Rocktasche des Goldarbeiters ein Messer gefunden. Sie hielt es geoeffnet krampfhaft in der Hand, bereit, sich lieber zu toeten als eine solche Schmach zu erdulden. Jedoch nicht minder aengstlich war Felix selbst. Zwar staerkte und troestete ihn der Gedanke, dass es eine maennliche und wuerdige Tat sei, einer bedraengten, hilflosen Frau auf diese Weise beizustehen; aber er fuerchtete, sich durch jede Bewegung, durch seine Stimme zu verraten. Seine Angst steigerte sich, als der Raeuber von einem Briefe sprach, den er schreiben sollte. Wie sollte er schreiben? Welche Titel dem Grafen geben, welche Form dem Briefe, ohne sich zu verraten? Seine Angst stieg aber aufs hoechste, als der Anfuehrer der Raeuber Papier und Feder vor ihn hinlegte, ihn bat, den Schleier zurueckzuschlagen und zu schreiben. Felix wusste nicht, wie huebsch ihm die Tracht passte, in welche er gekleidet war; haette er es gewusst, er wuerde sich vor einer Entdeckung nicht im mindesten gefuerchtet haben. Denn als er endlich notgedrungen den Schleier zurueckschlug, schien der Herr in Uniform, betroffen von der Schoenheit der Dame und ihren etwas maennlichen, mutigen Zuegen, sie nur noch ehrfurchtsvoller zu betrachten. Dem klaren Blick des jungen Goldschmieds entging dies nicht; getrost, dass wenigstens in diesem gefaehrlichen Augenblick keine Entdeckung zu fuerchten sei, ergriff er die Feder und schrieb an seinen vermeintlichen Gemahl nach einer Form, wie er sie einst in einem alten Buche gelesen; er schrieb: "Mein Herr und Gemahl! Ich unglueckliche Frau bin auf meiner Reise mitten in der Nacht ploetzlich angehalten worden, und zwar von Leuten, welchen ich keine gute Absicht zutrauen kann. Sie werden mich solange zurueckhalten, bis Sie, Herr Graf, die Summe von 20 000 Gulden fuer mich niedergelegt haben. Die Bedingung ist dabei, dass Sie nicht im mindesten ueber die Sache sich bei der Obrigkeit beschweren noch ihre Hilfe nachsuchen, dass Sie das Geld durch einen einzelnen Mann in die Waldschenke im Spessart schicken; widrigenfalls ist mir mit laengerer und harter Gefangenschaft gedroht. Es fleht Sie um schleunige Hilfe an Ihre unglueckliche Gemahlin." Er reichte den merkwuerdigen Brief dem Anfuehrer der Raeuber, der ihn durchlas und billigte. "Es kommt nun ganz auf Ihre Bestimmung an", fuhr er fort, "ob Sie Ihre Kammerfrau oder Ihren Jaeger zur Begleitung waehlen werden. Die eine dieser Personen werde ich mit dem Briefe an Ihren Herrn Gemahl zurueckschicken." "Der Jaeger 'und dieser Herr hier werden mich begleiten", antwortete Felix. "Gut", entgegnete jener, indem er an die Tuere ging und die Kammerfrau herbeirief, "so unterrichten Sie diese Frau, was sie zu tun habe!" Die Kammerfrau erschien mit Zittern und Beben. Auch Felix erblasste, wenn er bedachte, wie leicht er sich auch jetzt wieder verraten koennte. Doch ein unbegreiflicher Mut, der ihn in jenen gefaehrlichen Augenblicken staerkte, gab ihm auch jetzt wieder seine Reden ein. "Ich habe dir nichts weiter aufzutragen", sprach er, "als dass du den Grafen bittest, mich sobald als moeglich aus dieser ungluecklichen Lage zu reissen." "Und", fuhr der Raeuber fort, "dass Sie dem Herrn Grafen aufs genaueste und ausdruecklichste empfehlen, dass er alles verschweige und nichts gegen uns unternehme, bis seine Gemahlin in seinen Haenden ist. Unsere Kundschafter wuerden uns bald genug davon unterrichten, und ich moechte dann fuer nichts stehen." Die zitternde Kammerfrau versprach alles. Es wurde ihr noch befohlen, einige Kleidungsstuecke und Linnenzeug fuer die Frau Graefin in ein Buendel zu packen, weil man sich nicht mit vielem Gepaecke beladen koenne, und als dies geschehen war, forderte der Anfuehrer der Raeuber die Dame mit einer Verbeugung auf, ihm zu folgen. Felix stand auf, der Jaeger und der Student folgten ihm, und alle drei stiegen, begleitet von dem Anfuehrer der Raeuber, die Treppe hinab. Vor der Waldschenke standen viele Pferde; eines wurde dem Jaeger angewiesen, ein anderes, ein schoenes kleines Tier, mit einem Damensattel versehen, stand fuer die Graefin bereit, ein drittes gab man dem Studenten. Der Hauptmann hob den jungen Goldschmied in den Sattel, schnallte ihn fest und bestieg dann selbst sein Ross. Er stellte sich zur Rechten der Dame auf, zur Linken hielt einer der Raeuber; auf gleiche Weise waren auch der Jaeger und der Student umgeben. Nachdem sich auch die uebrige Bande zu Pferde gesetzt hatte, gab der Anfuehrer mit einer helltoenenden Pfeife das Zeichen zum Aufbruch, und bald war die ganze Schar im Walde verschwunden. Die Gesellschaft, die im oberen Zimmer versammelt war, erholte sich nach diesem Auftritt allmaehlich von ihrem Schrecken. Sie waeren, wie es nach grossem Unglueck oder ploetzlicher Gefahr zu geschehen pflegt, vielleicht sogar heiter gewesen, haette sie nicht der Gedanke an ihre drei Gefaehrten beschaeftigt, die man vor ihren Augen hinweggefuehrt hatte. Sie brachen in Bewunderung des jungen Goldschmieds aus, und die Graefin vergoss Traenen der Ruehrung, wenn sie bedachte, dass sie einem Menschen so unendlich viel zu verdanken habe, dem sie nie zuvor Gutes getan, den sie nicht einmal kannte. Ein Trost war es fuer alle, dass der heldenmuetige Jaeger und der wackere Student ihn begleitet hatten, konnten sie ihn doch troesten, wenn sich der junge Mann ungluecklich fuehlte, ja, der Gedanke lag nicht gar zu ferne, dass der verschlagene Waidmann vielleicht Mittel zu ihrer Flucht finden koennte. Sie berieten sich noch miteinander, was zu tun sei. Die Graefin beschloss, da ja sie kein Schwur gegen den Raeuber binde, sogleich zu ihrem Gemahl zurueckzureisen und alles aufzubieten, den Aufenthalt der Gefangenen zu entdecken, sie zu befreien; der Fuhrmann versprach, nach Aschaffenburg zu reiten und die Gerichte zur Verfolgung der Raeuber anzurufen. Der Zirkelschmied aber wollte seine Reise fortsetzen. Die Reisenden wurden in der Nacht nicht mehr beunruhigt; Totenstille herrschte in der Waldschenke, die noch vor kurzem der Schauplatz so schrecklicher Szenen gewesen war. Als aber am Morgen die Bediensteten der Graefin zu der Wirtin hinabgingen, um alles zur Abfahrt fertig zu machen, kehrten sie schnell zurueck und berichteten, dass sie die Wirtin und ihr Gesinde in elendem Zustande gefunden haetten; sie laegen gebunden in der Schenke und flehten um Beistand. Die Reisenden sahen sich bei dieser Nachricht erstaunt an. "Wie?" rief der Zirkelschmied, "so sollten diese Leute dennoch unschuldig sein? So haetten wir ihnen unrecht getan, und sie staenden nicht im Einverstaendnis mit den Raeubern?" "Ich lasse mich aufhaengen statt ihrer", erwiderte der Fuhrmann, "wenn wir nicht dennoch recht hatten. Dies alles ist nur Betrug, um nicht ueberwiesen werden zu koennen. Erinnert ihr euch nicht der verdaechtigen Mienen dieser Wirtschaft? Erinnert ihr euch nicht, als ich hinabgehen wollte, wie mich der abgerichtete Hund nicht losliess, wie die Wirtin und der Hausknecht sogleich erschienen und muerrisch fragten, was ich denn noch zu tun haette? Doch sie sind unser, wenigstens der Frau Graefin Glueck. Haette es in der Schenke weniger verdaechtig ausgesehen, haette uns die Wirtin nicht so misstrauisch gemacht, wir waeren nicht zusammengestanden, waeren nicht wach geblieben. Die Raeuber haetten uns ueberfallen im Schlafe, haetten zum wenigsten unsere Tuere bewacht, und diese Verwechslung des braven jungen Burschen waere nimmer moeglich geworden." Sie stimmten mit der Meinung des Fuhrmanns alle ueberein und beschlossen, auch die Wirtin und ihr Gesinde bei der Obrigkeit anzugeben. Doch um sie desto sicherer zu machen, wollten sie sich jetzt nichts merken lassen. Die Bediensteten und der Fuhrmann gingen daher hinab in das Schenkzimmer, loesten die Bande der Diebeshehler auf und bezeugten sich so mitleidig und bedauernd als moeglich. Um ihre Gaeste noch mehr zu versoehnen, machte die Wirtin nur eine kleine Rechnung fuer jeden und lud sie ein, recht bald wiederzukommen. Der Fuhrmann zahlte seine Zeche, nahm von seinen Leidensgenossen Abschied und fuhr seine Strasse. Nach diesem machten sich die beiden Handwerksburschen auf den Weg. So leicht das Buendel des Goldschmieds war, so drueckte es doch die zarte Dame nicht wenig. Aber noch viel schwerer wurde ihr ums Herz, als unter der Haustuere die Wirtin ihre verbrecherische Hand hinstreckte, um Abschied zu nehmen. "Ei, was seid Ihr doch ein junges Blut", rief sie beim Abschied des zarten Jungen, "noch so jung und schon in die Welt hinaus! Ihr seid gewiss ein verdorbenes Kraeutlein, das der Meister aus der Werkstatt jagte. Nun, was geht es mich an, schenket mir die Ehre bei der Heimkehr, glueckliche Reise!" Die Graefin wagte vor Angst und Beben nicht zu antworten, sie fuerchtete, sich durch ihre zarte Stimme zu verraten. Der Zirkelschmied merkte es, nahm seinen Gefaehrten unter den Arm, sagte der Wirtin ade und stimmte ein lustiges Lied an, waehrend er dem Walde zuschnitt. "Jetzt erst bin ich in Sicherheit!" rief die Graefin, als sie etwa hundert Schritte entfernt waren. "Noch immer glaubte ich, die Frau werde mich erkennen und durch ihre Knechte festnehmen. Oh, wie will ich euch allen danken! Kommet auch Ihr auf mein Schloss, Ihr muesst doch Euern Reisegenossen bei mir wieder abholen." Der Zirkelschmied sagte zu, und waehrend sie noch sprachen, kam der Wagen der Graefin ihnen nachgefahren; schnell wurde die Tuere geoeffnet, die Dame schluepfte hinein, gruesste den jungen Handwerksburschen noch einmal, und der Wagen fuhr weiter. Um dieselbe Zeit hatten die Raeuber und ihre Gefangenen den Lagerplatz der Bande erreicht. Sie waren durch eine ungebahnte Waldstrasse im schnellsten Trab weggeritten; mit ihren Gefangenen wechselten sie kein Wort, auch unter sich fluesterten sie nur zuweilen, wenn die Richtung des Weges sich veraenderte. Vor einer tiefen Waldschlucht machte man endlich halt. Die Raeuber sassen ab, und ihr Anfuehrer hob den Goldarbeiter vom Pferd, indem er sich fuer den harten und eiligen Ritt entschuldigte und fragte, ob doch die gnaedige Frau nicht gar zu sehr angegriffen sei. Felix antwortete ihm so zierlich als moeglich, dass er sich nach Ruhe sehne, und der Hauptmann bot ihm den Arm, ihn in die Schlucht zu fuhren. Es ging einen steilen Abhang hinab; der Fusspfad, welcher hinunterfuehrte, war so schmal und abschuessig, dass der Anfuehrer oft seine Dame unterstuetzen musste, um sie vor der Gefahr, hinabzustuerzen, zu bewahren. Endlich langte man unten an. Felix sah vor sich beim matten Schein des anbrechenden Morgens ein enges, kleines Tal von hoechstens hundert Schritten im Umfang, das tief in einem Kessel hoch hinanstrebender Felsen lag. Etwa sechs bis acht kleine Huetten waren in dieser Schlucht aus Brettern und abgehauenen Baeumen aufgebaut. Einige schmutzige Weiber schauten neugierig aus diesen Hoehlen hervor, und ein Rudel von zwoelf grossen Hunden und ihren unzaehligen Jungen umsprang heulend und bellend die Ankommenden. Der Hauptmann fuehrte die vermeintliche Graefin in die beste dieser Huetten und sagte ihr, diese sei ausschliesslich zu ihrem Gebrauch bestimmt; auch erlaubte er auf Felix' Verlangen, dass der Jaeger und der Student zu ihm gelassen wurden. Die Huette war mit Rehfellen und Matten ausgelegt, die zugleich zum Fussboden und Sitze dienen mussten. Einige Kruege und Schuesseln, aus Holz geschnitzt, eine alte Jagdflinte und in der hintersten Ecke ein Lager, aus ein paar Brettern gezimmert und mit wollenen Decken bekleidet, welchem man den Namen eines Bettes nicht geben konnte, waren die einzigen Geraete dieses graeflichen Palastes. Jetzt erst, allein gelassen in dieser elenden Huette, hatten die drei Gefangenen Zeit, ueber ihre sonderbare Lage nachzudenken. Felix, der zwar seine edelmuetige Handlung keinen Augenblick bereute, aber doch fuer seine Zukunft im Falle einer Entdeckung bange war, wollte sich in lauten Klagen Luft machen; der Jaeger aber rueckte ihm schnell naeher und fluesterte ihm zu: "Sei um Gottes willen stille, lieber Junge; glaubst du denn nicht, dass man uns behorcht?" "Aus jedem Wort, aus dem Ton deiner Sprache koennten sie Verdacht schoepfen", setzte der Student hinzu. Dem armen Felix blieb nichts uebrig, als stille zu weinen. "Glaubt mir, Herr Jaeger", sagte er, "ich weine nicht aus Angst vor diesen Raeubern oder aus Furcht vor dieser elenden Huette; nein, es ist ein ganz anderer Kummer, der mich drueckt. Wie leicht kann die Graefin vergessen, was ich ihr schnell noch sagte, und dann haelt man mich fuer einen Dieb, und ich bin elend auf immer!" "Aber was ist es denn, was dich so aengstigt?" fragte der Jaeger, verwundert ueber das Benehmen des jungen Menschen, der sich bisher so mutig und stark betragen hatte. "Hoeret zu, und ihr werdet mir recht geben", antwortete Felix. "Mein Vater war ein geschickter Goldarbeiter in Nuernberg, und meine Mutter hatte frueher bei einer vornehmen Frau gedient als Kammerfrau, und als sie meinen Vater heiratete, wurde sie von der Graefin, welcher sie gedient hatte, trefflich ausgestattet. Diese blieb meinen Eltern immer gewogen, und als ich auf die Welt kam, wurde sie meine Pate und beschenkte mich reichlich. Aber als meine Eltern bald nacheinander an einer Seuche starben und ich ganz allein und verlassen in der Welt stand und ins Waisenhaus gebracht werden sollte, da vernahm die Frau Pate unser Unglueck, nahm sich meiner an und gab mich in ein Erziehungshaus; und als ich alt genug war, schrieb sie mir, ob ich nicht des Vaters Gewerbe lernen wollte. Ich war froh darueber und sagte zu, und so gab sie mich meinem Meister in Wuerzburg in die Lehre. Ich hatte Geschick zur Arbeit und brachte es bald so weit, dass mir der Lehrbrief ausgestellt wurde und ich auf die Wanderschaft mich ruesten konnte. Dies schrieb ich der Frau Pate, und flugs antwortete sie, dass sie das Geld zur Wanderschaft gebe. Dabei schickte sie prachtvolle Steine mit und verlangte, ich solle sie fassen zu einem schoenen Geschmeide, ich solle dann solches als Probe meiner Geschicklichkeit selbst ueberbringen und das Reisegeld in Empfang nehmen. Meine Frau Pate habe ich in meinem Leben nicht gesehen, und ihr koennet denken, wie ich mich auf sie freute. Tag und Nacht arbeitete ich an dem Schmuck, er wurde so schoen und zierlich, dass selbst der Meister darueber erstaunte. Als es fertig war, packte ich alles sorgfaeltig auf den Boden meines Raenzels, nahm Abschied vom Meister und wanderte meine Strasse nach dem Schlosse der Frau Pate. Da kamen", fuhr er in Traenen ausbrechend fort, "diese schaendlichen Menschen und zerstoerten all meine Hoffnung. Denn wenn Eure Frau Graefin den Schmuck verliert oder vergisst, was ich ihr sagte, und das schlechte Raenzchen wegwirft, wie soll ich dann vor meine gnaedige Frau Pate treten? Mit was soll ich mich ausweisen? Woher die Steine ersetzen? Und das Reisegeld ist dann auch verloren, und ich erscheine als ein undankbarer Mensch, der anvertrautes Gut so leichtfertig weggegeben. Und am Ende--wird man mir glauben, wenn ich den wunderbaren Vorfall erzaehle?" "Ueber das letztere seid getrost!" erwiderte der Jaeger. "Ich glaube nicht, dass bei der Graefin Euer Schmuck verlorengehen kann; und wenn auch, so wird sie sicherlich ihn ihrem Retter wieder erstatten und ein Zeugnis ueber diese Vorfaelle ausstellen. Wir verlassen Euch jetzt auf einige Stunden; denn wahrhaftig, wir brauchen Schlaf, und nach den Anstrengungen dieser Nacht werdet Ihr ihn auch noetig haben. Nachher lasst uns im Gespraech unser Unglueck auf Augenblicke vergessen oder, besser noch, auf unsere Flucht denken!" Sie gingen; Felix blieb allein zurueck und versuchte, dem Rat des Jaegers zu folgen. Als nach einigen Stunden der Jaeger mit dem Studenten zurueckkam, fand er seinen jungen Freund gestaerkter und munterer als zuvor. Er erzaehlte dem Goldschmied, dass ihm der Hauptmann alle Sorgfalt fuer die Dame empfohlen habe, und in wenigen Minuten werde eines der Weiber, die sie unter den Huetten gesehen hatten, der gnaedigen Graefin Kaffee bringen und ihre Dienste zur Aufwartung anbieten. Sie beschlossen, um ungestoert zu sein, diese Gefaelligkeit nicht anzunehmen, und als das alte, haessliche Zigeunerweib kam, das Fruehstueck versetzte und mit grinsender Freundlichkeit fragte, ob sie nicht sonst noch zu Diensten sein koennte, winkte ihr Felix zu gehen, und als sie noch zauderte, scheuchte sie der Jaeger aus der Huette. Der Student erzaehlte dann weiter, was sie sonst noch von dem Lager der Raeuber gesehen. "Die Huette, die Ihr bewohnt, schoenste Frau Graefin", sprach er, "scheint urspruenglich fuer den Hauptmann bestimmt. Sie ist nicht so geraeumig, aber schoener als die uebrigen. Ausser dieser sind noch sechs andere da, in welchen die Weiber und Kinder wohnen; denn von den Raeubern sind selten mehr als sechs zu Hause. Einer steht nicht weit von dieser Huette Wache, der andere unten am Weg in der Hoehe, und ein dritter hat den Lauerposten oben am Eingang in die Schlucht. Von zwei zu zwei Stunden werden sie von den drei uebrigen abgeloest. Jeder hat ueberdies zwei grosse Hunde neben sich liegen, und sie alle sind so wachsam, dass man keinen Fuss aus der Huette setzen kann, ohne dass sie anschlagen. Ich habe keine Hoffnung, dass wir uns durchstehlen koennen." "Machet mich nicht traurig, ich bin nach dem Schlummer mutiger geworden", entgegnete Felix, "gebet nicht alle Hoffnung auf, und fuerchtet Ihr Verrat, so lasset uns lieber jetzt von etwas anderem reden und nicht lange voraus schon kummervoll sein! Herr Student, in der Schenke habt Ihr angefangen, etwas zu erzaehlen, fahret jetzt fort; denn wir haben Zeit zum Plaudern." "Kann ich mich doch kaum erinnern, was es war", antwortete der junge Mann. "Ihr erzaehltet die Sage von dem kalten Herz und seid stehengeblieben, wie der Wirt und der andere Spieler den Kohlenpeter aus der Tuere werfen." "Gut, jetzt entsinne ich mich wieder", entgegnete er, "nun, wenn ihr weiter hoeren wollet, will ich fortfahren": Das kalte Herz Zweite Abteilung Wilhelm Hauff Als Peter am Montagmorgen in seine Glashuette ging, da waren nicht nur seine Arbeiter da, sondern auch andere Leute, die man nicht gerne sieht, naemlich der Amtmann und drei Gerichtsdiener. Der Amtmann wuenschte Peter einen guten Morgen, fragte, wie er geschlafen, und zog dann ein langes Register heraus, und darauf waren Peters Glaeubiger verzeichnet. "Koennt Ihr zahlen oder nicht?" fragte der Amtmann mit strengem Blick. "Und macht es nur kurz, denn ich habe nicht viel Zeit zu versaeumen, und in den Turm ist es drei gute Stunden." Da verzagte Peter, gestand, dass er nichts mehr habe, und ueberliess es dem Amtmann, Haus und Hof, Huette und Stall, Wagen und Pferde zu schaetzen; und als die Gerichtsdiener und der Amtmann umhergingen und prueften und schaetzten, dachte er, bis zum Tannenbuehl ist's nicht weit, hat mir der Kleine nicht geholfen, so will ich es einmal mit dem Grossen versuchen. Er lief dem Tannenbuehl zu, so schnell, als ob die Gerichtsdiener ihm auf den Fersen waeren, es war ihm, als er an dem Platz vorbeirannte, wo er das Glasmaennlein zuerst gesprochen, als halte ihn eine unsichtbare Hand auf, aber er riss sich los und lief weiter bis an die Grenze, und kaum hatte er "Hollaender-Michel, Herr Hollaender-Nuechel!" gerufen, als auch schon der riesengrosse Floezer mit seiner Stange vor ihm stand. "Kommst du?" sprach dieser lachend, "haben sie dir die Haut abziehen und deinen Glaeubigern verkaufen wollen? Nu, sei ruhig! Dein ganzer Jammer kommt, wie gesagt, von dem kleinen Glasmaennlein, von dem Separatisten und Froemmler her. Wenn man schenkt, muss man gleich recht schenken, und nicht wie dieser Knauser. Doch komm, folge mir in mein Haus; dort wollen wir sehen, ob wir handelseinig werden." "Handelseinig?" dachte Peter. "Was kann er denn von mir verlangen, was kann ich an ihn verhandeln? Soll ich ihm etwa dienen, oder was will er?" Sie gingen zuerst ueber einen steilen Waldsteig hinan und standen dann mit einemmal an einer dunklen, tiefen, abschuessigen Schlucht; Hollaender-Michel sprang den Felsen hinab, wie wenn es eine sanfte Marmortreppe waere; aber bald waere Peter in Ohnmacht gesunken, denn als jener unten angekommen war, machte er sich so gross wie ein Kirchturm und reichte ihm einen Arm, so lang als ein Weberbaum, und eine Hand daran, so breit als der Tisch im Wirtshaus, und rief mit einer Stimme, die heraufschallte wie eine tiefe Totenglocke, "setz dich nur auf meine Hand und halte dich an den Fingern, so wirst du nicht fallen!" Peter tat zitternd, wie jener befohlen, nahm Platz auf der Hand und hielt sich am Daumen des Riesen. Es ging weit und tief hinab, aber dennoch ward es zu Peters Verwunderung nicht dunkler, im Gegenteil, die Tageshelle schien sogar zuzunehmen in der Schlucht, aber er konnte sie lange in den Augen nicht ertragen. Der Hollaender-Michel hatte sich, je weiter Peter herabkam, wieder kleiner gemacht und stand nun in seiner frueheren Gestalt vor einem Haus, so gering oder gut, als es reiche Bauern auf dem Schwarzwald haben. Die Stube, worein Peter gefuehrt wurde, unterschied sich durch nichts von den Stuben anderer Leute als dadurch, dass sie einsam schien. Die hoelzerne Wanduhr, der ungeheure Kachelofen, die breiten Baenke, die Geraetschaften auf den Gesimsen waren hier wie ueberall. Michel wies ihm einen Platz hinter dem grossen Tisch an, ging dann hinaus und kam bald mit einem Krug Wein und Glaesern wieder. Er goss ein, und nun schwatzten sie, und Hollaender-Michel erzaehlte von den Freuden der Welt, von fremden Laendern, schoenen Staedten und Fluessen, dass Peter, am Ende grosse Sehnsucht danach bekommend, dies auch offen dem Hollaender sagte. "Wenn du im ganzen Koerper Mut und Kraft, etwas zu unternehmen, hattest, da konnten ein paar Schlaege des dummen Herzens dich zittern machen; und dann die Kraenkungen der Ehre, das Unglueck, wozu soll sich ein vernuenftiger Kerl um dergleichen bekuemmern? Hast du's im Kopfe empfunden, als dich letzthin einer einen Betrueger und schlechten Kerl nannte? Hat es dir im Magen wehe getan, als der Amtmann kam, dich aus dem Haus zu werfen? Was, sag an, was hat dir wehe getan?" "Mein Herz", sprach Peter, indem er die Hand auf die pochende Brust presste, denn es war ihm, als ob sein Herz sich aengstlich hin und her wendete. "Du hast, nimm es mir nicht uebel, hundert Gulden an schlechte Bettler und anderes Gesindel weggeworfen; was hat es dir genuetzt? Sie haben dir dafuer Segen und einen gesunden Leib gewuenscht; ja, bist du deswegen gesuender geworden? Um die Haelfte des verschleuderten Geldes haettest du einen Arzt gehalten. Segen, ja ein schoener Segen, wenn man ausgepfaendet und ausgestossen wird! Und was war es, das dich getrieben, in die Tasche zu fahren, so oft ein Bettelmann seinen zerlumpten Hut hinstreckte?--Dein Herz, auch wieder dein Herz, und weder deine Augen noch deine Zunge, deine Arme noch deine Beine, sondern dein Herz; du hast dir es, wie man richtig sagt, zu sehr zu Herzen genommen." "Aber wie kann man sich denn angewoehnen, dass es nicht mehr so ist? Ich gebe mir jetzt alle Muehe, es zu unterdruecken, und dennoch pocht mein Herz und tut mir wehe." "Du freilich", rief jener mit Lachen, "du armer Schelm, kannst nichts dagegen tun; aber gib mir das kaum pochende Ding, und du wirst sehen, wie gut du es dann hast." "Euch, mein Herz?" schrie Peter mit Entsetzen, "da muesste ich ja sterben auf der Stelle! Nimmermehr!" "Ja, wenn dir einer Eurer Herren Chirurgen das Herz aus dem Leibe operieren wollte, da muesstest du wohl sterben; bei mir ist dies ein anderes Ding; doch komm herein und ueberzeuge dich selbst!" Er stand bei diesen Worten auf, oeffnete eine Kammertuere und fuehrte Peter hinein. Sein Herz zog sich krampfhaft zusammen, als er ueber die Schwelle trat; aber er achtete es nicht; denn der Anblick, der sich ihm bot, war sonderbar und ueberraschend. Auf mehreren Gesimsen von Holz standen Glaeser, mit durchsichtiger Fluessigkeit gefuellt, und in jedem dieser Glaeser lag ein Herz; auch waren an den Glaesern Zettel angeklebt und Namen darauf geschrieben, die Peter neugierig las; da war das Herz des Amtmanns in E, das Herz des dicken Ezechiel, das Herz des Tanzbodenkoenigs, das Herz des Oberfoersters; da waren sechs Herzen von Kornwucherern, acht von Werbeoffizieren, drei von Geldmaklern--kurz, es war eine Sammlung der angesehensten Herzen in der Umgebung von zwanzig Stunden. "Schau!" sprach Hollaender-Michel, "diese alle haben des Lebens Aengste und Sorgen weggeworfen, keines dieser Herzen schlaegt mehr aengstlich und besorgt, und ihre ehemaligen Besitzer befinden sich wohl dabei, dass sie den unruhigen Gast aus dem Hause haben." "Aber was tragen sie denn jetzt dafuer in der Brust?" fragte Peter, den dies alles, was er gesehen, beinahe schwindeln machte. "Dies", antwortete jener und reichte ihm aus einem Schubfach--ein steinernes Herz. "So?" erwiderte er und konnte sich eines Schauers, der ihm ueber die Haut ging, nicht erwehren. "Ein Herz von Marmelstein? Aber, horch einmal, Herr Hollaender-Michel, das muss doch gar kalt sein in der Brust." "Freilich, aber ganz angenehm kuehl. Warum soll denn ein Herz warm sein? Im Winter nuetzt dir die Waerme nichts, da hilft ein guter Kirschgeist mehr als ein warmes Herz, und im Sommer, wenn alles schwuel und heiss ist--du glaubst nicht, wie dann ein solches Herz abkuehlt. Und wie gesagt, weder Angst noch Schrecken, weder toerichtes Mitleiden noch anderer Jammer pocht an solch ein Herz." "Und das ist alles, was Ihr mir geben koennet?" fragte Peter unmutig, "ich hoff' auf Geld, und Ihr wollet mir einen Stein geben!" "Nun, ich denke, an hunderttausend Gulden haettest du fuers erste genug. Wenn du es geschickt umtreibst, kannst du bald ein Millionaer werden." "Hunderttausend?" rief der arme Koehler freudig. "Nun, so poche doch nicht so ungestuem in meiner Brust! Wir werden bald fertig sein miteinander. Gut, Michel; gebt mir den Stein und das Geld, und die Unruh koennet Ihr aus dem Gehaeuse nehmen!" "Ich dachte es doch, dass du ein vernuenftiger Bursche seiest", antwortete der Hollaender, freundlich laechelnd, "komm, lass uns noch eins trinken, und dann will ich das Geld auszahlen." So setzten sie sich wieder in die Stube zum Wein, tranken und tranken wieder, bis Peter in einen tiefen Schlaf verfiel. Kohlenmunk-Peter erwachte beim froehlichen Schmettern eines Posthorns, und siehe da, er sass in einem schoenen Wagen, fuhr auf einer breiten Strasse dahin, und als er sich aus dem Wagen bog, sah er in blauer Ferne hinter sich den Schwarzwald liegen. Anfaenglich wollte er gar nicht glauben, dass er es selbst sei, der in diesem Wagen sitze; denn auch seine Kleider waren gar nicht mehr dieselben, die er gestern getragen; aber er erinnerte sich doch an alles so deutlich, dass er endlich sein Nachsinnen aufgab und rief: "Der Kohlenmunk-Peter bin ich, das ist ausgemacht, und kein anderer." Er wunderte sich ueber sich selbst, dass er gar nicht wehmuetig werden konnte, als er jetzt zum erstenmal aus der stillen Heimat, aus den Waeldern, wo er so lange gelebt, auszog; selbst nicht, als er an seine Mutter dachte, die jetzt wohl hilflos und im Elend sass, konnte er eine Traene aus dem Auge pressen oder nur seufzen; denn es war ihm alles so gleichgueltig. "Ach, freilich", sagte er dann, "Traenen und Seufzer, Heimweh und Wehmut kommen ja aus dem Herzen, und Dank dem Hollaender-Michel--das meine ist kalt und von Stein." Er legte seine Hand auf die Brust, und es war ganz ruhig dort und ruehrte sich nichts. "Wenn er mit den Hunderttausenden so gut Wort hielt wie mit dem Herz, so soll es mich freuen", sprach er und fing an, seinen Wagen zu untersuchen. Er fand Kleidungsstuecke von aller Art, wie er sie nur wuenschen konnte, aber kein Geld. Endlich stiess er auf eine Tasche und fand viele tausend Taler in Gold und Scheinen auf Handlungshaeuser in allen grossen Staedten. "Jetzt hab' ich's, wie ich's wollte", dachte er, setzte sich bequem in die Ecke des Wagens und fuhr in die weite Welt. Er fuhr zwei Jahre in der Welt umher und schaute aus seinem Wagen links und rechts an den Haeusern hinauf, schaute, wenn er anhielt, nichts als das Schild seines Wirtshauses an, lief dann in der Stadt umher und liess sich die schoensten Merkwuerdigkeiten zeigen. Aber es freute ihn nichts, kein Bild, kein Haus, keine Musik, kein Tanz; sein Herz von Stein nahm an nichts Anteil, und seine Augen, seine Ohren waren abgestumpft fuer alles Schoene. Nichts war ihm mehr geblieben als die Freude an Essen und Trinken und der Schlaf, und so lebte er, indem er ohne Zweck durch die Welt reiste, zu seiner Unterhaltung speiste und aus Langeweile schlief. Hier und da erinnerte er sich zwar, dass er froehlicher, gluecklicher gewesen sei, als er noch arm war und arbeiten musste, um sein Leben zu fristen. Da hatte ihn jede schoene Aussicht ins Tal, Musik und Gesang hatten ihn ergoetzt, da hatte er sich stundenlang auf die einfache Kost, die ihm die Mutter zu dem Meiler bringen sollte, gefreut. Wenn er so ueber die Vergangenheit nachdachte, so kam es ihm ganz sonderbar vor, dass er jetzt nicht einmal lachen konnte, und sonst hatte er ueber den kleinsten Scherz gelacht. Wenn andere lachten, so verzog er nur aus Hoeflichkeit den Mund, aber sein Herz--laechelte nicht mit. Er fuehlte dann, dass er zwar ueberaus ruhig sei; aber zufrieden fuehlte er sich doch nicht. Es war nicht Heimweh oder Wehmut, sondern Oede, Ueberdruss, freudenloses Leben, was ihn endlich wieder zur Heimat trieb Als er von Strassburg herueberfuhr und den dunklen Wald seiner Heimat erblickte, als er zum erstenmal wieder jene kraeftigen Gestalten, jene freundlichen, treuen Gesichter der Schwarzwaelder sah, als sein Ohr die heimatlichen Klaenge, stark, tief, aber wohltoenend vernahm, da fuehlte er schnell an sein Herz; denn sein Blut wallte staerker, und er glaubte, er rnuesse sich freuen und muesse weinen zugleich, aber--wie konnte er nur so toericht sein, er hatte ja t, n Herz von Stein; und Steine sind tot und laecheln und weinen nicht. Sein erster Gang war zum Hollaender-Michel, der ihn mit alter Freundlichkeit aufnahm. "Michel, sagte er zu ihm, "gereist bin ich nun und habe alles gesehen", ist aber alles dummes Zeug, und ich hatte nur Langeweile. Ueberhaupt, Euer steinernes Ding, das ich in der Brust trage, schuetzt mich zwar vor manchem; ich erzuerne mich nie, bin nie traurig; aber ich freue mich auch nie, und es ist mir, als wenn ich nur halb lebe. Koennet Ihr das Steinherz nicht ein wenig beweglicher machen? Oder--gebt mir lieber mein altes Herz; ich hatte mich in fuenfundzwanzig Jahren daran gewoehnt, und wenn es zuweilen auch einen dummen Streich machte, so war es doch munter und ein froehliches Herz." Der Waldgeist lachte grimmig und bitter: "Wenn du einmal tot bist, Peter Munk", antwortete er, "dann soll es dir nicht fehlen, dann sollst du dein weiches, ruehrbares Herz wieder haben, und du kannst dann fuehlen, was kommt, Freud' oder Leid; aber hier oben kann es nicht mehr dein werden! Doch, Peter, gereist bist du wohl, aber, so wie du lebtest, konnte es dir nichts nuetzen--Setze dich jetzt hier irgendwo im Wald, bau' ein Haus, heirate, treibe dein Vermoegen um, es hat dir nur an Arbeit gefehlt, weil du muessig warst, hattest du Langeweile, und schiebst jetzt alles auf dieses unschuldige Herz." Peter sah ein, dass Michel recht habe, was den Muessiggang betraefe, und nahm sich vor, reich und immer reicher zu werden. Michel schenkte ihm noch einmal hunderttausend Gulden und entliess ihn als seinen guten Freund. Bald vernahm man im Schwarzwald die Maere, der Kohlenmunk-Peter oder Spielpeter sei wieder da und noch viel reicher als zuvor. Es ging auch jetzt wie immer; als er am Bettelstab war, wurde er in der Sonne zur Tuere hinausgeworfen, und als er jetzt an einem Sonntagnachmittag seinen ersten Einzug dort hielt, schuettelten sie ihm die Hand, lobten sein Pferd, fragten nach seiner Reise, und als er wieder mit dem dicken Ezechiel um harte Taler spielte, stand er in der Achtung so hoch als je. Er trieb jetzt aber nicht mehr das Glashandwerk, sondern den Holzhandel, aber nur zum Schein. Sein Hauptgeschaeft war, mit Korn und Geld zu handeln. Der halbe Schwarzwald wurde ihm nach und nach schuldig; aber er lieh Geld nur auf zehn Prozente aus oder verkaufte Korn an die Armen, die nicht gleich zahlen konnten, um den dreifachen Wert. Mit dem Amtmann stand er jetzt in enger Freundschaft, und wenn einer Herrn Peter Munk nicht auf den Tag bezahlte, so ritt der Amtmann mit seinen Schergen hinaus, schaetzte Haus und Hof, verkaufte flugs und trieb Vater, Mutter und Kind in den Wald. Anfangs machte dies dem reichen Peter einige Unlust; denn die armen Ausgepfaendeten belagerten dann haufenweise seine Tuere, die Maenner flehten um Nachsicht, die Weiber suchten das steinerne Herz zu erweichen, und die Kinder winselten um ein Stuecklein Brot; aber als er sich ein paar tuechtige Fleischerhunde angeschafft hatte, hoerte diese Katzenmusik, wie er es nannte, bald auf; er pfiff und hetzte, und die Bettelleute flogen schreiend auseinander. Am meisten Beschwerde machte ihm das "alte Weib". Das war aber niemand anders als Frau Munkin, Peters Mutter. Sie war in Not und Elend geraten, als man ihr Haus und Hof verkauft hatte, und ihr Sohn, als er reich zurueckgekehrt war, hatte nicht mehr nach ihr umgesehen. Da kam sie nun zuweilen, alt, schwach und gebrechlich, an einem Stock vor das Haus. Hinein wagte sie sich nimmer, denn er hatte sie einmal weggejagt; aber es tat ihr wehe, von den Guttaten anderer Menschen leben zu muessen, da der eigene Sohn ihr ein sorgenloses Alter haette bereiten koennen. Aber das kalte Herz wurde nimmer geruehrt von dem Anblicke der bleichen, wohlbekannten Zuege, von den bittenden Blicken, von der welken, ausgestreckten Hand, von der hinfaelligen Gestalt; muerrisch zog er, wenn sie sonnabends an die Tuere pochte, einen Sechsbaetzner hervor, schlug ihn in ein Papier und liess ihn hinausreichen durch einen Knecht. Er vernahm ihre zitternde Stimme, wenn sie dankte und wuenschte, es moege ihm wohl gehen auf Erden, er hoerte sie huestelnd von der Tuere schleichen, aber er dachte weiter nicht mehr daran, als dass er wieder sechs Batzen umsonst ausgegeben. Endlich kam Peter auch auf den Gedanken zu heiraten. Er wusste, dass im ganzen Schwarzwald jeder Vater ihm gerne seine Tochter geben werde; aber er war schwierig in seiner Wahl; denn er wollte, dass man auch hierin sein Glueck und seinen Verstand preisen sollte; daher ritt er umher im ganzen Wald, schaute hier, schaute dort, und keine der schoenen Schwarzwaelderinnen deuchte ihm schoen genug. Endlich, nachdem er auf allen Tanzboeden umsonst nach der Schoensten ausgeschaut hatte, hoerte er eines Tages, die Schoene und Tugendsamste im ganzen Wald sei eines armen Holzbauers Tochter. Sie lebe still und fuer sich, besorge geschickt und emsig ihres Vaters Haus und lasse sich nie auf dem Tanzboden sehen, nicht einmal zu Pfingsten oder Kirmes. Als Peter von diesem Wunder des Schwarzwaldes hoerte, beschloss er, um sie zu werben, und ritt nach der Huette, die man ihm bezeichnet hatte. Der Vater der schoenen Lisbeth empfing den vornehmen Herrn mit Staunen und erstaunte noch mehr, als er hoerte, es sei dies der reiche Herr Peter und er wolle sein Schwiegersohn werden. Er besann sich auch nicht lange, denn er meinte, all seine Sorge und Armut werde nun ein Ende haben, sagte zu, ohne die schoene Lisbeth zu fragen, und das gute Kind war so folgsam, dass sie ohne Widerrede Frau Peter Munkin wurde. Aber es wurde der Armen nicht so gut, als sie sich getraeumt hatte. Sie glaubte ihr Hauswesen wohl zu verstehen, aber sie konnte Herrn Peter nichts zu Dank machen; sie hatte Mitleiden mit armen Leuten, und da ihr Eheherr reich war, dachte sie, es sei keine Suende, einem armen Bettelweib einen Pfennig oder einem alten Mann einen Schnaps zu reichen; aber als Herr Peter dies eines Tages merkte, sprach er mit zuernenden Blicken und rauher Stimme: "Warum verschleuderst du mein Vermoegen an Lumpen und Strassenlaeufer? Hast du was mitgebracht ins Haus, das du wegschenken koenntest? Mit deines Vaters Bettelstab kann man keine Suppe waermen, und wirfst das Geld aus wie eine Fuerstin? Noch einmal lass dich betreten, so sollst du meine Hand fuehlen!" Die schoene Lisbeth weinte in ihrer Kammer ueber den harten Sinn ihres Mannes, und sie wuenschte oft, lieber heim zu sein in ihres Vaters aermlicher Huette, als bei dem reichen, aber geizigen, hartherzigen Peter zu hausen. Ach, haette sie gewusst, dass er ein Herz von Marmor habe und weder sie noch irgendeinen Menschen lieben koenne, so haette sie sich wohl nicht gewundert. So oft sie aber jetzt unter der Tuere sass, und es ging ein Bettelmann vorueber und zog den Hut und hub an seinen Spruch, so drueckte sie die Augen zu, das Elend nicht zu schauen, sie ballte die Hand fester, damit sie nicht unwillkuerlich in die Tasche fahre, ein Kreuzerlein herauszulangen. So kam es, dass die schoene Lisbeth im ganzen Wald verschrien wurde und es hiess, sie sei noch geiziger als Peter Munk. Aber eines Tages sass Frau Lisbeth wieder vor dem Haus und spann und murmelte ein Liedchen dazu; denn sie war munter, weil es schoenes Wetter und Herr Peter ausgeritten war ueber Feld. Da kommt ein altes Maennlein des Weges daher, das traegt einen grossen, schweren Sack, und sie hoert es schon von weitem keuchen. Teilnehmend sieht ihm Frau Lisbeth zu und denkt, einem so alten, kleinen Mann sollte man nicht mehr so schwer aufladen. Indes keucht und wankt das Maennlein heran, und als es gegenueber von Frau Lisbeth war, brach es unter dem Sacke beinahe zusammen. "Ach, habt die Barmherzigkeit, Frau, und reichet mir nur einen Trunk Wasser!" sprach das Maennlein. "Ich kam nicht weiter, muss elend verschmachten." "Aber Ihr solltet in Eurem Alter nicht mehr so schwer tragen", sagte Frau Lisbeth. "Ja, wenn ich nicht Boten gehen muesste, der Armut halber und um mein Leben zu fristen", antwortete er, "ach, so eine reiche Frau wie Ihr weiss nicht, wie wehe Armut tut und wie wohl ein frischer Trunk bei solcher Hitze." Als sie dies hoerte, eilte sie in das Haus, nahm einen Krug vom Gesims und fuellte ihn mit Wasser; doch als sie zurueckkehrte und nur noch wenige Schritte von ihm war und das Maennlein sah, wie es so elend und verkuemmert auf dem Sack sass, da fuehlte sie inniges Mitleid, bedachte, dass ja ihr Mann nicht zu Hause sei, und so stellte sie den Wasserkrug beiseite, nahm einen Becher und fuellte ihn mit Wein, legte ein gutes Roggenbrot darauf und brachte es dem Alten. "So, und ein Schluck Wein mag Euch besser frommen als Wasser, da Ihr schon so gar alt seid", sprach sie, "aber trinket nicht so hastig und esset auch Brot dazu!" Das Maennlein sah sie staunend an, bis grosse Traenen in seinen alten Augen standen; es trank und sprach dann: "Ich bin alt geworden, aber ich hab' wenige Menschen gesehen, die so mitleidig waeren und ihre Gaben so schoen und herzlich zu spenden wuessten wie Ihr, Frau Lisbeth. Aber es wird Euch dafuer auch recht wohl gehen auf Erden; solch ein Herz bleibt nicht unbelohnt." "Nein, und den Lohn soll sie zur Stelle haben", schrie eine schreckliche Stimme, und als sie sich umsahen, war es Herr Peter mit blutrotem Gesicht. "Und sogar meinen Ehrenwein giessest du aus an Bettelleute, und meinen Mundbecher gibst du an die Lippen der Strassenlaeufer? Da, nimm deinen Lohn!" Frau Lisbeth stuerzte zu seinen Fuessen und bat um Verzeihung; aber das steinerne Herz kannte kein Mitleid, er drehte die Peitsche um, die er in der Hand hielt, und schlug sie mit dem Handgriff von Ebenholz so heftig vor die schoene Stirne, dass sie leblos dem alten Mann in die Arme sank. Als er dies sah, war es doch, als reute ihn die Tat auf der Stelle; er bueckte sich herab, zu schauen, ob noch Leben in ihr sei, aber das Maennlein sprach mit wohlbekannter Stimme: "Gib dir keine Muehe, Kohlenpeter; es war die schoenste und lieblichste Blume im Schwarzwald, aber du hast sie zertreten, und nie mehr wird sie wieder bluehen." Da wich alles Blut aus Peters Wangen, und er sprach: "Also Ihr seid es, Herr Schatzhauser? Nun, was geschehen ist, ist geschehen, und es hat wohl so kommen muessen. Ich hoffe aber, Ihr werdet mich nicht bei dem Gericht anzeigen als Moerder." "Elender!" erwiderte das Glasmaennlein. "Was wuerde es mir frommen, wenn ich deine sterbliche Huelle an den Galgen braechte? Nicht irdische Gerichte sind es, die du zu fuerchten hast, sondern andere und strengere; denn du hast deine Seele an den Boesen verkauft." "Und hab' ich mein Herz verkauft", schrie Peter, "so ist niemand daran schuld als du und deine betruegerischen Schaetze; du tueckischer Geist hast mich ins Verderben gefuehrt, mich getrieben, dass ich bei einem anderen Hilfe suchte, und auf dir liegt die ganze Verantwortung." Aber kaum hatte er dies gesagt, so wuchs und schwoll das Glasmaennlein und wurde hoch und breit, und seine Augen sollen so gross gewesen sein wie Suppenteller, und sein Mund war wie ein geheizter Backofen, und Flammen blitzten daraus hervor. Peter warf sich auf die Knie, und sein steinernes Herz schuetzte ihn nicht, dass nicht seine Glieder zitterten wie eine Espe. Mit Geierskrallen packte ihn der Waldgeist im Nacken, drehte ihn um, wie ein Wirbelwind duerres Laub, und warf ihn dann zu Boden, dass ihm alle Rippen knackten. "Erdenwurm!" rief er mit einer Stimme, die wie der Donner rollte, "ich koennte dich zerschmettern, wenn ich wollte; denn du hast gegen den Herrn des Waldes gefrevelt. Aber um dieses toten Weibes willen, die mich gespeist und getraenkt hat, gebe ich dir acht Tage Frist. Bekehrst du dich nicht zum Guten, so komme ich und zermalme dein Gebein, und du faehrst hin in deinen Suenden." Es war schon Abend, als einige Maenner, die vorbeigingen, den reichen Peter Munk an der Erde liegen sahen. Sie wandten ihn hin und her und suchten, ob noch Atem in ihm sei; aber lange war ihr Suchen vergebens. Endlich ging einer in das Haus und brachte Wasser herbei und besprengte ihn. Da holte Peter tief Atem, stoehnte und schlug die Augen auf, schaute lange um sich her und fragte dann nach Frau Lisbeth; aber keiner hatte sie gesehen. Er dankte den Maennern fuer ihre Hilfe, schlich sich in sein Haus und suchte ueberall; aber Frau Lisbeth war weder im Keller noch auf dem Boden, und das, was er fuer einen schrecklichen Traum gehalten, war bittere Wahrheit. Wie er nun so ganz allein war, da kamen ihm sonderbare Gedanken; er fuerchtete sich vor nichts, denn sein Herz war ja kalt; aber wenn er an den Tod seiner Frau dachte--kam ihm sein eigenes Hinscheiden in den Sinn, und wie belastet er dahinfahren werde, schwer belastet mit Traenen der Armen, mit tausend ihrer Flueche, die sein Herz nicht erweichen konnten, mit dem Jammer der Elenden, auf die er seine Hunde gehetzt, belastet mit der stillen Verzweiflung seiner Mutter, mit dem Blute der schoenen, guten Lisbeth; und konnte er doch nicht einmal dem alten Mann, ihrem Vater, Rechenschaft geben, wenn er kaeme und fragte: "Wo ist meine Tochter, dein Weib?" Wie wollte er einem anderen Frage stehen, dem alle Waelder, alle Seen, alle Berge gehoeren und die Leben der Menschen? Es quaelte ihn auch nachts im Traume, und alle Augenblicke wachte er auf an einer suessen Stimme, die ihm zurief: "Peter, schaff dir ein waermeres Herz!" Und wenn er erwacht war, schloss er doch schnell wieder die Augen, denn der Stimme nach musste es Frau Lisbeth sein, die ihm leise diese Warnung zurief. Den anderen Tag ging er ins Wirtshaus, um seine Gedanken zu zerstreuen, und dort traf er den dicken Ezechiel. Er setzte sich zu ihm, sie sprachen dies und jenes, vom schoenen Wetter, vom Krieg, von den Steuern und endlich auch vom Tod und wie da und dort einer so schnell gestorben sei. Da fragte Peter den Dicken, was er denn vom Tod halte, und wie es nachher sein werde. Ezechiel antwortete ihm, dass man den Leib begrabe, die Seele aber fahre entweder auf zum Himmel oder hinab in die Hoelle. "Also begraebt man das Herz auch?" fragte der Peter gespannt. "Ei freilich, das wird auch begraben." "Wenn aber einer sein Herz nicht mehr hat?" fuhr Peter fort. Ezechiel sah ihn bei diesen Worten schrecklich an. "Was willst du damit sagen? Willst du mich foppen? Meinst du, ich habe kein Herz?" "Oh, Herz genug, so fest wie Stein", erwiderte Peter. Ezechiel sah ihn verwundert an, schaute sich um, ob es niemand gehoert habe, und sprach dann: "Woher weisst du es? Oder pocht vielleicht das deinige auch nicht mehr?" "Pocht nicht mehr, wenigstens nicht hier in meiner Brust!" antwortete Peter Munk. "Aber sag mir, da du jetzt weisst, was ich meine, wie wird es gehen mit unseren Herzen?" "Was kuemmert dich dies, Gesell?" fragte Ezechiel lachend. "Hast ja auf Erden vollauf zu leben und damit genug. Das ist ja gerade das Bequeme in unseren kalten Herzen, dass uns keine Furcht befaellt vor solchen Gedanken." "Wohl wahr, aber man denkt doch daran, und wenn ich auch jetzt keine Furcht mehr kenne, so weiss ich doch wohl noch, wie sehr ich mich vor der Hoelle gefuerchtet, als ich noch ein kleiner, unschuldiger Knabe war." "Nun--gut wird es uns gerade nicht gehen", sagte Ezechiel. "Hab' mal einen Schulmeister darueber gefragt, der sagte mir, dass nach dem Tod die Herzen gewogen werden, wie schwer sie sich versuendigt haetten. Die leichten steigen auf, die schweren sinken hinab, und ich denke, unsere Steine werden ein gutes Gewicht haben." "Ach, freilich", erwiderte Peter, "und es ist mir oft selbst unbequem, dass mein Herz so teilnahmslos und ganz gleichgueltig ist, wenn ich an solche Dinge denke." So sprachen sie; aber in der naechsten Nacht hoerte er fuenf oder sechsmal die bekannte Stimme in sein Ohr lispeln: "Peter, schaff dir ein waermeres Herz!" Er empfand keine Reue, dass er sie getoetet, aber wenn er dem Gesinde sagte, seine Frau sei verreist, so dachte er immer dabei: "Wohin mag sie wohl gereist sein?" Sechs Tage hatte er es so getrieben, und immer hoerte er nachts diese Stimme, und immer dachte er an den Waldgeist und seine schreckliche Drohung; aber am siebenten Morgen sprang er auf von seinem Lager und rief: "Nun ja, will sehen, ob ich mir ein waermeres schaffen kann; denn der gleichgueltige Stein in meiner Brust macht mir das Leben nur langweilig und oede." Er zog schnell seinen Sonntagsstaat an und setzte sich auf sein Pferd und ritt dem Tannenbuehl zu. Im Tannenbuehl, wo die Baeume dichter standen, sass er ab, band sein Pferd an und ging schnellen Schrittes dem Gipfel des Huegels zu, und als er vor der dicken Tanne stand, hub er seinen Spruch an: "Schatzhauser im gruenen Tannenwald, Bist viele hundert Jahre alt, Dein ist all' Land, wo Tannen stehen, Laesst dich nur Sonntagskindern sehen." Da kam das Glasmaennlein hervor, aber nicht freundlich und traulich wie sonst, sondern duester und traurig; es hatte ein Roecklein an von schwarzem Glas, und ein langer Trauerflor flatterte herab vom Hut, und Peter wusste wohl, um wen er trauerte. "Was willst du von mir, Peter Munk?" fragte es mit dumpfer Stimme. "Ich hab' noch einen Wunsch, Herr Schatzhauser", antwortete Peter mit niedergeschlagenen Augen. "Koennen Steinherzen noch wuenschen?" sagte jener. "Du hast alles, was du fuer deinen schlechten Sinn bedarfst, und ich werde schwerlich deinen Wunsch erfuellen." "Aber Ihr habt mir doch drei Wuensche zugesagt; einen hab' ich immer noch uebrig." "Doch kann ich ihn versagen, wenn er toericht ist", fuhr der Waldgeist fort, "aber wohlan, ich will hoeren, was du willst." "So nehmet mir den toten Stein heraus und gebet mir mein lebendiges Herz", sprach Peter. "Hab' ich den Handel mit dir gemacht?" fragte das Glasmaennlein, "bin ich der Hollaender-Michel, der Reichtum und kalte Herzen schenkt? Dort, bei ihm musst du dein Herz suchen." "Ach, er gibt es nimmer zurueck", antwortete Peter. "Du dauerst mich, so schlecht du auch bist", sprach das Maennlein nach einigem Nachdenken. "Aber weil dein Wunsch nicht toericht ist, so kann ich dir wenigstens meine Hilfe nicht versagen. So hoere. Dein Herz kannst du mit keiner Gewalt mehr bekommen, wohl aber durch List, und es wird vielleicht nicht schwerhalten; denn Michel bleibt doch nur der dumme Michel, obgleich er sich ungemein klug duenkt. So gehe denn geradewegs zu ihm hin und tue, wie ich dich heisse!" Und nun unterrichtete er ihn in allem und gab ihm ein Kreuzlein aus reinem Glas: "Am Leben kann er dir nicht schaden, und er wird dich frei lassen, wenn du ihm dies vorhalten und dazu beten wirst. Und hast du denn, was du verlangt hast, erhalten, so komm wieder zu mir an diesen Ort!" Peter Munk nahm das Kreuzlein, praegte sich alle Worte ins Gedaechtnis und ging weiter nach Hollaender-Michels Behausung. Er rief dreimal seinen Namen, und alsobald stand der Riese vor ihm. "Du hast dein Weib erschlagen?" fragte er ihn mit schrecklichem Lachen. "Haett' es auch so gemacht; sie hat dein Vermoegen an das Bettelvolk gebracht. Aber du wirst auf einige Zeit ausser Landes gehen muessen, denn es wird Laerm machen, wenn man sie nicht findet; und du brauchst wohl Geld und kommst, um es zu holen?" "Du hast's erraten", erwiderte Peter, "und nur recht viel diesmal, denn nach Amerika ist's weit." Michel ging voran und brachte ihn in seine Huette; dort schloss er eine Truhe auf, worin viel Geld lag, und langte ganze Rollen Gold heraus. Waehrend er es so auf den Tisch hinzaehlte, sprach Peter: "Du bist ein loser Vogel, Michel, dass du mich belogen hast, ich haette einen Stein in der Brust und du habest mein Herz!" "Und ist es denn nicht so?" fragte Michel staunend. "Fuehlst du denn dein Herz? Ist es nicht kalt wie Eis? Hast du Furcht oder Gram, kann dich etwas reuen?" "Du hast mein Herz nur stillstehen lassen, aber ich hab' es noch wie sonst in meiner Brust, und Ezechiel auch, der hat es mir gesagt, dass du uns angelogen hast; du bist nicht der Mann dazu, der einem das Herz so unbemerkt und ohne Gefahr aus der Brust reissen koennte; da muesstest du zaubern koennen." "Aber ich versichere dir", rief Michel unmutig, "du und Ezechiel und alle reichen Leute, die es mit mir gehalten, haben solche kalten Herzen wie du, und ihre rechten Herzen habe ich hier in meiner Kammer." "Ei, wie dir das Luegen von der Zunge geht!" lachte Peter. "Das mach du einem anderen weis! Meinst du, ich hab' auf meinen Reisen nicht solche Kunststuecke zu Dutzenden gesehen? Aus Wachs nachgeahmt sind deine Herzen hier in der Kammer. Du bist ein reicher Kerl, das geb' ich zu; aber zaubern kannst du nicht." Da ergrimmte der Riese und riss die Kammertuere auf. "Komm herein und lies die Zettel alle, und jenes dort, schau, das ist Peter Munks Herz; siehst du, wie es zuckt? Kann man das auch aus Wachs machen?" "Und doch ist es aus Wachs", antwortete Peter. "So schlaegt ein rechtes Herz nicht; ich habe das meinige noch in der Brust. Nein, zaubern kannst du nicht!" "Aber ich will es dir beweisen!" rief jener aergerlich. "Du sollst es selbst fuehlen, dass dies dein Herz ist." Er nahm es, riss Peters Wams auf und nahm einen Stein aus seiner Brust und zeigte ihn vor. Dann nahm er das Herz, hauchte es an und setzte es behutsam an seine Stelle, und alsobald fuehlte Peter, wie es pochte, und er konnte sich wieder darueber freuen. "Wie ist es dir jetzt?" fragte Michel laechelnd. "Wahrhaftig, du hast doch recht gehabt", antwortete Peter, indem er behutsam sein Kreuzlein aus der Tasche zog. "Haett' ich doch nicht geglaubt, dass man dergleichen tun koenne!" "Nicht wahr? Und zaubern kann ich, das siehst du; aber komm, jetzt will ich dir den Stein wieder hineinsetzen." "Gemach, Herr Michel!" rief Peter, trat einen Schritt zurueck und hielt ihm das Kreuzlein entgegen. "Mit Speck faengt man Maeuse, und diesmal bist du der Betrogene." Und zugleich fing er an zu beten, was ihm nur beifiel. Da wurde Michel kleiner und immer kleiner, fiel nieder und wand sich hin und her wie ein Wurm und aechzte und stoehnte, und alle Herzen umher fingen an zu zucken und zu pochen, dass es toente wie in der Werkstatt eines Uhrmachers. Peter aber fuerchtete sich, und es wurde ihm ganz unheimlich zumut, er rannte zur Kammer und zum Haus hinaus und klimmte, von Angst getrieben, die Felsenwand hinan; denn er hoerte, dass Michel sich aufraffte, stampfte und tobte und ihm schreckliche Flueche nachschickte. Als er oben war, lief er dem Tannenbuehl zu; ein schreckliches Gewitter zog auf, Blitze fielen links und rechts an ihm nieder und zerschmetterten die Baeume, aber er kam wohlbehalten in dem Revier des Glasmaennleins an. Sein Herz pochte freudig, und nur darum, weil es pochte. Dann aber sah er mit Entsetzen auf sein Leben zurueck wie auf das Gewitter, das hinter ihm rechts und links den schoenen Wald zersplitterte. Er dachte an Frau Lisbeth, sein schoenes, gutes Weib, das er aus Geiz gemordet, er kam sich selbst wie der Auswurf der Menschen vor, und er weinte heftig, als er an Glasmaennleins Huegel kam. Schatzhauser sass schon unter dem Tannenbaum und rauchte aus einer kleinen Pfeife; doch sah er munterer aus als zuvor. "Warum weinst du, Kohlenpeter?" fragte er. "Hast du dein Herz nicht erhalten? Liegt noch das kalte in deiner Brust?" "Ach, Herr!" seufzte Peter, "als ich noch das kalte Steinherz trug, da weinte ich nie, meine Augen waren so trocken wie das Land im Juli; jetzt aber will es mir beinahe das alte Herz zerbrechen, was ich getan! Meine Schuldner habe ich ins Elend gejagt, auf Arme und Kranke die Hunde gehetzt, und Ihr wisst es ja selbst--wie meine Peitsche auf ihre schoene Stirne fiel!" "Peter! Du warst ein grosser Suender!" sprach das Maennlein. "Das Geld und der Muessiggang haben dich verdorben, bis dein Herz zu Stein wurde, nicht Freud', nicht Leid, keine Reue, kein Mitleid mehr kannte. Aber Reue versoehnt, und wenn ich nur wuesste, dass dir dein Leben recht leid tut, so koennte ich schon noch was fuer dich tun." "Will nichts mehr", antwortete Peter und liess traurig sein Haupt sinken. "Mit mir ist es aus, kann mich mein Lebtag nicht mehr freuen; was soll ich so allein auf der Welt tun? Meine Mutter verzeiht mir nimmer, was ich ihr getan, und vielleicht hab' ich sie unter den Boden gebracht, ich Ungeheuer! Und Lisbeth, meine Frau! Schlaget mich lieber auch tot, Herr Schatzhauser; dann hat mein elend Leben mit einmal ein Ende." "Gut", erwiderte das Maennlein, "wenn du nicht anders willst, so kannst du es haben; meine Axt habe ich bei der Hand." Er nahm ganz ruhig sein Pfeiflein aus dem Mund, klopfte es aus und steckte es ein. Dann stand er langsam auf und ging hinter die Tannen. Peter aber setzte sich weinend ins Gras, sein Leben war ihm nichts mehr, und er erwartete geduldig den Todesstreich. Nach einiger Zeit hoerte er leise Tritte hinter sich und dachte: "Jetzt wird er kommen." "Schau dich noch einmal um, Peter Munk!" rief das Maennlein. Er wischte sich die Traenen aus den Augen und schaute sich um und sah--seine Mutter und Lisbeth, seine Frau, die ihn freundlich anblickten. Da sprang er freudig auf: "So bist du nicht tot, Lisbeth; und auch Ihr seid da, Mutter, und habt mir vergeben?" "Sie wollen dir verzeihen", sprach das Glasmaennlein, "weil du wahre Reue fuehlst, und alles soll vergessen sein. Zieh jetzt heim in deines Vaters Huette und sei ein Koehler wie zuvor; bist du brav und bieder, so wirst du dein Handwerk ehren, und deine Nachbarn werden dich mehr lieben und achten, als wenn du zehn Tonnen Goldes haettest." So sprach das Glasmaennlein und nahm Abschied von ihnen. Die drei lobten und segneten es und gingen heim. Das prachtvolle Haus des reichen Peters stand nicht mehr; der Blitz hatte es angezuendet und mit all seinen Schaetzen niedergebrannt; aber nach der vaeterlichen Huette war es nicht weit; dorthin ging jetzt ihr Weg, und der grosse Verlust bekuemmerte sie nicht. Aber wie staunten sie, als sie an die Huette kamen! Sie war zu einem schoenen Bauernhaus geworden, und alles darin war einfach, aber gut und reinlich. "Das hat das gute Glasmaennlein getan!" rief Peter. "Wie schoen!" sagte Frau Lisbeth. "Und hier ist mir viel heimischer als in dem grossen Haus mit dem vielen Gesinde." Von jetzt an wurde Peter Munk ein fleissiger und wackerer Mann. Er war zufrieden mit dem, was er hatte, trieb sein Handwerk unverdrossen, und so kam es, dass er durch eigene Kraft wohlhabend wurde und angesehen und beliebt im ganzen Wald. Er zankte nie mehr mit Frau Lisbeth, ehrte seine Mutter und gab den Armen, die an seine Tuere pochten. Als nach Jahr und Tag Frau Lisbeth von einem schoenen Knaben genas, ging Peter nach dem Tannenbuehl und sagte sein Spruechlein. Aber das Glasmaennlein zeigte sich nicht. "Herr Schatzhauser!" rief er laut, "hoert mich doch; ich will ja nichts anderes, als Euch zu Gevatter bitten bei meinem Soehnlein!" Aber es gab keine Antwort; nur ein kurzer Windstoss sauste durch die Tannen und warf einige Tannenzapfen herab ins Gras. "So will ich dies zum Andenken mitnehmen, weil Ihr Euch doch nicht sehen lassen wollet", rief Peter, steckte die Zapfen in die Tasche und ging nach Hause; aber als er zu Hause das Sonntagswams auszog und seine Mutter die Taschen umwandte und das Wams in den Kasten legen wollte, da fielen vier stattliche Geldrollen heraus, und als man sie oeffnete, waren es lauter gute, neue badische Taler, und kein einziger falscher darunter. Und das war das Patengeschenk des Maennleins im Tannenwald fuer den kleinen Peter. So lebten sie still und unverdrossen fort, und noch oft nachher, als Peter Munk schon graue Haare hatte, sagte er: "Es ist doch besser, zufrieden zu sein mit wenigem, als Gold und Gueter haben und ein kaltes Herz." Es mochten etwa schon fuenf Tage vergangen sein, waehrend Felix, der Jaeger und der Student noch immer unter den Raeubern gefangen sassen. Sie wurden zwar von dem Hauptmann und seinen Untergebenen gut behandelt, aber dennoch sehnten sie sich nach Befreiung, denn je mehr die Zeit fortrueckte, desto hoeher stieg auch ihre Angst vor Entdeckung. Am Abend des fuenften Tages erklaerte der Jaeger seinen Leidensgenossen, dass er entschlossen sei, in dieser Nacht loszubrechen, und wenn es ihn auch das Leben kosten sollte. Er munterte seine Gefaehrten zum gleichen Entschluss auf und zeigte ihnen, wie sie ihre Flucht ins Werk setzen koennten. "Den, der uns zunaechst steht, nehme ich auf mich; es ist Notwehr, und Not kennt kein Gebot, er muss sterben." "Sterben!" rief Felix entsetzt. "Ihr wollt ihn totschlagen?" "Das bin ich fest entschlossen, wenn es darauf ankommt, zwei Menschenleben zu retten. Wisset, dass ich die Raeuber mit besorglicher Miene habe fluestern hoeren, im Wald werde nach ihnen gestreift, und die alten Weiber verrieten in ihrem Zorn die boese Absicht der Bande; sie schimpften auf uns und gaben zu verstehen, wenn die Raeuber angegriffen wuerden, so muessten wir ohne Gnade sterben." "Gott im Himmel!" schrie der Juengling entsetzt und verbarg sein Gesicht in die Haende. "Noch haben sie uns das Messer nicht an die Kehle gesetzt", fuhr der Jaeger fort, "drum lasst uns ihnen zuvorkommen! Wenn es dunkel ist, schleiche ich auf die naechste Wache zu; sie wird anrufen; ich werde ihm zufluestern, die Graefin sei ploetzlich sehr krank geworden, und indem er sich umsieht, stosse ich ihn nieder. Dann hole ich Euch ab, junger Mann, und der zweite kann uns ebensowenig entgehen; und beim dritten haben wir zu zweit leichtes Spiel." Der Jaeger sah bei diesen Worten so schrecklich aus, dass Felix sich vor ihm fuerchtete. Er wollte ihn bereden, von diesem blutigen Gedanken abzustehen, als die Tuere leise aufging und schnell eine Gestalt hereinschluepfte. Es war der Hauptmann. Behutsam schloss er wieder zu und winkte den beiden Gefangenen, sich ruhig zu verhalten. Er setzte sich neben Felix nieder und sprach: "Frau Graefin, Ihr seid in schlimmer Lage. Euer Herr Gemahl hat nicht Wort gehalten, er hat nicht nur das Loesegeld nicht geschickt, sondern er hat auch die Regierungen umher aufgeboten; bewaffnete Mannschaft streift von allen Seiten durch den Wald, um mich und meine Leute auszuheben. Ich habe Eurem Gemahl gedroht, Euch zu toeten, wenn er Miene macht, uns anzugreifen; doch es muss ihm entweder an Eurem Leben wenig liegen, oder er traut unseren Schwueren nicht. Euer Leben ist in unserer Hand, ist nach unseren Gesetzen verwirkt. Was wollet Ihr dagegen einwenden?" Bestuerzt sahen die Gefangenen vor sich nieder, sie wussten nicht zu antworten, denn Felix erkannte wohl, dass ihn das Gestaendnis ueber seine Verkleidung nur noch mehr in Gefahr setzen koennte. Es ist mir unmoeglich", fuhr der Hauptmann fort, "eine Dame, die meine vollkommene Achtung hat, also in Gefahr zu sehen. Darum will ich Euch einen Vorschlag zur Rettung machen, es ist der einzige Ausweg, der Euch uebrig bleibt: Ich will mit Euch entfliehen." "Erstaunt, ueberrascht blickten ihn beide an; er aber sprach weiter: "Die Mehrzahl meiner Gesellen ist entschlossen, nach Italien zu ziehen und unter einer weitverbreiteten Bande Dienste zu nehmen. Mir fuer meinen Teil behagt es nicht, unter einem anderen zu dienen, und darum werde ich keine gemeinschaftliche Sache mit ihnen machen. Wenn Ihr mir nun Euer Wort geben wolltet, Frau Graefin, fuer mich gutzusprechen, Eure maechtigen Verbindungen zu meinem Schutze anzuwenden, so kann ich Euch noch freimachen, ehe es zu spaet ist." Felix schwieg verlegen; sein redliches Herz straeubte sich, den Mann, der ihm das Leben retten wollte, geflissentlich einer Gefahr auszusetzen, vor welcher er ihn nachher nicht schuetzen koennte. Als er noch immer schwieg, fahr der Hauptmann fort: "Man sucht gegenwaertig ueberall Soldaten; ich will mit dem geringsten Dienst zufrieden sein. Ich weiss, dass Ihr viel vermoeget; aber ich will ja nichts weiter als Euer Versprechen, etwas fuer mich in dieser Sache zu tun." "Nun denn", antwortete Felix mit niedergeschlagenen Augen, "ich verspreche Euch, was ich tun kann, was in meinen Kraeften steht, anzuwenden, um Euch nuetzlich zu sein. Liegt doch, wie es Euch ergehe, ein Trost fuer mich darin, dass Ihr diesem Raeuberleben Euch selbst freiwillig entzogen habt." Geruehrt kuesste der Hauptmann die Hand dieser guetigen Dame, fluesterte ihr noch zu, sich zwei Stunden nach Anbruch der Nacht bereitzuhalten, und verliess dann ebenso vorsichtig, wie er gekommen war, die Huette. Die Gefangenen atmeten freier, als er hinweggegangen war. "Wahrlich!" rief der Jaeger, "dem hat Gott das Herz gelenkt! Wie wunderbar sollen wir errettet werden! Haette ich mir traeumen lassen, dass in der Welt noch etwas dergleichen geschehen koennte und dass mir ein solches Abenteuer begegnen sollte?" "Wunderbar, allerdings!" erwiderte Felix. "Aber habe ich auch recht getan, diesen Mann zu betruegen? Was kann ihm mein Schutz frommen? Saget selbst, Jaeger, heisst es ihn nicht an den Galgen locken, wenn ich ihm nicht gestehe, wer ich bin?" "Ei, wie moegt Ihr solche Skrupel haben, lieber Junge!" entgegnete der Student. "Nachdem Ihr Eure Rolle so meisterhaft gespielt! Nein, darueber duerft Ihr Euch nicht aengstigen, das ist nichts anderes als erlaubte Notwehr. Hat er doch den Frevel begangen, eine angesehene Frau schaendlicherweise von der Strasse hinwegfuehren zu wollen, und waeret Ihr nicht gewesen, wer weiss, wie es um das Leben der Graefin staende? Nein, Ihr habt nicht unrecht getan; uebrigens glaube ich, er wird bei den Gerichten sich einen Stein im Brett gewinnen, wenn er, das Haupt dieses Gesindels, sich selbst ausliefert." Dieser letztere Gedanke troestete den jungen Goldschmied. Freudig bewegt und doch wieder voll banger Besorgnis ueber das Gelingen des Planes durchlebten sie die naechsten Stunden. Es war schon dunkel, als der Hauptmann auf einen Augenblick in die Huette trat, ein Buendel Kleider niederlegte und sprach: "Frau Graefin, um unsere Flucht zu erleichtern, muesst Ihr notwendig diese Maennerkleidung anlegen. Machet Euch fertig! In einer Stunde treten wir den Marsch an." Nach diesen Worten verliess er die Gefangenen, und der Jaeger hatte Muehe, nicht laut zu lachen. "Das waere nun die zweite Verkleidung"> rief er, "und ich wollte schwoeren, diese steht Euch noch besser als die erste!" Sie oeffneten das Buendel und fanden ein huebsches Jagdkleid mit allem Zubehoer, das Felix trefflich passte. Nachdem er sich geruestet, wollte der Jaeger die Kleider der Graefin in einen Winkel der Huette werfen, Felix gab es aber nicht zu; er legte sie zu einem kleinen Buendel zusammen und aeusserte, er wolle die Graefin bitten, sie ihm zu schenken, und sie dann sein ganzes Leben hindurch zum Andenken an diese merkwuerdigen Tage aufbewahren. Endlich kam der Hauptmann. Er war vollstaendig bewaffnet und brachte dem Jaeger die Buechse, die man ihm abgenommen, und ein Pulverhorn. Auch dem Studenten gab er eine Flinte, und Felix reichte er einen Hirschfaenger, mit der Bitte, ihn auf den Fall der Not umzuhaengen. Es war ein Glueck fuer die drei, dass es sehr dunkel war; denn leicht haetten die leuchtenden Blicke, womit Felix diese Waffe empfing, dem Raeuber seinen wahren Stand verraten koennen. Als sie behutsam aus der Huette getreten waren, bemerkte der Jaeger, dass der gewoehnliche Posten an der Huette diesmal nicht besetzt sei. So war es moeglich, dass sie unbemerkt an den Huetten vorbeischleichen konnten; doch schlug der Hauptmann nicht den gewoehnlichen Pfad ein, der aus der Schlucht in den Wald hinausfuehrte, sondern er naeherte sich einem Felsen, der ganz senkrecht und, wie es schien, unzugaenglich vor ihnen lag. Als sie dort angekommen waren, machte der Hauptmann auf eine Strickleiter aufmerksam, die an dem Felsen herabgespannt war. Er warf seine Buechse auf den Ruecken und stieg zuerst hinan; dann rief er der Graefin zu, ihm zu folgen, und bot ihr die Hand zur Hilfe, der Jaeger stieg zuletzt herauf. Hinter diesem Felsen zeigte sich ein Fusspfad, den sie einschlugen und rasch vorwaerts gingen. "Dieser Fusspfad", sprach der Hauptmann, "fuehrt nach der Aschaffenburger Strasse. Dorthin wollen wir uns begeben; denn ich habe genau erfahren, dass Ihr Gemahl, der Graf, sich gegenwaertig dort aufhaelt." Schweigend zogen sie weiter, der Raeuber immer voran, die drei anderen dicht hinter ihm. Nach drei Stunden hielten sie an; der Hauptmann lud Felix ein, sich auf einen Baumstamm zu setzen, um auszuruhen. Er zog Brot, eine Feldflasche mit altem Wein hervor und bot es den Ermuedeten an. "Ich glaube, wir werden, ehe eine Stunde vergeht, auf den Kordon stossen, den das Militaer durch den Wald gezogen hat. In diesem Fall bitte ich Sie, mit dem Anfuehrer der Soldaten zu sprechen und gute Behandlung fuer mich zu verlangen." Felix sagte auch dies zu, obwohl er sich von seiner Verwendung geringen Erfolg versprach. Sie ruhten noch eine halbe Stunde und brachen dann auf. Sie mochten etwa wieder eine Stunde gegangen sein und naeherten sich schon der Landstrasse; der Tag fing an heraufzukommen, und die Daemmerung verbreitete sich schon im Wald, als ihre Schritte ploetzlich durch ein lautes: "Halt! Steht!" gefesselt wurden. Sie hielten, und fuenf Soldaten rueckten gegen sie vor und bedeuteten ihnen, sie muessten folgen und vor dem kommandierenden Major sich ueber ihre Reise ausweisen. Als sie noch etwa fuenfzig Schritte gegangen waren, sahen sie links und rechts im Gebuesch Gewehre blitzen, eine grosse Schar schien den Wald besetzt zu haben. Der Major sass mit mehreren Offizieren und anderen Maennern unter einer Eiche. Als die Gefangenen vor ihn gebracht wurden und er eben anfangen wollte, sie zu examinieren ueber das "Woher" und "Wohin", sprang einer der Maenner auf und rief: "Mein Gott, was sehe ich? Das ist ja Gottfried, unser Jaeger!" "Jawohl, Herr Amtmann!" antwortete der Jaeger mit freudiger Stimme, "da bin ich, und wunderbar gerettet aus der Hand des schlechten Gesindels." Die Offiziere erstaunten, ihn hier zu sehen; der Jaeger aber bat den Major und den Amtmann, mit ihm auf die Seite zu treten, und erzaehlte in kurzen Worten, wie sie errettet worden und wer der dritte sei, welcher ihn und den jungen Goldschmied begleitete. Erfreut ueber diese Nachricht, traf der Major sogleich seine Massregeln, den wichtigen Gefangenen weiter transportieren zu lassen; den jungen Goldschmied aber fuehrte er zu seinen Kameraden, stellte ihn als den heldenmuetigen Juengling vor, der die Graefin durch seinen Mut und seine Geistesgegenwart gerettet habe, und alle schuettelten Felix freudig die Hand, lobten ihn und konnten nicht satt werden, sich von ihm und dem Jaeger ihre Schicksale erzaehlen zu lassen. Indessen war es voellig Tag geworden. Der Major beschloss, die Befreiten selbst bis in die Stadt zu begleiten; er ging mit ihnen und dem Amtmann der Graefin in das naechste Dorf, wo sein Wagen stand, und dort musste sich Felix zu ihm in den Wagen setzen; der Jaeger, der Student, der Amtmann und viele andere Leute ritten vor und hinter ihnen, und so zogen sie im Triumph der Stadt zu. Wie ein Lauffeuer hatte sich das Geruecht von dem Ueberfall in der Waldschenke, von der Aufopferung des jungen Goldarbeiters in der Gegend verbreitet, und ebenso reissend ging jetzt die Sage von seiner Befreiung von Mund zu Mund. Es war daher nicht zu verwundern, dass in der Stadt, wohin sie zogen, die Strassen gedraengt voll Menschen standen, die den jungen Helden sehen wollten. Alles draengte sich zu, als der Wagen langsam hereinfuhr. "Das ist er", riefen sie, "seht ihr ihn dort im Wagen neben dem Offizier! Es lebe der brave Goldschmiedsjunge!" Und ein tausendstimmiges "Hoch!" fuellte die Luefte. Felix war beschaemt, geruehrt von der rauschenden Freude der Menge. Aber noch ein ruehrenderer Anblick stand ihm auf dem Rathause der Stadt bevor. Ein Mann von mittleren Jahren, in reichen Kleidern, empfing ihn an der Treppe und umarmte ihn mit Traenen in den Augen. "Wie kann ich dir vergelten, mein Sohn!" rief er. "Du hast mir viel gegeben, als ich nahe daran war, unendlich viel zu verlieren! Du hast mir die Gattin, meinen Kindern die Mutter gerettet; denn ihr zartes Leben haette die Schrecken einer solchen Gefangenschaft nicht ertragen." Es war der Gemahl der Graefin, der diese Worte sprach. So sehr sich Felix straeuben mochte, einen Lohn fuer seine Aufopferung zu bestimmen, so unerbittlich schien der Graf darauf bestehen zu wollen. Da fiel dem Juengling das unglueckliche Schicksal des Raeuberhauptmanns ein; er erzaehlte, wie er ihn gerettet, wie diese Rettung eigentlich der Graefin gegolten habe. Der Graf, geruehrt nicht sowohl von der Handlung des Hauptmanns als von dem neuen Beweis einer edlen Uneigennuetzigkeit, den Felix durch die Wahl seiner Bitte ablegte, versprach, das Seinige zu tun, um den Raeuber zu retten. Noch an demselben Tag aber fuehrte der Graf, begleitet von dem wackeren Jaeger, den jungen Goldschmied nach seinem Schlosse, wo die Graefin, noch immer besorgt um das Schicksal des jungen Mannes, der sich fuer sie geopfert, sehnsuchtsvoll auf Nachrichten wartete. Wer beschreibt ihre Freude, als ihr Gemahl, den Retter an der Hand, in ihr Zimmer trat? Sie fand kein Ende, ihn zu befragen, ihm zu danken; sie liess ihre Kinder herbeibringen und zeigte ihnen den hochherzigen Juengling, dem ihre Mutter so unendlich viel verdanke, und die Kleinen fassten seine Haende, und der zarte Sinn ihres kindlichen Dankes, ihre Versicherungen, dass er ihnen nach Vater und Mutter auf der ganzen Erde das Liebste sei, waren ihm die schoenste Entschaedigung fuer manchen Kummer, fuer die schlaflosen Naechte in der Huette der Raeuber. Als die ersten Momente des frohen Wiedersehens vorueber waren, winkte die Graefin einem Diener, welcher bald darauf jene Kleider und das wohlbekannte Raenzchen herbeibrachte, welche Felix der Graefin in der Waldschenke ueberlassen hatte. "Hier ist alles", sprach sie mit guetigem Laecheln, "was Ihr mir in jenen furchtbaren Augenblicken gegeben; es ist der Zauber, womit Ihr mich umhuellt habt, um meine Verfolger mit Blindheit zu schlagen. Es steht Euch wieder zu Diensten; doch will ich Euch den Vorschlag machen, diese Kleider, die ich zum Andenken an Euch aufbewahren moechte, mir zu ueberlassen und zum Tausch dafuer die Summe anzunehmen, welche die Raeuber zum Loesegeld fuer mich bestimmten." Felix erschrak ueber die Groesse dieses Geschenkes; sein edler Sinn straeubte sich, einen Lohn fuer das anzunehmen, was er aus freiem Willen getan. "Gnaedige Frau", sprach er bewegt, "ich kann dies nicht gelten lassen. Die Kleider sollen Euer sein, wie Ihr es befehlet; jedoch die Summe, von der Ihr sprechet, kann ich nicht annehmen. Doch, weil ich weiss, dass Ihr mich durch irgend etwas belohnen wollet, so erhaltet mir Eure Gnade statt anderen Lohnes, und sollte ich in den Fall kommen, Eurer Hilfe zu beduerfen, so koennt Ihr darauf rechnen, dass ich Euch darum bitten werde." Noch lange drang man in den jungen Mann; aber nichts konnte seinen Sinn aendern. Die Graefin und ihr Gemahl gaben endlich nach, und schon wollte der Diener die Kleider und das Raenzchen wieder wegtragen, als Felix sich an das Geschmeide erinnerte, das er im Gefuehl so vieler freudiger Szenen ganz vergessen hatte. "Halt!" rief er. "Nur etwas muesst Ihr mir noch aus meinem Raenzchen zu nehmen erlauben, gnaedige Frau; das uebrige ist dann ganz und voellig Euer." "Schaltet nach Belieben", sprach sie, "obgleich ich gerne alles zu Eurem Gedaechtnis behalten haette, so nehmet nur, was Ihr etwa davon nicht entbehren wollet! Doch, wenn man fragen darf, was liegt Euch denn so sehr am Herzen, dass Ihr es mir nicht ueberlassen moeget?" Der Juengling hatte waehrend dieser Worte sein Raenzchen geoeffnet und ein Kaestchen von rotem Saffian herausgenommen. "Was mein ist, koennet Ihr alles haben", erwiderte er laechelnd, "doch dies gehoert meiner lieben Frau Pate; ich habe es selbst gefertigt und muss es ihr bringen. Es ist ein Schmuck, gnaedige Frau", fuhr er fort, indem er das Kaestchen oeffnete und ihr hinbot, "ein Schmuck, an welchem ich mich selbst versucht habe." Sie nahm das Kaestchen; aber nachdem sie kaum einen Blick darauf geworfen, fuhr sie betroffen zurueck. "Wie? Diese Steine!" rief sie. "Und fuer Eure Pate sind sie bestimmt, sagtet Ihr?" "Jawohl", antwortete Felix, "meine Frau Pate hat mir die Steine geschickt; ich habe sie gefasst und bin auf dem Wege, sie selbst zu ueberbringen." Geruehrt sah ihn die Graefin an; Traenen drangen aus ihren Augen. "So bist du Felix Perner aus Nuernberg?" rief sie. "Jawohl! Aber woher wisst Ihr so schnell meinen Namen?" fragte der Juengling und sah sie bestuerzt an. "Oh, wundervolle Fuegung des Himmels!" sprach sie geruehrt zu ihrem staunenden Gemahl. "Das ist ja Felix, unser Patchen, der Sohn unserer Kammerfrau Sabine! Felix! Ich bin es ja, zu der du kommen wolltest; so hast du deine Pate gerettet, ohne es zu wissen." "Wie? Seid denn Ihr die Graefin Sandau, die so viel an mir und meiner Mutter getan? Und dies ist das Schloss Mayenburg, wohin ich wandern wollte? Wie danke ich dem guetigen Geschick, das mich so wunderbar mit Euch zusammentreffen liess; so habe ich Euch doch durch die Tat, wenn auch in geringem Masse, meine grosse Dankbarkeit bezeugen koennen!" "Du hast mehr an mir getan", erwiderte sie, "als ich je an dir haette tun koennen; doch so lange ich lebe, will ich dir zu zeigen suchen, wie unendlich viel wir alle dir schuldig sind. Mein Gatte soll dein Vater, meine Kinder deine Geschwister und ich selbst will deine treue Mutter sein, und dieser Schmuck, der dich zu mir fuehrte in der Stunde der hoechsten Not, soll meine beste Zierde werden; denn er wird mich immer an dich und deinen Edelmut erinnern." So sprach die Graefin und hielt Wort. Sie unterstuetzte den gluecklichen Felix auf seinen Wanderungen reichlich. Als er zurueckkam als ein geschickter Arbeiter in seiner Kunst, kaufte sie ihm in Nuernberg ein Haus, richtete es vollstaendig ein, und ein nicht geringer Schmuck in seinem besten Zimmer waren schoen gemalte Bilder, welche die Szenen in der Waldschenke und Felix' Leben unter den Raeubern vorstellten. Dort lebte Felix als ein geschickter Goldarbeiter; der Ruhm seiner Kunst verband sich mit der wunderbaren Sage von seinem Heldenmut und verschaffte ihm Kunden im ganzen Reiche. Viele Fremde, wenn sie durch die schoene Stadt Nuernberg kamen, liessen sich in die Werkstatt des beruehmten Meisters Felix fuehren, um ihn zu sehen, zu bewundern, wohl auch ein schoenes Geschmeide bei ihm zu bestellen. Die angenehmsten Besuche waren ihm aber der Jaeger, der Zirkelschmied, der Student und der Fuhrmann. So oft der letztere von Wuerzburg nach Fuerth fuhr, sprach er bei Felix ein; der Jaeger brachte ihm beinahe alle Jahre Geschenke von der Graefin, der Zirkelschmied aber liess sich, nachdem er in allen Laendern umhergewandert war, bei Meister Felix nieder. Eines Tages besuchte sie auch der Student. Er war indessen ein bedeutender Mann im Staat geworden, schaemte sich aber nicht, bei Meister Felix und dem Zirkelschmied ein Abendessen zu verzehren. Sie erinnerten sich an alle Szenen der Waldschenke; und der ehemalige Student erzaehlte, er habe den Raeuberhauptmann in Italien wiedergesehen; er habe sich gaenzlich gebessert und diene als braver Soldat dem Koenig von Neapel. Felix freute sich, als er dies hoerte. Ohne diesen Mann waere er zwar vielleicht nicht in jene gefaehrliche Lage gekommen, aber ohne ihn haette er sich auch nicht aus Raeuberhand befreien koennen. Und so geschah es, dass der wackere Meister Goldschmied nur friedliche und freundliche Erinnerungen hatte, wenn er zurueckdachte an _das Wirtshaus im Spessart_. Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Maerchen-Almanach auf das Jahr 1828", von Wilhelm Hauff. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MAERCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1828 *** This file should be named 7alm310.txt or 7alm310.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7alm311.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7alm310a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. 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