Redistribuito da: classicistranieri.com | Facciamo una biblioteca multiediale. Meglio. E ci dispiace per gli altri! The Project Gutenberg EBook of Lichtenstein, by Wilhelm Hauff #5 in our series by Wilhelm Hauff Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. You can also find out about how to make a donation to Project Gutenberg, and how to get involved. **Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** **eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** *****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** Title: Lichtenstein Author: Wilhelm Hauff Release Date: October, 2004 [EBook #6726] [Yes, we are more than one year ahead of schedule] [This file was first posted on January 20, 2003] Edition: 10 Language: German Character set encoding: ASCII *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LICHTENSTEIN *** This text was produced for Project Gutenberg by Mike Pullen and Delphine Lettau. We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- which requires a binary transfer, or sent as email attachment and may require more specialized programs to display the accents. This is the 7-bit version. This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg2000.de erreichbar. Lichtenstein Wilhelm Hauff Inhalt: Vorwort Kapitel 1 Kapitel 2 Kapitel 3 Kapitel 4 Kapitel 5 Kapitel 6 Kapitel 7 Kapitel 8 Kapitel 9 Kapitel 10 Kapitel 11 Kapitel 12 Kapitel 13 Kapitel 14 Kapitel 15 Kapitel 16 Kapitel 17 Kapitel 18 Kapitel 19 Kapitel 20 Kapitel 21 Kapitel 22 Kapitel 23 Kapitel 24 Kapitel 25 Kapitel 26 Kapitel 27 Kapitel 28 Kapitel 29 Kapitel 30 Kapitel 31 Kapitel 32 Kapitel 33 Kapitel 34 Kapitel 35 Kapitel 36 Lichtenstein Wilhelm Hauff Die Sage, womit sich die folgenden Blaetter beschaeftigen, gehoert jenem Teil des suedlichen Deutschlands an, welcher sich zwischen den Gebirgen der Alb und des Schwarzwaldes ausbreitet. Das erstere dieser Gebirge schliesst, von Nordost nach Sueden in verschiedener Breite sich ausdehnend, in einer langen Bergkette dieses Land ein, der Schwarzwald aber zieht sich von den Quellen der Donau bis hinueber an den Rhein und bildet mit seinen schwaerzlichen Tannenwaeldern einen dunklen Hintergrund fuer die schoene, fruchtbare, weinreiche Landschaft, die, vom Neckar durchstroemt, an seinem Fusse sich ausbreitet und Wuerttemberg heisst. Dieses Land schritt aus geringem, dunklem Anfang unter mancherlei Kaempfen siegend zu seiner jetzigen Stellung unter den Nachbarstaaten hervor. Es erregt dies umso groessere Bewunderung wenn man die Zeit bedenkt, in welcher sein Name zuerst aus dem Dunkel tritt; jene Zeit, wo maechtige Grenznachbarn, wie die Stauffen, die Herzoge von Teck, die Grafen von Zollern, um seine Wiege gelagert waren; wenn man die inneren und aeusseren Stuerme bedenkt, die es durchzogen und oft selbst seinen Namen aus den Annalen der Geschichte zu vertilgen drohten. Gab es doch sogar eine Zeit, wo der Stamm seiner Beherrscher auf ewig aus den Hallen ihrer Vaeter verdraengt schien, wo sein ungluecklicher Herzog aus seinen Grenzen fliehen und in drueckender Verbannung leben musste, wo fremde Herren in seinen Burgen hausten, fremde Soeldner das Land bewachten und wenig fehlte, dass Wuerttemberg aufhoerte zu sein, jene bluehenden Fluren zerrissen und eine Beute fuer viele oder eine Provinz des Hauses Oesterreich wurden. Unter den vielen Sagen, die von ihrem Land und der Geschichte ihrer Vaeter im Mund der Schwaben leben, ist wohl keine von so hohem romantischem Interesse wie die, welche sich an die Kaempfe der eben erwaehnten Zeit, an das wunderbare Schicksal jenes ungluecklichen Fuersten Ulrich knuepft. Das Jahr 1519, in welches unsere Sage faellt, hat ueber ihn entschieden, denn es ist der Anfang seines langen Unglueckes. Doch darf die Nachwelt sagen, es war der Anfang seines Glueckes. War ja doch jene lange Verbannung ein laeuterndes Feuer, woraus er weise und kraeftiger als je hervorging. Es war der Anfang seines Glueckes, denn seine spaeteren Regentenjahre wird jeder Wuerttemberger segnen, der die religioese Umwaelzung, die dieser Fuerst in seinem Vaterland bewerkstelligte, fuer ein Glueck ansieht. In jenem Jahr war alles auf die Spitze gestellt. Der Aufruhr des Armen Konrad war sechs Jahre frueher mit Muehe gestillt worden. Doch war das Landvolk hie und da noch schwierig, weil der Herzog dasselbe nicht fuer sich zu gewinnen wusste, seine Amtleute auf ihre eigene Faust arg hausten und Steuern auf Steuern erhoben wurden. Den schwaebischen Bund, eine maechtige Vereinigung von Fuersten, Grafen, Rittern und freien Staedten des Schwaben- und Frankenlandes, hatte er wiederholt beleidigt,hauptsaechlich auch dadurch, dass er sich weigerte, ihm beizutreten So sahen also alle seine Grenznachbarn mit feindlichen Blicken auf sein Tun, als wollten sie nur die Gelegenheit abwarten, ihn fuehlen zu lassen, welch maechtiges Buendnis er verweigert habe. Der Kaiser Maximilian, der damals noch regierte, war ihm auch nicht ganz hold, besonders seit er im Verdacht stand, den Ritter Goetz von Berlichingen unterstuetzt zu haben, um sich an dem Kurfuersten von Mainz zu raechen. Der Herzog von Bayern, ein maechtiger Nachbar, dazu sein Schwager, war ihm abgeneigt, weil Ulrich mit der Herzogin Sabina nicht zum besten lebte. Zu allem diesem kam, um sein Verderben zu beschleunigen, die Ermordung eines fraenkischen Ritters, der an seinem Hof lebte. Glaubwuerdige Chronisten sagen, das Verhaeltnis des Johann von Hutten zu Sabina sei nicht so gewesen, wie es der Herzog gerne sah. Daher griff ihn der Herzog auf einer Jagd an, warf ihm seine Untreue vor, forderte ihn auf, sich seines Lebens zu erwehren, und stach ihn nieder. Die Huttischen, hauptsaechlich Ulrich von Hutten, erhoben ihre Stimmen wider ihn, und in ganz Deutschland erscholl ihr Klage- und Rachegeschrei. Auch die Herzogin, die durch stolzes, zaenkisches Wesen Ulrich schon als Braut aufgebracht und ihm keine gute Ehe bereitet hatte, trat jetzt als Gegnerin auf, entfloh mit Hilfe Dietrichs von Spaet, und sie und ihre Brueder traten als Klaeger und bittere Feinde bei dem Kaiser auf. Es wurden Vertraege geschlossen und nicht gehalten, es wurden Friedensvorschlaege angeboten und wieder verworfen, die Not um den Herzog wuchs von Monat zu Monat, und dennoch beugte sich sein Sinn nicht, denn er meinte, recht getan zu haben Der Kaiser starb in dieser Zeit. Er war ein Herr, der Ulrich trotz der vielen Klagen Milde bewiesen hatte. An ihm starb dem Herzog ein unparteiischer Richter, den er in diesen Bedraengnissen so gut haette brauchen koennen, denn das Unglueck kam jetzt schnell. Man feierte das Leichenfest des Kaisers zu Stuttgart in der Burg, als dem Herzog die Kunde kam, dass Reutlingen, eine Reichsstadt, die in seinem Gebiet lag, seinen Waldvogt auf Achalm erschlagen habe. Diese Staedter hatten ihn schon oft empfindlich beleidigt, sie waren ihm verhasst und sollten jetzt seine Rache fuehlen. Schnell zum Zorn gereizt, wie er war, warf er sich aufs Pferd, liess die Laermtrommeln durch das Land toenen, belagerte die Stadt und nahm sie ein Der Herzog liess sich von ihr huldigen, und die Reichsstadt war wuerttembergisch. Aber jetzt erhob sich der schwaebische Bund mit Macht, denn diese Stadt war ein Glied desselben gewesen So schwer es auch sonst hielt, diese Fuersten, Grafen und Staedte aufzubieten, so zoegerten sie doch hier nicht, sondern hielten zusammen, denn der Hass ist ein fester Kitt. Umsonst waren Ulrichs schriftliche Verteidigungen. Das Bundesheer sammelte sich bei Ulm und drohte mit einem Einfall. So war also im Jahr 1519 alles auf die Spitze gestellt. Konnte der Herzog das Feld behaupten, so behielt er recht, und es war nicht zu zweifeln, dass er dann grossen Anhang bekommen wuerde. Gelang es dem Bund, den Herzog aus dem Feld zu schlagen, dann wehe ihm. Wo so vieles zu raechen war, durfte er keine Schonung erwarten Die Blicke Deutschlands hingen bange am Erfolg dieses Kampfes, sie suchten begierig durch den Vorhang des Schicksals zu dringen und zu erspaehen, was die kuenftigen Tage bringen werden, ob Wuerttemberg gesiegt, ob der Bund den Wahlplatz behauptet habe. Wir rollen diesen Vorhang auf, wir lassen Bild an Bild vorueberziehen, moege das Auge nicht zu frueh ermuedet sich davon abwenden. Kapitel 1 Nach den ersten trueben Tagen des Maerz 1519 war endlich am zwoelften ein recht freundlicher Morgen ueber der Reichsstadt Ulm aufgegangen. Die engen, kalten Strassen mit ihren hohen, dunklen Giebelhaeusern hatte der schoene Morgen heller als sonst beleuchtet und ihnen einen Glanz, eine Freundlichkeit gegeben, die zu dem heutigen festlichen Ansehen der Stadt gar trefflich passte. Die grosse Herdbruckergasse-- sie fuehrt vom Donautor an das Rathaus--stand an diesem Morgen gedraengt voll Menschen, die sich Kopf an Kopf wie eine Mauer an den beiden Seiten der Haeuser hinzogen, nur einen engen Raum in der Mitte der Gasse uebriglassend. Ein dumpfes Gemurmel gespannter Erwartung lief durch die Reihen und brach nur in ein kurzes Gelaechter aus, wenn etwa die alten, strengen Stadtwaechter eine huebsche Dirne, die sich zu vorlaut in den freigelassenen Raum gedraengt hatte, etwas unsanft mit dem Ende ihrer langen Hellebarde zurueckdraengten, oder wenn ein Schalk sich den Spass machte: "Sie kommen! Sie kommen!" rief, alles lange Haelse machte und schaute, bis es sich zeigte, dass man sich wieder getaeuscht habe. Noch dichter aber war das Gedraenge da, wo die Herdbruckergasse auf den Platz vor dem Rathaus einbiegt. Dort hatten sich die Zuenfte aufgestellt. Die Schiffergilde mit ihren Altmeistern an der Spitze, die Weber, die Zimmerer, die Brauer mit ihren Fahnen und Gewerbezeichen, sie alle waren im Sonntagswams und wohlbewaffnet zahlreich dort versammelt. Bot aber schon die Menge hier unten einen froehlichen, festlichen Anblick dar, so war dies noch mehr der Fall mit den hohen Haeusern der Strasse selbst. Bis an die Giebeldaecher waren alle Fenster voll geputzter Frauen und Maedchen, um welche sich die gruenen Tannen- und Taxuszweige, die bunten Teppiche und Tuecher, mit welchen die Seiten geschmueckt waren, wie Rahmen um liebliche Gemaelde zogen. Das anmutigste Bild gewaehrte wohl ein Erkerfenster am Hause des Herrn Hans von Besserer. Dort standen zwei Maedchen, so verschieden an Gesicht, Gestalt und Kleidung, und doch beide von so ausgezeichneter Schoenheit, dass, wer sie von der Strasse betrachtete, eine Weile zweifelhaft war, welcher er wohl den Vorzug geben moechte. Beide schienen nicht ueber achtzehn Jahre alt zu sein. Die eine, groessere, war zart gebaut, reiches, braunes Haar zog sich um eine freie Stirn, die gewoelbten Bogen ihrer dunklen Brauen, das ruhige, blaue Auge, der feingeschnittene Mund, die zarten Farben der Wangen-- sie gaben ein Bild, das unter unseren heutigen Damen fuer sehr anziehend gelten wuerde, das aber in jenen Zeiten, wo noch hoeheren Farben, volleren Formen der Apfel zuerkannt wurde, nur durch seine gebietende Wuerde neben der anderen Schoenen sich geltend machen konnte. Diese, kleiner und in reichlicherer Fuelle als ihre Nachbarin, war eines jener unbesorgten, immer heiteren Wesen, welche wohl wissen, dass sie gefallen. Ihr hellblondes Haar war nach damaliger Sitte der Ulmer Damen in viele Loeckchen und Zoepfchen geschlungen und zum Teil unter ein weisses Haeubchen voll kleiner, kuenstlicher Faeltchen gesteckt. Das runde frische Gesichtchen war in immerwaehrender Bewegung, noch rastloser glitten die lebhaften Augen ueber die Menge hin, und der laechelnde Mund, der alle Augenblicke die schoenen Zaehne sehen liess, zeigte deutlich, dass es unter den vielerlei abenteuerlichen Gruppen und Gestalten nicht an Gegenstaenden fehle, die ihrer froehlichen Laune zur Zielscheibe dienen mussten. Hinter den beiden Maedchen stand ein grosser, bejahrter Mann; seine tiefen, strengen Zuege, seine buschigen Augenbrauen, sein langer duenner, schon ins Graue spielender Bart, selbst sein ganz schwarzer Anzug, der wunderlich gegen die reichen, bunten Farben um ihn her abstach, gaben ihm ein ernstes, beinahe trauriges Aussehen, das kaum ein wenig milder wurde, wenn ein Schimmer von Freundlichkeit, hervorgelockt durch die gluecklichen Einfaelle der Blondine, wie ein Wetterleuchten durch das finstere Gesicht zog. Diese Gruppe, so verschieden in sich durch Farbe und Schattierung, wie durch Charakter und Jahre, zog hin und wieder die Aufmerksamkeit der Untenstehenden auf sich. Manches Auge hing an den schoenen Maedchen, und sie beschaeftigten eine Weile durch ihre ueberraschende Erscheinung jene muessige Menge, die schon ungeduldig zu werden anfing, dass das Schauspiel dessen sie harrte, sich noch immer nicht zeigen wollte. Es ging schon stark gegen Mittag. Die Menge wogte immer ungeduldiger, presste sich staerker, und hin und wieder hatte sich schon einer oder der andere aus den Reihen der ehrsamen Zuenfte auf den Boden gelagert, da toenten drei Schuesse von der Schanze auf dem Lug-ins-Land herueber, die Glocken des Muensters begannen tiefe, volle Akkorde ueber die Stadt hinzurollen, und im Augenblick hatten sich die verworrenen Reihen geordnet. "Sie kommen, Marie, sie kommen!" rief die Blonde im Erkerfenster und schlang ihren Arm um den Leib ihrer Nachbarin, indem sie sich weiter zum Fenster hinausbeugte. Das Haus des Herrn von Besserer bildete die Ecke der vorerwaehnten Strasse, von dem Erker konnte man hinab beinahe bis an das Donautor, und hinueber bis in die Fenster des Rathauses sehen, die Maedchen hatten also ihren Standpunkt trefflich gewaehlt, um das Schauspiel, dessen sie harrten, ganz zu geniessen. Jetzt hoerte man den dumpfen Schall der Pauken, vermischt mit den hohen Klaengen der Zinken und Trompeten, und durch das Tor herein bewegte sich ein langer, glaenzender Zug von Reitern. Die Stadtpauker und Trompeter, die berittene Schar der Ulmer Patriziersoehne war eine allzu taegliche Erscheinung, als dass das Auge lange darauf verweilt haette. Als aber das schwarz und weisse Banner der Stadt, mit dem Reichsadler, als Fahnen und Standarten aller Groessen und Farben, zum Tor hereinschwankten, da dachten die Zuschauer, dass jetzt der rechte Augenblick gekommen sei. Auch unsere Schoenen im Erkerfenster schaerften jetzt ihre Blicke, als man die Menge am unteren Teil der Strasse ehrerbietig die Muetzen abnehmen sah. Auf einem grossen, starkknochigen Rosse nahte ein Mann, dessen kraeftige Haltung, dessen heiteres, frisches Ansehen in sonderbarem Kontrast stand mit der tiefgefurchten Stirn und dem schon ins Graue spielenden Haar und Bart. Er trug einen zugespitzten Hut mit vielen Federn, einen Brustharnisch ueber ein eng anschliessendes, rotes Wams, Beinkleider von Leder, mit Seide ausgeschlitzt, die wohl neu recht huebsch gewesen sein mochten, aber durch Regen und Strapazen eine einfoermige, dunkelbraune Farbe erhalten hatten. Weite, schwere Reiterstiefel schlossen sich unter den Knien an. Seine einzige Waffe, ein ungewoehnlich grosses Schwert mit langem Griff ohne Korb, vollendete das Bild eines gewaltigen, unter Gefahren frueh ergrauten Kriegers. Der einzige Schmuck dieses Mannes war eine lange, goldene Kette von dicken Ringen, fuenfmal um den Hals gelegt, an welcher ein Ehrenpfennig auf die Brust herabhing. "Sagt geschwind, Oheim, wer ist der stattliche Mann, der so jung und alt aussieht?" rief die Blonde, indem sie das Koepfchen ein wenig nach dem schwarzen Herrn, der hinter ihr stand, zurueckbeugte. "Das kann ich dir sagen, Berta", antwortete dieser bedaechtig. "Es ist Georg von Frondsberg, oberster Feldhauptmann des buendischen Fussvolks, ein wackerer Mann, wenn er einer besseren Sache diente!" "Behaltet Eure Bemerkungen fuer Euch, Herr Wuerttemberger", entgegnete ihm die Kleine, indem sie laechelnd mit dem Finger drohte, "Ihr wisst, dass die Ulmer Maedchen gut buendisch sind!" Der Oheim aber, ohne sich irremachen zu lassen, fuhr fort: "Jener dort auf dem Schimmel ist Truchsess Waldburg, der Feldleutnant, dem auch etwas von unserem Wuerttemberg wohl anstaende. Dort hinter ihm kommen die Bundesobersten. Weiss Gott, sie sehen aus wie Woelfe, die nach Beute gehen." "Pfui! Verwitterte Gestalten!" bemerkte Berta. "Ob es wohl auch der Muehe wert war, Baeschen Marie, dass wir uns so putzten? Aber siehe da, wer ist der junge, schwarze Reiter auf dem Braunen? Sieh nur das bleiche Gesicht und die feurigen, schwarzen Augen! Auf seinem Schild steht: 'Ich hab's gewagt'." "Das ist der Ritter Ulrich von Hutten", erwiderte der Alte, "dem Gott seine Schmaehworte gegen unsern Herzog verzeihen wolle. Kinder, das ist ein gelehrter, frommer Herr. Er ist zwar des Herzogs bitterster Feind, aber ich sage so. Denn was wahr ist, muss wahr bleiben!" "Und siehe, da sind Sickingens Farben, wahrhaftig, da ist er selbst. Schaut hin, Maedchen, das ist Franz von Sickingen Sie sagen, er fuehre tausend Reiter ins Feld. Der ist's mit dem blanken Harnisch und der roten Feder." "Aber sagt mir, Oheim", fragte Berta weiter, "welches ist denn Goetz von Berlichingen, von dem uns Vetter Kraft so viel erzaehlt. Er ist ein gewaltiger Mann und hat eine Faust von Eisen. Reitet er nicht mit den Staedten?" "Goetz und die Staedter nenne nie in einem Atem", sprach der Alte mit Ernst. "Er haelt zu Wuerttemberg." Ein grosser Teil des Zuges war waehrend dieses Gespraeches am Fenster voruebergezogen, und mit Verwunderung hatte Berta bemerkt, wie gleichgueltig und teilnahmslos ihre Base Marie hinabschaute. Es war zwar sonst des Maedchens Art, sinnend, zuweilen wohl auch traeumerisch auszusehen, aber heute, bei einem so glaenzenden Aufzug, so ganz ohne Teilnahme zu sein, deuchte ihr ein grosses Unrecht. Sie wollte sie eben zur Rede stellen, als ein Geraeusch von der Strasse her ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein maechtiges Ross baeumte sich in der Mitte der Strasse unter ihrem Fenster, wahrscheinlich scheu gemacht durch die flatternden Fahnen der Zuenfte. Sein hoch zurueckgeworfener Kopf verdeckte den Reiter, so dass nur die wehenden Federn des Baretts sichtbar waren; aber die Gewandtheit und Kraft, mit welcher er das Pferd herunterriss und zum Stehen brachte, liess einen jungen mutigen Reiter ahnen. Das lange hellbraune Haar war ihm von der Anstrengung ueber das Gesicht herabgefallen. Als er es zurueckschlug, traf sein Blick das Erkerfenster. "Nun, dies ist doch einmal ein huebscher Herr", fluesterte die Blonde ihrer Nachbarin zu, so heimlich, so leise, als fuerchte sie, von dem schoenen Reiter gehoert zu werden, "und wie er artig und hoeflich ist! Sieh nur, er hat uns gegruesst, ohne uns zu kennen." Aber das stille Baeschen Marie schien der Kleinen nicht viel Aufmerksamkeit zu schenken. Ein gluehendes Rot zog ueber die zarten Wangen. Ja, wer die ernste Jungfrau gesehen haette, wie sie so kalt auf den Zug hinabsah, haette wohl nie geahnt, dass so viel holde Freundlichkeit um diesen Mund, so viel Liebe in diesem sinnenden Auge wohnen koennte, als in jenem Augenblick sichtbar wurde, wo sie durch ein leichtes Neigen des Hauptes den Gruss des jungen Ritters erwiderte. Der kleinen Schwaetzerin war unsere fluechtige, aber wahre Bemerkung ueber den Anblick des schoenen Mannes voellig entgangen. "Nur schnell, Oheim!" rief sie und zog den alten Herrn am Mantel. "Wer ist dieser in der hellblauen Binde mit Silber? Nun?" "Liebes Kind!" antwortete der Oheim. "Den habe ich in meinem Leben nicht gesehen Seinen Farben nach steht er in keinem besonderen Dienst, sondern reitet wohl auf seine eigene Faust gegen meinen Herzog und Herrn, wie so viele Hungerleider, die sich an unseren Toepfen laben wollen." "Mit Euch ist doch nichts anzufangen", sagte die Kleine und wandte sich unmutig ab. "Die alten und gelehrten Herren kennt Ihr alle auf hundert Schritte und weiter. Wenn man aber einmal nach einem huebschen, hoeflichen Junker fragt, wisst Ihr nichts. Du bist auch so, Marie, machtest Augen auf den Zug hinunter, als ob es eine Prozession an Fronleichnam waere; ich wette, Du hast das Schoenste von allem nicht gesehen und hattest noch den alten Frondsberg im Kopf, als ganz andere Leute vorbeiritten!" Der Zug hatte sich waehrend dieser Strafrede Bertas vor dem Rathaus aufgestellt; die buendische Reiterei, die noch vorueberzog, hatte wenig Interesse mehr fuer die beiden Maedchen. Als daher die Herren abgesessen und zum Imbiss ins Rathaus gezogen waren, als die Zuenfte ihre Glieder aufloesten und das Volk sich zu verlaufen begann, zogen auch sie sich vom Fenster zurueck. Berta schien nicht ganz zufrieden zu sein. Ihre Neugier war nur halb befriedigt. Sie huetete sich uebrigens wohl, vor dem alten, ernsten Oheim etwas merken zu lassen. Als aber dieser das Gemach verliess, wandte sie sich an ihre Base, die noch immer traeumend am Fenster stand: "Nein, wie einen doch so etwas peinigen kann! Ich wollte viel darum geben, wenn ich wuesste, wie er heisst. Dass Du aber auch gar keine Augen hast, Marie! Ich stiess Dich doch an, als er gruesste. Siehe, hellbraune Haare, recht lang und glatt, freundliche dunkle Augen, das ganze Gesicht ein wenig braeunlich, aber huebsch, sehr huebsch. Ein Baertchen ueber dem Mund, nein! ich sage Dir--wie Du jetzt nur wieder gleich rot werden kannst!" fuhr die Blonde in ihrem Eifer fort. "Als ob zwei Maedchen, wenn sie allein sind, nicht von dem schoenen Mund eines jungen Herrn sprechen duerften. Dies geschieht oft bei uns. Aber freilich, bei Deiner seligen Frau Muhme in Tuebingen und bei Deinem ernsten Vater in Lichtenstein kamen solche Sachen nicht zur Sprache, und ich sehe schon, Baeschen Marie traeumt wieder, und ich muss mir ein Ulmer Stadtkind suchen, wenn ich auch nur ein klein wenig schwatzen will." Marie antwortete nur durch ein Laecheln, das wir vielleicht etwas schelmisch gefunden haetten. Berta aber nahm den grossen Schluesselbund vom Haken an der Tuer, sang sich ein Liedchen und ging, um noch einiges zum Mittagessen zu ruesten. Denn wenn man ihr auch etwas zu grosse Neugierde vorwerfen konnte, so war sie doch eine zu gute Haushaelterin, als dass sie ueber der fluechtigen Erscheinung des hoeflichen Reiters das Gemuese und den Nachtisch vergessen haette. Sie huepfte hinaus und liess ihre Base allein bei ihren Gedanken. Und auch wir stoeren sie nicht, wenn sie jetzt die schoenen Bilder der Erinnerung durchgeht, die jene Erscheinung mit einem Mal aus dem tiefen, treuen Herzen hervorgerufen hatte, wenn sie jener Zeit gedenkt, wo ein fluechtiger Blick von ihm, ein Druck seiner Hand, ihre Tage erhellte, wenn sie jener Naechte gedenkt, wo sie im stillen Kaemmerlein, unbelauscht von der seligen Muhme, jene Schaerpe flocht, deren freudige Farben sie heute aus ihren niedergeschlagenen Augen sich fragt, ob Baeschen Berta den suessen Mund des Geliebten richtig beschrieben habe? Kapitel 2 Der festliche Aufzug, den wir auf den letzten Blaettern beschrieben haben, galt den Haeuptern und Obersten des schwaebischen Bundes, der an diesem Tag, auf seinem Marsch von Augsburg, wo er sich versammelt hatte, in Ulm einzog. Der Leser kennt aus der Einleitung die Lage der Dinge. Herzog Ulrich von Wuerttemberg hatte durch die Unbeugsamkeit, mit welcher er trotzte, durch die allzu heftigen Ausbrueche seines Zornes und seiner Rache, durch die Kuehnheit, mit welcher er, der einzelne, so vielen verbuendeten Fuersten und Herren die Stirne bot, zuletzt noch durch die ploetzliche Einnahme der Reichsstadt Reutlingen den bittersten Hass des Bundes auf sich gezogen. Der Krieg war unvermeidlich; denn es stand nicht zu erwarten, dass man, so weit gegangen, friedliche Vorschlaege tun werde. Hinzu kamen noch die besonderen Ruecksichten, die jeden leiteten. Der Herzog von Bayern, um seiner Schwester Sabina Genugtuung zu verschaffen, die Schar der Huttischen, um ihren Stammesvetter zu raechen, ungluecklichen Dietrich von Spaet und seine Gesellen, um ihre Schmach in Wuerttembergs Unglueck abzuwaschen die Staedte und Staedtchen, um Reutlingen wieder gut buendisch zu machen, sie alle hatten ihre Banner entrollt und sich mit blutigen Gedanken und luestern nach gewisser Beute eingestellt. Bei weitem friedlicher und froehlicher waren bei diesem Einzug die Gesinnungen Georgs von Sturmfeder, jenes "artigen Reiters", der Bertas Neugierde in so hohem Grad erweckt, dessen unerwartete Erscheinung Mariens Wangen mit so tiefem Rot gefaerbt hatte. Wusste er doch kaum selbst, wie er zu diesem Feldzug kam, da er, obgleich den Waffen nicht fremd, doch nicht zunaechst fuer das Waffenwerk bestimmt war. Aus einem armen, aber angesehenen Stamm Frankens entsprossen, war er, frueh verwaist, von einem Bruder seines Vaters erzogen worden. Schon damals hatte man angefangen, gelehrte Bildung als einen Schmuck des Adels zu schaetzen. Daher waehlte sein Oheim fuer ihn diese Laufbahn. Die Sage erzaehlt nicht, ob er auf der hohen Schule in Tuebingen die damals in ihrem ersten Erbluehen war, in den Wissenschaften viel getan. Es kam nur die Nachricht bis auf uns, dass er einem Fraeulein von Lichtenstein, die bei einer Muhme in jener Musenstadt lebte, waermere Teilnahme schenkte als den Lehrstuehlen der beruehmtesten Doktoren. Man erzaehlt sich auch, dass das Fraeulein mit ernstem, beinahe maennlichem Geist alle Kuenste, womit andere ihr Herz bestuermten, gering geachtet habe. Zwar kannte man schon damals alle jene Kriegslisten, ein hartes Herz zu erobern und die Juenger der alten Tubinga hatten ihren Ovid vielleicht besser studiert als die heutigen. Es sollen aber weder naechtliche Liebesklagen noch fuerchterliche Schlachten und Kaempfe um ihren Besitz die Jungfrau erweicht haben. Nur einem gelang es, dieses Herz fuer sich zu gewinnen, und dieser eine war Georg. Sie haben zwar, wie es stille Liebe zu tun pflegt, niemand gesagt, wann und wo ihnen der erste Strahl des Verstaendnisses aufging, und wir sind weit entfernt, uns in dieses suesse Geheimnis der ersten Liebe eindraengen zu wollen, oder gar Dinge zu erzaehlen, die wir geschichtlich nicht belegen koennen. Doch koennen wir mit Grund annehmen, dass sie schon bis zu jenem Grad der Liebe gediehen waren, wo man, gedraengt von aeusseren Verhaeltnissen, gleichsam als Trost fuer das Scheiden, ewige Treue schwoert. Denn als die Muhme in Tuebingen das Zeitliche gesegnet und Herr von Lichtenstein sein Toechterlein zu sich holen liess, um sie nach Ulm, wo ihm eine Schwester verheiratet war, zu weiterer Ausbildung zu schicken, da merkte Rose, Mariens alte Zofe, dass so heisse Traenen und die Sehnsucht, mit welcher Marie noch einmal und immer wieder aus der Saenfte zuruecksah, nicht den bergigen Strassen denen sie Valet sagen musste, allein gelte. Bald darauf langte auch ein Sendschreiben an Georg an, worin ihm sein Oheim die Frage beibrachte, ob er jetzt, nach vier Jahren, noch nicht gelehrt genug sei? Dieser Ruf kam ihm erwuenscht. Seit Mariens Abreise waren ihm die Lehrstuehle der gelehrten Doktoren, die finstere Huegelstadt, ja selbst das liebliche Tal des Neckars verhasst geworden Mit neuer Kraft erfrischte ihn die kalte Luft, die ihm von den Bergen entgegenstroemte, als er an einem schoenen Morgen des Februar aus den Toren Tuebingens seiner Heimat entgegenritt. Wie die Sehnen seiner Arme in dem frischen Morgen sich straffer anzogen, wie die Muskeln seiner Faust kraeftiger in den Zuegel fassten, so erhob sich auch seine Seele zu frischem heiterem Mut. So war die Stimmung Georgs von Sturmfeder, als er durch den Schoenbuchwald seiner Heimat zuzog. Zwar brachte ihn dieser Weg dem Liebchen nicht naeher, zwar konnte er nichts sein nennen, als das Ross, dass er eben ritt, und die Burg seiner Vaeter, von welcher der Volkswitz sang: Ein Haus auf drei Stuetzen, Wer vorn hereinkommt, Kann hinten nicht sitzen. Aber er wusste, dass dem festen Willen hundert Wege offenstehen, um zum Ziel zu gelangen, und der alte Spruch des Roemers: _Fortes fortuna juvat_ hatte ihn noch nie belogen. Wirklich schienen auch seine Wuensche nach einer taetigen Laufbahn bald in Erfuellung zu gehen. Der Herzog von Wuerttemberg hatte Reutlingen, das ihn beleidigt hatte, aus einer Reichsstadt zur Landstadt gemacht, und es war kein Zweifel an einem Krieg. Der Erfolg schien aber damals sehr ungewiss. Der schwaebische Bund, wenn er auch erfahrenere Feldherren und geuebtere Soldaten zaehlte, hatte doch durch Uneinigkeit sich in allen Kriegen selbst geschadet. Ulrich auf seiner Seite, hatte vierzehntausend Schweizer, tapfere, kampfgeuebte Maenner geworben, aus seinem eigenen Land konnte er, wenn auch minder geuebte, doch zahlreiche und tuechtige Truppen ziehen, und so stand die Waage im Februar 1519 noch ziemlich gleich. Wo alles um ihn her Partei nahm, glaubte Georg nicht muessig bleiben zu duerfen. Ein Krieg war ihm erwuenscht. Es war eine Laufbahn, die ihn seinem Ziel, um Marie wuerdig freien zu koennen, bald nahebringen konnte. Zwar zog ihn sein Herz weder zu der einen noch zu der anderen Partei. Vom Herzog sprach man im Land schlecht, des Bundes Absichten schienen nicht die reinsten. Als aber durch Geld und Klagen der Huttischen und durch die Aussicht auf reiche Beute bestochen, achtzehn Grafen und Herren, deren Besitzungen an sein Guetchen grenzten, auf einmal dem Herzog ihre Dienste aufsagten, da schien es ihn zum Bund zu ziehen. Den Ausschlag gab die Nachricht, dass der alte Lichtenstein sich mit seiner Tochter in Ulm befinde. Auf jener Seite, wo Marie war, durfte er nicht fehlen, und so bot er dem Bund seine Dienste an. Die fraenkische Ritterschaft, unter Anfuehrung Ludwigs von Hutten, zog sich am Anfang des Maerz gegen Augsburg hin, um sich dort mit Ludwig von Bayern und den uebrigen Bundesgliedern zu vereinigen. Bald hatte sich das Heer gesammelt, und ihr Weg glich einem Triumphzug, je naeher sie dem Gebiet ihres Feindes kamen. Herzog Ulrich war bei Blaubeuren, der aeussersten Stadt seines Landes gegen Ulm und Bayern hin, gelagert. In Ulm sollte jetzt noch einmal zuvor im grossen Kriegsrat der Feldzug besprochen werden, und dann hoffte man in kurzer Zeit die Wuerttemberger zur entscheidenden Schlacht zu noetigen. An friedliche Unterhandlungen wurde, da man so weit gegangen war, nicht mehr gedacht, Krieg war die Losung und Sieg der Gedanke des Heeres, als ein frischer Morgenwind ihnen die Gruesse des schweren Geschuetzes von den Waellen der Stadt entgegentrug, als das Gelaeute aller Glocken zum Willkomm vom andern Ufer der Donau heruebertoente. Wohl schlug auch Georgs Herz hoeher bei dem Gedanken an seine erste Waffenprobe, Aber wer je in aehnlicher Lage sich befand, wird ihn nicht tadeln, dass auch friedlichere Gedanken in seiner Seele aufzogen und ihn Kampf und Sieg vergessen liessen. Als zuerst, noch in weiter Ferne, das kolossale Muenster aus dem Nebel auftauchte, als nachher der verhuellende Dunstschleier herabfiel und die Stadt mit ihren dunklen Backsteinmauern, mit ihren hohen Tortuermen sich vor seinen Blicken ausbreitete, da kamen alle Zweifel, die er frueher tief in die Brust zurueckgedraengt hatte, schwerer als je ueber ihn 'Schliessen jene Mauern auch die Geliebte ein? Hat nicht ihr Vater, seinem Herzog treu, vielleicht in die feindlichen Scharen sich gestellt, und darf der, dessen ganze Hoffnung darauf beruht, den Vater zu gewinnen, darf er sich jenem gegenueberstellen, ohne sein ganzes Glueck zu vernichten? Und ist der Vater auf feindlicher Seite, kann Marie moeglicherweise noch in jenen Mauern sein? Und wenn alles gut waere, wenn unter der festlichen Menge, die sich zum Anblick des einziehenden Heeres draengt, auch Marie auf ihn herabschaut, hat sie auch die Treue noch bewahrt, die sie geschworen?' Doch der letzte Gedanke machte bald einer freudigeren Gewissheit Raum; denn wenn sich auch alles Unglueck gegen ihn verschwor, Mariens Treue, er wusste es, war unwandelbar. Mutig drueckte er die Schaerpe, die sie ihm gegeben, an seine Brust, und als jetzt die Ulmer Reiterei sich an den Zug anschloss, als die Zinken und Trompeten ihre mutigen Weisen anstimmten, da kehrte seine alte Freude wieder, stolzer hob er sich im Sattel, kuehner rueckte er das Barett in die Stirn, und als der Zug in die festlich geschmueckten Strassen einbog, musterte sein scharfes Auge alle Fenster der hohen Haeuser, um sie zu erspaehen. Da gewahrte er sie, wie sie ernst und sinnend auf das froehliche Gewuehl hinabsah, er glaubte zu erkennen, wie ihre Gedanken in weiter Ferne den suchten, der ihr so nahe war; schnell drueckte er seinem Pferd die Sporen in die Seiten, dass es sich hoch aufbaeumte und das Pflaster von seinem Hufschlag ertoente. Aber als sie sich zu ihm herabwandte, als Auge dem Auge begegnete, als ihr freudiges Erroeten dem Gluecklichen sagte, dass er erkannt und noch immer geliebt sei, da war es um die Besinnung des guten Georg geschehen; willenlos folgte er dem Zug vor das Rathaus, und es haette nicht viel gefehlt, so haette ihn seine Sehnsucht alle Ruecksichten vergessen lassen und ihn unwiderstehlich zu dem Eckhaus mit dem Erker hingezogen. Schon hatte er die ersten Schritte nach jener Seite getan, als er sich von kraeftiger Hand am Arm angefasst fuehlte. "Was treibt Ihr, Junker?" rief ihm eine tiefe, wohlbekannte Stimme ins Ohr. "Dort hinauf geht es die Rathaustreppe. Wie? Ich glaube, Ihr schwindelt; waere auch kein Wunder, denn das Fruehstueck war gar zu mager. Seid getrost, Freundchen, und kommt. Die Ulmer fuehren gute Weine, wir wollen Euch mit altem Remstaler anstreichen." Wenn auch der Fall aus seinem Freudenhimmel, in welchem er einige Minuten geschwebt hatte, auf dem Rathausplatz in Ulm etwas unsanft war, so wusste er doch dem alten Herrn von Breitenstein, seinem naechsten Grenznachbarn in Franken, Dank, dass er ihn aus seinen Traeumen aufgeschuettelt und von einem uebereilten Schritt zurueckgehalten hatte. Er nahm daher freundlich den Arm des alten Herrn und folgte mit ihm den uebrigen Rittern und Herren, die sich von dem scharfen Morgenritt an der guten Mittagskost, die ihnen die freie Reichsstadt vorgesetzt hatte, wieder erholen wollten. Kapitel 3 Der Saal des Rathauses, wohin die Angekommenen gefuehrt wurden, bildete ein grosses, laengliches Viereck. Die Waende und die zu der Groesse des Saales unverhaeltnismaessig niedere Decke waren mit einem Getaefel von braunem Holz ausgelegt, unzaehlige Fenster mit runden Scheiben, worauf die Wappen der edlen Geschlechter von Ulm mit brennenden Farben gemalt waren, zogen sich an der einen Seite hin, die gegenueberstehende Wand fuellten Gemaelde beruehmter Buergermeister und Ratsherren der Stadt, die beinahe alle in der gleichen Stellung, die Linke in die Huefte, die Rechte auf einen reich behaengten Tisch gestuetzt, ernst und feierlich auf die Gaeste ihrer Enkel herabsahen. Diese draengten sich in verworrenen Gruppen um die Tafel her, die, in Form eines Hufeisens aufgestellt, beinahe die ganze Weite des Saales einnahm. Der Rat und die Patrizier, die heute im Namen der Stadt die Honneurs machen sollten, stachen in ihren zierlichen Festkleidern mit den steifen schneeweissen Halskrausen wunderlich ab gegen ihre bestaubten Gaeste, die, in Lederwerk und Eisenblech gehuellt, oft gar unsanft an die seidenen Maentelein und samtenen Gewaender streiften. Man hatte bis jetzt noch auf den Herzog von Bayern gewartet, der einige Tage vorher eingetroffen, zu dem glaenzenden Mittagsmahl zugesagt hatte; als aber sein Kammerdiener seine Entschuldigung brachte, gaben die Trompeter das ersehnte Zeichen, und alles draengte so ungestuem zur Tafel, dass nicht einmal die gastfreundliche Ordnung des Rates, der je zwischen zwei Gaeste einen Ulmer setzen wollte, gehoerig beobachtet wurde. Breitenstein hatte Georg auf einen Sitz niedergezogen, den er ihm als einen ganz vorzueglichen anpries. "Ich haette Euch", sagte der alte Herr, "zu den Gewaltigen da oben, zu Frondsberg, Sickingen, Hutten und Waldburg setzen koennen, aber in solcher Gesellschaft kann man den Hunger nicht mit gehoeriger Ruhe stillen Ich haette Euch ferner zu den Nuernbergern und Augsburgern fuehren koennen, dort unten, wo der gebratene Pfau steht--weiss Gott, sie haben keinen ueblen Platz--, aber ich weiss, dass Euch die Staedter nicht recht behagen, darum habe ich Euch hierher gesetzt. Schaut Euch hier um, ob dies nicht ein trefflicher Platz ist? Die Gesichter umher kennen wir nicht, also braucht man nicht viel zu schwatzen. Rechts haben wir den geraeucherten Schweins-kopf mit der Zitrone im Maul, links eine prachtvolle Forelle, die sich vor Vergnuegen in den Schwanz beisst, und vor uns diesen Rehziemer, so fett und zart wie auf der ganzen Tafel keiner mehr zu finden ist." Georg dankte ihm, dass er mit so viel Umsicht fuer ihn gesorgt habe, und betrachtete zugleich fluechtig seine Umgebung. Sein Nachbar rechts war ein junger, zierlicher Herr von etwa fuenfundzwanzig bis dreissig Jahren Das frischgekaemmte Haar, duftend von wohlriechenden Salben, der kleine Bart, der erst vor einer Stunde mit warmem Zaenglein gekraeuselt sein mochte, liessen Georg, noch ehe ihn die Mundart davon ueberzeugte, in ihm einen Ulmer Herrn erraten Der junge Herr, als er sah, dass er von seinem Nachbar bemerkt wurde, bewies sich sehr zuvorkommend, indem er Georgs Becher aus einer grossen silbernen Kanne fuellte, auf glueckliche Ankunft und gute Nachbarschaft mit ihm anstiess, und auch die besten Bissen von den unzaehligen Rehen, Hasen, Schweinen, Fasanen und wilden Enten, die auf silbernen Platten umherstanden, dem Fremdling auf den Teller legte. Doch diesen konnte weder seines Nachbarn zuvorkommende Gefaelligkeit noch Breitensteins ungemeiner Appetit zum Essen reizen Er war noch zu sehr beschaeftigt mit dem geliebten Bild, das sich ihm beim Einzug gezeigt hatte, als dass er die Ermunterungen seiner Nachbarn befolgt haette. Gedankenvoll sah er in den Becher, den er noch immer in der Hand hielt, und glaubte, wenn die Blaeschen des alten Weines zersprangen und in Kreisen verschwebten, das Bild der Geliebten aus dem goldenen Boden des Bechers auftauchen zu sehen. Es war kein Wunder, dass der gesellige Herr zu seiner Rechten, als er sah, wie sein Gast, den Becher in der Hand, jede Speise verschmaehe, ihn fuer einen unverbesserlichen Zechbruder hielt. Das feurige Auge, das unverwandt in den Becher sah, der laechelnde Mund des in seinen Traeumen versunkenen Juenglings schienen ihm einen jener echten Weinkenner anzuzeigen, die auf feingeuebter Zunge den Gehalt des edlen Trankes lange zu pruefen pflegen. Um der Ermahnung des wohledlen Rates, den Gaesten das Mahl so angenehm als moeglich zu machen, gehoerig nachzukommen, suchte er auf der entdeckten schwachen Seite dem jungen Mann beizukommen. Er schenkte sich seinen Becher wieder voll und begann: "Nicht wahr, Herr Nachbar, das Weinchen hat Feuer und einen feinen Geschmack? Freilich ist es kein Wuerzburger, wie Ihr in Franken ihn gewohnt sein werdet, aber es ist echter Ellfinger aus dem Ratskeller und immer seine achtzig Jahre alt." Verwundert ueber diese Anrede, setzte Georg den Becher nieder und antwortete mit einem kurzen "Ja, ja!--", der Nachbar liess aber den einmal aufgenommenen Faden nicht so bald wieder fallen. "Es scheint", fuhr er fort, "als munde er Euch doch nicht ganz; aber da weiss ich Rat. Heda! Gebt eine Kanne Uhlbacher hierher!--Versucht einmal diesen, der waechst zunaechst an des Wuerttembergers Schloss; in diesem muesst Ihr mir Bescheid tun: Kurzen Krieg, grossen Sieg!" Georg, dem dieses Gespraech nicht recht zusagte, suchte seinen Nachbar auf einen anderen Weg zu bringen, der ihn zu anziehenderen Nachrichten fuehren konnte. "Ihr habt", sprach er, "schoene Maedchen hier in Ulm, wenigstens bei unserem Einzug glaubte ich deren viele zu bemerken." "Weiss Gott", entgegnete der Ulmer, "man koennte damit pflastern." "Das waere vielleicht so uebel nicht", fuhr Georg fort, "denn das Pflaster Eurer Strassen ist herzlich schlecht. Aber sagt mir, wer wohnt dort in dem Eckhaus mit dem Erker; wenn ich nicht irre, schauten dort zwei feine Jungfrauen heraus, als wir einritten." "Habt Ihr diese auch schon bemerkt?" lachte jener. "Wahrhaftig, Ihr habt ein scharfes Auge und seid ein Kenner. Das sind meine lieben Basen muetterlicherseits, die kleine Blonde ist eine Besserer, die andere ein Fraeulein von Lichtenstein, eine Wuerttembergerin, die auf Besuch dort ist." Georg dankte im stillen dem Himmel, der ihn gleich mit einem so nahen Verwandten Mariens zusammenfuehrte. Er beschloss, den Zufall zu benuetzen, und wandte sich, so freundlich er nur konnte, zu seinem Nachbar: "Ihr habt ein paar huebsche Muehmchen, Herr von Besserer..." "Dietrich von Kraft nenne ich mich", fiel jener ein, "Schreiber des grossen Rates." "Ein Paar schoene Kinder, Herr von Kraft; und Ihr besucht sie wohl recht oft?" "Jawohl", antwortete der Schreiber des grossen Rates, "besonders seit die Lichtenstein im Haus ist. Zwar will mein Baeschen Berta etwas eifersuechtig werden, denn im Vertrauen gesagt, wir waren vorher ein Herz und eine Seele, aber ich tue, als merke ich es nicht, und stehe mit Marien um so besser." Diese Nachricht mochte nicht so gar angenehm in Georgs Ohren klingen, denn er presste die Lippen zusammen und seine Wangen faerbten sich dunkler. "Ja, lacht nur", fuhr der Ratsschreiber fort, dem der Geist des Weines zu Kopf stieg, "wenn Ihr wuesstet, wie sie sich beide um mich reissen.--Zwar--die Lichtenstein hat eine verdammte Art, freundlich zu sein; sie tut so vornehm und ernst, dass man nicht recht wagt, in ihrer Gegenwart Spass zu machen, noch weniger laesst sie ein wenig mit sich schaekern wie Berta; aber gerade das kommt mir so wunderhuebsch vor, dass ich elfmal wiederkomme, wenn sie mich auch zehnmal fortgeschickt hat. Das macht aber", murmelte er nachdenklicher vor sich hin, "weil der gestrenge Herr Vater da ist, vor dem scheut sie sich; lasst nur den einmal ueber der Ulmer Markung sein, so soll sie schon kirre werden." Georg wollte sich nach dem Vater noch weiter erkundigen, als sonderbare Stimmen ihn unterbrachen Schon vorher hatte er mitten durch das Geraeusch der Speisenden diese Stimmen zu hoeren geglaubt, wie sie in schleppendem, einfoermigem Ton ein paar kurze Saetze hersagten, ohne zu verstehen, was es war. Jetzt hoerte er dieselben Stimmen ganz in der Naehe, und bald bemerkte er, welchen Inhalts ihre eintoenigen Saetze waren Es gehoerte naemlich in den guten alten Zeiten, besonders in Reichsstaedten, zum Ton, dass der Hausvater und seine Frau, wenn sie Gaeste geladen hatten, gegen die Mitte der Tafel aufstanden und bei jedem einzelnen umhergingen, mit einem herkoemmlichen Spruechlein zum Essen und Trinken zu noetigen. Diese Sitte war in Ulm so stehend geworden, dass der hohe Rat beschloss, auch an diesem Mahl keine Ausnahme zu machen, sondern einen Hausvater samt Hausfrau aufzustellen, um diese Pflicht zu ueben. Die Wahl fiel auf den Buergermeister und den aeltesten Ratsherrn. Sie hatten schon zwei Seiten der Tafel "noetigend" umgangen, kein Wunder, dass ihre Stimmen durch die grosse Anstrengung endlich rauh und heiser geworden waren, und ihre freundschaftliche Aufmunterung wie eine Drohung klang. Eine rauhe Stimme toente in Georgs Ohr: "Warum esset Ihr denn nicht, warum trinket Ihr denn nicht?" Erschrocken wandte sich der Gefragte um und sah einen starken, grossen Mann mit rotem Gesicht; aber ehe er noch auf die schrecklichen Toene antworten konnte, begann an seiner anderen Seite ein kleiner Mann mit einer hohen duennen Stimme: "So esset doch und trinket satt, Was der Magistrat Euch vorgesetzt hat." "Hab' ich's doch schon lange gedacht, dass es so kommen wuerde", fiel der alte Breitenstein ein, indem er ein wenig von der Anstrengung, mit welcher er den Rehziemer bearbeitet hatte, ausruhte. "Da sitzt er und schwatzt, statt die koestlichen Braten zu geniessen, die uns die Herren in so reichlicher Fuelle vorgesetzt haben." "Mit Verlaub", unterbrach ihn Dietrich von Kraft, "der junge Herr isst nichts. Er ist ein Zechbruder und trefflicher Weinschmecker; hab' ich's nicht gleich weg gehabt, dass er gerne zu tief ins Glas guckt? Darum tadle ihn keiner, wenn er sich lieber an den Uhlbacher haelt." Georg wusste gar nicht, wie er zu dieser sonderbaren Schutzrede kam; er war im Begriff, sich zu entschuldigen, als ihn ein neuer Anblick ueberraschte. Breitenstein hatte sich jetzt des Schweinskopfes mit der Zitrone im Maul erbarmt, hatte die Zitrone geschickt aus dem Rachen des Tieres operiert, und begann mit grossem Behagen und geuebter Hand die weitere Sektion vorzunehmen, da trat der Buergermeister auch zu ihm, und eben, als er an einem guten Bissen kaute, hub er an: "Warum esset Ihr denn nicht, warum trinket Ihr denn nicht?" Dieser sah den Noetigenden mit starren Blicken an, zum Reden hatten seine Sprachorgane keine Zeit. Er nickte daher mit dem Haupt und deutete auf die Reste des Rehziemers; der kleine Mann mit der Fistelstimme liess sich aber nicht irremachen, sondern sprach freundlichst: "So esset doch und trinket satt, Was der Magistrat Euch vorgesetzt hat." So war es nun in den "guten alten Zeiten"! Man konnte sich wenigstens nicht beklagen, nur zu einem Schauessen geladen worden zu sein. Bald aber bekam die Tafel eine andere Gestalt. Die grossen Schuesseln und Platten wurden abgetragen und geraeumigere Humpen, groessere Kannen, gefuellt mit edlem Wein, aufgesetzt. Die Umtraenke und das in Schwaben schon damals sehr haeufige Zutrinken begann, und nicht lange, so aeusserte auch der Wein seine Wirkungen, und so fuellte Gelaechter, Gesang, Zanken und der dumpfe Klang der silbernen und zinnernen Becher den Saal. Nur am oberen Ende der Tafel herrschte anstaendigere, ruhigere Froehlichkeit. Dort sassen Georg von Frondsberg, der alte Ludwig Hutten, Waldburg Truchsess, Franz von Sickingen und noch andere aeltliche, gesetzte Herren. Dorthin wandte jetzt auch der Bundeshauptmann Hans von Breitenstein, nachdem er sich genugsam gesaettigt hatte, seine Blicke und sprach zu Georg: "Das Laermen um uns her will mir gar nicht behagen; wie waere es, wenn ich Euch jetzt dem Frondsberger vorstellte, wie Ihr in den letzten Tagen gewuenscht habt?" Georg, dessen Wunsch schon lange war, dem Kriegsobersten bekannt zu werden, stand freudig auf, um dem alten Freund zu folgen. Wir werden ihn nicht tadeln, dass sein Herz bei diesem Gang aengstlicher pochte, seine Wangen sich hoeher faerbten, seine Schritte, je naeher er kam, ungewisser und zoegernder wurden. Wen haben nicht in seiner Jugend, wenn er einem glaenzenden ruhmbekraenzten Vorbild nahte, aehnliche Gefuehle bestuermt? Wem sank da nicht sein eigenes Ich zur Unbedeutendheit zusammen, waehrend der Gefeierte zum Riesen wuchs? Georg von Frondsberg galt schon damals als einer der beruehmtesten Feldherren seiner Zeit. Italien, Frankreich und Deutschland erzaehlten von seinen Siegen, und die Kriegskunst wird ihn ewig in ihren Annalen nennen, denn er war der Stifter und Gruender eines geordneten, in Reihen und Gliedern fechtenden Fussvolkes. Zu ihm fuehrte Breitenstein den Juengling, "Wen bringt Ihr uns da, Hans?" rief Georg von Frondsberg, indem er den hochgewachsenen schoenen jungen Mann mit Teilnahme betrachtete. "Seht ihn Euch einmal recht an, werter Herr", antwortete Breitenstein, "ob Euch nicht einfaellt, in welches Haus er gehoeren mag?" Aufmerksamer betrachtete ihn der Feldhauptmann, auch der alte Truchsess von Waldburg wandte pruefend sein Auge herueber, Georg war schuechtern und bloede vor diese Maenner getreten; aber sei es, dass die freundliche, zutrauliche Weise Frondsbergs ihm Mut machte, sei es, dass er fuehlte, wie wichtig der Augenblick fuer ihn sei, er bekaempfte die Scham, den Blicken so vieler beruehmter Maenner ausgesetzt zu sein, und sah ihnen entschlossen und mutig ins Gesicht. "Jetzt, an diesem Blick erkenne ich Dich", sagte Frondsberg und bot ihm die Hand "Du bist ein Sturmfeder?" "Georg Sturmfeder", antwortete der junge Mann, "mein Vater war Burkhard Sturmfeder, er fiel, wie man mir sagte, in Italien an Eurer Seite." "Er war ein tapferer Mann", sprach der Feldhauptmann, dessen Auge immer noch sinnend auf Georgs Zuegen ruhte, "an manchem warmen Schlachttag hat er treu zu mir gehalten; wahrlich, sie haben ihn allzu frueh eingescharrt! Und Du", setzte er hinzu, "Du hast Dich eingestellt, um seiner Spur zu folgen? Was treibt Dich schon so frueh aus dem Nest und bist kaum fluegge?" "Ich weiss schon", unterbrach ihn Waldburg mit rauher, unangenehmer Stimme, "das Voegelein will sich ein paar Floeckchen Wolle suchen, um das alte Nest zu flicken!" Diese rohe Anspielung auf die verfallene Burg seiner Ahnen jagte eine hohe Glut auf die Wangen des Juenglings. Er hatte sich nie seiner Duerftigkeit geschaemt, aber dieses Wort klang so hoehnend, dass er sich zum ersten Mal dem reichen Spoetter gegenueber recht arm fuehlte. Da fiel sein Blick ueber Truchsess Waldburg hin durch die Scheiben auf jenes wohlbekannte Erkerfenster; er glaubte Mariens Gestalt zu erblicken, und sein alter Mut kehrte wieder. "Ein jeder Kampf hat seinen Preis, Herr Ritter", sagte er, "ich habe dem Bund Kopf und Arm angetragen; was mich dazu treibt, kann Euch gleichgueltig sein." "Nun, nun!" erwiderte jener. "Wie es mit dem Arm aussieht, werden wir sehen, im Kopf muss es aber nicht so ganz hell sein, da Ihr aus Spass gleich Ernst macht." Der gereizte Juengling wollte wieder etwas darauf erwidern, Frondsberg aber nahm ihn freundlich bei der Hand: "Ganz wie Dein Vater, lieber Junge; nun, Du willst zeitlich zu einer Nessel werden. Und wir werden Leute brauchen, denen das Herz am rechten Fleck sitzt. Dass Du dann nicht der letzte bist, darfst Du gewiss sein." Diese wenigen Worte aus dem Mund eines durch Tapferkeit und Kriegskunst unter seinen Zeitgenossen hochberuehmten Mannes uebten so besaenftigende Gewalt ueber Georg, dass er die Antwort, die ihm auf der Zunge schwebte, zurueckdraengte und sich schweigend von der Tafel in ein Fenster zurueckzog, teils um die Obersten nicht weiter zu stoeren, teils um sich genauer zu ueberzeugen, ob die fluechtige Erscheinung, die er vorhin gesehen, wirklich Marie gewesen sei. Als Georg die Tafel verlassen hatte, wandte sich Frondsberg zu Waldburg: "Das ist nicht die Art, Herr Truchsess, wie man tuechtige Gesellen fuer unsere Sache gewinnt; ich wette, er ging nicht mit halb so viel Eifer fuer die Sache von uns, als er zu uns brachte." "Muesst Ihr dem jungen Laffen auch noch das Wort reden?" fuhr jener auf. "Was braucht es da? Er soll einen Spass von seinem Obern ertragen lernen." "Mit Verlaub", fiel ihm Breitenstein ins Wort, "das ist kein Spass, sich ueber unverschuldete Armut lustig zu machen; ich weiss aber wohl, Ihr seid seinem Vater noch nie gruen gewesen." "Und", fuhr Frondsberg fort, "sein Oberer seid Ihr ganz und gar noch nicht. Er hat dem Bund noch keinen Eid geleistet; also kann er noch immer hinreiten, wohin er will; und wenn er auch unter Euren eigenen Fahnen diente, so moechte ich Euch doch nicht raten, ihn zu haenseln, er sieht mir nicht danach aus, als ob er sich viel gefallen liesse!" Sprachlos vor Zorn ueber den Widerspruch, den er nie ertragen konnte, blickte Truchsess den einen und den andern an, mit so wutvollen Blicken, dass sich Ludwig von Hutten schnell ins Mittel schlug, um noch aergeren Streit zu verhueten "Lasst doch die alten Geschichten!" rief er. "Ueberhaupt waere es gut, die Tafel wuerde aufgehoben. Es dunkelt draussen schon stark und der Wein wird zu maechtig. Dietrich Spaet hat schon zweimal des Wuerttembergers Tod ausgebracht, und die Franken dort unten sind nur noch nicht einig, ob man seine Schloesser niederbrennen oder verteilen soll." "Lasst sie immer", lachte Waldburg bitter, "die Herren duerfen ja heute machen, was sie wollen, Frondsberg wird ihnen doch das Wort reden." "Nein", antwortete Ludwig Hutten, "wenn einer von so etwas reden darf, bin ich es, als der Blutraecher meines Sohnes; aber ehe noch der Krieg erklaert ist, muessen solche Reden unterbleiben. Mein Vetter Ulrich spricht mir auch zu heftig mit den Italienern ueber den Moench von Wittenberg, und er verschwatzt sich zu sehr, wenn er in Zorn geraet. Lasst uns aufbrechen." Frondsberg und Sickingen stimmten ihm bei, sie standen auf, und als die naechsten um sie her ihrem Beispiel folgten, war der Aufbruch allgemein. Kapitel 4 Georg hatte in dem Fenster, wohin er sich zurueckgezogen hatte, nicht so entfernt gestanden, dass er nicht jedes Wort der Streitenden gehoert haette. Er freute sich der warmen Teilnahme, mit welcher Frondsberg sich des unberuehmten, verwaisten Juenglings angenommen hatte, zugleich aber konnte er sich nicht verbergen, dass sein erster Schritt in die kriegerische Laufbahn ihm einen maechtigen, erbitterten Feind zugezogen hatte. Der Truchsess war zu bekannt im Heer wegen seines unbeugsamen Stolzes, als dass Georg haette glauben duerfen, Huttens vermittelnde und besaenftigende Worte haetten jede Erinnerung an diesen Streit verloescht, und dass Maenner von Gewicht, wie Waldburg, in solchen Faellen der vielleicht unschuldigen Ursache ihres Zornes die Schuld nicht erlassen, war ihm aus manchen Fallen wohl bekannt. Ein leichter Schlag auf seine Schulter unterbrach seine Gedanken, und er sah, als er sich umwandte, seinen freundlichen Nebensitzer, den Schreiber des grossen Rates, vor sich. "Ich wette, Ihr habt Euch noch nach keinem Quartier umgesehen", sprach Dietrich von Kraft, "und es moechte Euch auch jetzt etwas schwer werden, denn es ist bereits dunkel, und die Stadt ist ueberfuellt." Georg gestand, dass er noch nicht daran gedacht habe, er hoffe aber, in einer der oeffentlichen Herbergen noch ein Plaetzchen zu bekommen. "Darauf moechte ich doch nicht so sicher bauen", entgegnete jener, "und gesetzt, Ihr faendet auch in einer solchen Schenke einen Winkel, so duerft Ihr doch sicherlich darauf rechnen, dass Ihr schlecht genug bedient seid. Aber wenn Euch meine Wohnung nicht zu gering scheint, so steht sie Euch mit Freude offen." Der gute Ratsschreiber sprach mit so viel Herzlichkeit, dass Georg nicht Anstand nahm, sein Anerbieten anzunehmen, obgleich er beinahe fuerchtete, die gastfreundliche Einladung moechte seinen Wirt gereuen, wenn die gute Laune zugleich mit den Duensten des Weines verflogen sein werde. Jener aber schien ueber die Bereitwilligkeit seines Gastes hoch erfreut; er nahm mit einem herzlichen Handschlag seinen Arm und fuehrte ihn aus dem Saal. Der Platz vor dem Rathaus bot indes einen ganz eigenen Anblick dar. Die Tage waren noch kurz, und die Abenddaemmerung war waehrend der Tafel unbemerkt hereingebrochen, man hatte daher Fackeln und Windlichter angezuendet; ihr dunkelroter Schein erhellte den grossen Raum nur sparsam und spielte in zitternden Reflexen an den Fenstern der gegenueberstehenden Haeuser und auf den blanken Helmen und Brustharnischen der Ritter. Wildes Rufen nach Pferden und Knechten scholl aus der Halle des Rathauses, das Klirren der nachschleppenden Schwerter, das Hin- und Herrennen der vielen Menschen mischte sich in das Gebell der Hunde, in das Wiehern und Stampfen der ungeduldigen Rosse, eine Szene, die mehr einem in der Nacht vom Feind ueberfallenen Posten, als dem Aufbruch von einem friedlichen Mahl glich. Ueberrascht blieb Georg unter der Halle stehen. Der Anblick so vieler froehlicher Gesichter, der kraeftigen Gestalten, die in jugendlichem Mut ansprengten, kuehne Reiterkuenste uebten und dann singend und jubelnd in kleinen Haufen abzogen und in der Nacht verschwanden. Unwillkuerlich streifte sein Auge nach jener Seite hin, wo er seinen Kampfpreis wusste. Er sah dort viele Leute an den Fenstern stehen, aber der schwaerzliche Rauch der Fackeln, der wie eine Wolke ueber den Platz hinzog, verhuellte die Gegenstaende wie mit einem Schleier und liess sie nur wie ungewisse Schatten sehen; unbefriedigt wandte er sein Auge ab. "So ist auch meine Zukunft", sagte er zu sich, "das Jetzt ist hell, aber wie dunkel, wie ungewiss das Ziel!" Sein freundlicher Wirt riss ihn aus diesem duesteren Sinnen mit der Frage, wo seine Knechte mit seinen Pferden seien? Wenn der Platz, worauf sie standen, heller erleuchtet gewesen waere, so haette vielleicht der gute Kraft eine fluechtige, aber brennende Roete, die bei dieser Frage ueber Georgs Wangen zog, bemerken koennen. "Ein junger Kriegsmann", antwortete er schnell gefasst, "muss sich so viel als moeglich selbst zu helfen wissen, daher habe ich keine Diener bei mir. Mein Pferd aber habe ich Breitensteins Knechten uebergeben." Der Ratsschreiber lobte im Weiterschreiten die Strenge des jungen Mannes gegen sich selbst, gestand aber, dass er, wenn er einmal zu Feld ziehe, den Dienst nicht so streng lernen werde. Ein Blick auf sein zierlich geordnetes Haar und den fein gekraeuselten Bart ueberzeugten Georg, dass sein Begleiter aus voller Seele spreche, und die zierliche bequeme Wohnung, in welcher sie bald darauf anlangten, widersprach diesem Glauben nicht. Das Hauswesen des Herrn von Kraft war eine sogenannte Junggesellenwirtschaft, denn Herrn Dietrichs Eltern waren laengst abgeschieden, als er in das Mannesalter und zugleich in seinen Posten beim grossen Rat eintrat. Er wuerde sich vielleicht laengst um eine Genossin seiner Herrlichkeit umgesehen haben, wenn nicht die Anmut des Junggesellenlebens, der nicht zu verachtende Vorteil, von allen jungen Damen der Stadt als eine gute Partie angesehen und honoriert zu werden, vor allem aber, wie man sich ins Ohr fluesterte, die entschiedene Abneigung, die seine alte Amme und Haushaelterin vor einer jungen Gebieterin hegte, ihn immer von diesem Schritt abgehalten haette. Herr Dietrich hatte ein grosses Haus, nicht weit vom Muenster, einen schoenen Garten am Michelsberg, sein Hausgeraet war im besten Stand, die grossen eichenen Kasten voll des koestlichsten Linnenzeuges, das die Kraftinnen und ihre Zofen seit vielen Generationen in den langen Winterabenden zusammengesponnen hatten; die eiserne Truhe im Schlafzimmer enthielt eine erkleckliche Anzahl von Goldgulden, Herr Dietrich selbst war ein huebscher, solider Herr, ging immer geschniegelt und gebuegelt, mit gesetztem, anstaendigem Gang in den Rat, hatte einen guten Haus- und Ratsverstand; war aus einer alten Familie: war es ein Wunder, wenn die ganze Stadt sein Leben pries und jedes huebsche Ulmer Stadtkind sich gluecklich geschaetzt haette, in diesen bequem ausstaffierten Ehehimmel zu kommen? Georg kamen uebrigens diese Verhaeltnisse bei naeherer Besichtigung nichts weniger als lockend vor. Die einzigen Hausgenossen des Ratsschreibers waren ein alter, grauer Diener, zwei grosse Katzen und die unfoermig dicke Amme. Diese vier Geschoepfe starrten den Gast mit grossen, bedenklichen Augen an, die ihm bewiesen, wie ungewohnt ihnen ein solcher Zuwachs der Haushaltung sei. Die Katzen umgingen ihn schnurrend, mit gekruemmten Ruecken, die Amme schob unmnutig an der ungeheuren Buckelhaube von Golddraht und fragte, ob sie fuer zwei Personen das Abendessen zurichten solle? Als sie aber nicht nur ihre Frage bestaetigen hoerte, sondern auch den Auftrag (man war ungewiss, war es Bitte oder Befehl) bekam, das Eckzimmer im zweiten Stock fuer den Gast zuzuruesten, da schien ihre Geduld erschoepft; sie liess einen wuetenden Blick auf ihren jungen Gebieter schiessen und verliess mit ihrem Schluesselbund rasselnd das Gemach. Der graue Diener hatte indessen einen Tisch und zwei grosse Armstuehle an den ungeheuren Ofen gerueckt; den Tisch besetzte er mit einem schwarzen Kasten, stellte zu beiden Seiten desselben ein Licht und einen silbernen Becher mit Wein, und entfernte sich dann, nachdem er einige leise Worte mit seinem Herrn gewechselt hatte. Herr Dietrich lud seinen Gast ein, an seiner gewoehnlichen Abendunterhaltung teilzunehmen. Er oeffnete den schwarzen Kasten, es war ein Brettspiel. Georg graute vor dieser Unterhaltung seines Gastfreundes, als er ihm erzaehlte, dass er seit seinem zehnten Jahr alle Abende mit der Amme an diesem Spiel sich ergoetze. Wie oede, wie unheimlich kam ihm das ganze Haus vor. Das Rennen und Laufen der Amme hatte doch noch an Leben und Bewegung erinnert, jetzt aber lag Grabesstille ueber den weiten Gaengen und Gemaechern, nur zuweilen vom Knistern der Lichter, vom Ticken des Holzwurmes im schwaerzlichen Getaefel und dem eintoenigen Rollen der Wuerfel unterbrochen. Das Spiel hatte nie etwas Anziehendes fuer ihn gehabt, seine Gedanken waren auch fern davon, und die tiefe Melancholie der oeden Gemaecher und der Gedanke, nur wenige Strassen von ihr entfernt, doch den langersehnten Anblick der Geliebten entbehren zu muessen, breitete duestere Schatten ueber seine Seele. Nur die ungeheuchelte Freude Herrn Dietrichs, beinahe alle Spiele zu gewinnen, die seinem gutmuetigen Gesicht etwas Angenehmes verlieh entschaedigte ihn fuer den Verlust der langsam hinschleichenden Stunden. Mit dem Schlag der achten Stunde fuehrte Dietrich seinen Gast zum Abendbrot, das die Amme, trotz ihres Unmutes, trefflich bereitet hatte, denn sie wollte der Ehre des Kraftschen Hauses nichts vergeben. Hier oeffnete auch der Ratsschreiber wieder die Schleusen seiner Beredsamkeit, indem er seinem Gast das Mahl durch Gespraech zu wuerzen suchte. Aber umsonst spaehte dieser, ob er nicht von seinem schoenen Muehmchen reden werde; nur eine Ausbeute bekam er: Kraft zaehlte unter den wuerttembergischen Rittern, die in Ulm anwesend seien, auch den Ritter von Lichtenstein auf. Doch schon dieses Wort erweckte dankbare Gefuehle gegen die Wendung seines Schicksals in ihm. Jetzt erst freute er sich, einer Partei beigetreten zu sein, die ihm sonst ausser den beruehmten Namen, die sie an der Spitze trug, ziemlich gleichgueltig war. So aber hatte auch ihr Vater sich an dem Sammelplatz des Heeres eingefunden, und durfte er auch nicht hoffen, dass ihm das Glueck vergoennen werde, an der Seite des teuren Mannes zu fechten, so trug er doch die Gewissheit in der Brust, ihm beweisen zu koennen, dass Georg von Sturmfeder nicht der letzte Kaempfer im Heer sei. Der Hausherr fuehrte ihn nach aufgehobener Tafel in sein Schlafgemach und schied von ihm mit einem herzlichen Glueckwunsch fuer seine Ruhe. Georg besah sich das Gemach, zog die Gardinen vor und liess die Bilder des vergangenen Tages an seiner Seele vorueberziehen. Geordnet und freundlich kamen sie anfangs vorueber, dann aber verwirrten sie sich, in buntem Gedraenge fuehrten sie seine Seele in das Reich der Traeume, und nur ein teures Bild ging ihm heller auf, es war das Bild der Geliebten. Kapitel 5 Georg wurde am andern Morgen durch ein bescheidenes Pochen an seiner Tuer erweckt. Er schlug die Vorhaenge seines Bettes zurueck und sah, dass die Sonne schon ziemlich hoch stehe. Es wurde wieder stark und staerker gepocht, und sein freundlicher Wirt, schon voellig im Putz, trat ein. Nach den ersten Erkundigungen, wie sein Gast geschlafen habe, kam Herr Dietrich gleich auf die Ursache seines fruehen Besuches. Der grosse Rat hatte gestern abend noch beschlossen, die Ankunft der Bundesgenossen auch durch einen Tanz zu feiern, der am heutigen Abend auf dem Rathaus abgehalten werden sollte. Ihm, als dem Ratsschreiber, kam es zu, alles anzuordnen, was zu dieser Festlichkeit gehoerte, er musste die Stadtpfeifer bestellen, die ersten Familien feierlich und im Namen des Rates dazu einladen, er musste vor allem zu seinen lieben Muehmchen eilen, um ihnen dieses seltene Glueck zu verkuendigen. Er erzaehlte dies alles mit wichtiger Miene seinem Gast und versicherte ihm, dass er vor dem Drang der Geschaefte nicht wisse, wo ihm der Kopf stehe. Doch Georg hatte nur fuer eines Sinn; er durfte hoffen, Marie zu sehen und zu sprechen, und darum haette er gerne Herrn Dietrich fuer seine gute Botschaft an das freudig pochende Herz gedrueckt. "Ich sehe es Euch an", sagte dieser, "die Nachricht macht Euch Freude, und die Tanzlust leuchtet Euch schon aus den Augen. Doch Ihr sollt ein Paar Taenzerinnen haben, wie Ihr sie nur wuenschen koennt; mit meinen Baeschen sollt Ihr mir tanzen, denn ich bin ihr Fuehrer bei solchen Gelegenheiten und werde es schon zu machen wissen, dass Ihr und kein anderer zuerst sie aufziehen sollt; und wie werden sie sich freuen, wenn ich ihnen einen so flinken Taenzer verspreche!" Damit wuenschte er seinem Gast einen guten Morgen und ermahnte ihn, wenn er ausgehe, sein Haus zu merken und das Mittagessen nicht zu versaeumen. Herr Dietrich hatte als sehr naher Verwandter schon frueh am Tag Zutritt im Hause des Herrn von Besserer, besonders heute, da ihn seine vielen Geschaefte bei diesem Morgenbesuch entschuldigten. Er fand die Maedchen noch beim Fruehstueck. "Ich sehe Dir es an, Vetter", begann Berta, "Du moechtest gar zu gerne von unserer Suppe kosten, weil Dir Deine Amme heute einen Kinderbrei vorgesetzt hat; aber schlage Dir diese Gedanken nur gleich aus dem Sinn; Du hast Strafe verdient und musst fasten--." "Ach, wie wir so sehnlich auf Euch gewartet haben", unterbrach sie Marie. "Jawohl", fiel ihr Berta in die Rede, "aber bilde Dir nur nicht ein, dass wir eigentlich Dich erwarteten; nein, ganz allein Deine Neuigkeiten." Der Ratsschreiber war schon gewohnt, von Berta so empfangen zu werden, er wollte daher, um sie zu versoehnen, dass er nicht gestern abend noch ihre Neugierde befriedigt habe, seine Nachrichten in desto laengerem Strom geben; aber Berta unterbrach ihn. "Wir kennen", sagte sie, "Deine breiten Erzaehlungen, und haben auch das meiste vom Erker aus selbst mit angesehen; von Eurem Trinkgelage, wo es arg genug hergegangen sein soll, will ich auch nichts wissen, darum antworte mir auf meine Frage." Sie stellte sich mit komischem Ernst vor ihn hin und fuhr fort: "Dietrich von Kraft, Schreiber eines wohledlen Rates, habt Ihr unter den Buendischen keinen jungen, ueberaus hoeflichen Herrn gesehen, mit langem, hellbraunem Haar, einem Gesicht, nicht so milchweiss wie das Eure, aber doch nicht minder huebsch, kleinem Bart, nicht so zierlich wie der Eure, aber dennoch schoener, hellblauer Schaerpe mit Silber..." "Ach, das ist kein anderer als mein Gast!" rief Herr Dietrich. "Er ritt einen grossen Braunen, trug ein blaues Wams, an den Schultern geschlitzt und mit Hellblau ausgelegt?" "Ja, ja, nur weiter!" rief Berta. "Wir haben unsere eigenen Ursachen, uns nach ihm zu erkundigen." Marie stand auf und suchte ihr Naehzeug in dem Kasten, indem sie beiden den Ruecken zukehrte; aber die Roete, die alle Augenblicke auf ihren Wangen wechselte, liess ahnen, dass sie kein Wort von Herrn Dietrichs Erzaehlung verlor. "Nun, das ist Georg von Sturmfeder", fuhr der Ratsschreiber fort, "ein schoener, lieber Junge. Sonderbar, auch Ihr seid ihm gleich beim Einzug aufgefallen."--und nun erzaehlte er, was am Gastmahl vorgegangen sei, wie ihm der hohe Wuchs, das Gebietende und Anziehende in des Juenglings Mienen gleich anfangs aufgefallen, wie ihn der Zufall zu seinem Nachbar gemacht, wie er ihn immer lieber gewonnen und endlich in sein Haus gefuehrt habe. "Nun, das ist schoen von Dir, Vetter", sagte Berta, als er geendet hatte, und reichte ihm freundlich die Hand, "ich glaube, es ist das erste Mal, dass Du es wagst, Gaeste zu haben. Aber das Gesicht der alten Sabine haette ich sehen moegen, als Junker Dieter so spaet noch einen Gast brachte." "Oh, sie war wie der Lindwurm gegen St. Georg; aber als ich ihr ganz unverbluemt zu verstehen gab, es koenne wohl geschehen, dass ich bald eine meiner schoenen Basen heimfuehren wuerde..." "Ach, geh doch!" entgegnete Berta, indem sie ihm hocherroetend ihre Hand entreissen wollte; aber Herr Dietrich, dem sein Muehmchen noch nie so huebsch als in diesem Augenblick geschienen hatte, drueckte die weiche Hand fester, und Mariens ernsteres Bild verlor von Sekunde zu Sekunde an Gehalt, und die Waagschale der froehlichen Berta, die jetzt in holder Verschaemtheit vor ihm sass, stieg hoch in den Augen des gluecklichen Ratsschreibers. Doch nun fiel ihm der Grund seines Besuches wieder ein, den er waehrend des Gespraeches ganz vergessen hatte. Berta sprang mit einem Schrei der Freude auf, als ihr der Vetter die Nachricht von dem Abendtanz mitteilte. "Marie, Marie", rief sie in hellen Toenen, dass die Gerufene bestuerzt herbeieilte. "Marie, ein Abendtanz auf dem Rathaus!" rief die beglueckte Berta. Auch diese schien freudig ueberrascht von dieser Nachricht. "Wann? Kommen auch die Fremden dazu?" waren ihre schnellen Fragen, indem ein hohes Rot ihre Wangen faerbte, und aus dem ernsten Auge, das die kaum geweinten Traenen nicht verbergen konnte, ein Strahl der Freude drang. Berta und der Vetter waren erstaunt ueber den schnellen Wechsel von Schmerz und Freude, und der letztere konnte die Bemerkung nicht unterdruecken, dass Marie eine leidenschaftliche Taenzerin sein muesse. Doch wir glauben, er habe sich hierin nicht weniger geirrt, als wenn er Georg fuer einen Weinkenner hielt. Als der Ratsschreiber sah, dass er jetzt, wo die Maedchen sich in eine wichtige Beratung ueber ihren Anzug verwickelten, eine ueberfluessige Rolle spiele, empfahl er sich, um seinen wichtigeren Geschaeften nachzugehen. Er beeilte sich, seine Anordnungen zu treffen, und die hohen Gaeste und die angesehensten Haeuser zu laden. Ueberall erschien er als ein Bote des Heils, denn wie die Sage erzaehlt, ist die Freude am Tanzen nicht erst heute ueber die Maedchen gekommen. Doch nicht seine Anordnungen allein waren dem Ratsschreiber gelungen, er hatte nebenbei auch manche geheime Nachricht erspaeht, die bis jetzt nur der engere Ausschuss des Rates mit den Bundesobersten teilte. Zufrieden mit dem Erfolg seiner vielen Geschaefte kam er gegen Mittag nach Hause, und sein erster Gang war, nach seinem Gast zu sehen. Er traf ihn bei einer sonderbaren Arbeit. Georg hatte lange in einem schoengeschriebenen Chronikbuch, das er in seinem Zimmer gefunden hatte, geblaettert. Die reinlich gemalten Bilder, womit die Anfangsbuchstaben der Kapitel unterlegt waren, die Triumphzuege und Schlachtenstuecke, welche mit kuehnen Zuegen entworfen, mit besonderem Fleiss ausgemalt, hin und wieder den Text unterbrachen, unterhielten ihn geraume Zeit. Dann fing er an, erfuellt von den kriegerischen Bildern, die er angeschaut hatte, seinen Helm und Harnisch und das vom Vater ererbte Schwert zu reinigen und blank zu machen, indem er zum grossem Aergernis der Frau Sabine bald lustige, bald ernstere Weisen dazu sang. So traf ihn sein Gastfreund. Schon unten an der Treppe hatte er die angenehme Stimme des Singenden vernommen Er konnte sich nicht enthalten, noch einige Zeit an der Tuer zu lauschen, ehe er den Gesang unterbrach. Der Saenger begann von neuem: "Kaum gedacht, War der Lust ein End' gemacht, Gestern noch auf stolzen Rossen, Heute durch die Brust geschossen, Morgen in das kuehle Grab. Doch was ist Aller Erden Freud' und Luest'! Prahlst du gleich mit deinen Wangen, Die wie Milch und Purpur prangen, Sieh', die Rosen welken all'. Darum still Geb' ich mich, wie Gott es will: Und wird die Trompete blasen, Und muss ich mein Leben lassen, Stirbt ein braver Reitersmann." "Wahrlich, Ihr habt eine schoene Stimme", sagte Herr von Kraft, als er in das Gemach eintrat. "Aber warum singt Ihr so traurige Lieder? Ich kann mich zwar nicht mit Euch messen, aber was ich singe, muss froehlich sein, wie es einem jungen Mann von achtundzwanzig geziemt." Georg legte sein Schwert auf die Seite und bot seinem Gastfreund die Hand "Ihr moegt recht haben", sagte er, "was Euch betrifft. Aber wenn man zu Feld reitet, wie wir, da hat ein solches Lied grosse Gewalt und Trost, denn es gibt auch dem Tod eine milde Seite." "Nun, das ist ja gerade, was ich meine", entgegnete der Schreiber des grossen Rats. "Wozu soll man das auch noch in schoenen Verslein besingen, was leider nur zu gewiss nicht ausbleibt? Man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er, sagt ein Sprichwort. Uebrigens hat es damit keine Not, wie jetzt die Sachen stehen." "Wie? Ist der Krieg nicht entschieden?" fragte Georg neugierig. "Hat der Wuerttemberger Bedingungen angenommen?" "Dem macht man gar keine mehr", antwortete Dietrich mit wegwerfender Miene. "Er ist die laengste Zeit Herzog gewesen, jetzt kommt das Regieren auch einmal an uns. Ich will Euch etwas sagen", setzte er wichtig und geheimnisvoll hinzu, "aber bis jetzt bleibt es noch unter uns. Die Hand darauf. Ihr meint, der Herzog habe 14000 Schweizer? Sie sind wie weggeblasen. Der Bote, den wir nach Zuerich und Bern geschickt haben, ist zurueck. Was von Schweizern bei Blaubeuren und auf der Alb liegt--muss nach Haus." "Nach Haus zurueck?" rief Georg erstaunt. "Haben die Schweizer selbst Krieg?" "Nein", war die Antwort, "sie haben tiefen Frieden, aber kein Geld. Glaubt mir, ehe acht Tage ins Land kommen, sind schon Boten da, die das ganze Heer nach Haus zurueckrufen." "Und werden sie gehen?" unterbrach ihn der Juengling. "Sie sind auf ihre eigene Faust dem Herzog zu Hilfe gezogen, wer kann ihnen gebieten, seine Fahnen zu verlassen?" "Das weiss man schon zu machen. Glaubt Ihr denn, wenn an die Schweizer der Ruf kommt, bei Verlust ihrer Gueter und bei Leib und Lebensstrafe nach Haus zu eilen, sie werden bleiben? Ulrich hat zu wenig Geld, um sie zu halten, denn auf Versprechungen dienen sie nicht." "Aber ist dies auch ehrlich gehandelt?" bemerkte Georg. "Heisst das nicht dem Feind, der in ehrlicher Fehde mit uns lebt, die Waffen stehlen und ihn dann ueberfallen?" "In der Politica, wie wir es nennen", gab der Ratsschreiber zur Antwort und schien sich dem unerfahrenen Kriegsmann gegenueber kein geringes Ansehen geben zu wollen, "in der Politica wird die Ehrlichkeit hoechstens zum Schein angewandt. So werden die Schweizer z.B. dem Herzog erklaeren, dass sie sich ein Gewissen daraus machen, ihre Leute gegen die freien Staedte dienen zu lassen. Aber die Wahrheit ist, dass wir dem grossen Baeren mehr Goldgulden in die Tatze druecken als der Herzog." "Nun, und wenn die Schweizer auch noch abziehen", sagte Georg, "so hat doch Wuerttemberg noch Leute genug, um keinen Hund ueber die Alb zu lassen." "Auch dafuer wird gesorgt", fuhr der Schreiber in seiner Erlaeuterung fort, "wir schicken einen Brief an die Staende von Wuerttemberg und ermahnen sie, das unleidliche Regiment ihres Herzogs zu bedenken, demselben keinen Beistand zu tun, sondern dem Bund zuzuziehen." "Wie?" rief Georg mit Entsetzen "Das hiesse ja den Herzog um sein Land betruegen. Wollt Ihr ihn denn zwingen, der Regierung zu entsagen und sein schoenes Wuerttemberg mit dem Ruecken anzusehen?" "Und Ihr habt bisher geglaubt, man wolle nichts weiter als etwa Reutlingen wieder zur Reichsstadt machen? Wovon soll denn Hutten seine 42 Gesellen und ihre Diener besolden? Wovon denn Sickingen seine tausend Reiter und zwoelftausend zu Fuss, wenn er nicht ein huebsches Stueckchen Land damit erkaempft? Und meint Ihr, der Herzog von Bayern wolle nicht auch sein Teil? Und wir? Unsere Markung grenzt zunaechst an Wuerttemberg--." "Aber die Fuersten Deutschlands", unterbrach ihn Georg ungeduldig, "meint Ihr, sie werden es ruhig mit ansehen, dass Ihr ein schoenes Land in kleine Fetzen reisst? Der Kaiser, wird er es dulden, dass Ihr einen Herzog aus dem Land jagt?" Auch dafuer wusste Herr Dietrich Rat. "Es ist kein Zweifel, dass Karl seinem Vater als Kaiser folgt. Ihm selbst bieten wir das Land zur Obervormundschaft an, und wenn Oesterreich seinen Mantel darauf deckt, wer kann dagegen sein? Doch, seht nicht so duester aus. Wenn Euch nach Krieg geluestet, dazu kann Rat werden. Der Adel haelt noch zum Herzog, und an seinen Schloessern wird sich noch mancher die Zaehne einbrechen. Wir verschwatzen uebrigens das Mittagsmahl. Kommt bald nach, dass wir erfahren, was Frau Sabina uns gekocht hat." Damit verliess der Schreiber des grossen Rates von Ulm so stolzen Schrittes, als waere er selbst schon Obervormund von Wuerttemberg, das Zimmer seines Gastes. Georg sandte ihm nicht die freundlichsten Blicke nach. Zuernend schob er seinen Helm, den er noch vor einer Stunde mit so freudigem Mut zu seinem ersten Kampf geschmueckt hatte, in die Ecke. Mit Wehmut betrachtete er sein altes Schwert, diesen treuen Stahl, den sein Vater in manchem guten Streit gefuehrt, den er sterbend seinem verwaisten Knaben als einziges Erbe vom Schlachtfeld gesandt hatte. "Ficht ehrlich!" war das Symbol das der Waffenschmied in die schoene Klinge gegraben hatte, und er sollte sie fuer eine Sache fuehren, die ihre Ungerechtigkeit an der Stirn trug? Wo er der Kriegskunst erfahrener Maenner, der Tapferkeit des einzelnen die Entscheidung zutraute, da sollten geheime Raenke, die Politica, wie Herr Dietrich sich ausdrueckte, entscheiden? Wo ihn der froehliche Glanz der Waffen, die Aussicht auf Ruhm gelockt hatte, da sollte er nur den habgierigen Plaenen dieser Menschen dienen? Ein altes Fuerstenhaus, dem seine Ahnen gerne gedient hatten, sollte er von diesen Spiessbuergern vertreiben sehen? Unertraeglich wollte ihm auch der Gedanke scheinen, von diesem Kraft sich belehren lassen zu muessen. Doch dem Unmut ueber seinen gutmuetigen Wirt konnte er nicht lange Raum geben, wenn er bedachte, dass ja jene Plaene nicht in seinem Kopf gewachsen seien und dass Menschen, wie dieser politische Ratsschreiber, wenn sie einmal ein Geheimnis, einen grossen Gedanken in Erfahrung gebracht haben, ihn hegen und pflegen wie ihren eigenen; dass sie sich mit dem adoptierten Kind bruesten, als waere es Minerva, aus ihrem eigenen harten Kopf entsprungen. Mit milderen Gedanken kam er zu seinem Gastfreund, als man ihn zu Tisch rief. Ja, die ganze Ansicht der Dinge wurde ihm nach einigen Stunden bei weitem ertraeglicher, als er sich erinnerte, dass ja auch Mariens Vater dieser Partei folge. Es war ihm, als moechte die Sache doch nicht so schwarz sein, welcher Maenner wie Frondsberg ihre Dienste geliehen. Kapitel 6 Man blies schon laengst zum ersten Tanz auf, als Georg von Sturmfeder in den Rathaussaal eintrat. Seine Blicke schweiften durch die Reihen der Tanzenden, und endlich trafen sie Marien. Sie tanzte mit einem jungen, fraenkischen Ritter seiner Bekanntschaft, schien aber der eifrigen Rede, die er an sie richtete, kein Gehoer zu geben. Ihr Auge suchte den Boden, ihre Miene konnte Ernst, beinahe Trauer ausdruecken; ganz anders als die uebrigen Fraeulein, die in der wahren Tanzseligkeit schwimmend, ein Ohr der Musik, das andere dem Taenzer liehen, und die freundlichen Augen bald ihren Bekannten, um den Beifall in ihren Mienen zu lesen, bald ihren Taenzern zuwandten, um zu pruefen, ob ihre Aufmerksamkeit auch ganz gewiss auf sie gerichtet sei. In gehaltenen Toenen hielten jetzt die Zinken und Trompeten und endeten; Herr Dietrich Kraft hatte seinen Gastfreund bemerkt und kam, ihn, wie er versprochen, zu seinen Muhmen zu fuehren. Er fluesterte ihm zu, dass er selbst schon fuer den naechsten Tanz mit Baeschen Berta versagt sei, doch habe er soeben um Mariens Hand fuer seinen Gast geworben. Beide Maedchen waren auf die Erscheinung des ihnen so interessanten Fremden vorbereitet gewesen, und dennoch bedeckte die Erinnerung dessen, was sie ueber ihn gesprochen, Bertas angenehme Zuege mit hoher Glut, und die Verwirrung, in welche sie sein Anblick versetzte, liess sie nicht bemerken, welches Entzuecken ihm aus Mariens Auge entgegenstrahlte, wie sie bebte, wie sie muehsam nach Atem suchte, wie ihr selbst die Sprache ihre Dienste zu versagen schien. "Da bringe ich Euch Herrn Georg von Sturmfeder, meinen lieben Gast", begann der Ratsschreiber, "der um die Gunst bittet, mit Euch zu tanzen." "Wenn ich nicht schon diesen Tanz meinem Vetter zugesagt haette", antwortete Berta, schneller gefasst als ihre Base, "so solltet Ihr ihn haben, aber Marie ist noch frei, die wird mit Euch tanzen." "So seid Ihr noch nicht versagt, Fraeulein von Lichtenstein?" fragte Georg, indem er sich zu der Geliebten wandte. "Ich bin an Euch versagt", antwortete Marie. So hoerte er denn zum ersten Mal wieder diese Stimme, die ihn so oft mit den suessesten Namen genannt hatte; er sah in diese treuen Augen, die ihn noch immer so hold anblickten wie vormals. Die Trompeten schmetterten in den Saal; der Oberfeldleutnant Waldburg Truchsess, dem man den zweiten Tanz gegeben hatte, schritt mit seiner Taenzerin vor, die Fackeltraeger folgten, die Paare ordneten sich, und auch Georg ergriff Mariens Hand und schloss sich an. Jetzt suchten ihre Blicke nicht mehr den Boden, sie hingen an denen des Geliebten; und dennoch wollte es ihm scheinen, als mache sie dieses Wiedersehen nicht so gluecklich wie ihn, denn noch immer lag eine duestere Wolke von Schwermut oder Trauer um ihre Stirn. Sie sah sich um, ob Dietrich und Berta, das naechste Paar nach ihnen, nicht allzu nahe seien.--Sie waren fern. "Ach, Georg", begann sie, "welch ungluecklicher Stern hat Dich in dieses Heer gefuehrt?" "Du warst dieser Stern, Marie", sagte er, "Dich habe ich auf dieser Seite geahnt, und wie gluecklich bin ich, dass ich Dich fand! Kannst Du mich tadeln, dass ich die gelehrten Buecher beiseite legte und Kriegsdienste nahm? Ich habe ja kein Erbe als das Schwert meines Vaters; aber mit diesem Gut will ich wuchern, dass der deinige sehen soll, dass seine Tochter keinen Unwuerdigen liebt." "Ach Gott! Du hast doch dem Bund noch nicht zugesagt?" unterbrach sie ihn. "Aengstige Dich doch nicht so, mein Liebchen, ich habe noch nicht voellig zugesagt; aber es muss naechster Tage geschehen. Willst Du denn Deinem Georg nicht auch ein wenig Kriegsruhm goennen? Warum magst Du um mich so bange sein? Dein Vater ist alt und zieht ja doch auch mit uns." "Ach, mein Vater, mein Vater!" klagte Marie. "Er ist ja--doch brich ab, Georg, brich ab--Berta belauscht uns; aber ich muss Dich morgen sprechen, ich muss, und sollte es meine Seligkeit kosten. Ach! Wenn ich nur wuesste wie?" "Was aengstigt Dich denn nur so?" fragte Georg, dem es unbegreiflich war, wie Marie, statt sich der Freude des Wiedersehens hinzugeben, nur an die Gefahren dachte, denen er entgegengehe? "Du stellst Dir die Gefahren groesser vor, als sie sind", fluesterte er ihr troestend zu. "Denke an nichts, als dass wir uns jetzt wieder haben, dass ich Deine Hand druecken darf, dass Auge in Auge sieht wie sonst. Geniesse jetzt die Augenblicke, sei heiter!" "Heiter? Oh, diese Zeiten sind vorbei, Georg! Hoere und sei standhaft--mein Vater ist nicht buendisch!" "Jesus Maria! Was sagst Du?" rief der Juengling und beugte sich, als habe er das Wort des Ungluecks nicht gehoert, herab zu Marien. "Oh sag, ist denn Dein Vater nicht hier in Ulm?" Sie hatte sich staerker geglaubt; sie konnte nicht mehr sprechen; bei dem ersten Laut waeren ihre Traenen unaufhaltsam geflossen; sie antwortete nur durch einen Druck der Hand und ging mit gesenktem Haupt, nach Kraft suchend, ihren Schmerz zu bekaempfen, neben Georg her. Endlich siegte der starke Geist dieses Maedchens ueber die Schwaeche ihrer Natur, die einem so grossen, tiefen Kummer beinahe erlegen waere. "Mein Vater", fluesterte sie, "ist Herzog Ulrichs waermster Freund, und sobald der Krieg entschieden ist, fuehrt er mich heim auf den Lichtenstein!" Betaeubt wirbelten jetzt die Trommeln, in volleren Toenen schmetterten die Trompeten, sie begruessten den Truchsess, der eben an dem Musikchor vorueberzog, er warf ihnen, wie es Sitte war, einige Silberstuecke zu, und von neuem erhob sich ihr betaeubender Jubel. Das leise Gespraech der Liebenden verstummte vor der rauhen Gewalt dieser Toene, aber ihr Auge hatte sich in diesem Schiffbruch ihrer Liebe um so mehr zu sagen, und sie bemerkten nicht einmal, wie ein Gefluester ueber sie im Saal erging, das sie als das schoenste Paar pries. Aber nur zu wohl hatte Berta diese Bemerkungen der Menge gehoert. Sie war zu gutmuetig, als dass Neid darueber in ihre Seele gekommen waere, aber sie setzte sich doch im Geist an Mariens Platz, und fand, dass man vielleicht das Paar nicht minder schoen gefunden haette. Auch das Gespraech, das zwischen den beiden begonnen hatte, fiel ihr auf. Die ernste Base, die selten oder nie mit einem Mann lange sprach, schien mehr und angelegentlicher zu reden als ihr Taenzer. Die Musik hinderte sie zu verstehen, was gesprochen wurde; die Neugierde wurde in ihr rege, sie zog ihren Taenzer naeher an das vordere Paar, um ein wenig zu lauschen; aber war es Zufall oder Absicht, das Gespraech verstummte, als sie naeherkam, oder wurde so leise gefuehrt, dass sie nichts davon verstand. Ihr Interesse an dem schoenen jungen Mann wuchs mit diesen Hindernissen; noch nie war ihr der gute Vetter Kraft so laestig geworden als in diesen Augenblicken; denn die zierlichen Redensarten, womit er ihr Herz zu umspinnen gedachte, hinderten sie, jene genauer zu beobachten. Sie war froh, als endlich der Tanz endete. Denn sie durfte hoffen, dass der naechste an des jungen Ritters Seite desto angenehmer fuer sie sein werde. Sie taeuschte sich nicht in ihrer Hoffnung, Georg kam, sie um den naechsten Tanz zu bitten, der auch sogleich begann, und sie huepfte froehlich an seiner Seite in die Reihen. Aber es war nicht mehr derselbe, der vorhin mit Marien so freundlich gesprochen hatte. Verstoert, einsilbig, in tiefe Gedanken versunken, war der junge Mann an ihrer Seite, und es war nur zu sichtbar, dass er sich immer erst wieder sammeln musste, wenn er eine ihrer Fragen beantworten sollte. War dies jener "hoefliche Ritter", welcher sie, ohne dass sie sich je gesehen hatten, so freundlich gruesste? War es derselbe, welcher so heiter, so froehlich war, als ihn Vetter Kraft zu ihnen fuehrte? Derselbe, der mit Marien so eifrig sich unterredet hatte? Oder sollte diese--? Ja, es war klar, Marie hatte ihm besser gefallen, ach! vielleicht weil sie die erste war, die mit ihm getanzt. Je weniger Berta gewohnt war, sich der ernsten Marie nachgesetzt zu sehen, um so mehr befremdete sie dieser Sieg ihrer Base, um so mehr glaubte sie sich beeifern zu muessen, ihren Rang, ihre Gaben geltend zu machen Sie setzte daher mit ihrer heiteren Geschwaetzigkeit das Gespraech ueber den bevorstehenden Krieg, das sie mit Muehe angesponnen hatte, fort, als sie nach Beendigung des Tanzes zu Marien und dem Ratsschreiber traten. "Nun, und der wievielte Feldzug ist es denn, Herr von Sturmfeder, dem Ihr jetzt beiwohnt?" "Es ist mein erster", antwortete dieser kurz angebunden, denn er war unmutig darueber, dass jene ihn noch immer im Gespraech halte, da er mit Marie so gerne gesprochen haette. "Euer erster?" entgegnete Berta verwundert, "Ihr wollt mir etwas weismachen, da habt Ihr ja schon eine maechtige Narbe auf der Stirn." "Die bekam ich auf der hohen Schule", antwortete Georg. "Wie? Ihr seid ein Gelehrter?" fragte jene eifrig weiter. "Nun, und da seid Ihr gewiss recht weit weg gewesen; etwa in Padua oder Bologna, oder gar bei den Ketzern in Wittenberg." "Nicht so weit, als Ihr meint", entgegnete er, indem er sich zu Marien wandte, "ich war in Tuebingen." "In Tuebingen", rief Berta voll Verwunderung. Wie ein Blitz erhellte dies einzige Wort alles, was ihr bisher dunkel war, und ein Blick auf Marien, die mit niedergeschlagenen Augen, mit der Roete der Scham auf den Wangen, vor ihm stand, ueberzeugte sie, dass die lange Reihe von Schluessen, die sich an jenes Wort anschlossen, ihren nur zu sicheren Grund hatten. Jetzt war ihr auf einmal klar, warum sie der artige Ritter begruesst, warum Marie geweint, die ihn gewiss gerne auf der feindlichen Seite gesehen haette, warum er so viel mit jener gesprochen, warum er bei ihr selbst so einsilbig war. Es war keine Frage, sie kannten sich, sie mussten sich laengst gekannt haben. Beschaemung war das erste Gefuehl, das bei dieser Entdeckung Bertas Herz bestuermte; sie erroetete vor sich selbst, wenn sie sich gestand, nach der Aufmerksamkeit eines Mannes gestrebt zu haben, dessen Seele ein ganz anderer Gegenstand beschaeftige. Unmut ueber Mariens Heimlichkeit verfinsterte ihre Zuege. Sie suchte Entschuldigung fuer ihr eigenes Betragen, und fand sie nur in der Falschheit ihrer Base. Haette diese ihr gestanden, in welchem Verhaeltnis sie zu dem jungen Mann stehe, sie haette ihr nie ihre Teilnahme an ihm gezeigt; er waere ihr dann, meinte sie, hoechst gleichgueltig geblieben, sie haette nie diese Beschaemung erfahren. Berta hat an diesem Abend den ungluecklichen jungen Mann keines Blickes mehr gewuerdigt, was ihm uebrigens ueber dem groesseren Schmerz, der seine Seele beschaeftigte, voellig entging. Sein Unglueck wollte es auch, dass er nie mehr Gelegenheit fand, Marien wieder allein und ungestoert zu sprechen, der Abendtanz ging zu Ende, ohne dass er ueber Mariens Schicksal und ueber die Gesinnungen ihres Vaters gewisser wurde, und Marie fand kaum noch auf der Treppe Gelegenheit, ihm zuzufluestern, er moechte morgen in der Stadt bleiben, weil sie vielleicht irgendeine Gelegenheit finden wuerde, ihn zu sprechen. Verstimmt kamen die beiden Schoenen nach Hause. Berta hatte auf alle Fragen Mariens kurze Antwort gegeben, und auch diese, sei es, dass sie ahnte, was in ihrer Freundin vorgehe, sei es, weil sie selbst ein grosser Schmerz beschaeftigte, war nach und nach immer duesterer, einsilbiger geworden. Aber auf beiden lastete die Stoerung ihres bisherigen freundschaftlichen Verhaeltnisses erst recht schwer, als sie ernst und schweigend in ihr Gemach traten. Sie hatten sich bisher alle jene kleinen Dienste geleistet, welche junge Maedchen nur zu noch engerer Freundschaft verbinden. Wie ganz anders war es heute! Berta hatte die silberne Nadel aus dem reichen blonden Haar gezogen, dass es in langen Ringellocken ueber den schoenen Nacken herabstroemte. Sie versuchte, es unter das Nachthaeubchen zu stecken; ungewohnt, diese Arbeit ohne Mariens Hilfe zu verrichten, kam sie nicht damit zu Rande, aber zu stolz, ihrer Feindin, wie sie Marien in ihrem Sinn nannte, ihre Verlegenheit merken zu lassen, warf sie das Haeubchen in die Ecke und ergriff ein Tuch, um es um das Haar zu winden. Schweigend nahm Marie das verworfene Haeubchen wieder auf und trat hinzu, das Haar ihrer Base nach gewohnter Weise zu ordnen und aufzubinden. "Hinweg, Du Falsche!" rief die erzuernte Berta, indem sie die hilfreiche Hand zurueckstiess. "Berta; hab' ich dies um Dich verdient?" sprach Marie mit Ruhe und Sanftmut. "Oh wenn Du wuesstest, wie ungluecklich ich bin, Du wuerdest sanfter gegen mich sein!" "Ungluecklich?" lachte jene laut auf, "ungluecklich! Vielleicht, weil der artige Herr nur einmal mit Dir tanzte?" "Du bist recht hart, Berta", antwortete Marie, "Du bist boese auf mich und sagst mir nicht einmal warum?" "So? Du willst also nicht wissen, dass Du mich betrogen hast? Nicht wissen, wie mich Deine Heimlichkeiten dem Spott und der Beschaemung aussetzten? Ich haette nie geglaubt, dass Du so schlecht, so falsch, an mir handeln wuerdest!" Von neuem erwachte in Berta das kraenkende Gefuehl, sich hintangesetzt zu sehen Ihre Traenen stroemten, sie legte die heisse Stirn in die Hand, und die reichen Locken flossen ueber ihr zusammen und verhuellten die Weinende. Traenen sind die Zeichen milderen Schmerzes. Marie kannte diese Traenen und fuhr mit mehr Vertrauen fort: "Berta! Du schiltst meine Heimlichkeit. Ich sehe, Du hast erraten, was ich nie von selbst sagen konnte. Setze Dich selbst in meine Lage. Ach, Du selbst, so heiter und offen Du bist, Du selbst haettest mir Dein Geheimnis nicht vertrauen koennen. Aber jetzt ist es ja aus. Du weisst, was meine Lippen auszusprechen sich scheuten. Ich liebe ihn, ja ich werde geliebt, und nicht erst von gestern her. Willst Du mich hoeren? Darf ich Dir alles sagen?" Bertas Traenen flossen noch immer. Sie antwortete nicht auf jene Fragen, aber Marie hob an zu erzaehlen, wie sie Georg im Haus der seligen Muhme kennengelernt habe. Wie sie ihm gut gewesen, lange ehe er ihr seine Liebe gestanden Alle jene schoene Erinnerungen lebten in ihr auf, mit gluehenden Wangen, mit strahlendem Auge fuehrte sie die Vergangenheit herauf. Sie erzaehlte von so mancher schoenen Stunde, vom Schwur ihrer Treue, von ihrem Abschied "Und jetzt", fuhr sie mit wehmuetigem Laecheln fort, "jetzt hat ihn dieser unglueckliche Krieg auf diese Seite gefuehrt. Er hoert, wir seien hier in Ulm, er glaubt nicht anders, als mein Vater sei dem Bund beigetreten, er hofft, mich durch sein Schwert zu verdienen, denn er ist arm, recht arm! Oh Berta, Du kennst meinen Vater. Er ist so gut, aber auch so streng, wenn etwas seiner Meinung widerspricht. Wird er einem Mann seine Tochter geben, der sein Schwert gegen Wuerttemberg gezogen hat? Siehe, das waren meine Traenen! Ach, ich wollte Dir so oft sagen, warum sie fliessen, aber eine unbesiegbare Scham schloss meine Lippen. Kannst Du mir noch zuernen? Muss ich mit dein Geliebten auch die Freundin verlieren?" Auch Mariens Traenen flossen und Berta fuehlte den eigenen Schmerz von dem groesseren Kummer der Freundin besiegt. Sie umarmte Marien schweigend und weinte mit ihr. "In den naechsten Tagen", fuhr diese fort, "will mein Vater Ulm verlassen, und ich muss ihm folgen. Aber noch einmal muss ich Georg sprechen, nur ein Viertelstuendchen. Berta, Du kannst gewiss Gelegenheit geben. Nur ein ganz kleines Viertelstuendchen!" "Du willst ihn doch nicht der guten Sache abwendig machen?" fragte Berta. "Was nennst Du die gute Sache?" antwortete Marie. "Des Herzogs Sache ist vielleicht nicht minder gut als die Eure. Du sprichst so, weil Ihr buendisch seid. Ich bin eine Wuerttembergerin, und mein Vater ist seinem Herzog treu. Doch sollen wir Maedchen ueber den Krieg entscheiden? Lass uns lieber auf Mittel sinnen, ihn noch einmal zu sehen." Berta hatte ueber der Teilnahme, mit welcher sie der Geschichte ihrer Base zugehoert hatte, ganz vergessen, dass sie ihr jemals gram gewesen war. Sie war ueberdies fuer alles Geheimnisvolle eingenommen, daher kamen ihr diese Mitteilungen erwuenscht. Sie fuehlte, wie wichtig und ehrenvoll der Posten einer Vertrauten sei, und gab sich daher alle moegliche Muehe, dem liebenden Paar mit ihrem Scharfsinn zu dienen. "Ich hab's gefunden", rief sie endlich aus, "wir laden ihn geradezu in den Garten." "In den Garten?" fragte Marie schuechtern und unglaeubig, "und durch wen?" "Sein Wirt, der gute Vetter Dietrich, muss ihn selbst bringen", antwortete sie, "das ist herrlich, und dieser darf auch kein Woertchen davon merken, lass' nur mich dafuer sorgen." Marie, entschlossen und stark bei grossen Dingen, zitterte doch bei diesem gewagten Schritt. Aber ihre mutige, froehliche Base wusste ihr alle Bedenklichkeiten auszureden, und mit erneuerter Hoffnung, und befreit von der Last des Geheimnisses, umarmten sich die Maedchen, ehe sie sich zur Ruhe legten. Kapitel 7 Sinnend und traurig sass Georg am Mittag nach dem festlichen Abend in seinem Gemach. Er hatte Breitenstein besucht und wenig Troestliches fuer seine Hoffnungen erfahren. Der Kriegsrat hatte sich an diesem Morgen versammelt, und unwiderruflich war der Krieg beschlossen worden. Zwoelf Edelknaben waren, die Absagebriefe des Herzogs von Bayern, der Ritterschaft und gesamten Staedte an ihre Lanzen geheftet, zum Goegglinger Tor hinausgejagt, um die Feindesbotschaft dem Wuerttemberger nach Blaubeuren zu bringen. Auf den Strassen rief man einander froehlich diese Nachricht zu, und die Freude, dass es jetzt endlich ins Feld gehen werde, stand deutlich auf allen Gesichtern geschrieben. Nur einen traf diese Kunde wie das schreckliche Machtwort seines Schicksals. Der Gram trieb ihn aus dem Kreis der froehlichen Gesellen, die jetzt den Weinstuben zuzogen, um in lautem Jubel das Geburtsfest des Krieges zu begehen und das Los kuenftiger Siege im Wuerfelspiel zu belauschen. Ach! Ihm waren ja schon die Wuerfel gefallen! Ein blutiges Schlachtfeld dehnte sich zwischen ihm und seiner Liebe aus, sie war ihm auf lange, vielleicht auf ewig verloren. Eilige Tritte, welche die Treppe heraufstuermten, weckten ihn aus seinem Brueten. Der Ratsschreiber steckte den Kopf in die Tuer. "Glueck auf, Junker!" rief er, "jetzt hebt der Tanz erst recht an. Aber ihr wisst es vielleicht noch gar nicht? Der Krieg ist angekuendigt, schon vor einer Stunde sind unsere Absageboten ausgeritten." "Ich weiss es", antwortete sein finsterer Gast. "Nun und huepft Euch das Herz nicht freier? Habt Ihr auch gehoert-- nein, das koennt Ihr nicht wissen", fuhr Dietrich fort, indem er zutraulich naeher zu ihm trat, "dass die Schweizer bereits abziehen?" "Wie, sie ziehen?" unterbrach ihn Georg. "Also hat der Krieg schon ein Ende?" "Das moechte ich nicht gerade behaupten", fuhr der Ratsschreiber bedenklich fort, "der Herzog von Wuerttemberg ist noch ein junger, mutiger Herr und hat noch Ritter und Dienstleute genug. Zwar wird er wohl keine offene Feldschlacht mehr wagen, aber er hat feste Staedte und Burgen. Da ist einmal der Hellenstein und darin Stephan von Lichow, ein Mann wie Eisen. Da ist Goeppingen, das Philipp von Rechberg auch nicht auf den ersten Stueckschuss ergeben wird. Da ist Schorndorf, Rothenberg und Asberg, da ist vor allem Tuebingen, das er tuechtig befestigt hat. Es wird noch mancher ins Gras beissen, bis Ihr Eure Rosse im Neckar traenkt." "Nun, nun!" fuhr er fort, als er sah, dass seine Nachrichten die finstere Stirn seines schweigenden Gastes nicht aufheitern konnten. "Wenn Ihr diese kriegerischen Botschaften nicht freundlich aufnehmt, so schenkt Ihr vielleicht einem friedlicheren Auftrag ein geneigtes Ohr. Sagt einmal, habt Ihr nicht irgendwo eine Base?" "Base? Ja, warum fragt Ihr?" "Nun seht, jetzt erst verstehe ich die verwirrten Reden, die vorhin Berta vorbrachte. Als ich aus dem Rathaus kam, winkte sie mir hinauf und befahl mir, meinen Gast heute nachmittag in ihren Garten an der Donau zu fuehren. Marie habe Euch etwas sehr Wichtiges an Eure Base, die sie sehr gut kenne, aufzutragen. Ihr muesst mir schon den Gefallen tun, mitzugehen. Solche Geheimnisse und Auftraege sind zwar gewoehnlich nicht weit her, und ich wollte wetten, sie geben Euch ein Muesterlein fuer den Webstuhl oder eine Probe seiner Wolle, oder ein tiefes Geheimnis der Kochkunst, oder gar ein paar Koernlein von einer seltenen Blume mit, denn Marie ist eine grosse Gaertnerin--doch wenn Ihr gestern an dem Maedchen Gefallen gefunden habt, geht Ihr wohl gerne mit." Mitten in dem schmerzlichen Gedanken an die Scheidestunde musste Georg ueber die List der Maedchen lachen. Freundlich bot er dem guten Boten die Hand und schickte sich an, ihn in den Garten zu begleiten. Dieser lag an der Donau, ungefaehr zweitausend Schritte unter der Bruecke. Er war nicht gross, zeugte aber von Sorgfalt und Fleiss. Die schoenen Obstbaeume waren zwar noch nicht belaubt, und die in wunderlichen Formen abgestochenen Beete hatten noch keine Blumen, aber ein langer Taxusgang, der an dem Ufer des Flusses sich hinzog und in einer geraeumigen Laube endete, gab durch sein helles Gruen einen lebhaften Anblick und hinlaenglichen Schutz gegen die einem weissen Hals und schoenen Armen so gefaehrlichen Strahlen der Maerzsonne. Dort, auf dem breiten, bequemen Steinsitz, wo die Luecken der Laube eine freie Aussicht die Donau hinauf und hinab gewaehrten, hatten die Maedchen unter mancherlei Gespraechen der jungen Maenner geharrt. Marie sass traurig in sich gekehrt. Sie hatte den schoenen Arm auf eine Luecke der Laube aufgestuetzt und das von Gram und Traenen muede Koepfchen in die Hand gelegt. Ihr dunkles, glaenzendes Haar hob die Blaesse ihres Teints um so mehr heraus, als stiller Kummer ihre Wangen gebleicht, und schlaflose Naechte dem lieblichen blauen Auge seinen sonst so ueberraschenden Glanz geraubt und ihm einen matteren, vielleicht nur um so anziehenderen Schimmer von Melancholie gegeben hatten. Das vollendete Bild froehlichen Lebens, sass die frische, runde, rosige Berta neben ihr. Wie ihre gelblichen Locken mit Mariens dunkeln Haaren, ihr rundes, frisches Gesichtchen mit den ovalen, schaerferen Formen ihrer Base, wie ihre freundlichen, beweglichen, hellbraunen Augen in auffallendem Kontrast standen mit dem sinnenden, geistvollen Blick Mariens, so wurde auch jede ihrer raschen lebhaften Bewegungen zum Gegensatz gegen jene stille Trauer. Berta schien ihre rosigste Laune hervorgeholt zu haben, um ihre Base zu troesten, oder doch ihren grossen Schmerz zu zerstreuen. Sie erzaehlte und schwatzte, sie lachte und ahmte die Gebaerde und Sprache vieler Leute nach, sie versuchte alle jene tausend kleinen Kuenste, womit die Natur ihre froehliche Tochter ausstattete. Aber wir glauben, dass sie wenig ausrichtete, denn nur hie und da glitt ein wehmuetiges, schnell verschwebendes Laecheln ueber Mariens feine Zuege hin. Endlich ging die Gartenpforte auf. Maennertritte toenten den Gang herauf und die Maedchen standen auf, die Erwarteten zu empfangen. "Herr von Sturmfeder", begann Berta nach den ersten Begruessungen, "verzeiht doch, dass ich es wagte, Euch in meines Vaters Garten einzuladen. Aber meine Base Marie wuenscht, Euch Auftraege an eine Freundin zu geben.--Nun, und dass wir andern nicht zu kurz kommen", setzte sie zu Herrn Kraft gewandt hinzu, "so wollen wir eins plaudern und den Abendtanz von gestern mustern." Damit ergriff sie ihres Vetters Hand und zog ihn mit sich den Gang hinab. Georg hatte sich zu Marie auf die Bank gesetzt. Sie lehnte sich an seine Brust und weinte heftig. Die suessesten Worte, die er ihr zufluesterte, vermochten nicht, ihre Traenen zu stillen "Marie", sagte er, "Du warst ja sonst so stark, wie kannst Du nun gerade jetzt allen Glauben an ein besseres Geschick, alle Hoffnung aufgeben?" "Hoffnung?" fragte sie wehmuetig, "mit unserer Hoffnung, mit unserem Glueck ist es fuer ewig aus." "Sieh", antwortete Georg, "eben dies kann ich nicht glauben, ich trage die Gewissheit unserer Liebe in mir so innig, so tief, und ich sollte jemals glauben, dass sie untergehen koenne?" "Du hoffst noch? So hoere mich ganz an. Ich muss Dir ein tiefes Geheimnis sagen, an dem das Leben meines Vaters haengt. Mein Vater ist so sehr ein bitterer Feind des Bundes, als er ein Freund des Herzogs ist. Er ist nicht nur deswegen hier, um sein Kind abzuholen. Nein, er sucht die Plaene des Bundes zu erforschen und mit Geld und Rede zu verwirren. Und glaubst Du, ein so bitterer Gegner des Bundes werde seine einzige Tochter einem Juengling geben, der durch unser Verderben sich emporzuschwingen sucht? Einem, der sich an Menschen anschliesst, die kein Recht, sondern nur Raub suchen?" "Dein Eifer fuehrt Dich zu weit, Marie", unterbrach sie der Juengling, "Du musst wissen, dass mancher Ehrenmann in diesem Heer dient!" "Und wenn dies waere", fuhr jene eifrig fort, "so sind sie betrogen und verfuehrt, wie auch Du betrogen bist." "Wer sagt Dir dies so gewiss?" entgegnete Georg, welcher erroetete, die Partei, die er ergriffen, von einem Maedchen so erniedrigt zu sehen, obgleich er ahnte, dass sie so unrecht nicht habe. "Wer sagt Dir dies so gewiss? Kann nicht Dein Vater auch verblendet und betrogen sein? Wie mag er nur mit so vielem Eifer die Sache dieses stolzen, herrschsuechtigen Mannes fuehren, der seine Edlen ermordet, der seine Buerger in den Staub tritt, der an seiner Tafel das Mark des Landes verprasst und seine Bauern verschmachten laesst?" "Ja, so schildern ihn seine Feinde", antwortete Marie, "so spricht man von ihm in diesem Heer; aber frage dort unten an den Ufern des Neckars, ob sie ihren angestammten Fuersten nicht lieben, wenn gleich seine Hand zuweilen schwer auf ihnen ruht. Frage jene Maenner, die mit ihm ausgezogen sind, ob sie nicht freudig ihr Blut fuer den Enkel Eberhards geben, ehe sie diesem stolzen Herzog von Bayern, diesen raeuberischen Edlen, diesen Staedtern ihr Land abtreten." Georg schwieg eine Zeitlang nachdenklich. "Aber wie entschuldigen denn diese warmen Verteidiger den Mord des Hutten?" fragte er. "Ihr sprecht immer von Eurer Ehre", antwortete Marie, "und wollt nicht leiden, dass ein Herzog seine Ehre verteidige? Hutten ist nicht meuchelmoerderisch gefallen, wie seine Anhaenger in alle Welt ausgeschrieen haben, sondern im ehrlichen Kampf, worin der Herzog selbst sein Leben einsetzte. Ich will nicht alles verteidigen, was er tat. Aber man soll nur auch bedenken dass ein junger Herr, wie der Herzog, von schlechten Raeten umgeben, nicht immer weise handeln kann Aber er ist gewiss gut, und wenn Du wusstest, wie mild, wie leutselig er sein kann!" "Es fehlt nur noch, dass Du ihn auch noch den schoenen Herzog nennst", sagte Georg bitter laechelnd "Du wirst reichen Ersatz finden fuer den armen Georg, wenn er es der Muehe wert haelt, mein Bild aus Deinem Herzen zu verdraengen." "Wahrlich, dieser kleinlichen Eifersucht habe ich Dich nicht fuer faehig gehalten", antwortete Marie, indem sie sich mit Traenen des Unmuts, im Gefuehl gekraenkter Wuerde, abwandte. "Glaubst Du denn das Herz eines Maedchens koenne nicht auch warm fuer die Sache ihres Vaterlandes schlagen?" "Sei mir nicht boese", bat Georg, der mit Reue und Beschaemung einsah wie ungerecht er sei, "gewiss, es war nur Scherz!" "Und kannst Du scherzen wo es unser ganzes Lebensglueck gilt?" entgegnete Marie. "Morgen will der Vater Ulm verlassen, weil der Krieg entschieden ist! Wir sehen uns vielleicht lange, lange nicht mehr, und Du magst scherzen? Ach, wenn Du gesehen haettest, wie ich so manche Nacht mit heissen Traenen zu Gott flehte, er moege Dein Herz hinueber auf unsere Seite lenken, er moege uns vor dem Unglueck bewahren, auf ewig getrennt zu sein, gewiss Du koenntest nicht so grausam scherzen!" "Er hat es nicht zum Heil gelenkt", antwortete Georg, duester vor sich hinblickend. "Und sollte es nicht noch moeglich sein?" sprach Marie, indem sie seine Hand fasste und mit dem Ausdruck bittender Zaertlichkeit, mit der gewinnenden Sanftmut eines Engels ihm ins Auge sah. "Sollte es nicht noch moeglich sein? Komm mit uns, Georg, wie gerne wird der Vater einen jungen Streiter seinem Herzog zufuehren! Ein Schwert wiegt viel in solchen Zeiten, sagte er oft, er wird es Dir hoch anschlagen, wenn Du ihm folgst, an seiner Seite wirst Du kaempfen, mein Herz wird dann nicht zerrissen nicht geteilt sein zwischen jenseits und diesseits. Mein Gebet, wenn es um Glueck und Sieg fleht, wird nicht zitternd zwischen beiden Heeren irren!" "Halt ein!" rief der Juengling und bedeckte seine Augen, denn der Sieg der Ueberzeugung strahlte aus ihren Blicken, die Gewalt der Wahrheit hatte sich auf ihren suessen Lippen gelagert. "Willst Du mich bereden, ein Ueberlaeufer zu werden? Gestern zog ich mit dem Heer ein, heute wird der Krieg erklaert und morgen soll ich zu dem Herzog hinueberreiten? Kann Dir meine Ehre so gleichgueltig sein?" "Die Ehre?" fragte Marie und Traenen entstuerzten ihrem Auge. "Sie ist Dir also teuerer als Deine Liebe? Wie anders klang es, als mir Georg ewige Treue schwur. Wohlan! Sei gluecklicher mit ihr als mit mir! Aber moege Dir, wenn Dich der Herzog von Bayern auf dem Schlachtfeld zum Ritter schlaegt, weil Du in unsern Fluren am schrecklichsten gewuetet, wenn er Dir ein Ehrenkettlein umhaengt, weil Du Wuerttembergs Burgen am tapfersten gebrochen, moege Dir der Gedanke Deine Freude nicht trueben, dass Du ein Herz brachst, das Dich so treu, so zaertlich liebte!" "Geliebte!" antwortete Georg, dessen Brust widerstreitende Gefuehle zerrissen, "Dein Schmerz laesst Dich nicht sehen wie ungerecht Du bist. Doch es sei; damit Du siehst, dass ich den Ruhm, der mir so freundlich winkte, der Liebe zum Opfer zu bringen weiss, so hoere mich: Hinueber zu Euch darf ich nicht. Aber ablassen will ich von dem Bund, moege kaempfen und siegen wer da will--mein Kampf und Sieg war ein Traum, er ist zu Ende!" Marie sandte einen Blick des Dankes zum Himmel und belohnte die Worte des jungen Mannes mit suessem Lohn "Oh, glaube mir", sagte sie, "ich fuehle, wie viel Dich dieses Opfer kosten muss. Aber sieh mir nicht so traurig an Dein Schwert hinunter. Wer frueh entsagt, der erntet schoen sagt mein Vater; es muss uns doch auch einmal die Sonne des Glueckes scheinen. Jetzt kann ich getrost von Dir scheiden, denn wie auch der Krieg enden mag, Du kannst ja frei vor meinen Vater treten, und wie wird er sich freuen, wenn ich ihm sage, welch' schweres Opfer Du gebracht hast!" Bertas helle Stimme, die der Freundin ein Zeichen gab, dass der Ratsschreiber nicht mehr zurueckzuhalten sei, schreckte die Liebenden auf. Schnell trocknete Marie die Spuren ihrer Traenen und trat mit Georg aus der Laube. "Vetter Kraft will aufbrechen", sagte Berta, "er fragt, ob der Junker ihn begleiten wolle?" "Ich muss wohl, wenn ich den Weg nach Hause nicht verfehlen soll", antwortete Georg. So teuer ihm die letzten Augenblicke vor einer langen Trennung von Marie gewesen waeren, so kannte er doch die strenge Sitte dieser Zeit zu gut, als dass er ohne den Vetter, als Landfremder, bei den Maedchen geblieben waere. Schweigend gingen sie den Garten hinab, nur Herr Dieterich fuehrte das Wort, indem er in wohlgesetzten Worten seinen Jammer beschrieb, dass seine Base morgen schon Ulm verlassen werde. Aber Berta mochte in Georgs Augen gelesen haben, dass ihm noch etwas zu wuenschen uebrigbleibe, wobei der uneingeweihte Zeuge ueberfluessig war. Sie zog den Vetter an ihre Seite und befragte ihn so eifrig ueber eine Pflanze, die gerade zu seinen Fuessen mit ihren ersten Blaettern aus der Erde sprosste, dass er nicht Zeit hatte, zu beobachten, was hinter seinem Ruecken vorging. Schnell benuetzte Georg diesen Augenblick, Marien noch einmal an sein Herz zu ziehen, aber das Rauschen von Mariens schwerem seidenem Gewand, Georgs klirrendes Schwert weckten den Ratsschreiber aus seinen botanischen Betrachtungen Er sah sich um, und oh Wunder! Er erblickte die ernste, zuechtige Base in den Armen seines Gastes. "Das war wohl ein Gruss an die liebe Base in Franken?" fragte er, nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt hatte. "Nein, Herr Ratsschreiber", antwortete Georg, "es war ein Gruss an mich selbst, und zwar von der, die ich einst heimzufuehren gedenke. Ihr habt doch nichts dagegen, Vetter?" "Gott bewahre! Ich gratuliere von Herzen", antwortete Herr Dietrich, der von dem ernsten Blick des jungen Kriegsmannes und von Mariens Traenen etwas eingeschuechtert wurde. "Aber der tausend, das heiss' ich _veni, vidi, vici_. Ich scherwenzte schon ein Vierteljahr um die Schoene und habe mich kaum eines Blickes erfreuen koennen Und heute muss ich nun gar den Marder selbst herausfuehren, der mir das Taeubchen vor dem Mund wegstiehlt." "Verzeih den Scherz, Vetter, den wir uns mit Dir machten", fiel ihm Berta ins Wort, "sei vernuenftig und lass Dir die Sache erklaeren." Sie sagte ihm, was er zu wissen brauchte, um gegen Mariens Vater zu schweigen Durch die freundlichen Blicke Bertas besaenftigt, versprach er zu schweigen unter der Bedingung, setzte er schalkhaft hinzu, dass sie etwa auch einen solchen Gruss an ihn bestelle. Kapitel 8 Ulm glich in den naechsten Tagen einem grossen Lager. Statt der friedlichen Landleute, der geschaeftigen Buerger, die sonst ehrbaren und ruhigen Schrittes ihrem Gewerbe nach durch die Strassen gingen, sah man ueberall nur wunderliche Gestalten mit Sturmhauben und Eisenhueten, mit Lanzen, Armbruesten und schweren Buechsen. Statt der Ratsherren in ihrer einfachen schwarzen Tracht, zogen stolze Ritter mit wehenden Helmbueschen, ganz mit Stahl bedeckt, begleitet von einer grossen Schar bewaffneter Dienstleute, ueber die Plaetze und Maerkte. Noch lebhafter war dies kriegerische Bild vor den Toren der Stadt; auf einem Anger an der Donau uebte Sickingen seine Reiterei, auf einem grossen Blachfeld gegen Soeslingen hin pflegte Frondsberg sein Fussvolk zu tummeln. An einem schoenen Morgen, etwa drei bis vier Tage, nachdem Marie von Lichtenstein mit ihrem Vater Ulm verlassen hatte, sah man eine ungeheure Menge Menschen aus allen Staenden auf jener Wiese versammelt, um diesen Uebungen Frondsbergs zuzusehen. Sie betrachteten diesen Mann, dem ein so grosser Ruf vorangegangen war, vielleicht nicht mit geringerem Interesse als wir, wenn wir die kaiserlichen oder koeniglichen Soehne des Mars die Dienste eines Feldherrn verrichten sahen. Knuepft sich doch ja gerade an die Person eines ausgezeichneten Fuehrers das Interesse, das dem ganzen Heer gilt, ja, wir meinen oft, die Schlachten, von denen uns die Sage oder die oeffentlichen Blaetter erzaehlen, um so deutlicher zu verstehen, wenn wir uns die Gestalt des Heerfuehrers vor das Auge zurueckrufen koennen. So mochte es wohl auch damals den Bewohnern von Ulm zumute sein, wenn sie ihre engen Strassen verliessen, um den Mann des Tages in seinem Handwerk zu sehen. Die Geschicklichkeit, mit der er sein Fussvolk, das sonst in zerstreuten Haufen gefochten hatte, zu geschlossenen Massen vereinigte; die Schnelligkeit, womit sie sich nach seinem Wink nach allen Seiten schwenkten oder in furchtbare, von Piken und Donnerbuechsen starrende Kreise zusammenzogen; seine maechtige Stimme, die selbst die Trommeln uebertoente, seine erhabene, kriegerische Gestalt, dies alles gewaehrte ein so neues, anziehendes Bild, dass auch die bequemsten Buerger es nicht scheuten, einen langen Vormittag auf dem Anger zu stehen und dieses Schauspiel zu geniessen. Der Feldhauptmann schien an diesem Morgen noch freundlicher und froehlicher zu sein als sonst. Mochte ihn der warme Anteil, den die guten Ulmer an ihm nahmen und der auf allen Gesichtern geschrieben stand, erfreuen; mochte ihm hier aussen an dem schoenen Morgen, unter seinen Waffenuebungen, wohler sein als in den engen kalten Strassen der Stadt--er blickte so freundlich auf die Menge hin, dass jeder glaubte, von ihm besonders beachtet und begruesst zu werden, und der Ausruf: "Ein wackerer Herr, ein braver Ritter!" jedem seiner Schritte folgte. Besonders freundlich schien er immer an einer Stelle zu sein; wenn er voruebersprengte, so durfte man gewiss sein, dass er dort mit dem Schwert oder der Hand heruebergruesste und traulich nickte. Die Hintersten stellten sich auf die Zehen, um den Gegenstand seiner freundlichen Winke zu sehen; die Naeherstehenden sahen sich fragend an und verwunderten sich, denn keiner der versammelten Buerger schien dieser Auszeichnung wuerdig. Als Frondsberg wieder voruebersprengte und die Zeichen seiner Gnade wiederholte, gaben wohl hundert Augen recht genau acht, und es fand sich, dass die Gruesse einem grossen, schlanken, jungen Mann gelten mussten, der in der vordersten Reihe der Zuschauer stand. Das Wams von seinem Tuch mit Seidenschlitzen, die hohen Barettfedern, mit welchen der Morgenwind spielte, sein langes Schwert und eine Feldbinde oder Schaerpe zeichneten ihn auf den ersten Blick vor seinen Nachbarn aus, die minder geschmueckt als er, auch durch untersetztere Figuren und breite Gesichter sich nicht zu ihrem Vorteil von ihm unterschieden. Der Juengling schien aber zum Aergernis der guten Spiessbuerger nicht sehr erfreut ueber die hohe Gnade, die ihm vor ihren Augen zuteil wurde. Schon seine Stellung, das Haupt gesenkt, die Arme ueber die Brust gekreuzt, schien nicht anstaendig genug fuer einen feinen Junker, wenn er von einem alten Kriegshelden gegruesst wurde. Ueberdies erroetete er bei jedem Gruss des Feldhauptmanns, dankte nur durch ein leichtes Neigen und sah ihm mit so duesteren Blicken nach, als gaelte es ein langes Scheiden, und dieser Gruss waere der letzte eines lieben Freundes gewesen. Die Uebungen des Fussvolkes waren zu Ende gegangen, das Volk verlief sich, und auch den jungen Mann, der die unschuldige Ursache zu jenem Streit gewesen war, sah man seine Schritte der Stadt zuwenden; sein Gang war langsam und ungleich, sein Gesicht schien bleicher als sonst, seine Blicke suchten noch immer den Boden oder schweiften mit dem Ausdruck von Sehnsucht oder stillem Gram nach den fernen blauen Bergen, den Grenzmauern von Wuerttemberg. Noch nie hatte sich Georg von Sturmfeder so ungluecklich gefuehlt wie in diesen Stunden. Marie war mit ihrem Vater abgereist; sie hatte ihn noch einmal beschwoeren lassen, seinem Versprechen treu zu sein, und wie ungluecklich machte ihn dieses Versprechen! Wohl hatte es ihn damals nicht geringen Kampf gekostet, es zu geben; aber der betaeubende Schmerz des Abschiedes, der Gram des geliebten Maedchens hatten ihn ueberwunden. Doch jetzt, wo er mit festerem Blick seinen Umgebungen, seiner Zukunft ins Auge sah, wie traurig, wie schwierig erschien ihm seine Lage! Nichts davon zu sagen, dass alle seine goldenen Traeume, alle jene kuehnen Hoffnungen von Ruhm und Ehre mit einem Mal verschwanden; nichts davon zu sagen, dass auch sein Ziel, das so nahe lag, Marien durch Kriegsdienste zu verdienen, ungewiss in die Weite hinausgerueckt war--er sollte auf die Gefahr hin, von Maennern, deren Achtung ihm teuer war, verkannt zu werden, diese Fahnen verlassen, gerade in einem Augenblick, wo man der Entscheidung entgegenging, Von Tag zu Tag, so lange es ihm nur moeglich war, verschob er diese Erklaerung, wo sollte er Gruende, wo Worte hernehmen, vor dem alten, tapferen Degen Breitenstein, seinem vaeterlichen Freund, seinen Abzug zu rechtfertigen? Mit welcher Stirn sollte er vor den edlen Frondsberg treten? Ach, jene freundlichen Gruesse, womit er den Sohn seines tapferen Waffengenossen zu freudigem Kampf aufzumuntern schien, hatten ihn mit tausend Qualen gefoltert. An seiner Seite war sein Vater gefallen, er hatte gehoert, wie der Sterbende den Ruhm seines Namens und ein leuchtendes Beispiel als einziges Erbe dem unmuendigen Knaben zusandte; dieser Mann war es, der ihm jetzt so liebevoll die Schranken oeffnete, und auch ihm musste er in so zweideutigem Licht erscheinen. Er hatte sich unter diesen trueben Gedanken langsam dem Tor der Stadt genaehert, als er sich ploetzlich am Arm ergriffen fuehlte; er sah sich um, ein Mann, dem Anschein nach ein Bauer, stand vor ihm. "Was willst Du?", fragte Georg etwas unwillig, in seinen Gedanken unterbrochen zu werden. "Es kommt darauf an, ob Ihr auch der Rechte seid", antwortete der Mann "Sagt einmal, was gehoert zu Licht und Sturm?" Georg wunderte sich ob der sonderbaren Frage und betrachtete jenen genauer. Er war nicht gross, aber kraeftig; seine Brust war breit, seine Gestalt gedrungen. Das Gesicht, von der Sonne braun gefaerbt, waere flach und unbedeutend gewesen, wenn nicht ein eigener Zug von List und Schlauheit um den Mund und aus den grauen Augen Mut und Verwegenheit geleuchtet haetten. Sein Haar und Bart war dunkelgelb und gerollt; er trug einen langen Dolch am ledernen Gurt, in der einen Hand hielt er eine Axt, in der andern eine runde, niedere Muetze aus Leder. Waehrend Georg diese fluechtigen Bemerkungen machte, wurden auch seine Zuege lauernd beobachtet. "Ihr habt mich vielleicht nicht recht verstanden, Herr Ritter", fuhr jener nach kurzem Stillschweigen fort, "was passt zu Licht und Sturm, dass es zwei gute Namen gibt?" "Feder und Stein!" antwortete der junge Mann, dem es auf einmal klar wurde, was unter jener Frage zu verstehen sei. "Was willst Du damit?" "So seid Ihr Georg von Sturmfeder", sagte jener, "und ich komme von Marien von--" "Um Gottes willen, sei still, Freund, und nenne keinen Namen", fiel Georg ein, "sage schnell, was Du mir bringst." "Ein Brieflein, Junker!" sprach der Bauer, indem er die breiten, schwarzen Knieguertel, womit er seine ledernen Beinkleider umwunden hatte, aufloeste und einen Streifen Pergament hervorzog. Mit hastiger Freude nahm Georg das Pergament; es waren wenige Worte mit glaenzend schwarzer Tinte geschrieben: "Bedenk' Deinen Eid--Flieh bei Zeit. Gott Dein Geleit.--Marie Dein in Ewigkeit." Es liegt ein frommer, zarter Sinn in diesen Worten; und wer sich ein liebendes Herz dazu denkt, wie es mit diesen Zeilen in die Ferne fliegen moechte, ein Auge voll Zaertlichkeit, umflort von einem Schleier stiller Traenen, einen holden Mund, der das Blaettchen noch einmal kuesst, verschaemte Wangen, die bei diesem geheimnisvollen Gruss erroeten, wer dies hinzudenkt, der wird es Georg nicht verargen, dass er einige Augenblicke wie trunken war. Ein freudiger, glaenzender Blick, nach den fernen blauen Bergen hin, dankte der Geliebten fuer ihren troestenden Spruch; und wahrlich, er war auch zu keiner anderen Zeit noetiger gewesen als gerade jetzt, um den gesunkenen Mut des jungen Mannes zu erheben. Wusste er doch, dass ein Wesen, das teuerste, das fuer ihn auf der Erde lebte, ihn nicht verkannte. Der Schluss jener Zeilen erhob sein Herz zur alten Freudigkeit, er bot dem guten Boten die Hand, dankte ihm herzlich und fragte, wie er zu diesen Zeilen gekommen sei. "Dacht' ich's doch", antwortete dieser, "dass das Blaettchen keinen boesen Zauberspruch enthalten muesse; denn das Fraeulein laechelte so gar freundlich, als sie es mir in die rauhe Hand drueckte. Es war vergangenen Mittwoch, als ich nach Blaubeuren kam, wo unser Kriegsvolk stand. Es ist dort in der Klosterkirche ein praechtiger Hochaltar, worauf die Geschichte meines Patrons, des Taeufers Johannes, vorgestellt ist. Vor sieben Jahren, als ich in grosser Not und einem schmaehlichen Ende nahe war, gelobte ich alle Jahre um diese Zeit eine Wallfahrt dahin. So hielt ich es alle Jahre seit der Zeit, da mich der Heilige durch ein Wunder von Henkers Hand errettet hat. Wenn ich nun mein Gebet verrichtet hatte, ging ich allemal zum Herrn Abt, um ihm ein Paar schoene Gaense oder ein Lamm zu bringen, oder was er sonst gerade gerne hat.--Aber ich langweile Euch mit meinem Geschwaetz, Junker?" "Nein, nein, erzaehle nur weiter", antwortete Georg, "komm, setze Dich zu mir auf jene Bank." "Das wuerde sich schoen schicken!" entgegnete der Bote, "wenn ein Bauer an des Junkers Seite sitzen wollte, den der Oberfeldhauptmann vor aller Augen so oft gegruesst hat; erlaubt mir, dass ich mich vor Euch hinstelle." Georg liess sich auf einen Steinsitz am Weg nieder, der Bauer aber fuhr, auf seine Axt gestuetzt, in seiner Erzaehlung fort: "Ich hatte diesmal bei den unruhigen Zeiten wenig Lust zur Wallfahrt, aber 'gebrochener Eid tut Gott leid', heisst es, und so musste ich mein Geluebde vollbringen. Wie ich vom Gebet aufstand, um dem Abt zu bringen, was recht ist, sagte mir einer der Pfaffen, dass ich diesmal nicht zu Seiner Ehrwuerden koenne, weil viele Herren und Ritter dort zu Besuch seien. Ich bestand aber doch darauf, denn der Abt ist ein leutseliger Herr und haette mir's nicht verziehen, wenn ich ihn nicht heimgesucht haette. Wenn Ihr je ins Kloster hinauskommt, so vergesst nicht nach der Treppe zu schauen, die vom Hochaltar zum Dorment fuehrt. Sie geht durch die dicke Mauer, welche die Kirche ans Kloster schliesst, und ist lang und schmal. Dort war es, wo mir das Fraeulein begegnet ist. Es kommt mir naemlich ein feines Weibsbild im Schleier mit Brevier und Rosenkranz die Treppe herab entgegen, ich druecke mich an die Wand, um sie vorbeizulassen, sie aber bleibt stehen und spricht: 'Ei, Hans, woher des Wegs?'" "Woher kennt Euch denn das Fraeulein?" unterbrach ihn Georg, "Meine Schwester ist ihre Amme, und--" "Wie, die alte Rose ist Eure Schwester?" rief der junge Mann "Habt Ihr sie auch gekannt?" fragte der Bote. "Ei, seh doch einer! Aber dass ich weiter sage: Ich hatte meine grosse Freude, sie wiederzusehen, denn ich besuchte meine Schwester haeufig in Lichtenstein und habe das Fraeulein gekannt, als man sie noch in ihres Vaters Schwertkuppel gehen lehrte. Aber ich haette sie kaum wieder erkannt, so gross war sie geworden, und die roten Wangen sind auch weg wie der Schnee am ersten Mai. Ich weiss nicht, wie es ging, aber mich dauerte ihr Anblick in der Seele, und ich musste fragen, was ihr fehle und ob ich ihr nicht etwas helfen koenne? Sie besann sich dann eine Weile und sagte dann: 'Ja, wenn Du verschwiegen waerest, Hans, koenntest Du mir wohl einen grossen Dienst leisten!' Ich sagte zu, und sie bestellte mich nach der Vesper." "Aber wie kommt sie nur in das Kloster?" fragte Georg, "Sonst darf ja doch kein Weiberschuh ueber die Schwelle." "Der Abt ist mit ihrem Vater befreundet, und da so viel Volk in Blaubeuren liegt, so ist sie dort besser aufgehoben, als im Staedtchen, wo es toll genug zugeht. Nach der Vesper, als alles still war, kam sie ganz leise in den Kreuzgang. Ich sprach ihr Mut zu, wie es eben unsereins versteht, da gab sie mir dies Blaettchen und bat mich, Euch aufzusuchen." "Ich danke Dir herzlich, guter Hans", sagte der Juengling. "Aber hat sie Dir sonst nichts an mich aufgetragen?" "Ja", antwortete der Bote, "muendlich hat sie mir noch etwas aufgetragen; Ihr sollt Euch hueten, man habe etwas mit Euch vor." "Mit mir?" rief Georg. "Das hast Du nicht recht gehoert, wer und was soll man mit mir vorhaben?" "Da fragt Ihr mich zu viel", entgegnete jener, "aber wenn ich es sagen darf, so glaube ich, die Buendischen. Das Fraeulein setzte noch hinzu, ihr Vater habe davon gesprochen, und hat nicht der Frondsberg Euch heute zugewinkt und Euch geehrt wie des Kaisers Sohn, dass sich jedermann darob verwunderte? Glaubt nur, es hat allemal etwas zu bedeuten, wenn solch ein Herr so freundlich ist." Georg war ueberrascht von der richtigen Bemerkung des schlichten Bauern, er entsann sich auch, dass Mariens Vater tief in die Geheimnisse der Bundesobersten eingedrungen sei und vielleicht etwas erfahren habe, was sich zunaechst auf ihn beziehe. Aber er mochte sinnen, wie er wollte, so konnte er doch nichts finden, was zu dieser geheimnisvollen Warnung Mariens gepasst haette. Mit Muehe riss er sich aus diesem Gewebe von Vermutungen, indem er den Boten fragte, wie er ihn so schnell gefunden habe? "Dies waere ohne Frondsberg so bald nicht geschehen", antwortete er, "ich sollte Euch bei Herrn Dietrich von Kraft aufsuchen. Wie ich aber die Strasse hereinging, da sah man viel Volk auf den Wiesen. Ich dachte, eine halbe Stunde mache nichts aus, und stellte mich auch hin, um das Fussvolk zu betrachten. Wahrlich, der Frondsberg hat es weit gebracht.--Nun, da war mir's, als hoerte ich nahe bei mir Euren Namen nennen, ich sah mich um, es waren drei alte Maenner, die sprachen von Euch und deuteten auf Euch hin; ich aber merkte mir Eure Gestalt und folgte Euren Schritten, und weil ich meiner Sache doch nicht ganz gewiss war, so gab ich Euch das Raetsel von Sturm und Licht auf." "Das hast Du klug gemacht", sagte Georg laechelnd, "aber komm in mein Haus, dass man Dir etwas zu essen reiche; wann kehrst Du wieder heim?" Hans bedachte sich eine Weile, endlich aber sagte er, indem ein schlaues Laecheln um seinen Mund zog: "Nichts fuer ungut, Junker; aber ich habe dem Fraeulein versprechen muessen, nicht eher von Euch zu weichen, als bis Ihr dem buendischen Heer Valet gesagt habt." "Und dann?" fragte Georg. "Und dann gehe ich stracks nach Lichtenstein und bringe ihr die gute Nachricht von Euch; wie wird sie sich sehnen! Alle Tage steht sie wohl im Gaertchen auf dem Felsen und sieht ins Tal hinab, ob der alte Hans noch nicht komme!" "Die Freude soll ihr bald werden", antwortete Georg, "vielleicht schon morgen, und dann schreibe ich vorher noch ein Briefchen." "Aber greift es doch klug an", sagte der Bote, "das Pergament darf nicht breiter sein, als jenes, das ich brachte. Denn ich muss es wieder im Knieguertel verstecken. Man weiss nicht, was einem in so unruhiger Zeit begegnen kann, und dort sucht es niemand." "Es sei so", antwortete Georg, indem er aufstand. "Fuer jetzt lebe wohl, um Mittag komme zu Herrn von Kraft, nicht weit vom Muenster. Gib Dich fuer meinen Landsmann aus Franken aus, denn die Ulmer sind den Wuerttembergern nicht ganz gruen." "Sorgt nicht, Ihr sollt zufrieden sein", rief Hans dem Scheidenden zu. Er sah dem schlanken Juengling nach und gestand sich, dass das holde Pflegekind seiner Schwester keine ueble Wahl getroffen habe, wenn auch die rosigen Wangen des Kindes bei der ersten Liebe der Jungfrau etwas von ihren bluehenden Farben verloren hatten. Kapitel 9 Georg war anfangs bange, wie sich sein neuer Bekannter in dem Kraftschen Haus benehmen werde. Er fuerchtete nicht ohne Grund, jener moechte sich durch seine Mundart, durch unbedachte Aeusserungen verraten, was ihm hoechst unangenehm gewesen waere; denn je fester er bei sich beschlossen hatte, das Bundesheer in den naechsten Tagen zu verlassen, um so weniger wollte er in den Verdacht geraten, in Verbindung mit Wuerttemberg zu stehen. Konnte und durfte er ja doch im schlimmsten Fall, wenn der Bote entdeckt wurde, wenn er bekannte, an ihn geschickt worden zu sein, die Geliebte nicht verraten. Er wollte umkehren und den Mann aufsuchen, ihn bitten; sich so bald als moeglich zu entfernen, aber als er bedachte, dass dieser schon laengst von dem Platz ihrer Unterredung sich entfernt haben muesse, dass er indes zu Kraft kommen koenne, schien es ihm geratener, dahin vorauszueilen; um jenem dort die noetigen Winke zu geben und ihn vor Unvorsichtigkeit zu warnen. Und doch, wenn er sich das kuehne Auge, die kluge, verschlagene Miene des Mannes ins Gedaechtnis rief, glaubte er hoffen zu duerfen; dass Marie, obgleich ihr keine grosse Wahl uebrigblieb, keinem unsicheren Mann diese Botschaft anvertraut habe. Und wirklich traute er seinen Augen, seinen Ohren kaum, als ihm um Mittag ein Landsmann aus Franken gemeldet und sein Liebesbote hereingefuehrt wurde. Welche Gewalt musste dieser Mensch ueber sich haben! Es war derselbe, und doch schien er ein ganz anderer. Erging gebueckt, die Arme hingen schlaff am Koerper herab, selten schlug er die Augen auf, sein Gesicht hatte einen Ausdruck von Bloedigkeit, der Georg ein unwillkuerliches Laecheln abnoetigte. Und als er dann zu sprechen anfing, als er ihn in fraenkischer Mundart begruesste, und mit der gelaeufigen Zunge eines geborenen Franken dem Herrn von Kraft auf seine mancherlei Fragen antwortete, da kam er in Versuchung, an uebernatuerliche Dinge zu glauben, die Maerchen seiner Kindheit stiegen in seinem Gedaechtnis auf, wo ein freundlicher Zauberer oder eine huldreiche Fee in allerlei Gestalten dem Dienst zweier Liebenden sich widmet und sie gluecklich mitten durch das feindselige Schicksal hindurchfuehrt. Der Zauber war zwar bald geloest, als er mit dem Boten auf seinem Zimmer allein war und ihn der gute Schwabe von seiner Persoenlichkeit versicherte; aber doch konnte er ihm seine Verwunderung nicht versagen ueber die Rolle, die er so gut gespielt. "Glaubt deshalb nicht minder an meine Ehrlichkeit", antwortete der Bauer, "man wird oft genoetigt, von Jugend auf durch solche Kuenste sich fortzuhelfen; sie schaden keinem und tun doch dem gut, der sie kann." Georg versicherte, ihm nicht minder zu trauen als vorher, der Bote aber bat dringend, er moechte doch jetzt auch an seine Abreise denken, er moechte bedenken, wie sehr sich das Fraeulein nach dieser Nachricht sehne, dass er nicht frueher heimkehren duerfe, als bis er diese Gewissheit bringen koenne. Georg antwortete ihm, dass er nur noch den Abmarsch des Bundesheeres abwarten wolle, um in seine Heimat zurueckzukehren "Oh, da braucht Ihr nicht mehr lange zu warten", antwortete der Bote, "wenn sie morgen nicht aufbrechen, so ist es uebermorgen, denn das Land ist offen bis ins Herz hinein. Ich darf Euch trauen, Junker, darum sag' ich Euch dies." "Ist es denn wahr, dass die Schweizer abgezogen sind?" fragte Georg, "und dass der Herzog keine Feldschlacht mehr liefern kann?" Der Bote warf einen lauernden Blick im Zimmer umher, oeffnete behutsam die Tuer, und als er sah, dass kein Lauscher in der Naehe sei, begann er: "Herr! Ich war bei einem Auftritt, den ich nie vergesse und wenn ich neunzig Jahre alt werde! Schon unterwegs waren mir auf der Alb grosse Scharen der heimziehenden Schweizer begegnet: Ihre Raete und Landammaenner hatten sie heimgerufen; bei Blaubeuren standen aber noch ueber achttausend Mann; jedoch lauter gute Wuerttemberger und nichts anderes darunter." "Und der Herzog", unterbrach ihn Georg, "wo war denn dieser?" "Der Herzog hatte in Kirchheim zum letzten Mal mit den Schweizern unterhandelt, aber sie zogen ab, weil er sie nicht bezahlen konnte. Da kam er gen Blaubeuren; wo sich sein Landvolk gelagert hatte. Gestern morgen wurde durch Trommelschlag bekanntgemacht, dass sich bis neun Uhr alles Volk auf den Klosterwiesen einstellen solle. Es waren viele Maenner, die dort versammelt waren, aber jeder dachte ein und dasselbe. Seht Junker, der Herzog Ulrich ist ein gestrenger Herr und weiss den Bauer nicht fuer sich zu gewinnen. Die Steuern sind hart, der Jagdfrevel ist scharf und grausam, am Hof aber wird verprasst, was man uns genommen hat. Aber wenn ein solcher Herr im Unglueck ist, da ist es gleich ein anderes Ding. Jetzt fiel uns allen nur ein, dass er ein tapferer Mann und unser ungluecklicher Herzog sei, dem man das Land mit Gewalt entreissen wolle. Es ging ein Gemurmel unter uns, der Herzog wolle eine Schlacht liefern, und jeder drueckte das Schwert fester in der Hand, grimmig schuettelten sie ihre Speere und riefen den Buendlern Verwuenschungen zu. Da kam der Herzog--" "Du sahst den Herzog, Du kennst ihn?" rief Georg neugierig. "Oh sprich, wie sieht er aus?" "Ob ich ihn kenne?" sagte der Bote mit sonderbarem Laecheln. "Wahrhaftig, ich sah ihn, als es ihm nicht wohl war, mich zu sehen Der Herr ist noch ein junger Mann, wenn es viel ist, ist er zweiunddreissig Jahre. Er ist stattlich und kraeftig, und man sieht ihm an, dass er die Waffen zu fuehren weiss. Augen hat er wie Feuer, und es lebt keiner, der ihm lange hineinschaute.--Der Herzog trat in den Kreis, den das bewaffnete Volk geschlossen hatte, und es war Totenstille unter den vielen Menschen. Mit vernehmlicher Stimme sprach er, dass er sich, also verlassen; nimmer zu helfen wuesste. Diejenigen, worauf er gehofft, seien ihm benommen, seinen Feinden sei er ein Spott; denn ohne die Schweizer koenne er keine Schlacht wagen. Da trat ein alter, eisgrauer Mann hervor, der sprach: 'Herr Herzog! Habt Ihr unsern Arm schon versucht, dass Ihr die Hoffnung aufgebt? Schaut, diese alle wollen fuer Euch bluten; ich habe Euch auch meine vier Buben mitgebracht, hat jeder einen Spiess und ein Messer, und so sind hier viele tausend; seid Ihr des Landes so muede, dass Ihr uns verschmaeht?' Da brach dem Ulrich das Herz; er wischte sich Traenen aus dem Auge und bot dem Alten seine Hand. 'Ich zweifle nicht an Eurem Mut', sprach er mit lauter Stimme, 'aber wir sind unserer zu wenig, so dass wir nur sterben koennen, aber nicht siegen. Geht nach Haus, Ihr guten Leute, und bleibt mir treu. Ich muss mein Land verlassen und im bittern Elend sein. Aber mit Gottes Hilfe hoffe ich auch wieder hereinzukommen.' So sprach der Herzog, unsere Leute aber weinten und knirschten mit den Zaehnen und zogen in Trauer und Unmut ab." "Und der Herzog?" fragte Georg. "Von Blaubeuren ist er weggeritten, wohin weiss man nicht. In den Schloessern aber liegt die Ritterschaft, sie zu verteidigen; bis der Herzog vielleicht andere Hilfe bekommt." Der alte Johann unterbrach hier den Boten und meldete, dass der Junker auf zwei Uhr in den Kriegsrat beschieden sei, der in Frondsbergs Quartier gehalten werde; Georg war nicht wenig erstaunt ueber diese Nachricht; was konnte man von ihm im Kriegsrat wollen? Sollte Frondsberg schon ein Mittel gefunden haben; ihn zu empfehlen? "Nehmt Euch in acht, Junker", sprach der Bote, als der alte Johann das Gemach verlassen hatte, "und bedenkt das Versprechen, das Ihr dem Fraeulein gegeben; vor allem erinnert Euch, was sie Euch sagen liess: Ihr sollt Euch hueten, weil man etwas mit Euch vorhabe. Mir aber erlaubt, als Euer Diener in diesem Haus zu bleiben; ich kann Euer Pferd besorgen und bin zu jedem Dienst erboetig." Georg nahm das Anerbieten des treuen Mannes mit Dank an; und Hans trat auch sogleich in seinen Dienst, denn er band seinem jungen Herrn das Schwert um und setzte ihm das Barett zurecht. Er bat ihn noch unter der Tuer, seines Schwures und jener Warnung eingedenk zu sein. Dem unbegreiflichen Ruf in den Kriegsrat und der sonderbar zutreffenden Warnung Mariens nachsinnend, ging Georg dem bezeichneten Haus zu; man wies ihn dort eine breite Wendeltreppe hinan, wo er im ersten Zimmer rechts die Kriegsobersten versammelt finden sollte. Aber der Eingang in dieses Heiligtum wurde ihm nicht so bald verstattet; ein alter baertiger Kriegsmann fragte, als er die Tuer oeffnen wollte, nach seinem Begehr und gab ihm den schlechten Trost, es koenne hoechstens noch eine halbe Stunde dauern, bis er vorgelassen werde; zugleich ergriff er die Hand des jungen Mannes und fuehrte ihn einen schmalen Gang hindurch, nach einem kleinen Gemach, wo er sich einstweilen gedulden sollte. Wer je in besorgter Erwartung einsam und allein auf der Marterbank eines Vorzimmers sass, der kennt die Qual die Georg in jener Stunde auszustehen hatte. Da geht endlich eine Tuer, gewichtige Schritte kommen den Gang herauf, die Klinke der Tuer bewegt sich nach langer Zeit wieder. "Georg von Frondsberg laesst Euch seinen Gruss vermelden", sprach der alte Kriegsmann, der nach so langer Zeit wieder zu Georg kam, "es koenne vielleicht noch eine Weile dauern, doch sei dies ungewiss, darum sollt Ihr hierbleiben. Er schickt Euch hier einen Krug Wein zum Vespern." Der Diener setzte den Wein auf den breiten Fenstersims des Zimmers, denn ein Tisch war nicht vorhanden und verliess das Gemach. Georg sah ihm staunend nach; er haette dies nicht fuer moeglich gehalten; ueber eine Stunde war schon vergangen, und noch nicht? Er griff zu dem Wein; er war nicht uebel, aber wie konnte ihm in seiner traurigen Einsamkeit das Glas munden? Kein Wunder daher, dass Georg, als er nach zwei toedlich langen Stunden in den Kriegsrat abgeholt wurde, nicht in der besten Laune war. Er folgte schweigend dem ergrauten Fuehrer, der ihn hierher geleitet hatte, den langen Gang hin An der Tuer wandte sich jener um und sagte freundlich: "Verschmaeht den Rat eines alten Mannes nicht, Junker, und legt die trotzige, finstere Miene ab; es tut nicht gut bei den strengen Herren da drinnen." Georg war in dem Augenblick zuwenig Herr ueber sich, als dass er den wohlgemeinten Rat haette befolgen koennen; er dankte ihm durch einen Haendedruck, ergriff dann rasch die gewaltige eiserne Tuerklinke, und die schwere eichene Zimmertuer drehte sich aechzend auf. Um einen grossen, schwerfaelligen Tisch sassen acht aeltliche Maenner, die den Kriegsrat des Bundes bildeten. Einige davon kannte Georg. Joerg Truchsess, Freiherr von Waldburg, nahm als Oberster Feldleutnant den obersten Platz am Tisch ein, zu beiden Seiten von ihm sassen Frondsberg und Franz von Sickingen, von den uebrigen kannte er keinen ausser den alten Ludwig von Hutten; aber die Chronik hat uns ihre Namen treulich aufbewahrt; es sassen dort noch Christoph Graf zu Ortenberg, Alban von Closen; Christoph von Frauenberg und Diepolt von Stein, bejahrte, im Heer angesehene Maenner. Georg war an der Tuer stehengeblieben, Frondsberg aber winkte ihm freundlich, naeher zu kommen. Er trat bis an den Tisch und ueberschaute nun mit dem freien kuehnen Blick, der ihm so eigen war, die Versammlung. Aber auch er wurde von den Versammelten beobachtet, und es schien, als faenden sie Gefallen an dem schoenen, hochgewachsenen Juengling, denn mancher Blick ruhte mit Wohlwollen auf ihm, einige nickten ihm sogar freundlich zu. Der Truchsess von Waldburg hob endlich an "Georg von Sturmfeder, wir haben uns sagen lassen, Ihr seid auf der Hochschule in Tuebingen gewesen, ist dem so?" "Ja, Herr Ritter", antwortete Georg. "Seid Ihr in der Gegend von Tuebingen genau bekannt?" fuhr jener fort. Georg erroetete bei dieser Frage; er dachte an die Geliebte, die ja nur wenige Stunden von jener Stadt entfernt auf ihrem Lichtenstein war; doch fasste er sich bald und sagte: "Ich kam zwar nicht viel auf die Jagd, auch habe ich sonst die Gegend wenig durchstreift, doch ist sie mir im allgemeinen bekannt." "Wir haben beschlossen", fuhr Truchsess fort, "einen sicheren Mann in jene Gegend zu schicken, auszukundschaften, was der Herzog von Wuerttemberg bei unserem Anzug tun wird. Es soll auch ueber die Befestigung des Schlosses Tuebingen, ueber die Stimmung des Landvolkes in jener Gegend genaue Nachricht eingezogen werden; ein solcher Mann kann dem Wuerttemberger durch Klugheit und List mehr Abbruch tun als hundert Reiter, und wir haben--Euch dazu ausersehen." "Mich?" rief Georg voll Schrecken. "Euch, Georg von Sturmfeder; zwar gehoert Uebung und Erfahrung zu einem solchen Geschaeft, aber was Euch daran abgeht, moege Euer Kopf ersetzen." Man sah dem Juengling an, dass er einen heftigen Kampf mit sich kaempfte. Sein Gesicht war bleich, sein Auge starr, seine Lippen fest zusammengepresst. Die Warnung Mariens war ihm jetzt auf einmal klar; aber wie fest er auch bei sich beschloss, den Antrag auszuschlagen, wie erwuenscht beinahe diese Gelegenheit erschien; um dem Bund zu entsagen; so kam ihm die Entscheidung doch zu ueberraschend, er scheute sich, vor den beruehmten Maennern seinen Entschluss auszusprechen. Der Truchsess rueckte ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her, als der junge Mann so lange mit seiner Antwort zoegerte: "Nun? Wird's bald? Warum besinnt Ihr Euch so lange?" rief er ihm zu. "Verschont mich mit diesem Auftrag", sagte Georg nicht ohne Zagen, "ich kann, ich darf nicht." Die alten Maenner sahen sich erstaunt an, als trauten sie ihren Ohren nicht. "Ihr duerft nicht, Ihr koennt nicht?" wiederholte Truchsess langsam, und eine dunkle Roete, der Vorbote seines aufsteigenden Zornes, lagerte sich auf seiner Stirn und um seine Augen. Georg sah, dass er sich in seinen Ausdruecken uebereilt habe; er sammelte sich und sprach mit freierem Mut: "Ich habe Euch meine Dienste angeboten, um ehrlich zu fechten; nicht aber um mich in Feindesland zu schleichen und hinterruecks nach seinen Gedanken zu spaehen. Es ist wahr, ich bin jung und unerfahren, aber so viel weiss ich doch, um mir von meinen Schritten Rechenschaft geben zu koennen; und wer von Euch der Vater eines Sohnes ist, moechte ihm zu seiner ersten Waffentat raten, den Kundschafter zu machen?" Der Truchsess zog die dunklen, buschigen Augenbrauen zusammen und schoss einen durchdringenden Blick auf den Juengling, der so kuehn war, anderer Meinung zu sein als er. "Was faellt Euch ein, Junker!" rief er. "Eure Reden helfen Euch jetzt nichts, es handelt sich nicht darum, ob es sich mit Eurem kindischen Gewissen vertraegt, was wir Euch auftragen; es handelt sich um Gehorsam, wir wollen es, und Ihr muesst!" "Und ich will nicht!" entgegnete ihm Georg mit fester Stimme. Er fuehlte, dass mit dem Zorn ueber Waldburgs beleidigenden Ton sein Mut von Minute zu Minute wuchs, er wuenschte sogar, der Truchsess moechte noch weiter in seinen Reden fortfahren, denn jetzt glaubte er sich jeder Entscheidung gewachsen. "Ja freilich, freilich!" lachte Waldburg in bitterem Grimm. "Das Ding hat Gefahr, so allein im Feindesland herumzureiten Ha! Ha! Da kommen die Junker von Habenichts und Binnichts und bieten mit grossen Worten und erhabenen Gesichtern ihren Kopf und ihren tapferen Arm an, und wenn es drauf und dran kommt, wenn man etwas von ihnen haben will, so fehlt es an Herz. Doch Art laesst nicht von Art, der Apfel faellt nicht weit vom Stamm--und wo nichts ist, da hat der Kaiser das Recht verloren." "Wenn dies eine Beleidigung fuer meinen Vater sein soll", antwortete Georg erbittert, "so sitzen hier Maenner, die ihm bezeugen koennen, dass er in ihrem Gedaechtnis als ein Tapferer lebt. Ihr muesst viel getan haben in der Welt, dass Ihr Euch herausnehmt, auf andere so tief herabzusehen!" "Soll ein solcher Milchbart mir vorschreiben, was ich reden soll?" unterbrach ihn Waldburg. "Was braucht es da das lange Schwatzen? Ich will wissen, Junkerlein, ob Ihr morgen Euer Pferd satteln und Euch nach unseren Befehlen richten wollt oder nicht!" "Herr Truchsess", antwortete Georg mit mehr Ruhe, als er sich selbst zugetraut hatte, "Ihr habt durch Eure scharfen Reden nichts gezeigt, ausser dass Ihr kaum wisst, wie man mit einem Edelmann, der dem Bund seine Dienste anbot, wie man mit dem Sohn eines tapferen Vaters sprechen muesse. Ihr habt aber als Oberster dieses Rates im Namen des Bundes zu mir gesprochen und mich so tief beleidigt, als ob ich Euer aergster Feind waere, darum kann ich nichts tun als, wie Ihr selbst befehlt, mein Ross satteln, aber gewiss nicht zu Eurem Dienst. Es ist mir nicht laenger Ehre, diesen Fahnen zu folgen nein, ich sage mich los und ledig von Euch fuer immer; gehabt Euch wohl!" Der junge Mann hatte mit Nachdruck und Festigkeit gesprochen und wandte sich zu gehen. "Georg", rief Frondsberg, indem er aufsprang, "Sohn meines Freundes!" "Nicht so rasch, Junker", riefen die uebrigen und warfen missbilligende Blicke auf Waldburg; aber Georg war, ohne sich umzusehen, aus dem Gemach geschritten, die eiserne Klinke schlug klirrend ins Schloss und die gewaltigen Fluegel der eichenen Pforte lagerten sich zwischen ihn und den wohlmeinenden Nachruf der besser gesinnten Maenner; sie schieden Georg von Sturmfeder auf ewig vom schwaebischen Bund. Kapitel 10 Georg fuehlte sich leichter, als er auf seinem Zimmer ueber das Vorgefallene nachdachte. Jetzt war ja entschieden, was zu entscheiden er so lange gezoegert hatte, entschieden auf eine Weise, wie er sie besser nicht haette wuenschen koennen. So hatte er jetzt einen guten Grund, das Heer sogleich zu verlassen, und der Oberst-Feldleutnant musste die Schuld sich selbst beimessen. Wie schnell hatte sich doch alles in den vier Tagen gewendet; wie verschieden waren die Gesinnungen, mit denen er in diese Stadt einzog, von denen, die ihn aus ihren Mauern hinaustrieben! Damals, als der Donner der Geschuetze, der feierliche Klang aller Glocken, die lockenden Toene der Trompeten ihn begruessten, wie schlug da sein Herz dem Kampf entgegen, um Marien zu verdienen! Und als er das erste Mal vor jenen Frondsberg gefuehrt wurde, wie erhebend war der Gedanke, unter den Augen dieses Mannes zu streiten, aus seinem Mund sich Ruhm zu erwerben!--Und wie erkaltete bald darauf sein Eifer, als der Bund in seinen Augen jenen Glanz verlor, mit welchem ihn seine jugendliche Phantasie umgeben hatte; wie schaemte er sich, sein Schwert fuer die zu ziehen, die, nur von Eigennutz und Habgier getrieben, das schoene Land sich zur Beute ausersehen hatten! Wie schrecklich war ihm der Gedanke, Marie und die Ihrigen auf der feindlichen Seite zu wissen, treu ergeben dem ungluecklichen Fuersten, den auch er aus seinen Grenzen zu jagen helfen sollte? Um eine solche Sache sollte er jenes teure Herz brechen, das unter jedem Wechsel treu fuer ihn schlug? "Nein! Du hast es wohl mit mir gemeint", sprach er, indem sein Auge dem Strahl der Abendsonne, der durch die runden Scheiben hereinfiel, hinauf zu dem blauen Himmel folgte, "Du hast es wohl mit mir gemeint; was jedem anderen, der heute an meiner Stelle stand, zum Verderben gewesen waere, hast Du fuer mich zum Heil gelenkt!" Jene Heiterkeit, die, seit er wusste, wie furchtbar sich das Geschick zwischen ihn und die Geliebte stellte, einem trueben Ernst gewichen war, kehrte wieder auf seine Stirn, um seinen Mund zurueck; er sang sich ein frohes Lied, wie in seinen frohesten Augenblicken. Erstaunt betrachtete ihn der eintretende Herr von Kraft. "Nun, das ist doch sonderbar", sagte er, "ich eile nach Haus, um meinen Gast in seinem gerechten Schmerz zu troesten und finde ihn so froehlich wie nie; wie reime ich das zusammen?" "Habt Ihr noch nie gehoert, Herr Dietrich", entgegnete Georg, der es fuer geratener hielt, seine Froehlichkeit zu verbergen, "habt Ihr nie gehoert, dass man auch aus Zorn lachen und singen kann?" "Gehoert hab' ich es schon, aber gesehen nie bis zu diesem Augenblick", antwortete Kraft. "Nun, und Ihr habt also auch schon von der verdriesslichen Geschichte gehoert?" fragte Georg. "Man erzaehlt es sich gewiss schon auf allen Strassen?" "Oh nein", antwortete der Ratsschreiber, "man weiss nirgends etwas davon, man haette ja zugleich Eure geheime Sendung nach Wuerttemberg damit ausposaunen muessen. Nein! Ich habe, Gott sei Dank, so meine eigenen Quellen und erfahre manches noch in der Stunde, wo es getan oder gesprochen wurde. Aber nehmt mir's nicht uebel, Ihr habt da einen dummen Streich gemacht!" "So", antwortete Georg laechelnd, "und warum denn?" "Bot sich Euch nicht die schoenste Gelegenheit, Euch auszuzeichnen? Wem waeren die Bundesobersten mehr Dank schuldig als--" "Sagt es nur heraus", unterbrach ihn Georg "als dem Kundschafter in des Feindes Ruecken. Es ist nur schade, dass mein Vater und die Ehre meines Namens mich vor und nicht hinter den Feind bestimmt haben, es sei denn, dass er vor mir fliehe." "Dies sind Bedenklichkeiten, die ich nicht bei Euch gesucht haette. Wahrlich, wenn ich so bekannt in jener Gegend waere wie Ihr, man haette es mir nicht zweimal sagen duerfen." "Ihr habt hierzulande vielleicht andere Grundsaetze ueber diesen Punkt" sagte Georg nicht ohne Spott, "als wir in unserem Franken, das haette Truchsess von Waldburg bedenken und einen Ulmer schicken sollen." "Ihr bringt mich da eben noch recht auf etwas anderes. Der Oberfeldleutnant! Wie habt ihr ihn Euch so zum Feind machen moegen, denn dass dieser Euch das Geschehene in seinem Leben nicht verzeiht, duerft Ihr gewiss sein." "Das ist mein geringster Kummer", antwortete Georg "aber eines tut mir weh, dass ich den uebermuetigen, der schon meinem Vater Boeses getan, wo er konnte, nicht vor meine Klinge stellen und ihm zeigen kann, dass der Arm nicht so ganz zu verachten ist, den er heute von sich gestossen hat." "Um Gottes willen", fiel Kraft ein, "sprecht nicht so laut, er koennte es hoeren. Ueberhaupt muesst Ihr Euch sehr zusammennehmen, wenn Ihr ferner im Heer unter ihm dienen wollt." "Ich will den Herrn Truchsess von meinem verhassten Anblick bald befreien. So Gott will, habe ich die Sonne zum letzten Mal in Ulm untergehen sehen." "So waere es wahr", fragte Herr von Kraft mit Staunen, "was man noch dazu setzte und was ich nicht glauben konnte: Georg von Sturmfeder wolle wegen dieser Kleinigkeit unsere gute Sache verlassen?" "Verletzung der Ehre ist nirgends eine Kleinigkeit", antwortete Georg ernst, "am wenigsten bei einem Stand wie dem unsrigen. Was aber Eure gute Sache betrifft, so habe ich nachgerade eingesehen, dass ich weder fuer eine gute Sache noch fuer eine gute Meinung, sondern fuer ein paar grosse Herren und fuer ein paar Mauern voll Spiessbuerger mich schlagen sollte." Der unangenehme Eindruck, den besonders die letzten Worte auf den Ratsschreiber machten, entging ihm nicht, er fuhr daher, indem er seine Hand ergriff und drueckte, ruhiger fort: "Nehmt mir meine scharfen Worte nicht uebel, mein freundlicher Wirt, weiss Gott, ich habe Euch nicht damit beleidigen wollen. Aber aus Eurem eigenen Mund habe ich die Gesinnungen und Zwecke der verschiedenen Parteien in diesem Heer erfahren. Schreibt es Euch selbst zu, wenn ich meinen eigenen Weg einschlage, da Ihr mir die Binde von den Augen genommen habt." "Ihr habt so unrecht gerade nicht, guter Junker. Es wird bunt hergehen, wenn die Herren erst das schoene Land da drueben unter sich teilen. Aber da habe ich gedacht, es geht ja in einem hin, Ihr koenntet Euch auch Euer Scherflein dabei verdienen. Man sagt, Ihr duerft es mir aber nicht uebelnehmen, Euer Haus sei etwas herabgekommen, das meinte ich--" "Nichts davon!" fiel Georg rasch ein, geruehrt von der Gutmuetigkeit seines Gastfreundes. "Das Haus meiner Vaeter zerfaellt, unsere Tore haengen auf gebrochenen Angeln, auf der Zugbruecke waechst Moos, und auf dem hohen Wartturm hausen Eulen. In fuenfzig Jahren steht vielleicht noch ein Turm oder ein Maeuerchen und erinnert den Wanderer, dass hier einst ein ritterliches Geschlecht hauste. Aber wenn auch die morschen Mauern ueber mir zusammenstuerzen und den letzten meines Stammes unter ihren Truemmern begraben, niemand soll von mir sagen: Ich habe fuer ungerechtes Gut das Schwert meines Vaters gezogen." "Jeder nach seiner Weise", antwortete Dietrich, "es klingt dies alles recht schoen; aber ich fuer meinen Teil wuerde mir schon etwas gefallen lassen, um mein Haus anstaendig und wohnlich wiederherzustellen.-- Moegt Ihr uebrigens Euren Entschluss aendern oder nicht, auf jeden Fall hoffe ich, werdet Ihr es Euch noch einige Tage bei mir gefallen lassen." "Ich erkenne Eure Guete", antwortete Georg, "aber Ihr seht, dass ich unter den gegenwaertigen Umstaenden nichts mehr in dieser Stadt zu tun habe. Ich gedenke mit Anbruch des Morgens zu reiten." "Nun, und man kann Euch Groesse mitgeben?" fragte der Ratsschreiber mit ueberaus schlauem Laecheln. "Ihr reitet doch den naechsten Weg nach Lichtenstein?" Der junge Mann erroetete bis an die Stirn hinauf. Es war zwischen ihm und seinem Gastfreund seit Mariens Abreise dieser Gegenstand noch nicht zur Sprache gekommen, um so mehr ueberraschte ihn jetzt die schlaue Frage seines Gastfreundes. "Ich sehe", sagte er, "dass Ihr mich noch immer falsch versteht. Ihr glaubt, ich habe dem Bund nur deswegen den Ruecken zugewandt, um mich an die Feinde anzuschliessen? Wie moegt Ihr nur so schlimm von mir denken?" "Ach, geht mir doch!" entgegnete der kluge Ratsschreiber. "Niemand anders als mein reizendes Baeschen hat Euch von uns abwendig gemacht. Ihr haettet wohl zu allem, was der Bund getan, ein Auge zugedrueckt, wenn der alte Lichtenstein auch mitgemacht haette. Nun er auf der anderen Seite steht, glaubt Ihr auch schnell umsatteln zu muessen!" Georg mochte sich verteidigen, wie er wollte, der Ratsschreiber war zu fest von seiner eigenen Klugheit ueberzeugt, als dass er sich diese Meinung haette ausreden lassen. Er fand diesen Schritt auch ganz natuerlich und sah nichts Boeses oder Unehrliches darin. Mit einem herzlichen Gruss an die Base in Lichtenstein verliess er das Zimmer seines Gastes. Doch auf der Schwelle wandte er sich noch einmal um. "Fast haette ich das Wichtigste vergessen", sagte er, "ich begegnete Georg von Frondsberg auf der Strasse. Er laesst Euch bitten, heute abend noch zu ihm in sein Haus zu kommen." Georg hatte sich zwar selbst vorgestellt, dass ihn Frondsberg nicht ohne Abschied werde ziehen lassen, und doch war ihm bange vor dem Anblick dieses Mannes, der es so gut mit ihm gemeint und dessen freundliche Plaene er so schnell durchkreuzt hatte. Er schnallte unter den Gedanken an diesen schweren Gang sein Schwert um und wollte eben seinen Mantel zurechtlegen, als ein sonderbares Geraeusch von der Treppe her seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Schwere Tritte vieler Menschen naeherten sich seiner Tuer, er glaubte Schwerter und Hellebarden auf dem Estrich seines Vorsaales klirren zu hoeren. Er machte schnell einige Schritte gegen die Tuer, um sich von dem Grund seiner Vermutung zu ueberzeugen. Aber noch ehe er die Tuer erreicht hatte, ging diese auf. Das matte Licht einiger Kerzen liess ihn mehrere bewaffnete Kriegsknechte sehen, die seine Tuer umstellt hatten. Jener alte Kriegsmann, der ihn heute vor dem Kriegsrat empfangen hatte, trat aus ihrer Mitte hervor. "Georg von Sturmfeder!" sprach er zu dem Juengling, der mit Staunen zuruecktrat. "Ich nehme Euch auf Befehl eines hohen Bundesrates gefangen." "Mich? Gefangen?" rief Georg mit Schrecken "Warum? Wessen beschuldigt man mich denn?" "Das ist nicht meine Sache", antwortete der Alte muerrisch, "doch wird man Euch vermutlich nicht lange in Ungewissheit lassen. Jetzt aber seid so gut und reicht mir Euer Schwert und folgt mir auf das Rathaus." "Wie? Euch soll ich mein Schwert geben?" entgegnete der junge Mann mit dem Zorn beleidigten Stolzes. "Wer seid Ihr, dass Ihr mir meine Waffen abfordern koennt? Da muss der Rat ganz andere Leute schicken als Euch, so viel verstehe ich auch von Eurem Handwerk!" "Um Gottes willen, gebt doch nach" rief der Ratsschreiber, der sich bleich und verstoert an seine Seite gedraengt hatte. "Gebt nach! Widerstand kann Euch wenig nuetzen. Ihr habt es mit dem Truchsess zu tun", fluesterte er heimlicher. "Das ist ein boeser Feind, bringt ihn nicht noch aerger gegen Euch auf." Der alte Kriegsmann unterbrach die Einfluesterungen des Ratsschreibers. "Es ist wahrscheinlich das erste Mal, Junker", sagte er, "dass Ihr in Haft genommen werdet, deswegen verzeihe ich Euch gerne die unziemlichen Worte gegen einen Mann, der oft in einem Zelt mit Eurem Vater schlief. Euer Schwert moegt Ihr auch immerhin behalten. Ich kenne diesen Griff und diese Scheide und habe den Stahl, den sie verschliesst, manchen ruehmlichen Kampf ausfechten sehen Es ist loeblich, dass Ihr viel darauf haltet und es nicht in jede Hand kommen lassen moegt. Aber aufs Rathaus muesst Ihr mit, denn es waere toericht, wenn Ihr der Gewalt Trotz bieten wolltet." Der Juengling, dem alles wie ein Traum erschien, ergab sich schweigend in sein Schicksal, er trug dem Ratsschreiber heimlich auf, zu Frondsberg zu gehen und diesen von seiner Gefangenschaft zu unterrichten. Er wickelte sich tiefer in seinen Mantel, um auf der Strasse bei diesem unangenehmen Gang nicht erkannt zu werden, und folgte dem ergrauten Fuehrer und seinen Landsknechten. Kapitel 11 Der Trupp, den Gefangenen in der Mitte, bewegte sich schweigend dem Rathaus zu. Nur eine einzige Fackel leuchtete ihnen voran, und Georg dankte dem Himmel, dass sie nur sparsame Helle verbreitete; denn er glaubte, alle Menschen, die ihm begegneten, muessten es ihm ansehen, dass er ins Gefaengnis gefuehrt werde. Naechst diesem beschaeftigte ihn unterwegs vorzueglich ein Gedanke: Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er in ein Gefaengnis gefuehrt wurde, er dachte daher nicht ohne Grauen an einen feuchten, unreinlichen Kerker. Das Burgverlies in seinem alten Schloss, das er als Knabe einmal besucht hatte, kam ihm immer vor das Auge. Er war einige Male im Begriff, seinen Fuehrer darueber zu befragen, doch draengte der Gedanke, man moechte es fuer kindische Furcht ansehen, seine Frage immer wieder zurueck. Nicht wenig war er daher ueberrascht, als man ihn in ein geraeumiges, schoenes Zimmer fuehrte, das zwar nicht sehr wohnlich aussah, denn es enthielt nur eine leere Bettstelle und einen ungeheuren Kamin, aber im Vergleich mit den Bildern seiner Phantasie eher einem Prunkgemach als einem Gefaengnis glich. Der alte Kriegsmann wuenschte dem Gefangenen gute Nacht und zog sich mit seinen Knechten zurueck. Ein kleiner hagerer, aeltlicher Mann trat ein: Der grosse Schluesselbund, welcher an seiner Seite hing und jeden seiner Schritte wie mit Kettengerassel bezeichnete, gab ihn als den Ratsdiener oder Schliesser kund. Er legte schweigend einige grosse Scheiter Holz ins Kamin, und bald loderte ein behagliches Feuer auf, das dem jungen Mann in der kalten Maerznacht sehr zustatten kam. Auf die Bretter der breiten leeren Bettstelle breitete der Schliesser eine grosse, wollene Decke, und das erste Wort, das Georg aus seinem Mund hoerte, war die freundliche Einladung an den Gefangenen sich's bequem zu machen. Die harten Brettchen, nur mit einer duennen Decke ueberlegt, mochten nun freilich nicht sehr einladend aussehen, doch lobte Georg die Bemuehungen des Alten und sein Gefaengnis. "Das ist halt die Ritterhaft", belehrte ihn der Schliesser. "Die fuer den gemeinen Mann ist unter der Erde und nicht so schoen, doch ist sie dafuer desto besuchter." "Hier war wohl seit langer Zeit niemand?" fragte Georg, indem er das oede Gemach musterte. "Der letzte war vor sieben Jahren ein Herr von Berger, er ist in jenem Bett verschieden. Gott sei seiner armen Seele gnaedig! Es schien ihm aber hier zu gefallen, denn er ist schon in mancher Mitternacht aus seiner Bahre heraufgestiegen, um sein altes Zimmer zu besuchen." "Wie?" sagte Georg laechelnd. "Hierher soll er sich nach seinem Tod noch bemueht haben?" Der Schliesser warf einen scheuen Blick in die Ecken des Zimmers, die von dem unruhigen Flackern des Kaminfeuers kaum erhellt, sich bald vor-, bald zurueckzudraengen schienen. Er legte das Holz zurecht und brummte: "Man spricht so mancherlei." "Und auf jener Decke ist er verschieden?" rief Georg, den bei allem jugendlichen Mut doch ein unwillkuerlicher Schauder ueberlief. "Ja, Herr!" fluesterte der Schliesser leise, "dort auf jener Decke ist er abgefahren. Gott gebe, dass es nicht tiefer als ins Fegefeuer ging. Wir nennen deswegen die Decke nur das Leichentuch, das Zimmer aber heisst des Ritters Totenkammer!" Mit leisen Schritten, als fuerchte er, durch jeden Laut den Toten zu erwecken, schlich er aus dem Gemach, desto vernehmlicher rauschten aussen seine Schluessel im Tuerschloss, als feierten sie seinen Triumph, einem greulichen Spuk entflohen zu sein. "Also auf dem Leichentuch in des Ritters Totenkammer?" dachte Georg, und fuehlte, wie sein Herz lauter pochte. Er war daher unschluessig, ob er sich auf das Leichentuch legen sollte oder nicht. Aber er sah keinen Stuhl, keine Bank in der ganzen Totenkammer; der Boden, mit Backsteinen zierlich ausgelegt, war noch kaelter als das kalte feuchte Leichentuch. Er begann sich dieser Untersuchungen, dieses Zoegerns zu schaemen, und bald nahm ihn das gastliche Lager des Verstorbenen auf. Auch das haerteste Lager ist weich fuer den, der mit gutem Gewissen zur Ruhe geht. Georg hatte sein Nachtgebet gesprochen und war bald entschlummert. Aber aus dem Leichentuch stiegen wunderliche Traeume auf und lagerten sich bange ueber den jungen Mann. Er sah deutlich wie der alte Schliesser zu dem grossen Schluesselloch hereinguckte und sich segnete, dass er auf der anderen Seite der Tuer stehe, denn in der Totenkammer begann es, recht unheimlich zu werden. Es fing an, wunderlich umherzurauschen, auf den Backsteinen schlurften alte Sohlen in haesslichen Toenen. Georg glaubte zu traeumen; er ermannte sich, er horchte, er horchte wieder, aber es war keine Taeuschung. Schwere Tritte toenten im Gemach. Jetzt wurde das Feuer heller angeschuert. Der ungewisse Schein der Flamme spielte um eine grosse, dunkle Gestalt. Sie bewegte sich, der Weg vom Kamin zum Bett war gar nicht weit. Die Schritte kommen naeher, das Leichentuch wird angefasst und geschuettelt. Georg, von unabwendbarer Furcht befallen, drueckt die Augen zu, aber als die Decke gerade neben seinem Haupt gefasst wurde, als eine kalte, schwere Hand sich auf seine Stirn legte, da riss er sich los aus seiner Angst, er sprang auf und mass mit ungewissen Blicken jene dunkle Gestalt, die jetzt dicht vor ihm stand. Hell flackerten die Flammen im Kamin, sie beleuchteten die wohlbekannten Zuege von Frondsberg. "Ihr seid es, Herr Feldhauptmann?" rief Georg, indem er freier atmete und seinen Mantel zurechtlegte, um den Ritter nach Wuerde zu empfangen. "Bleibt, bleibt", sagte jener und drueckte ihn sanft auf sein Lager nieder. "Ich setze mich zu Euch auf das Bett, und wir plaudern noch ein halbes Stuendchen, denn es ist auf allen Glocken erst neun Uhr, und in Ulm schlaeft noch niemand als dieser Sprudelkopf, den man zur Abkuehlung heute nacht recht hart gebettet hat." Er fasste Georgs Hand und setzte sich zu seinen Fuessen auf das Bett. "Oh wie kann ich diese milde Nachsicht verdienen!" sprach Georg, "Stehe ich nicht in Euren Augen als ein Undankbarer da, der Euer Wohlwollen zurueckstoesst, und was Ihr guetig fuer ihn ausgesonnen mit rauher Hand zerreisst?" "Nein mein junger Freund!" antwortete der freundliche Mann. "Du stehst vor meinen Augen als der echte Sohn Deines Vaters. Gerade so schnell fertig mit Lob und Tadel, mit Entschluss und Rede war er. Dass er ein Ehrenmann dabei war, weiss ich wohl, aber ich weiss auch, wie ungluecklich ihn sein schnelles Aufbrausen, sein Trotz, den er fuer Festigkeit ausgab, machten." "Aber sagt selbst, edler Herr!" entgegnete Georg. "Konnte ich heute anders handeln? Hatte mich nicht der Truchsess aufs Aeusserste gebracht?" "Du konntest anders handeln, wenn Du die Weise und Art dieses Mannes beachtetest, welche sich Dir letzthin schon kundgab. Auch haettest Du denken koennen, dass Leute genug da waren, die Dir kein Unrecht geschehen liessen. Du aber schuettetest das Kind mit dem Bade aus und liefst weg." "Das Alter soll kaelter machen", erwiderte der junge Mann, "aber in der Jugend hat man heisses Blut. Ich kann alles ertragen, Haerte und Strenge, wenn sie gerecht sind und meine Ehre nicht kraenken. Aber kalter Spott, Hohn ueber das Unglueck meines Hauses kann mich zum wuetenden Wolf machen. Wie kann ein so hoher Mann nur Freude daran haben, einen so zu quaelen?" "Auf diese Art aeussert sich immer sein Zorn", belehrte ihn Frondsberg. "Je kaelter und schaerfer er aber von aussen ist, desto heisser kocht in ihm die Wut. Er war es, der auf den Gedanken kam, Dich nach Tuebingen zu senden, teils weil er sonst keinen wusste, teils auch, um das Unrecht, das er Dir angetan, wiedergutzumachen. Denn in seinem Sinn war diese Sendung hoechst ehrenvoll. Du aber hast ihn durch Deine Weigerung gekraenkt und vor dem Kriegsrat beschaemt." "Wie?" rief Georg. "Der Truchsess hat mich vorgeschlagen? So kam also jene Sendung nicht von Euch?" "Nein", gab ihm der Feldhauptmann mit geheimnisvollem Laecheln zur Antwort, "nein. Ich habe ihm sogar mit aller Muehe abgeraten, Dich zu senden, aber es half nichts, denn die wahren Gruende konnte ich ihm doch nicht sagen. Ich wusste, ehe Du eintratst, dass Du Dich weigern wuerdest, dieses Amt anzunehmen.--Nun, reisse doch die Augen nicht so auf, als wolltest Du mir durch das lederne Koller ins Herz hineinschauen. Ich weiss allerlei Geschichten von meinem jungen Trotzkopf da!" Georg schlug verwirrt die Augen nieder. "So kamen Euch die Gruende nicht genuegend vor, die ich angab?" sagte er. "Was wollt Ihr denn so Geheimnisvolles von mir wissen?" "Geheimnisvoll? Nun, so gar geheimnisvoll ist es gerade nicht, denn merke fuer die Zukunft: Wenn man nicht verraten sein will, so muss man weder bei Abendtaenzen sich gebaerden wie einer, der vom St.-Veits-Tanz befallen ist, noch nachmittags um drei Uhr zu schoenen Maedchen gehen. Ja, mein Sohn, ich weiss allerlei", setzte er hinzu, indem er laechelnd mit dem Finger drohte, "ich weiss auch dass dieses ungestueme Herz gut wuerttembergisch ist." Georg erroetete und vermochte den lauernden Blick des Ritters nicht auszuhalten. "Wuerttembergisch?" entgegnete er, nachdem er sich mit Muehe gefasst hatte. "Da tut Ihr mir Unrecht; nicht mit Euch zu Feld ziehen zu wollen, heisst noch nicht, sich an den Feind anzuschliessen; gewiss, ich schwoere Euch--" "Schwoere nicht!" fiel ihm Frondsberg rasch ins Wort. "Ein Eid ist ein leichtes Wort, aber es ist doch eine drueckend schwere Kette, die man bricht, oder von der man zerbrochen wird. Was Du tun wirst, das wird so sein, dass es sich mit Deiner Ehre vertraegt. Nur eines musst Du dem Bund an Eides Statt geloben, und dann erst wirst Du aus Deiner Haft entlassen: In den naechsten vierzehn Tagen nicht gegen uns zu kaempfen." "So legt Ihr mir also dennoch falsche Gesinnungen unter?" sprach Georg bewegt. "Das haette ich nicht gedacht! Und wie unnoetig ist dieser Schwur! Fuer wen und mit wem sollte ich denn auf jener Seite kaempfen? Die Schweizer sind abgezogen das Landvolk hat sich zerstreut, die Ritterschaft liegt in den Festungen und wird sich hueten, den naechsten Besten, der vom Bundesheer herueberlaeuft, in ihre Mauern aufzunehmen, der Herzog selbst ist entflohen--" "Entflohen?" rief Frondsberg aus. "Entflohen? Das weiss man noch nicht so gewiss; warum haette der Truchsess denn die Reiter ausgeschickt?" setzte er hinzu. "Und ueberhaupt, wo hast Du diese Nachrichten alle her? Hast Du den Kriegsrat belauscht? Oder sollte es wahr sein, was einige behaupten wollen, dass Du verdaechtige Verbindungen mit Wuerttemberg unterhaeltst?" "Wer wagt dies zu behaupten?" rief Georg erblassend. Frondsbergs durchdringende Augen ruhten pruefend auf den Zuegen des jungen Mannes. "Hoere, Du bist mir zu jung und zu ehrlich zu einem Bubenstueck", sagte er, "und wenn Du etwas der Art im Schild fuehrst, haettest Du Dich wohl nicht vom Bund losgesagt, sondern auch ferner Wuerttembergs Spion gemacht." "Wie? Spricht man so von mir?" unterbrach ihn Georg, "Wenn Ihr nur ein Fuenkchen Liebe zu mir habt, so nennt mir den schlechten Kerl, der so von mir spricht!" "Nur nicht gleich wieder so aufbrausend!" entgegnete Frondsberg und drueckte die Hand des jungen Mannes. "Du kannst denken, dass, wenn ein solches Wort oeffentlich gesprochen wuerde oder ich an diese Einfluesterungen glaubte, Georg von Frondsberg nicht zu Dir kaeme. Aber etwas muss denn doch an der Sache sein. Zu dem alten Lichtenstein kam oefters ein schlichter Bauersmann in die Stadt; er fiel nicht auf zu einer Zeit, wo so vielerlei Menschen hier sind. Aber man gab uns geheime Winke, dass dieser Bauer ein verschlagener Mann und ein geheimer Botschafter aus Wuerttemberg sei. Der Lichtensteiner zog ab, und der Bauer und sein geheimnisvolles Treiben war vergessen. Diesen Morgen hat er sich wieder gezeigt. Er soll vor der Stadt lange Zeit mit Dir gesprochen haben; auch wurde er in Deinem Haus gesehen. Wie verhaelt sich nun diese Sache?" Georg hatte ihm mit wachsendem Staunen zugehoert. "So wahr ein Gott ueber mir ist", sagte er, als Frondsberg geendet hatte, "ich bin unschuldig. Heute frueh kam ein Bauer zu mir und--" "Nun warum verstummst Du auf einmal", fragte Frondsberg, "Du gluehst ja ueber und ueber, was ist es denn mit diesem Boten?" "Ach! Ich schaeme mich, es auszusprechen und dennoch habt Ihr ja schon alles erraten; er brachte mir ein paar Worte von--meinem Liebchen!" Der junge Mann oeffnete bei diesen Worten sein Wams und zog einen Streifen Pergament hervor, den er dort verborgen hatte. "Seht, dies ist alles, was er brachte", sagte er, indem er es Frondsberg bot. "Das ist also alles?" lachte dieser, nachdem er gelesen hatte. "Armer Junge! Und Du kennst also diesen Mann nicht naeher? Du weisst nicht, wer er ist?" "Nein er ist auch weiter nichts als unser Liebesbote, dafuer wollte ich stehen!" "Ein schoener Liebesbote, der nebenher unsere Sachen auskundschaften soll; weisst Du denn nicht, dass es der gefaehrlichste Mann ist, es ist der Pfeifer von Hardt." "Der Pfeifer von Hardt?" fragte Georg. "Zum ersten Mal hoere ich diesen Namen, und was ist, wenn er der Pfeifer von Hardt ist?" "Das weiss niemand recht; er war beim Aufstand des armen Konrad einer der schrecklichsten Aufruehrer, nachher wurde er begnadigt; seit dieser Zeit fuehrt er ein unstetes Leben und ist jetzt ein Kundschafter des Herzogs von Wuerttemberg." "Und hat man ihn aufgefangen?" forschte Georg weiter, denn unwillkuerlich nahm er waermeren Anteil an seinem neuen Diener. "Nein, das gerade ist das Unbegreifliche; man machte uns so still als moeglich die Anzeige, dass er sich wieder in Ulm sehen lasse; in Eurem Stall soll er zuletzt gewesen sein, und als wir ihn ganz geheim ausheben wollten, war er ueber alle Berge. Nun, ich glaube Deinem Wort und Deinen ehrlichen Augen, dass er in keinen anderen Angelegenheiten zu Dir kam--Du kannst Dich uebrigens darauf verlassen, dass er, wenn es derselbe ist, den ich meine, nicht allein Deinetwegen sich nach Ulm wagte. Und solltest Du je wieder mit ihm zusammentreffen, so nimm Dich in acht, solchem Gesindel ist nicht zu trauen. Doch der Waechter ruft zehn Uhr. Lege Dich noch einmal aufs Ohr und vertraeume Deine Gefangenschaft. Vorher aber gib mir Dein Wort wegen der vierzehn Tage, und das sage ich Dir, wenn Du Ulm verlaesst, ohne dem alten Frondsberg Lebewohl zu sagen--." "Ich komme, ich komme", rief Georg, geruehrt von der Wehmut des verehrten Mannes, die jener umsonst unter einer laechelnden Miene zu verbergen suchte. Er gab ihm Handtreue, wie es der Kriegsrat verlangte; der Ritter aber verliess mit langsamen Schritten die Totenkammer. Kapitel 12 Die Mittagssonne des folgenden Tages sendete drueckende Strahlen auf einen Reiter, welcher ueber den Teil der schwaebischen Alb, der gegen Franken hinauslaeuft, hinzog. Er war jung, mehr schlank als fest gebaut, und ritt ein hochgewachsenes Pferd von dunkelbrauner Farbe; er war wohl bewaffnet mit Brustharnisch, Dolch und Schwert; einige andere Stuecke seiner Armatur, als der Helm und die aus Eisenblech getriebenen Arm- und Beinschienen, waren am Sattel befestigt. Die hellblau und weiss gestreifte Feldbinde, die von der rechten Schulter sich ueber die Brust zog, liess erraten, dass der junge Mann von Adel war, denn diese Auszeichnung war damals ein Vorrecht hoeherer Staende. Er war auf einem Berggipfel angekommen, welcher eine weite Aussicht ins Tal hinab gewaehrte. Fr hielt sein schnaubendes Ross an, wandte es zur Seite und genoss nun den schoenen Anblick, der sich vor seinem Auge ausbreitete. Vor ihm eine weite Ebene, von waldigen Hoehen begrenzt, durchstroemt von den gruenen Wellen der Donau; zu seiner Rechten die Huegelkette der wuerttembergischen Alb, zu seiner Linken in weiter, weiter Ferne die Schneekuppen der Tiroler Alpen. In freundlichem Blau spannte der Himmel seinen Bogen ueber diese Szene, und seine sanften lichten Farben kontrastierten sonderbar mit den schwaerzlichen Mauern Ulms, das am Fuss des Berges lag, mit seinem dunkelgrauen ungeheuren Muensterturm. Die dumpfen Glocken dieser alten Kirche begannen in diesem Augenblick den Mittag einzulaeuten; ihre Toene zogen in langen, beruhigenden Akkorden ueber die Stadt, ueber die weite Ebene, bis sie sich an den fernen Bergen brachen und zitternd in das Blau der Luefte verschwebten, als wollten sie auf ihrer melodischen Leiter die Wuensche der Menschen zum Himmel tragen. "So begleitet ihr also den Scheidenden, wie ihr seinen Eintritt begruesst habt", rief der junge Reiter, "mit denselben Toenen, mit denselben feierlichen Akkorden sprecht ihr zu ihm, wenn er kommt und geht; wie anders, wie so ganz anders deutete ich eure ehernen Stimmen, als mein Ohr euch zum ersten Mal lauschte. Da vernahm ich in euch verwandte Toene, es klang mir wie ein Ruf zur Geliebten! Und jetzt, da ich scheide, ohne Aussicht, ohne Freude, jetzt ruft ihr mir dieselben Toene entgegen? Die Geburt meiner seligen Hoffnung habt ihr eingelaeutet, von euch toent jetzt das Grabgelaeute meiner Hoffnung? Das Bild des Lebens!" setzte er wehmuetig hinzu, indem er nach einem langen Abschiedsblick auf dieses Tal, auf diese Mauern sein Pferd wandte. "Das Bild des Lebens! Um Wiege und Sarg schweben sie in gleichen Toenen, und die Glocken meiner Hauskapelle haben an jenem froehlichen Tag, wo man mich zur Taufe trug, mir eben so getoent, wie sie mir toenen werden, wenn man den letzten Sturmfeder zu Grabe traegt!" Das Gebirge wurde jetzt steiler, und Georg, denn als diesen haben unsere Leser den jungen Reiter schon laengst erkannt, Georg liess sein Pferd langsam hinschreiten, indem er seinen Gedanken nachhing. Es war der Weg nach seiner Heimat, und die Vergleiche, die er zwischen dieser Heimkehr und dem froehlichen Auszug anstellte, mochten nicht dazu beitragen, seine duesteren Gefuehle aufzuhellen. Der gestrige Tag, der schnelle Wechsel heftiger Empfindungen, seine Verhaftung, zuletzt noch heute der Abschied von Maennern, die ihm wohlwollten, hatten ihn heftig angegriffen. Wie treuherzig und gutmuetig hatte Dietrich von Kraft, sein zierlicher Gastfreund, seine Abreise bedauert. Wie gleich war sich dieser gute Mensch in seinem Wohlwollen gegen ihn geblieben; vom ersten Becher an, den er mit ihm im Rathaussaal geleert, bis zum Abschiedstrunk, den er seinem Gast noch auf das Pferd hinauf kredenzte. Und wie hatte er ihm gelohnt? Beschaeftigt mit sich selbst hatte er ihn wenig geachtet, uebersehen. Wie hatte er dem biederen Breitenstein, wie dem Helden Frondsberg, der ihn vor den Augen eines Heeres wie seinen Liebling ausgezeichnet hatte, wie hatte er es ihm vergolten? Er hatte unter diesen trueben Gedanken eine gute Strecke auf dem Gebirgsruecken zurueckgelegt. Die Strahlen der Maerzsonne wurden immer drueckender, die Pfade rauher, und er beschloss, unter dem Schatten einer Eiche sich und seinem Pferd Mittagsruhe zu goennen. Er stieg ab, schnallte den Sattelgurt leichter und liess das ermuedete Tier die sparsam hervorkeimenden Graeser aufsuchen. Er selbst streckte sich unter der Eiche nieder, und so gerne er sich dem Schlaf ueberlassen haette, wozu nach dem ermuedenden Ritt ihn der kuehle Schatten einlud, so hielt ihn doch die Besorgnis, in so unruhigen Zeiten in einem Land das so nahe dem Schauplatz des Krieges lag, um sein Ross und vielleicht gar um seine Waffen zu kommen; einige Zeit wach, bis er in jenen Zustand versank, wo die Seele zwischen Wachen und Schlafen umsonst mit dem Koerper kaempft, der ungestuem seine Rechte fordert. Er mochte wohl ein Stuendchen geschlummert haben, als ihn das Wiehern seines Pferdes aufschreckte. Er sah sich um und gewahrte einen Mann, der, ihm den Ruecken kehrend sich mit dem Tier beschaeftigte. Sein erster Gedanke war, dass man seine Unachtsamkeit benuetzen und das Pferd entfuehren wolle. Er sprang auf, zog sein Schwert und war in drei Spruengen dort. "Halt! Was hast Du da mit dem Pferd zu schaffen!" rief er, indem er seine Hand etwas unsanft auf die Schulter des Mannes legte. "Habt Ihr mich denn schon wieder aus Eurem Dienst entlassen, Junker?" antwortete dieser und wandte sich ihm zu. An den listigen, kuehnen Augen, an dem laechelnden Mund erkannte Georg sogleich den Boten, den ihm Marie gesandt hatte. Er war noch unschluessig, wie er sich gegen ihn benehmen sollte, denn Frondsbergs Warnung schreckte ihn ab, Mariens Zuversicht empfahl ihn, doch der Bauer fuhr fort, indem er ihm eine gute Handvoll Heu vorzeigte: "Ich konnte mir wohl denken; dass Ihr keinen Futtersack mitnehmen werdet. Auf den Bergen da oben sieht es noch schlecht aus mit dem Gras, da habe ich denn Eurem Braunen einen Armvoll Heu mitgebracht. Es hat ihm trefflich behagt." So sprach der Bauer und fuhr ganz gelassen fort, dem Pferd das Futter hinzureichen, "Und woher kommst Du denn?" fragte Georg, nachdem er sich ein wenig von seinem Staunen erholt hatte. "Nun, Ihr seid ja so schnell von Ulm weggeritten, dass ich Euch nicht gleich folgen konnte", antwortete dieser. "Luege nicht!" unterbrach ihn der junge Mann. "Sonst kann ich Dir fuerder nicht vertrauen. Du kommst jetzt nicht aus jener Stadt her." "Nun, Ihr werdet mich doch nicht schelten, dass ich mich etwas frueher auf den Weg machte als Ihr?" sagte der Bauer und wandte sich ab. Doch entging Georg nicht, dass jenes listige Laecheln wieder ueber sein Gesicht zog. "Lass mein Pferd jetzt stehen", rief Georg ungeduldig, "und komm mit mir unter die Eiche dort. Da setze Dich hin und sprich, aber ohne auszuweichen, warum hast Du gestern abend so ploetzlich die Stadt verlassen?" "An den Ulmern lag es nicht", entgegnete jener. "Sie wollten mich sogar einladen, laenger bei ihnen zu bleiben, und wollten mir freie Kost und Wohnung geben." "Ja, ins tiefste Verlies wollten sie Dich stecken, wo weder Sonne noch Mond hinscheint und wohin die Kundschafter und Spaeher gehoeren." "Mit Verlaub, Junker", erwiderte der Bote, "da waere ich, wiewohl ein paar Stockwerke tiefer, in dieselbe Behausung gekommen, wie Ihr." "Hund von einem Aufpasser!" rief der Junker ungeduldig, indem Zorn seine Wangen roetete. "Willst Du meines Vaters Sohn in eine Reihe stellen mit dem Pfeifer von Hardt?" "Was sprecht Ihr da?" fuhr der Mann an seiner Seite mit wilder Miene auf. "Was nennt Ihr fuer einen Namen? Kennt Ihr den Pfeifer von Hardt?" Er hatte vielleicht unwillkuerlich bei diesen Worten die Axt, die neben ihm lag, in seine nervige Rechte gefasst. Seine gedrungene feste Gestalt, seine breite Brust, gaben ihm, trotz seiner nicht ansehnlichen Groesse, doch das Ansehen eines nicht zu verachtenden Kaempfers. Sein wild rollendes Auge, sein eingepresster Mund moechten manchen einzelnen Mann ausser Fassung gebracht haben. Der Juengling aber sprang mutig auf, er warf sein langes Haar zurueck, und ein Blick voll Stolz und Hoheit begegnete dem finstern Auge jenes Mannes. Er legte seine Hand an den Griff seines Schwertes und sagte ruhig und fest: "Was faellt Dir ein, Dich so vor mich hinzustellen und mit dieser Stirn mich zu fragen? Du bist, wenn ich nicht irre, der, den ich nannte, Du bist dieser Meuterer und Anfuehrer von aufruehrerischen Hunden. Pack Dich fort, auf der Stelle, oder ich will Dir zeigen, wie man mit solchem Gesindel spricht." Der Bauer schien mit seinem Zorn zu ringen. Er hieb die Axt mit einem kraeftigen Schwung in den Baum, und stand nun ohne Waffe vor dem zuernenden jungen Mann. "Erlaubt", sagte er, "dass ich Euch fuer ein anderes Mal warne, Euren Gegner, und sei er auch nur ein geringer Bauersmann wie ich, nicht zwischen Euch und Eurem Braunen stehen zu lassen. Denn wenn ich Euren Befehl, mich fortzupacken, haette aufs schnellste befolgen wollen, waere er mir trefflich zustatten gekommen." Ein Blick dahin ueberzeugte Georg, dass der Bauer wahr gesprochen habe. Erroetend ueber diese Unvorsichtigkeit, die beweisen konnte, wie wenig Erfahrung er noch im Krieg besitze, liess er seine Hand vom Griff seines Schwertes sinken und setzte sich, ohne etwas zu erwidern, auf die Erde nieder. Der Bauer folgte, jedoch in ehrerbietiger Entfernung, seinem Beispiel und sprach: "Ihr habt ganz recht, dass Ihr mir grollt, Herr von Sturmfeder, aber wenn Ihr wuesstet, wie weh mir jener Name tut, wuerdet Ihr vielleicht meine schnelle Hitze mir verzeihen! Ja, ich bin der, den man so nennt; aber es ist mir ein Greuel mich so rufen zu hoeren. Meine Freunde nennen mich Hans, aber meinen Feinden gefaellt jener Name, weil ich ihn hasse." "Was hat Dir der unschuldige Name getan?" fragte Georg. "Warum nennt man Dich so? Warum willst Du Dich nicht so nennen lassen?" "Warum man mich so nennt?" antwortete jener. "Ich bin aus einem Dorf, das heisst Hardt und liegt im Unterland, nicht weit von Nuertingen. Meinem Gewerbe nach bin ich ein Spielmann und musiziere auf Maerkten und Kirchweihen, wenn die ledigen Burschen und die jungen Maegelein tanzen wollen. Deswegen nannte man mich den Pfeifer von Hardt. Aber dieser Name hat sich mit Untat und Blut befleckt in einer boesen Zeit, darum habe ich ihn abgetan und kann ihn nimmer leiden." Georg mass ihn mit einem durchdringenden Blick, indem er sagte: "Ich weiss wohl, in welcher boesen Zeit: Als ihr Bauern wider euern Herzog rebelliert habt, da warst Du einer von den aergsten. Ist's nicht so?" "Ihr seid wohl bekannt mit dem Schicksal eines ungluecklichen Mannes", sagte der Bauer, finster zu Boden blickend. "Ihr muesst aber nicht glauben; dass ich noch derselbe bin. Der Heilige hat mich gerettet und meinen Sinn geaendert, und ich darf sagen, dass ich jetzt ein ehrlicher Mann bin." "Oh, erzaehle mir", unterbrach ihn der Juengling, "wie ging es zu in jenem Aufruhr? Wie wurdest Du gerettet? Wie kommt's, dass Du jetzt dem Herzog dienst?" "Das alles will ich auf ein anderes Mal aufsparen", entgegnete jener. "Denn ich hoffe nicht zum letzten Mal an Eurer Seite zu sein. Erlaubt mir dafuer, dass ich auch Euch etwas frage: Wo soll Euch denn dieser Weg hinfuehren? Da geht nicht die Strasse nach Lichtenstein!" "Ich gehe auch nicht nach Lichtenstein!" antwortete Georg niedergeschlagen. "Mein Weg fuehrt nach Franken zu dem alten Oheim. Das kannst Du dem Fraeulein vermelden, wenn Du nach Lichtenstein kommst." "Und was wollt Ihr beim Oheim? Jagen? Das koennt Ihr anderswo ebensogut. Langeweile haben? Die kauft Ihr aller Orten wohlfeil. Kurz und gut, Junker", setzte er gutmuetig laechelnd hinzu, "ich rate Euch, wendet Euer Ross und reitet so ein paar Tage mit mir in Wuerttemberg umher. Der Krieg ist ja so gut wie beendet. Man kann ganz ungehindert reisen." "Ich habe dem Bund mein Wort gegeben, in vierzehn Tagen nicht gegen ihn zu fechten. Wie kann ich also nach Wuerttemberg gehen?" "Heisst denn das gegen ihn fechten, wenn Ihr ruhig Eure Strasse zieht? So also, vierzehn Tage lang? In vierzehn Tagen glauben sie den Krieg vollendet? Wird noch mancher nach vierzehn Tagen an den Mauern von Tuebingen den Kopf stossen. Kommt mit, es ist ja nicht gegen Euren Eid!" "Und was soll ich in Wuerttemberg?" rief Georg schmerzlich. "Soll ich recht in der Naehe sehen, wie meine Kriegsgesellen bei der Eroberung der Festen sich Ruhm erwerben? Soll ich den Bundesfahnen, denen ich auf ewig Lebewohl gesagt und den Ruecken gekehrt, noch einmal begegnen? Nein! Nach Franken will ich ziehen, in meine Heimat", sagte er duester, indem er die umwoelkte Stirn in die Hand stuetzte, "in meinen alten Mauern will ich mich begraben und traeumen, wie ich haette gluecklich sein koennen!" "Das ist ein schoener Entschluss fuer einen jungen Mann von Eurem Schrot und Korn! Habt Ihr denn in Wuerttemberg gar nichts zu tun, als des armen Herzogs Burgen zu stuermen? Nun, reitet immerhin", fuhr er fort, indem er den Juengling mit listigem Laecheln anblickte, "versucht einmal, ob der Lichtenstein nicht mit Sturm genommen werden koenne?" Der junge Mann erroetete bis in die Stirn hinauf. "Wie magst Du nur jetzt Deinen Scherz treiben", sagte er halb in Unmut, halb laechelnd, "wie magst Du mit meinem Unglueck spassen?" "Faellt mir nicht ein, Scherz mit meinem gnaedigen Junker zu treiben", antwortete sein Gefaehrte. "Es ist mein voller Ernst, dass ich Euch bereden moechte, dorthin zu ziehen." "Und was dort tun?" "Nun! Den alten Herrn fuer Euch gewinnen, und die Traenen des bleichen Fraeuleins stillen, das wegen Euch Tag und Nacht weint!" "Und wie soll ich auf den Lichtenstein kommen? Der Vater kennt mich nicht, wie soll ich mit ihm bekannt werden?" "Seid Ihr der erste Rittersmann, der nach Sitte der Vaeter eine freie Zehrung in einem Schloss fordert? Lasst nur mich dafuer sorgen, so sollt Ihr bald auf den Lichtenstein kommen!" Der Juengling sann lange Zeit nach, er erwog alle Gruende fuer und wider, er bedachte, ob es nicht gegen seine Ehre sei, statt vom Schauplatz des Krieges sich zu entfernen, in eine Gegend zu reisen, wohin sich der Krieg notwendig ziehen musste. Doch als er bedachte, wie mild die Bundesobersten selbst seinen Abfall angesehen hatten, wie sie sogar im Fall seines voelligen Uebertrittes zum Feind nur vierzehn Tage Frist angesetzt hatten, als ihm Mariens trauernde Miene, ihre stille Sehnsucht auf ihrem einsamen Lichtenstein vorschwebte, da neigte sich die Schale nach Wuerttemberg. "Noch einmal will ich sie sehen, nur noch einmal sie sprechen", dachte er.--"Nun wohlan!" rief er endlich "Wenn Du mir versprichst, dass nie davon die Rede sein soll, mich an die Wuerttemberger anzuschliessen, dass ich nicht als Anhaenger Eures Herzogs, sondern als Gast in Lichtenstein behandelt werde, wenn Du dies versprichst, so will ich folgen." "Fuer mich kann ich dies wohl versprechen", antwortete der Bauer, "aber wie kann ich etwas geloben fuer den Ritter von Lichtenstein?" "Ich weiss, wie Du mit ihm stehst und dass Du oft zu ihm nach Ulm kamst, und er sein Vertrauen in Dich setzt. So gut Du ihm geheime Botschaft aller Art bringen konntest, so gut kannst Du ihm auch dies beibringen." Der Pfeifer von Hardt sah den jungen Mann lange staunend an. "Woher wisst Ihr dies?" rief er. "Doch--die, welche mich verfolgten, koennen auch dies gesagt haben. Nun gut, ich verspreche Euch, dass Ihr ueberall so angesehen sein sollt, wie Ihr wollt. Besteigt Euer Ross, ich will Euch fuehren, und Ihr sollt willkommen sein auf Lichtenstein!" Kapitel 13 Von jenem Bergruecken, wo Georg den Entschluss gefasst hatte, seinem geheimnisvollen Fuehrer zu folgen, gab es zwei Wege in die Gegend von Reutlingen, wo Mariens Bergschloss, der Lichtenstein, lag. Der eine war die offene Heerstrasse, welche von Ulm nach Tuebingen fuehrt. Sie fuehrt durch das schoene Blautal, bis man bei Blaubeuren wieder an den Fuss der Alb kommt, von da quer ueber dieses Gebirge, vorbei an der Feste Hohen-Urach, gegen St. Johann und Pfullingen hin. Dieser Weg war sonst fuer Reisende, die Pferde, Saenften oder Wagen mit sich fuehrten, der bequemere. In jenen Tagen aber, wo Georg mit dem Pfeifer von Hardt ueber das Gebirge zog, war es nicht ratsam, ihn zu waehlen. Die Bundestruppen hatten schon Blaubeuren besetzt, ihre Posten dehnten sich ueber die ganze Strasse bis gegen Urach hin und verfuhren gegen jeden, der nicht zum Heer gehoerte oder sich zu ihnen bekannte, mit grosser Strenge und Erbitterung. Georg hatte seine Gruende, diese Strasse nicht zu waehlen, und sein Fuehrer war zu sehr auf seine eigene Sicherheit bedacht, als dass er dem jungen Mann von diesem Entschluss abgeraten haette. Der andere Weg, eigentlich ein Fusspfad, und nur den Bewohnern des Landes genau bekannt, beruehrte auf einer Strecke von beinahe zwoelf Stunden nur einige einzeln stehende Hoefe, zog sich durch dichte Waelder und Gebirgsschluchten und hatte, wenn er auch hie und da, um die Landstrassen zu vermeiden, einen Bogen machte, und fuer Pferde ermuedend und oft beinahe unzugaenglich war, doch den grossen Vorteil der Sicherheit. Diesen Pfad waehlte der Bauer von Hardt, und der Junker willigte mit Freuden ein, weil er hoffen durfte, hier auf keine Buendischen zu stossen. Sie zogen rasch fuerbass, der Bauer war immer an Georgs Seite. Wenn die Stellen schwierig wurden, fuehrte er sorgsam sein Pferd, und bewies ueberhaupt so viel Aufmerksamkeit und Sorgfalt fuer Reiter und Ross, dass in Georgs Seele jene Warnungen Frondsbergs vor diesem Mann immer mehr an Gewicht verloren, und er nur einen treuen Diener in ihm sah. Georg unterhielt sich gerne mit ihm. Er urteilte ueber manche Dinge, die sonst ausserhalb des Kreises des Landmannes liegen klug und scharfsinnig, und mit einem so schlagenden Witz, dass er dem sonst ernsten, jungen Mann, den seine zweifelhafte Lage oft truebe stimmte, unwillkuerlich ein Laecheln abnoetigte. Von jeder Burg, die in der Ferne aus den Waeldern auftauchte, wusste er eine Sage zu erzaehlen, und die Klarheit und Lebendigkeit, mit welcher er vortrug, bewies, dass er bei manchem Hochzeitsschmaus, bei manchem Kirchweihtanz, neben seinem Amt als Spielmann auch das eines Erzaehlers uebernommen haben muesse. Nur so oft Georg auf sein eigenes Leben, besonders auf jene Periode kommen wollte, wo der Pfeifer von Hardt eine bedeutende Rolle in dem Aufruhr des armen Konrad gespielt hatte, brach er duester ab, oder wusste mit mehr Gelaeufigkeit, als man dem schlichten Mann zugetraut haette, das Gespraech auf andere Gegenstaende zu bringen. So waren sie ohne Aufenthalt fortgereist. Hans wusste immer voraus, wann wieder ein Gehoeft kam, wo sie Erfrischung fuer sich und gutes Futter fuer das Pferd finden wuerden Ueberall war er bekannt, ueberall wurde er freundlich, wiewohl, wie es Georg schien, meistens mit Staunen aufgenommen; er fluesterte dann gewoehnlich ein Viertelstuendchen mit dem Hausvater, waehrend die Hausfrau dem jungen Ritter emsig und freundlich mit Brot, Butter und unvermischtem Apfelwein aufwartete, und die "Bueebla" und "Maedla" den hohen schlanken Gast, seine schoenen Kleider, seine glaenzende Schaerpe, die wallenden Federn seines Barettes bewunderten. War dann das kleine Mahl verzehrt, hatte Georgs Pferd wieder Kraefte gesammelt, so begleitete das ganze Haus den Scheidenden bis an die Tuer, und der junge Reiter konnte zu seiner Beschaemung niemals die Gastfreundschaft der guten Leute belohnen. Mit abwehrenden Blicken auf den Pfeifer von Hardt weigerten sie sich standhaft, seine kleinen Gaben anzunehmen. Auch dieses Raetsel loeste ihm sein Begleiter nicht; denn seine Antwort: "Wenn die Leute nach Hardt kommen, kehren sie auch wieder bei mir ein.", schien nur eine ausweichende Antwort zu sein. Die Nacht brachten sie ebenfalls in einem dieser zerstreuten Hoefe zu, wo die Hausfrau ihrem vornehmen Gast mit nicht geringerer Bereitwilligkeit auf der Ofenbank ein Bett zurechtmachte, als sie ihm zu Ehren ein Paar Tauben geopfert und einen dick geschmaelzten Haferbrei aufgetragen hatte. Den folgenden Tag setzten sie ihre Reise auf dieselbe Art fort, nur kam es Georg vor, als ob sein Fuehrer mit noch mehr Vorsicht als gestern zu Werk gehe. Denn er liess, wenn sie sich einem Hof nahten, den Reiter wohl fuenfhundert Schritte davor haltmachen, nahte sich behutsam den Gebaeuden, und erst, nachdem er alles sorgfaeltig ausgespaeht hatte, winkte er dem Junker zu folgen. Georg befragte ihn umsonst, ob es in dieser Gegend gefaehrlicher sei, ob die Bundestruppen schon in der Naehe seien? Er sagte nichts Bestimmtes darueber. Gegen Mittag, als die Gegend lichter wurde und der Weg sich mehr gegen das ebene Land herabzog, schien die Reise gefaehrlicher zu werden; denn der Spielmann von Hardt schien sich von jetzt an gar nicht mehr den Wohnungen naehern zu wollen, sondern hatte sich in einem Hof mit einem Sack versehen, der Futter fuer das Pferd und hinlaengliche Lebensmittel fuer sie beide enthielt. Auch glaubte Georg zu bemerken, dass sie nicht mehr dieselbe Richtung verfolgten wie frueher, sondern sehr stark zur Rechten ablenkten. Am Rand eines schattigen Buchenwaeldchens, wo eine klare Quelle und frischer Rasen zur Ruhe einlud, machten sie Halt. Georg stieg ab, und sein Fuehrer zog aus seinem Sack ein gutes Mittagsmahl. Nachdem er das Pferd versehen hatte, setzte er sich zu den Fuessen des Ritters und begann mit grossem Appetit zuzugreifen. Georg hatte seinen Hunger gestillt und betrachtete jetzt mit aufmerksamem Auge die Gegend. Es war eine schoenes, breites Tal, in welches sie hinabsahen. Ein kleines Fluesschen eilte schnell hindurch; die Felder, wovon es begrenzt war, schienen gut und fleissig angebaut, eine freundliche Burg erhob sich auf einem Huegel am anderen Ende des Tales, die ganze Gegend war freundlicher als der Gebirgsruecken, ueber welchen sie gezogen waren. "Es scheint, wir haben die Alb verlassen", sagte der junge Mann, indem er sich zu seinem Gefaehrten wandte. "Dieses Tal, jene Huegel sehen bei weitem freundlicher aus als der Felsenboden und die oeden Weideplaetze, die wir durchzogen. Selbst die Luft weht hier milder und waermer als oben, wo uns die Winde oft so hart anfassten." "Ihr habt recht geraten, Junker", sagte Hans, indem er die Reste ihrer Mahlzeit sorgfaeltig in den Sack legte. "Diese Taeler gehoeren zum Unterland, und jenes Fluesschen, das Ihr seht, stroemt in den Neckar." "Wie kommt es aber, dass wir so weit vom Weg ablenken?" fragte Georg. "Es kam mir schon oben im Gebirge vor, als haetten wir die alte Richtung verlassen, aber Du wolltest nie darauf hoeren Dieser Weg muss, soviel ich die Lage von Lichtenstein kenne, viel zu weit rechts fuehren." "Nun, ich will es Euch jetzt sagen", antwortete der Bauer, "ich wollte Euch auf der Alb nicht unnoetig bange machen, jetzt aber sind wir, so Gott will in Sicherheit. Denn im schlimmsten Fall sind wir keine vier Stunden mehr von Hardt, wo sie uns nichts mehr anhaben sollen." "In Sicherheit?" unterbrach ihn Georg verwundert. "Wer soll uns etwas anhaben?" "Ei, die Buendischen", erwiderte der Spielmann. "Sie streifen auf der Alb, und oft waren ihre Reiter keine tausend Schritte mehr von uns. Mir fuer meinen Teil waere es nicht lieb gewesen, in ihre Haende zu fallen; denn sie sind mir, wie Ihr wohl wisst, gar nicht gruen. Und auch Euch waere es vielleicht nicht ganz recht, gefangen vor den Herrn Truchsess gefuehrt zu werden." "Gott soll mich bewahren!" rief der Junker. "Vor den Truchsess? Lieber lasse ich mich auf der Stelle totschlagen. Was wollen sie denn aber hier? Es ist ja hier in der Naehe keine Feste von Wuerttemberg, und Du sagtest mir ja doch, sie koennten ungehindert durchs Land ziehen; wonach streifen sie denn?" "Seht, Junker! Es gibt ueberall schlechte Leute. Was ein rechter Wuerttemberger ist, der laesst sich eher die Haut abziehen, als dass er den Herzog verraet, nach welchem die Buendler jetzt ein Treibjagen halten. Aber der Truchsess soll unter der Hand einen ganzen Haufen Gold dem versprochen haben, der ihn faengt. Er hat seine Reiter ausgeschickt, diese streifen jetzt ueberall, und die Leute sagen, es gebe einige unter den Bauern, die sich vom Gold blenden lassen und den Spuerhunden alle Schluchten und Schlupfwinkel zeigen." "Nach dem Herzog sollen sie streifen? Der ist ja aus dem Land geflohen, oder, wie andere sagen, in Tuebingen auf seinem festen Schloss, wo ihn vierzig Ritter beschuetzen." "Ja, die vierzig Edlen sind dort", antwortete der Bauer mit schlauer Miene. "Auch des Herzogs Soehnlein, der Christoph, ist dort, das hat seine Richtigkeit. Ob aber der Herzog selbst dort ist, weiss niemand recht. Im Vertrauen gesagt, wie ich ihn kenne, schliesst er sich nur zur hoechsten Not in eine Feste ein; er ist ein kuehner, unruhiger Herr, und es ist ihm wohler in den Waeldern und Bergen, wenn es auch Gefahr hat." "Den Herzog also suchen sie? Also muesste er hier in der Naehe sein?" "Wo er ist, weiss ich nicht", erwiderte der Pfeifer von Hardt, "und ich wollte wetten, dies weiss niemand als Gott; aber wo er sein wird, weiss ich", setzte er hinzu, und es schien Georg, als ob ein Strahl von Begeisterung aus dem Auge dieses Mannes breche, "wo er sein wird, wenn die Not am hoechsten ist, wo seine Getreuen sich zu ihm finden werden, wo manche treue Brust zur Mauer werden wird, um den Herrn in der Not gegen diese Buendler zu schuetzen. Denn ist er auch ein strenger Herr, so ist er doch ein Wuerttemberger, und eine schwere Hand ist uns lieber als die gleissenden Worte des Bayern und des Oesterreichers." "Und wenn sie den ungluecklichen Fuersten erkennen, wenn sie auf ihn stossen? Hat er nicht seine Gestalt verhuellt und unkenntlich gemacht? Du hast mir einmal sein Gesicht beschrieben, und ich glaube ihn beinahe vor mir zu sehen, besonders sein gebietendes, glaenzendes Auge. Aber wie ist seine Gestalt?" "Er mag kaum acht Jahre aelter sein als Ihr", entgegnete jener, "er ist nicht so gross wie Ihr, aber in vielem Euch aehnlich an Gestalt; besonders wenn Ihr zu Pferd sasset und ich hinter Euch ging, da gemahnte es mich oft, und ich dachte: So, gerade so sah der Herzog aus in den Tagen seiner Herrlichkeit." Georg war aufgestanden, um nach seinem Pferd zu sehen, die Worte des Bauern hatten ihn um seine Sicherheit besorgt gemacht, und er sah jetzt erst ein, wie toericht er gehandelt, in diesem Kriegsstrudel sich durch ein okkupiertes Land stehlen zu wollen. Es waere ihm hoechst unangenehm gewesen, in diesem Augenblick gefangen zu werden, zwar konnte er nach seinem Eid reisen, wohin er wollte, wenn er nur in den naechsten vierzehn Tagen keinen taetlichen Anteil am Kampf gegen den Bund nahm; aber er fuehlte, welch nachteiliges Licht es dennoch auf ihn werfen muesste, in dieser Gegend, so weit vom Weg nach seiner Heimat, aufgegriffen zu werden, und dazu noch in Gesellschaft eines Mannes, der den Bundesobersten sehr verdaechtig, sogar gefaehrlich geschienen hatte. Umzukehren war keine Moeglichkeit, denn es liess sich beinahe mit Gewissheit annehmen, dass die Bundestruppen bereits die ganze Breite der Alb eingenommen hatten; das Sicherste schien, sich zu beeilen, ueber die aeussersten Posten des Heeres hinauszukommen; man hatte dann die Gefahr im Ruecken, vor und neben sich aber freie Bahn. Das sonst so muntere Tier, das seinen Herrn ueber diese Gefahren hinaus tragen sollte, hing die Ohren; die grosse Eile und die ermuedenden, steinigen Fusspfade hatten seine Kraft geschwaecht; zu seinem grossen Verdruss bemerkte Georg sogar, dass es auf dem linken Vorderfuss nicht gerne auftrat, was nach einem achtstuendigen Weg ueber scharfe, eckige Felsen nicht zu verwundern war. Der Bauer bemerkte die Verlegenheit des Junkers; er untersuchte das Tier und riet, es noch einige Stunden stehen zu lassen, gab aber zugleich den Trost, er sei der Gegend so kundig, dass sie eine grosse Strecke in der Nacht zuruecklegen koennten. Kapitel 14 Der junge Mann ergab sich in sein Schicksal und suchte Zerstreuung in der lieblichen Aussicht, die sich noch bei weitem herrlicher seinen Augen oeffnete, als ihn der Bauer etwa fuenfzig Schritte hoeher gefuehrt hatte. "Ein herrliches Land, dieses Wuerttemberg!" rief Georg, indem sein Auge von Huegel zu Huegel schweifte. "Wie kuehn, wie erhaben diese Gipfel und Bergwaende, diese Felsen und ihre Burgen! Und wenn ich mich dorthin wende gegen die Taeler des Neckars, wie lieblich jene sanften Huegel, jene Berge mit Obst und Wein besetzt, jene fruchtbaren Taeler mit Baechen und Fluessen, dazu ein milder Himmel und ein guter, kraeftiger Schlag von Menschen!" "Ja", fiel der Bauer ein, "es ist ein schoenes Land; doch hier oben will es noch nicht viel sagen, aber was so unter Stuttgart ist, das wahre Unterland, Herr, da ist es eine Freude, im Sommer oder Herbst am Neckar hinabzuwandeln; wie da die Felder so schoen und reich stehen, wie der Weinstock so dicht und gruen die Berge ueberzieht, und wie Nachen und Floesse den Neckar hinauf- und hinabfahren, wie die Leute so froehlich an der Arbeit sind und die schoenen Maedchen singen wie die jungen Lerchen!" "Wohl sind jene Taeler an der Rems und dem Neckar schoener", entgegnete Georg, "aber auch dieses Tal zu unseren Fuessen, auch diese Hoehen um uns her haben eigenen, stillen Reiz. Wie heissen jene Burgen auf den Huegeln? Und jene fernen Berge?" Der Bauer ueberblickte sinnend die Gegend und zeigte auf die hinterste Bergwand, die, dem Auge kaum noch sichtbar, aus den Nebeln ragte. "Dort hinten, zwischen Morgen und Mittag, ist der Rossberg, in gleicher Richtung herwaerts, jene vielen Felsenzacken sind die Hoehen von Urach. Dort, mehr gegen Abend, ist Achalm, nicht weit davon, doch koennt Ihr ihn hier nicht sehen, liegt der Felsen von Lichtenstein" "Dort also", sagte Georg still vor sich hin, und sein Auge tauchte tief in die Nebel des Abends, "dort, wo jenes Woelkchen in der Abendroete schwebt, dort schlaegt ein treues Herz fuer mich; jetzt auch steht sie vielleicht auf der Zinne ihres Felsens und sieht herueber in diese Welt von Bergen, vielleicht nach diesem Felsen hin. Oh dass die Abendluefte Dir meine Gruesse braechten und jene rosigen Wolken Dir meine Naehe verkuendeten!" "Weiter hin, Ihr seht doch jene scharfe Ecke, das ist die Teck; unsere Herzoge nennen sich Herzoge von Teck, es ist eine gute, feste Burg; wendet Eure Blicke hier zur Rechten, jener hohe, steile Berg war einst die Wohnung beruehmter Kaiser, es ist Hohenstaufen." "Aber wie heisst jene Burg, die hier zunaechst aus der Tiefe emporsteigt?" fragte der junge Mann, "sieh nur, wie sich die Sonne an ihren hellen weissen Waenden spiegelt, wie ihre Zinnen in goldenen Duft zu tauchen scheinen, wie ihre Tuerme in roetlichem Licht erglaenzen." "Das ist Reussen, Herr! Auch eine starke Feste, die dem Bund zu schaffen machen wird." Die Sonne des kurzen, schoenen Maerztages begann waehrend dieses Zwiegespraechs der Wanderer hinabzusinken. Die Schatten des Abends rollten dunkle Schleier ueber das Gebirge und verhuellten dem Auge die ferneren Gipfel und Hoehen. Der Mond kam bleich herauf und ueberschaute sein naechtliches Gebiet. Nur die hohen Mauern und Tuerme von Neuffen roetete die Sonne noch mit ihren letzten Strahlen, als sei dieser Felsen ihr Liebling, von welchem sie ungern scheide. Sie sank; auch diese Mauern huellten sich in Dunkel, und durch die Waelder zog die Nachtluft, geheimnisvolle Gruesse fluesternd, dem hellen Mond entgegen. "Jetzt ist die wahre Tageszeit fuer Diebe und fur fluechtige Reisende wie wir", sagte der Bauer, indem er des Junkers Pferd aufzaeumte, "sei es noch um eine Stunde, so ist die Nacht kohlschwarz, und dann soll uns, bis die Sonne wieder aufgeht, kein buendischer Reiter aufspueren!" "Glaubst Du, es habe Gefahr?" sagte Georg, indem er seine Hand nach dem Helm ausstreckte und das duenne Barett abnahm. "Meinst Du, wir sollten uns besser wappnen?" "Lasst haengen, Junker", rief der Bauer lachend, "solch eine Sturmhaube ist an sich schon kalt und gibt in einer frischen Nacht nicht sehr warm; lasst immer Euer Barett sitzen; in dieser Gegend suchen sie den Herzog nicht, und sollten sie kommen, wir zwei fuerchten ihrer viere nicht." Der junge Mann liess zoegernd seinen schoenen Helm am Sattelknopf haengen, er schaemte sich, weniger Mut zu zeigen als sein Begleiter, der, unberitten, nur durch eine duenne lederne Muetze geschuetzt und mit einer einfachen Axt schlecht bewaffnet war. Er schwang sich auf. Sein Fuehrer ergriff die Zuegel des Rosses und schritt voran den Berg hinab. "Du meinst also", fragte Georg nach einer Weile, "bis hierher werden sich die buendischen Reiter nicht wagen?" "Es ist nicht wohl moeglich", antwortete der Pfeifer, "Neuffen ist ein starkes Schloss und hat gute Besatzung. Sie werden es zwar in kurzer Zeit mit Heeresmacht belagern, aber Gesindel, wie die Handvoll Reiter des Truchsess, wagt sich doch nicht in die Naehe einer feindlichen Burg." "Schau, wie hell und schoen der Mond scheint", rief der Juengling, der, noch immer erfuellt von dem Anblick auf dem Berg, die wunderlichen Schatten der Waelder und Hoehen, die hellglaenzenden Felsen betrachtete, "sieh, wie die Fenster von Neuffen im Mondlicht schimmern!" "Es waere mir lieber, er schiene heute nacht nicht", entgegnete sein Fuehrer, indem er sich zuweilen besorgt umsah, "dunkle Nacht waere besser fuer uns, der Mond hat schon manchen braven Mann verraten. Es kann nicht mehr lange dauern, so ist er hinunter." Sie zogen indes weiter. Der Pfeifer von Hardt unterhielt Georg unterwegs mit einer Reihe von Geschichten ueber die Gegend, die sie durchzogen. "Horch! Hoertest Du nicht das Wiehern von Rossen", rief Georg ploetzlich, dem es in der Schlucht, die sie durchzogen, ganz unheimlich wurde. Der Mond schien noch hell, die Schatten der Eichen bewegten sich, es rauschte im Gebuesch, und oft wollte es ihm beduenken, als sehe er dunkle Gestalten im Wald neben sich hergehen. Der Pfeifer von Hardt blieb stehen. "Es kam mir vorhin auch so vor, aber es war der Wind, der in den Eichen aechzt, und der Schuhu rief im Gebuesch. Waeren wir nur das Wiesental noch hinueber, da ist es so offen und hell wie bei Tag; jenseits faengt wieder der Wald an, da ist es dann dunkel und hat keine Not mehr. Gebt Eurem Braunen die Sporen und reitet Trab ueber das Tal hin, ich laufe neben Euch her." "Warum denn jetzt auf einmal Trab?" fragte der junge Mann "Meinst Du, es habe Gefahr? Gestehe nur, nicht wahr, Du hast sie auch gesehen, die Gestalten im Wald, die neben uns herschlichen? Glaubst Du, es sind Buendische?" "Nun ja", fluesterte der Bauer, indem er sich umsah, "mir war es auch als ob uns jemand nachschleiche; drum sputet Euch, dass wir aus dem verdammten Hohlweg herauskommen, und dann im Trab ueber das Tal hinueber, weiterhin hat es keine Gefahr." Georg machte sein Schwert in der Scheide locker und nahm die Zuegel seines Rosses kraeftiger in die Faust. Schweigend zogen sie die Schlucht hinab, beleuchtet von so hellem Mondschein, dass der junge Mann jeden Zug seines Gefaehrten erkennen konnte und deutlich sah, dass er seine Axt auf die Schulter nahm und ein Messer, das er im Wams verborgen hatte, herauszog und in den Guertel steckte. Sie wollten eben am Ausgang des Hohlwegs in das Tal einbiegen, da rief eine Stimme im Gebuesch: "Das ist der Pfeifer von Hardt, drauf, Gesellen, der dort auf dem Ross muss der Rechte sein!" "Flieht, Junker, flieht!" rief sein treuer Fuehrer und stellte sich mit seiner Axt zum Kampf bereit; doch Georg zog sein Schwert, und in demselben Augenblick sah er sich von fuenf Maennern angefallen, waehrend sein Gefaehrte schon mit drei andern im Handgemenge war. Der enge Hohlweg hinderte ihn, sich seiner Vorteile zu bedienen und zur Seite auszuweichen. Einer packte die Zuegel seines Rosses, doch in demselben Augenblick traf ihn Georgs Klinge auf die Stirn, dass er ohne Laut niedersank; doch die anderen, wuetend gemacht durch den Fall ihres Genossen, drangen noch staerker auf ihn ein und riefen ihm zu, sich zu ergeben; aber Georg, obgleich er schon am Arm und Fuss aus mehreren Wunden blutete, antwortete nur durch Schwerthiebe. "Lebendig oder tot", rief einer der Kaempfenden, "wenn der Herr Herzog nicht anders will, so mag er's haben." Er rief's, und in demselben Augenblick sank Georg von Sturmfeder, von einem schweren Hieb ueber den Kopf getroffen, nieder. In toedlicher Ermattung schloss er die Augen, er fuehlte sich aufgehoben und weggetragen und hoerte nur das grimmige Lachen seiner Moerder, die ueber ihren Fang zu triumphieren schienen. Nach einer kleinen Weile liess man ihn auf den Boden nieder, ein Reiter sprengte heran, sass ab und trat zu denen, die ihn getragen hatten. Georg raffte seine letzte Kraft zusammen, um die Augen noch einmal zu oeffnen. Er sah ein unbekanntes Gesicht, das sich ueber ihn beugte. "Was habt Ihr gemacht?" hoerte er rufen. "Dieser ist es nicht, Ihr habt den Falschen getroffen. Macht, dass Ihr fortkommt, die von Neuffen sind uns auf den Fersen." Matt zum Tode schloss Georg sein Auge, nur sein Ohr vernahm wilde Stimmen und das Geraeusch von Streitenden, doch auch dieses verzog sich; feuchte Kaelte drang aus dem Boden des Wiesentales und machte seine Glieder erstarren, aber ein suesser Schlummer senkte sich auf den Verwundeten herab, und mit dem letzten Gedanken an die Geliebte entschwanden seine Sinne. Kapitel 15 Der schwaebische Bund war mit Macht in Wuerttemberg eingedrungen, von Tag zu Tag gewann er an Boden, von Woche zu Woche wurden seine Heere furchtbarer. Zuerst war nach langer, mutiger Gegenwehr der Hellenstein, das feste Schloss von Heidenheim, gefallen. Teck, damals noch eine starke, feste Burg, fiel durch die Unvorsichtigkeit der Besatzung; am mutigsten hielt sich Moeckmuehl; es schloss einen Mann in seinen Mauern ein, der sich allein mit zwanzig der Belagerer geschlagen haette; sein eiserner Wille war oft nicht minder schwer als seine eiserne Hand auf ihnen gelegen Auch diese Mauern wurden gebrochen, und Goetz von Berlichingen fiel in des Bundes Hand. Auch Schorndorf konnte den Kanonen Georgs von Frondsberg nicht widerstehen; es war die festeste Stadt gewesen; mit ihr fiel das Unterland. So war nun ganz Wuerttemberg bis herauf gegen Kirchheim in der Buendischen Gewalt, und der bayerische Herzog brach mit seinem Lager auf, um mit Ernst an Stuttgart zu gehen. Da kamen ihm Gesandte entgegen nach Denkendorf, die um Gnade flehten. Sie durften zwar nicht wagen vor dem erbitterten Feind ihren Herzog zu entschuldigen; aber sie gaben zu bedenken, dass ja er, die Ursache des Krieges, nicht mehr unter ihnen sei, dass man nur gegen seinen unschuldigen Knaben, den Prinzen Christoph, und gegen das Land Krieg fuehre. Aber vor der ehernen Stirn Wilhelms von Bayern vor den habgierigen Blicken der Bundesglieder fanden diese Bitten keine Gnade. Ulrich habe diese Strafe verdient, gab man zur Antwort, das Land habe ihn unterstuetzt, also mit gefangen, mit gehangen--auch Stuttgart musste seine Tore oeffnen. Aber noch war der Sieg nichts weniger als vollstaendig; der groesste Teil des Oberlandes hielt noch zum Herzog; und es schien nicht, als ob er sich auf den ersten Aufruf ergeben wollte. Dieses hoeher gelegene Gebirgsland wurde von zwei festen Plaetzen, Urach und Tuebingen beherrscht; solange diese sich hielten, wollten auch die Lande umher nicht abfallen. In Urach hielt es die Buergerschaft mit dem Bund, die Besatzung mit dem Herzog. Es kam zum Handgemenge, worin der tapfere Kommandant erstochen wurde; die Stadt ergab sich den Buendischen. Und so war in der Mitte des April nur noch Tuebingen uebrig; doch dieses hatte der Herzog stark befestigt; dort waren seine Kinder und die Schaetze seines Hauses; dem Kern des Adels, vierzig wackeren, kampfgeuebten Rittern und zweihundert der tapfersten Landeskinder war das Schloss anvertraut. Diese Feste war stark, mit Kriegsvorraeten wohl versehen, an ihr hingen jetzt die Blicke der Wuerttemberger, denn aus diesen Mauern war ihnen schon manches Schoene und Herrliche hervorgegangen; von diesen Mauern aus konnte das Land wieder dem angestammten Fuersten erobert werden, wenn es sich so lange hielt, bis er Entsatz herbeibrachte. Und dorthin wandten sich jetzt die Buendischen mit aller Macht. Ihrer Gewappneten Schritte toenten durch den Schoenbuch, die Taeler des Neckars zitterten unter dem Hufschlag ihrer Rosse; auf den Feldern zeigten tiefe Spuren, wohin die schweren Feldschlangen Falkonen und Bombarden, die Kugel- und Pulverwagen, der ganze furchtbare Apparat einer langen Belagerung gezogen war. Diese Fortschritte des Krieges hatte Georg von Sturmfeder nicht gesehen. Ein tiefer, aber suesse Schlummer hielt wie ein maechtiger Zauber seine Sinne viele Tage lang gefangen; es war ihm in diesem Zustand wohl zumute wie einem Kind, das am Busen seiner Mutter schlaeft, nur hin und wieder die Augen ein wenig oeffnet, um in eine Welt zu blicken, die es noch nicht kennt, um sie dann wieder auf lange zu verschliessen. Schoene beruhigende Traeume aus besseren Tagen gaukelten um sein Lager, ein mildes, seliges Laecheln zog oft ueber sein bleiches Gesicht und troestete die, welche ihn mit banger Erwartung pflegten. Wir wagen es, den Leser in die niedere Huette zu fuehren, die ihn gastfreundlich aufgenommen hatte, und zwar am Morgen des neunten Tages, nachdem er verwundet worden war. Die Morgensonne dieses Tags brach sich in farbigen Strahlen an den runden Scheiben eines kleinen Fensters und erhellte das groessere Gemach eines duerftigen Bauernhauses. Das Geraet, womit es ausgestattet war, zeugte zwar von Armut, aber von Reinlichkeit und Sinn fuer Ordnung. Ein grosser, eichener Tisch stand in einer Ecke des Zimmers, auf zwei Seiten von einer hoelzernen Bank umgeben. Ein geschnitzter, mit hellen Farben bemalter Schrein mochte den Sonntagsstaat der Bewohner oder schoene, selbstgesponnene Leinwand enthalten; das dunkle Getaefel trug ringsum ein Brett, worauf blanke Kannen, Becher und Platten von Zinn, irdenes Geschirr mit sinnreichen Reimen bemalt und allerlei musikalische Instrumente eines laengst verflossenen Jahrhunderts, wie Zimbeln, Schalmeien und eine Zither, aufgestellt waren. Um den grossen Kachelofen, der weit vorsprang, waren reinliche Linnen zum Trocknen aufgehaengt, und sie verdeckten beinahe dem Auge eine grosse Bettstelle, mit Gardinen von grossgebluemtem Gewebe, die im hintersten Teil der Stube aufgestellt war. An diesem Bett sass ein schoenes, liebliches Kind, von etwa sechzehn bis siebzehn Jahren. Sie war in jene malerische Bauerntracht gekleidet, die sich teilweise bis auf unsere Tage in Schwaben erhalten hat. Ihr gelbes Haar war unbedeckt und fiel in zwei langen, mit bunten Baendern durchflochtenen Zoepfen ueber den Ruecken hinab. Die Sonne hatte ihr freundliches, rundes Gesichtchen etwas gebraeunt, doch nicht so sehr, dass dadurch das schoene jugendliche Rot auf der Wange verdunkelt worden waere; ein munteres blaues Auge blickte unter den langen Wimpern hervor. Weisse, faltenreiche Aermel bedeckten bis an die Hand den schoenen Arm, ein rotes Mieder mit silbernen Ketten geschnuert, mit blendend weissen, zierlich genaehten Linnen umgeben, schloss eng um den Leib; ein kurzes schwarzes Roeckchen fiel kaum bis ueber die Knie herunter; diese schmucken Sachen und dazu noch eine blanke Schuerze und schneeweisse Zwickelstruempfe mit schoenen Kniebaendern wollten beinahe zu stattlich aussehen zu dem duerftigen Gemach, besonders da es Werktag war. Die Kleine spann emsig feine glaenzende Faeden aus ihrer Kunkel, zuweilen lueftete sie die Gardinen des Bettes und warf einen verstohlenen Blick hinein. Doch schnell, als waere sie auf boesen Wegen ertappt worden, schlug sie die Vorhaenge wieder zu und strich die Falten glatt, als sollte niemand merken, dass sie gelauscht habe. Die Tuer ging auf, und eine runde, aeltliche Frau in derselben Tracht wie das Maedchen, aber aermlicher gekleidet, trat ein. Sie trug eine dampfende Schuessel Suppe zum Fruehstueck auf, und stellte Teller auf dem Tisch zurecht. Indem fiel ihr Blick auf das schoene Kind am Bett, sie staunte sie an, und wenig haette gefehlt, so liess sie den Krug mit gutem Apfelwein fallen, den sie eben in der Hand hielt. "Was faellt Der aber um Gottes Willa ei', Baerbele?" sagte sie, indem sie den Krug niedersetzte und zu dem Maedchen trat. "Was faellt Der ei', dass De am Wertich da nuia rautha Rock zum Spinna anziehst? Und au's nui Miader hot sie an, und, ei dass Di!--au a silberne Kette. Und en frischa Schurz, und Struemp no so mir nix Dir nix aus em Kasta reissa? Wer wird denn en solcha Hochmut treiba, Du dummes Ding; Du? Woisst Du net, dass mer arme Leut sind? Und dass Du es Kind voma onglueckliche Mann bist?-" Die Tochter hatte geduldig die ereiferte Frau ausreden lassen; sie schlug zwar die Augen nieder, aber ein schelmisches Laecheln, das ueber ihr Gesicht flog; zeigte, dass die Strafpredigt nicht sehr tief gehe. "Ei, so lasset Uich doch b'richta", antwortete sie, "was schadet's denn dem Rock, wenn i ihn au amol ama christliche Wertag anhau? An der silberna Kette wird au nix verderbt, und da Schurz kann i jo wieder waescha!" "So? Als wemma et immer gnuag z'waescha und z'putza haett? So sag mer no, was ist denn in De g'fahra, dass De so straehlst und schoea machst?" "Ah was!" fluesterte das erroetende Schwabenkind, "wisset Er denn net, dass heut der acht Tag ist? Hot et der Aetti g'sait, der Junker werd' am heutige Morga verwacha, wenn sei Traenkle guete Wirkung haeb? Und do hanna eba denkt--" "Ist's um dui Zeit?" entgegnete die Hausfrau freundlicher. "Da host waerle reacht; wenn er verwacht und sieht aelles so schluttig und schlampich, se ist's et guot, und koennt Verdruss gae beim Aette. Ih sieh aus wia na Drach. Gang, Baerbele, hol mer mei schwarz Wammes, mei rauths Miader und en frischa Schurz." "Aber Muater", gab die Kleine zu bedenken, "Er wendt Uich doch et do anthau woella? Wenn der Junker jetzt no grad verwacha taet? Ganget lieber uffe und theant Uich droba an, i bleib derweil bei em." "Da hast au reacht, Maedle", murmelte die Alte, liess selbst das Fruehstueck stehen und ging, um sich in ihren Putz zu werfen. Die Tochter aber oeffnete das Fenster der frischen, erquickenden Morgenluft, sie streute Futter auf den breiten Sims, viele Tauben und Sperlinge flogen heran und verzehrten mit Gurren und Zwitschern ihr Fruehstueck; die Lerchen in den Baeumen vor den Fenstern antworteten in einem vielstimmigen Chorus, und das schoene Maedchen sah, von der Morgensonne umstrahlt, laechelnd ihren kleinen Kostgaengern zu. In diesem Augenblick oeffneten sich die Gardinen des Bettes, der Kopf eines schoenen, jungen Mannes sah heraus; wir kennen ihn, es ist Georg. Ein leichtes Rot, der erste Bote wiederkehrender Gesundheit lag auf seinen Wangen; sein Blick war wieder glaenzend, wie sonst; sein Arm stemmte sich kraeftig auf das Lager. Erstaunt blickte er auf seine Umgebung; dieses Zimmer, dieses Geraet waren ihm fremd, er selbst, seine ganze Lage kam ihm ungewohnt vor. Wer hatte ihm diese Binde um das Haupt gebunden? Wer hatte ihn in dieses Bett gelegt? Es war ihm wie einem, der mit froehlichen Bruedern eine Nacht durchjubelt, die Besinnung endlich verloren hat und auf einem fremden Lager aufwacht. Lange sah er dem Maedchen am Fenster zu; dieses Bild, das erste, das ihm bei seinem Erwachen aus langem Schlaf entgegen trat, war so freundlich, dass er das Auge nicht davon abwenden konnte; endlich siegte die Neugierde, ueber das, was mit ihm vorgegangen war, gewisser zu werden; er machte ein Geraeusch, indem er die Gardinen des Bettes noch weiter zurueckschlug. Das Maedchen am Fenster schien zusammenzuschrecken; sie wandte sich um, ueber ein schoenes Gesicht flog ein brennendes Rot, freundliche, blaue Augen staunten ihn an; ein roter, laechelnder Mund schien vergebens nach Worten zu suchen, den Kranken bei seiner Rueckkehr ins Leben zu begruessen. Sie fasste sich und eilte mit kurzen Schrittchen an das Bett, doch machte sie unterwegs mehrere Male halt, als besinne sie sich ob er denn wirklich wieder aufgewacht sei, ob es sich auch schicke, dass sie zu ihm trete, da er jetzt wieder lebe wie ein anderer Mensch. Der junge Mann, nachdem er der Verlegenheit des schoenen jungen Kindes laechelnd zugesehen hatte, brach zuerst das Stillschweigen "Sag mir, wo bin ich? Wie kam ich hierher?" fragte Georg. "Wem gehoert dieses Haus, worin ich, wie mir scheint, aus einem langen Schlaf erwacht bin?" "Sind Er wieder ganz bei Uich?" rief das Maedchen, indem sie vor Freude die Haende zusammenschlug. "Ach, Herr Jeses, wer hett' des denkt? Er gucket oin doch au wieder g'scheit an, und et so duselig, dass oins aellemol angst und bang wora ist." "Ich war also krank?" forschte Georg, der das Idiom des Maedchens nur zum Teil verstand. "Ich lag einige Stunden ohne Bewusstsein?" "Ei, wie schwaetzet Er doch", kicherte das huebsche Schwabenkind und nahm das Ende des langen Zopfbandes in den Mund, um das laute Lachen zu verbeissen, "a paar Stund, saget Er. Heut nacht wird's g'rad nei Tag; dass se Uich brocht hent." Der Juengling staunte sie mit ernsten Blicken an. Neun Tage, ohne zu Marien zu kommen! Zu Marien? Mit diesem himmlischen Bild kehrte wie mit einem Schlag seine Erinnerung wieder; er erinnerte sich, dass er vom Bund sich losgesagt habe; dass er sich entschlossen habe, nach Lichtenstein zu reisen, dass er ueber die Alb auf geheimen Wegen gezogen sei, dass--er und sein Fuehrer ueberfallen, vielleicht gefangen wurden "Gefangen?" rief er schmerzlich "Sage, Maedchen, bin ich gefangen?" Diese hatte mit wachsender Angst gesehen, wie sich die klaren Blicke des jungen Ritters verfinstert hatten, wie seine freundlichen Zuege ernst, beinahe wild wurden. Sie glaubte, er falle in jenen schrecklichen Zustand zurueck, wo er, vom Wundfieber hart angefallen, einige Stunden lang gerast hatte, und der schwermuetige Ton seiner Frage konnte ihre Furcht nicht mindern. Unschluessig, ob sie bleiben oder um Hilfe rufen solle, trat sie einen Schritt zurueck. Der junge Mann glaubte in ihrem Schweigen, in ihrer Angst die Bestaetigung seiner Frage zu lesen. "Gefangen, vielleicht auf lange, lange Zeit", dachte er, "vielleicht weit von ihr entfernt, ohne Hoffnung, ohne den Trost, etwas von ihr zu wissen!" Sein Koerper war noch zu erschoepft, als dass er der trauernden Seele widerstanden haette; eine Traene stahl sich aus dem gesenkten Auge. Das Maedchen sah diese Traene, ihre Angst loeste sich augenblicklich in Mitleiden auf, sie trat naeher, sie setzte sich an sein Bett, sie wagte es, die herabhaengende Hand des Juenglings zu ergreifen "Er mueesset et greina", sagte sie, "Euer Gnada sind jo jetzt wieder g'sund, und--Er kennet jo jetzt bald wieder fortreita", setzte sie wehmuetig laechelnd hinzu. "Fortreiten?" fragte Georg; "Also bin ich nicht gefangen?" "G'fanga? Noi, g'fanga send Er net; es haett zwar a paarmol sei kenne, wia dia vom schwaebischa Bund vorbeizoga send; aber mer hent Uich allemol guet versteckt; der Vater hot g'sait, mer solla da Junker koin Menscha seha lau." "Der Vater?" rief der Juengling. "Wer ist der guetige Mann? Wo bin ich denn?" "Ha, wo werdet Er sei?" antwortete Baerbele. "Bei aus send Er in Hardt." "In Hardt?" Ein Blick auf die musikalisch ausstaffierten Waende gab ihm Gewissheit, dass er Freiheit und Leben jenem Mann zu verdanken habe, der ihm wie ein Schutzgeist von Marien zugesandt war. "Also in Hardt? Und Dein Vater ist der Pfeifer von Hardt? Nicht wahr?" "Er hot's et gern, wemmer em so ruaft", antwortete das Maedchen, "er ist freile sei's Zoiches a Spielma, er hairt's am gernsta, wemmer Hans zua nem sait." "Und wie kam ich denn hierher?" fragte jener wieder. "Ja wisset Er denn au gar koi Woertle meh?" laechelte das huebsche Kind und bediente sich des Zopfbandes. Sie erzaehlte, ihr Vater sei schon seit einigen Wochen nicht zu Hause gewesen, da sei er einmal vor neun Tagen in der Nacht an das Haus gekommen und habe stark gepocht, bis sie erwacht sei. Sie habe seine Stimme erkannt und sei hinabgeeilt, um ihm zu oeffnen. Er sei aber nicht allein gewesen, sondern noch vier andere Maenner bei ihm, die eine mit einem Mantel verdeckte Tragbahre in die Stube niedergelassen haetten. Der Vater habe den Mantel zurueckgeschlagen und ihr befohlen, zu leuchten, sie sei aber heftig erschrocken, denn ein blutender, beinahe toter Mann sei auf der Bahre gelegen. Der Vater habe ihr befohlen, das Zimmer schnell zu waermen, indessen habe man den Verwundeten, den sie seinen Kleidern nach fuer einen vornehmen Herrn erkannt habe, auf das Bett gebracht. Der Vater habe ihm seine Wunden mit Kraeutern verbunden, habe ihm dann auch selbst einen Trank bereitet, denn er verstehe sich trefflich auf die Arzneien fuer Tiere und Menschen. Zwei Tage lang seien sie alle besorgt gewesen, denn der Junker habe gerast und getobt. Nach dem zweiten Traenklein aber sei er still geworden, der Vater habe gesagt, am achten Morgen werde er gesund und frisch erwachen, und wirklich sei es auch so eingetroffen. Der junge Mann hatte mit wachsendem Erstaunen der Rede des Maedchens zugehoert. Er hatte sie oft unterbrechen muessen, wenn er ihre zierlichen Ausdruecke nicht recht verstand, oder wenn sie in ihrer Rede abschweifte, um die Kraeuter zu beschreiben, woraus der Pfeifer von Hardt seine Arzneien bereitet hatte. "Und Dein Vater", fragte er sie, "wo ist er?" "Was wisset mir, wo er ist!" antwortete sie ausweichend, doch als besinne sie sich eines Besseren, setzte sie hinzu: "Uich kammes jo saga, denn Ihr mueesset gut Freund sei mit em Vater. Er ist nach Lichtastoi." "Nach Lichtenstein?" rief Georg, indem sich seine Wangen hoeher faerbten. "Und wann kommt er zurueck?" "Ja er sott schau seit zwoi Tag do sei, wie ner gsait hot. Wennem no nix g'scheha ist. D'Leut saget, die buendische Reiter bassenem uff." Nach Lichtenstein--dorthin zog es ja auch ihn. Er fuehlte sich kraeftig genug, wieder einen Ritt zu wagen und das Versaeumnis der neun Tage einzuholen. Seine naechste und wichtigste Frage war daher nach seinem Ross. Und als er hoerte, dass es sich ganz wohl befinde und im Kuhstall seiner Ruhe pflege, war auch der letzte Kummer von ihm gewichen. Er dankte seiner holden Pflegerin fuer seine Wartung und bat sie um sein Wams und seinen Mantel. Sie hatte laengst alle Spuren von Blut und Schwerthieben aus den schoenen Gewaendern vertilgt; mit freundlicher Geschaeftigkeit nahm sie die Habe des Junkers aus dem geschnitzten und gemalten Schrein, wo sie neben ihrem Sonntagsschmuck geruht hatten. Laechelnd breitete sie Stueck vor Stueck vor ihm aus und schien sein Lob, dass sie alles so schoen gemacht habe, gerne zu hoeren. Dann enteilte sie dem Gemach, um die frohe Botschaft, dass der Junker ganz genesen sei, der Mutter zu verkuenden. Kapitel 16 Als die runde Frau und Baerbele von der Bodenkammer herabstiegen, war ihr erster Gang nicht in das Gemach, wo ihr Gast war, sondern nach der Kueche, und zwar aus zweierlei Gruenden: Einmal, weil jetzt dem Gast ein kraeftiges Hafermus gekocht werden musste, und dann--von der Kueche ging ein kleines Fenster in die Stube, dorthin stellte sich die Mutter, um die Mienen des Junkers zu rekognoszieren. Baerbele stellte sich auf die Zehen und schaute ihrer Mutter ueber die Schulter durchs Fensterlein. Sie staunte, und ihr Herz pochte seit siebzehn Jahren zum ersten Mal recht ungestuem: Denn so huebsch hatte sie sich doch den Junker nicht gedacht. Sie war zwar oft von seinem Anblick bis zu Traenen geruehrt gewesen, wenn er mit starren Augen, ohne Bewusstsein, beinahe ohne Leben da lag. Seine bleichen, noch im Kampf mit dem Tod so schoenen Zuege hatten sie oft angezogen, wie ein ruehrendes, erhabenes Bild den frommen Sinn einer Betenden anzieht. Aber jetzt, sie fuehlte es, jetzt war es was ganz anderes. Die Augen waren wieder gefuellt von schoenem, mutigem Feuer; es wollte dem Baerbele auf den Zehen beduenken, als habe sie, so alt sie geworden, noch gar keine solchen gesehen. Das Haar lag nicht mehr in unordentlichen Straengen um die schoene Stirn. Es fiel geordnet und reich auf den Nacken hinab. Seine Wangen hatten sich wieder geroetet, seine Lippen waren so frisch wie die Kirschen an Petri und Paul. Und wie ihn das seidengestickte Wams gut kleidete, und der breite weisse Halskragen, den er ueber das Kleid heraus gelegt hatte! Aber das konnte das Maedchen nicht ergruenden, warum er wohl immer wieder auf eine aus weiss und blauer Seide geflochtene Schaerpe nieder sah. So fest, so eifrig, als waeren geheimnisvolle Zeichen eingewoben, die er zu entziffern bemueht sei. Ja, es kam ihr sogar vor, als druecke er die Feldbinde an das Herz, als fuehre er sie an die Lippen voll Andacht und Inbrunst, wie man Reliquien zu verehren pflegt. Die runde Frau hatte indessen ihre Forschungen durch das Fensterlein beendet. "'s ist a Herr wie na Prinz", sagte sie, indem sie das Hafermus umruehrte. "Was er a Wammes a hat! Dia Herra z'Stuagert kennet's et schoener hau. Was duet er no mit dem Fetza, won er in der Hand hot? Er guckt a so schier ausenander! Es ist, ka sei, a bisle Bluat na komme, dass ens verzirnt." "Noi, sell isch et", entgegnete Baerbele, die jetzt bequemer das Zimmer uebersehen konnte. "Aber wisset Er, Muater, wia mers fuerkommt? Er macht so gar fuirige Auga druf na. Sell ist gewiss ebbes von seim Schatz." Die runde Frau konnte sich nicht enthalten, ueber die richtige Vermutung ihres Kindes ein wenig zu laecheln, doch schnell nahm sie ihre muetterliche Wuerde wieder zusammen, indem sie entgegnete: "A, was woist Du von Schaetz! So na Kind wie Du muass gar a nix so denka. Gang jetzt weg vom Fensterle dort, lang mir sell Haefele her. Der Herr wir a fuernehmes Fressa g'wohnt sei, i muass am a bisle viel Schmalz in de Brei dauh." Baerbele verliess etwas empfindlich das Fenster. Sie wusste, dass sie ihrer Mutter nicht widersprechen duerfe, aber diesmal hatte diese offenbar unrecht. Das Fruehstueck des Junkers war indessen fertig geworden, es fehlte nichts mehr als ein Becher guten alten Weines. Auch dieser war bald hereingebracht, denn der Pfeifer von Hardt war zwar ein geringer Mann, aber nicht so arm, dass er nicht fuer feierliche Gelegenheiten ein Faesschen im Keller liegen hatte. Das Maedchen trug den Wein und das Brot, und die runde Frau ging in vollem Sonntagsstaat, die Schuessel mit Hafermus in beiden Faeusten, ihrem holden Toechterlein voran in die Stube. Es kostete den jungen Mann nicht geringe Muehe, den vielen Knixen der Pfeifersfrau Einhalt zu tun. Sie hatte in ihrer Jugend einmal auf dem Schloss zu Neuffen gedient und wusste, was Lebensart war. Daher blieb sie mit der rauchenden Schuessel an ihrer eigenen Schwelle stehen, bis ihr der gestrenge Junker ernstlich befahl, vorzutreten. Die Tochter aber stand erroetend hinter der runden Frau, und ihr verschaemtes Gesicht wurde nur auf Augenblicke sichtbar, wenn die Mutter sich recht tief verneigte. Auch sie machte die gehoerige Anzahl Knixe, doch mochten sie nicht so ungemein ehrerbietig sein, denn sie hatte ja schon ein halbes Stuendchen mit ihm geplaudert. Das Maedchen deckte jetzt den Tisch mit frischem Linnen, setzte dem Junker das Hafermus und den Wein an den Ehrenplatz in der Ecke der Bank unter dem Kruzifix. Dann steckte sie einen zierlich geschnitzten, hoelzernen Loeffel in das Mus. Er blieb aufrecht darin stehen, und es war dies ein gutes Zeichen, dass das Fruehstueck delikat bereitet sei. Als der Junker sich niedergelassen hatte, setzten sich auch Mutter und Tochter an den Tisch zu ihrem Suppennapf, doch in bescheidener Entfernung, und nicht, ohne das Salzfass zwischen sich und ihren vornehmen Gast zu stellen. Denn so wollte es die Sitte in den guten alten Zeiten. Georg hatte, waehrend sie das Fruehmal verzehrten, Musse genug, die beiden Frauen zu betrachten. Er gestand sich, dass die Hausehre des Pfeifers von Hardt eine stattliche Frau sei, die vielleicht manchen weniger kuehnen Mann als seinen Fuehrer und Erretter unter die Stelzen ihrer gewichtigen Schuhe (Pantoffeln hatte sie wohl nicht) gebracht haette. Auch das Kind des Spielmanns duenkte ihm eine liebliche Dirne, und ein so schoener Kopf, solche freundlichen Augen haetten vielleicht in seinem Herzen einen nicht zu verachtenden Raum gewonnen, waere es nicht von einem Bild schon ganz erfuellt gewesen, waere nicht die Kluft so unendlich gross gewesen, welche Geburt und Verhaeltnisse zwischen den Erben des Namens Sturmfeder und der geringen Tochter des Pfeifers von Hardt befestigt hatten. Nichtsdestoweniger ruhten seine Blicke mit Wohlgefallen auf ihren reinen, unschuldigen Zuegen, und waere die runde Frau nicht mit ihrer Suppe zu beschaeftigt gewesen, so waere ihr wohl die Roete nicht entgangen, die auf den Wangen ihres Kindes aufstieg, wenn zufaellig einer ihrer verstohlenen Blicke dem Auge des jungen Mannes begegnete. "Der Napf ist leer, jetzt ist es Zeit zu schwatzen." Dieser richtige Spruch galt auch hier, sobald das Tischtuch weggenommen war. Georg lagen vornehmlich zwei Dinge am Herzen: Er musste gewiss sein, wann der Pfeifer von Lichtenstein zurueckkommen wuerde, weil er nur seine Nachrichten ueber die Geliebte abwarten wollte, um dann sogleich zu ihr zu eilen. Und zweitens war es ihm sehr wichtig, zu erfahren, wo das Heer des Bundes in diesem Augenblick stehe. Ueber das Erstere konnte er keine weitere Auskunft erhalten, als was ihm das Maedchen frueher schon gesagt hatte. Der Vater sei etwa seit sechs Tagen abwesend, habe aber versprochen, am fuenften Abend wieder hier zu sein, und sie erwarteten ihn daher stuendlich Die runde Frau vergoss Traenen, indem sie dem Junker klagte, dass ihr Mann, seitdem dieser Krieg begonnen, kaum einige Stunden zu Hause gewesen sei. Er sei von trueberen Zeiten her schon als ein unruhiger Mann beruechtigt. Jetzt murmeln die Leute auch wieder allerlei ueber ihn, und gewiss bringe er seine Frau und sein Kind durch sein gefaehrliches Leben noch in Unglueck und Jammer. Georg suchte alle Trostgruende hervor, um ihre Traenen zu stillen. Es gelang ihm wenigstens so weit, dass sie ihm seine Fragen nach dem Bundesheer beantwortete. "Ach, Herr", sagte sie, "des ist a Graus und a Jomer. 'S ist grad, wie wenn der wild Jaeger uf de Wolka reitet, und mit seine g'schpenstige Hund uebers Lager wegzieht. 'S ganz Unterland hent se schau, und jetzt goht's mit em hella Haufe ge Tibenga." "So sind die Festungen alle schon in ihrer Hand?" fragte Georg verwundert. "Hellenstein, Schorndorf, Goeppingen, Teck, Urach? Sind sie alle schon eingenommen?" "Aelles hent se. A Mann vo Schorndorf hot's g'sait, dass se de Hellastoi, Schorndorf und Goeppinga hent. Aber von Teck und Aurich kan e Uich ganz gnau berichta, mer send jo koine drei, vier Stund davo." Sie erzaehlte nun: Am dritten April sei das Heer vor Teck gezogen. Sie haetten einen Teil des Fussvolkes vor das eine Tor gesetzt und sich mit der Besatzung ueber die Uebergabe besprochen. Da seien alle Knechte zu diesem Tor geeilt und haben zugehoert, und indessen sei das andere Tor von den Feinden bestiegen worden. Im Schloss Urach aber seien vierhundert herzogliche Fussknechte gewesen. Die habe die Buergerschaft nicht in die Stadt lassen wollen, als der Feind anrueckte. Es sei zum Gefecht zwischen ihnen gekommen, worin die Knechte auf den Markt gedrungen seien, dort aber sei der Vogt von einer Kugel getroffen und nachher mit Hellebarden niedergestossen worden. Die Stadt habe sich dem Bund ergeben. "Es ist koi Wunder", schloss die runde Frau ihre Erzaehlung, "aelle Burga und Schloesser nehme se ei. Denn se hent lange Feldschlanga und Bombardierstuck, wo se Kugla draus schiesset, graisser als mei Kopf, dass aelle Maura zema brecha und aelle Tirn einfalla mueasset." Georg konnte nach diesem Bericht ahnen, dass eine Reise von Hardt nach Lichtenstein nicht minder gefaehrlich sein werde als jener Ritt ueber die Alp, denn er musste gerade die Linie zwischen Urach und Tuebingen durchschneiden. Doch war Urach schon seit mehreren Tagen vom Heer verlassen. Die Belagerung von Tuebingen musste notwendig viel Mannschaft erfordern, und so konnte Georg dennoch hoffen, dass keine eigentlichen Posten mehr den Strich Landes, den er zu durchreisen hatte, besetzt halten wuerden. Mit Ungeduld erwartete er daher die Ankunft seines Fuehrers. Seine Kopfwunde war geheilt. Sie war nicht tief gewesen, denn die Federn seines Barettes und sein dichtes Haar hatten dem Hieb, der nach ihm gefuehrt worden war, seine Schaerfe genommen. Doch war der Schlag noch immer kraeftig genug gewesen, um ihn auf so viele Tage des Bewusstseins zu berauben. Auch seine uebrigen Wunden an Arm und Beinen waren geheilt, und die einzige koerperliche Folge jener ungluecklichen Nacht war eine Mattigkeit, die er dem Blutverlust, dem langen Liegen und dem Wundfieber zuschrieb. Doch auch diese schwand von Stunde zu Stunde, denn ein frischer Mut und sehnsuechtige Gedanken in die Ferne verjagten gar bald solche schlimmen Gaeste. Er musste auch die trauliche gutmuetige Geschwaetzigkeit des Maedchens bewundern. Die runde Frau mochte schmaelen wie sie wollte, mochte sie noch so oft ermahnen, den hohen Stand des Ritters zu bedenken, sie liess es sich nicht nehmen, ihren Gast zu unterhalten, besonders da sie ihren geheimen Plan, zu erforschen, ob sie in Hinsicht auf die Feldbinde besser geraten habe als die Mutter, noch nicht aufgegeben hatte. Sie hatte hierueber noch ihre ganz besonderen Gedanken. Als naemlich der Junker so gar krank gelegen, war sie in der Nacht noch lange aufgeblieben, um dem Vater Gesellschaft zu leisten, der am Bett des Verwundeten wachte. Doch bald schlief sie ueber ihrer Arbeit ein. Es mochte ungefaehr zehn Uhr in der Nacht sein, da sie von einem Geraeusch im Zimmer aufgeweckt wurde. Sie sah einen Mann mit dem Vater angelegentlich sprechen; seine Zuege entgingen ihr nicht, obgleich er sich in eine grosse Kappe gehuellt hatte; sie glaubte einen Diener des Ritters von Lichtenstein, der schon oft auf geheimnisvolle Weise zu dem Pfeifer von Hardt gekommen war und bei dessen Anwesenheit sie immer das Zimmer hatte verlassen muessen, in ihm zu erkennen. Neugierig, endlich einmal zu hoeren, was dieser Mann bei dem Vater zu tun habe, schloss sie ihre Augen wieder fest zu; denn es war ihr wahrscheinlich, dass ihr Vater sie nur im Zimmer liess, weil er sie fuer fest eingeschlafen hielt. Der Mann erzaehlte von einem Fraeulein, die ueber eine gewisse Nachricht untroestlich sei. Sie habe den fremden Mann gebeten und gefleht, nach Hardt zu gehen und Nachricht einzuziehen, sie habe geschworen, wenn er nicht gute Nachricht bringe, ihrem Vater alles zu sagen, und zur Pflege des Kranken selbst zu kommen. Solches hatte der Lichtensteiner heimlich gesprochen; der Vater hatte darauf das Fraeulein beklagt, hatte dem Boten den ganzen Zustand des Kranken geschildert und versprochen, dass er, sobald sich der Kranke gebessert habe, selbst kommen werde, um dem Fraeulein diesen Trost zu bringen. Der fremde Mann hatte sodann dem Kranken ein Loeckchen von seinen langen Haaren abgeschnitten, es in ein Tuch geschlagen und unter dem Wams wohl verwahrt; darauf war er, vom Vater gefuehrt, aus der Stube gegangen, und kurz nachher hoerte sie ihn bei Nacht und Nebel wieder wegreiten. Diese Begebenheit hatten die vielerlei Geschaefte der folgenden Tage bald wieder aus dem leichten, jugendlichen Sinn der Tochter des Pfeifers von Hardt verdraengt, sie erwachte aber jetzt aufs neue, aufgeregt durch das, was Baerbele durchs Kuechenfenster gesehen hatte. Sie wusste, dass der Ritter von Lichtenstein eine Tochter habe, denn die Schwester des Spielmanns war ja ihre Amme. Und dieses Fraeulein musste es wohl sein, die den Lichtensteiner Knecht gesandt habe, um sich so angelegentlich nach dem Kranken zu erkundigen, die sogar selbst kommen wollte, um ihn zu pflegen. Traenen traten ihr in die sonst so froehlichen Augen, als sie bedachte, wie leicht der Junker seinem Liebchen haette wegsterben koennen, und wie sie dann so einsam und ohne Liebe gewesen waere, und doch war sie gewiss recht schoen und eines vornehmen reichen Ritters Kind. Doch ist nicht der Junker noch viel schlimmer daran? dachte das gutherzige Schwabenkind weiter; dem Fraeulein hat ja der Vater jetzt Nachricht von ihm gebracht, aber er, er wusste ja seit vielen Tagen kein Woertchen von ihr; denn frueher wusste er nichts von sich selbst, und seit er wieder ganz bei Leben war, konnte er auch nichts wissen; darum hatte er wohl die Binde, die er gewiss von ihr hatte, so bewegt angeschaut und ans Herz und den Mund gedrueckt? Sie nahm sich vor, ihm zu erzaehlen, was in jener Nacht vorgegangen sei, vielleicht ist es ihm doch ein Trost, dachte sie. Georg hatte bemerkt, wie die froehliche Miene des spinnenden Baerbele nach und nach ernster geworden war, wie sie ueber etwas nachzusinnen schien, ja er glaubte sogar eine Traene in ihrem Auge bemerkt zu haben. "Was hast Du, Maedchen", sagte er, als die Mutter gerade das Zimmer verlassen hatte, "warum wirst Du auf einmal so still und ernst und netzest ja sogar Deine Faeden mit Traenen?" "Send denn Ihr so lustig, Junker? fragte Baerbele und sah ihm recht fest ins Auge, "i han gmoint, es sei vorig ebbes aus Eure Auge grollt, was selle Binde dort gnetzt hot. Sell hent Er gewiss vo Eurem Schaetzle, und jetzt tuets Uich loid, dass Er et bei er send." Sie mochte nahe ans Ziel getroffen haben, denn der junge Mann erroetete tief ueber ihre Frage. "Du hast vielleicht recht", sagte er laechelnd, "doch bin ich deswegen nicht gar zu traurig, ich werde sie bald wiedersehen." "Ach, was des fuer a Freud sein wird in Lichtastoi!" entgegnete Baerbele mit einem schelmischen Seitenblick. Georg erstaunte; sollte ihr der Vater von dem Geheimnis seiner Liebe etwas gesagt haben? "In Lichtenstein?" fragte er sie. "Was weisst Du von mir und Lichtenstein?" "Ach, i mags dem gnaedigen Fraeule wohl goenna, dass se wieder a mol a Freud hot; mer hot mer gsait, se haeb rechtschaffa g'jommert, wie Er so krank gwae send." "Gejammert, sagst Du?" rief Georg, indem er aufsprang und zu ihr trat. "So wusste sie um meine Krankheit? Oh sprich, was weisst Du von Marie? Kennst Du sie? Was sagte der Vater von ihr?" "Der Vater hot koi sterbes Woertle zu mer gsait, und i wisst au net, dass es a Fraeule von Lichtastoi geit, wenn et mei Bas ihr Amm waer. Aber Er mueesset mers et uebel nemme, Junker, dasse a bissele ghorcht han, gucket, des Ding ist so ganga." Sie erzaehlte dem Junker, wie sie hinter das Geheimnis gekommen sei und dass der Vater, wahrscheinlich, um guten Trost zu bringen, nach Lichtenstein gegangen sei. Georg wurde schmerzlich bewegt durch diese Nachricht, er hatte bis jetzt geglaubt, Marie werde die Nachricht seines Unfalls zugleich mit der troestlichen Kunde seiner Genesung erhalten, und jetzt musste er erfahren, dass sie mehrere bange Tage in Ungewissheit geschwebt habe: in der schrecklichen Ungewissheit, ob er nicht hier noch entdeckt werde, ob er gerettet werde, ob sie ihn je wiedersehen wuerde; er kannte ihr treues Herz, und wie lebhaft konnte er sich ihren Kummer denken! Wahrlich, sein eigenes Unglueck schien ihm gering und nicht zu beachten, wenn er sich den Jammer des teuren Maedchens vorstellte. Wieviel hatte sie in Ulm gelitten, wie schmerzlich war ihr der Abschied von ihm geworden: und kaum hatte ihr Herz wieder freier geatmet in dem Gedanken, dass er des Bundes Fahnen verlassen werde, kaum hatte sie ein wenig heiterer in die Zukunft gesehen, so kam ihr die Schreckensbotschaft von der toedlichen Wunde. Und dieses vor den Blicken des Vaters verschliessen zu muessen, diesen grossen Schmerz allein tragen muessen, ohne eine, auch nur eine Seele zu haben, bei welcher sie weinen, bei welcher sie Trost suchen konnte. Jetzt fuehlte er erst, wie notwendig es sei, schnell nach Lichtenstein zu eilen, und seine Ungeduld wurde zum Unmut, dass jener sonst so kluge Mann gerade in diesen kostbaren Augenblicken so lange ausbleibe. Das Maedchen mochte seine Gedanken erraten: "I sieh wohl, Er moechtet gern fort; wenn no der Vater do waer, denn alloi fendet Er da Weg nach Lichtastoi net; Er send koi Witaberger, des merke an der Sproch, und do kennet Er leicht verirra. Wisset Er was? I lauf em Vater entgege und mach, dass er bald kommt." "Du wolltest ihm entgegengehen?" sagte Georg, geruehrt von der Gutmuetigkeit des Maedchens. "Weisst Du denn, ob er schon in der Naehe ist? Vielleicht ist er noch Stunden entfernt, und in einer Stunde wird es Nacht!" "Und waer's so Nacht, dass mer da Weg mit de Haend greifa mueesst, und mueesst i laufa bis Lichtastoi, i wetts gern dauh, Er kommet jo no baelder zu--". Erroetend schlug sie die Augen nieder, denn trieb sie auch ihr gutes Herz, sich zum Liebesboten des Ritters anzubieten, so schaemte sie sich doch, jenes zarte Verhaeltnis, das ihr heute so klar wie noch nie zuvor einleuchtete, zu beruehren. "Und willst Du mir zulieb gehen bis Lichtenstein, so waere es ja toericht von mir, zurueckzubleiben und erst Deinen Vater zu erwarten. Ich sattle geschwind mein Ross und reite neben Dir her, und Du zeigst mir den Weg, bis ich ihn nicht mehr verfehlen kann." Das Maedchen von Hardt schlug die Augen nieder und spielte mit dem langen Zopfband "Aber es wird jo scho en era Stund Nacht", fluesterte sie kaum hoerbar. "Ei, was schadet das? Dann bin ich um den Hahnenschrei in Lichtenstein", antwortete Georg, "Du wolltest Dich ja vorhin selbst bei Nacht und Nebel auf den Weg machen." "Ja i wohl", entgegnete Baerbele, ohne aufzusehen, "aber Uich ist's gwiss et gsund, wo ner erst krank gwae send, so in der kuehla Nacht en Weg von sechs Stund zmacha." "Das kann ich nicht beachten", rief Georg, "und die Wunde ist ja geheilt, ich bin gesund wie zuvor; nein, rueste Dich immer, gutes Kind, wir brechen sogleich auf, ich gehe, mein Pferd zu satteln." Er nahm den Zaum von einem Nagel an der Wand, wo er aufgehaengt war; und schritt zur Tuer. "Herr! Euer Gnaden!" rief ihm das Maedchen aengstlich nach. "Lasset's lieber geh. Gucket, 's tuet se et, dass mer so selbander in der Nacht fortganget. D'Leut in Hardt send so gar wunderlich, und mer taet mer gwiss ebbes ahaenga, wenne--wartet lieber bis morga frueh, so wille Uich meinetwega fuehra bis Pfullinga." Der Junker ehrte die Gruende des guten Maedchens und hing schweigend den Zaum wieder an die Wand. Er beschloss, diesen Abend und die folgende Nacht noch auf den Pfeifer zu warten, kaeme er nicht, so wollte er mit dem fruehesten Morgen zu Pferd sein und unter Leitung seiner schoenen Tochter nach Lichtenstein aufbrechen. Kapitel 17 Aber der Pfeifer von Hardt kehrte auch in dieser Nacht nicht nach Haus zurueck, und Georg, der seine Sehnsucht nach der Geliebten nicht mehr laenger zuegeln konnte, sattelte, als der Morgen graute, sein Pferd. Die runde Frau hatte nach einigen harten Kaempfen ihrem Toechterlein erlaubt, dass sie den Junker geleiten duerfe. Sie wusste zwar, dass ein so unerhoertes Ereignis viele Abende zur Unterhaltung in den Spinnstuben von Hardt dienen werde, und sah es deswegen nicht ganz gerne. Wenn sie aber bedachte, wieviel ihrem Eheherrn an dem jungen Ritter gelegen sein muesse, weil er ihn in sein Haus aufgenommen und wie einen Sohn gepflegt hatte, so glaubte sie doch, diesen letzten Dienst ihrem Gast nicht abschlagen zu duerfen; doch machte sie die Bedingung, dass Baerbele vorausgehen und ihn eine Viertelstunde hinwaerts an einem Markstein erwarten muesse. Georg nahm geruehrt Abschied von der stattlichen, runden Frau, die ihm zu Ehren heute noch einmal in ihrem Sonntagsstaat prangte; er hatte in den geschnitzten Schrank einen Goldgulden gelegt, ein wichtiges Geschenk fuer die damalige Zeit, und eine bedeutende Summe fuer die Reisekasse Georgs von Sturmfeder. Der Pfeifer von Hardt soll uebrigens nie etwas von diesem Depositum erfahren haben; sei es nun, dass die gute runde Frau den Goldgulden nicht gefunden hat oder dass sie ihrem Eheherrn nichts davon berichtete, aus Angst, er moechte den Junker durch die Rueckgabe des Geschenkes beleidigen. Nur so viel ist gewiss, dass die Frau des Spielmanns kurze Zeit nach diesem Vorfall mit einem nagelneuen Rock in der Kirche erschien, zur Verwunderung aller Weiber in der Gegend, und dass ihre Tochter Baerbele eine schoenes Mieder von feinem Tuch mit Goldborden auf der naechsten Kirchweih trug, das man frueher nie an ihr gesehen. Auch soll sie jedes Mal erroetet sein, wenn die Maedchen das neue Mieder befuehlten und lobten. Georg fand seine Fuehrerin auf dem bezeichneten Markstein sitzend. Sie sprang auf, als er herankam, und ging mit raschen Schritten neben ihm her. Das Maedchen kam ihm heute noch viel huebscher vor als gestern. Ihre Wangen hatte der frische Aprilmorgen mit hohem Rot bedeckt, und ihre Augen glaenzten freundlich. Ihre Tracht eignete sich ganz gut zu einem weiten Marsch, denn das kurze Roeckchen hinderte den Fuss nicht, flink auszuschreiten. Sie hatte ein Koerbchen an den Arm gehaengt, als wolle sie zum Markt in die Stadt gehen. Sie trug aber weder Gemuese noch Fruechte darin, was sie wohl sonst in die Stadt zu bringen pflegte, sondern ein Regentuch, mit dem sie sich gegen die wechselnden Launen eines Apriltages versehen hatte. Sie waehlte meistens Nebenwege und fuehrte den Reiter hoechstens zwei- bis dreimal durch Doerfer, von zwei zu zwei Stunden aber machten sie halt. Endlich nach vier solchen Stationen sah man in der Entfernung von einer kleinen halben Stunde ein Staedtchen liegen; der Weg schied sich hier, und ein Fusspfad fuehrte links ab in ein Dorf. An diesem Scheidepunkt blieb das Maedchen stehen und sagte: "Was Er dort sehet, ist Pfulliga, von dort kann Uich jedes Kind da Weg nach Lichtastoi zeiga." "Wie? Du willst mich schon verlassen?" fragte Georg, der sich an die munteren, sinnigen Reden seiner Begleiterin so gewoehnt hatte, dass ihn der Abschied ueberraschte. "Warum gehst Du nicht wenigstens mit mir bis Pfullingen? Dort kannst Du in der Herberge etwas essen und trinken; Du willst doch nicht geradezu nach Haus laufen?" Das Maedchen suchte freundlich auszusehen und zu scherzen, doch konnte sie einen schmerzlichen Zug um den Mund und truebe Augen nicht verbergen; denn wohl mochte auch ihr die Naehe ihres schoenen Gastes teurer geworden sein, als sie vielleicht selbst wusste. "Do muess i von Uich geh, gnaediger Herr", sagte sie, "so gerne au no weiters mitging, aber d'Mueter will's so; dort in dem Doerfle am Berg hanne a Bas, und bei der bleibe heut, und morga gange wieder nach Hardt. Jetzt b'hueet Uich Gott der Herr und d'heilig Jungfrau, und aelle seine Heilige nemmet Uich in Schutz. Gruesset mer de Vater und au", setzte sie laechelnd hinzu, indem sie schnell eine Traene abschuettelte, "gruesset mer sell Fraehla, die Er so gern hent." "Dank Dir, Baerbele", entgegnete Georg und reichte ihr die Hand zum Abschied vom Pferd hinab. "Ich kann Dir Deine treue Pflege nicht vergelten. Aber wenn Du nach Haus kommst, so schau in den geschnitzten Schrank, dort wirst Du etwas finden, das vielleicht zu einem neuen Mieder oder zu einem Roeckchen fuer den Sonntag reicht. Nun, und wenn Du es dann zum ersten Mal anhast und Dein Schatz Dich darin kuesst, so denke an Georg von Sturmfeder!" Der junge Mann gab seinem Pferd die Sporen und trabte ueber die gruene Ebene hin dem Staedtchen zu. Bald war er am Tor der kleinen Stadt angelangt. Er fuehlte sich ermuedet und durstig und fragte daher auf der Strasse nach einer guten Herberge. Man wies ihn nach einem kleinen duesteren Haus, wo ein Spiess ueber der Tuer und ein Schild, mit einem springenden Hirsch geziert, zur Einkehr luden. Ein kleiner barfuessiger Junge fuehrte sein Pferd in den Stall, ihn selbst aber empfing in der Tuer eine junge, freundliche Frau und fuehrte ihn zur Trinkstube. Es war dies ein weites finsteres Zimmer, an dessen Waenden sich schwere eichene Tische und Baenke hinzogen. Die ungeheure Menge von Kannen und Bechern, die blank gescheuert von den Gestellen am Getaefel herabblinkte, bewies, dass die Herberge zum Hirsch sehr besucht sein muesse. In der Tat sassen auch, obgleich es erst Mittag war, schon viele Gaeste beim Wein. Sie schauten den stattlichen jungen Ritter pruefend an, als er an ihren Tischen vorueber zum Ehrenplatz, in ein sechseckiges, wie eine Laterne aus lauter Fenstern erbautes Erkerlein gefuehrt wurde; doch liessen sie sich in ihrem Gespraech durch den vornehmen Gast nicht lange stoeren, sondern schwatzten weiter ueber Krieg und Frieden, ueber Schlachten und Belagerungen, wie ehrsame Spiessbuerger in so unruhigen Zeiten, wie Anno 1519, zu tun pflegten. Die Wirtin schien an ihrem Gast Gefallen zu finden. Sie schaute mit laechelnder Miene nach ihm herueber, wenn sie am Erkerlein vorbeiging, und als sie ihm eine Kanne alten Heppacher und einen silbernen Becher vorsetzte, zog sich ihr etwas grosser Mund zu holdseliger Freundlichkeit. Sie versprach ihm auch, ein junges Huhn zu braten und einen Tisch zu decken, wenn er sich nur ein wenig gedulden wolle; einstweilen solle er sich den Wein gut bekommen lassen. Das laternenfoermige Erkerlein lag um zwei Stufen hoeher als die uebrige Trinkstube; Georg konnte daher mit Musse die Tische uebersehen und trinkend die Gaeste mustern. Ob-gleich er nicht viel in Herbergen und Weinstuben sich herumzutreiben pflegte, so hatte er doch, vielleicht dadurch, dass er weniger sprach als beobachtete, einen eigenen Takt in Beurteilung solcher Umgebungen gewonnen, der ihn auch bei seinen jetzigen Beobachtungen unterstuetzte. Die Gesellschaft, die um einen der grossen eichenen Tische sass, bestand aus etwa zehn bis zwoelf Maennern. Sie unterschieden sich auf den ersten Anblick nicht sehr voneinander, grosse Baerte, kurze Haare, runde Muetzen, dunkle Waemser gehoerten dem einen so gut wie dem andern an. Doch sonderte ein schaerferer Blick bald vorzueglich drei von den uebrigen. Der eine--er sass Georg am naechsten, war ein kleiner, fetter, freundlicher Mann. Sein Haar war im Nacken etwas laenger als das der anderen, er hatte es sorgfaeltiger gekaemmt; auch schien sein dunkler Bart besser gepflegt zu sein. Ein Mantel von feinem schwarzem Tuch und ein Filzhut mit spitzigem Kopf und breiter Krempe, die hinter ihm an einem Nagel hingen, bezeichneten einen Mann von einigem Gewicht, vielleicht gar einen Ratsherrn. Er mochte auch eine bessere Sorte trinken als die uebrigen, denn er schluerfte bedaechtig, und wenn er mit dem Deckel an seinem Krug das Zeichen gab, dass er leer sei, tat er dies mit einem gewissen Anstand und vernehmlicher als die uebrigen. Er sah bei allem, was gesprochen wurde, ueberaus fein und listig aus, als wisse er noch manches, ohne es gerade hier preisgeben zu wollen. Auch hatte er das Vorrecht, das Kellnermaedchen in die Wangen zu kneifen oder ihren runden Arm zu "taetscheln", wenn sie ihm die gefuellte Kanne brachte. Ein anderer Mann, der am entgegengesetzten Ende des Tisches sass, stach nicht minder gegen seine Umgebung ab als der Fette; alles war an ihm laenglich und hager. Sein Gesicht, von der Stirn bis zu dem langen, zugespitzten Kinn, mass wohl eine gute Mannesspanne; seine Finger, mit welchen er auf dem Tisch den Takt eines Liedes spielte, das er leise vor sich hin pfiff, hatten etwas Spinnenartiges, und als sich Georg einmal zufaellig bueckte, gewahrte er zu seinem grossen Erstaunen, dass der hagere Mann lange, duenne Beine beinahe unter dem ganzen Tisch hin ausgestreckt hatte. Er hatte um seine Nase etwas Hochfahrendes, das sich auch in der Art, wie er allem, was die Buerger vorbrachten, widersprach, ausdrueckte; er sah aus wie einer, der viel mit vornehmen Herren umgegangen ist, ihre Art und Weise angenommen hat, aber doch nicht recht bequem damit zurechtkommt. Er konnte nicht aus dem Staedtchen sein, denn er hatte die Wirtin nach seinem Pferd gefragt. Nach Georgs Mutmassungen war er ein reisender Arzt, wie sie zu jener Zeit im Land umherzogen, um die Menschen kuenstlich umzubringen. Der dritte Mann, der dem Gast im Erker auffiel, sah etwas zerrissen und zerlumpt aus; er hatte uebrigens etwas Bewegliches, Listiges in seinem Wesen, das ihn von der gutmuetigen, behaglichen Ruhe der Spiessbuerger merklich unterschied. Er hatte ueber dem einen Auge ein grosses Pflaster, das andere aber blickte kuehn und offen um sich. Ein grosser Reisestock mit eiserner Spitze, der neben ihm lag, und sein lederbesetzer Ruecken, worauf er gewoehnlich einen Korb oder eine Kiste tragen mochte, liessen schliessen, dass er entweder ein Bote sei oder, wahrscheinlicher noch, einer jener herumziehenden Kraemer, die auf Maerkten und Kirchweihen, nebst wundersamen Nachrichten aus fernen Landen, fuer die Weiber wirksame Mittel gegen behextes Vieh und fuer die Maedchen schoene bunte Baender und Tuecher bringen. Diese drei waren es auch, die das Gespraech fuehrten, das nur hin und wieder durch einen Ausruf der Verwunderung oder durch ein Klopfen mit den Krugdeckeln von den uebrigen ehrsamen Buergern unterbrochen wurde. Diese Maenner handelten uebrigens eine Materie ab, die Georgs Interesse sehr in Anspruch nahm. Sie sprachen ueber die Unternehmungen des Bundes im wuerttembergischen Unterland. Der Kraemer mit dem ledernen Ruecken hatte erzaehlt, dass Moeckmuehl, worin sich Goetz von Berlichingen eingeschlossen, von den Buendischen erstuermt und jener tapfere Mann gefangen worden sei. Der Ratsherr hatte zu dieser Nachricht listig gelaechelt und einen guten Zug von seiner besseren Sorte getrunken; der Hagere liess aber den Lederruecken nicht aussprechen; er schlug den Takt mit den langen Fingern etwas vernehmlicher und sagte mit hohler Stimme: "Das ist erstunken und erlogen, Freund! Seht, das ist gar nicht moeglich, denn der Berlichingen versteht die schwarze Kunst und ist fest, das muss ich wissen, und ueberdies hat er allein mit seiner eisernen Hand in mancher Schlacht zweihundert Mann maustot geschlagen, was wird er sich denn fangen lassen." "Mit Verlaub", unterbrach ihn der fette Herr, "dem ist nicht so, sondern Goetz ist in der Tat gefangen und sitzt in Heilbronn. Aber nicht, weil er erlegen ist, denn sein Schloss in Moeckmuehl ist nicht erstuermt worden, sondern die Buendischen hatten ihm und den Seinigen freien Abzug versprochen, wie er aber aus dem Tor kam, wurde er ueberfallen, seine Knechte getoetet und er gefangen. Seht, das ist nicht recht, und da hat der Bund schaendlich gehandelt." "Da muss ich doch bitten, Herr" sprach der Lange. "Dass man nicht so von den Bundesobersten spricht; ich kenne viele Herren davon genau, wie z.B. Herr Truchsess von Waldburg mein geneigter Herr und Freund ist." Der fette Herr schien etwas erwidern zu wollen, spuelte aber das, was ihm auf der Zunge lag, mit einigem Wein hinunter. Jedoch die Buerger brachen bei Erwaehnung so vornehmer Bekanntschaften in ein Gemurmel des Staunens aus und luefteten ehrerbietig ihre Muetzen. "Nun, wenn Ihr beim Bund so bekannt seid", sagte der Zerlumpte mit etwas trotziger Miene, "so werdet Ihr uns die beste Nachricht geben koennen, wie es um Tuebingen aussieht und was weiter zu erwarten ist." "Es pfeift aus dem letzten Loch", antwortete der Gefragte, "ich war vor kurzer Zeit dort und sah die vortrefflichen und schrecklichen Anstalten zur Belagerung." "Ei--so--wie", fluesterten die Buerger und rueckten naeher zusammen, als erwarteten sie wichtige Kunde. Der hagere Mann lehnte sich an die Lehne seines Stuhles zurueck, steckte die langen Finger in die Degenkuppel, streckte die Beine um einige Zoll laenger aus und sprach: "Ja, ja, Ihr Leute, dort sieht es arg aus; alle Ortschaften in der Nachbarschaft sind in grossem Schaden, denn die Obstbaeume sind alle abgehauen, man schiesst mit aller Macht auf Stadt und Schloss, und die Stadt hat sich schon ergeben; im Schloss liegen vierzig Ritter, aber sie koennen die paar Maeuerlein nicht mehr lange halten!" "Was? Ein paar Maeuerlein?" rief der fette Herr und setzte seine Kanne klirrend auf den Tisch. "Wer je das Schloss von Tuebingen gesehen hat, kann nicht von ein paar Maeuerlein reden. Hat es nicht auf den Seiten, wo es an den Berg stoesst, zwei tiefe Graben, dass die Buendler mit keiner Leiter hinaufkoennen, und Mauern zwoelf Schuh dick, und Tuerme, aus welchen sie ihre Feldschlangen nicht uebel spielen lassen." "Umgeschossen, umgeschossen" rief der lange Mann mit so greulich hohler Stimme, dass die erschrockenen Buerger die Tuerme von Tuebingen krachen zu hoeren glaubten, "den neuen Turm, den der Ulrich neulich aufbaute, hat der Frondsberg umgeschossen; wie wenn er nie dagestanden waere." "Aber damit ist noch nicht alles hin", antwortete der Zerlumpte. "Die Ritter machen Ausfaelle aus dem Schloss und haben schon manchen auf dem Woerth am Neckar schlafen gelegt. Und dem Frondsberg haben sie den Hut vom Kopf geschossen, dass er heute noch Ohrensummen hat." "Da seid Ihr falsch berichtet", sprach der Hagere nachlaessig, "Ausfaelle? Dafuer haben die Belagerer leichte Reiter wie die Teufel; es sind Griechen, ich weiss nicht vom Ganges oder Epiros, man heisst sie Stratioten; die haben einen Obersten, den Georg Samares, der laesst keinen Hund aus dem Loch ausfallen." "Der hat halt auch ins Gras beissen muessen", entgegnete der zerlumpte Mann mit einem hoehnischen Seitenblick. "Die Hunde, wie Ihr sie nennt, sind dennoch ausgefallen, obgleich der Grieche vor dem Loch stand, und haben ihn gebissen und gefangen, und--" "Gefangen? Den Samares?" rief der Lange, aus seiner vornehmen Ruhe aufgeschreckt. "Freund, das habt Ihr falsch gehoert!" "Nein", antwortete jener sehr ruhig, "ich habe die Glocken laeuten hoeren, als man ihn in Sankt Joergenkirche begraben hat." Die Buerger schauten aufmerksam nach dem langen Fremden, um zu erforschen, was fuer einen Eindruck diese Nachricht auf ihn mache. Er liess seine buschigen Augenbrauen herab, dass von seinen Augen nichts mehr zu sehen war, zwirbelte seinen langen duennen Knebelbart, schlug mit der Hand auf den Tisch und sagte: "Und wenn sie ihn auch in zehn Stuecke zerhauen haetten, den Griechen, es hilft doch nichts! Das Schloss muss ueber, da hilft nichts, und hat man Tuebingen, dann gute Nacht Wuerttemberg! Der Ulrich ist zum Land hinaus, und meine gnaedigen Herren und Goenner sind Meister." "Wer steht Euch dafuer, dass er nicht wiederkommt? Und dann?" sagte der kluge, fette Herr und klappte den Deckel zu. "Was? Wiederkommen!" schrie jener. "Der Bettelmann! Wer sagt das, dass er wiederkommt? Wer wagt es? He?" "Was geht es uns an?" murmelten die Gaeste unmutig. "Wir sind friedliche Buerger, uns ist's einerlei, wer Herr im Land ist, wenn nur die Steuern anders werden.--Wenn man in der Herberge ist, wird doch auch noch ein Wort erlaubt sein." So sprachen sie, und der Hagere schien zufrieden, dass ihm keiner etwas Ernstliches entgegnete. Er sah einen um den anderen mit stechendem Blick an, zog dann sein Gesicht in freundlichere Falten und sagte: "Es war nur zur Erinnerung, dass wir den Herzog fuerder nicht mehr brauchen; mein' Seel', mir ist er wie Gift und Operment, darum gefaellt mir auch das Paternoster so gut, das einer auf ihn gemacht hat, ich will es einmal singen." Die Buerger sahen finster vor sich hin und schienen nicht sehr begierig auf den Spottgesang, der ihrem ungluecklichen Herzog galt. Jener aber befeuchtete seine Kehle mit einem guten Trunk und sang mit heiserer, unangenehmer Stimme: "Vater Unser, Reutlingen ist unser; Der Du bist in dem Himmel, Esslingen woelln wir bald gewinnen; Geheiligt werde Dein Nam', Heilbronn und Weil woelln wir auch han; Zu uns komme Dein Reich" Der Ulmer Bund sieht uns keinem gleich; Dein Will' geschehe, Die Muenz' hat gereit ein ander Gepraege; Gib uns unser taeglich Brot, Wir haben Geschuetz fuer alle Not; Vergib uns unsere Schuld, Wir haben des Koenigs von Frankreich Huld; Als wir vergeben unsern Schuldigern, Wir woelln dem Bund das Maul zusperr'n! Lass uns nicht gefuehrt werden, Wir woelln bald Kaiser werden, In keine Versuchung, sondern erloes uns von allem Uebel. Amen. So behalten wir des Kaisers Namen." Er schloss seinen Gesang mit einem fatalen, zitternden Schnoerkel, der weiter keinen Effekt hervorbrachte, als dass die Buerger einander heimlich anstiessen und ueber die jaemmerlichen Toene des Saengers die Achsel zuckten. Er aber schaute stolz im Kreis umher, als wolle er in den Mienen seiner Zuhoerer den gerechten Beifall lesen. "Ihr habt da ein gar frommes Lied gesungen", sagte der Zerlumpte, "so fein kann ich's nicht, aber doch weiss ich auch ein neues Lied und will es mit Eurem Verlaub singen." Der Hagere sah ihn scheel und spoettisch an, die Buerger aber nickten ihm zu, und er begann mit einem angenehmen Tenor, indem er die Augen halb zuschloss, aber doch hin und wieder auf den langen Mann hinueber schielte, als beobachte er, welchen Eindruck sein Gesang mache: "Oh weh, wo bleibet Deine Kraft, Wuerttemberg, Du arme Landschaft; Ich klag Dich billig hart und sehr, Denn der Bader von Ulm, der ist Dein Herr. Der zu Nuernberg die Wetschger macht, Der Weber von Augsburg treibt auch sein Pracht, Der Salzsieder von Schwaebisch Hall, Von Ravensburg die Kraemer all. Von Rottweil die neuen Schweizerknaben Wollten der Gans auch ein Feder haben, Und der Schneider von Memming ist in der Sach' Und auch der Kuerschner von Biberach." Laermender Beifall und Gelaechter unterbrach den Saenger; sie langten ueber den Tisch herueber, schuettelten dem Zerlumpten die Hand und lobten sein Lied. Der Hagere sprach kein Wort, sondern warf finstere Blicke auf die Gesellschaft; man war ungewiss, ob er den Beifall des Zerlumpten beneidete oder ob der Gegenstand des Liedes ihn beleidigte. Der fette Herr aber sah ungemein klug aus, brummte die Weise des Liedes mit und nickte bei jeder Kraftstelle mit dem Haupt.--Der Saenger mit dem ledernen Ruecken fuhr fort: "Den Saymer von Kempten ich Euch meld' Und Holzhauer von dem Herdtfeldt. Und andere, die ich nicht nennen will, Der Haufen ist gross und wird gar zuviel. Und auch der ist in dem Strauss, Der richt' alles mit Ungeld aus, Ich mein' Junker Ermlich und sein Gesind, Des reichen Barchetwebers Kind." "Dass Euch der Kuckuck in den Hals fahr, Ihr Lumpenhund!" fuhr der lange Mann auf, als er die letzten Worte hoerte. "Ich weiss wohl, wen Ihr mit dem Barchetweber meint, meinen gnaedigen Goenner, den Herrn von Fugger. Den soll mir ein solcher Landlaeufer verunglimpfen?" Er begleitete diese Worte mit einem ausdrucksvollen Mienenspiel und mit schrecklicher Gebaerde. Doch der mit dem ledernen Ruecken liess sich nicht einschuechtern; er stellte seine ungemein muskuloese Faust vor sich hin und sagte: "Den Landlaeufer koennt Ihr fuer Euch behalten, Herr Calmus, man weiss wohl, wer Ihr seid; und wenn Ihr nicht augenblicklich Euer Maul haltet, so will ich Euch Eure Ruehrloeffelarme vom Leib schlagen." Der Hagere stand auf und bedauerte sich selbst, dass er in so gemeine Gesellschaft geraten sei; er zahlte seinen Wein und ging vornehmen Schrittes aus der Trinkstube. Kapitel 18 Als dieser Mann das Zimmer verlassen hatte, sahen die Gaeste erstaunt einander an, es war ihnen, als haetten sie ein schweres Gewitter aufsteigen sehen, es haette gekracht, als ob die Erde bersten wolle, ja, als waere ein erschrecklicher, toetender Blitz auf sie herabgefahren, und siehe da, es war nur ein "kalter Schlag". Dem Mann mit dem Lederruecken dankten sie, dass er den ungezogenen uebermuetigen Gast so schnell entfernt habe, und fragten, was er wohl von dem hageren Fremden wisse? "Den kenne ich wohl", antwortete dieser, "das ist unseres Herrgotts Tagdieb, ein fahrender Arzt, der den Leuten Pillen verkauft gegen die Pest, den Hunden den Wurm schneidet und die Ohren stutzt, die Maedchen von dicken Haelsen befreit und den Weibern Augenwasser gibt, dass sie blind werden. Er heisst eigentlich Kahlmaeuser, aber weil er ein Gelehrter sein will, heisst er sich Doktor Calmus. Er nistet sich bei allen grossen Herren ein, und wenn ihn einer einmal einen Esel geheissen hat, so meint er schon, er sei sein bester Freund." "Mit dem Herzog muss er aber nicht gut stehen", bemerkte der schlaue Herr, "denn er hat doch laesterlich ueber ihn geschimpft." "Ja, mit Herrn Ulrich steht er freilich nicht gut; das ging aber so: Der Herzog hatte einen schoenen daenischen Jagdhund, der hatte sich im Schoenbuch einen Dorn tief in die Pfote getreten. Den Herzog dauerte der Hund; er forschte nach einem geschickten Mann, der das Tier heilen koennte, und zufaellig war der Kahlmaeuser da und bot sich mit wichtigem Gesicht dazu an. Er bekam im Schloss in Stuttgart alle Tage gut zu essen und eine Mass Wein; das schmeckte ihm nun so gut, dass er ueber ein Vierteljahr an der Hundspfote dokterte. Da liess ihn eines Tages der Herzog samt dem Hund rufen und fragte, was er ausgerichtet habe. Er soll viel gelehrtes Zeug geschwatzt haben, doch der Herr hat nicht darauf geachtet, sondern die Pfote selbst untersucht, und da fand es sich, dass sie schon ganz schwarz und brandig war. Da nahm der Herzog den Kahlmaeuser, so lang er war, trug ihn an die lange Treppe, auf der man bis in den zweiten Stock hinaufreiten kann, und warf ihn hinunter, dass er halb tot unten ankam. Und seit der Zeit ist der Doktor Calmus nicht gut auf den Herzog zu sprechen. Andere sagen auch, er sei der Kundschafter gewesen zwischen dem Hutten und Frau Sabina und habe nur deswegen den Hund uebernommen, weil er dadurch ins Schloss kam." "So? Mit dem Hutten hat er es gehalten?" sagte einer der Buerger. "Das haetten wir wissen sollen, so haetten wir ihm das Fell recht gegerbt, dem Lumpendoktor! Der Hutten ist doch an all dem unseligen Krieg schuld mit seiner Liebelei, und der duerre Kahlmaeuser hat ihm dazu geholfen?" "De mortuis nil nisi bene; man muss die Toten schonen, sagen die Lateiner", entgegnete der fette Herr, "der arme Teufel hat es mit dem Leben teuer genug bezahlt." "Aber es ist ihm recht geschehen", rief jener Buerger mit grosser Hitze, "an des Herzogs Stelle haett' ich's gerade auch so gemacht, ein jeder Mann muss sein Hausrecht wahren." "Reitet Ihr zuweilen mit dem Vogt auf die Jagd?" fragte der fette Herr mit ueberaus schlauem Laecheln. "Da habt Ihr die beste Gelegenheit, ein Schwert habt Ihr ja, und eine Eiche wird sich auch finden, wohin Ihr seinen Leichnam haengen koennt." Ein schallendes Gelaechter der Buerger von Pfullingen belehrte den Gast im Erker, dass jener eifrige Verteidiger des Hausrechts in seinem eigenen Haus nicht so ganz strenge Justiz ueben muesse. Er erroetete und murmelte einige unverstaendliche Worte in seinen Becher hinein. Der Zerlumpte aber, der als Fremder nicht mitlachen wollte, nahm sich seiner an: "Ja, wohl hat der Herzog ganz recht gehabt; denn er haette den Hutten auf der Stelle haengen koennen, ohne dass er erst mit ihm focht; er ist ja Freischoeff vom westfaelischen Stuhl, vom heimlichen Gericht, und darf einen solchen Ehrenschaender ohne weiteres abtun. Und er hatte die besten Beweise gleich bei der Hand." Das Gespraech der Buerger sank jetzt zum Gefluester herab, und Georg glaubte zu bemerken, dass sie ueber ihn ihre Glossen machten. Auch die freundliche Wirtin schien neugierig zu wissen, wen sie in ihrem Erkerlein beherberge. Sie setzte die Speisen, die sie ihm bereitet hatte, vor ihn hin, nachdem sie ein schoenes Tafeltuch ueber den runden Tisch ausgebreitet hatte. Dann nahm sie selbst an der entgegengesetzten Seite Platz und befragte ihn, wiewohl sehr bescheiden, ueber das Woher? Und Wohin? Der junge Mann war nicht gesonnen, ihr ueber den eigentlichen Zweck seiner Reise genaue Auskunft zu geben Das Gespraech der Gaeste an der langen Tafel hatte ihn belehrt, dass es hier nicht minder gefaehrlich sei, zu gar keiner Partei zu gehoeren, als sich fuer irgendeine bestimmt zu erklaeren; er sagte daher, er komme aus Franken und werde noch weiter hinauf ins Land, in die Gegend von Zollern reisen, und schnitt somit jede weitere Frage ab; denn die Wirtin war zu bescheiden, als dass sie sich den Ort, wohin er gehe, noch naeher haette bezeichnen lassen. Es schien ihm aber eine gute Gelegenheit, sich nach Marien zu erkundigen, denn er war gluecklich, wenn ihm die Wirtin zum goldenen Hirsch auch nur ihren Namen nennen, nur den Saum ihres Kleides beschreiben wuerde. Er fragte daher nach den Burgen umher und nach den ritterlichen Familien, die in der Nachbarschaft wohnen. Die Wirtin schwatzte gerne. Sie gab ihm in weniger als einer Viertelstunde die Chronik von fuenf bis sechs Schloessern aus der Gegend, und bald kam auch Lichtenstein an die Reihe. Der junge Mann holte bei diesem Namen tiefer Atem und schob die Schuessel weit weg, um seine Aufmerksamkeit ganz der Erzaehlerin zu widmen "Nun, die Lichtensteiner sind gar nicht arm, im Gegenteil, sie haben schoene Felder und Waelder, und keine Rute Landes verpfaendet. Da liesse sich der Alte lieber seinen langen Bart abscheren, obgleich er gar nicht viel darauf haelt und ihn immer streichelt, wenn er mit den Leuten spricht. Er ist ein strenger, ernster Mann. Was er einmal haben will, das muss geschehen, und sollte es biegen oder brechen. Er ist auch einer von denen, die es so lange mit dem Herzog hielten. Die Buendischen werden es ihm uebel entgelten lassen." "Wie ist denn seine..., ich meine, Ihr sagtet, er habe eine Tochter, der Lichtenstein?" "Nein", antwortete die Wirtin, indem sich ihr sonst so heiteres Gesicht in graemliche Falten zog, "von der habe ich gewiss nicht gesprochen, dass ich es wuesste. Ja, er hat eine Tochter, der gute alte Mann, und es waere ihm besser, er fuehre kinderlos in die Grube, als dass er aus Jammer ueber sein einziges Kind abfaehrt." Georg traute seinen Ohren nicht. Was konnte die Wirtin gerade von Marien so Arges denken, dass sie den Vater gluecklich pries, wenn er dieses Kind nicht haette? "Was ist es denn mit diesem Fraeulein?" fragte er, indem er sich vergebens abmuehte, recht scherzhaft auszusehen: "Ihr macht mich neugierig, Frau Wirtin. Oder ist es ein Geheimnis, das Ihr nicht sagen duerft?" Die Frau zum goldenen Hirsch schaute aus dem Erker heraus nach allen Seiten, ob niemand lausche. Aber die Buerger waren ruhig in ihrem Gespraech begriffen und achteten nicht auf sie, und sonst war niemand in der Naehe, der sie hoeren konnte. "Ihr seid ein Fremder", hub sie nach diesen Forschungen an, "Ihr reist weiter und habt nichts mit dieser Gegend zu schaffen, darum kann ich Euch wohl sagen, was ich nicht jedem vertrauen moechte. Das Fraeulein dort oben auf dem Lichtenstein ist ein--ein--ja bei uns Buergersleuten wuerde man sagen, sie ist ein schlechtes Ding, eine lose Dirne--" "Frau Wirtin!" rief Georg. "So schreit doch nicht so, verehrter Herr Gast, die Leute schauen sich ja um. Meint Ihr denn, ich sage, was ich nicht ganz gewiss weiss? Denkt Euch, alle Nacht Schlag elf Uhr laesst sie ihren Liebsten in die Burg. Ist das nicht schrecklich genug fuer ein sittsames Fraeulein?" "Bedenkt, was Ihr sprecht! Ihren Liebsten?" "Ja leider, nachts um elf Uhr ihren Liebsten. Es ist eine Schande und ein Spott! Es ist ein ziemlich grosser Mann, der kommt in einen grauen Mantel gehuellt ans Tor. Sie hat es zu machen gewusst, dass zu dieser Zeit alle Knechte vom Tor entfernt sind, und nur der alte Burgwart, der ihr auch in ihrer Kindheit zu allen losen Streichen half, um den Weg ist. Da kommt sie nun allemal, wenn es drueben in Holzelfingen elf Uhr schlaegt, selbst herunter in den Hof, die Nacht mag so kalt sein, als sie will, und bringt den Schluessel zur Zugbruecke, den sie zuvor ihrem alten Vater vom Bett stiehlt. Dann schliesst der alte Suender, der Burgwart, auf, die Bruecke faellt nieder, und der Mann im grauen Mantel eilt in die Arme des Fraeuleins." "Und dann?" fragte Georg, der beinahe keinen Atem mehr in der Brust, kein Blut mehr in den Wangen hatte. "Und dann?" "Ja, dann wird Braten, Brot und Wein geholt. Soviel ist gewiss, dass der naechtliche Liebste einen ungeheuren Hunger haben muss, denn er hat in mancher Nacht einen halben Rehziemer rein aufgezehrt und zwei, drei Noessel Wein dazu getrunken. Was weiter geschieht, weiss ich nicht. Ich will nichts vermuten, nichts sagen, aber das weiss ich", setzte sie mit einem christlichen Blick gen Himmel hinzu, "beten werden sie nicht." Georg schalt sich nach kurzem Nachdenken selbst aus, dass er nur einen Augenblick gezweifelt habe, dass diese Erzaehlung eine Luege, von irgendeinem muessigen Kopf ersonnen sei. Oder wenn auch etwas Wahres daran waere, so konnte es doch nichts sein, das Marien zur Unehre gereicht haette. Er trug diese Zweifel auch seiner Wirtin vor. "So? Meint Ihr, der Vater wisse um die Geschichte?" sprach sie. "Dem ist nicht so. Sehet, ich weiss das gewiss, denn die alte Rosel, die Amme des Fraeuleins--" "Die alte Rosel hat es gesagt?" rief Georg unwillkuerlich. Ihm war ja diese Amme, die Schwester des Pfeifers von Hardt, so wohlbekannt. Freilich, wenn diese es gesagt hatte, war die Sache nicht mehr so zweifelhaft. Denn er wusste, dass sie eine fromme Frau und dem Fraeulein sehr zugetan war. "Ihr kennt die alte Rosel?" fragte die Wirtin, erstaunt ueber den Eifer, womit ihr fremder Gast nach dieser Frau fragte. "Ich? Sie kennen? Nein, erinnert Euch nur, dass ich heute zum ersten Mal in diese Gegend komme. Nur der Name Rosel fiel mir auf." "Sagt man bei Euch nicht so? Rosel heisst Rosina bei uns, und so nennt man die alte Amme in Lichtenstein. Nun seht, diese haelt viel auf mich und kommt hie und da zu mir, dann koche ich ein suesses Weinmueschen, was sie fuer ihr Leben gerne isst, und zum Dank vertraut sie mir allerlei Neues. Von ihr habe ich auch, was ich Euch sagte. Der Vater weiss gar nichts von diesen naechtlichen Besuchen; denn er geht schon um acht Uhr zu Bett. Die Amme schickte das Fraeulein jedes Mal um acht Uhr in ihre Kammer. Das fiel nun nach ein paar Tagen der guten Rosel auf. Sie stellte sich, als gehe sie zu Bett, und siehe da, was geschieht? Kaum ist alles ruhig im Schloss, so macht das Fraeulein, das sonst keinen Span anruehrt, eigenhaendig ein Feuer auf dem Herd, kocht und bratet, was sie kann und weiss, holt Wein aus dem Keller, holt Brot aus dem Schrank und deckt in der Herrenstube den Tisch. Dann schaut sie zum Fenster hinaus in die kalte schwarze Nacht, und richtig, wenn es drueben elf Uhr schlaegt, rasselt die Zugbruecke nieder, der naechtliche Geselle wird eingelassen und geht mit dem Fraeulein in die Herrenstube. Sie hat auch schon gehorcht, die Rosel, was wohl drinnen vorgehe, aber die eichenen Tueren sind gar dick. Dann lugt sie auch einmal durch's Schluesselloch, sah aber nichts als den Kopf des Fremden." "Nun, und ist er schon alt? Wie sieht er aus?" "Alt? Wo denkt Ihr hin! Die sieht mir auch danach aus, dass sie es mit einem Alten haette! Jung ist er und schoen, wie mir die Rosel sagt. Er hat einen dunklen Bart um Mund und Kinn, schoenes gerolltes Haar auf dem Kopf und sah recht freundlich und liebreich aus." "Dass ihm der Satan den Bart Haar fuer Haar auszwicke!" murmelte Georg und strich mit der Hand ueber sein Kinn, das noch ziemlich glatt war. "Frau, besinnt Euch, habt Ihr denn dies alles so recht gehoert von der Frau Rose!? Hat sie dies alles so gesagt? Macht Ihr nicht noch mehr dazu?" "Gott bewahre mich, dass ich ueber jemand laestere! Da kennt Ihr mich schlecht, Herr Ritter! Das alles hat mir Frau Rosel gesagt, und noch mehr hat sie vermutet und mir ins Ohr gefluestert, was eine ehrliche Frau einem schoenen jungen Herrn nicht wieder sagen kann. Und denkt Euch, wie recht schlecht das Fraeulein ist, sie hat noch einen anderen Liebhaber gehabt, und dem ist sie also untreu geworden!" "Noch einen?" fragte Georg aufmerksam, denn die Erzaehlung schien ihm mehr und mehr an Wahrscheinlichkeit zuzunehmen. "Ja, noch einen. Es soll ein gar schoener, lieber Herr sein, sagte mir die Rosel. Sie war mit dem Fraeulein einige Zeit in Tuebingen, und da war ein Herr von--von--ich glaube Sturmfittich heisst er--der war auf der hohen Schule. Und da lernten sich die beiden Leutchen kennen, und die Amme schwoert, es sei nie ein schmuckeres Paar erfunden worden im ganzen Schwabenland. Sie hat ihn auch ganz schrecklich liebgehabt, das ist wahr, und sei sehr traurig gewesen um ihn, als sie von Tuebingen ging. Nun ist sie dem armen Jungen untreu geworden, das falsche Herz, und die Amme heult, wenn sie nur an den schoenen, treuen Herrn denkt. Er soll noch viel, viel schoener gewesen sein als der, den sie jetzt hat." "Frau Wirtin, wie oft lasst Ihr mich denn klopfen, bis ich einen vollen Becher bekomme", rief der fette Herr aus der Trinkstube herauf; denn die Frau Wirtin hatte ueber ihrer Erzaehlung alles uebrige vergessen. "Gleich, gleich!" antwortete sie und flog an den Schenktisch hin, den durstigen Herrn mit seiner besseren Sorte zu versehen. Und von da ging es zum Keller, und Boden und Kueche nahmen sie in Anspruch, so dass der Gast im Erker gute Weile hatte, einsam ueber das, was er gehoert hatte, nachzusinnen. Den Kopf auf die Hand gestuetzt, sass er da und schaute unverrueckt in die Tiefe seines silbernen Bechers. So sass er am Nachmittag, so sass er am Abend. Die Nacht war schon lange eingebrochen, und er sass noch immer so hinter dem runden Tisch im Erker, tot fuer die Welt umher, nur hin und wieder verriet ein tiefes Seufzen, dass noch Leben und Empfindung in ihm sei. Die Wirtin wusste nicht, was sie aus ihm machen sollte. Sie hatte sich wenigstens zehnmal neben ihn gesetzt, hatte versucht, mit ihm zu sprechen aber er hatte ihr gedankenlos mit starren Augen ins Gesicht geschaut und nichts geantwortet. Es war ihr ganz Angst dabei geworden, denn gerade so hatte sie ihr seliger Mann angestarrt, als er das Zeitliche segnete und ihr den goldenen Hirsch hinterliess. Sie beriet sich mit dem fetten Herrn, und auch der Mann mit dem Lederruecken gab seine Meinung preis. Die Wirtin behauptete, entweder sei er verliebt bis ueber die Ohren, oder man habe es ihm angetan. Sie belegte ihre Behauptung mit einer schrecklichen Geschichte von einem jungen Ritter, den sie gesehen und der aus lauter Liebe am ganzen Leib erstarrt sei, bis er am Ende gestorben. Der Zerlumpte war nicht dieser Meinung. Er glaubte, dem jungen Mann sei vielleicht ein Unglueck geschehen, wie jetzt oft im Krieg vorkomme, und er sei deswegen in so tiefe Trauer versenkt. Der fette Herr aber blinzelte einige Male nach dem stummen Gast im Erker hinauf und fragte dann mit sehr pfiffiger Miene, von welchem Gewaechs und Jahrgang der Ritter trinke? "Nun, ich hab' ihm Heppacher gegeben von 1480. Es ist das Beste, was der goldene Hirsch hat." "Da haben wir es!" rief der kluge Mann "Ich kenn' den Heppacher Achtziger, den kann solch ein Junkerlein nicht fuehren und der ist ihm zu Kopf gestiegen. Lasst ihn sitzen, lasst ihn immer sitzen, seinen schweren Kopf in der Hand, ich wette, ehe es acht Uhr schlaegt, hat er ausgeschlafen und ist wieder so frisch wie der Fisch im Wasser." Der Zerlumpte schuettelte den Kopf und sagte nichts dazu, die Wirtin aber lobte den gewohnten Scharfsinn des fetten Herrn und fand seine Vermutung am wahrscheinlichsten. Es war neun Uhr in der Nacht, die taeglichen Zechgaeste hatten schon alle die Trinkstube verlassen, und auch die Wirtin wollte sich zum Abendsegen ruesten, als der fremde Herr aus seinem Zustand erwachte. Er sprang auf, machte einige Gaenge durchs Zimmer und blieb endlich vor der Hausfrau stehen. Er sah duester und verstoert aus, und die wenigen Stunden vom Mittag bis jetzt hatten seinen sonst so freundlichen offenen Zuegen tiefe Spuren des Grams eingedrueckt. Die Wirtin dauerte sein Anblick. Sie wollte ihm, eingedenk des klugen fetten Herrn, noch ein heilsames Suepplein kochen und ihm dann ein treffliches, weiches Bett anweisen, doch er schien fuer diese Nacht ein rauheres Lager sich erwaehlt zu haben. "Wann sagt Ihr", hub er mit leiser, unsicherer Stimme an, "wann geht der naechtliche Gast nach Lichtenstein, und wann kommt er zurueck?" "Um elf Uhr, lieber Herr, geht er hinein, und um den ersten Hahnenschrei kommt er wieder ueber die Zugbruecke." "Lasst mein Pferd satteln und besorgt mir einen Knecht, der mich nach Lichtenstein geleite." "Jetzt in der Nacht?" rief die Wirtin und schlug vor Verwunderung die Haende zusammen. "Jetzt wollt Ihr ausreiten? Ei geht doch Ihr treibt Spass mit mir." "Nein, gute Frau, es ist mein Ernst. Aber sputet Euch ein wenig, ich habe Eile." "Die habt Ihr den ganzen Tag nicht gehabt", entgegnete jene, "und jetzt wollt Ihr auf einmal ueber Hals und Kopf in die Nacht hinaus. Zwar die frische Luft kann nichts schaden bei solchen Kranken. Aber weiss Gott, Euer Pferd lasse ich nicht aus dem Stall, Ihr koennt mir herunterfallen oder allerlei Unglueck anrichten, und dann hiesse es, wo hat denn die Hirschwirtin wieder den Kopf gehabt, dass sie die Leute so laufen laesst." Der junge Mann hatte ihre Rede ganz ueberhoert, denn er war wieder in sein duesteres Sinnen zurueckgesunken. Als sie aufhoerte zu sprechen, schrak er auf und wunderte sich, dass sie seinen Befehl noch nicht befolgt habe. Er ging, als sie noch immer zauderte, um sein Pferd selbst zu besorgen. Da dachte sie, dass sie doch keine Gewalt habe, ihn zurueckzuhalten und dass es geratener sein moechte, ihn ziehen zu lassen. "Lasst dem Herrn seinen Braunen herausfuehren", rief sie, "und der Andres soll sich ruesten, heute nacht noch ein Stueck Wegs zu gehen!-- Er hat recht, dass er jemand mitnehmen will", sprach sie fuer sich weiter, "der kann ihn doch im Notfall halten. Zwar sagt man, sie haben ein paar Sinne mehr, wenn sie etwas im Kopf haben, und es falle keiner so leicht vom Pferd, wenn er auch hin und her schwankt wie der Schwengel in der grossen Glocke, aber besser ist besser.--Was Ihr schuldig seid, Herr Ritter? Nun, Ihr habt gehabt eine Mass Alten, macht zwoelf Kreuzer, und das Essen--nun, es ist nicht der Rede wert, was Ihr gegessen habt. Ihr habt ja mein Huhn kaum angesehen. Nun, wenn Ihr fuer den Stall und das Essen noch zwei Kreuzer zulegen wollt, so wird Euch eine arme Witfrau schoen danken." Nachdem die Rechnung in dem niederen Muenzfuss der guten, alten Zeit berichtigt war, entliess die Wirtin zum goldenen Hirsch ihren Gast. Sie war ihm zwar nicht mehr so gewogen wie heute mittag, als er herrlich wie der junge Tag in ihre Trinkstube getreten war, aber dennoch konnte sie sich nicht verhehlen, als er beim Schein der Kienfackeln sich aufs Pferd schwang, dass sie nicht leicht einen schoeneren Mann gesehen habe, und sie schaerfte daher ihrem Knecht, der sie begleitete, um so sorgfaeltiger ein, recht genau auf ihn acht zu haben, weil es bei diesem Herrn "doch nicht ganz richtig im Kopf sei". Vor dem Tor von Pfullingen fragte der Knecht den naechtlichen Reiter, wohin er reiten wolle, und auf seine Antwort.--"Nach Lichtenstein", schlug er einen Weg rechts ein, der zum Gebirge fuehrte. Der junge Mann ritt schweigend durch die Nacht hin. Er sah nicht rechts, er sah nicht links, er sah nicht auf nach den Sternen, nicht hinaus in die Weite, seine gesenkten Blicke hafteten am Boden. Es war ihm wie damals, als ihn die Moerder am Weg niedergeschlagen hatten. Seine Gedanken standen still, er hoffte nicht mehr, er hatte zu leben, zu lieben und zu wuenschen aufgehoert. Und doch war ihm damals wohler gewesen, als ihm auf dem kuehlen Teppich des Wiesentales die Besinnung schwand. Er war ja entschlummert mit dem erhebenden Gedanken an sie, und die erstarrenden Lippen hatten noch einmal einen suessen Namen ausgesprochen. Aber jetzt war die Leuchte verloescht, die seinen Pfad durchs Leben erhellt hatte. Es war ihm, als habe er nur noch einen kurzen Weg im Dunkeln hinzugehen und dann in lichteren Hoehen als auf dem Lichtenstein seine Ruhe zu finden. Und unwillkuerlich zuckte seine Rechte hie und da ans Schwert, als wolle er sich versichern, dass ihm dieser Gefaehrte wenigstens treu geblieben sei, als sei dies der gewichtige Schluessel, der die Pforte sprengen sollte, die aus dem Dunkel zum Licht fuehrt. Der Wald hatte laengst die Wanderer aufgenommen. Steiler wurden die Pfade, und das Ross strebte muehsam unter der Last des Reiters und seiner Ruestung bergan, doch der Reiter bemerkte es nicht. Die Nachtluft wehte kuehler und spielte mit den langen Haaren des Juenglings, er fuehlte es nicht. Der Mond kam herauf und beleuchtete seinen Pfad, beleuchtete kuehne Felsenmassen und die hohen gewaltigen Eichen, unter welchen er hinzog, er sah es nicht. Unbemerkt von ihm rauschte der Strom der Zeit an ihnen vorueber, Stunde um Stunde verging, ohne dass ihm der Weg lang duenkte. Es war Mitternacht, als sie auf der hoechsten Hoehe ankamen. Sie traten heraus aus dem Wald, und getrennt durch eine weite Kluft von der uebrigen Erde, lag auf einem einzelnen, senkrecht aus der naechtlichen Tiefe aufsteigenden Felsen der Lichtenstein. Seine weissen Mauern, seine zackigen Felsen schimmerten im Mondlicht. Es war, als schlummere das Schloesschen abgeschieden von der Welt, im tiefen Frieden der Einsamkeit. Der Ritter warf einen duesteren Blick dorthin und sprang ab. Er band das Pferd an einen Baum und setzte sich auf einen bemoosten Stein, gegenueber von der Burg. Der Knecht stand wartend, was sich weiter begeben werde, und fragte mehrere Male vergeblich, ob er seines Dienstes jetzt entlassen sei? "Wie weit ist's noch bis zum ersten Hahnenschrei?" fragte endlich der stumme Mann auf dem Stein "Zwei Stunden, Herr!" war die Antwort des Knechtes. Der Ritter reichte ihm reichlichen Lohn fuer sein Geleit und winkte ihm zu gehen. Er zoegerte, als scheue er sich, den jungen Mann in diesem ungluecklichen Zustand zu verlassen. Als aber jener ungeduldig seinen Wink wiederholte, entfernte er sich still. Nur einmal noch sah er sich um, ehe er in den Wald eintrat. Der schweigende Gast sass noch immer, die Stirn in die Hand gestuetzt, im Schatten einer Eiche, auf dem bemoosten Stein. Kapitel 19 Georg von Sturmfeder war nicht von so kuehlem Blut, dass ihn die Nachricht, die er heute erhielt, nicht aus allen Schranken der Billigkeit und Maessigung herausgejagt haette; er war ueberdies in einem Alter, wo zwar die offene Seele sich noch nicht daran gewoehnt hat, den Menschen a priori zu misstrauen wo aber ein solcher Fall umso ueberraschender ist, umso gefaehrlicher wirkt, eben weil das arglose Herz ihn nie gedacht hat. Georg war auf der Stufe der duesteren, stillen Wut und der Rache angekommen; ueber diese Empfindung bruetend, sass er unempfindlich gegen die Kaelte der Nacht auf dem bemoosten Stein, und sein einziger, immer wiederkehrender Gedanke war, den naechtlichen Freund "zu stellen, und ein Wort mit ihm zu sprechen". Es schlug zwei Uhr in einem Dorf ueber dem Wald, als er sah, dass sich Lichter an den Fenstern des Schlosses hin bewegten; erwartungsvoll pochte sein Herz, krampfhaft hatte seine Hand den langen Griff des Schwertes umfasst. Jetzt wurden die Lichter hinter den Gittern des Tores sichtbar, Hunde schlugen an; Georg sprang auf und warf den Mantel zurueck. Er hoerte, wie eine tiefe Stimme ein vernehmliches "gute Nacht" sprach. Die Zugbruecke rauschte nieder und legte sich ueber den Abgrund, der das Land von Lichtenstein scheidet, das Tor ging auf, und ein Mann, den Hut tief ins Gesicht gedrueckt, den dunklen Mantel fest umgezogen, schritt ueber die Bruecke und gerade an den Ort zu, wo Georg Wache hielt. Er war noch wenige Schritte entfernt, als dieser mit einem droehnenden: "Zieh, Verraeter, und wehr Dich Deines Lebens!", auf ihn einstuerzte; der Mann im Mantel trat zurueck und zog; im Augenblick begegneten sich die blitzenden Klingen und rasselten klirrend aneinander. "Lebendig sollst Du mich nicht haben", rief der andere; "wenigstens will ich mein Leben teuer genug bezahlen!" Zugleich sah ihn Georg tapfer auf sich eindringen, und an den schnellen und gewichtigen Hieben merkte er, dass er keinen zu verachtenden Gegner vor der Klinge habe. Georg war kein ungeuebter Fechter, und er hatte manch ernsten Kampf mit Ehre ausgefochten, aber hier hatte er seinen Mann gefunden. Er fuehlte, dass er sich bald auf die eigene Verteidigung beschraenken muesse, und wollte eben zu einem letzten, gewaltigen Stoss ausfallen, als ploetzlich sein Arm mit ungeheurer Gewalt festgehalten wurde; sein Schwert wurde ihm in demselben Augenblick aus der Hand gewunden; zwei maechtige Arme schlangen sich um seinen Leib und fesselten ihn regungslos, und eine furchtbare Stimme schrie: "Stosst zu, Herr! Ein solcher Meuchelmoerder verdient nicht, dass er noch einen Augenblick zum letzten Paternoster habe!" "Das kannst Du verrichten, Hans", sprach der im Mantel, "ich stosse keinen Wehrlosen nieder; dort ist sein Schwert, schlag ihn tot, aber mach es kurz." "Warum wollt Ihr mich nicht lieber selbst umbringen, Herr!" sagte Georg mit fester Stimme. "Ihr habt mir meine Liebe gestohlen, was liegt an meinem Leben?" "Was habe ich?" fragte jener und trat naeher. "Was Teufel ist das fuer eine Stimme?" sprach der Mann, der ihn noch immer umschlungen hielt, "Die sollte ich kennen!" Er drehte den jungen Mann in seinen Armen um, und wie von einem Blitz getroffen, zog er die Haende von ihm ab! "Jesus, Maria und Joseph! Da haetten wir bald etwas Schoenes gemacht! Aber welcher Unstern fuehrt Euch auch gerade hierher, Junker? Was denken auch meine Leute, dass sie Euch fortlassen, ohne dass ich dabei bin!" Es war der Pfeifer von Hardt, der Georg so anredete und ihm die Hand zum Gruss bot; dieser aber schien nicht geneigt, dieses freundliche Zeichen einem Mann zu erwidern der noch soeben das Handwerk des Henkers an ihm verrichten wollte; wild blickte er bald den Mann im Mantel, bald den Pfeifer an. "Meinst Du", sagte er zu diesem, "ich haette mich von Deinen Weibern in Gefangenschaft halten lassen sollen, dass ich Deine Verraeterei hier nicht sehe? Erbaermlicher Betrueger! Und Ihr", wandte er sich zu dem anderen, "wenn Ihr ein Mann von Ehre seid, so steht mir, und fallt nicht zu zweit ueber einen her; wenn Ihr wisst, dass ich Georg von Sturmfeder bin, so moegen Euch meine frueheren Ansprueche auf das Fraeulein nicht unbekannt sein, und mit Euch mich zu messen, bin ich hierher gekommen. Darum befehlt diesem Schurken, dass er mir mein Schwert wiedergebe, und lasst uns ehrlich fechten, wie es zwei Maennern geziemt." "Ihr seid Georg von Sturmfeder?" sprach jener mit freundlicher Stimme und trat naeher zu ihm. "Es scheint mir, Ihr seid etwas im Irrtum hier. Glaubt mir, ich bin Euch sehr gewogen und haette Euch laengst gerne gesehen. Nehmt das Ehrenwort eines Mannes, dass mich nicht die Absichten in jenes Schloss fuehren, die Ihr mir unterlegt, und seid mein Freund!" Er bot dem ueberraschten Juengling die Hand unter dem Mantel hervor, doch dieser zauderte; die gewichtigen Hiebe dieses Mannes hatten ihm zwar gesagt, dass er ein Ehrenwerter und Tapferer sei, darum konnte und musste er seinen Worten trauen; aber sein Gemuet war noch so verwirrt von allem, was er gehoert und gesehen, dass er ungewiss war, ob er den Handschlag dessen, den er noch vor einem Augenblick als seinen bittersten Feind angesehen hatten empfangen sollte oder nicht. "Wer ist es, der mir die Hand bietet?" fragte er. "Ich habe Euch meinen Namen genannt und koennte wohl billigerweise dasselbe von Euch verlangen." Der Unbekannte schlug den Mantel auseinander und schob das Barett zurueck; der Mond beleuchtete ein Gesicht voll Wuerde, und Georg begegnete einem glaenzenden Auge, das den Ausdruck gebietender Hoheit trug. "Fragt nicht nach Namen", sprach er, indem ein Zug von Wehmut um seinen Mund blitzte, "ich bin ein Mann und dies mag Euch genug sein; wohl fuehrte auch ich einst einen Namen in der Welt, der sich mit dem ehrenwertesten messen konnte, wohl trug auch ich die goldenen Sporen und den wallenden Helmbusch, und auf den Ruf meines Huefthorns lauschten viele hundert Knechte; er ist verklungen. Aber eines ist mir geblieben", setzte er mit unbeschreiblicher Hoheit hinzu, indem er die Hand des jungen Mannes fester drueckte, "ich bin ein Mann und trage ein Schwert: Si fractus illabatur orbis, Impavitum ferient ruinae." Er drueckte das Barett wieder in die Stirn zog seinen Mantel hoch herauf und ging vorueber in den Wald. Georg stand in stummem Erstaunen auf sein Schwert gestuetzt. Der Anblick dieses Mannes--es war ihm unbegreiflich--hatte alle Gedanken der Rache in seinem Herzen ausgeloescht. Dieser gebietende Blick, dieser gewinnende, wohlwollende Zug um den Mund, das tapfere, gewaltige Wesen dieses Mannes erfuellten seine Seele mit Staunen, mit Achtung, mit Beschaemung. Er hatte geschworen, mit Marien in keiner Beruehrung zu stehen, er hatte es bekraeftigt mit jener tapferen Rechten, die noch eben die gewichtige Klinge leicht wie im Spiel gefuehrt hatte; er hatte es bekraeftigt mit einem jener Blicke, deren Strahl Georg wie den der Sonne nicht zu ertragen vermochte, eine Bergeslast waelzte sich von seiner Brust, denn er glaubte, er musste glauben. "Wer ist dieser Mann?" fragte Georg den Pfeifer, der noch immer neben ihm stand. "Ihr hoertet ja, dass er keinen Namen hat, und auch ich weiss ihn nicht zu nennen." "Du wuesstest nicht, wer er ist?" entgegnete Georg, "und doch hast Du ihm beigestanden, als er mit mir focht? Geh! Du willst mich beluegen!" "Gewiss nicht, Junker", antwortete der Pfeifer, "es ist, Gott weiss es, wahr, dass jener Mann derzeit keinen Namen hat; wenn Ihr uebrigens durchaus erfahren wollt, was er ist, so wisst, er ist ein Geaechteter, den der Bund aus seinem Schloss vertrieb; einst aber war er ein maechtiger Ritter im Schwabenland." "Der Arme! Darum also ging er so verhuellt? Und mich hielt er wohl fuer einen Meuchelmoerder! Ja, ich erinnere mich, dass er sagte, er wolle sein Leben teuer genug verkaufen." "Nehmt mir nicht uebel, werter Herr", sagte der Bauer, "auch ich hielt Euch fuer einen, der dem Geaechteten auf das Leben lauern wollte, darum kam ich ihm zu Hilfe, und haette ich nicht Eure Stimme noch gehoert, wer weiss, ob Ihr noch lange geatmet haettet. Wie kommt Ihr aber auch um Mitternacht hierher, und welches Unheil fuehrt Euch gerade dem geaechteten Mann in den Wurf! Wahrlich, Ihr duerft von Glueck sagen, dass er Euch nicht in zwei Stuecke gehauen; es leben wenige, die vor seinem Schwert standgehalten haetten. Ich vermute, die Liebe hat Euch da einen argen Streich gespielt!" Georg erzaehlte seinem ehemaligen Fuehrer, welche Nachrichten ihm im Hirsch in Pfulligen mitgeteilt worden seien. Namentlich berief er sich auf die Aussage der Amme, des Pfeifers Schwester, die ihm so hoechst wahrscheinlich gelautet habe. "Dacht' ich's doch, dass es so was sein muesse", antwortete der Pfeifer. "Die Liebe hat manchem noch aerger mitgespielt, und ich weiss nicht, was ich in jungen Jahren in aehnlichem Fall getan haette. Daran ist aber wieder niemand schuld als meine alte Rosel, die alte Schwaetzerin, was hat sie noetig, der Wirtin im Hirsch, die auch nichts bei sich behalten kann, zu beichten?" "Es muss aber doch etwas Wahres an der Sache sein", entgegnete Georg, in welchem das alte Misstrauen hin und wieder aufblitzte. "So ganz ohne Grund konnte doch Frau Rosel nichts ersinnen!" "Wahr? Etwas Wahres muesse daran sein? Allerdings ist alles wahr nach der Reihe; die Knechte werden zu Bett geschickt und die alte Aufpasserin auch, um elf Uhr kommt der Mann vor das Schloss, die Zugbruecke faellt herab, die Tore tun sich ihm auf, das Fraeulein empfaengt ihn und fuehrt ihn in die Herrenstube--" "Nun? Siehst Du?" rief Georg ungeduldig. "Wenn dies alles wahr ist, wie kann dann jener Mann schwoeren, dass er mit dem Fraeulein--" "Dass er mit dem Fraeulein ganz und gar nichts wolle?" antwortete der Pfeifer. "Allerdings kann er das schwoeren; denn es ist nur ein Unterschied bei der ganzen Sache, den die Gans, die Rosel, freilich nicht gewusst hat, naemlich, dass der Ritter von Lichtenstein in der Herrenstube sitzt, das Fraeulein aber sich entfernt, wenn sie ihre heimlich bereiteten Speisen aufgetragen hat. Der Alte bleibt bei dem geaechteten Mann bis um den ersten Hahnenschrei, und wenn er gegessen und getrunken und die erstarrten Glieder am Feuer wieder erwaermt hat, verlaesst er das Schloss, wie er es betreten." "Oh ich Tor! Dass ich dies alles nicht frueher ahnte. Wie nahe lag die Wahrheit und wie weit liess ich mich irreleiten!--Aber sprich", fuhr Georg nach einigem Nachsinnen fort, "auffallend ist es mir doch, dass dieser geaechtete Mann alle Nacht ins Schloss kommt; in welch unwirtlicher Gegend wohnt er denn wo er keine warme Kost, keinen Becher Wein und keinen warmen Ofen findet?--Hoere, wenn Du mich dennoch beloegest!" Des Pfeifers Auge ruhte mit einem beinahe spoettischen Ausdruck auf dem jungen Mann "Ein Junker wie Ihr", antwortete er, "weiss freilich wenig, wie weh Verbannung tut; Ihr wisst es nicht, was es heisst, sich vor den Augen seiner Moerder verbergen, Ihr wisst nicht, wie schaurig sich's in feuchten Hoehlen, in unwirtlichen Schluchten wohnt, Ihr kennt die Wohltat nicht, die ein warmer Bissen und ein feuriger Trunk dem gewaehrt, der bei den Eulen speist und beim Uhu in der Miete ist: aber kommt, wenn es Euch geluestet; der Morgen bricht noch nicht an, und in der Nacht koennt Ihr nicht nach Lichtenstein; ich will Euch dahin fuehren, wo der geaechtete Ritter wohnt, und Ihr werdet nicht mehr fragen, warum er um Mitternacht nach Speise geht." Die Erscheinung des Unbekannten hatte Georgs Neugierde zu sehr aufgeregt, als dass er nicht begierig den Vorschlag des Pfeifers von Hardt angenommen haette, besonders auch, da er darin den besten Beweis fuer die Wahrheit oder Falschheit seiner Aussagen finden konnte. Sein Fuehrer ergriff die Zuegel des Rosses und fuehrte es einen engen Waldweg bergab. Georg folgte, nachdem er noch einen Blick nach den Fenstern des Lichtensteins zurueckgeworfen hatte. Sie zogen schweigend immer weiter, und dem jungen Mann schien dieses Schweigen nicht unangenehm zu sein, denn er machte keinen Versuch, es zu unterbrechen. Er hing seinen Gedanken nach ueber den Mann zu dessen geheimnisvoller Wohnung er gefuehrt wurde. Unablaessig beschaeftigte ihn die Frage, wer dieser Geaechtete sein koennte. Er erinnerte sich fast wie aus einem Traum, dass mehrere Anhaenger des vertriebenen Herzogs aus ihren Besitzungen gejagt worden seien, ja es deuchte ihm sogar, es sei in der Herberge zu Pfullingen waehrend seines teilnahmslosen Hinbruetens, von einem Ritter, Marx Stumpf von Schweinsberg, die Rede gewesen, nach welchem die Buendischen fahnden. Die Tapferkeit und ausgezeichnete Staerke dieses Mannes war in Schwaben und Franken wohlbekannt; und wenn sich Georg die zwar nicht ueberaus grosse, aber kraeftige Gestalt, die gebietende Miene, das heldenmuetige, ritterliche Wesen des Mannes ins Gedaechtnis zurueckrief, wurde es ihm immer mehr zur Gewissheit, dass der Geaechtete kein anderer als der treueste Anhaenger Ulrichs von Wuerttemberg, Marx Stumpf von Schweinsberg, sei. So dachte in jener Nacht Georg von Sturmfeder, aber noch viele Jahre nachher, als der Mann, den er in jener Nacht bekaempfte, laengst wieder in seine Rechte eingesetzt war, und seinem Huefthorn wieder Hunderte folgten, rechnete er es unter seine schoensten Waffentaten, dem tapferen, gewaltigen Unbekannten keinen Schritt breit gewichen zu sein. Die Wanderer waren waehrend dieses Selbstgespraechs des jungen Mannes auf einer kleinen, freien Waldwiese angekommen; der Pfeifer band das Pferd seitwaerts an und winkte Georg zu folgen. Die Waldwiese brach in eine schroffe, mit dichtem Gestraeuch bewachsene Abdachung ab; dort schlug der Pfeifer einige verschlungene Zweige zurueck, hinter welchen ein schmaler Fusspfad sichtbar wurde, welcher abwaerts fuehrte. Nicht ohne Muehe und Gefahr folgte Georg seinem Fuehrer, der ihm an einigen Stellen kraeftig die Hand reichte. Nachdem sie etwa achtzig Fuss hinabgestiegen waren, befanden sie sich wieder auf ebenem Grund, aber umsonst suchte der junge Mann nach der Staette des geaechteten Ritters. Der Pfeifer ging nun zu einem Baum von ungeheurem Umfang, der innen hohl sein musste, denn jener brachte zwei grosse Kienfackeln daraus hervor; er schlug Feuer und zuendete mit einem Stueckchen Schwefel die Fackeln an. Als diese hell aufloderten, bemerkte Georg, dass sie vor einem grossen Portal standen, das die Natur in die Felsenwand gebrochen hatte, und dies mochte wohl der Eingang zu der Wohnung sein, wo der Geaechtete, wie sich der Pfeifer ausdrueckte, beim Uhu zur Miete war. Der Mann von Hardt ergriff eine der Fackeln und bat den Juengling, die andere zu tragen, denn ihr Weg sei dunkel und hie und da nicht ohne Gefahr. Nachdem er diese Warnung gefluestert, schritt er voran in das dunkle Tor. Georg hatte eine niedere Erdschlucht erwartet, kurz und eng, dem Lager der Tiere gleich, wie er sie in den Forsten seiner Heimat hin und wieder gesehen, aber wie erstaunte er, als die erhabenen Hallen eines unterirdischen Palastes vor seinen Augen sich auftaten. Er hatte in seiner Kindheit aus dem Munde eines Knappen, dessen Urgrossvater in Palaestina in Gefangenschaft geraten war, ein Maerchen gehoert, das von Geschlecht zu Geschlecht ueberliefert worden war; dort war ein Knabe von einem boesen Zauberer unter die Erde geschickt worden, in einen Palast, dessen erhabene Schoenheit alles uebertraf, was der Knabe je ueber der Erde gesehen hatte. Diese Sage, die sich der kindlichen Einbildungskraft tief eingedrueckt, lebte auf und verwirklichte sich vor den Blicken des staunenden Juenglings. Alle Augenblicke stand er still, von neuem ueberrascht, hielt die Fackel hoch und staunte und bewunderte, denn in hohen, majestaetisch gewoelbten Bogen zog sich der Hoehlengang hin, und flimmerte und blitzte, wie von tausend Kristallen und Diamanten. Aber noch groessere Ueberraschung stand ihm bevor, als sich sein Fuehrer links wandte und ihn in eine weite Grotte fuehrte, die wie der festlich geschmueckte Saal des unterirdischen Palastes anzusehen war. Sein Fuehrer mochte den gewaltigen Eindruck bemerken, den dieses Wunderwerk der Natur auf die Seele des Juenglings machte. Er nahm ihm die Fackel aus der Hand, stieg auf einen vorspringenden Felsen und beleuchtete so einen grossen Teil der Grotte. Der Fuehrer stieg, nachdem er das Auge des Juenglings fuer hinlaenglich gesaettigt halten mochte, wieder herab von seinem Felsen. "Das ist die Nebelhoehle", sprach er, "man kennt sie wenig im Land, und nur den Jaegern und Hirten ist sie bekannt; doch wagen es nicht viele hereinzugehen, weil man allerlei boese Geschichten von diesen Kammern der Gespenster weiss. Einem, der die Hoehle nicht genau kennt, moechte ich nicht raten, sich herabzuwagen; sie hat tiefe Schluende und unterirdische Wasser, aus denen keiner mehr ans Licht kommt. Auch gibt es geheime Gaenge und Kammern, die nur fuenf Maennern bekannt sind, die jetzt leben." "Und der geaechtete Ritter?" fragte Georg. "Nehmt die Fackel und folgt mir", antwortete jener, und schritt voran in einen Seitengang. Sie waren wieder etwa zwanzig Schritte gegangen, als Georg die tiefen Toene einer Orgel zu vernehmen glaubte. Er machte seinen Fuehrer darauf aufmerksam. "Das ist Gesang", entgegnete er, "der toent in diesen Gewoelben gar lieblich und voll. Wenn zwei oder drei Maenner singen, so lautet es, als saenge ein ganzer Chor Moenche die Hora." Immer vernehmlicher toente der Gesang, je naeher sie kamen, desto deutlicher wurden die Biegungen einer angenehmen Melodie Sie bogen um eine Felsenecke und von oben herab ertoente ganz nah die Stimme des Singenden, brach sich an den zackigen Felsenwaenden in vielfachem Echo, bis sie sich verschwebend mit den fallenden Tropfen der feuchten Steine und mit dem Murmeln eines unterirdischen Wasserfalles mischte, der sich in eine dunkle, geheimnisvolle Tiefe ergoss. "Hier ist der Ort", sprach der Fuehrer, "dort oben in der Felswand ist die Wohnung des ungluecklichen Mannes; hoert Ihr sein Lied? Wir wollen warten und lauschen, bis er zu Ende ist, denn er war nicht gewohnt, unterbrochen zu werden, als er noch oben auf der Erde war." Die Maenner lauschten und verstanden durch das Echo und das Gemurmel der Wasser etwa folgende Worte, die der Geaechtete sang: "Vom Turme, wo ich oft gesehen Hernieder auf ein schoenes Land, Vom Turme fremde Fahnen wehen, Wo meiner Ahnen Banner stand. Der Vaeter Hallen sind gebrochen, Gefallen ist des Enkels Los, Er birgt, besiegt und ungerochen, Sich in der Erde tiefem Schoss. Und wo einst in des Glueckes Tagen Mein Jagdhorn toente durchs Gefild, Da meine Feinde graesslich jagen, Sie hetzen gar ein edles Wild. Ich bin das Wild, auf das sie pirschen, Die Bluthund' wetzen schon den Zahn, Sie duersten nach dem Schweiss des Hirschen, Und sein Geweih steht ihnen an. Die Moerder han' in Berg und Heide Auf mich die Armbrust aufgespannt, Drum in des Bettlers rauhem Kleide Durchschleich' ich nachts mein eigen Land; Wo ich als Herr sonst eingeritten Und meinen hohen Gruss entbot. Da klopf' ich schuechtern an die Huetten Und bettle um ein Stueckchen Brot. Ihr warft mich aus den eignen Toren, Doch einmal klopf' ich wieder an, Drum Mut! Noch ist nicht all verloren, Ich hab' ein Schwert und bin ein Mann. Ich wanke nicht; ich will es tragen; Und ob mein Herz darueber bricht, So sollen meine Feinde sagen, Er war ein Mann und wankte nicht." Er hatte geendet, und der tiefe Seufzer, den er den verhallenden Toenen seines Liedes nachsandte, liess ahnen, dass er im Gesang nicht viel Trost gefunden habe. Dem rauhen Mann von Hardt war waehrend des Liedes eine grosse Traene ueber die gebraeunte Wange gerollt, und Georg war es nicht entgangen, wie er sich anstrengte, die alte feste Fassung wiederzuerhalten und dem Bewohner der Hoehle eine heitere Stirn und ein ungetruebtes Auge zu zeigen. Er gab dem Junker auch die zweite Fackel in die Hand und klimmte den glatten schluepfrigen Felsen hinan, der zu der Grotte fuehrte, woraus der Gesang erklungen war. Georg dachte sich, dass er ihn vielleicht dem Ritter melden wolle, und bald sah er ihn mit einem tuechtigen Strick zurueckkehren. Er klimmte die Haelfte des Felsens wieder herab und liess sich die Fackeln geben, die er geschickt in eine Felsenritze an der Seite steckte; dann warf er Georg den Strick zu und half ihm so die Felsenwand erklimmen, was ihm ohne diese Hilfe schwerlich gelungen waere. Er war oben und wenige Schritte noch, so stand er vor dem Felsengemach des Geaechteten. Kapitel 20 Der Teil jener grossen Hoehle, welchen sie jetzt betraten, unterschied sich merklich von den uebrigen Grotten und Kammern durch seine Trockenheit. Der Boden war mit Binsen und Stroh bestreut, eine Lampe, die an der Wand angebracht war, verbreitete ein hinreichendes Licht auf die Breite und den groessten Teil der Laenge dieser Grotte. Gegenueber sass jener Mann auf einem breiten Baerenfell, neben ihm stand sein Schwert und ein Huefthorn; ein alter Hut und der graue Mantel, mit welchem er sich verhuellt hatte, lagen am Boden. Er trug ein Wams von dunkelbraunem Leder und Beinkleider von grobem blauem Tuch; ein unscheinbarer Anzug, der aber seinen kraeftigen Koerperbau und seine feinen, edlen Zuege nur noch mehr heraushob. Er mochte ungefaehr vierunddreissig Jahre alt sein, und sein Gesicht war noch immer huebsch und angenehm zu nennen, obgleich die erste Bluete der Jugend von Gefahren und Strapazen abgestreift schien und der verwilderte Bart ihm zuweilen etwas Furchtbares verlieh; diese fluechtigen Bemerkungen draengten sich Georg auf, als er am Eingang der Grotte still stand. "Willkommen in meinem Palast, Georg von Sturmfeder!" rief der Bewohner der Hoehle, indem er sich von dem Baerenfell aufrichtete, dem Juengling die Hand bot und ihm winkte, auf einen ebenso kunstlosen Sitz von Rehfellen sich niederzulassen. "Seid herzlich willkommen. Es war kein uebler Einfall Unseres Spiel-manns, Euch in diese Unterwelt herabzufuehren und mir einen so angenehmen Gesellschafter zu bringen. Hans! Du treue Seele, Du warst bisher Unser Majordomus, Truchsess und Kanzler, Wir ernennen Dich jetzt zu Unserem Kellermeister und Obermundschenk. Sieh, dort hinter jener Saeule muss ein Krug stehen, worin sich noch ein Rest alten Weines befindet. Nimm meinen Jagdbecher von Buchsbaum, das einzige Tafelgeschirr, das Wir jetzt fuehren, giess ihn voll bis an den Rand und kredenze ihn Unserem ehrenwerten Gast." Georg sah erstaunt auf den geaechteten Mann Er hatte nach dem Schicksal, das ihn betroffen nach seinen unwirtlichen Umgebungen, zuletzt noch nach dem Klagegesang, den er gehoert hatte, einen Mann erwartet, der zwar unbesiegt von den Stuermen des Lebens, aber ernst, vielleicht sogar finster in seinem Umgang sein werde. Und er fand ihn heiter, unbesorgt, scherzend ueber seine Lage, als habe ihn auf der Jagd ein Sturm ueberfallen und genoetigt, eine kleine Weile in dieser Hoehle Schutz gegen das Wetter zu suchen. "Ihr schaut mich verwundert an, werter Gast", sagte der Ritter, als Georg bald ihn, bald seine Umgebung mit verwunderten Blicken mass. "Vielleicht habt Ihr erwartet, dass ich Euch etwas vorjammern werde? Aber ueber was soll ich klagen? Mein Unglueck kann in diesem Augenblick keiner wenden, darum ziemt es sich, dass man heitere Miene zum boesen Spiel mache. Und sagt selbst, wohne ich hier nicht, wie Fuersten selten wohnen? Habt Ihr meine Hallen gesehen und die weiten Saele meines Palastes? Glaenzen nicht ihre Waende wie Silber? Woelben die Decken sich nicht wie aus Perlen und Diamanten zusammengesetzt? Werden sie nicht getragen von Saeulen, die von Smaragden und Rubinen und allen Edelsteinen der Erde prangen? Doch hier kommt Hans, mein Obermundschenk, mit dem Wein. Sprich, mein Getreuer! Ist das all Unser Getraenke, was in diesem Becher ist?" "Wasser so klar als Kristall hat Eure Wohnung", sprach der Pfeifer, der mit der heiteren Laune seines Gefaehrten schon vertraut war, "aber auch ein Restchen Wein das wenigstens noch drei Becher fuellt, ist im Krug und--nun, wir haben ja heute einen Gast und koennen schon etwas draufgehen lassen--ich will es nur gestehen ich habe heute nacht einen vollen Krug alten Uhlbacher hereingebracht, er steht bei dem anderen." "Das hast Du wohl gemacht", rief der geaechtete Ritter, und ein Strahl der Freude drang aus seinem glaenzenden Auge. "Glaubt nicht, Herr Georg, dass ich ein Schlemmer und Saeufer bin; aber guter Wein ist ein edles Ding, und ich liebe es, in guter Gesellschaft den vollen Becher rundgehen zu lassen. Pflanze die Kruege nur hier auf, werter Kellermeister, Wir wollen tafeln, wie in den Tagen des Glueckes. Ich bring' es Euch, auf den alten Glanz des Hauses Sturmfeder!" Georg dankte und trank. "Ich sollte die Ehre erwidern", sagte er, "und doch weiss ich Euren Namen nicht, Herr Ritter. Doch ich bringe es Euch! Moegt Ihr bald wieder siegreich in die Burg Eurer Vaeter einziehen, moege Euer Geschlecht auf ewige Zeiten gruenen und bluehen-- es lebe!" Georg hatte die letzten Worte mit starker Stimme gerufen und wollte eben den Becher ansetzen als das Geraeusch vieler Stimmen, vom Eingang der Grotte her, aus der Tiefe emporstieg, die vernehmlich "Es lebe! lebe!" riefen. Verwundert setzte er den Becher nieder. "Was ist das?" sagte er. "Sind wir nicht allein?" "Es sind meine Vasallen, die Geister", antwortete der Ritter laechelnd, "oder wenn Ihr so lieber wollt, das Echo, das Eurem freundlichen Ruf beistimmte. Ich habe oft", setzte er ernster hinzu, "in den Zeiten des Glanzes das Wohl meines Hauses von hundert Stimmen ausrufen hoeren, doch hat es mich nie so erfreut und geruehrt als hier, wo mein einziger Gast es ausbrachte und die Felsen dieser Unterwelt es beantworteten Fuelle den Becher. Hans, und trinke, und weisst Du einen guten Spruch, so gib ihn preis." Der Pfeifer von Hardt fuellte sich den Becher und blickte Georg mit freundlichen Blicken an: "Ich bring' es Euch, Junker, und etwas recht Schoenes dazu: 'Das Fraeulein von Lichtenstein!'" "Hallo, Sa! Sa! Trinkt, Junker, trinkt!" rief der Geaechtete und lachte, dass die Hoehle droehnte. "Aus bis auf den Boden, aus! Sie soll bluehen und leben fuer Euch! Das hast Du gut gemacht, Hans! Sieh nur, wie unserem Gast das Blut in die Wangen steigt, wie seine Augen blitzen, als kuesse er schon ihren Mund.--Duerft Euch nicht schaemen! Auch ich habe geliebt und gefreit und weiss, wie einem froehlichen Herzen von vierundzwanzig Jahren zumute ist!" "Armer Mann!" sagte Georg, "Ihr habt geliebt und gefreit und musstet vielleicht ein geliebtes Weib und gute Kinder zuruecklassen?" Er fuehlte sich, waehrend er dies sprach, heftig am Mantel gezogen er sah sich um, und der Spielmann winkte ihm schnell mit den Augen, als sei dies ein Punkt, worueber man mit dem Ritter nicht sprechen muesse. Und den Juengling gereuten auch seine Worte, denn die Zuege des ungluecklichen Mannes verfinsterten sich, und er warf einen wilden Blick auf Georg, indem er sagte: "Der Frost im September hat schon oft verdorben, was im Mai gar herrlich bluehte, und man fragt nicht, wie es geschehen sei. Meine Kinder habe ich in den Haenden rauher, aber guter Ammen gelassen, sie werden sie, so Gott will, bewahren, bis der Vater wieder heimkommt." Er hatte dies mit bewegter, dumpfer Stimme gesprochen, doch als wolle er die trueben Gedanken aus dem Gedaechtnis wischen fuhr er mit der Hand ueber die Stirn, und wirklich glaetteten sich die Falten, die sich dort zusammengezogen hatten, augenblicklich, er blickte wieder heiterer um sich her und sprach: "Der Hans hier kann mir bezeugen, dass ich schon oft gewuenscht habe, Euch zu sehen, Herr von Sturmfeder. Er hat mir von Eurer sonderbaren Verwundung erzaehlt, wo man Euch wahrscheinlich fuer einen der Vertriebenen gehalten und angefallen hat, indessen der Rechte Zeit gewann, zu entfliehen." "Das soll mir lieb sein", antwortete Georg. "Ich moechte fast glauben, man hat mich fuer den Herzog selbst gehalten denn diesem passten sie damals auf; und ich will gerne die tuechtige Schlappe bekommen haben, wenn er dadurch gerettet wurde." "Ei, das ist doch viel. Wisst Ihr nicht, dass der Hieb, der nach Euch gefuehrt wurde, ebensogut toedlich werden konnte?" "Wer zu Feld zieht", entgegnete Georg, "der muss seine Rechnung mit der Welt so ziemlich abgeschlossen haben. Es ist zwar schoener, in einer Feldschlacht vor dem Feind bleiben, wenn die Freunde jubeln und die Kameraden umherstehen, um einem den letzten Liebesdienst zu erweisen--Aber doch waere ich damals auch gestorben, wenn es haette sein muessen, um die Streiche dieser Meuchelmoerder vom Herzog abzulenken." Der Geaechtete sah den Juengling mit Ruehrung an und drueckte seine Hand. "Ihr scheint grossen Anteil am Herzog zu nehmen", sagte er, indem er seine durchdringenden Augen auf ihn heftete, "das haette ich kaum gedacht; man sagte mir, Ihr waeret buendisch." "Ich weiss, Ihr seid ein Anhaenger des Herzogs", antwortete Georg, "aber Ihr werdet mir schon ein freies Wort gestatten. Seht, der Herzog hat manches getan, was nicht recht ist. Zum Beispiel die huttische Geschichte, sie mag nun sein wie sie will, haette er unterlassen koennen. Sodann mag er mit seiner Frau hart umgegangen sein, und Ihr muesst selbst gestehen, er liess sich doch zu sehr vom Zorn bemeistern, als er Reutlingen sich unterwarf--" Er hielt inne, als erwarte er die Antwort des Ritters, doch dieser schlug die Augen nieder und winkte schweigend dem jungen Mann, fortzufahren "Nun, so dachte ich von dem Herzog, als ich buendisch wurde, so, und nur etwas staerker sprach man von ihm im Heer. Aber eine grosse Fuersprecherin hatte er an Marien, und es ist Euch vielleicht bekannt, dass ich mich auf ihr Zureden lossagte. Nun bekamen die Sachen bald eine andere Gestalt in meinen Augen, sei es, weil ich von Natur mitleidig bin und niemand ungerecht misshandelt sehen kann, oder auch, weil ich die Absichten der Buendischen besser durchschaute ich sah, dass dem Herzog zuviel geschehe; denn der Bund hatte offenbar kein Recht, den Herzog aus allen seinen Besitzungen, und sogar von seinem Fuerstenstuhl, zu vertreiben und ihn ins Elend zu jagen. Und da gewann der Herzog wieder in meinen Augen. Er haette ja vielleicht noch eine Schlacht wagen koennen, aber er wollte nicht das Blut seiner Wuerttemberger auf ein so gewagtes Spiel setzen. Er haette den Leuten Geld abpressen koennen und die Schweizer damit halten, aber er war groesser als sein Unglueck. Seht--das hat mich zu seinem Freund gemacht." Der Ritter schlug die Augen auf, seine Brust schien hoeher zu schlagen, seine edle Gestalt richtete sich stolz empor, er sah Georg lange an und drueckte seine Hand an sein pochendes Herz. "Wahrlich", sagte er, "es lebt eine heilige, reine Stimme in Dir, junger Freund! Ich kenne den Herzog wie mich selbst, aber ich darf sagen, wie Du sagtest, er ist groesser als sein Unglueck, und--besser als der Ruf von ihm sagt. Aber er hat wenige gefunden, die ihm die Probe gehalten haben! Ach, dass er nur Hundert gehabt haette, wie Du bist, und es haette kein Fetzen der buendischen Paniere auf einer wuerttembergischen Zinne geweht. Dass Du sein Freund werden koenntest! Doch es sei fern von mir, Dich einzuladen, sein Unglueck mit ihm zu teilen, es ist genug, dass Deine Klinge und ein Arm wie der Deinige nicht mehr seinen Feinden gehoert. Moegen Deine Tage heiterer sein als die seinigen, moege der Himmel Dir Deine guten Gesinnungen gegen einen Ungluecklichen belohnen!" Es wehte ein Geist in den Worten des geaechteten Ritters, der manche verwandte Saite in dem Herzen des Juenglings anschlug. War es die Anerkennung seines persoenlichen Wertes, die ihm aus dem Mund eines Tapferen so ermunternd klang, war es die Aehnlichkeit des Schicksales dieses Ungluecklichen mit seiner eigenen Armut und mit dem Unglueck seines Hauses, war es die romantische Idee, nicht fuer das siegende Unrecht, sondern fuer die gerechte Sache, gerade weil sie im tiefsten Unglueck war, sich zu erklaeren--Georg fuehlte sich unwiderstehlich zu diesem geaechteten Mann, zu der Sache, fuer die er litt, hingezogen; begeistert fasste er seine Hand und rief: "Es spreche mir keiner von Vorsicht, nenne es keiner Torheit, sich an das Unglueck anzuschliessen! Moegen andere dieses schoene Land dort oben teilen und in den Guetern dieses ungluecklichen Fuersten schwelgen--ich fuehle Mut in mir, mit ihm zu tragen, was er traegt, und wenn er sein Schwert zieht, seine Lande wieder zu erobern, so will ich der erste sein der sich an seine Seite stellt. Nehmt meinen Handschlag, Herr Ritter, ich bin, wie es auch komme, Ulrichs Freund fuer immer!" Eine Traene glaenzte in dem Auge des Geaechteten, indem er den Handschlag zurueckgab. "Du wagst viel, aber Du bist viel, wenn Du Ulrichs Freund bist. Das Land da oben gehoert jetzt den Raeubern und Dieben, aber hier unten ist noch gut Wuerttemberg, Hier vor mir sitzt der Ritter und der Buerger, vergesst einen Augenblick, dass ich ein armer Ritter und ein ungluecklicher, geaechteter Mann bin, und denkt, ich sei Fuerst des Landes, wie ich der Herr der Hoehle bin. Ha! Noch gibt es ein Wuerttemberg, wo diese drei zusammenhalten, und sei es auch tief im Schoss der Erde. Fuelle den Becher, Hans, und lege Deine rauhe Hand in die unsrigen, wir wollen den Bund besiegeln!" Hans ergriff den vollen Krug und fuellte den Becher. "Trinkt, edle Herren, trinkt", sagte er, "Ihr koennt Euch in keinem edleren Wein Bescheid tun, als in diesem Uhlbacher." Der Geaechtete trank in langen Zuegen den Becher aus, liess ihn wieder fuellen und reichte ihn Georg. "Wie ist mir doch?" sagte dieser. "Bluehte nicht dieser Wein um Wuerttembergs Stammschloss? Ich glaube, man nennt so den Wein, der auf jenen Hoehen waechst?" "Es ist so", antwortete der Geaechtete, "Rothenberg heisst der Berg, an dessen Fuss dieser Wein waechst, und auf seinem Gipfel steht das Schloss, das Wuerttembergs Ahnen gebaut haben--Oh, ihr schoenen Taeler des Neckars, ihr herrlichen Berge voll Frucht und Wein! Von euch, von euch auf immer!" Er rief es mit einer Stimme, die aus einem gebrochenen Herzen voll Schmerz und Kummer heraufstieg, denn die Wehmut hatte die Decke gesprengt, womit der feste, unbeugsame Sinn dieses Mannes seine kummervolle Seele verhuellt hatte. Der Bauer kniete nieder zu ihm, ergriff seine Hand und weckte ihn aus dem duesteren Hinbrueten, dem er sich einige Augenblicke hingegeben hatte. "Seid stark, guter Herr! Ihr werdet sie wiedersehen, froehlicher, als Ihr sie verlassen habt." "Ihr werdet sie wiedersehen, die Taeler Eurer Heimat", rief Georg, "wenn der Herzog einrueckt in sein Land, wenn er einzieht in die Burg seiner Ahnen, wenn die Taeler des Neckars und seine weinreichen Hoehen widerhallen vom Jubel des Volkes, dann werdet auch Ihr Eurer Wohnung wieder entgegenziehen. Verscheucht die trueben Gedanken: trinkt, vergesst nicht, was wir vorhin gesprochen haben, ich tue Euch Bescheid in diesem Wuerttemberger Wein--der Herzog und seine Treuen!" Ein angenehmes Laecheln ging wie ein Sonnenblick bei diesen Worten auf den duesteren Zuegen des Ritters auf. "Ja!" rief er, "Treue ist das Wort, das Genesung gibt dem gebrochenen Herzen, wie ein kuehler Trank dem einsamen Wanderer in der Wueste. Vergesst meine Schwaeche, Junker. Verzeiht sie einem Mann, der sonst seinem Kummer nicht Raum gibt. Aber wenn Ihr je vom Gipfel des roten Berges hinabgesehen haettet auf das Herz von Wuerttemberg, wie der Neckar durch gruene Ufer zieht, wie manneshohe Halme in den Feldern wogen, wie sanfte Huegel am Fluss sich hinaufziehen, bepflanzt mit koestlichem Wein, wie dunkle, schattige Forsten die Gipfel der Berge bekraenzen, wie Dorf an Dorf mit den freundlichen roten Daechern aus den Waeldern von Obstbaeumen hervorschaut, wie gute fleissige Menschen, kraeftige Maenner, schoene Weiber auf diesen Hoehen, in diesen Taelern walten und sie zu einem Garten anbauen--haettet Ihr dieses gesehen, Junker, gesehen mit meinen Augen, und saesset jetzt hier unten, hinausgeworfen, verflucht, vertrieben, umgeben von starren Felsen, tief im Schoss der Erde! Oh, der Gedanke ist schrecklich und oft zu maechtig fuer ein Maennerherz!" Georg bangte, der Ritter moechte durch die traurige Gegenwart und seine schoeneren Erinnerungen wieder in seine Wehmut zurueckgefuehrt werden, daher suchte er schnell dem Gespraech eine andere Wendung zu geben: "Ihr wart also oft um den Herzog, Herr Ritter? Oh sagt mir, ich bin ja jetzt sein Freund, sagt mir, wie ist er im Umgang? Wie sieht er aus? Nicht wahr, er ist sehr veraenderlich und hat viele Launen?" "Nichts davon", antwortete der Geaechtete, "Ihr werdet ihn sehen und lernt ihn am besten ohne Beschreibung kennen. Aber schon zu lange haben wir von fremden Angelegenheiten gesprochen. Von Euren eigenen sagt Ihr gar nichts? Nichts von dem Zweck Eurer jetzigen Reise, nichts von dem schoenen Fraeulein von Lichtenstein?--Ihr schweigt und schlagt die Augen nieder? Glaubt nicht, dass es Neugierde sei, warum ich frage. Nein, ich glaube Euch in dieser Sache nuetzlich sein zu koennen." "Nach dem, was diese Nacht zwischen uns geschehen ist", antwortete Georg, "ist von meiner Seite keine Zurueckhaltung, kein Geheimnis mehr noetig. Es scheint auch, Ihr wuesstet laengst, dass ich Marien liebe, vielleicht auch, dass sie mir hold ist?" "Oh ja", entgegnete der Ritter laechelnd, "wenn ich anders die Zeichen der Liebe verstehe und richtig deuten kann. Denn sie schlug, wenn von Euch die Rede war, die Augen nieder und erroetete bis an die Stirn; auch nannte sie Euren Namen mit eigenem, so eigenem Ton, als gaeben alle Saiten ihres Herzens den Akkord zu diesem Grundton an." "Ich glaube, Euer scharfes Auge hat richtig bemerkt, und deswegen will ich nach Lichtenstein. Ich war von Anfang willens, als ich mich vom Bund lossagte, nach Haus zu ziehen, aber die Alb ist schon halbwegs von Franken hierher, da dachte ich, ich koennte das Fraeulein noch einmal zuvor sehen. Der Mann hier fuehrte mich ueber die Alb. Ihr wisst, was meine Reise um acht Tage verzoegerte. Sobald der Morgen herauf ist, will ich oben im Schloss einsprechen, und ich hoffe, ich komme dem alten Herrn jetzt willkommener, da ich das neutrale Gebiet verlassen und zu seiner Farbe mich geschlagen habe." "Wohl werdet Ihr ihm willkommen sein, wenn Ihr als Freund des Herzogs kommt, denn er ist ihm treu und sehr ergeben. Doch koennte es sein, dass er Euch nicht traute, denn er soll ein wenig misstrauisch und graemlich gegen fremde Menschen sein. Ihr wisst, wie ich mit ihm stehe, denn er ist der barmherzige Samariter, der mich, wenn ich nachts aus meiner Hoehle steige, mit warmer Speise und mit noch waermerem Trost fuer die Zukunft labt. Ein paar Zeilen von mir moegen Euch bei ihm besser empfehlen als ein Freibrief des Kaisers, und zum Zeichen fuer ihn und manchen andern, nehmt diesen Ring und tragt ihn zum Andenken an diese Stunde, er wird Euch als einen Freund der gerechten Sache Wuerttembergs verkuenden." Er zog bei diesen Worten einen breiten Goldreif vom Finger. Ein roter Stein war in der Mitte gefasst, und in den drei Hirschgeweihen mit dem Jagdhorn auf dem Wappenhelm, die darin eingegraben waren, erkannte der junge Mann das Zeichen Wuerttembergs. Um den Ring standen erhaben eingepraegte Buchstaben, deren Sinn er nicht verstand. Sie hiessen Uhzwut. "Uhzwut? Was bedeutet dieser Name?" fragte er. "Ist es etwa ein Feldgeschrei fuer die Anhaenger des Herzogs?" "Nein, mein junger Freund", antwortete der geaechtete Ritter. "Diesen Ring trug der Herzog lange an seiner Hand, und er war mir immer sehr wert, ich habe aber noch viele andere Andenken von ihm und konnte dieses an keinen Besseren abtreten. Die Zeichen heissen Ulrich Herzog zu Wuerttemberg und Teck!" "Er wird mir ewig teuer sein", erwiderte Georg, "als ein Andenken an den ungluecklichen Herrn, dessen Namen er traegt, und als schoene Erinnerung an Euch, Herr Ritter, und die Nacht in der Hoehle." "Wenn Ihr an die Zugbruecke von Lichtenstein kommt", fuhr der Ritter fort, "so gebt dem naechsten besten Knecht den Zettel, den ich Euch schreiben werde, und diesen Ring, solches dem Herrn des Schlosses zu bringen, und Ihr werdet gewiss empfangen werden, als waeret Ihr des Herzogs eigener Sohn. Doch fuer das Fraeulein muesst Ihr Eure eigenen Zeichen haben, denn auf sie erstreckt sich mein Zauber nicht. Etwa ein herzlicher Haendedruck, die geheimnisvolle Sprache der Augen oder ein suesser Kuss auf ihren roten Mund. Doch, um gehoerig vor ihr zu erscheinen, habt Ihr Ruhe noetig, denn Eure Augen moechten nach einer durchwachten Nacht etwas truebe sein. Daher folgt meinem Beispiel, streckt Euch auf die Rehfelle nieder und legt Euren Mantel als Kopfkissen unter. Und Du, wuerdiger Majordomus, oberster Kaemmerer und Mundschenk, Hans, getreuer Gefaehrte im Unglueck, reiche diesem Paladin noch einen Becher zum Schlaftrunk, dass ihm jene Felle zum weichen Pfuehl, diese Felsengrotte zum Schlafgemach werde und ihn der Gott der Traeume mit seinen lieblichen Bildern besuche!" Die Maenner tranken und legten sich zur Ruhe, und Hans setzte sich, wie ein treuer Hund, an die Pforte der Felsenkammer. Bald kam Morpheus mit leisen Tritten zu dem Lager des Juenglings und streute seine Schlummerkoerner ueber ihn, und er hoerte nur noch halb im Traum, wie der geaechtete Mann sein Nachtgebet sprach und mit frommer Zuversicht zu dem Lenker der Schicksale flehte, ueber ihn und jenes unglueckliche Land, in dessen tiefem Schoss er jetzt ruhte, seinen Schutz und seine Hilfe herabzusenden. Kapitel 21 Georg konnte sich anfangs nicht recht auf seine Lage und die Gegenstaende umher besinnen, als er vom Pfeifer von Hardt aus dem Schlaf aufgeschuettelt wurde; allmaehlich aber kehrten die Bilder der vergangenen Nacht in seine Seele zurueck, und er erwiderte freudig den Handschlag, mit welchem ihn der geaechtete Ritter begruesste. "So gerne ich Euch noch tagelang in meinem Palast beherbergen wuerde", sprach dieser, "so moechte ich Euch doch raten, nach Lichtenstein aufzubrechen, wenn Ihr anders ein warmes Fruehstueck haben wollt. In meiner Hoehle kann ich Euch leider keines bereiten lassen, denn wir machen niemals Feuer an, weil der Rauch uns gar zu leicht verraten koennte." Georg stimmte seinen Gruenden bei und dankte ihm fuer seine Beherbergung. "Wahrlich", sagte er, "ich habe selten eine froehlichere Nacht beim Becher verlebt als in dieser Hoehle. Es hat etwas Reizendes, so tief unter den Fuessen der Menschen zu atmen und mit Freunden sich zu besprechen Ich gebe nicht den herrlichsten Saal des schoensten Schlosses um diese Felsenwaende!" "Ja, unter Freunden, wenn der Becher munter kreist", entgegnete der Bewohner der Hoehle, "aber unfreiwillig hier zu sitzen, tagelang einsam in diesen Kellern ueber sein Unglueck zu brueten, wenn das Herz sich hinaussehnt in den gruenen Wald, unter den blauen Himmel, wenn das Auge, muede dieser unterirdischen Pracht, hineintauchen moechte in die reizende Landschaft, hinueberschweifen moechte ueber lachende Taeler zu den fernen Bergen der Heimat; wenn das Ohr, betaeubt von dem eintoenigen Gemurmel dieser Wasser, die Tropfen um Tropfen von den Waenden rieseln und gesammelt in bodenlose Tiefen hinabstuerzen, sich hinaussehnt, den Gesang der Lerche zu hoeren, zu lauschen, wie das Wild in den Bueschen rauscht!" "Armer Mann! Es ist wahr, eine solche Einsamkeit muss schrecklich sein!" "Und dennoch", fuhr jener fort und richtete sich hoeher auf, indem ein stolzer Trotz aus seinen Augen blitzte, "und dennoch preise ich mich gluecklich, mit Hilfe guter Leute diese Zuflucht gefunden zu haben. Ja, ich wollte lieber noch hundert Faden tiefer hinabsteigen, wo die Brust keine Luft mehr zu atmen findet, als in die Haende meiner Feinde zu fallen und ihr Gespoett werden; und wenn sie dahin mir nachkaemen, die blutgierigen Hunde des Bundes, so wollte ich mich mit meinen Naegeln weiter hineinscharren in die haertesten Felsen, ich wollte hinabsteigen, tiefer und immer tiefer, bis zum Mittelpunkt der Erde. Und kaemen sie auch dorthin, so wollte ich die Heiligen laestern, die mich verlassen haben, und wollte den Teufel rufen, dass er die Pforten der Finsternis aufreisse und mich berge gegen die Verfolgung dieses uebermuetigen Gesindels." Der Mann war in diesem Augenblick so furchtbar, dass Georg unwillkuerlich vor ihm zurueckbebte. Seine Gestalt schien groesser, alle seine Muskeln waren angespannt, seine Wangen gluehten, seine Augen schossen Blitze, als suchten sie einen Feind, den sie vernichten sollten, seine Stimme droehnte hohl und stark, und das Echo der Felsen sprach ihm in schrecklichen Toenen seine Verwuenschungen nach. Obgleich diese Gradation dem Juengling zu stark vorkommen mochte, so konnte er doch die Gefuehle eines Mannes nicht tadeln, den man, weil er seinem Herrn treu geblieben war, aus seinen Besitzungen hinausgeworfen hatte, den man wie ein angeschossenes Wild suchte, um ihn zu toeten. "Es liegt ein Trost in dieser Besinnung", sagte er zu dem Geaechteten, "und Ihr werdet Euer Unglueck leichter tragen, wenn Ihr den Gegensatz recht scharf ins Auge fasst. Ich bewundere Euch um Eure Seelenstaerke, Herr Ritter; aber eben dieses Gefuehl der Bewunderung noetigt mir eine Frage ab, die vielleicht noch immer zu unbescheiden klingt, doch Ihr habt mich in der letzten Nacht zu oft Freund genannt, als dass ich sie nicht wagen duerfte; nicht wahr, Ihr seid Marx Stumpf von Schweinsberg?" Es musste etwas Laecherliches in dieser Fragen liegen, das Georg nicht finden konnte, denn der Ernst, der noch immer auf den Zuegen des Ritters gelegen, war wie weggeblasen; er lachte zuerst leise vor sich hin, dann aber brach er in lautes Gelaechter aus, in welches, wie auf ein gegebenes Zeichen, auch der Spielmann einstimmte. Georg sah bald den einen, bald den andern fragend an, aber seine verlegenen Blicke schienen nur die Lachlust der beiden Maenner noch mehr zu reizen. Endlich fasste sich der Geachtete, "Verzeiht, werter Gast, dass ich das Gastrecht so groeblich verletzte und mir nicht lieber die Zunge abgebissen habe, ehe ich etwas von Euch laecherlich fand; aber wie kommt Ihr nur auf den Marx Stumpf? Kennt Ihr ihn denn?" "Nein, aber ich weiss, dass er ein tapferer Ritter ist, dass er wegen des Herzogs vertrieben wurde und dass die Buendischen auf ihn lauern, und passt dieses nicht alles ganz gut auf Euch?" Danke Euch, dass Ihr mich fuer so tapfer haltet, aber das moechte ich Euch doch raten, dass Ihr dem Stumpf nicht bei Nacht in den Weg kommt wie mir, denn dieser haette Euch ohne weiteres zu Kochstuecken zusammengehauen. Der Schweinsberg ist ein kleiner dicker Kerl, einen Kopf kleiner als ich, und darum kam mir unwiderstehlich das Lachen. Uebrigens ist er ein ehrenwerter Mann, und einer von den wenigen, die ihren Herrn im Unglueck nicht verliessen." "So seid Ihr nicht dieser Schweinsberg?" entgegnete Georg traurig "und ich muss gehen, ohne zu wissen, wer mein Freund ist?" "Junger Mann!" sagte der Geaechtete mit Hoheit, die nur durch den gewinnenden Ausdruck der Freundlichkeit gemildert wurde. "Ihr habt einen Freund gefunden durch Euer tapfereres, ehrenvolles Wesen, durch Euren offenen, freien Blick, durch Eure warme Teilnahme an dem ungluecklichen Herzog. Es sei Euch genug, diesen Freund gewonnen zu haben, fragt nicht weiter, ein Wort koennte vielleicht dieses trauliche Verhaeltnis zerstoeren, das mir so angenehm ist. Lebt wohl, denkt an den geaechteten Mann ohne Namen, und seid versichert, ehe zwei Tage vorbeigehen, sollt Ihr von mir und meinem Namen hoeren." Es wollte Georg duenken, als stehe dieser Mann, trotz seines unscheinbaren Kleides, vor ihm wie ein Fuerst, der seinen Diener huldreich entlaesst, so gross war jene unbeschreibliche Hoheit, die ihm auf der Stirn thronte, so erhaben der Glanz, der aus seinem Auge drang. Der Pfeifer hatte unter diesen Worten die Fackeln angezuendet und stand wartend am Eingang der Grotte; der geaechtete Ritter drueckte einen Kuss auf die Lippen des Juenglings und winkte ihm zu gehen. Er ging und wusste nicht, wie ihm geschah, noch nie war ihm ein Mensch so freundlich nahe, und doch zugleich so unendlich hoch ueber ihm gestanden, noch nie hatte er gefuehlt, wie in jenen Augenblicken, dass ein Mann, entkleidet von jenem irdischen Glanz, der das Leben schmueckt, selbst in aermlicher Huelle und Umgebung eine Erhabenheit und Groesse von sich strahlen koenne, die das Auge blendet, und das Gefuehl des eigenen Ichs so ploetzlich ueberrascht und hinabdrueckt. Ein heller, freundlicher Tag empfing sie, als sie aus der Nacht der Hoehle zum Licht herausstiegen. Georg atmete freier und leichter in der kuehlen Morgenluft, denn der feuchte Dunst, der in den Gaengen und Grotten der Hoehle umzieht und wovon sie vielleicht den Namen Nebelhoehle traegt, lagert sich beengend auf die Brust. Sie fanden das Pferd des jungen Ritters noch an derselben Stelle angebunden, munter und frisch wie sonst, und selbst die Waffenstuecke, die am Sattel befestigt waren, hatten durch den Nachttau nicht Schaden gelitten, wie Georg befuerchtet hatte, denn der Pfeifer von Hardt hatte ein grobes Tuch, das ihm beim Unwetter gegen Regen und Kaelte dienen mochte, ueber den Ruecken des Pferdes ausgebreitet. Georg machte seine Kleidung und das Zeug des Rosses zurecht, waehrend der Bauer diesem einige Haendevoll Heu zum Morgenbrot reichte, und dann ging es weiter den Berg hinan Sie waren erst wenige Schritte vorgerueckt, als der Klang einer Glocke aus dem Tal herauftoente und die feierliche Stille des Morgens unterbrach; eine andere antwortete, drei bis vier stimmten ein, bis die melodischen Toene von wenigstens zwoelf Glocken von den Hoehen umher und aus den Taelern aufstiegen. Ueberrascht hielt der junge Mann sein Pferd an. "Was ist das?" rief er. "Brennt es irgendwo, oder wie, sollten wir heute ein Fest im Kalender haben? Weiss Gott, ich bin durch meine Krankheit so aus aller Zeit heraus gekommen, dass ich den Sonntag nur daran erkenne, dass die Maedchen neue Roecke und frische Schuerzen anhaben." "Es ist wohl schon manchem Kriegsmann so gegangen", antwortete Hans der Spielmann, "ich selbst habe mich oft erst auf die Zeit besinnen muessen, wenn ich wichtigere Dinge im Kopf hatte, als Mess' und Predigt; aber heute ist es ein anderes Ding", setzte er ernster hinzu und schlug ein Kreuz, "heut ist Karfreitag. Gelobt sei Jesus Christus!" "In Ewigkeit!" erwiderte der Juengling. "Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich den Tag nicht wuerdig begehe, wie ich soll, und dieser Tag erinnert mich an manche schoene Stunde meiner Kindheit. Damals lebte noch mein Vater; ich hatte eine sanfte, gute Mutter und ein ganz kleines Schwesterlein. Wir beide freuten uns immer, wenn der Karfreitag kam; wir wussten nichts von der Bedeutung des Tages, aber wir rechneten dann, dass es nur noch zwei Tage bis Ostern sei, wo uns die Mutter schoene Sachen bescherte. Requiescant in pace!" setzte er ernster hinzu, indem er seitwaerts blickte, um eine Traene zu verbergen. "Sie sind drueben alle drei und feiern dort ihren heiligen Freitag." "Man sollte nicht von so unheiligen Dingen sprechen", sagte der Pfeifer nach einigem Stillschweigen, "aber mein Beichtiger mag es mir schon vergeben. Ich denke, Ihr solltet nicht traurig sein, Junker! Denen, die schlafen, ist es wohl, und die, die wachen, sollen vorwaerts und nicht rueckwaerts sehen. So wuerde ich an Eurer Stelle daran denken, wie Ihr einst auch Euren Kindlein das Ostern bescheren koennt und wie sie sich freuen werden am Karfreitag. Seid Ihr nicht auf der Brautfahrt, und wird ein gewisses Fraeulein nicht auch eine gute, sanfte Mutter werden." Georg suchte umsonst ein Laecheln zu unterdruecken, das dieser sonderbare Trostspruch hervorgelockt hatte. "Hoere, guter Freund", entgegnete er, "Dir ist zur Not ein solches Wort erlaubt; doch moechte ich keinem andern raten, meine Ohren durch solche suendige Gedanken zu entweihen." "Nichts fuer ungut, Herr! Ich wollte weder Euch noch das Fraeulein damit beleidigen; soll auch nicht mehr geschehen. Aber seht Ihr nicht dort schon den Turm aus den Wipfeln ragen? Noch eine kleine Viertelstunde, und wir sind oben." "So viel ich gestern in der Nacht bemerken konnte, ist das Schloss auf einen einzelnen, jaehen Felsen hinausgestellt? Bei Gott, ein kuehner Gedanke, da konnte wohl niemand hinueberkommen, wer nicht mit den Geiern im Bund war und fliegen gelernt hatte; freilich jetzt koennte man mit Stueckschuessen sehr zusetzen." "Meint Ihr? Nun, es stehen auch vier gute Doppelhaken in der Halle, die auch ein Woertchen antworten wuerden. Wenn Ihr recht gesehen habt, so muesst Ihr bemerkt haben, dass der Felsen ringsum durch ein breites Tal von den Bergen umher gesondert ist, dorther koennte man nicht viel Schaden tun; die einzige Seite, die naeher am Berg liegt, ist die, wo die Zugbruecke heruebergeht. Pflanzt einmal dort Geschuetz auf und seht zu, ob es Euch der Lichtensteiner nicht in den Grund schiesst, ehe Ihr nur ein Fenster aufs Korn genommen habt. Und wie wollt Ihr Geschuetz herauf-fuehren in diesen Schluchten und Bergen, ohne dass Euch wenige entschlossene Maenner mehr Schaden tun, als das ganze Nest wert ist?" "Da habt Ihr recht", antwortete Georg "ich moechte wissen, wer den Gedanken gehabt hat, auf den Felsen ein Schloss zu bauen." "Das will ich Euch sagen", erwiderte der Spielmann, der mit allen Sagen seines Landes vertraut war, "es lebte einmal vor vielen Jahren eine Frau, die musste viel Verfolgung dulden und wusste sich nicht mehr zu raten. Da kam sie an diesen Felsen und sah, wie ein grosser Geier mit seiner Familie und allem Haushalt dort lebte und gegen alle Nachstellung sicher war. Da beschloss sie, den Geier zu verdraengen. Sie liess das Schloss dorthin bauen, und als alles fertig war, liess sie die Bruecke aufziehen, stieg auf die Zinne ihres Turmes und sprach: "Nun bin ich Gottes Freund und aller Welt Feind." Und es konnte ihr keiner mehr etwas anhaben. Aber seht, da sind wir schon. Lebt wohl, vielleicht dass ich Euch schon heute nacht wiedersehe. Ich steige jetzt ins Land hinab und bringe dann dem Herrn in der Hoehle Kundschaft, wie es dort unten aussieht. Vergesst nicht, an der Bruecke Brief und Ring dem Herrn des Schlosses zu senden, und huetet Euch, das Siegel selbst zu brechen." "Sei ohne Sorgen! Ich danke Dir fuer Dein Geleit, und gruesse meinen werten Gastfreund in der Hoehle." Georg sprach es, trieb sein Pferd an, und in wenigen Augenblicken war er vor der aeusseren Verschanzung von Lichtenstein angelangt. Ein Knecht, der das Tor bewachte, fragte nach seinem Begehr und rief einen andern herbei, ihrem Herrn das Brieflein und den Ring zu uebergeben. Georg hatte indes Zeit genug, das Schloss und seine Umgebungen zu betrachten. War ihm schon in der Nacht, beim ungewissen Schein des Mondes und in einer Gemuetsstimmung, die ihn nicht zum aufmerksamsten Beobachter machte, die kuehne Bauart dieser Burg aufgefallen, so staunte er jetzt noch mehr, als er sie vom hellen Tag beleuchtet anschaute. Wie ein kolassaler Muensterturm steigt aus einem tiefen Alptal ein schoener Felsen, frei und kuehn, empor. Weit ab liegt alles feste Land, als haette ihn ein Blitz von der Erde weggespalten, ein Erdbeben ihn losgetrennt oder eine Wasserflut vor uralten Zeiten das weichere Erdreich ringsum von seinen festen Steinmassen abgespuelt. Selbst an der Seite von Suedwest, wo er dem uebrigen Gebirge sich naehert, klafft eine tiefe Spalte, hinlaenglich weit, um auch den kuehnsten Sprung einer Gemse unmoeglich zu machen, doch nicht so breit, dass nicht die erfinderische Kunst des Menschen durch eine Bruecke die getrennten Teile vereinigen konnte. Wie das Nest eines Vogels, auf den hoechsten Wipfel einer Eiche oder auf die kuehnsten Zinnen eines Turmes gebaut, hing das Schloesschen auf dem Felsen. Es konnte oben keinen sehr grossen Raum haben, denn ausser einem Turm sah man nur eine befestigte Wohnung, aber die vielen Schiessscharten im untern Teil des Gebaeudes und mehrere weite Oeffnungen, aus denen die Muendungen von schwerem Geschuetz hervorragten, zeigten, dass es wohl verwahrt und trotz seines kleinen Raumes eine nicht zu verachtende Feste sei; und wenn ihm die vielen hellen Fenster des obern Stockes ein freies, luftiges Ansehen verliehen, so zeigten doch die ungeheuern Grundmauern und Strebepfeiler, die mit dem Festen verwachsen schienen und durch Zeit und Ungewitter beinahe dieselbe braungelbe Farbe wie die Steinmasse, worauf sie ruhten, angenommen hatten, dass es auf festem Grund wurzelte, und weder vor der Gewalt der Elemente noch dem Sturm der Menschen erzittern werde. Eine schoene Aussicht bot sich schon hier dem ueberraschten Auge dar, und eine noch herrlichere, freiere liess die hohe Zinne des Wartturms und die lange Fensterreihe des Hauses ahnen. Diese Bemerkungen draengten sich Georg auf, als er wartend an der aeussern Pforte stand, die wohlverschanzt herwaerts ueber der Kluft auf dem Land den Zugang zu der Bruecke deckte. Jetzt toenten Schritte ueber die Bruecke, das Tor tat sich auf, und der Herr des Schlosses erschien selbst, seinen Gast zu empfangen. Es war jener ernste, aeltliche Mann, den Georg in Ulm mehrere Male gesehen, dessen Bild er nicht vergessen hatte; denn die duesteren feurigen Augen, die bleichen, aber edlen Zuege, seine grosse Aehnlichkeit mit der Geliebten, hatten sich tief in die Seele des Juenglings gepraegt. "Ihr seid willkommen in Lichtenstein!" sagte der alte Herr, indem er seinem Gast die Hand bot und eine guetige Freundlichkeit den gewoehnlichen strengen Ernst seiner Zuege milderte. "Was steht Ihr muessig da Ihr Schlingel!" wandte er sich nach dieser ersten Begruessung zu seinen Dienern "Soll etwa der Junker sein Ross mit hinauffuehren in die Stube? Schnell, hinein mit in den Stall; das Ruestzeug tragt auf die Kammer am Saal!--Verzeiht, werter Herr, dass man Euch solange unbedient stehen liess, aber in diese Burschen ist kein Verstand zu bringen. Wollt Ihr mir folgen?" Er ging voran ueber die Zugbruecke, Georg folgte. Sein Herz pochte bei diesem Gang voll Erwartung, voll Sehnsucht, seine Wangen roeteten sich vor Liebe und vor Scham, wenn er an die letzte Nacht und an die Gefuehle zurueckdachte, die ihn zuerst vor diese Burg gefuehrt hatten. Sein Auge suchte an den Fenstern umher, ob er nicht die Geliebte erspaehe, sein Ohr schaerfte, vielleicht ihre Stimme zu vernehmen, wenn auch ihr Anblick ihm jetzt noch verborgen war. Aber umsonst suchten seine Blicke diese Mauern zu durchbohren, umsonst fing sein scharfes Ohr jeden Laut begierig auf, noch schien sie sich nicht zeigen zu wollen. Sie gelangten jetzt an das innere Tor. Es war nach alter Art tief, stark gebaut, und mit Fallgattern, Oeffnungen fuer siedend Oel und Wasser, und allen jenen sinnreichen Verteidigungsmitteln versehen, womit man in den guten alten Zeiten den stuermenden Feind, wenn er sich der Bruecke bemeistert haben sollte, abhiellt. Doch die ungeheuren Mauern und Befestigungen, die sich von dem Tor an rings um das Haus zogen, verdankte Lichtenstein nicht der Kunst allein, sondern auch der Natur; denn ganze Felsen waren in die Mauerlinie gezogen, und selbst der schoene, geraeumige Pferdestall und die kuehlen Kammern, die statt des Kellers dienten, waren in den Felsen eingehauen. Ein bequemer, gewundener Schneckengang fuehrte in die oberen Teile des Hauses, und auch dort waren kriegerische Verteidigungen nicht vergessen, denn auf dem Vorplatz, der zu den Zimmern fuehrte, wo in andern Wohnungen haeusliche Geraetschaften aufgestellt sind, waren hier furchtbare Doppelhaken und Kisten mit Stueckkugeln aufgepflanzt. Das Auge des alten Ritters ruhte mit einem gewissen Ausdruck von Stolz auf diesem sonderbaren Hausrat, und in der Tat konnten diese Geschuetze damals fuer ein Zeichen von Wohlhabenheit und selbst Reichtum gelten, denn nicht jeder Privatmann war imstande, seine Burg mit vier oder sechs solchen Stuecken zu versehen. Von hier ging es noch einmal aufwaerts in den zweiten Stock, wo ein ueberaus schoener Saal, ringsum mit hellen Fenstern, den Ritter von Lichtenstein und seinen Gast aufnahm. Der Hausherr gab einem Diener, der ihnen gefolgt war, mehr durch Zeichen als Worte einige Befehle, die ihn aus dem Saal entfernten. Kapitel 22 Als die beiden Maenner in dem weiten Saal von Lichtenstein allein waren, trat der Alte dicht vor Georg hin und schaute ihn an, als messe er pruefend seine Zuege. Ein Strahl von Begeisterung und Freude drang aus seinen Augen, und die Melancholie seiner Stirn war verschwunden, er war heiter, froehlich sogar, wie der Vater, der einen Sohn empfaengt, der von langen Reisen zurueckkehrt. Endlich stahl sich eine Traene aus seinem glaenzenden Auge, aber es war eine Traene der Freude, denn er zog den ueberraschten Juengling an sein Herz. "Ich pflege nicht weich zu sein", sprach er nach dieser feierlichen Umarmung zu Georg, "aber solche Augenblicke ueberwinden die Natur, denn sie sind selten. Darf ich denn wirklich meinen alten Augen trauen? Truegen die Zuege dieses Briefes nicht? Ist dieses Siegel echt und darf ich ihm glauben? Doch--was zweifle ich! Hat nicht die Natur Euch ihr Siegel auf die freie Stirn gedrueckt? Sind die Zuege nicht echt, die sie auf den offenen Brief Eures Gesichtes geschrieben? Nein, Ihr koennt nicht taeuschen--die Sache meines ungluecklichen Herrn hat einen Freund gefunden?" "Wenn Ihr die Sache des vertriebenen Herzogs meint, so habt Ihr recht gesehen, sie hat einen warmen Anhaenger gefunden. Der Ruf bezeichnete mir laengst den Herrn von Lichtenstein als einen treuen Freund des Herzogs, und ich waere vielleicht auch ohne den Rat jenes ungluecklichen Mannes, der mich zu Euch schickte, gekommen, Euch zu besuchen." "Setzt Euch zu mir, junger Freund", sagte der Alte, dessen Augen immer noch mit Liebe auf dem Juengling zu ruhen schienen, "setzt Euch hier und hoert, was ich sage. Ich liebe es sonst nicht, wenn die Leute ihre Farbe aendern, ich habe in meinem langen Leben gelernt, dass man die Ueberzeugung eines jeden ehren muesse, und dass ein Mann, wenn er nur sonst reine Absichten hat, nicht gerade deswegen zu verdammen sei, weil er anderer Meinung ist als wir. Aber wenn man seine Farbe mit so uneigennuetzigen Absichten aendert wie Ihr, Georg von Sturmfeder, wenn man dem Glueck den Ruecken kehrt, um sich an das Unglueck anzuschliessen, da hat die Aenderung grossen Wert, denn sie traegt das Gepraege einer edlen Tat an der Stirn." Georg erroetete ueber sich selbst, als er hoerte, wie der Lichtensteiner seine uneigennuetzigen Absichten pries. War es denn nicht auch die schoene Tochter, die ihn zu der Fahne des Vaters fuehrte? Und musste er nicht in der Achtung dieses Mannes sinken, wenn ueber kurz oder lang dieses Motiv seines Uebertrittes ans Licht kam? "Ihr seid zu guetig", antwortete er, "die Absichten eines Menschen liegen oft tiefer verborgen, als man auf den ersten Anblick glaubt; seid versichert, dass mein Uebertritt zu Eurer Sache zwar zum Teil von dem empoerten Gefuehl des Rechtes geleitet wurde; doch koennte es auch einen irdischeren Beweggrund geben, Herr Ritter, und ich moechte nicht, dass Ihr mich fuer zu gut hieltet, es wuerde mir um so weher tun, wenn Ihr nachher unguenstiger von mir urteiltet." "Ich liebe Euch um dieser Offenheit willen nur noch mehr," entgegnete der Herr des Schlosses und drueckte seinem Gast die Hand. "Doch traue ich meiner Erfahrung und meiner Kenntnis der Gesichter, und von Euch will ich kuehn behaupten, dass, wenn Euch auch noch eine andere Absicht leitet, als das Gefuehl des Rechtes, diese Absicht doch keine schlechte sein kann. Wer Schlechtes im Schilde fuehrt, ist feig, und wer feig ist, wagt es nicht, den Truchsess, den Herzog von Bayern und den schwaebischen Bund vor den Kopf zu stossen und so aufzutreten, wie ihr aufgetreten seid." "Was wisst Ihr von mir?" rief Georg mit freudigem Erstaunen. "Habt Ihr denn je von mir gehoert vor diesem Augenblick?" Der Diener, welcher bei diesen Worten die Tuere oeffnete, unterbrach die Antwort des alten Herrn; er setzte Wildpret und volle Becher vor Georg hin und schickte sich an, den Gast zu bedienen. Doch ein Wink seines Herrn entfernte ihn aufs neue. "Verschmaeht diesen Morgenimbiss nicht", sagte er zu dem jungen Mann, "den ersten Becher sollte zwar die Hausfrau kredenzen, wie es die angenehme Sitte heischt; aber die meinige ist schon lange tot, und meine einzige Tochter, Marie, die an ihrer Stelle das Hauswesen versieht, ist ins Dorf hinabgegangen, um am hohen Fest eine Predigt zu hoeren und die Messe. Nun, Ihr fragt mich, ob ich noch nie von Euch gehoert hatte? Ihr seid ja jetzt unser, daher darf ich Euch wohl sagen, was man sonst verschweigt. Ich war zur Zeit, als Ihr in Ulm einruecktet, in jener Stadt, um meine Tochter abzuholen, die sich dort aufhielt, hauptsaechlich aber, um manches zu erfahren, was fuer den Herzog zu wissen wichtig war; Gold oeffnet alle Pforten", setzte er laechelnd hinzu, "auch die des hohen Rates, und so hoerte ich taeglich, was die Bundesobersten beschlossen. Als der Krieg erklaert wurde, war ich genoetigt, abzureisen, ich hielt aber treue Maenner in jener Stadt, die mir auch das Geheimste berichteten, was vorging." "War nicht einer davon der Pfeifer von Hardt", fragte Georg, "den ich bei dem Geaechteten traf?" "Und der Euch ueber die Alb fuehrte? Jawohl! Diese brachten immer Kundschaft. So erfuhr ich denn auch, dass man beschloss, einen Spaeher hinter den Ruecken des Herzogs zu schicken, etwa in die Gegend von Tuebingen, um dem Bund sogleich Nachricht von unseren Schritten zu erteilen. Ich erfuhr auch, dass die Wahl auf Euch gefallen sei. Nun muss ich Euch redlich gestehen, Ihr und Euer Name war mir ziemlich gleichgueltig, nur bedauerte ich Euch, als ich hoerte, dass Ihr noch solch ein junges Blut waeret, denn sobald Ihr ueber die Alb kaemet als Kundschafter, waeret Ihr ohne Gnade und Barmherzigkeit totgeschlagen oder unter die Erde gesetzt worden, wo keine Sonne und kein Mond hinscheint. Um so ueberraschender war mir und vielen Maennern die Nachricht, wie Ihr es ausgeschlagen und wie tapfer Ihr vor jenen Herren gesprochen. Auch dass Ihr absagtet und auf vierzehn Tage Urfehde schwoeren musstet, erfuhr ich Und wie freut es mich, dass Ihr nun gar unser Freund geworden seid!" Die Wangen des jungen Mannes gluehten, sein Auge strahlte vor Freude; brach ja doch dieser Augenblick alle Schranken, welche die Verhaeltnisse zwischen ihm und Marie gezogen hatten. Sein langer Wunsch, dessen Erfuellung oft so weit in die Ferne hinausgerueckt schien, war in Erfuellung gegangen; er hatte unbewusst Mariens Vater fuer sich gewonnen "Ja, ich habe ihnen abgesagt", antwortete Georg, "weil ich ihr Wesen nicht mehr leiden mochte; ich bin Euer Freund geworden; doch waere es moeglich, ich haette mich nicht so bald zu Eurer Sache bekannt; aber als ich unten in der Hoehle neben jenem geaechteten Mann sass, als ich bedachte, wie man mit den Edlen und selbst mit dem Herrn des Landes umgehe, wie seine gewaltigen Reden so maechtig an meiner Brust anklopften, da war es mir auf einmal hell und klar, hierher muesse ich stehen, hier muesse ich streiten. Und glaubt Ihr, es werde bald etwas zu tun geben? Denn ich bin nicht zu Euch heruebergeritten, um die Haende in den Schoss zu legen!" "Das konnte ich mir denken", sagte der Ritter laechelnd, "vor vierzig Jahren hatte ich auch so rasches Blut, und es liess mich nicht lange auf einem Fleck. Wie die Sachen stehen, wisst Ihr; man kann sagen, eher schlimm als gut. Sie haben das Unterland, sie haben den ganzen Strich von Urach herauf. Auf eines kommt alles an, haelt Tuebingen fest, so siegen wir." "Die Ehre von vierzig Rittern birgt dafuer", rief Georg mit Unmut, "das Schloss ist stark, ich habe kein staerkeres gesehen, Besatzung ist hinlaenglich da, und vierzig Maenner von Adel werden sich so leicht nicht ergeben. Es kann nicht sein, es darf nicht sein. Haben sie nicht des Herzogs Kinder bei sich und den Schatz des Hauses? Sie muessen sich halten." "Wohl, wenn sie alle daechten wie Ihr. Es kommt gar viel auf Tuebingen an. Wenn der Herzog Entsatz bringen kann, so hat er an Tuebingen einen festen Punkt, von wo aus er sein Land wieder erobern kann; es sind grosse Kriegsvorraete, es ist ein grosser Teil des Adels dort; solange sie zu seiner Partie halten, ist Wuerttemberg nur dem Boden nach gewonnen, dem Geist nach ist es noch des Herzogs; aber ich fuerchte, ich fuerchte!" "Wie? Unmoeglich koennen sich die Vierzig ergeben!" "Ihr habt noch wenig erfahren in der Welt", erwiderte der Alte, "Ihr wisst nicht, welche Lockungen und Schlingen manchen ehrlichen Mann straucheln machen koennen. Und es ist mancher in der Burg, dem der Herzog zuviel getraut hat. Er merkt auch wohl, dass es nicht ganz lauter und rein hergeht, denn er schickte den Ritter Marx Stumpf von Schweinsberg an sie mit einem bewegten Schreiben, das Schloss nicht zu uebergeben, sondern ihm Gelegenheit zu machen, in dasselbe zu kommen, weil er dort zu sterben bereit sei, wenn es Gott ueber ihn verhaenge." "Der arme Herr!" rief Georg bewegt. "Aber ich kann nicht glauben, dass der Landesadel so schaendlich freveln koennte; sie werden ihn einlassen in die Burg, er wird ihren Mut aufs neue beseelen, er wird Ausfaelle machen, er wird sie schlagen, die Belagerer, trotz Bayern und Frondsberg, wir werden uns an ihn anschliessen, wir werden fechtend durch das Land ziehen und diese Buendler verjagen." "Marx Stumpf ist noch nicht zurueck", sagte der Ritter von Lichtenstein mit besorgter Miene, "auch haben sie seit gestern das Schiessen eingestellt. Sonst hoerte man jeden Stueckschuss hier auf dem Lichtenstein, aber seit gestern ist es still wie im Grab." "Vielleicht schweigt das Geschuetz wegen des Festes; gebt acht, sie werden morgen oder am Ostermontag wieder donnern lassen, dass es durch Eure Felsen hallt." "Was da!" entgegnete jener. "Wegen des Festes? Seinem Herzog treu zu dienen, ist auch ein frommer Dienst, und es waere den Heiligen im Himmel vielleicht lieber, sie hoerten den Donner der Feldschlangen von Tuebingens Waellen, als dass sie die Ritter muessig saehen. Muessiggang ist aller Laster Anfang! Aber wenn nur der Stumpf in das Schloss kommt, der wird sie aufruetteln aus ihrem Schlummer." "Der Herzog hat den Ritter von Schweinsberg nach Tuebingen geschickt, sagt Ihr? Der Herzog will ins Schloss, weil die Besatzung seit einigen Tagen zu wanken scheint? Da kann also Ulrich nicht bis Moempelgard entflohen sein, wie die Leute sagen. Da ist er vielleicht in der Naehe? Oh dass ich ihn sehen koennte, dass ich mich mit ihm nach Tuebingen schleichen koennte!" Ein sonderbares Laecheln zog fluechtig ueber die ernsten Zuege des Alten. "Ihr werdet ihn sehen, wenn es Zeit ist", sagte er, "Ihr werdet ihm angenehm sein, denn er liebt Euch schon jetzt. Und ist das Glueck gut, so sollt Ihr auch mit ihm nach Tuebingen kommen, Ihr habt mein Wort drauf.--Doch jetzt muss ich Euch bitten, Euch ein Stuendchen allein zu gedulden Mich ruft ein Geschaeft, das aber bald abgetan sein wird. Nehmt Euch meinen Wein zum Gesellschafter, schaut Euch um in meinem Haus, ich wuerde Euch einladen, auf die Jagd auszureiten, wenn ein solches Vergnuegen zum Karfreitag passte." Der alte Herr drueckte seinem Gast noch einmal die Hand und verliess das Zimmer. Bald nachher sah ihn Georg aus dem Schloss dem Wald zureiten. Als sich der junge Mann allein gelassen sah, fing er an, seinen Anzug ein wenig zu besorgen, der durch den Ritt in der Nacht, durch seinen Aufenthalt in der Hoehle etwas ausser Ordnung gekommen war. Er erging sich dann in dem grossen Zimmer und suchte unter den vielen Fenstern eines auf, von welchem er auf den Felsenweg hinabschauen konnte, den Marie von der Kirche im Tal heraufkommen musste. Es waren froehliche Gedanken, die sich in bunter Menge an seiner Seele vorueberdraengten, schnell und fluechtig wie ein Zug heller Woelkchen, die am blauen Gewoelbe des Himmels dahingleiten. Dies war die Burg, die er seit mehr als einem Jahr im Wachen getraeumt, in Traeumen klar gesehen hatte. Dies die Berge, die Felsen, von denen sie ihm so oft erzaehlte, dies die Gemaecher ihrer Kindheit! Es hat etwas Anziehendes, in den Zimmern zu verweilen, wo die Geliebte gross geworden ist. Es war ihm so heimisch, so wohl in diesem Hause, es war ihr Geist, der hier waltete, der ihn umschwebte, den er, ob sie auch fern war, freundlich begruesste. Dieses Gaertchen, auf einem schmalen Raum am Felsen, hatte sie besorgt und gepflegt, diese Blumen, die in einem Topf auf dem Tisch standen, hatte sie vielleicht heute schon gepflueckt. Er ging hin, die Zeichen ihres freundlichen Sinnes zu begruessen. Er beugte sich herab ueber die Blumen, er fuehrte die duftenden Veilchen zum Mund. In diesem Augenblick glaubte er ein Geraeusch vor der Tuer zu vernehmen. Er sah sich um--sie war es, es war Marie, die staunend und regungslos, als traue sie ihren Augen nicht, an der Tuer stand. Er flog zu ihr hin, er zog sie in seine Arme, und seine Lippen erst schienen sie zu ueberzeugen, dass es nicht der Geist des Geliebten sei, der ihr hier erscheine. Wieviel hatten sie sich zu fragen, bei weitem mehr, als sie nur antworten konnten! Es gab Augenblicke, wo sie, wie aus einem Traum erwacht, sich ansahen, sich ueberzeugen mussten, ob sie denn wirklich sich wieder haetten. "Wieviel habe ich um Dich gelitten", sagte Marie, und ihre Wangen straften sie nicht Luegen, "wie schwer wurde mir das Herz, als ich aus Ulm scheiden musste. Zwar hattest Du mir gelobt, vom Bund abzulassen, aber hatte ich denn Hoffnung, Dich so bald wiederzusehen?--Und dann, wie mir Hans die Nachricht brachte, dass Du mit ihm nach Lichtenstein kommen wolltest, aber ueberfallen, verwundet worden seiest. Das Herz wollte mir bald brechen, und doch konnte ich nicht zu Dir, konnte Dich nicht pflegen!" Wie beschaemt war Georg, wenn er an seine toerichte Eifersucht zurueckdachte, wie fuehlte er sich so klein und schwach Mariens zarter Liebe gegenueber. Er suchte sein Erroeten zu verbergen, er erzaehlte, oft unterbrochen von ihren Fragen, wie sich alles so gefuegt habe, wie er dem Bund abgesagt, wie er ueberfallen worden, wie er der Pflege der Pfeifersfrau sich entzogen habe, um nach Lichtenstein zu reisen. Georg war zu ehrlich, als dass ihn Mariens Fragen nicht hin und wieder in Verlegenheit gesetzt haetten. Besonders als sie mit Verwunderung fragte, warum er denn so tief in der Nacht erst nach Lichtenstein aufgebrochen sei, wusste er sich nicht zu raten. Die schoenen, klaren Augen der Geliebten ruhten so fragend, so durchdringend auf ihm, dass er um keinen Preis eine Unwahrheit zu sagen vermocht haette. "Ich will es nur gestehen", sagte er mit niedergeschlagenen Augen, "die Wirtin in Pfullingen hat mich betoert. Sie sagte mir etwas von Dir, was ich nicht mit Gleichmut hoeren konnte." "Die Wirtin? Von mir?" rief Mane laechelnd. "Nun, was war denn dies, dass es Dich noch in der Nacht die Berge herauftrieb?" "Lass es doch! Ich weiss ja, dass ich ein Tor war. Der geaechtete Ritter hat mich schon laengst ueberzeugt, dass ich voellig unrecht hatte." "Nein, nein", entgegnete sie bittend, "so entgehst Du mir nicht. Was wusste die Schwaetzerin wieder von mir? Gestehe nur gleich--" "Nun, lache mich nur recht aus. Sie erzaehlte, Du habest einen Liebsten und lassest ihn, wenn der Vater schlafe, alle Nacht in die Burg." Marie erroetete. Unwille und die Lust, ueber diese Torheit zu lachen, kaempften in ihren schoenen Zuegen. "Nun, ich hoffe", sagte sie, "Du hast ihr darauf geantwortet, wie es sich gehoert, und aus Unmut ueber eine solche Verleumdung ihr Haus verlassen? Dachtest vielleicht, Du koenntest unser Schloss noch erreichen und hier uebernachten?" "Ehrlich gestanden, das dachte ich nicht. Sieh, ich war noch halb krank, ich glaubte ihr auch anfangs gewiss nicht; aber Deine Amme, die alte Frau Rosel, wurde angefuehrt, sie hatte es der Wirtin gesagt, sie hatte mich selbst mit ins Spiel gebracht und bedauert, dass ich um meine Liebe betrogen sei, da--oh sieh nicht weg, Marie, werde mir nicht boese! Ich schwang mich aufs Pferd und ritt vors Schloss herauf, um ein Wort mit dem zu sprechen, der es wage, Marien zu lieben." "Das konntest Du glauben?" rief Marie, und Traenen stuerzten aus ihren Augen "Dass Frau Rosel solche Sachen aussagt, ist unrecht, aber sie ist ein altes Weib, klatscht gerne. Dass die Frau Wirtin solche Sachen nachsagt, nehme ich ihr nicht uebel, denn sie weiss nichts Besseres zu tun. Aber Du, Du, Georg, konntest nur einen Augenblick so arge Luegen glauben, Du wolltest Dich ueber-zeugen dass--" Von neuem stroemten ihre Traenen, und das Gefuehl bitterer Kraenkung erstickte ihre Stimme. Georg zuernte selbst, dass er so toericht hatte sein koennen, aber er fuehlte auch, dass, wenn er ein grosses Unrecht an der Geliebten begangen hatte, es nur die Liebe war, die ihn verleitete. "Verzeihe mir nur diesmal", bat er. "Sieh, wenn ich Dich nicht so liebgehabt haette, ich haette gewiss nicht geglaubt. Aber wenn Du wuesstest, was Eifersucht ist!" "Wer recht liebt, kann gar nicht eifersuechtig sein", sagte Marie unmutig, "Aber schon in Ulm hast Du etwas der Art gesagt, und schon damals hat es mich recht tief betruebt. Aber Du kennst mich gar nicht, wenn Du mich recht gekannt haettest, wenn Du mich geliebt haettest, wie ich Dich, waerest Du nicht auf solche Gedanken gekommen." "Nein! Ungerecht musst du doch nicht werden", rief Georg und fasste ihre Hand, "Wie kannst Du mir vorwerfen, dass ich Dich nicht liebe, wie Du mich? Haette es denn nicht moeglich sein koennen, dass ein Wuerdigerer als ich erschienen, dass der arme Georg durch irgendeinen boesen Zauberer aus Deinem Herzen verdraengt worden waere? Es ist ja doch alles moeglich auf der Erde!" "Moeglich?" unterbrach ihn Marie, und jener Stolz, den Georg oft mit Laecheln an der Tochter des Ritters von Lichtenstein betrachtet hatte, schien sie allein zu beseelen. "Moeglich? Wenn Ihr nur einen Augenblick so Arges von mir fuer moeglich halten konntet, ich wiederhole es, Herr von Sturmfeder! So habt Ihr mich nie geliebt. Ein Mann muss sich nicht wie ein Rohr hin und her bewegen lassen, er muss fest stehen auf seiner Meinung, und wenn er liebt, so muss er auch glauben." "Diesen Vorwurf habe ich von Dir am wenigsten verdient", sagte der junge Mann, indem er unmutig aufsprang, "Wohl bin ich ein Rohr, das vom Wind hin und her bewegt wird, und mancher wird mich darum verachten--" "Es koennte sein", fluesterte sie, doch nicht so leise, dass es sein Ohr nicht erreichte und seinen Unmut zum Zorn anblies. "Auch Du willst mich also darum verachten, und doch bist Du es, was mich hin und her bewegt! Ich habe Dich auf buendischer Seite gesucht, ich war selig, als ich Dich dort fand. Du batest mich, davon abzulassen, ich ging, Ich tat noch mehr. Ich kam zu Euch herueber, es kostete mich beinahe das Leben, und doch liess ich mich nicht abschrecken. Ich ergriff Wuerttembergs Partei; ich kam zu Deinem Vater, er nahm mich wie einen Sohn auf und freute sich, dass ich sein Freund geworden--aber seine Tochter schilt mich ein Rohr, das vom Wind hin und her bewegt wird! Aber noch einmal will ich mich--zum letzten Mal--von Dir bewegen lassen. Ich will fort, weil Du meine Liebe so vergiltst, noch in dieser Stunde will ich fort!" Er guertete unter den letzten Worten sein Schwert um, ergriff sein Barett und wandte sich zur Tuere. "Georg!" rief Marie mit den suessesten Toenen der Liebe, indem sie aufsprang und seine Hand fasste. Ihr Stolz, ihr Zorn, jede Wolke des Unmuts war verschwunden, selbst die Traenen hemmten ihren Lauf, und nur bittende Liebe blickte aus ihrem Auge. "Um Gottes willen, Georg! Ich meinte es nicht so boese. Bleibe bei mir, ich will alles vergessen, ich schaeme mich, dass ich so unwillig werden konnte." Aber der Zorn des jungen Mannes war nicht so schnell zu besaenftigen, er sah weg, um nicht durch ihre Blicke, durch ihr bittendes Laecheln gewonnen zu werden, denn sein Entschluss stand fest, das Schloss zu verlassen "Nein!" rief er, "Du sollst das Rohr nicht mehr zurueckwenden. Aber Deinem Vater kannst du sagen, wie Du seinen Gast aus seinem Haus vertrieben hast." Die runden Fensterscheiben zitterten vor seiner Stimme, sein Auge blickte wild umher, er entriss seine Hand der Geliebten, gefolgt von ihr, schritt er fort, er riss die Tuer auf, um auf ewig zu fliehen, als ihn auf der Schwelle eine Erscheinung fesselte. Kapitel 23 Als Georg die Tuere oeffnete, richtete sich aus einer sehr gebueckten Stellung die hagere, knoecherne Gestalt der Frau Rosel auf. Es war dies eine jener alten Dienerinnen, die, wenn sie von frueher Jugend an in einer Familie bleiben, sich einbuergern, in die Familie verwachsen und gleichsam ein notwendiger Zweig davon werden Sie hatte ihre Nuetzlichkeit besonders nach dem Tod der Frau von Lichtenstein erprobt, wo sie Marie mit grosser Sorgfalt pflegte und aufzog. Sie war so von einer Zofe zur Kindsfrau, von der Kindsfrau zur Haushaelterin, von diesem Posten zu Mariens Oberhofmeisterin und Vertrauten avanciert. Sie hatte aber wie ein kluger Feldherr sich den Ruecken gesichert, sie hatte jene Posten, aus denen sie in die hoeheren Stellen vorgerueckt war, nicht wieder besetzen lassen, sondern verwaltete sie alle zusammen wie sie behauptete, mit grosser Gewissenhaftigkeit, und weil es doch sonst niemand verstehe. Sie hatte durch diesen Kunstgriff und durch ihre lange Dienstzeit die Zuegel der haeuslichen Regierung an sich gebracht, das Gesinde ging und kam nach ihrem Blick, und sie gab zu verstehen, dass sie beim Herrn alles gelte, obgleich seine ganze Gnade nur darin bestand, dass er sie nicht in Gegenwart der uebrigen auszankte. Mit dem Fraeulein lebte sie in neueren Zeiten nicht mehr im besten Verhaeltnis. Sie hatte in den Tagen der Kindheit und ersten Jugend ihr ganzes Vertrauen besessen. Noch in Tuebingen war sie wenigstens halb ins Geheimnis ihrer Liebe gezogen, und Frau Rosel nahm wirklich so taetigen Anteil an allem, was ihr Fraeulein betraf, dass sie gesagt haette: "Wir lieben den Herrn von Sturmfeder aufs zaertlichste", oder-- "uns will das Herz beinahe brechen, weil wir scheiden muessen." Diesem Vertrauen machten aber zwei Dinge ein Ende. Das Fraeulein bemerkte, dass Frau Rosel zu gern schwatze, sie war ihr auf der Spur, dass sie sogar von ihrem Verhaeltnis zu Georg geplaudert habe. Sie war daher von jetzt an kaelter gegen die Alte, und Frau Rosel merkte im Augenblick, warum dies geschehe. Als aber bald darauf die Reise nach Ulm angetreten wurde, als Frau Rosel, obgleich sie sich einen neuen Rock von Fries und eine koestliche Haube von Brokat hierzu verfertigt hatte, auf hoeheren Befehl in Lichtenstein bleiben musste, da wurde die Kluft noch weiter; denn die Alte glaubte, das Fraeulein habe es beim Vater dahin gebracht, dass sie nicht nach Ulm mitreisen duerfe. Das Vertrauen wurde nicht hergestellt, als Marie von Ulm zurueckkehrte. Frau Rosel zwar, die lieber mit der Herrschaft als dem Gesinde lebte, suchte einige Male Erkundigungen ueber Herrn Georg einzuziehen und so das alte Verhaeltnis wieder anzuknuepfen, doch Mariens Herz war zu voll, die Amme ihr zu verdaechtig als dass sie etwas gesagt haette. Als daher der geaechtete Ritter naechtlicher Weile ins Schloss kam, als das Fraeulein so geheimnisvoll Speisen fuer ihn bereitete und, wie Frau Rosel glaubte, mit ihm allein war, als sie auch hier nicht mehr ins Geheimnis gezogen wurde, da schuettete sie ihr Herz gegen die Frau Wirtin in Pfullingen aus, und es war Georg nicht so ganz zu verdenken, dass er jenen Worten traute, kannte er ja doch Frau Rosel nur als Vertraute ihres Fraeuleins, wusste er ja doch nicht, wie dieses Verhaeltnis indessen so anders sich gestaltet habe. Frau Rosel war im Sonntagsstaat mit ihrer Dame diesen Morgen in die Kirche gewallfahrtet. Sie hatte ihre Suenden, worunter Neugierde ziemlich weit obenan stand, dem Priester gebeichtet, auch Absolution dafuer erhalten, und war mit soviel leichterem Herzen und Gewissen auf den Lichtenstein zurueckgekehrt, als sie vorher schwer und unter der Last der Suenden seufzend, hinabgestiegen war. Die salbungsvollen Worte des Paters mochten aber doch nicht so tief gedrungen sein, um ihre Suenden mit der Wurzel auszurotten, denn als sie in ihr Kaemmerlein hinaufstieg um Rosenkranz und Sonntagsschmuck abzulegen, hoerte sie ihr Fraeulein und eine tiefe Maennerstimme heftig miteinander sprechen; es wollte ihr sogar beduenken, ihr Fraeulein weine. "Sollte er wohl bei Tag hier sein, weil der Alte ausgeritten?" dachte sie. Die natuerliche Menschenliebe und ein zartes Mitgefuehl zog ihr Auge und Ohr ans Schluesselloch, und sie vernahm in abgebrochenen Worten den Streit, dessen Zeugen auch wir gewesen sind. Der junge Mann hatte die Tuere so rasch geoeffnet, dass sie nicht mehr Zeit gehabt hatte, sich zu entfernen, sondern kaum noch aus ihrer gebueckten Stellung am Schluesselloch auftauchen konnte. Doch sie wusste zu helfen in solchen misslichen Faellen, sie liess Georg nicht an sich vorueber, liess beide nicht zum Wort kommen, sie ergriff die Haende des jungen Mannes und ueberstroemte ihn mit einem Schwall von Worten. "Ei, du meine Guete! Haett' ich glaubt, dass meine alten Augen den Junker von Sturmfeder noch schauen wuerden! Und ich mein', Ihr seid noch schoener worden und groesser, seit ich Euch nimmer sah! Haett' ich das gewusst! Steh' da, wie ein Stock an der Tuer', denke, ei! Wer spricht jetzt mit dem gnaedigen Fraeulein? Der Herr ist's nicht. Von den Knechten ist's auch keiner! Ei, was man nicht erlebt! Jetzt ist's der Junker Georg, der da drin spricht!" Georg hatte sich waehrend dieser Rede der Frau Rosel vergeblich von ihr loszumachen gesucht. Er fuehlte, dass es sich nicht gezieme, vor ihr zu zeigen, dass er auf Marien zuerne, und doch glaubte er, keinen Augenblick mehr bleiben zu koennen. Er rang endlich eine Hand aus der knoechernen Faust der Alten, aber indem er sie frei fuehlte, hatte sie auch schon Marie ergriffen, hatte sie, ohne auf Frau Rosels hoehnisches Laecheln zu achten, an ihr Herz gedrueckt. Er war bei dieser Bewegung einem ihrer Blicke begegnet, die ihn auf ewig zu bannen schienen. Jetzt aber erwachte in ihm ein neuer Kampf, eine neue Verlegenheit. Er fuehlte seinen Unmut schwinden, er fuehlte, dass es Marie nicht so boes mit ihm gemeint habe.--Wie sollte er aber jetzt mit Ehren zurueckkehren? Wie sollte er so ganz ungekraenkt scheinen? Waere er mit Marien allein gewesen, so war es vielleicht noch eher moeglich, aber vor diesem Zeugen, vor der wohlbekannten Frau Rosel umzukehren, sich durch einen Haendedruck, durch einen Blick erweichen lassen und gefangengeben? Er schaemte sich vor diesem Weib, weil er sich vor sich selbst schaemte. Frau Rosel hatte sich einige Augenblicke an der Angst, an dem Gram ihres Fraeuleins geweidet, dann aber siegte die ihr angeborene Gutmuetigkeit ueber die kleine Schadenfreude, die in ihr aufgestiegen war. Sie fasste die Hand des Junkers fester: "Ihr werdet uns doch nicht schon wieder verlassen wollen; nachdem Ihr kaum ein Stuendchen auf dem Lichtenstein verweilt habt? Ehe Ihr etwas zu Mittag gegessen, laesst Euch die alte Rosel gar nicht weiter, das ist gegen alle Sitte des Schlosses. Und den Herrn habt Ihr wahrscheinlich auch noch nicht begruesst?" Es war schon ein grosser Gewinn fuer Mariens Sache, dass Georg sprach: "Ich habe ihn schon gesprochen, dort stehen noch die Becher, die wir zusammen leerten." "Nun?" fuhr die Alte fort. "Da werdet Ihr wohl noch nicht von ihm Abschied genommen haben?" "Nein, ich sollte ihn im Schloss erwarten." "Ei, wer wird denn gehen wollen?" sagte sie und draengte ihn sanft in das Zimmer zurueck "Das war mir eine schoene Sitte. Der Herr koennte ja Wunder meinen, was fuer einen sonderbaren Gast er beherbergte. Wer bei Tag kommt", setzte sie mit einem stechenden Blick auf das Fraeulein hinzu, "wer beim hellen Tag kommt, hat ein gut Gewissen und darf sich nicht wegschleichen wie der Dieb in der Nacht." Marie erroetete und drueckte die Hand des Juenglings, und unwillkuerlich musste dieser laecheln, wenn er an den Irrtum der Alten dachte und die strafenden Blicke sah, die sie auf Marien warf. "Ja, ja, wie ich sagte", fuhr Frau Rosel fort, "braucht Euch nicht wegzustehlen wie der Dieb in der Nacht. Waere vielleicht besser gewesen, Ihr waeret schon frueher gekommen. Im Sprichwort heisst es: 'Sieh fuer Dich, irren ist misslich; und wer will haben Ruh, bleib' bei seiner Kuh!' Aber ich will nichts gesagt haben." "Nun ja", sagte Marie, "Du siehst, er bleibt da. Was willst Du nur mit Deinen Reden und Spruechlein? Du weisst selbst, sie passen nicht immer." "So? Aber bisweilen treffen sie doch einen, dem es nicht lieb ist. 'Aber Reu' und guter Rat ist unnuetz nach geschehener Tat'. Ich weiss schon, 'Undank ist der Welt Lohn', ich kann ja schweigen. 'Wer will haben gute Ruh, der seh' und hoer' und schweig' dazu.'" "Nun, so schweig' immerhin", entgegnete das Fraeulein, etwas gereizt. "Uebrigens wirst Du wohl tun, wenn du den Vater nicht geradezu merken laesst, dass Du Herrn von Sturmfeder schon kennst. Es waere moeglich, er koennte glauben, er sei wegen uns nach Lichtenstein gekommen." Frau Rosel kaempfte zwischen guter und boeser Laune. Es tat ihr wohl, dass man sie brauchte, dass man Stillschweigen von ihr erbitten musste. Auf der andern Seite war sie noch unwillig darueber, dass das Fraeulein seit neuerer Zeit so wenig Vertrauen in sie gesetzt habe. Sie murmelte daher nur einige unverstaendliche Worte vor sich hin, indem sie die Stuehle wieder an die Waende stellte, die Becher vom Tisch nahm und die Flecken abwischte, die der Wein auf der Schieferplatte, womit der Tisch eingelegt war, zurueckgelassen hatte. Marie gab Georg der sich an ein Fenster gestellt hatte und noch nicht voellig mit sich und der Geliebten ausgesoehnt schien, einen Wink, den er nicht unbeachtet liess. Ihm selbst war viel daran gelegen, dass Mariens Vater noch nichts um ihre Liebe wusste, er fuerchtete, jener moechte es als einziges Motiv seines Uebertritts zu Wuerttemberg ansehen, er moechte ihn darum weniger guenstig beurteilen, als er bisher getan. Dies erwaegend, naeherte sich Georg der alten Frau Rosel. Er klopfte ihr traulich auf die Schultern, und ihre Zuege hellten sich zusehends auf. "Man muss gestehen", sagte er freundlich, "Frau Rosalie hat eine schoene Haube; aber dies Band passt doch wahrlich nicht dazu, es ist alt und verschossen." "Ei was!" sagte die Alte etwas aergerlich, denn sie hatte sich wohl auf eine freundlichere Rede gefasst gemacht. "Was kuemmert Euch meine Haube, 'Ein jeder fege vor seiner Tuer'. 'Sieh auf Dich und auf die Deinen, danach schilt mich und die Meinen'. Ich bin ein armes Weib und kann nicht Staat machen wie eine Reichsgraefin. 'Wenn alle Leute waeren gleich, und waeren alle saemtlich reich, und waeren all' zu Tisch gesessen, wer wollt' auftragen Trinken und Essen?'" "Nun, so habe ich's nicht gemeint", sagte Georg besaenftigend, indem er eine Silbermuenze aus seinem Beutel zog. "Aber mir zu Gefallen aendert Frau Rosalie schon ihr Band. Und dass meine Forderung nicht gar zu unbillig klinge, wird sie diesen Dicktaler nicht verschmaehen!" Wer hat nicht an einem Oktobertag trotz Sturm und Wolken die Sonne durchdringen und Gewoelk und Nebel verjagen sehen? So ging es auch am Horizont der Frau Rosel freundlich auf. Die artige Weise des Junkers, ihr Lieblingsname Rosalie, der ihr viel wohltoenender duenkte als das verdorbene Rosel, und endlich der Dicktaler mit dem Krauskopf des Herzogs und dem Wappen von Teck--wie konnte sie so vielen Reizen widerstehen? "Ihr seid doch der alte freundliche Junker!" sagte sie, indem sie, sich tief verneigend, den Taler in die ungeheure lederne Tasche an ihrer Seite gleiten liess und den Saum von Georgs Mantel zum Mund fuehrte. "Gerade so wusstet Ihr es in Tuebingen zu machen. Stand ich am Joergenbrunnen, ging ich von der Burgsteig hinab auf den Markt, richtig rief es hinter mir: 'Guten Morgen, Frau Rosalie, und wie geht es dem Fraeulein?' Und wie oft und reich habt Ihr mich dort beschenkt: wenigstens zwei Drittel von dem Rock, den ich hier trag', verdank' ich Eurer Gnade!" "Lasst das, gute Frau", unterbrach sie Georg. "Und was den Herrn betrifft, so wirst Du--" "Was meint Ihr!" erwiderte sie, indem sie die Augen halb zudrueckte. "Habe Euch in meinem Leben nicht gesehen. Nein, da koennt Ihr Euch drauf verlassen. 'Was ich nicht weiss, macht mir nicht heiss, und was mich nicht brennt, das blase ich nicht!'" Sie verliess bei diesen Worten das Zimmer und stieg in den ersten Stock hinab, um dort in der Kueche ihr Regiment zu verwalten. Die Liebenden aber hatten sich nach ihrem Abzug bald wieder gefunden. Georg vermochte nicht den bittenden Blicken Mariens zu widerstehen, und als sie mit den suessesten Toenen der Liebe ihn fragte, ob er ihr wieder gut sei, da vermochte er ihr nicht nein zusagen, und der Friede war, was selten der Fall ist, in kuerzerer Zeit wieder geschlossen, als die Fehde begonnen hatte. Mit hohem Interesse hoerte Marie auf Georgs fernere Erzaehlung und es gehoerte der feste Glaube des jungen Mannes an die Geliebte und sein Vertrauen in das Wort des Geaechteten dazu, um nicht von neuem ausser Fassung zu kommen. Denn als er beschrieb, wie er auf den Ritter getroffen und sich mit ihm geschlagen habe, da erroetete sie, sie richtete sich stolzer auf und drueckte die Hand des Geliebten, sie gestand ihm, dass er einen wichtigen Kampf bestanden habe, denn jener Mann sei ein tapferer Kaempe. Und als er erzaehlte, wie sie hinabstiegen in die Nebelhoehle, wie sie den Geaechteten besuchten, wie er tief unter der Erde in aermlicher Umgebung doch so gross und erhaben geschienen; da stuerzten Traenen aus ihren Augen, sie blickte hinauf zum Himmel, als bete sie im stillen, er moechte das traurige Geschick dieses Mannes wenden, und als er fortfuhr und sagte, was sie gesprochen, und wie der Mann der Hoehle sich seinen Freund genannt, wie er sich zu Wuerttembergs Sache, zu der Sache der Unterdrueckten und Vertriebenen mit Wort und Handschlag verpflichtet habe, da strahlte Mariens Auge von wunderbarem Glanz; sie sah Georg lange an, er glaubte eine Begeisterung in ihrem Auge, in ihren Zuegen zu lesen, die nicht die Freude, dass er ihres Vaters Partei ergriffen habe, allein hervorbrachte. "Georg!" sagte sie, "es werden viele sein, die Dich einst um diese Nacht beneiden werden. Du darfst es Dir auch zur Ehre rechnen, denn glaube mir, nicht jeden haette Hans zu dem Vertriebenen gefuehrt." "Du kennst ihn", erwiderte Georg. "Du weisst um sein Geheimnis? Oh sag mir doch, wer ist er? Ich habe selten einen Mann gesehen, dessen Auge, dessen Miene, dessen ganzes Wesen mich so beherrscht haette wie dieser. Wo lagen seine Besitzungen, wo ist das Schloss, aus dem er vertrieben ist? Er sagt, er wolle jetzt keinen andern Namen haben als 'der Mann', aber sein Arm, dessen Staerke ich gefuehlt, sein heller Blick verbuergten mir, dass er einst einen beruehmten Namen in der Welt gehabt haben muesse." "Er hatte einen Namen", antwortete Marie, "einen, der sich mit den besten messen konnte. Aber wenn er Dir ihn nicht selbst gesagt hat, so darf ich ihn auch nicht nennen, das waere gegen mein Wort, das ich darauf gegeben. Herr Georg muss sich also schon noch gedulden", setzte sie laechelnd hinzu, "so hart es ihn auch ankommt, denn er ist ein neugieriger Herr." "Mir kannst Du es ja doch sagen", unterbrach sie Georg, "sind wir nicht eins? Darf das eine ein Geheimnis haben, ohne dass es der ander Teil wissen muss? Schnell! Antworte, wer ist der Mann in der Hoehle?" "Werde nicht boese; sieh, wenn es nur mein Geheimnis waere, so muesstest Du es auch wissen und koenntest es mit Recht verlangen aber so--ich weiss zwar, dass es bei Dir so sicher waere als bei mir, aber ich darf nicht." Sie sprach noch, als die Tuer aufsprang und eine Dogge von ungeheurer Groesse hereinstuerzte. Georg fuhr unwillkuerlich auf denn einen Hund von solcher Groesse und Staerke hatte er nie gesehen Der Hund stellte sich ihm gegenueber, schaute ihn mit rollenden Augen an und fing an zu murren. Es toente aus seiner breiten Brust herauf dumpf und hohl wie ein nahender Sturm, und die wohlgeordnete Reihe scharfer Zaehne, die er vorwies, zeigten ihn als einen Kaempfer, dessen Zorn man nicht reizen duerfe. Ein Wort von Marie reichte hin, ihn ruhig und besaenftigt zu ihren Fuessen zu legen. Sie streichelte seinen schoenen Kopf, aus welchem die klugen Augen noch immer bald nach ihr, bald nach dem Junker spaehten. "Er hat Menschenverstand!" sagte sie laechelnd. "Er kommt, um mich zu warnen, dass ich den Mann in der Hoehle nicht verraten soll." "Ein herrlicher Hund, wie ich nie einen gesehen! Wie er den Kopf so stolz aus dem goldenen Halsband hervortraegt, als gehoere er einem Kaiser oder Koenig!" "Er gehoert ihm, dem Vertriebenen", erwiderte Marie, "und wenn ich auf dem Sprung war, den Namen seines Herrn zu nennen kam er, mich zu warnen." "Warum aber fuehrt der Ritter seinen Hetzer nicht mit sich. Wahrlich, ein Arm wie der seine, unterstuetzt von einem solchen Tier, darf sechs Moerder nicht fuerchten." "Das Tier ist wachsam", antwortete sie, "aber wild. Wenn er es in der Hoehle unten haette, so haette er zwar einen sicheren Schutz. Wie aber, wenn durch Zufall ein Mensch in jene Hoehle kaeme? Sie ist so gross, dass man den Mann nicht darin ahnen kann, aber die Dogge wuerde ihn verraten. Sie wuerde knurren und anschlagen, sobald sie Tritte hoerte, und sein Aufenthalt waere entdeckt. Darum hat er ihm befohlen, als er wegging hier zu bleiben, er versteht dies Gebot, und ich sorge fuer ihn. Er hat ordentlich das Heimweh nach seinem Herrn, und die Freude solltest Du sehen, wenn es Nacht wird; er weiss, dass dann sein Herr bald ins Schloss kommt, und wenn die Zugbruecke niederfaellt und die Schritte des Mannes auf dem Hof toenen, da ist er nicht mehr zu halten; er wuerde sechsfache Ketten zerreissen, um bei ihm zu sein." "Ein schoenes Bild der Treue! Doch ein schoeneres noch ist der Mann; dem dieser Hund gehoert. Hing er doch ebenso treu an seinem Herrn und liess sich verbannen und ins Elend jagen; es ist toericht von mir", setzte Georg hinzu, "ich weiss, Neugierde steht einem Mann nicht an, aber wissen moechte ich, wer er ist." "So gedulde Dich doch, bis es Nacht wird! Wenn der Mann kommt, will ich ihn fragen, ob Du es wissen darfst, ich zweifle nicht, er wird es erlauben." "Es ist noch lange bis dahin, und jeden Augenblick muss ich a ihn denken; wenn Du mir es nicht sagst, so muss ich mich an den Hund wenden, vielleicht ist er guetiger als Du." "Versuche es immer", rief Marie laechelnd, "wenn er sprechen kann, so soll er es nur gestehen." "Hoer einmal, du ungeheurer Geselle" wandte sich Georg in dem Hund, der ihn aufmerksam ansah, "sage mir, wie heisst dein Herr?" Der Hund richtete sich stolz auf, riss den weiten Rachen auf und bruellte in schrecklichen Toenen "U-u-u!" Marie erroetete. "Lass doch die Possen", sagte sie und rief den Hund zu sich, "wer wird mit Hunden sprechen, wenn man in menschlicher Gesellschaft ist!" Georg schien nicht darauf zu hoeren. "U hat er gesagt, der gute Hund? Der ist darauf geschult, ich wollte alles wetten! Es ist nicht das erste Mal, dass man ihn fragt: wie heisst dein Herr?" Kaum hatte Georg die letzten Worte gesprochen, so fing der Hund mit noch graeulicheren Toenen als vorher sein "U-u-u!" zu heulen an. Aufs neue erroetete Marie, sie hiess beinahe unwillig den Hund schweigen; er legte sich ruhig zu ihren Fuessen. "Da haben wir's", rief Georg lachend, "der Herr heisst U! Und fing das sonderbare Wort auf dem Ring den mir der Ritter gab, nicht auch mit U an? Ungeheuer! Heisst dein Herr vielleicht Uffenheim? Oder Uxkuell? Oder Ulm? Oder vielleicht gar--" "Unsinn! Der Hund hat gar keinen anderen Laut als U; wie magst du Dir nur Muehe geben, daraus etwas zu folgern! Doch hier kommt der Vater den Berg herauf; willst Du, dass es ihm verborgen bleibe, so nimm Dich zusammen und verrate Dich nicht. Ich gehe jetzt, denn es ist nicht gut, wenn er uns beisammen antrifft." Georg gelobte es. Er umarmte noch einmal die Geliebte und versah sich von ihrem suessen Mund auf viele Stunden, um wenigstens an der Erinnerung sich zu erfreuen, wenn die Gegenwart des Vaters jede zaertliche Annaeherung unmoeglich machte. Kapitel 24 Karfreitag und Ostern waren voruebergegangen, und Georg von Sturmfeder befand sich noch immer in Lichtenstein. Der Herr dieses Schlosses hatte ihn eingeladen bei ihm zu verweilen, bis etwa der Krieg eine andere Wendung nehmen wuerde oder Gelegenheit da waere, der Sache des Herzogs wichtige Dienste zu leisten. Man kann sich denken wie gerne der junge Mann diese Einladung annahm. Unter einem Dach mit der Geliebten, immer in ihrer Naehe, oft ein Stuendchen mit ihr allein von ihrem Vater geliebt--er hatte in seinen kuehnsten Traeumen kein aehnliches Glueck ahnen koennen. Nur eine Wolke truebte den Himmel der Liebenden, die duestere Wolke, die zuweilen auf der Stirn des Vaters lag. Es schien, als habe er nicht die besten Nachrichten von seinem Herzog und dem Kriegsschauplatz. Es kamen zu verschiedenen Tageszeiten Boten in die Burg, aber sie kamen und gingen ohne dass der Ritter seinem Gast eroeffnete, was sie gebracht haetten. Einige Male glaubte Georg in der Abenddaemmerung sogar den Pfeifer von Hardt ueber die Bruecke schleichen zu sehen; er hoffte von diesem vielleicht etwas erfahren zu koennen, er eilte hinab, um ihm zu begegnen, aber wenn er bis an die Bruecke kam, war jede Spur von ihm verschwunden. Der junge Mann fuehlte sich etwas beleidigt ueber diesen Mangel an Zutrauen, wie er es bei sich und seinen Aeusserungen gegen Marie nannte. "Ich habe doch den Freunden des Herzogs mich ganz und gar angeboten, obgleich ihre Partei nicht viel Lockendes hat; der Mann in der Hoehle und der Ritter von Lichtenstein bewiesen mir Freundschaft und Vertrauen aber warum nur bis auf diesen Punkt? Warum darf ich nicht erfahren, wie es mit Tuebingen steht? Warum nicht, wie der Herzog operiert, um sein Land wieder zu erobern? Bin ich nur zum Dreinschlagen gut? Verschmaeht man mich im Rat?" Marie suchte ihn zu troesten Es gelang oft ihren schoenen Augen ihren freundlichen Reden, ihn diese Gedanken vergessen zu lassen aber dennoch kehrten sie in manchem Augenblick wieder, und die sorgenvolle Miene des alten Herrn mahnte ihn immer an die Sache, welcher er beigetreten war. Am Abend des Osterfestes konnte er endlich dieses Stillschweigen nicht laenger ertragen. Er fragte auf die Gefahr hin, fuer unbescheiden zu gelten, wie es mit dem Herzog und seinen Plaenen stehe, ob man nicht auch seiner endlich einmal beduerfe? Aber der Ritter von Lichtenstein drueckte ihm freundlich die Hand und sagte: "Ich sehe schon lange, wackerer Junge, wie es Dir das Herz beinahe abdruecken will, dass Du nicht teilnehmen kannst an unseren Muehen und Sorgen; aber gedulde Dich noch einige Zeit, vielleicht nur einen Tag noch, so wird sich manches entscheiden. Was soll ich Dich mit ungewissen Nachrichten, mit traurigen Botschaften plagen? Dein heiterer Jugendsinn ist nicht gemacht, bedaechtig in ein Gewebe von Bosheit zu schauen und die kuenstlich geschlungenen Faeden wieder loszumachen. Wenn die Entscheidung naht, dann, glaube mir, wirst Du ein willkommener Genosse sein bei Rat und Tat. Nur so viel brauchst Du zu wissen, es steht mit unserer Sache weder schlimm noch gut; doch bald muss es sich entscheiden." Der junge Mann sah ein, dass der Alte recht haben koenne, und doch war er nichts weniger als zufrieden mit dieser Antwort. Auch erfuhr er den Namen des Geaechteten nicht. Marie hatte ihn, als er in der naechsten Nacht ins Schloss gekommen war, gefragt, ob sie ihrem Gast seinen Namen nennen duerfe, er hatte nichts darauf gesagt, als: "Noch ist's nicht an der Zeit!" Noch ein dritter Umstand war es, der Georg beinahe beleidigend vorkam. Er hatte dem Herrn von Lichtenstein gesagt, wie sehr ihn der Mann in der Hoehle angezogen habe, wie er nichts Erfreulicheres kenne, als recht oft in dessen Naehe zu sein, und dennoch hatte man ihn nie mit einem Wort eingeladen, eine Nacht mit dem geheimnisvollen Gast zuzubringen. Er war zu stolz, sich aufzudraengen er wartete von Nacht zu Nacht, ob man ihn nicht herabrufen werde, jenen Mann zu sprechen; es geschah nicht. Er beschloss, wenigstens einmal uneingeladen zuzusehen, wie der Fremde in die Burg komme, und betrachtete sich deswegen die Gelegenheit genau. Seine Kammer, wohin er regelmaessig um acht Uhr gefuehrt wurde, lag gegen das Tal hinaus, gerade entgegengesetzt der Seite, wo die Bruecke ueber den Abgrund fuehrte. Von hier war es also nicht moeglich, ihn kommen zu sehen. Das grosse Zimmer im zweiten Stock, das nicht weit entfernt von seiner Kammer lag, wurde jede Nacht abgeschlossen, von dort aus konnte er also auch nicht hinabsehen. Auf dem Vorplatz, der die Kammern umher und den Saal verband, gingen zwar zwei Fenster gegen die Bruecke hinaus, sie waren aber vergittert und hoch, so dass man zwar ins Freie hinueber, aber nicht hinab auf die Bruecke sehen konnte. Es blieb ihm daher nichts uebrig, als sich irgendwo zu verbergen, wenn er den naechtlichen Besuch sehen wollte. Im ersten Stock war dies nicht moeglich, weil dort so viele Leute wohnten, dass er leicht entdeckt werden konnte. Doch als er den Torweg und die Staelle musterte, die unter dem Schloss in den Felsen gehauen waren, bemerkte er an der Zugbruecke eine Nische, die von den Torfluegeln bedeckt wurde, welche man nur, wenn der Feind vor den Toren war, verschloss. Dies war der Ort, der ihm Sicherheit und zugleich Raum genug zu gewaehren schien, um zu beobachten, was um ihn her vorging. Links von der Nische schloss sich die Zugbruecke an das Tor, rechts war die Treppe, die hinauf fuehrte, vor ihm der Torweg, den jeder gehen musste, der ins Schloss kam. Dorthin beschloss er, in der kommenden Nacht sich zu schleichen. Um acht Uhr kam der Knappe mit der Lampe, um ihm wie gewoehnlich ins Bett zu leuchten. Der Herr des Schlosses und seine Tochter sagten ihm freundlich gute Nacht. Er stieg hinan in seine Kammer, er entliess den Knecht, der ihn sonst entkleidete, und warf sich angekleidet auf das Bett. Er lauschte auf jeden Glockenschlag, den die Nachtluft aus dem Dorf hinter dem Wald heruebertrug. Oft schlossen sich seine Augen, oft schwebte er schon auf jener unsicheren Grenze zwischen Wachen und Schlafen, wo sich die Seele nur mit ermatteten Kraeften gegen die Bande des Schlummers straeubt, aber immer wieder rang er sich los, wenn seine Gedanken klar genug waren, um ihm seinen Zweck ins Gedaechtnis zurueckzufuehren. Zehn Uhr war laengst vorueber. Die Burg war still und tot, Georg raffte sich auf, zog die schweren Sporen und Stiefel ab, huellte sich in seinen Mantel und oeffnete behutsam die Tuer seiner Kammer. Er hielt den Atem an, um sich nicht durch Schnauben zu verraten. Die Angeln seiner Tuer knarrten, er hielt an, er lauschte, ob niemand diese verraeterischen Toene gehoert habe. Es blieb alles still. Der Mond fiel in mattem Schein auf den Vorplatz. Georg pries sich gluecklich, dass ihn dieses truegerische Licht nicht zum zweiten Mal verraten werde. Er schlich weiter an die Wendeltreppe. Noch einmal hielt er an, um zu lauschen, ob alles still sei. Er hoerte nichts als das Sausen des Windes und das Rauschen der Eichen ueber der Bruecke, Er stieg behutsam hinab. In der Stille der Nacht toent alles lauter, und Dinge erwecken die Aufmerksamkeit, die man am Tag nicht beachtet haette. Wenn Georgs Fuss auf ein Sandkoernchen trat, so rauschte es auf der gewoelbten Wendeltreppe, dass er erschrak und glaubte, man muesse es im ganzen Haus gehoert haben. Er kam am ersten Stock vorueber. Er lauschte, er hoerte niemand, aber auf dem Herd in der Kueche flatterte ein luftiges Feuer. Jetzt war er unten Auf den Weg von seiner Kammer bis zum Tor, den er sonst in einem Augenblick zuruecklegte, hatte er eine Viertelstunde verwandt. Er stellte sich in die Nische und zog den Torfluegel noch naeher zu sich her, dass er voellig von ihm bedeckt war. Eine Spalte in der Tuer war gross genug, dass er durch sie alles beobachten konnte. Noch war alles still im Schloss. Nur fluechtige Tritte glaubte er ueber sich zu vernehmen, es war wohl Marie, die geschaeftig hin und her ging. Nach einer toedlich langen Viertelstunde schlug es im Dorf elf Uhr. Dies war die Zeit des naechtlichen Besuches, Georg schaerfte sein Ohr, um zu vernehmen, wann er komme. Nach wenigen Minuten hoerte er oben den Hund anschlagen, zugleich rief ueber dem Graben eine tiefe Stimme: "Lichtenstein!" "Wer da?" fragte man aus der Burg. "Der Mann ist da!" antwortete jene Stimme, die Georg von seinem Besuch in der Hoehle so wohl bekannt war. Ein alter Mann, der Burgwart, kam aus einer Kasematte, die in den Grundfelsen gehauen war. Er oeffnete mit einem wunderlich geformten Schluessel das Schloss der Zugbruecke. Indem er noch damit beschaeftigt war, stuerzte in grossen Spruengen der Hund die Treppe herab. Er winselte, er wedelte mit dem Schwanz, er huepfte an dem Burgwart hinauf, als wolle er ihm behilflich sein, die Bruecke fuer seinen Herrn herabzulassen Und jetzt kam auch Marie, sie trug ein Windlicht und leuchtete damit dem Alten, der mit seinem Aufschliessen nicht zurechtzukommen schien. "Spute dich, Balthasar!" fluesterte sie. "Er wartet schon eine gute Weile, und draussen ist's kalt, und es weht ein garstiger Wind." "Jetzt nur noch die Kette los, gnaediges Fraeulein", antwortete er, "dann sollt Ihr gleich sehen, wie schoen meine Bruecke faellt. Ich habe auch, wie Ihr befohlen habt, die Fugen mit Oel geschmiert, dass sie nicht mehr knarren und die Frau Rosel aus ihrem sanften Schlaf aufwecken." Die Ketten rauschten in die Hoehe, die Bruecke senkte sich langsam nach aussen und legte sich ueber den Abgrund. Der Mann aus der Hoehle, in seinen groben Mantel eingehuellt, schritt herueber. Georg hatte sich das Bild dieses Mannes tief ins Herz gepraegt, und doch ueberraschten ihn aufs neue seine auffallend kuehnen Zuege, sein gebietendes Auge, seine freie Stirn, das Kraeftige, Gewaltige in seinen Bewegungen. Der Schein des Windlichtes fiel auf ihn und Marie, und noch lange Jahre bewahrte Georg die Erinnerung an diese Gruppe. Die schlanke Gestalt der Geliebten, das dunkle Haar, dessen Flechten aufgegangen waren und nun um den zierlichen Hals herabstroemten, die blendende Stirn, das sinnige, blaue Auge, dem die langen dunklen Wimpern und die schoengeschwungenen Bogen der Brauen einen eigentuemlichen Reiz gaben, der kleine rote Mund, die zarte Farbe ihrer Wangen, dies alles, ueberstrahlt von dem Licht, das sie in der Hand hielt, bewirkte, dass Georg glaubte, die Geliebte nie so reizend gesehen zu haben, als in diesem Augenblick, wo der Kontrast gegen die scharfen, kraeftigen Formen des Mannes, der neben ihr stand, ihr zartes, liebliches Wesen noch mehr hervorhob. Der naechtliche Gast half mit beinahe uebermenschlicher Kraft dem alten Pfoertner die Bruecke wieder aufziehen. Dann zog sich der Alte zurueck und Georg vernahm folgendes Gespraech: "Ist Nachricht da von Tuebingen? Ist Marx Stumpf zurueck? Ich lese Unglueck in Euern Mienen!" "Nein, Herr, er ist noch nicht zurueck", sagte Marie, "der Vater erwartet ihn aber noch diese Nacht." "Dass ihm der Teufel Fuesse mache! Ich muss warten, bis er kommt, und sollte es Tag darueber werden--Hu! eine kalte Nacht, Fraeulein", sagte der Geaechtete, "meine Uhus und Kaeuzlein in der Nebelhoehle muss es auch gewaltig frieren, denn sie schrien und jammerten in klaeglichen Toenen, als ich heraufstieg." "Ja, es ist kalt", antwortete sie, "um keinen Preis moechte ich mit Euch hinabsteigen Und wie schauerlich muss es sein, wenn die Kaeuzlein schreien. Mir graut, wenn ich nur daran denke!" "Wenn Junker Georg Euch begleitete, ginget Ihr doch mit", erwiderte jener laechelnd, indem er das erroetende Gesicht des Maedchens am Kinn ein wenig in die Hoehe hob. "Nicht wahr, mit dem ginget Ihr in die Hoelle? Was das fuer eine Liebe sein muss! Weiss Gott, Euer Mund ist ganz wund. Gar zu arg muesst Ihr es doch nicht machen mit Kuessen." "Ach Herr!" fluesterte Marie, indem sich aufs neue eine dunkle Roete ueber die zarten Wangen goss. "Wie moegt Ihr nur so sprechen. Wisst Ihr, dass ich gar nicht mehr herabkomme, Euch gar nicht mehr koche, wenn Ihr so von mir und dem Junker denkt?" "Nun, einen Scherz muesst Ihr mir schon gelten lassen", sagte der Ritter und kniff sie in die erroetenden Wangen, "ich habe ja in meiner Behausung da unten so wenig Zeit und Gelegenheit zum Scherzen. Aber was gebt ihr mir, wenn ich fuer den Junker ein gutes Wort einlege beim Vater, dass er ihn Euch zum Mann gibt? Ihr wisst, der Alte tut, was ich haben will, und wenn ich ihm einen Schwiegersohn empfehle, nimmt er ihn unbesehen." Marie schlug die Augen auf und sah ihn mit freundlichen Blicken an. "Gnaedigster Herr", antwortete sie, "ich will es Euch nicht verwehren, wenn Ihr fuer Georg ein gutes Wort sprecht. Uebrigens ist ihm der Vater schon sehr gewogen." "Ich frage, was ich fuer ein gutes Wort bekomme? Alles hat seinen Preis. Nun, was wird mir dafuer?" Marie schlug die Augen nieder. "Ein schoener Dank", sagte sie "aber kommt, Herr, der Vater wird schon laengst auf uns warten." Sie wollte vorangehen, der Geaechtete aber ergriff ihre Hand und hielt sie auf. Georgs Herz pochte beinahe hoerbar, es wurde ihm bald heiss, bald kalt, er fasste den Torfluegel und waere nahe daran gewesen, diese Fuersprache um einen fixen Preis zu verbitten. "Warum so eilig?" hoerte er den Mann der Hoehle sagen. "Nun, sei es um ein Kuesschen so will ich loben und preisen, dass Dein Vater sogleich den Pfaffen holen laesst, um das heilige Sakrament der Ehe an Euch zu vollziehen." Er senkte sein Haupt gegen Marie herab, Georg schwindelte es vor den Augen, er war im Begriff, aus seinem Hinterhalt hervorzubrechen. Das Fraeulein aber sah jenen Mann mit einem strafenden Blick an. "Das kann unmoeglich Eurer Gnaden Ernst sein", sagte sie, "sonst haettet Ihr mich zum letzten Mal gesehen." "Wenn Ihr wuesstet, wie erhaben und schoen Euch dieser Trotz steht", sagte der Ritter mit unerschuetterlicher Freundlichkeit, "Ihr ginget den ganzen Tag im Zorn und in der Wut umher. Uebrigens habt Ihr recht, wenn man schon einen andern so tief im Herzen hat, darf man keine solche Gunst mehr ausspenden. Aber feurige Kohlen will ich auf Euer Haupt sammeln, ich will dennoch den Fuersprecher machen. Und an Eurem Hochzeitstag will ich bei Eurem Liebsten um einen Kuss anhalten, dann wollen wir sehen, wer recht behaelt." "Das koennt Ihr!" sagte Marie, indem sie ihm laechelnd ihre Hand entzog und mit dem Licht voranging. "Aber macht Euch immer auf eine abschlaegige Antwort gefasst, denn ueber diesen Punkt spasst er nicht gerne." "Ja, er ist verdammt eifersuechtig", entgegnete der Ritter im Weiterschreiten. "Ich koennte Euch davon eine Geschichte erzaehlen, die mir selbst mit ihm begegnet ist. Aber ich habe versprochen, zu schweigen."--Ihre Stimmen entfernten sich immer mehr und wurden undeutlicher. Georg schoepfte wieder freien Atem. Er lauschte und harrte noch in seiner Nische, bis er niemand mehr auf den Treppen und Gaengen hoerte. Dann verliess er seinen Platz und schlich sich nach seiner Kammer zurueck. Die letzten Worte Mariens und des Geaechteten lagen noch in seinen Ohren. Er schaemte sich seiner Eifersucht, die ihn auch in dieser Nacht wieder unwillkuerlich hingerissen hatte, wenn er bedachte, in welch unwuerdigem Verdacht er die Geliebte gehabt und wie rein sie in diesem Augenblick vor ihm gestanden sei. Er verbarg sein erroetendes Gesicht tief in den Kissen, und erst spaet entfuehrte ihn der Schlummer diesen quaelenden Gedanken. Als er am andern Morgen in die Herrenstube hinabging, wo sich um sieben Uhr gewoehnlich die Familie zum Fruehstueck versammelte, kam ihm Marie mit verweinten Augen entgegen. Sie fuehrte ihn auf die Seite und fluesterte ihm zu: "Tritt leise ein, Georg! Der Ritter aus der Hoehle ist im Zimmer. Er ist vor einer Stunde ein wenig eingeschlummert. Wir wollen ihm diese Ruhe goennen!" "Der Geaechtete!" fragte Georg staunend, "wie kann er es wagen, noch bei Tag hier zu sein? Ist er krank geworden?" "Nein!" antwortete Marie, indem von neuem Traenen in ihren Wimpern hingen "Nein! Es muss in dieser Stunde noch ein Bote von Tuebingen anlangen, und diesen will er erwarten. Wir haben ihn gebeten, beschworen, er moechte doch vor Tag hinabgehen, er hat nicht darauf gehoert. Hier will er ihn erwarten." "Aber koennte denn der Bote nicht auch in die Hoehle hinabkommen?" warf Georg ein. "Er setzt sich ja umsonst dieser Gefahr aus." "Ach, Du kennst ihn nicht, das ist sein Trotz; wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, so geht er nicht mehr davon ab. Und nur zu leicht wird er misstrauisch; deswegen konnten wir ihm nicht sehr zureden wegzugehen; er haette glauben koennen, wir tun es nur wegen uns. Sein Hauptgrund zu bleiben ist, dass er sich gleich mit dem Vater beraten will, sobald er Nachricht bekommt." Sie waren waehrend dieser Rede an die Tuer der Herrenstube gekommen, Marie schloss so leise als moeglich auf und trat mit Georg ein. Die Herrenstube unterschied sich von dem grossen Gemach im oberen Stock nur dadurch, dass sie kleiner war. Auch sie hatte die Aussicht nach drei Seiten, durch Fenster mit kleinen runden Scheiben, durch welche sich die Morgensonne in vielfarbigen Strahlen brach. Decke und Waende umzog ein Getaefel von schwarzbraunem Holz, mit farbigen Hoelzern kunstreich ausgelegt. Einige Ahnenbilder der Lichtensteiner schmueckten die Wand, welche kein Fenster hatte, und Tische und Geraetschaften zeigten dass der Ritter von Lichtenstein ein Freund alter Sitten und Zeiten sei, und seinen Hausrat, wie er ihn vom Grossvater empfangen hatte, auch auf die Tochter vererben wolle. Vor einem grossen Tisch in der Mitte des Zimmers sass der Herr des Schlosses. Er hatte sein Kinn und den langen Bart auf die Hand gestuetzt und schaute finster und regungslos in einen Becher, der vor ihm stand. Die Weinkannen und Deckelkruege auf dem Tisch, der Becher vor dem alten Herrn machten, dass man ungewiss war, ob er die Nacht beim Becher zugebracht habe, oder ob er so frueh am Tag sich durch einen guten Trunk Kraefte sammeln wolle. Er gruesste seinen jungen Gast, als dieser an den Tisch zu ihm getreten war, durch ein leichtes Neigen des Hauptes, in dem ein kaum bemerkbares Laecheln um seinen Mund zog. Er wies auf einen Becher und einen Stuhl zu seiner Seite. Marie verstand den Wink, schenkte einen Becher voll und kredenzte ihn dem Geliebten mit jener holden Anmut, die allem, was sie tat, einen eigentuemlichen Stempel aufdrueckte. Georg setzte sich an die Seite des Alten und trank. Dieser rueckte ihm naeher und fluesterte ihm mit heiserer Stimme zu: "Ich fuerchte, es steht schlimm!" "Habt Ihr Nachricht?" fragte Georg ebenso heimlich. "Ein Bauer sagte mir heute frueh, gestern abend haetten die Tuebinger mit dem Bund gehandelt." "Gott im Himmel!" rief Georg unwillkuerlich aus. "Seid still und weckt ihn nicht! Er wird es nur zu frueh erfahren", entgegnete ihm jener, indem er auf die andere Seite der Stube deutete. Georg sah dorthin. An einem Fenster der Seite, die gegen den jaehen Abgrund liegt, sass der geaechtete Mann. Er hatte den Arm auf das Sims gestuetzt, er schlummerte. Sein grauer Mantel war ueber die Schulter herabgefallen und liess ein abgetragenes unscheinbares Lederkoller sehen, in das die kraeftige Gestalt gehuellt war. Sein krauses Haar fiel nachlaessig um die Schlaefe, und einige Buesche des gerollten Bartes quollen unter der Hand, in die er den Kopf gestuetzt hatte, hervor. Zu seinen Fuessen lag sein grosser Hund. Er hatte seinen Kopf auf den Fuss seines Herrn gelegt, seine treuen Augen hingen teilnehmend an dem Haupt des Geaechteten. "Er schlaeft", sagte der Alte und zerdrueckte eine Traene in den Augen "Die Natur fordert die Schuld an den Koerper und umhuellt die Seele mit einem wohltaetigen Schleier. Er atmet leicht. Oh dass es beruhigende Traeume waeren, die ihm vorschweben! Die Wirklichkeit ist so traurig, wer sollte ihm nicht wuenschen, dass er sie im Traum vergisst!" "Es ist ein hartes Schicksal!" erwiderte Georg, indem er wehmuetig auf den Schlafenden blickte. "Vertrieben von Haus und Hof, geaechtet, in die Wueste hinausgejagt! Sein Leben jedem Buben preisgegeben, der in der Ferne seinen Bolz auf ihn anlegt! Bei Tag unter der Erde, bei Nacht wie ein Dieb umherschleichen zu muessen! Wahrlich, es ist hart! Und dies alles, weil er seinem Herrn treu war und jene Buendler nach seinen Guetern geluestete." "Der Mann dort hat manches verfehlt in seinem Leben", sprach der Ritter von Lichtenstein mit tiefem Ernst. "Ich habe ihn beobachtet seit den Tagen seiner Kindheit, bis zu dieser Stunde; ich kann ihm das Zeugnis geben, er hat das Gute und Rechte gewollt. Zuweilen waren die Mittel falsch, die er anwandte, zuweilen verstand man ihn nicht, zuweilen liess er sich von der Hitze der Leidenschaft hinreissen aber wo lebt der Mensch, von dem man dies nicht sagen koennte? Und wahrlich, er hat es grausam gebuesst!" Er hielt inne, als haette er schon mehr gesagt, als er sagen wollte, und umsonst suchte Georg ueber den Vertriebenen mehr zu erfahren. Der Alte versank in Stillschweigen und tiefes Sinnen. Die Sonne war ueber die Berge heraufgekommen, die Nebel fielen, Georg trat ans Fenster, die herrliche Aussicht zu geniessen. Unter dem Felsen von Lichtenstein, wohl dreihundert Klafter tief, breitet sich ein liebliches Tal aus, begrenzt von waldigen Hoehen, durchschnitten von einem eilenden Waldbach. Drei Doerfer liegen freundlich in der Tiefe. Georg betrachtete bewundernd. Er strengte sein Auge mehr und mehr an, er suchte in die Weite zu dringen, und jedes Schloss, jedes Dorf in der weiten Aussicht zu unterscheiden. Marie stand neben ihm. Sie teilte seine Bewunderung, obgleich sie seit ihrer fruehen Kindheit dieses Schauspiel genossen. Sie zeigte ihm fluesternd jeden Fleck, sie wusste ihm jede Turmspitze zu nennen. "Wo ist eine Stelle in deutschen Landen", sprach Georg, in diesen Anblick versunken, "die sich mit dieser messen koennte! Ich habe Ebenen gesehen und Hoehen erstiegen, von wo das Auge noch weiterdringt, aber diese lieblichen Gefilde zeigen sie nicht. So reiche Saaten, Waelder von Obst, und dort unten, wo die Huegel blaeulicher werden, ein Garten von Wein! Ich habe noch keinen Fuersten beneidet, aber hier stehen zu koennen, hinauszublicken von dieser Hoehe und sagen zu koennen, diese Gefilde sind mein!" Ein tiefer Seufzer in ihrer Naehe schreckte Marien und Georg aus ihren Betrachtungen auf. Sie sahen sich um, wenige Schritte von ihnen stand im Fenster der Geaechtete und blickte mit trunkenen, glaenzenden Blicken ueber das Land hin, und Georg war ungewiss, ob jene Worte oder das Andenken an sein Unglueck die Brust dieses Mannes bewegt hatten. Er begruesste Georg und reichte ihm die Hand. Dann wandte er sich zu dem Herrn des Schlosses und fragte, ob noch immer keine Botschaft da sei? "Der von Schweinsberg ist noch nicht zurueck", antwortete dieser. Der Geaechtete trat schweigend an das Fenster zurueck und schaute in die Ferne. Marie fuellte ihm einen Becher. "Seid getrosten Mutes, Herr", sagte sie, "schaut nicht mit so finstern Blicken auf das Land. Trinkt von diesem Wein, er ist gut Wuerttembergisch und waechst dort unten an jenen blauen Bergen." "Wie kann man traurig bleiben", antwortete er, indem er sich wehmuetig laechelnd zu Georg wandte, "wenn ueber Wuerttemberg die Sonne so schoen aufgeht und aus den Augen einer Wuerttembergerin ein so milder blauer Himmel lacht? Nicht wahr, Junker, was sind diese Berge und Taeler, wenn uns solche Augen, solche treue Herzen bleiben? Nehmt euren Becher und lasst uns darauf trinken. Solange wir Land besitzen in den Herzen, ist nichts verloren: Hie gut Wuerttemberg allezeit." "Hie gut Wuerttemberg allezeit", erwiderte Georg und stiess an. Der Geaechtete wollte noch etwas hinzusetzen, als der alte Burgwart mit wichtiger Miene hereintrat. "Es sind zwei Kraemer vor der Burg", meldete er, "und begehren Einlass." "Sie sind's, sie sind's", riefen in einem Augenblick der Geaechtete und Lichtenstein. "Fuehr sie herauf." Der alte Diener entfernte sich. Eine bange Minute folgte dieser Meldung, Alle schwiegen, der Ritter von Lichtenstein schien mit seinen feurigen Augen die Tuere durchbohren, der Geaechtete seine Unruhe verbergen zu wollen, aber die schnelle Roete und Blaesse, die auf seinen ausdrucksvollen Zuegen wechselte, zeigten, wie die Erwartung dessen, was er hoeren werde, sein ganzes Wesen in Aufruhr brachte. Endlich vernahm man Schritte auf der Treppe, sie naeherten sich dem Gemach. Der gewaltige Mann zitterte, dass er sich am Tisch halten musste, seine Brust war vorgebeugt, sein Auge hing starr an der Tuer, als wolle er in den Mienen des Kommenden sogleich Glueck oder Unglueck lesen--jetzt ging die Tuer auf. Kapitel 25 Auch Georg hatte erwartungsvoll hingesehen. Er musterte mit schnellem Blick die Eintretenden, in dem einen erkannte er sogleich den Pfeifer von Hardt, der andere war--jener Kraemer, den er in der Herberge von Pfullingen gesehen hatte. Der letztere warf einen Pack, den er auf dem Ruecken getragen ab, riss das Pflaster weg, womit er ein Auge bedeckt hatte, richtete sich aus seiner gebueckten Stellung auf, und stand nun als ein untersetzter, stark gebauter Mann mit offenen kraeftigen Zuegen vor ihnen. "Marx Stumpf!" rief der Geaechtete mit dumpfer Stimme. "Wozu diese finstere Stirne? Du bringst Uns gute Botschaft, nicht wahr; sie wollen Uns das Pfoertchen oeffnen sie wollen mit Uns aushalten bis auf den letzten Mann?" Marx Stumpf von Schweinsberg warf einen bekuemmerten Blick auf ihn "Macht Euch auf Schlimmes gefasst, Herr!" sagte er. "Die Botschaft ist nicht gut, die ich bringe." "Wie", entgegnete jener, indem die Roete des Zornes ueber seine Wangen flog und die Ader auf seiner Stirn sich zu heben begann "Wie, Du sagst sie zaudern, sie schwanken? Es ist nicht moeglich, sieh Dich wohl vor; dass Du nichts Uebereiltes sagst; es ist der Adel des Landes, von dem Du sprichst." "Und dennoch sage ich es", antwortete Schweinsberg, indem er einen Schritt weiter vortrat, "im Angesicht vor Kaiser und Reich will ich es sagen, sie sind Verraeter." "Du luegst!" schrie der Vertriebene mit schrecklicher Stimme. "Verraeter, sagst Du? Du luegst. Wie wagst Du es, vierzig Ritter ihrer Ehre zu berauben? Ha! Gestehe, Du luegst." "Wollte Gott, ich allein waere ein Ritter ohne Ehre, ein Hund, der seinen Herrn verlaesst. Aber alle vierzig haben ihren Eid gebrochen, Ihr habt Euer Land verloren Herr Herzog, Tuebingen ist ueber!" Der Mann, dem diese Rede galt, sank auf einen Stuhl am Fenster; er bedeckte sein Gesicht mit den Haenden Seine Brust hob und senkte sich, als suche sie vergeblich nach Atem. Die Blicke aller hingen geruehrt und schmerzlich an ihm, vor allem Georgs; denn wie ein Blitz hatte der Name des Herzogs das Dunkel erhellt, in welchem ihm bisher dieser Mann erschienen war. Er war es selbst, es war Ulrich von Wuerttemberg! In einem schnellen Flug zog es an seiner Seele vorueber, wie er diesen Gewaltigen zuerst getroffen, wie er ihn tief in der Erde Schoss besucht, welche Worte jener zu ihm gesprochen wie sein ganzes Wesen ihn schon damals ueberrascht und angezogen hatte; es war ihm unbegreiflich, dass er nicht laengst schon von selbst auf diese Entdeckung gekommen war. Eine geraume Weile wagte niemand das Schweigen zu brechen. Man hoerte nur die tiefen Atemzuege des Herzogs und das Winseln seines treuen Hundes, der sein Unglueck zu kennen und zu teilen schien. Endlich winkte Lichtenstein dem Ritter von Schweinsberg, sie traten zu Ulrich, sie fassten sein Gewand und schienen ihn erwecken zu wollen; er blieb unbeweglich und stumm. Marie hatte weinend in der Ferne gestanden, sie nahte sich jetzt mit unsicheren, zagenden Schritten, sie legte ihre schoene Hand auf seine Schulter, sie blickte ihn bange an, sie fasste sich endlich ein Herz und fluesterte; "Herr Herzog! Hier ist noch gut Wuerttemberg alleweg!" Ein tiefer Seufzer loeste sich aus seiner gepressten Brust, aber seine Haende drueckten sich fester auf die Augen, er sah nicht auf. Jetzt nahte auch Georg. Unwillkuerlich kam ihm der heldenmuetige Ausdruck dieses Mannes in die Seele, jene gebietende Erhabenheit, die er ihm, als er ihn zum ersten Male gesehen gezeigt hatte; jedes Wort, das er damals gesprochen, kehrte wieder, und der junge Mann wagte es, zu ihm zu sprechen. "Warum so kleinmuetig, Mann ohne Namen! Si fractus illabator orbis, impavitum ferient ruinae!" Wie ein Zauber wirkten diese Worte auf Ulrich von Wuerttemberg. Sei es dieser Wahlspruch, sei es jene Mischung von Seelengroesse, Trotz und wahrer Erhabenheit ueber das Unglueck, was ihm bei seinen Zeitgenossen den Namen des "Unerschrockenen" erwarb--er zeigte sich von diesem Augenblick an seines Namens wuerdig. "Das war das rechte Wort, mein junger Freund", sprach er zur Bewunderung aller mit fester Stimme, indem er seine Haende sinken liess, sein Haupt stolzer aufrichtete und das alte, kriegerische Feuer aus seinen Augen loderte, "das war das rechte Wort. Ich danke Dir; dass Du mir es zugerufen. Tretet vor, Marx Stumpf, Ritter von Schweinsberg, und berichtet mir ueber Eure Sendung. Doch reiche mir zuvor einen Becher, Marie!" "Es war letzten Donnerstag, dass ich Euch verliess", hob der Ritter an; "Hans steckte mich in diese Kleidung und zeigte mir, wie ich mich zu benehmen haette. In Pfullingen kehrte ich ein, um zu probieren, ob man mich nicht kenne, aber die Wirtin gab mir so gleichgueltig einen Schoppen, als habe sie den Ritter Stumpf in ihrem Leben nicht gesehen, und ein Ratsherr, den ich noch vor acht Tagen tuechtig ausgescholten hatte, trank mit mir, als haette ich zeitlebens den Kram auf dem Ruecken getragen. Der junge Herr dort war auch in der Schenke." Der Herzog schien sich an dieser Erzaehlung zu zerstreuen; munterer, als man bei so grossem Unglueck haette denken sollen fragte er: "Nun Georg, Du hast ihn gesehen; sah er so recht aus, wie ein schaebiger, filziger Kraemer? Wie?" "Ich denke, er hat seine Rolle gut gespielt", antwortete der junge Mann laechelnd. "Von Pfullingen zog ich abends noch fuerbass bis nach Reutlingen. Dort war in der Weinstube ein ganzer Trieb Buendischer. Augsburger, Nuernberger, Ulmer, alle moeglichen Staedter, und jubilierten mit den Reutlingern, dass man die Hirschgeweihe wieder von ihren Wappen genommen, die Ihr ihnen aufgesetzt habt. Sie schimpften und sangen Spottlieder ueber Euch, die bewiesen, wie sehr sie Euch noch immer fuerchteten. Am Karfreitag frueh ging ich nach Tuebingen, das Herz pochte mir, als ich das Burgholz herunterkam und das schoene Neckartal vor meine Blicken lag, und die festen Tuerme und Zinnen von Tuebingen vom Berg herueberragten." Der Herzog presste die Lippen zusammen wandte sich ab und sah hinaus ins Weite. Der von Schweinsberg hielt inne und blickte teilnehmend auf seinen Herrn doch jener winkte ihm, fortzufahren. "Ich stieg hinab ins Tal und wanderte weiter nach Tuebingen. Die Stadt war schon seit vielen Tagen von den Buendischen besetzt, und nur wenige Truppen standen mehr im Lager, das sie ueber dem Ammertal auf dem Berg geschlagen hatten. Ich beschloss, mich in die Stadt zu schleichen und hinzuhorchen, wie es mit dem Schloss stehe, ehe denn ich auf dem geheimen Weg zur Besatzung ginge. Ihr kennt die Herberge in der obern Stadt, nicht weit von der St.-Georgen-Kirche; dort trat ich ein und setzte mich zum Wein. Die buendischen Ritter, so erfuhr ich unterwegs, kehrten oft dort ein, daher schien mir dies der beste Platz zu meinem Zweck." "Ihr wagtet viel", unterbrach ihn Herr von Lichtenstein, "wie leicht konnten Leute da sein; die Euch abkaufen wollten; und da waere der Kraemer bald entdeckt gewesen!" "Ihr vergesst, dass es Freitag war", entgegnete jener; "ich hatte also guten Grund, mein Buendel nicht auszupacken und anzupreisen nach Kraemersitte. Doch so leicht waere ich wohl nicht entdeckt worden; habe ich doch an Georg von Frondsberg ein Buechslein mit Wundbalsam verkauft! Weiss Gott, ich haette lieber mit ihm gestritten, dass er es gleich haette brauchen koennen.--Es war noch das Hochamt in der Kirche; daher war niemand in der Herberge; vom Wirt aber erfuhr ich, dass die Ritter im Schloss einen Waffenstillstand bis Ostermontag frueh gemacht haetten. Als die Kirche aus war, kamen richtig, wie ich mir gedacht hatte, viele Ritter und Herren in die Herberge zum Fruehtrunk. Ich setzte mich in einen Winkel auf die Ofenbank, wie es armen Leuten geziemt in Gegenwart so grosser Herren." "Wen sahst Du dort?" fragte der Herzog. "Ich kannte einige, andere erriet ich aus dem Gespraech, das sie fuehrten. Es war Frondsberg, Alban von Closen, die Huttischen, Sickingen und noch viele; bald trat auch der Truchsess von Waldburg ein. Ich zog die Kappe tiefer ins Gesicht, als ich ihn sah, denn er wird noch nicht vergessen haben, wie ich ihn vor fuenfzehn Jahren im Lanzenstechen zu Nuernberg von der Maehre warf." "Saht Ihr nicht auch den Hauptmann Hans von Breitenstein?" unterbrach ihn Georg. "Breitenstein? Dass ich nicht wuesste, doch ja, so hiess wohl jener; der den Hammelschlegel auf einen Sitz verzehrte. Jetzt fingen sie an; von der Belagerung zu reden und vom Waffenstillstand. Sie sprachen hin und her; oft fluesterten sie auch untereinander; doch ich habe gute Ohren und vernahm, was mir nicht lieb war. Der Truchsess naemlich erzaehlte, dass er einen Pfeil in die Burg habe schiessen lassen mit einem Brieflein an Ludwig von Stadion. Es muss dies schon mehrere Male geschehen sein, denn die Ritter verwunderten sich nicht, als er weiter fortfuhr und sagte, wie er auf demselben Weg eine Antwort erhalten habe." Des Georgs Stirn verfinsterte sich. "Ludwig von Stadion!" rief er schmerzlich. "Ich haette Haeuser auf ihn gebaut! Er war mir so lieb, ich tat ihm alles, was ich ihm an den Augen ansehen konnte--er hat mich zuerst verraten?" "Im Brieflein stand, dass er, der Stadion, und noch zwoelf andere der Fehde muede, auch schon halb und halb willens seien; sich zu ergeben; Georg von Hewen aber habe ihnen abgeraten" "Um den hab' ich's nicht verdient", sagte Ulrich, "ich war ihm gram, weil er mich oft getadelt hat, wenn ich nicht nach seinem Sinn tat. Wie man sich irren kann in den Menschen! Haette man mich gefragt, wer mich verraten wuerde und wer dagegen spreche, ich haette hier den Stadion, dort vielleicht Georg von Hewen genannt!" "Im Brieflein stand auch noch weiter, dass Euer Durchlaucht vielleicht Entsatz bringen, oder, wenn dies nicht moeglich, auf geheimen Wegen in die Burg sich begeben wollten. Die Buendischen sprachen mancherlei hierueber. Sie waren aber darin einig, dass man die Besatzung zu einem Vergleich bringen muesse, ehe Ihr heranruecktet, oder gar ins Schloss kaemet. Denn dann, meinten sie, koennten sie noch lange belagern muessen. Wie ich nun dies alles hoerte, schien es mir nicht geraten, durch den geheimen Weg geradezu in die Burg zu gehen und mich zu entdecken; denn wie leicht konnte Stadion schon die Oberhand gewonnen haben, und dann war ich verraten. Ich beschloss, den Tag noch zu warten; hoerte ich bis Samstag frueh nichts Schlimmeres ueber die Besatzung, so wollte ich ins Schloss dringen und Ew. Durchlaucht Schreiben uebergeben. Ich streifte im Lager und in der Stadt umher, und niemand hielt mich an; auch suchte ich mich immer in der Naehe der Obersten zu halten; so kam der Nachmittag." "Das war noch Freitag, an dem Fest?" fragte Lichtenstein "Am heiligen Freitag war's. Nachmittags um drei Uhr ritt Georg von Frondsberg mit etlichen andern Hauptleuten vor die Stadtpforte am Schloss und schrie hinauf, ob sie im Schlosse bauen? Ich stand nicht weit davon und sah, wie Stadion auf den Wall kam und antwortete: 'Nein; denn es waere wider den Pakt des Stillstandes; aber ich sehe, dass Ihr im Feld baut.' Georg von Frondsberg rief: 'So es geschehen, ist es ohne meinen Befehl geschehen; wer bist Du?' Da antwortete der im Schloss: 'Ich bin Ludwig von Stadion.' Darauf laechelte der Buendische und strich sich den Bart. 'Ist's also, wie Du sagst', rief er, 'so will ich's wenden', ritt zu ein paar Schanzkoerben und warf sie um. Dann rief er dem Stadion zu, mit einigen Rittern herabzukommen, um miteinander einen Trunk zu tun." "Und sie kamen?" rief der Herzog, "Die Ehrvergessenen kamen?" "Auf dem Schlossberg vor dem aeussersten Graben ist ein Platz, dort sieht man weit ins Land; hinab ins Neckartal, hinauf die Steinlach, hinueber an die Alb und Zollern, und viele Burgen schmuecken die Aussicht. Dorthin liessen sie einen Tisch bringen und Baenke, und die Bundesobersten setzten sich zum Wein. Dann ging das Tor von Hohen-Tuebingen auf, die Bruecke fiel ueber den Graben; und Ludwig von Stadion mit noch sechs anderen kamen ueber die Bruecke; sie brachten Eure silbernen Deckelkruege, sie brachten Eure goldenen Becher und Euren alten Wein, sie gruessten die Feinde mit Gruss und Handschlag und setzten sich, besprachen sich mit ihnen beim kuehlen Wein." "Der Teufel gesegne es ihnen allen!" unterbrach ihn der Ritter von Lichtenstein und schuettete seinen Becher aus. Der Herzog aber laechelte schmerzlich und gab Marx Stumpf einen Wink fortzufahren. "So taten sie sich guetlich bis in die Nacht und zechten, bis sie rote Koepfe bekamen und taumelten; ich stand nicht fern, und keine ihrer verraeterischen Reden entging mir. Als sie aufbrachen nahm der Truchsess den Stadion bei der Hand: 'Herr Bruder', sagte er, 'in Eurem Keller ist ein guter Wein; lasst uns bald ein, dass wir ihn trinken.' Jener aber lachte darueber, schuettelte ihm die Hand und sagte: 'Kommt Zeit, kommt Rat.' Wie ich nun sah, dass die Sachen so stehen; beschloss ich mit Gott, mein Leben dranzusetzen und in die Burg zu den Verraetern zu gehen. Ich ging hinaus bis in die Grafenhalde, wo der kleinere unterirdische Gang beginnt. Ungesehen stieg ich hinab und drang bis in die Mitte. Dort hatten sie das Fallgatter herabgelassen und einen Knecht hingestellt, er legte an auf mich, als er mich durch die Finsternis kommen hoerte, und fragte mich nach der Losung. Ich sprach, wie Ihr befohlen, das Losungswort eures tapfern Ahnherrn, Eberhards im Bart: 'Atempto'; der Kerl machte grosse Augen, zog aber das Gatter auf und liess mich durch. Jetzt ging ich schnellen Schrittes weiter vor und kam im Keller heraus. Ich schoepfte einige Augenblicke Luft, denn der Atem war mir schier ausgeblieben in dem engen Gang." "Armer Marx! geh, trink einen Becher, das Reden wird Dir schwer", sagte Ulrich. Willig befolgte jener das guetige Geheiss seines Fuersten und sprach dann mit frischer Stimme weiter: "Im Keller hoerte ich viele Stimmen, und es war mir; als zankte man sich. Ich ging den Stimmen nach und sah eine ganze Schar der Besatzung vor dem grossen Fass sitzen und trinken. Es waren einige von Stadions Partei, und Hewen und mehrere der Seinigen. Sie hatten Lampen aufgestellt und grosse Humpen vor sich, es sah schauderlich aus, fast wie das Fehmgericht. Ich barg mich in ihrer Naehe hinter ein Fass und hoerte, was sie sprachen. Georg von Hewen sprach mit ruehrenden Worten zu ihnen und stellte ihnen ihre Untreue vor; er sagte, wie sie ja gar nicht noetig haetten sich zu ergeben, wie sie auf lange mit Vorraeten versehen seien, wie Euer Durchlaucht ein Heer sammeln wuerden, Tuebingen zu entsetzen, wie doch eher die Belagerer in Not kaemen als sie." "Ha! Wackerer Hewen; und was gaben sie zur Antwort?" "Sie lachten und tranken. 'Da hat es gute Weile, bis der ein Heer sammelt! Wo das Geld hernehmen und nicht stehlen?' fragte einer. Hewen aber fuhr fort und sagte: Wenn es auch nicht so bald moeglich sei, so muessten sie sich doch halten bis auf den letzten Mann; wie sie Euch zugeschworen, sonst handelten sie als Verraeter an ihrem Herrn. Da lachten sie wieder und tranken und sagten: 'Wer will auftreten und uns Verraeter nennen?' Da rief ich hinter meinem Fass hervor: 'Ich, Ihr Buben; Ihr seid Verraeter am Herzog und am Land!' Alle waren erschrocken, der Stadion liess seinen Becher fallen, ich aber trat hervor, nahm meine Kappe ab und den falschen Bart, stellte mich hin und zog Euern Brief aus dem Wams. 'Hier ist ein Brief von Eurem Herzog', sagte ich, 'er will, Ihr sollt Euch nicht uebergeben sondern zu ihm halten; er selbst will kommen und mit Euch siegen oder in diesen Mauern sterben'." "Oh, Tuebingen!" sagte der Herzog mit Seufzen, "wie toericht war ich, dass ich dich verliess! Zwei Finger meiner Linken gaebe ich um dich; was sage ich, zwei Finger? Die Rechte liesse ich mir abhauen; koennte ich dich damit erkaufen! Und mit der Linken wollte ich dem Bund den Weg zeigen! Und gaben sie nichts, gar nichts auf meine Worte?" "Die Falschen sahen mich finster an und schienen nicht recht zu wissen, was sie tun sollten. Hewen aber ermahnte sie nochmals. Da sagte Ludwig von Stadion, ich kaeme schon zu spaet. Achtundzwanzig der Ritterschaft wollten sich der Fehde mit dem Bund begeben und den Herzog solche allein ausmachen lassen. Komme er wieder mit Heeresmacht ins Land, so wollten sie getreulich zu ihm stehen, aber aufs Ungewisse wollten sie den Krieg nicht fortfuehren; denn ihre Burgen und Gueter wuerden so lange beschaedigt und gebrandschatzt, bis sie nicht mehr gegen den Bund dienten. Ich verlange nun; sie sollten mich hinauffuehren in den Rittersaal, ich wolle versuchen, ob nicht Maenner da seien, das Schloss zu halten, ich zaehlte auf, wen ich noch fuer treu hielte, die Nippenburg, die Gueltlingen die Ow, die beiden Berlichingen; die Westerstetten, die Eltershofen, Schilling, Reischach, Woelwart, Kaltental, der von Hewen aber schuettelte den Kopf und sagte, ich haette mich in manchem geirrt." "Und Stammheim, Thierberg, Westerstetten, meine Getreuen, hast Du sie nicht gesehen?" "Oh ja, sie sassen im Keller beim Stadion und tranken Euern Wein. Hinauf wollten sie mich aber nicht lassen. Selbst Hewen, selbst Freiberg und Heideck, die mit ihm waren, rieten ab, sie sagten; die zwei Parteien seien ohnedies schon schwierig gegeneinander, der Stadion habe die Mehrzahl fuer sich und auch den groessten Teil der Knechte. Wenn ich hinaufgehe, komme es im Schlosshof und im Rittersaal zum Kampf, und es bleibe ihnen als den Geringeren; nichts uebrig, als zu sterben. So gerne sie nun auch fuer Euch den letzten Blutstropfen aufwaenden, so wollten sie doch lieber in der Feldschlacht gegen den Feind fallen als von ihren Landsleuten und Waffenbruedern totgeschlagen werden. Da blieb mir nichts uebrig, als sie zu bitten, sie moechten sich des Prinzen Christoph und Eures zarten Toechterleins annehmen und ihnen das Schloss bei der Uebergabe erhalten. Einige sagten zu, andere schwiegen und zuckten die Achseln, ich aber gab den Verraetern meinen Fluch als Christ und Ritter, sagte fuenf von ihnen auf und lud sie zum Kampf auf Leben und Tod, wenn der Krieg zu Ende sei, dann wandte ich mich und ging auf demselben Weg aus der Burg, wie ich gekommen war." "Herrgott im Himmel! Haette ich dies fuer moeglich gehalten!" rief Lichtenstein "Zweiundvierzig Ritter, zweihundert Knechte, eine feste Burg, und sie doch verraten! Unser guter Name ist beschimpft; noch in spaeten Zeiten wird man von unserem Adel sprechen und wie sie ihr Fuerstenhaus im Stich gelassen; das Sprichwort: 'Treu und ehrlich wie ein Wuerttemberger', ist zum Hohn geworden!" "Wohl konnte man einst sagen, 'treu wie ein Wuerttemberger'", sprach Herzog Ulrich, und eine Traene fiel in seinen Bart. "Als mein Ahnherr Eberhard einst hinabritt gen Worms und mit den Kurfuersten, Grafen und Herren zu Tisch sass, da sprachen und ruehmten sie viel vom Vorzug ihrer Laender. Der eine ruehmte seinen Wein; der andere sprach von seiner Frucht, der dritte gar von seinem Wild, der vierte grub Eisen in seinen Bergen. Da kam es auch an Eberhard im Bart. 'Von Euren Schaetzen weiss ich nichts aufzuweisen', sagte er, 'doch gehe ich abends durch den dunkelsten Wald und komm' ich nachts durch die Berge und bin mued und matt, so ist ein treuer Wuerttemberger bald zur Hand, ich gruesse ihn und leg' mich in seinen Schoss und schlafe ruhig ein.' Des wunderten sich alle und staunten und riefen. 'Graf Eberhard hat recht', und liessen treue Wuerttemberger leben. Geht jetzt der Herzog durch den Wald, so kommen sie und schlagen ihn tot, und leg' ich meine Treuen in die Burgen kaum wende ich den Ruecken; so handeln sie mit dem Feind. Die Treue soll der Kuckuck holen;--doch fahre fort, gib mir den Kelch bis auf die Hefe, ich bin der Mann dazu, ohne Furcht den Grund zu sehen" "Nun; dass ich's kurz sage, ich hielt mich noch in Tuebingen auf, bis ich wegen der Uebergabe Gewissheit bekaeme. Gestern, am Ostermontag, sind sie zusammengekommen; sie haben die Pakte schriftlich aufgesetzt und nachher durch den Herold auf den Strassen ausrufen lassen; um fuenf Uhr abends haben sie das Schloss uebergeben. Ihr seid der Regierung foermlich entsetzt. Prinz Christoph, Euer Soehnlein, behaelt Schloss und Amt Tuebingen, doch zu des Bundes Dienst und unter seiner Obervormundschaft, und in das uebrige, heisst es, werden sich die Herren teilen. Ich habe viel Jammer erfahren in meinem Leben, ich habe einen Freund im Lanzenstechen umgebracht, ein liebes Kind ist mir gestorben und mein Haus abgebrannt, aber, so wahr mir Gott gnaedig sei und seine Heiligen, mein Schmerz war nie so gross wie in jener Stunde, wo ich des Bundes Farben neben Euer Durchlaucht Panieren aufpflanzen, als ich ihr rotes Kreuz Wuerttembergs Geweihe und den Helm mit dem Jagdhorn bedecken sah." So sprach Marx Stumpf von Schweinsberg. Die Sonne war waehrend seiner Erzaehlung voellig heraufgekommen auch an den aeussersten Bergen war der Nebel gefallen, und was um die fernen Hoehlen von Asperg zog, war ein Duft, der wie ein zarter Schleier vom Horizont herabhing und die Gegenden, ueber welche er sich breitete, nur in noch reizenderem Licht durchschimmern liess. Auch in diesen schrecklichen Momenten, wo mit der letzten festen Burg seine letzte Hoffnung gefallen war; verschloss der Herzog einen grossen Schmerz in der tapferen Brust. Ein Gefuehl der Reue war es, das drueckend auf der Brust Ulrichs von Wuerttemberg lag, als er auf sein Land hinabschaute, das auf ewig fuer ihn verloren schien. Seine edlere Natur, die er oft im Gewuehl eines praechtigen Hofes und betaeubt von den Einfluesterungen falscher Freunde verleugnet hatte, trauerte mit ihm, und es war nicht sein Unglueck allein, was ihn beschaeftigte, sondern auch der Jammer des okkupierten Landes. Als er sich daher nach geraumer Zeit von dem Anblick in die Ferne zu seinen Freunden wandte, staunten sie ueber den Ausdruck seiner Zuege. Sie hatten erwartet, Zorn und Grimm ueber den Verrat seiner Edlen auf seiner Stirn, in seinen Augen zu lesen, aber es war eine tiefe Ruehrung, ein stiller, grosser Schmerz, was seinen Mienen einen Ausdruck von Milde gab, den sie nie an ihm gekannt hatten. "Marx! Wie verfahren sie gegen das Landvolk?" fragte er. "Wie Raeuber", antwortete dieser, "sie verwuesten ohne Not die Weinberge, sie hauen die Obstbaeume nieder und verbrennen sie am Nachtfeuer; Sickingens Reiter traben durch das Saatfeld und treten nieder, was die Pferde nicht fressen. Sie misshandeln die Weiher und pressen den Maennern das Geld ab. Schon jetzt murrt das Volk allerorten, und lasst erst den Sommer kommen und den Herbst! Wenn aus den zerstampften Fluren kein Korn aufgeht, wenn auf den verwuesteten Bergen keine Weinbeere waechst, wenn sie erst noch die ungeheure Kriegssteuer, die der Bundesrat umlegen wird, bezahlen muessen--da wird das Elend erst recht angehen." "Die Buben", rief der Herzog, und ein edler Zorn spruehte aus seinen Augen, "sie ruehmten sich mit grossen Worten, sie kaemen, um Wuerttemberg von seinem Tyrannen zu befreien; es zu entheben aller Not. Und sie hausen im Land wie im Tuerkenkrieg. Aber ich schwoere es, so mir Gott eine froehliche Urstaend gebe und seine Heiligen gnaedig sein wollen meiner Seele, wenn keine Saat aufgeht in den verwuesteten Taelern des Neckars und auf seinen Hoehen keine Traube reift, ich will kommen mit schrecklichen Winzern, will sie treten und keltern und ihr Blut verzapfen. Ich will raechen, was sie an mir und meinem Land getan so mir der Herr helfe." "Amen!" sprach der Ritter von Lichtenstein. "Aber ehe Ihr hereinkommt, muesst Ihr auf gute Art aus dem Land hinaus. Es ist keine Zeit zu verlieren, wenn Ihr ungefaehrdet entkommen wollt." Der Herzog sann eine Weile nach und antwortete dann: "Ihr habt recht, ich will nach Moempelgard. Von dort aus will ich sehen, ob ich so viel Mannschaft an mich ziehen kann, um einen Einfall in das Land zu wagen. Komm her, du getreuer Hund, du wirst mir folgen ins Elend der Verbannung, Du weisst nicht, was es heisst, die Treue brechen und den Eid vergessen." "Hier steht noch einer, der dies auch nicht kennt", sagte Schweinsberg und trat naeher zum Herzog, "Ich will mit Euch ziehen nach Moempelgard, wenn Ihr meine Begleitung nicht verschmaeht." Aus den Augen des alten Lichtenstein blitzte ein kriegerisches Feuer. "Nehmt mich mit Euch, Herr!" sagte er. "Meine Knochen taugen freilich nicht mehr viel, aber meine Stimme ist noch vernehmlich im Rat." Marie sah mit leuchtenden Blicken auf den Geliebten. Ueber die Wangen Georgs von Sturmfeder zog ein gluehendes Rot, sein Auge leuchtete vom Mut der Begeisterung. "Herr Herzog!" sagte er. "Ich habe Euch meinen Beistand angetragen in jener Hoehle, als ich nicht wusste, wer Ihr waret, Ihr habt ihn nicht verschmaeht. Meine Stimme gilt nicht viel im Rat, aber koennt Ihr ein Herz brauchen, das recht treu fuer Euch schlaegt, ein Auge, das fuer Euch wacht, wenn Ihr schlaft, und einen Arm, der die Feinde von Euch abwehrt, so nehmt mich auf und lasst mich mit Euch ziehen." Alle jene Empfindungen, die ihn zu dem Mann ohne Namen gezogen hatten, loderten in dem Juengling auf, sein Unglueck und die erhabene Art, wie er es trug, vielleicht auch jener aufmunternde Blick der Geliebten, erhoehten diese Flammen zur Begeisterung und zogen ihn zu den Fuessen des Herzogs ohne Land. Der alte Herr von Lichtenstein blickte mit stolzer Freude auf seinen jungen Gast, geruehrt sah ihn der Herzog an und bot ihm seine Hand, hob ihn auf von den Knien und kuesste ihn auf die Stirn. "Wo solche Herzen fuer Uns schlagen", sagte er, "da haben Wir noch feste Burgen und Waelle, und sind noch nicht arm zu nennen. Du bist mir lieb und wert, Georg von Sturmfeder, Du wirst mich begleiten mit Freuden nehme ich Deine treuen Dienste an. Marx Stumpf von Schweinsberg, Dich brauche ich zu wichtigerem Geschaeft, als meinen Leib zu decken. Ich werde Dir Auftraege geben nach Hohentwiel und der Schweiz. Eure Begleitung, guter Lichtenstein, kann ich nicht annehmen. Ich ehre Euch wie einen Vater, Ihr habt treu an mir gehandelt, Ihr habt mir allnaechtlich Eure Burg geoeffnet; ich will's vergelten. Wenn ich mit Gottes Hilfe wieder ins Land komme, soll Eure Stimme die erste sein in meinem Rat." Sein Auge fiel auf den Pfeifer von Hardt, der demuetig in der Ferne stand. "Komm her, Du getreuer Mann!" rief er ihm zu und reichte ihm seine Rechte. "Du hast Dich einst schwer an Uns verschuldet, aber Du hast treu abgebuesst, was Du gefehlt." "Ein Leben ist nicht so schnell vergolten", sagte der Bauer, indem er duester zu Boden blickte, "noch bin ich in Eurer Schuld, aber ich will sie zahlen." "Geh heim in Deine Huette, so ist mein Wille. Treibe Deine Geschaefte wie zuvor, vielleicht kannst Du uns treue Maenner sammeln, wenn wir wieder ins Land kommen. Und Ihr, Fraeulein! Wie kann ich Eure Dienste lohnen? Seit vielen Naechten habt Ihr den Schlaf geflohen um mir die Tuer zu oeffnen und mich vor Verrat zu sichern! Erroetet nicht so, als haettet Ihr eine grosse Schuld zu gestehen. Jetzt ist es Zeit, zu handeln, Alter Herr", wandte er sich zu Mariens Vater. "Ich erscheine als Brautwerber vor Euch, Ihr werdet den Eidam nicht verschmaehen, den ich Euch zufuehre." "Wie soll ich Eure Rede verstehen, gnaedigster Herr?" sagte der Ritter, indem er verwundert auf seine Tochter sah. Der Herzog ergriff Georgs Hand und fuehrte ihn zu jenem. "Dieser liebt Eure Tochter, und das Fraeulein ist ihm nicht abhold, wie waere es, alter Herr, wenn Ihr ein Paerlein aus ihnen machtet? Zieht nicht die Stirn so finster zusammen, es ist ein ebenbuertiger Herr, ein tapferer Kaempe, dessen Arm ich selbst versuchte, und jetzt mein treuer Geselle in der Not." Marie schlug die Augen nieder; auf ihren Wangen wechselte hohe Roete mit Blaesse, sie zitterte vor dem Ausspruch des Vaters. Dieser sah sehr ernst auf den jungen Mann "Georg", sagte er, "ich habe Freude an Euch gehabt seit der ersten Stunde, dass ich Euch sah. Sie moechte uebrigens nicht so gross gewesen sein; haette ich gewusst, was Euch in mein Haus fuehrte." Georg wollte sich entschuldigen, der Herzog aber fiel ihm in die Rede: "Ihr vergesst, dass ich es war, der ihn zu Euch schickte mit Brief und Siegel, er kam ja nicht von selbst zu Euch; doch was besinnt Ihr Euch so lange? Ich will ihn ausstatten wie meinen Sohn; ich will ihn belohnen mit Guetern, dass Ihr stolz sein sollt auf einen solchen Schwiegersohn," "Gebt Euch keine Muehe weiter, Herr Herzog", sagte der junge Mann gereizt, als der Alte noch immer unschluessig schien. "Es soll nicht von mir heissen, ich habe mir ein Weib erbettelt und mich ihrem Vater aufdraengen wollen. Dazu ist mein Name zu gut." Er wollte im Unmut das Zimmer verlassen, der Ritter von Lichtenstein aber fasste seine Hand: "Trotzkopf!" rief er, "wer wird denn gleich so aufbrausen? Da, nimm sie, sie sei Dein, aber--denke nicht daran, sie heimzufuehren, solange ein fremdes Banner auf den Tuermen von Stuttgart weht. Sei dem Herrn Herzog treu, hilf ihm wieder ins Land zu kommen, und wenn Du treulich aushaeltst: Am Tag, wo Ihr in Stuttgarts Tore einzieht, wo Wuerttemberg seine Fahnen wieder aufgepflanzt und seine Farben von den Zinnen wehen, will ich Dir mein Toechterlein bringen und Du sollst mir ein lieber Sohn sein!" "Und an jenem Tag", sprach der Herzog, "wird das Braeutchen noch viel schoener erroeten, wenn die Glocken vom Turme toenen und die Hochzeit in die Kirche zieht! Dann werde ich zum Braeutigam treten und zum Lohn fordern, was mir gebuehrt. Da, guter Junge, gib ihr den Brautkuss; es ist zu vermuten, dass es nicht der erste ist, herze sie noch einmal, und dann gehoerst Du mir bis an den froehlichen Tag, wo wir in Stuttgart einziehen. Lasst uns trinken, Ihr Herren auf die Gesundheit des Brautpaars!" Auf Mariens holden Zuegen stieg ein Laecheln auf und kaempfte mit den Traenen die noch immer aus den schoenen Augen perlten. Sie goss die Becher voll und kredenzte den ersten dem Herzog mit so dankbaren Blicken, mit so lieblicher Anmut, dass er Georg gluecklich pries und sich gestehen musste, manch anderer moechte um solchen Preis selbst sein Leben wagen. Die Maenner ergriffen ihre Becher und erwarteten, dass ihnen der Herzog einen guten Spruch dazu sagen werde nach seiner Weise. Aber Ulrich von Wuerttemberg warf einen langen Abschiedsblick auf das schoene Land, von dem er scheiden musste, einen Augenblick wollte sich eine Traene in seinem Auge bilden, er wandte sich kraeftig ab. "Ich habe hinter mich geworfen", sagte er, "was mir einst teuer war; ich werde es wiedersehen in besseren Tagen. Doch hier in diesen Herzen besitze ich noch Laender. Beklagt mich nicht, sondern seid getrosten Mutes, wo der Herzog ist und seine Treuen: _Hie gut Wuerttemberg alleweg!_" Kapitel 26 Wohl nie so schwuel hat ein Sommer ueber Wuerttemberg gelegen als der des Jahres 1519. Das ganze Land hatte dem Bund gehuldigt und meinte, es werde jetzt Ruhe haben. Aber jetzt erst zeigten die Bundesglieder deutlich, dass es nicht die Wiedereinnahme von Reutlingen gewesen sei, was sie zusammenfuehrte. Sie wollten bezahlt sein, sie wollten Entschaedigung haben fuer ihre Muehe. Die einen wollten, man solle Wuerttemberg unter sie teilen, die andern, man solle es an Oesterreich verkaufen, die dritten wollten es Ulrichs Kindern erhalten, aber unter des Bundes Obervormundschaft. Sie stritten sich um den Besitz des Landes, auf das weder der eine noch der andere gerechte Ansprueche machen konnte. Das Land selbst war in Spaltung und Parteien. Es sollte die Kriegskosten decken, und doch war niemand da, der zahlen wollte. Die Ritterschaft hielt es fuer eine erwuenschte Gelegenheit, sich ganz vom Land loszusagen und sich fuer unabhaengig zu erklaeren. Die Buerger und Bauern waren ausgesogen, ihre Felder waren verwuestet und zertreten, sie sahen nirgends eine Aussicht, sich zu erholen. Die Geistlichkeit wollte auch nicht allein bezahlen, und so war alles in Hader und Streit. Es ging auch vielen tief zu Herzen, dass ihr angeborener Fuerst so schnoede behandelt worden war. Manchen kam jetzt, da der Herzog fern vom Lande seiner Vaeter in Verbannung hauste, Reue und Sehnsucht an. Sie verglichen sein Regiment mit dem jetzigen. Es war nicht besser, wohl aber schlimmer geworden. Aber sie lebten unter zu hartem Zwang, als dass sie ihre Schmerzen haetten offenbaren koennen. Der Regentschaft des Bundes entging diese Unzufriedenheit des Volkes nicht; sie musste, wie sich in alten Berichten findet, "manche seltsame und boese Rede" hoeren. Sie suchte durch geschaerfte Strenge sich Anhaenglichkeit zu erwerben; sie streute Luegen ueber den Herzog aus. Man gebot den Priestern, gegen ihn zu predigen; wer von ihm Gutes rede, sollte gefangen werden, wer ihn heimlich unterstuetze, sollte der Augen beraubt, sogar enthauptet werden. Aber Ulrich hatte noch treue Leute unter dem Landvolk, die ihm auf geheimen Wegen Kunde brachten, wie es in Wuerttemberg stehe. Er sass in seiner Grafschaft Moempelgard und harrte dort mit den Maennern, die ihm ins Unglueck gefolgt waren, auf eine guenstige Gelegenheit, in sein Land zu kommen. Er schrieb an viele Fuersten, er beschwor sie, ihm zu Hilfe zu kommen. Aber keiner nahm sich seiner sehr taetig an. Er schrieb an die zur neuen Kaiserwahl versammelten Kurfuersten, sie halfen nicht. Das einzige, was sie taten, war, dem neuen Kaiser in seiner Kapitulation eine Klausel anzuhaengen, die Wuerttemberg und den Herzog betraf--er hat sie nicht geachtet. Als sich der Herzog von aller Welt so verlassen sah, wankte er dennoch nicht, sondern setzte alles daran, sein Land mit eigener Macht wiederzuerobern. Es waren einige Umstaende, die fuer ihn sehr guenstig schienen Der Bund hatte naemlich, als er Kunde bekam, dass sich niemand des Vertriebenen annehmen wolle, seine Voelker entlassen. Die meisten Staedte und Burgen behielten nur sehr schwache Besatzungen, und selbst in Stuttgart waren nur wenige Faehnlein Knechte gelassen worden. Durch diese Massregel aber hatte sich der Bund einen Feind erworben, den man geringschaetzte, der aber viel zur Aenderung der Dinge beitrug --es waren dies die Landsknechte. Diese Menschen, aus allen Enden und Orten des Reiches zusammengelaufen, boten gewoehnlich dem ihre Hilfe an, der sie am besten zahlte; fuer was und gegen wen sie kaempften, war ihnen gleichgueltig. Um sie zu halten, musste man ihnen vieles nachsehen, und Raub, Mord, Pluenderung, Brandschatzen fuehrten sie auf ihre eigene Faust aus, um sich zu entschaedigen, wenn sie den Sold nicht richtig bekamen. Georg von Frondsberg war der erste gewesen, der sie durch sein Ansehen im Heer, durch taegliche Uebungen und unerbittliche Strenge einigermassen im Zaum hielt. Er hatte sie in regelmaessige Rotten und Faehnlein eingeteilt, er hatte ihnen bestimmte Hauptleute gegeben, er hatte sie gelehrt, geordnet und in Reih und Glied zu fechten. Sie zeigten aber jetzt, dass sie aus einer guten Schule kamen; denn als sie vom Bund entlassen waren, liefen sie nicht, wie frueher, zerstreut durch das Land, um Dienste zu suchen, sondern rotteten sich zusammen, richteten zwoelf Faehnlein auf, erwaehlten aus ihrer Mitte Hauptleute, und selbst einen Obersten in der Person des langen Peters. Sie waren schwierig auf den Bund, naehrten sich von Raub und Brandschatzen im Land, und fuehrten Krieg auf eigene Rechnung. Die Anarchie war in Wuerttemberg so gross, dass ihnen niemand die Spitze bot. Der Bund hatte sich von Streitkraeften entbloesst und war zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschaeftigt, als dass er das arme Land von dieser Bande befreit haette. Die Ritterschaft war uneinig, sie sassen auf den Schloessern und sahen ruhig diesem Treiben zu; die Besatzung der Staedte war zu gering, um ihnen mit Kraft Einhalt zu tun, und Buerger und Bauern sahen sogar diesen Haufen gerne, wenn seine Forderungen nur nicht allzugross waren, denn die Landsknechte schimpften weidlich auf den Bund, dem niemand hold war. Ja es ging sogar die Sage, diese Kriegsmaenner seien nicht abgeneigt, dem Herzog wieder zu seinem Land zu verhelfen. Es war ein schoener Morgen in der Mitte Augusts, als sich diese Leute in einem Wiesental gelagert hatten, das der Grenze von Baden zunaechst gelegen war. Die riesigen schwarzen Tannen und Foehren, die das Tal auf drei Seiten einschlossen, gehoerten noch dem Schwarzwald an, und das Fluesschen, das durch das Tal eilte, war die Wuerm. Halb ueberschattet vom Wald, halb in den Weidenbueschen des Tales versteckt, lag das kleine Heer in wunderlichen Gruppen und pflegte der Ruhe. In der Entfernung von zweihundert Schritten sah man Posten aufgestellt, deren blitzende Lanzen oder rotgluehende Lunten schon von weitem Furcht einjagten. In der Mitte des Tales, im Schatten einer Eiche, sassen fuenf Maenner um einen ausgespannten Mantel, den sie als Tisch gebrauchten, um ein Spiel auf ihm zu spielen, das heute noch den Namen Landsknecht fuehrt. Diese Maenner zeichneten sich vor ihren uebrigen Genossen durch breite rote Binden aus, die sie ueber die Schulter und Brust herabhaengen hatten, sonst aber hatte ihre Bekleidung auch das zerrissene und morsche Aussehen, wie das der uebrigen Soldateska. Einige hatten Sturmhauben auf, andere grosse Filzhuete, mit eisernen Baendern beschlagen, dazu Lederkoller, welche von Regen, Staub und Biwaks alle moeglichen Schattierungen erhalten hatten. Bei naeherem Hinsehen erkannte man uebrigens noch zwei Dinge, durch welche sie sich von ihren Kameraden unterschieden Sie fuehrten naemlich keine Donnerbuechsen oder Spiesse, wie sie die Landsknechte gewoehnlich trugen, sondern Raufdegen von ungemeiner Laenge und Breite. Auch hatten sie, wie es damals die Edelleute und Anfuehrer trugen, auf ihren Hueten und Sturmhauben bunte, wallende Federbuesche aus Hahnenschwaenzen, um sich ein ritterliches Ansehen zu geben. Die fuenf Maenner schienen grosse Geschicklichkeit im Spiel zu besitzen, vorzueglich aber einer, der sich mit dem Ruecken an die Eiche lehnte. Es war dies ein langer wohlbeleibter Mann. Er hatte einen Hut auf, dessen Rand sich wie ein bedeutender Muehlstein um den Kopf zog. Der Hut war mit einer Goldtresse besetzt, auf der Stirnseite war er mit dem goldenen Bild des heiligen Petrus geschmueckt, aus welchem zwei ungeheure rote Hahnenfedern hervorragten. Dieser Mann musste weit in der Welt herumgekommen sein, denn er konnte auf franzoesisch, italienisch, ungarisch fluchen, seinen Bart aber trug er ungarisch, er hatte ihn naemlich mit Pech so zusammengedreht, dass er wie zwei eiserne Stacheln auf beiden Seiten der Nase eine Spanne in die Luft hinausstarrte. "Canto cacramento!" rief dieser grosse Mann mit einem droehnenden Bass, "der kleine Wenzel ist mein Drauf! Ich stech' ihn mit dem Eichelkoenig." "Mein ist er, mit Verlaub", rief sein Nebenmann, "und der Koenig dazu. Da liegt die Eichelsau!" "Mort de ma Vich, zagt der Franzoz; Hauptmann Loeffler, Ihr wollt Eurem Oberst diesen Stich abjagen? Schaemt Euch, schaemt Euch; daz ist ein Rebeller, der das tut. Gott straf mein' Zeel, Ihr wollt mich vom Regiment absetzen?" Der grosse Mann funkelte zu diesen Worten graesslich mit den Augen, schob seinen grossen Hut auf das Ohr, dass seine ueberhaengenden Augenbrauen und eine maechtige rote Narbe auf der Stirn sichtbar wurden, die ihm ein ungemein kriegerisches Ansehen gaben. "Beim Spiel, Herr Oberst Peter, gilt keine Kriegsordnung", antwortete der andere Spieler. "Ihr koennt uns Hauptleuten befehlen, ein Staedtchen zu blockieren und zu brandschatzen, aber beim Spiel ist jeder Landsknecht so gut wie wir." "Ihr zeid ein Meuterer, ein Rebeller gegen die Obrigkeit, Gott straf' mein Zeel', und waere es nicht gegen meine Wuerde, ich wollt Euch in Kochstuecke mazakrieren; aber spielt weiter." "Da liegt ein Dauss"--"Drauf der Quater"--"Den stech' ich mit dem Zinken"--"Schellen--Wenzel, wer sticht den'?--"Ich", sprach der Grosse, "da liegt der Schellenkoenig, Mordblei, der Stich ist mein." "Wie bringst Du den Schellenkoenig rauf?" rief ein kleines, duerres Maennchen mit spitzigem Gesicht und kleinen, giftigen Aeuglein und heiserer Stimme. "Hab' ich nicht gesehen, als Du ausgabst, dass er unten lag? Er hat betrogen der lange Peter hat schaendlich betrogen". "Muckerle, Hauptmann vom achten Faehnlein! Ich rat Euch, haltet Euer Maul", sagte der Oberst. "Bassa manelka, ich versteh keinen Spass. Die Mauz soll den Loewen nicht erzuernen." "Und ich sag's noch einmal; wo haettest Du sonst den Koenig her? Vor dem Papst und dem Koenig von Frankreich will ich's beweisen; Du falscher Spieler!" "Muckerle", erwiderte der Oberst und zog kaltbluetig seinen Degen aus der Scheide, "bete noch ein Ave Maria und ein Gratias, denn ich schlage Dich tot, zo wie daz Spiel auz ist." Die uebrigen drei Maenner wurden durch diese Streitigkeiten aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Sie erklaerten sich fuer den kleinen Hauptmann und gaben nicht undeutlich zu verstehen dass man dem Obersten wohl dergleichen zutrauen koenne. Dieser aber vermass sich hoch und teuer, er habe nicht betrogen. "Wenn der heilige Petruz, mein gnaediger Herr Patron den ich auf dem Hut trage, sprechen koennte, der wuerde mir, zo wahr er ein christlicher Landsknecht war, bezeugen, dass ich nicht betrogen!" "Er hat nicht betrogen", sagte eine tiefe Stimme, die aus dem Baum zu kommen schien. Die Maenner erschraken und schlugen Kreuze wie vor einem boesen Spuk, selbst der tapfere Oberst erbleichte und liess die Karten fallen aber hinter dem Baum trat ein Bauersmann hervor, der mit einem Dolch bewaffnet war und eine Zither an einem ledernen Riemen auf der Schulter haengen hatte. Er sah die Maenner mit unerschrockenen Blicken an und sagte: "Es ist, wie ich sagte, dieser Herr da hat nicht betrogen, er bekam schon beim Ausgeben Schellen- und Eichelkoenig, Fuenfe und Vier von Laub und den Schippenunter in die Hand." "Ha! Du bist ein wackerer Kerl", rief der Oberst vergnuegt, "zo wahr ich ein ehrlicher Landsknecht--will zagen Oberst bin--ez ist all' wahr, waz Du gezagt hast." "Was ist denn das?" rief der kleine Hauptmann Muckerle, mit giftigen Blicken. "Wie hat sich der Bauer daher eingeschlichen ohne dass unsere Wachen ihn meldeten? Das ist ein Spion, man muss ihn haengen." "Zei nicht wunderlich, Muckerle; daz ist kein Spioner, komm', zez Dich zu mir. Bist ein Spielmann, daz Du die Cittara umhaengst, wie ein Spanier, wenn er zu seinem Schaetzerl geht?" "Ja Herr, ich bin ein armer Spielmann. Eure Wachen haben mich nicht angehalten als ich aus dem Wald kam. Ich sah Euch spielen und wagte es, den Herren zuzusehen." Die Hauptleute dieses Freikorps waren nicht gewohnt, so hoeflich mit sich sprechen zu hoeren, daher fassten sie Zuneigung zu dem Spielmann und luden ihn sehr herablassend ein sich zu ihnen zu setzen, denn sie hatten in fremden Kriegsdiensten gelernt, dass grosse Koenige und Feldherren sehr vertraulich mit den Meistern des Gesanges umgehen. Der Oberste tat einen Trunk aus einer zinnernen Flasche, bot sie dem kleinen Hauptmann und sprach mit heiterer Miene: "Muckerle, daz soll mein Tod zein, waz ich getrunken, wenn ich nicht alles vergesse; Hader und Zank haben ein Ende; wir wollen nicht weiterspielen, Ihr Herren! Ich liebe Gezang und Lautenspiel, wie waere ez, wenn wir uns aufspielen liessen?" Die Maenner willigten ein und warfen die Karten zusammen; der Spielmann stimmte seine Zither und fragte, was er singen solle. "Sing ein Lied vom Spiel!" rief Einer. "Weil wir gerade dran sind." Der Spielmann sann ein wenig nach und hub an: "Von dem Zinken, Quater und Ass Kommt mancher in des Teufels Gass, Von Quater, Zinken und von Dreien Muss mancher Waffengo schreien, Von Ass, Sess und Dauss Hat mancher gar ein oedes Haus, Von Quater, Drei und Zinken Muss mancher lauter Wasser trinken, Von Zinken, Drei und Quater Weinen oft Mutter, Kind und Vater, von Zinken, Quater und Sess Muss Jungfrau, Metz und Agnes Oft gar lang' unberaten bleiben, Will er die Laeng' das Spiel betreiben." Der Oberst Peter und die Hauptleute lobten das Lied und reichten dem Spielmann zum Dank die Flasche. "Gott segne es Euch", sagte dieser, indem er die Flasche zurueckgab. "Viel Glueck zu Eurem Zug; Ihr seid wohl Obersten und Hauptleute des Bundes und zieht wieder zu Feld; darf man fragen, gegen wen?" Die Maenner sahen sich an und laechelten, der Oberst aber antwortete ihm: "Ganz unrecht habt Ihr nicht. Wir haben frueher dem Bund gedient, jetzt aber dienen wir niemand als uns selbst, und wer Leute braucht, wie wir sind." "Die Schweizer werden heuer ein gutes Jahr haben, man sagt ja, der Herzog wolle wieder ins Land?" "Aller Hund Krummen komme auf die Schweizer", rief der Oberst, "wie uebel sind sie an ihm gefahren; der gute Herzog hat all seine Hoffnung auf sie gesetzt, und diavolo maledetto, wie haben sie ihn im Stich gelassen bei Blaubeuren!" "Sie haben ihn schaendlich verlassen", sagte der Hauptmann Muckerle mit heiserer Stimme, "aber doch so man's beim Licht besieht, so g'schieht ihm wohl halb Recht, denn er sollt sie wohl kennt haben; es leit doch am Tag; dass sie kein dick's Brittlein bohren. Der Tuefel hol sie all'!" "Ja, der Herzog hat halt nichts Besseres haben koennen", entgegnete der Spielmann, "freilich, wenn er solche Herren gehabt haette, wie Ihr und Eure tapferen Faehnlein, da waere der Bund noch bei Ulm." "Du hast da ein wahrez Wort gesprochen guter Gezell! Landsknecht' haette er sollen haben und keine Schwyzer. Und haelt er zich jetzt wieder zu ihnen, zo weiss ich, waz ich von ihm halte. Landsknecht haett' er zollen haben, ich zag's noch einmal. Nicht wahr, Magdeburger?" "Dat well ich man och meenen", antwortete der Magdeburger. "Landsknechte oder keener koennen den Heertog wieder eup den Stuhl setzen." "Ja, alle Achtung vor den Herren Landsknechten", sagte der Spielmann und lueftete ehrerbietig die Muetze, "freilich, Euch Herren sollt' er haben. Aber der Bund wird Euch so gut belohnt haben, dass Ihr dem armen Herzog nicht zu Hilfe ziehen moegt." "Gelohnt, socht er?" rief der fuenfte Hauptmann und lachte. "Jo, wenn er's Geld von Blech schlagen koennt, der schwaebisch Hund! Bei denen gilt's Spruechwort: 'Dien' wohl und ford're keinen Sold, so werden Dir die Herren hold.' "Ich soch, schlecht hot er uns bezahlt. Und wenn Seine Durchlaucht, der Herr Herzog, mi hoben will, ich steh 'nem z'Dienst wie jedem." "Staberl, du hast recht", sagte der Oberst, und wichste den ungarischen Bart. "Mordblei, die Katz ist gern wo man sie straehlt. Wenn der Herr Ulrich gut zahlt, zo wird, Gott straf' mein Zeel', unsere ganze Mannschaft mit ihm ziehen." "Nun, das werdet Ihr bald sehen koennen", entgegnete der Bauer, listig laechelnd, "habt Ihr noch keine Antwort vom Herzog auf Eure Botschaft?" Der Oberst Peter wurde feuerrot bis in die Stirn "Mordelement! Wer bist denn Du, Menschenkind, daz Du mein Geheimnuz weisst? Wer hat Dir gezagt, daz ich zum Herzog schickte?" "Zum Herzog hob' Er g'schickt, Peter? Was hobt Er denn fuer G'heimnis mitenonder, dass wir's nit wissen duerften. Soch es nur gleich!" "Nun, ich hab' gedacht, ich muesse wieder einmal fuer Euch alle denken, wie immer, und hab' einen Mann zum Herzog geschickt, ihm in unzerm Namen einen schoenen Gruz entboten und fragen lassen, ob er unz brauchen koennt'? Dez Monats fuer den Mann einen halben Dicktaler, uns Obersten und Hauptleut' aber ein Goldguelden und taeglich vier Maaz alten Wein" "Dat is keen bitterer Vorschlach, der Teiwel! Eenen Goldguelden monatlich? Ich bin dabei, und es wird keener wat dagegen haben. Hast Du Antwort von dem Heertog?" "Bis jetzt noch keine; aber Bassa manelka! Wie kamst Du zu meinem Geheimnuz, Bauer? Ich hau' Dir ein Ohr ab, Gott straf' mein Zeel', so tu' ich, wie mein Patron, er heilige Petrus, war auch ein Landsknecht, dem Malchus, der war von den juedischen Schwyzern, ein Hellebardierer. Zag' schnell, oder ich hau'." "Langer Peter!" rief der kleine Hauptmann Muckerle mit aengstlicher Stimme, "lass' um Gotteswillen den gehen, der ist fest und kann hexen. Ich weiss noch wie heut, dass wir ihn in Ulm fangen sollten und in Herrn von Krafts, des Ratschreibers, Stall kamen, wo er sich aufhielt, denn er war ein Kundschafter, so machte er sich klein und immer kleiner, bis er ein Spatz wurde und ueber uns naus flog." "Was?" schrie der tapfere Oberst und rueckte von dem Spielmann weg; "Der ist's? Wo dann der Magistrat ausrufen liess, man zolle alle Spatzen totschiessen, weil sich ein wuerttembergischer Spioner in einen verwandelt habe?" "Der ist's", fluesterte Muckerle. "Es ist der Pfeifer von Hardt, ich hab' ihn gleich erkannt." Der Oberst und die Hauptleute hatten sich von ihrem Erstaunen noch nicht ganz erholt. Sie sahen den Mann, von welchem der Ruf so wunderbare Dinge erzaehlte, halb aengstlich, halb neugierig an. Er selbst hatte ein zu wohlgeuebtes Ohr, als dass er nicht verstanden haette, was diese Leute unter sich fluesterten; aber er tat, als bemerkte er ihr Staunen und Verstummen nicht; er beschaeftigte sich ruhig mit seiner Zither. Endlich fasste sich der lange Peter, wohlbestallter Oberst dieses Heeres, ein Herz, zwirbelte den Bart einige Male, zog dann den ungeheuren Hut vom Kopf und sprach: "Verzeiht doch, lieber Gezelle, wertgeschaetzter Pfeifer, das wir so ohne alle Umstaende mit Euch verfahren zind: Konnten wir denn wissen, wen wir da neben uns haben? Zeit vielmal gegruesst, hab' schon oft, Gott straf mein' Zeel', gedacht, moechte nur einmal den fuertrefflichen Kerl zehen, den Pfeifer von Hardt, der in Ulm am hellen Tag als Spatz ausgeflogen." "Ist schon gut", unterbrach ihn der Spielmann unmutig, "lasst die alten Geschichten ruhen. Nun, von wegen des Herzogs kam mir die Nachricht zu, ich soll Euch Herren auf den heutigen Tag aufsuchen, und wenn Ihr noch geneigt waeret, mit ihm zu ziehen, so wolle er gerne zahlen, was Ihr ihm vorgeschlagen" "Canto cacramento! Daz ist ein frommer Herr! Ein Goldguelden des Monats und taeglich vier Maaz Wein? Er soll leben!" "Und wann wird er kommen?" fragte der Hauptmann Loeffler. "Wo werden wir zu ihm stossen?" "Wenn kein Unglueck geschehen ist, heute noch. Gestern ist er auf Heimsheim losgebrochen, die Besatzung ist schwach: Wenn er sie ueberwaeltigt hat, rueckt er heute noch weiter." "Schaut! Reitet dort unten nicht ein Geharnischter? Sieht aus wie ein Ritter!" Die Maenner sahen aufmerksam nach dem Ende des Tales. Dort sah man einen Helm und Harnisch in der Sonne blinken, auch ein Pferd wurde hie und da sichtbar. Der Pfeifer von Hardt sprang auf und klamm die Eiche hinauf. Von diesem hohen Standpunkt konnte er das Tal besser uebersehen. Noch war der Reiter zu fern, als dass er seine Zuege haette unterscheiden koennen, aber er glaubte seine Feldbinde zu erkennen, er glaubte den Mann zu erkennen, den er in dieser Stunde erwartete. "Was siehst Du?" riefen die Hauptleute. "Ist es einer, der zufaellig durchs Tal reitet, oder glaubst Du, er kommt vom Herzog?" "Richtig, weiss und blau ist die Schaerpe", sprach der Pfeifer, "das ist sein langes Haar, so sitzt er zu Pferd. Ei du Goldjunge, willkommen in Wuerttemberg! Jetzt sieht er Eure Wachen, jetzt reitet er auf sie zu, schau, wie die Burschen ihre Lanzen vorstrecken und die Beine ausspreizen." "Ja, was Landsknechte sind, die verstehen den Kriegsbrauch. Darf keiner vorbei, wo die Hauptleute liegen, ohne dass er Rede steht." "Halt! Jetzt rufen sie ihn an; er spricht mit ihnen, sie deuten hierher; er kommt!" Der Pfeifer von Hardt stieg mit freudegluehendem Gesicht vom Baum herab "Diavolo maledetto! Bassam terendete! Zie werden ihn doch nicht allein reiten lassen? Ez wird doch einer zein Ross am Zuegel fuehren nach Kriegsbrauch! Wie? Ist ez ein Ritter, der kommt?" "Ein Edelmann, so gut wie einer im Reich", antwortete der Pfeifer, "und der Herzog ist ihm sehr gewogen." Bei dieser Nachricht standen die Hauptleute auf, denn ob sie sich gleich nicht wenig einbildeten, Hauptleute zu heissen, so wussten sie doch, dass sie eigentlich nur Landsknechte und dem Ritter jedes Zeichen von Ehrerbietung schuldig seien Der Oberst aber setzte sich gravitaetisch am Fuss der Eiche nieder, strich den Bart, dass er hell glaenzte, setzte den grossen Hut mit der Hahnenfeder zurecht, stuetzte sich auf seinen grossen Hieber und erwartete so den Ritter. Kapitel 27 Dem Platz, wo die Hauptleute und der lange Peter, ihr Oberst, versammelt waren, nahte sich jetzt ein geharnischter Reiter, dessen Pferd von zwei Landsknechten gefuehrt wurde. Der Ritter hatte das Visier seines blanken Helmes herabgeschlagen, die breiten Schultern und die kraeftigen Lenden und Beine waren mit Platten und Schienen von Stahl verhuellt, aber die wallenden Federn seines Helmbusches und die wohlbekannten Farben einer Schaerpe, die ueber den Panzer herablief, die Haltung und das edle, kraeftige Wesen des Nahenden hatten dem Pfeifer von Hardt laengst gesagt, wen er zu erwarten hatte. Und er taeuschte sich nicht, denn einer der Knechte trat jetzt vor den Oberst und berichtete, dass der "Edle von Sturmfeder" mit den Anfuehrern der gesamten Landsknechte etwas zu sprechen habe. Der lange Peter antwortete im Namen der uebrigen: "Zag' ihm, er ist willkommen, Peter Hunzinger, der Oberst, Ztaberl von Wien, Konrad, der Magdeburger, Balthasar Loeffler und der tapfere Muckerle, wohlbestallte Hauptleute, erwarten ihn zum Gespraech.--Gott straf' mein Zeel', er hat einen schoenen Harnisch und einen Helm wie der Koenig Franz, aber zein Gaul duerfte besser zein, Mordblei! Er ist an allen Vieren steif!" "Dos ist holt, sog' ich, weil er den ganzen Sommer 'stonden ist in Moempelgard beim Herzog." Die Maenner belaechelten den Witz des Wieners, doch hueteten sie sich ihre Freude laut werden zu lassen, denn der Ritter hielt nicht allzufern. Noch immer machte er keine Miene, abzusteigen und sich ihnen zu nahen. Er sprach mit dem Knecht, schlug dann das Visier auf und zeigte ein schoenes, freundliches Gesicht. "Steht dort nicht Hans der Spielmann?" rief er mit lauter Stimme. "Erlaubt, dass er ein wenig zu mir trete." Der Oberst nickte dem Pfeifer zu, er ging und der Junker schwang sich vom Pferd. "Willkommen in Wuerttemberg, edler Herr!" rief der Mann von Hardt, indem er den Handschlag des Junkers treuherzig erwiderte. "Bringt Ihr gute Botschaft? Ich seh's Euch an den Augen an, es steht gut mit dem Herzog." "Komm! Tritt hier ein wenig auf die Seite", sagte Georg von Sturmfeder mit freudiger Hast. "Wie steht es auf Lichtenstein? Denkt sie an mich? Hast Du einen Brief, ein paar Zeilen? Oh, gib schnell! Was laesst sie mir sagen, guter Hans?" Der Pfeifer laechelte schlau ueber die Ungeduld des liebenden Juenglings. "Einen Brief hab' ich nicht, keine Zeile. Sie ist gesund, und der alte Herr auch; das ist alles, was ich weiss." "Wie!" unterbrach ihn Georg. "Keinen Gruss? Keine Botschaft? So hat sie Dich gewiss nicht ziehen lassen?" "Als ich vorgestern Abschied nahm, sagte das Fraeulein: 'Sag ihm, er soll sich sputen, dass er einzieht in Stuttgart.' Sie wurde gerade so rot wie Ihr jetzt, da sie dies sprach." Der junge Mann erroetete voll freudiger Gefuehle, sein Auge glaenzte, und ein freundliches Laecheln zeigte, dass er den Sinn dieser Worte verstanden habe. "Bald, bald werden wir einziehen, so Gott will", sagte er. "Aber wie lebten sie diesen langen Sommer? Nur dreimal kam uns Botschaft von ihnen zu! Warst Du oft auf Lichtenstein, Hans? War sie traurig? Was sprach sie?" "Lieber Herr", antwortete der Mann von Hardt, "geduldet Euch noch auf dem Marsch will ich Euch ein Langes und Breites erzaehlen, fuer jetzt nur soviel: sobald der Alte hoert, dass Ihr auf Stuttgart zieht, will er von Lichtenstein aufbrechen und Euch die Braut zufuehren. Denn er zweifelt nicht, dass Ihr die Stadt ueberwaeltigt. Habt Ihr Heimsheim?" "Wir haben es. Ich jagte mit zwoelf Reitern in die Tore, ehe sie sich's versahen. Die Besatzung war zwar etwas staerker als wir, aber mutlos und unzufrieden. Ich handelte mit ihnen in des Herzogs Namen, da glaubten sie, er liege mit vielen Truppen noch im Hinterhalt und ergaben sich. So weit waeren wir nun in Wuerttemberg, aber wie ist der Weg weiterhin?" "Offen, bis ins Herz offen. Ich bringe Euch wichtige Nachricht vom Ritter von Lichtenstein dass die gewaltigen Herren aus dem Land sind, wisst Ihr--" "Sie halten einen Bundestag in Noerdlingen, ist's nicht so? Freilich wissen wir's, denn auf diese Nachricht brach der Herzog aus Baden auf." "Nun, und wenn die Katzen fort sind, tanzen die Maeuse auf dem Tisch. Die Besatzungen sind ueberall unbesorgt, an den Herzog denkt kein Buendler mehr, sie sind nur aufmerksam auf den Bundestag, welchen Herrn wir bekommen werden: den Oesterreicher, den Bayer, den Prinzen Christophel, oder ob uns der Staedtebund, Augsburg und Aalen, Nuernberg und Bopfingen, regieren werde." "Welche Augen sie machen werden", rief Georg laechelnd, "wenn der Stuhl schon besetzt ist, um welchen sie streiten! Sie werden ihre Buechsen auf die Schulter nehmen und 's Regieren sein lassen." "Und die Wuerttemberger? Wie denken sie jetzt vom Herzog? Glaubst Du, er wird viel Anhang finden? Werden sie uns zu Hilfe ziehen?" "Was Buerger und Bauern sind, ja. Von der Ritterschaft weiss ich's nicht, und der alte Herr zuckte die Achseln, wenn ich ihn fragte, und murmelte ein paar Flueche. Ich fuerchte, es steht hier nicht alles, wie es soll. Aber Buerger und Bauern, die sind fuer den Herzog. Es sind allerlei sonderbare Zeichen geschehen, die das Volk aufmuntern. So ist neulich im Remstal ein Stein vom Himmel gefallen, drauf war ein Hirschgeweih eingegraben und die Worte: 'Hie gut Wuerttemberg alleweg', und auf der andern Seite soll man auf lateinisch gelesen haben: 'Herzog Ulrich soll leben!'" "'Vom Himmel gefallen', sagst Du?" "So sagt man. Die Bauern hatten grosse Freude dran, aber die buendischen Herren wurden zornig, nahmen die Schulzen gefangen und wollten ihnen abpressen, woher der Stein des Anstosses komme. Und als man bei hoher Strafe verbot, vom Herzog zu sprechen, da lachten die Maenner und sagten, jetzt traeumen wir von ihm. Alles wuenscht ihn zurueck, denn sie wollen sich lieber von ihrem anerkannten Herrn druecken, als von Fremden die Haut abziehen lassen." "Gut; der Herzog und seine Reiter koennen in wenigen Stunden hier sein. Sein Plan ist, sich gerade durchs Land nach Stuttgart zu schlagen. Ist die Hauptstadt unser, so faellt uns auch das Land zu. Und wie ist es mit den Landsknechten dort? Wollen sie mitziehen?" "Fast haette ich die vergessen", sagte Hans, "sie werden ungeduldig werden, wenn wir sie zu lange warten lassen. Geht doch recht klug mit ihnen um, es sind stolze Gesellen und lassen sich Hauptleute schelten. Aber haben wir die Fuenfe gewonnen, so sind zwoelf Faehnlein des Herzogs. Besonders mit dem Oberst, dem langen Peter, muesst Ihr gar hoeflich sein." "Welcher ist der lange Peter?" "Der dicke Mann, der unter der Eiche sitzt. Er hat einen steifen Schnauzbart und einen vornehmen Hut auf dem Kopf. Der ist der Hoechste unter ihnen." "Ich will mit ihm reden, wie Du sagst", antwortete der junge Mann und ging mit dem Pfeifer zu den Landsknechten. Die lange Unterredung der beiden hatte sie schon etwas unmutig gemacht, und der kleine Muckerle schoss stechende Blicke auf den Gesandten des Herzogs. Als dieser aber mit edlem Anstand und freiem, siegendem Blick unter sie trat, wurden sie schuechtern und verlegen, und als er sie endlich mit hoeflichen, schmeichelhaften Worten anredete, wurden ihre tapfern Herzen von der Anmut Georgs von Sturmfeder fuer des Herzogs Sache gewonnen. "Wohlerfahrner Oberst", sprach er, "tapfere Hauptleute der versammelten Landsknechte, der Herzog von Wuerttemberg hat sich den Grenzen seines Landes genaht, hat die Stadt Heimsheim erobert und ist willens, auf gleiche Weise sein ganzes Herzogtum wieder an sich zu bringen--" "Gott straf' mein Zeel', er hat recht; taetz auch zo mochen--" "Er hat den tapfern Arm und die fuertreffliche Kriegskunst der Landsknechte erprobt, als sie noch gegen ihn standen; er versieht sich zu ihnen, dass sie ihm mit gleichem Mut jetzt beistehen werden, und verspricht ihnen mit seinem fuerstlichen Wort, die Bedingungen zu halten, die sie ihm angeboten haben." "Ein frommer Herr", murmelten sie untereinander mit beifaelligem Nicken, "ein Goldgulden des Monats--und Mordblei--taeglich vier Mass Wein fuer die Hauptleut'!" Der Oberst stand auf, entbloesste sein kahles Haupt zum Gruss und sprach, von manchem Raeuspern der Verlegenheit unterbrochen: "Wir danken Euch, hochedler Herr, wollen's tun, wollen mitziehen--wir wollen dem schwaebischen Bund heimgeben, was er unz getan, zo wollen wir. Die allerbesten und tapfersten, wie auch fuertrefflichsten Leute haben zie fortgeschickt, als brauchten sie keine Landsknechte mehr. Da steht zum Beispiel der Hauptmann Loeffler. Wenn'z einen tapferern Landsknecht gibt in der Christenheit, zo lass ich mir die Haut vom Leib schaelen und lass mich braten wie eine Zau. Da steht der Staberl von Wien; zo einen hat die Zonne noch nie beschienen und der Mond.-- Da ist dann der Magdeburger, wie der ficht keiner in der Tuerkei--und der Muckerle da, man zollt ihm'z nicht anzehen; aber daz ist der beste Schuetz mit der Donnerbuechs und trifft auf vierzig Gaeng' ins Schwarze.--Von mir mag ich nicht reden, Eigenlob stinkt, aber Bassa manelka in Spanien und Holland hab' ich gedient und Canto cacramento in Italien und Deutschland, Mordblei! In jedem Heer kennt man den langen Peter. Gott straf' mein Zeel', wenn ich und die andern hinter den schwaebischen Hund, wollt' zagen Bund, kommen, diavolo maledetto! Da werden zieh daz Hazenpanier ergreifen und mit den Absaetzen hinter sich hauen!" Die Hauptleute luden jetzt den Junker von Sturmfeder ein, eine Musterung ueber das neugeworbene Heer zu halten. Der dumpfe Schall der ungeheuern Trommeln toente durchs Tal und weckte die Schlaefer aus ihrer Ruhe. Noch schien Frondsbergs kriegerischer Geist und sein strenger Ordnungssinn ueber ihnen zu schweben, denn in wenigen Augenblicken hatten sie sich zu drei grossen Kreisen gebildet, die je aus vier Faehnlein bestanden. Die Landsknechte waren nach ihrem Geschmack gekleidet, doch hatte die Mode der Zeit im Schnitt ein wenig Gleichfoermigkeit in ihren Anzug gebracht. Sie trugen gewoehnlich enge Waemse von Leder oder auch Lederwesten mit Aermeln von grobem Tuch Die Lenden staken in ungeheuer weiten Pluderhosen, die am Knie zugebunden, durch ihre eigene Schwere noch etwas tiefer herunterhingen. Die vollen Waden umgaben grobe Struempfe von hellen Farben, und die Fuesse waren mit groben Bundschuhen von ungefaerbtem Leder bekleidet. Ein Hut, eine Tuch- oder Ledermuetze, eine erbeutete oder fuer eigene Rechnung gekaufte Blechhaube bedeckte den Kopf, und die baertigen Gesichter dieser Maenner, die oft zwanzig Jahre unter allen Heeren und Himmelsstrichen Europas dienten, hatten einen kuehnen, martialischen Ausdruck. Ihre Bewaffnung bestand in einem langen Dolch und einer Hellebarde; ein Teil war auch mit Donnerbuechsen bewaffnet, die man mit Lunten losbrannte. So standen sie mit ausgespreizten Beinen, Fuss an Fuss geschlossen, wie ein festes Bollwerk und Georgs kriegerischen Sinn erfreute der Anblick dieser kampfgeuebten Maenner, die wohl zu wissen schienen, dass sie vereinzelt nichts, aber in Massen verbunden auch einer zahlreichen Schar von Feinden furchtbar seien. Die Hauptleute hatten den Kriegsbrauch und das Kommandowort ihrer frueheren Anfuehrer wohl im Gedaechtnis behalten Sie traten daher mit dem jungen Ritter in einen dieser Kreise, und der tiefe, weittoenende Bass des langen Peters befahl: "Gebt acht Ihr Leut! Kehrt Euch um!" Schnell hatten sich die Kreise nach innen gekehrt und vernahmen nun die Reden ihrer Hauptleute, die ihnen jene Aufforderung des Herzogs von Wuerttemberg auseinandersetzten. Ein freudiges Gemurmel zeigte, dass sie mit diesen Bedingungen zufrieden seien und Ulrich von Wuerttemberg so eifrig dienen wollten, als sie vorher gegen ihn gedient hatten. Die Hauptleute liessen jetzt auch einige Uebungen machen, und Georg bewunderte die Geschicklichkeit der Landsknechte und glaubte fest, man werde es in der Kriegskunst auf Erden schwerlich noch viel weiterbringen. Etwa nach einer Stunde meldeten die Vorposten, dass man unten im Tal, von der Gegend von Heimsheim her, Waffen blinken sehe, und wenn man das Ohr auf die Erde lege, seien die Tritte vieler Rosse deutlich zu vernehmen. "Das ist der Herzog", rief Georg, "fuehrt mein Pferd vor; ich will ihm entgegenreiten." Der junge Mann galoppierte durch das Tal hin, und die Hauptleute und ihre Gesellen blickten ihm nach und bewunderten die Kraft und Gewandtheit, mit welcher er in der schweren Ruestung aufs Pferd gesprungen war, lobten seinen Anstand und seine Haltung, solange sie ihn noch sehen konnten. Bald mischte sich sein Helmbusch mit den Bueschen und Lanzenspitzen, die man unten im Tal bemerkte. Sie kamen naeher, jetzt sah man Helme blinken, jetzt wurden die Reiter bis um die Brust sichtbar, jetzt erschienen sie auf einmal auf einer kleinen Anhoehe, und man konnte die ganze Schar uebersehen. Der Pfeifer von Hardt schaute mit blitzenden Augen in die Ferne. Seine Brust hob und senkte sich die Freude schien ihn des Atems zu berauben, sprachlos nahm er den Obersten an der Hand und deutete auf die Reiterschar. "Welcher ist der Herzog?" fragte dieser. "Ist's der auf dem Mohrenschimmel?" "Nein, das ist der edle Herr von Hewen. Seht Ihr das Banner von Wuerttemberg? Wie, seh' ich recht? Bei Gott, der Junker von Sturmfeder darf es tragen!" "Daz ist eine grosse Ehre! Mordblei, ist erst fuenfundzwanzig und darf die Fahne tragen! In Frankreich darf daz nur der Connetabel tun, der erste Mann nach dem Koenig Franz. Dort heisst man'z Ohrenflamme und ist aus lauter Gold. Aber welcher ist der Herzog Ulrich?" "Seht Ihr den im gruenen Mantel mit den schwarz und roten Federn auf dem Helm? Er reitet neben dem Banner und spricht mit dem Junker, er reitet einen Rappen und zeigt gerade mit dem Finger auf uns--seht, das ist der Herzog." Die Reiterschar mochte ungefaehr vierzig Pferde betragen. Sie bestand meist aus Edelleuten und ihren Dienern, die dem Herzog in seine Verbannung nachgezogen waren oder, von seinem Einfall benachrichtigt, an der Grenze seines Landes sich ihm angeschlossen hatten. Sie waren alle wohlberitten und bewaffnet. Georg von Sturmfeder trug Wuerttembergs Panier, neben ihm ritt ganz geharnischt der Herzog. Als dieser Zug jetzt den Landsknechten etwa auf dreihundert Schritt nahe war; erhob der lange Peter seine Stimme und sprach: "Gebt acht, Ihr Leut'. Wenn Zeine Durchlaucht nahe ist und ich meinen Hut vom Scheitel reisse, so schreit: 'Vivat Ulricus!', schwenkt die Faehnlein in der Luft, und Ihr Trommler, rasselt auf Euren Fellen, dass Euch das Donnerwetter! Schlagt den Wirbel wie beim Sturm auf eine Festung, Bassa manelka! Haut drauf und wenn der Schlegel bricht--zo begruessen die tapfren Landsknecht einen Fuersten." Diese kurze Anrede tat ihre Wirkung, die kriegerische Schar murmelte das Lob des Herzogs, sie schuettelten ihre Hellebarden, stampften ihre Buechsen klirrend auf den Boden, und die Trommler fassten ihre Schlegel krampfhaft in die Hand, und als jetzt Georg von Sturmfeder, der Bannertraeger von Wuerttemberg, ansprengte und hinter ihm hoch zu Ross, erhaben wie in den Tagen seiner Herrschaft, mit kuehnen, gebietenden Blicken Herzog Ulrich von Wuerttemberg sich zeigte, da entbloesste der lange Peter ehrfurchtsvoll sein Haupt, die Trommeln rasselten wie zum Sturm einer Feste, die Faehnlein neigten sich zum Gruss, und die Landsknechte riefen ein tausendstimmiges 'Vivat Ulricus!'. Der Bauersmann von Hardt war still in der Ferne gestanden, hatte nicht auf diese kriegerischen Gruesse gehoert, seine ganze Seele schien nur in seinem Auge zu liegen, das trunken an seinem Herrn hing. Der Herzog hielt den Rappen an, blickte um sich und es war tiefe Stille unter den vielen Menschen. Da trat der Bauer vor, kniete nieder, hielt ihm den Buegel zum Absteigen und sprach "Hie gut Wuerttemberg alleweg!" "Ha! Bist Du es, Hans, mein Geselle im Unglueck, der mir den ersten Gruss von Wuerttemberg bringt? Meine Edlen habe ich hier erwartet, dass sie mich begruessen bei meinem ersten Schritt auf wuerttembergischem Grund, meinen Kanzler und meine Raete. Wo sind die Hunde? Die Staende meiner Landschaft, wo blieben sie, will man mich nicht wiedersehen in der Heimat? Ist keiner von allen da, mir den Buegel zu halten, als der Bauer?" Seine Begleiter draengten sich staunend um den Herzog her, als sie ihn so sprechen hoerten. Sie wussten nicht, war es Ernst oder bitterer Scherz ueber sein Unglueck. Sein Mund schien zu laecheln, aber sein Auge blitzte mutig, und seine Stimme klang ernst und befehlend. Sie sahen einander wegen dieser duesteren Laune zweifelnd an, aber der Pfeifer von Hardt erwiderte seinem Herrn: "Diesmal ist's nur der Bauer, der Euch auf Wuerttembergs Boden hilft, aber verachtet nicht ein treues Herz und eine feste Hand! Die andern werden schon auch kommen, wenn sie hoeren, dass der Herr Herzog wieder im Land ist." "Meinst Du", sprach Ulrich bitter lachend, indem er sich vom Pferd schwang, "sie werden auch kommen? Bis jetzt haben Wir wenig Kunde davon. Aber ich will anklopfen an ihren Tueren, dass sie merken sollen, es ist der alte Herr, der in sein Haus will!" "Sind dies die Landsknechte, die mir dienen wollen?" fuhr er fort, indem er aufmerksam das kleine Heer betrachtete. "Sie sind nicht uebel bewaffnet und sehen maennlich aus. Wieviel sind es?" "Zwoelf Faehnlein, Euer Durchlaucht", antwortete der Oberst Peter, der noch immer mit gezogenem Hut vor ihm stand und hie und da verlegen den ungarischen Bart zwirbelte. "Lauter geuebte Leut'. Gott straf' mein Zeel', tut mir leid, wenn ich geflucht hab', der Koenig in Frankreich hat sie nicht besser." "Wer bist denn Du?" fragte ihn der Herzog, der die grosse, dicke Figur mit dem langen Hieber und dem roten Gesicht verwundert anschaute. "Ich bin eigentlich ein Landsknecht meines Zeichenz; man nennt mich den langen Peter, jetzt aber wohlbestallter Oberst verzammelter--" "Was, Oberst! Diese Narrheit muss aufhoeren. Ihr moegt mir wohl ein tapferer Mann sein, aber zum Hauptmann seid Ihr nicht gemacht. Ich selbst will Euer Oberst sein, und zu Hauptleuten werde ich einige meiner Ritter machen." "Bassa manelk--tut mir leid, wenn ich geflucht hab', aber erlaubt, Herr Herzog, einem alten Kerl ein Wort, daz ist gegen unsern Pakt mit dem Goldguelden monatlich und den vier Maaz Wein tagtaeglich. Da steht zum Beispiel der Staberl aus Wien, z'gibt keinen Tapfereren unter dem Mond--" "Schon gut, Alter, schon gut! Auf die Goldguelden und den Wein soll mir's nicht ankommen. Wer bisher Hauptmann war, soll es richtig bekommen. Nur den Befehl muesst Ihr abgeben. Habt Ihr Pulver und Kugeln?" "Das will ich meenen!" sagte der Magdeburger. "Wir haben noch von Eurer Durchlaucht eigenem Pulver und Blei, was wir in Tuebingen mitgenommen. Wir haben Munition auf achtzig Schuss fuer den Mann." "Gut. Georg von Hewen und Philipp von Rechberg, Ihr teilt Euch in die Knechte, jeder nimmt sechs Faehnlein. Ihr da, die Ihr Euch Hauptleute nennt, koennt bei den einzelnen Faehnlein bleiben und den beiden Herren an die Hand gehen. Ludwig von Gemmingen, seid so gut und nehmt den Oberbefehl ueber das Fussvolk. Jetzt geraden Weges auf Leonberg. Freu Dich, mein treuer Bannertraeger", sagte Ulrich als er sich aufs Pferd schwang, "so Gott will, ziehen wir morgen in Stuttgart ein." Die Reiterschar, den Herzog an der Spitze, zog weiter. Der lange Peter stand noch immer unverrueckt auf dem Platz, den Hut mit der stolzen Hahnenfeder in der Hand, und schaute den Reitern nach. "Das ist einmal ein Fuerst!" sprach er zu den Hauptleuten, die neben ihm standen "Waz der fuer eine gewaltige Stimme hat und wie er graeulich mit den Augen funkelt, daz ez einem angst und bange wird. Hu, ich meinte, er wollt' mich mit Haut und Haar verschlucken, alz er mich fragte: Wer bist denn Du?" "Mir wor's g'rod, wie wenn einer siedend Wasser ueber mein Leib schuetten taet. In Wien ist doch auch 'n Kaiser, aber der tut nit so g'waltig wie der da!" "Also Hauptleut' sind wer g'wesen", sprach der Hauptmann Muckerle, "die Herrlichkeit hat nit lang dauert." "Narr! Daz ist mir recht. Wuerde bringt Buerde, zagt ein Sprichwort, die andern haben oft nicht recht gehorcht, wenn wir befohlen haben; Diavolo, hat doch erst heute einer mich ausgelacht. Hat alles ein besseren Schick, wenn'z die Herren anfuehren. Den Goldguelden und die vier Maaz haben wir ja doch und daz bleibt die Hauptsache." "Dat meen' ich ooch! Und dat haben wer dem langen Peter zu verdanken Er soll leben!" "Dank' schoen, aber daz zag ich der Herr wird dem Bund aufzuenden, Mordblei! Wenn der erst ein Schwert in die Hand nimmt, der jagt die Staedter allein auz dem Land! Und zeine Raete und Kanzler und die Landschaft! Habt Ihr gehoert, wie graeulich er ueber die geflucht hat? Ich moecht' in keinez Haut stecken." Das Wirbeln der Trommeln unterbrach das Gespraech dieser tapferen Krieger. Diese Toene erschollen nicht mehr auf ihren Befehl, aber der lange Peter war in seinen vielen Feldzuegen so sehr an den Wechsel von Glueck und Unglueck von Hoheit und Niedrigkeit gewoehnt worden, dass er ueber den Sturz seines Regiments nicht trauerte. Gelassen nahm er die Hahnenfeder von dem grossen Hut, legte die rote Schaerpe und den langen Hieber, die Zeichen seiner Wuerde, ab und ergriff eine Hellebarde. "Gott straf mein Zeel', ez ist schwer fuer einen Kerl wie ich zwoelf Faehnlein zu regieren", sagte er, als er sich wieder als guter Landsknecht in die Reihen seiner Kameraden stellte. "Aber bei Sankt Petrus, dem trefflichen Landsknecht--er muss jetzt auch Oberst zein in den himmlischen Heerscharen Kyrie Eleyzon! Der Mensch muss allez probieren auf Erden." Die Landsknechte schuettelten ihm die Hand und bestaetigten es. Es tat seinem tapfren Herzen wohl, zu hoeren, er habe sein Kommando trefflich verwaltet. Die drei Ritter, ihre Anfuehrer, sassen auf und stellten sich zu ihren Faehnlein, die Landsknechte richteten sich in gewohnter Ordnung zum Marsch und Ludwig von Gemmingen liess die Trommeln zum Aufbruch ruehren. Kapitel 28 Es war in der Nacht vor Mariae Himmelfahrt, als Herzog Ulrich vor dem Rothenbuehltor in Stuttgart anlangte. Er hatte auf seinem Zug schnell das Staedtchen Leonberg erobert und war dann unaufhaltsam immer weiter gedrungen. Viel Volk lief zu, denn wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht verbreitet, dass der Herzog wieder im Land sei. Jetzt erst zeigte es sich, wie wenig Freunde der Bund sich erworben hatte; denn ueberall wurde die Freude laut, dass das gehaessige Regiment des Bundes ein Ende habe, dass das angestammte Fuerstenhaus sich wieder in seine alten Rechte einsetze. Auch nach Stuttgart war bald diese Nachricht vorgedrungen und hatte die verschiedensten Empfindungen dort erregt. Der Adel, der sich in der Stadt befand, wusste nicht, wessen er sich vom Herzog zu versehen hatte. Die Uebergabe von Tuebingen war noch in zu frischem Gedaechtnis, als dass er ganz unbesorgt gewesen waere. Aber die Erinnerung an den glaenzenden Hof Ulrichs von Wuerttemberg, an die froehlichen Tage, die sie dort verlebt hatten; der Vergleich dieser Zeit mit dem freudenlosen Leben der Bundesraete mochte sie fuer den Herzog guenstig stimmen, wenn auch mancher Ursache hatte, seine Wiederkehr nicht gerade herbeizuwuenschen. Die Buergerschaft konnte ihre Freude ueber diese Nachrichten kaum verbergen; sie verliessen ihre Haeuser, traten haufenweise auf den Strassen zusammen und besprachen sich ueber die Dinge, die ihrer warteten. Sie schimpften leise, aber weidlich auf den Bund, ballten grimmig ihre Faeuste in der Tasche und waren ueberaus patriotisch gesinnt. Auch tat ihnen der Gedanke wohl, dass von ihrer Entscheidung fuer den einen oder den andern Teil so viel abhaenge, weil man im ganzen Land auf die Stuttgarter sehe. Sie waren zwar weit entfernt, gegen die buendische Besatzung auf ihre eigene Faust einen Aufruhr zu unternehmen, aber sie sprachen zueinander: "Gevatter, wart nur, bis es Nacht wird, da wollen wir den Reichsstaedtern zeigen, wo sie her sind, wir Stuttgarter." Dem buendischen Statthalter, Christoph von Schwarzenberg, entging diese Bewegung unter den Buergern nicht. Zu spaet sah er ein, wie toericht man getan habe, das Heer zu entlassen. Er wandte sich an die Bundesstaende, die noch zu Noerdlingen versammelt waren, und begehrte Hilfe, aber er selbst gab die Hoffnung auf, Stuttgart so lange halten zu koennen, bis ein neues Heer im Feld erschienen sei. Er traf zwar einige Anstalten zur Gegenwehr; aber die Blitzesschnelle, mit welcher der Herzog erschien, vereitelte alle seine Bemuehungen. Als er sah, dass er den Buergern nicht trauen koenne, dass ihm der Adel nicht beistehe, dass die Besatzung nicht einmal zur Sicherung der Tore hinreiche, entwich er bei Nacht und Nebel mit den Bundesraeten nach Esslingen. Ihre Flucht war so eilig und geheim, dass sie sogar ihre Familien zurueckliessen, und niemand in der Stadt ahnte, dass der Statthalter und die Raete nicht mehr in den Mauern seien; daher waren die Anhaenger des Bundes noch immer getrosten Mutes und glaubten nicht an die Geruechte von der schnellen Annaeherung des Herzogs. Der Marktplatz war damals noch das Herz der Stadt Stuttgart; zwar hatten sich schon zwei grosse Vorstaedte, die Sankt Leonhards- und die Turnieracker-Vorstadt, um sie gelagert, welche mit Graben, Mauern und starken Toren versehen, das Ansehen eigener Staedte bekommen hatten. Aber noch standen die Ring-mauern und Tore der Altstadt, und ihre Buerger sahen nicht ohne Stolz herab auf die Vorstaedter. Der Marktplatz war es, wo nach alter Sitte bei jeder besonderen Gelegenheit die Buerger sich versammelten; auch an dem wichtigen Abend vor Mariae Himmelfahrt stroemten sie dorthin zusammen. Zur Zeit, wo der Buerger noch mit der Wehr an der Seite auftreten durfte, hatte sein oeffentlich gesprochenes Wort auch mehr zu bedeuten als in spaeteren Tagen, wo Tinte, Feder und Papier die Oberhand gewannen. Und wahrlich, die Buerger von Stuttgart waren bei Nacht und in Waffen versammelt, ganz andere Leute als morgens. Mancher, der, haette man ihn vormittags um seine Meinung wegen des Herzogs gefragt, antwortete: "Was geht es mich an, bin ein friedlicher Buergersmann", erhob jetzt seine Stimme und schrie: "Wir wollen dem Herzog die Tore oeffnen, fort mit den Buendischen! Wer ist ein guter Wuerttemberger?" Der Mond schien hell auf die versammelte Menge herab, die unruhig hin und her wogte. Ein verworrenes Gemurmel drang von ihr in die Luefte: Noch schienen sie unschluessig, vielleicht weil keiner kuehn genug war, sich an die Spitze zu stellen. Aus den hohen Giebelhaeusern, die den Platz einschlossen, schauten viele hundert Koepfe auf den Markt hernieder. Schon wurde das Murmeln der Menge immer lauter und verstaendlicher; der Ruf: "Wir wollen die Knechte vom Tor wegjagen und die Stadt dem Herzog auftun", immer deutlicher, da sah man einen langen hageren Mann auf eine Bank am Brunnen springen, wo er die ganze Menge ueberragte. Er focht mit ungeheuer langen Armen in der Luft umher, tat einen weiten Mund auf und schrie mit heiserer Stimme um Gehoer. Es wurde nach und nach stiller auf dem Platz, man vernahm einzelne Worte aus seiner Rede: "Was? Die ehrsamen Buerger von Stuttgart wollen ihren Eid brechen-- habt Ihr nicht dem Bund geschworen. Wem wollt Ihr die Tore oeffnen? Dem Herzog? Er kommt mit ganz geringer Mannschaft, denn er hat ja kein Geld, um Leute zu bezahlen, und da muesst dann Ihr wieder den Beutel auftun und blechen! Da wird's heissen, Stuttgart zahlt zehntausend Gulden, weil es von Uns abgefallen ist. Hoert Ihr? Zehntausend Gulden sollt Ihr zahlen!" "Wer ist denn der lange Kerl?" fragten sich die Maenner.--"Er hat nicht unrecht--werden tuechtig zahlen muessen--Ist er ein Buerger, der da oben? Wer seid Ihr", rief einer der Kuehnsten. "Woher wollt Ihr wissen, was wir zahlen muessen?" "Ich bin der beruehmte Doktor Calmus", sprach der Redner mit feierlicher Stimme, "und weiss das ganz genau; und wen wollt Ihr vertreiben? Den Kaiser, das Reich, den Bund? So viele reiche Herren wollt Ihr vor den Kopf stossen? Und warum? Wegen dem Utz, der Euch das Fell ueber die Ohren zieht; denkt nur an das geringere Gewicht, an die harten Jagdfrevel. Jetzt hat er gar kein Geld mehr; er ist ein Lump, hat alles verspielt in Moempelgard--" "Halt Er sein Maul!" schrien die Buerger. "Was geht das Ihn an? Er ist kein hiesiger Buerger; fort mit dem Kahlmaeuser--schlagt ihn tot-- werft ihn als Fisch in den Brunnen--der Herzog soll leben!" Doktor Calmus erhob noch einmal seine Stimme; aber die Buerger ueberschrien ihn. In diesem Augenblick kam ein neuer Trupp Buerger aus der obern Stadt herabgerannt. "Der Herzog ist vor dem Rothenbuehltor", riefen sie, "mit Reitern und Fussvolk. Wo ist der Stadthalter? Wo sind die Bundesraete? Er will in die Stadt schiessen, wenn man nicht aufmacht! --Fort mit den Buendischen!--Wer ist gut wuerttembergisch?" Der Tumult wuchs von Sekunde zu Sekunde. Die Buerger schienen noch unschluessig, da bestieg ein neuer Redner die Bank; es war ein feiner Herr, der durch sein schmuckes Aeusseres einen Augenblick den Buergern imponierte: "Bedenkt, Ihr Maenner", rief er mit seiner Stimme, "was wird der durchlauchte Bundesrat dazu sagen, wenn Ihr--" "Was scheren wir uns um den Durchlauchten" ueberschrie man ihn "Fort! Reisst ihn herab mit dem rosenfarbenen Maentelein und dem glatten Haar, das ist ein Ulmer! Fort mit ihm--auf ihn, er ist von Ulm!" Aber ehe sie noch diesen Entschluss ausfuehrten; trat ein kraeftiger Mann hinauf, warf mit einem Schlag den Doktor rechts und den Ulmer mit dem rosenfarbenen Maentelein links von der Bank, und winkte mit der Muetze in die Luft. "Still! Das ist der Hartmann", fluesterten die Buerger, "der versteht's, hoert, was er spricht!" "Hoert mich", sprach dieser. "Der Stadthalter und die Bundesraete sind nirgends zu finden, sie sind entflohen und haben uns im Stich gelassen, drum greift die beiden da, wir wollen sie als Geiseln behalten Und jetzt hinauf ans Rothebuehltor. Dort steht unser rechter Herzog, 's ist besser, wir machen selbst auf, als dass er mit Gewalt eindringt. Wer ein guter Wuerttemberger ist, folgt mir nach!" Er stieg herab von der Bank, und jubelnd umgab ihn die Menge. Die beiden Fuersprecher des Bundes wurden, ehe sie sich dessen versahen, gebunden und fortgefuehrt. Jetzt ergoss sich der Strom der Buerger vom Marktplatz zum obern Tor, hinaus ueber den breiten Graben der alten Stadt in die Turnierackervorstadt, am Bollwerk vorbei zum Rothenbuehltor. Die buendischen Knechte, die das Tor besetzt hielten, wurden schnell uebermannt, das Tor ging auf, die Zugbruecke fiel herab und legte sich ueber den Stadtgraben. Dort hatten indessen die Anfuehrer des Fussvolks ihre besten Truppen aufgestellt, man wusste nicht genau, wie die Buendischen sich bei der Annaeherung des Herzogs benehmen wuerden. Ulrich selbst hatte die Posten beritten. Vergeblich suchte Georg von Sturmfeder ihn zu ueberzeugen, dass die Besatzung von Stuttgart so schwach sei, dass sie ihnen nicht die Spitze bieten koenne, vergeblich stellte er ihm vor, dass die Buerger ihn zuruecksehnen und willig ihre Tore oeffnen wuerden. Der Herzog schaute finster in die Nacht hinaus, presste die Lippen zusammen und knirschte mit den Zaehnen. "Das verstehst du nicht!" murmelte er dem Juengling zu. "Du kennst die Menschen nicht; sie sind alle falsch; traue niemand als Dir selbst. Sie drehen den Mantel nach jedem Wind!--Aber diesmal will ich sie lassen. Meinst Du, ich habe mein Land umsonst mit dem Ruecken angesehen?" Georg konnte diese Stimmung des Herzogs nicht begreifen. Im Unglueck war er fest, sogar mild und sanft gewesen; hatte von manchem schoenen Brauch gesprochen, den er einfuehren wolle, wenn er wieder ins Land komme, hatte selten Zorn ueber seine Feinde, beinahe nie Unmut ueber die Untertanen gezeigt, die von ihm abgefallen waren; aber sei es, dass mit dem Anblick der vaterlaendischen Gegenden auch das Gefuehl der Kraenkung staerker als zuvor in ihm erwachte, sei es, dass es ihm unangenehm auffiel, dass der Adel und die Staende noch nichts hatten von sich hoeren lassen; er war, seit er die Grenzen Wuerttembergs ueberschritten, nicht freudig, gehoben, erwartungsvoll, sondern ein stolzer Trotz blitzte aus seinen Augen, seine Stirn war finster, und eine gewisse Strenge und Haerte im Urteil fiel seiner Umgebung, besonders Georg von Sturmfeder, auf, der sich in diese neue Seite von Ulrichs Charakter nicht gleich zu finden wusste. Die Aufforderung an die Stadt mochte wohl schon seit einer halben Stunde ergangen sein. Bald war die Frist abgelaufen, die er ihnen gegeben hatte, und noch immer war keine Antwort da; man hoerte nur ein aengstliches Hin- und Herrennen in der Stadt, aus welchem man weder gute noch boese Zeichen deuten konnte. Der Herzog ritt zu den Landesknechten vor, die erwartungsvoll auf ihren Hellebarden und Donnerbuechsen lehnten. Die drei Ritter, welche sie fuehrten, standen am Graben und hielten durch ihre Anwesenheit die Knechte in Ruhe und Ordnung. Beim Schein des Mondes betrachtete Georg aengstlich Ulrichs Zuege. Die Ader auf seiner Stirn war aufgelaufen, eine tiefe Roete lag auf seinen Wangen, und seine Augen brannten in duesterer Glut. "Hewen! Lasst Leitern anschleppen", sagte er mit dumpfer Stimme. "Der Donner und das Wetter! Es ist mein eigen Haus, vor dem ich stehe, und die Hunde wollen mich nicht einlassen. Ich lass noch einmal blasen, machen sie dann nicht sogleich auf, so schmeiss' ich Feuer in die Stadt, dass ihre Kaefige zusammenbrennen." "Bassa manelka! Waz mich daz freut!" sagte der lange Peter, der in der ersten Rotte neben dem Herzog stand, leise zu seinen Kameraden. "Jetzt werden Leitern beigeschleppt, wie die Katzen wir hinauf, mit den Hellebarden ueber die Mauer gestochen, dass die Kerl herunter muessen, mit den Buechsen drein gepfeffert, Canto cacramento!" "Dat will it meenen!" fluesterte der Magdeburger, "und dann hinunter in die Stadt, angezuendet an den Ecken, gepluendert, gebuerstet, da will ik man ooch bei sin." "Um Gottes willen, Herr Herzog", rief Georg von Sturmfeder, welche die Reden des Herzogs und die graeuliche Freude der Landesknechte wohl vernommen hatte. "Wartet nur noch ein kleines Viertelstuendchen, es ist ja Eure eigene Residenzstadt. Sie beraten sich vielleicht noch." "Was haben sie sich lange zu beraten?" entgegnete Ulrich unwillig, "Ihr Herr ist hier aussen vor dem Tor und fordert Einlass. Ich habe schon zu lange Geduld gehabt. Georg! Breite mein Panier aus im Mondschein, lass die Trompeter blasen, fordere die Stadt zum letzten Mal auf! Und wenn ich dreissig zaehle nach Deinem letzten Wort, und sie haben noch nicht aufgemacht, beim heiligen Hubertus, so stuermen wir. Spute Dich, Georg!" "Oh, Herr! Bedenkt eine Stadt, Eure beste Stadt! Wie lange habt Ihr in diesen Mauern gelebt, wollt Ihr Euch ein solches Brandmal aufrichten? Gebt noch Frist." "Ha!" lachte der Herzog grimmig und schlug mit dem Stahlhandschuh auf den Brustharnisch, dass es weithin toente durch die Nacht. "Ich sehe, Dich geluestet nicht sehr, in Stuttgart einzuziehen und Dein Weib zu verdienen. Aber bei meiner Ungnade, jetzt kein Wort mehr, Georg von Sturmfeder. Schnell ans Werk! Ich sag', roll mein Panier auf! Blast, Trompeter, blast! Schmettert sie auf aus dem Schlaf, dass sie merken, ein Wuerttemberger ist vor dem Tor und will trotz Kaiser und Reich in sein Haus. Ich sag', fordere sie auf, Sturmfeder!" Georg folgte schweigend dem Befehl. Er ritt bis dicht vor den Graben und rollte das Panier von Wuerttemberg auf. Die Strahlen des Mondes schienen es freundlich zu begruessen, sie beleuchteten es deutlich und zeigten seine Felder und Bilder. Auf einer grossen Fahne von roter Seide war Wuerttembergs Wappen eingewoben. Der junge Mann schwenkte das schwere Panier in der starken Hand, drei Trompeter ritten neben ihm auf und schmetterten ihre wilden Fanfaren gegen die verschlossene Pforte. Im Tor oeffnete sich ein Fenster, man fragte nach dem Begehr. Georg von Sturmfeder erhob seine Stimme und rief: "Ulrich von Gottes Gnaden, Herzog zu Wuerttemberg und Teck, Graf zu Urach und Moempelgard, fordert zum zweiten und letzten Mal seine Stadt Stuttgart auf, ihm willig und sogleich die Tore zu oeffnen. Widrigenfalls wird er die Mauer stuermen und die Stadt als feindlich ansehen." Noch waehrend Georg dieses ausrief, hoerte man das verworrene Geraeusch vieler Tritte und Stimmen in der Stadt; es kam naeher und naeher und wurde zum Tumult und Geschrei. "Gott straf' mein Zeel', zie machen einen Auzfall!" sagte der lange Peter, laut genug, um vom Herzog verstanden zu werden. "Du koenntest recht haben", erwiderte dieser, indem er sich ploetzlich zu dem erschrockenen Landsknecht wandte. "Schliesst dichter an, streckt die Piken vor und haltet die Lunten bereit. Wir wollen sie empfangen nach Verdienst." Die ganze Linie zog sich vom Graben zurueck, nur die drei ersten Faehnlein stellten sich da, wo die Zugbruecke sich ans Land legen musste, auf. Ein Wall von Piken starrte jedem Angriff entgegen, und die Schuetzen hatten die Donnerbuechsen aufgelegt und hielten die Lunten ueber dem Zuendloch. Tiefe Stille der Erwartung war auf dieser Seite, desto brausender drang der Laerm aus der Stadt herueber. Die Bruecke fiel herab; aber keine Feinde waren es, die zu einem Ausfall herueberdrangen, sondern drei alte graue Maenner kamen aus dem Tor; sie trugen das Wappen der Stadt und die Schluessel. Als der Herzog dies sah, ritt er etwas freundlicher hinzu, Georg folgte ihm. Zwei dieser Maenner schienen Ratsherren oder Buergermeister zu sein. Sie beugten das Knie vor dem Herrn und ueberreichten ihm die Zeichen ihrer Unterwerfung. Er gab sie seinen Dienern und sagte zu den Buergern: "Ihr habt Uns etwas lange vor der Tuer warten lassen. Wahrhaftig, Wir waeren bald ueber die Mauer gestiegen und haetten eigenhaendig Eure Stadt zu Unserem Empfang beleuchtet, dass Euch der Rauch die Augen haette beizen sollen. Der Teufel! Warum liesst Ihr Uns so lange warten?" "Oh Herr!" sagte einer der Buerger. "Was die Buergerschaft betrifft, die war gleich bereit, Euch aufzutun. Wir haben aber etliche vornehme Herren vom Bund hier, die hielten lange und gefaehrliche Reden an das Volk, um es gegen Euch aufzuwiegeln. Das hat so lange verzoegert." "Ha! Wer sind diese Herren? Ich hoffe nicht, dass Ihr sie habt entkommen lassen! Mich geluestet, ein Wort mit ihnen zu sprechen." "Bewahre, Euer Durchlaucht! Wir wissen, was wir unserem Herrn schuldig sind. Wir haben sie sogleich gefangen und gebunden. Befehlt Ihr, dass wir sie bringen?" "Morgen frueh ins Schloss! Will sie selbst verhoeren; schickt auch den Scharfrichter; werde sie vielleicht koepfen lassen." "Schnelle Justiz, aber ganz nach Verdienst!" sprach hinter den beiden Buergern eine heisere kraechzende Stimme. "Wer spricht da mir ins Wort?" fragte der Herzog und schaute sich um; zwischen den beiden Buergern trat eine sonderbare Gestalt heraus. Es war ein kleiner Mann, der den Hoecker, womit ihn die Natur geziert hatte, unter einem schwarzen seidenen Mantel schlecht verbarg. Ein kleines spitzes Huetlein sass auf seinen grauen, schlichten Haaren, tueckische Aeuglein funkelten unter buschigen, grauen Augenbrauen, und der duenne Bart, der ihm unter der vorspringenden Adlernase hing, gab ihm das Ansehen eines sehr grossen Katers. Eine widerliche Freundlichkeit lag auf seinen eingeschrumpften Zuegen, als er vor dem Herzog das Haupt zum Gruss entbloesste, und Georg von Sturmfeder fasste einen unerklaerlichen Abscheu und ein sonderbares Grauen vor diesem Mann gleich beim ersten Anblick. Der Herzog sah den kleinen Mann an und rief freudig: "Ha! Ambrosius Volland, Unser Kanzler! Bist Du noch am Leben? Haettest zwar frueher schon kommen koennen, denn Du wusstest, dass Wir wieder ins Land dringen --aber sei Uns deswegen dennoch willkommen." "Allerdurchlauchtigster Herr!" antwortete der Kanzler Ambrosius Volland, "bin wieder so hart vom Zipperlein befallen worden, dass ich beinahe nicht aus meiner Behausung kommen konnte; verzeiht daher Euer -" "Schon gut, schon gut!" rief der Herzog lachend. "Will Dich schon vom Zipperlein kurieren. Komm morgen frueh ins Schloss. Jetzt aber geluestet Uns, Stuttgart wiederzusehen. Heran, mein treuer Bannertraeger!" wandte er sich mit huldreicher Miene zu Georg. "Du hast treulich Wort gehalten bis an die Tore von Stuttgart. Ich will's vergelten Bei St. Hubertus, jetzt ist die Braut Dein nach Recht und Billigkeit. Trag mir meine Fahne vor, wir wollen sie aufpflanzen auf meinem Schloss und jenes buendische Banner in den Staub treten! Gemmingen und Hewen, Ihr seid heute Nacht noch meine Gaeste. Wir wollen sehen, ob uns die Herren vom Schwabenbund noch ein Restchen Wein uebriggelassen haben!" So ritt Herzog Ulrich, umgeben von den Rittern, die seinem Zug gefolgt waren, wieder durch die Tore seiner Residenz. Die Buerger schrien Vivat, und die schoenen Maedchen verneigten sich freundlich an den Fenstern zum grossen Aergernis ihrer Muetter und Liebhaber; denn alle dachten, diese Gruesse gaelten dem schoenen jungen Ritter, der des Herzogs Banner trug und, beleuchtet vom Fackelschein, wie St. Georg, der Lindwurmtoeter, aussah. Kapitel 29 Das alte Schloss zu Stuttgart hatte damals, als es Georg von Sturmfeder am Morgen nach des Herzogs Einzug beschaute, nicht ganz die Gestalt, wie es noch in unsern Tagen zu sehen ist, denn dieses Gebaeude wurde erst von Ulrichs Sohn, Herzog Christoph, aufgefuehrt. Das Schloss der alten Herzoge von Wuerttemberg stand uebrigens an derselben Stelle und war in Plan und Ausfuehrung nicht sehr verschieden von Christophs Werk, nur dass es zum groessten Teil aus Holz gebaut war. Es war umgeben von breiten und tiefen Graeben, ueber welche eine Bruecke in die Stadt fuehrte. Ein grosser, schoener Vorplatz diente in frueheren Zeiten dem froehlichen Hof Ulrichs zum Tummelplatz fuer ritterliche Spiele, und mancher Reiter wurde von des Herzogs eigener gewaltiger Hand in den Sand geworfen. Die Zeichen dieses ritterlichen Sinnes sprachen sich auch in andern Teilen des Gebaeudes aus. Die Halle im unteren Teil des Schlosses war hoch und gewoelbt wie eine Kirche, dass die Ritter in dieser "Tyrnitz" bei Regentagen fechten und Speere werfen und sogar die ungeheuern Lanzen ungehindert darin handhaben konnten. Von der Groesse dieser fuerstlichen Halle zeugt die Aussage der Chronisten, dass man bei feierlichen Gelegenheiten dort oft zwei- bis dreihundert Tische gedeckt habe. Von da fuehrte eine steinerne Treppe aufwaerts, so breit, dass zwei Ritter nebeneinander hinaufreiten konnten. Dieser grossartigen Einrichtung des Schlosses entsprach die Pracht der Zimmer, der Glanz des Rittersaales und die reichen, breiten Galerien die zum Tanz und Spiel eingerichtet waren. Georg mass mit staunenden Augen diese verschwenderische Pracht der Hofburg. Er verglich den Sitz seiner Ahnen mit diesen Hallen, diesen Hoefen, diesen Saelen; wie klein und gering kam er ihm vor! Er erinnerte sich der Sage von der glaenzenden Hofhaltung Ulrichs, von seiner prachtvollen Hochzeit, wo er in diesem Schloss siebentausend Gaeste aus allen Teilen des deutschen Reiches speiste, wo in dem hohen Gewoelbe der Tyrnitz und in dem weiten Schlosshof einen ganzen Monat lang Ritterspiele und Gelage gehalten wurden, und wenn der Abend einbrach, hundert Grafen Ritter und Edelleute mit Hunderten der schoensten Damen in jenen Saelen und Galerien tanzten. Er blickte hinab in den herrlichen Schlossgarten, das Paradies genannt. Seine Phantasie bevoelkerte diese Lustgehege und Gaenge mit jenem froehlichen Gewimmel des froehlichen Hofes, mit den Heldengestalten der Ritter, mit den festlich geputzten Fraeulein, mit allem Jubel und Sang, der einst hier erscholl. Aber wie oede und leer deuchten ihm diese Mauern und Gaerten, wenn er die Gegenwart mit den Bildern seiner Phantasie verglich. Die Gaeste der Hochzeit, der glaenzende, lustige Hof ist verschwunden, sprach er zu sich, die fuerstliche Gemahlin ist entflohen, der glaenzende Frauenkreis, der sie einst umgab, hat sich zerstreut, die Ritter und Grafen, die einst hier schmausten und ein reiches Leben voll Spiel und Tanz verlebten sind von dem Fuersten abgefallen, die zarten Sprossen seiner Ehe sind in fernen Landen--er selbst sitzt einsam in dieser herrlichen Burg, bruetet Rache an seinen Feinden und weiss nicht, wie lange er nur in dem Haus seiner Vaeter bleiben wird. Ob nicht aufs neue seine Feinde noch maechtiger heranziehen, ob er nicht noch ungluecklicher wird als je zuvor! Vergeblich strebte der Juengling, diese trueben Gedanken, welche der Widerspruch der Pracht seiner Umgebung mit dem Unglueck des Herzogs in ihm erweckt hatte, zu unterdruecken. Vergebens rief er das Bild jenes holden Wesens herauf, das er jetzt bald auf ewig sein nennen durfte, vergeblich malte er sich sein haeusliches Glueck an ihrer Seite mit den lockendsten, reizendsten Farben aus; jene trueben Bilder kehrten immer wieder. Sei es, dass jener Mann durch die Erhabenheit, die er im Unglueck gezeigt hatte, einen so grossen Raum in der Brust des Juenglings gewonnen hatte, sei es, dass ihn die Natur in einzelnen Augenblicken mit einem unwillkuerlichen Gefuehl der Ahnung begabte, er blieb sinnend und ernst, und es war ihm, als sei der Herzog nichts weniger als gluecklich, als muesse er ihn vor irgendeinem drohenden Unglueck warnen. "So ueberaus ernst, junger Herr?" fragte eine heisere Stimme hinter ihm, und weckte ihn aus seinen Gedanken. "Ich daechte doch, Georg von Sturmfeder haette alle Ursache, heiter und guter Dinge zu sein!" Der junge Mann wandte sich verwundert um und schaute herab--auf den Kanzler Ambrosius Volland. War ihm dieser Mann schon gestern durch seine widrige Freundlichkeit, durch sein katerhaftes, schleichendes Wesen unangenehm aufgefallen, so war dies heute noch mehr der Fall, da der Kanzler durch ueberladenen Putz seine Missgestalt noch mehr herausgehoben hatte. Dieser Mann war es, der an Georg von Sturmfeder mit suessem Laecheln hinaufsah, und da ihn dieser noch immer anstarrte, zu sprechen fortfuhr: "Ihr kennt mich vielleicht nicht, wertgeschaetzter junger Freund, ich bin aber Ambrosius Volland, Sr. Durchlaucht Kanzler. Ich komme, um Euch einen guten Morgen zu wuenschen." "Ich danke Euch, Herr Kanzler. Viel Ehre fuer mich, wenn Ihr Euch deswegen her bemuehtet." "Ehre, wem Ehre gebuehrt! Ihr seid der Ausbund und die Krone unserer jungen Ritterschaft! Ja, wer meinem Herrn so treu beigestanden ist in aller Not und Faehrlichkeit, der hat Anspruch auf meinen innigsten Dank und meine sonderliche Verehrung." "Ihr haettet das wohlfeiler haben koennen; wenn Ihr mitgezogen waeret nach Moempelgard", erwiderte Georg, den die Lobsprueche dieses Mannes beleidigten. "Treue muss man nie loben, eher Untreue schelten." Einen Augenblick blitzte ein Strahl des Zornes aus den gruenen Augen des Kanzlers, aber er fasste sich schnell wieder zur alten Freundlichkeit. "Jawohl, das mein' ich auch. Was mich betrifft, so lag ich am Zipperlein hart danieder und konnte also nicht nach Moempelgard reisen. Werde aber jetzt mit meinem kleinen Licht, das mir der Himmel verliehen; dem Herrn desto taetiger zur Hand gehen." Er hielt einen Augenblick inne und schien Antwort zu erwarten. Aber der Juenglig schwieg und mass ihn nur hin und wieder mit einem Blick, den er nicht recht ertragen konnte. "Nun, Euch wird die Freude erst recht angehen. Der Herzog haelt erstaunlich viel von Euch! Natuerlich, Ihr verdient es auch im hoechsten Grad, und der Herzog hat seinen Liebling gut gewaehlt. Wollt doch erlauben, dass Ambrosius Volland Euch auch eine kleine Erkenntlichkeit zeige. Seid Ihr Freund von schoenen Waffen? Kommt in meine Behausung auf dem Markt, waehlt Euch aus meiner Armatur, was Euch beliebt. Vielleicht dienen Euch schoene Buecher, habe einen ganzen Kasten voll, waehlt Euch aus, was Ihr wollt, wie es unter Freunden gebraeuchlich. Esst auch zuweilen bei mir zu Mittag, meine Base, ein feines Kind von siebzehn Jahren, haelt mir Haus. Seht ihr nur, hi, hi, hi--seht ihr nur nicht zu tief in die Augen." "Seid ohne Sorgen, bin schon versehen." "So? Ei das ist recht christlich gedacht; das muss ich loben Man trifft solchen wackern Sinn nicht immer unter unserer heutigen Jugend. Ich sagte es ja gleich, der Sturmfeder, das ist ein Ausbund von Tugenden. Nun, was ich noch sagen wollte, wir sind bis jetzt so miteinander die einzigen von des Herzogs Hofstaat; stehen wir zusammen; so werden nur Leute aufgenommen, die wir wollen. Versteht mich schon! Hi, hi, eine Hand waescht die andere. Darueber laesst sich noch sprechen. Ihr beehrt mich doch zuweilen mit einem Besuch?" "Wenn es meine Zeit erlauben wird, Herr Kanzler." "Wuerde mich gerne noch laenger bei Euch aufhalten, denn in Eurer Gegenwart ist mir ganz wohl ums Herz, muss aber jetzt zum Herrn. Er will heute frueh Gericht halten ueber die zwei Gefangenen, die gestern nacht das Volk aufwiegeln wollten. Wird was geben; der Beltle ist schon bestellt." "Der Beltle?" fragte Georg, "wer ist er?" "Das ist der Scharfrichter, wertgeschaetzter junger Freund." "Ich bitte Euch! Der Herzog wird doch nicht den ersten Tag seiner neuen Regierung mit Blut beflecken wollen!" Der Kanzler laechelte grauenerregend und antwortete: "Was das wieder Eurem fuertrefflichen Herzen Ehre macht; aber zum Blutrichter taugt Ihr nicht. Man muss ein Exempel statuieren. Der eine", fuhr er mit zarter Stimme fort, "der eine wird gekoepft, weil er von Adel ist, der andere wird gehaengt. Behuet Euch Gott, Lieber!" So sprach der Kanzler Ambrosius Volland und ging mit leisen Schritten die Galerie entlang den Gemaechern des Herzogs zu. Georg sah ihm mit duesteren Blicken nach. Er hatte gehoert, dass dieser Mann frueher durch seine Klugheit, vielleicht auch durch unerlaubte Kuenste, grossen Einfluss auf Ulrich gewonnen haette. Er hatte den Herzog selbst oft mit grosser Achtung von der Staatsklugheit dieses Mannes sprechen hoeren. Aber er wusste nicht warum, er fuerchtete fuer den Herzog, wenn er sich dem Kanzler vertraue, er glaubte Tuecke und Falschheit in seinen Augen gelesen zu haben. Er sah gerade den Hoecker und den wehenden gelben Mantel um die Ecke schweben, als eine Stimme neben ihm fluesterte: "Traut dem Gelben nicht!" Es war der Pfeifer von Hardt, der sich unbemerkt an seine Seite gestellt hatte. "Wie? Bist Du es, Hans?" rief Georg und bot ihm freundlich die Hand. "Kommst Du ins Schloss, uns zu besuchen? Das ist schoen von Dir, bist mir wahrhaftig lieber als der mit dem Hoecker. Aber was wolltest Du mit dem Gelben, dem ich nicht trauen solle?" "Das ist eben der mit dem Hoecker, der Kanzler, der ist ein falscher Mann. Ich habe auch den Herzog gewarnt, er soll nicht alles tun, was er ihm raet; aber er wurde zornig, und es mag wahr sein, was er sagte." "Was sagte er denn? Hast Du ihn heute schon gesprochen?" "Ich kam, um mich zu verabschieden, denn ich gehe wieder heim nach Hardt zu Weib und Kind. Der Herr war erst geruehrt und erinnerte sich an die Tage seiner Flucht und sagte, ich soll mir eine Gnade ausbitten. Ich aber habe keine verdient, denn was ich getan, ist eine alte Schuld, die ich abgetragen. Da sage ich, weil ich nichts anders wusste, er solle mich meinen Fuchs frei schiessen lassen und es nicht strafen als Jagdfrevel. Des lachte er und sprach: das koenne ich tun, das sei aber keine Gnade; ich solle weiter bitten. Da fasste ich ein Herz und antwortete: Nun, so bitt' ich, Ihr moegt dem schlauen Kanzler nicht allzuviel trauen und folgen. Denn ich meine, wenn ich ihn sehe, er meint es falsch." "So geht es mir gerade auch", rief Georg. "Es ist, als wolle er mir die Seele ausspionieren mit den gruenen Augen, und ich wette, er meint es falsch. Aber was gab Dir der Herzog zur Antwort?" "'Das verstehst Du nicht', sagte er und wurde boese. 'In Klueften und Hoehlen magst Du wohl bewandert sein; aber im Regiment kennt der Kanzler die Schliche besser als Du.' Kann sein, ich habe unrecht, und es soll mir lieb sein um den Herzog. Nun lebt wohl, Junker, Gott sei mit Euch! Amen!" "Und wolltest Du so gehen? Wolltest nicht noch zu meiner Hochzeit bleiben? Ich erwarte den Vater und das Fraeulein heute. Bleibe noch ein paar Tage. Du warst so oft der Liebesbote und darfst uns nicht fehlen!" "Was soll so ein geringer Mann wie ich bei der Hochzeit eines Ritters? Zwar koennte ich mich hinaufsetzen zu den Spielleuten und auch eines aufspielen zum Ehrentanz, aber das tun andere so gut als ich, und mein Haus verlangt nach mir." "Nun; so lebe wohl! Gruesse mir Dein Weib und Baerbele, Dein schmuckes Toechterlein, und besuche uns fleissig auf Lichtenstein. Gott sei mit Dir." Dem Juengling hing eine Traene im Auge, als er dem Bauer die Hand zum Abschied bot, denn er hatte in ihm einen kraeftigen biederen Mann, einen treuen Diener seines Fuersten, einen mutigen Genossen in Gefahren und einen heiteren Gesellen im Unglueck erkannt. Wohl schwebte ihm noch manche Frage ueber das geheimnisvolle Walten dieses Mannes, ueber seine wunderbare Anhaenglichkeit an den Herzog auf den Lippen; aber er unterdrueckte sie, ueberwaeltigt von jener unerklaerlichen Macht, von jener natuerlichen Groesse und Wuerde, welche den Pfeifer von Hardt auch im unscheinbaren Gewand des Bauers umgab. "Noch eins!" rief Hans, als er eben nach dem letzten Haendedruck des Junkers scheiden wollte. "Wisst Ihr auch, dass Euer ehemaliger Gastfreund und zukuenftiger Vetter, Herr von Kraft, hier ist?" "Der Ratsschreiber? Wie sollt' der hierher kommen? Er ist ja buendisch." "Er ist hier, und nicht gerade in anmutigsten Umstaenden denn er sitzt gefangen. Gestern abend, als das Volk zusammenlief wegen des Herzogs, soll er fuer den Bund oeffentlich gesprochen haben." "Gott im Himmel! Das war Dietrich Kraft, der Ratsschreiber? Da muss ich schnell zum Herzog, er richtet schon ueber ihn, und der Kanzler will ihn koepfen lassen. Gehab' Dich wohl!" Mit diesen Worten eilte der Juengling den Korridor entlang zu den Gemaechern des Herzogs. Er war in Moempelgard zu allen Tageszeiten zum Herzog gegangen, daher machten ihm auch jetzt die Torhueter ehrerbietig Platz. Er trat hastig in das Gemach. Der Herzog sah ihn verwundert und etwas unwillig an; der Kanzler aber hatte das ewige suesse Laecheln wie eine Larve vorgehaengt. "Guten Morgen, Sturmfeder!" rief der Herzog, der in einem gruenen, goldgestickten Kleid, den gruenen Jagdhut auf dem Kopf, am Tisch sass. "Hast Du gut geschlafen in meinem Schloss? Was fuehrt Dich schon so frueh zu Uns? Wir sind beschaeftigt." Die Augen des jungen Mannes hatten indessen unruhig im Zimmer umhergeschweift und den Schreiber des Ulmer Rats in einer Ecke gefunden. Er war blass wie der Tod, sein sonst so zierliches Haar hing in Verwirrung herab, und ein rosenfarbiges Maentelein, das er ueber ein schwarzes Kleid trug, war in Fetzen zerrissen. Er warf einen ruehrenden Blick auf den Junker Georg und sah dann auf zum Himmel, als wollte er sagen: "Mit mir ist's aus!" Neben ihm standen noch einige Maenner, und auch ein langer, hagerer Mann, den er schon gesehen zu haben sich erinnerte. Die Gefangenen wurden von Peter, dem tapfern Magdeburger, und dem Staberl aus Wien bewacht. Sie standen mit ausgespreizten Beinen, die Hellebarden auf den Boden gestemmt, kerzengerade auf ihrem Posten. "Ich sag', Wir haben zu tun", fuhr der Herzog fort. "Was schaust Du nur immer nach dem rosenfarbigen Menschenkind? Das ist ein verstockter Suender. Das Schwert wird schon fuer ihn gewetzt." "Euer Durchlaucht erlauben mir nur ein Wort", entgegnete Georg, "Ich kenne jenen Mann und wollte mich mit Hab und Gut fuer ihn verbuergen, dass er ein friedlicher Mann ist, und gewiss kein Verbrecher, der den Tod vediente." "Bei St. Hubertus, das ist kuehn! Die Natur hat sich geaendert. Mein Kanzler, der treffliche Jurist, hat sich aufgeputzt wie ein junger Krieger, und mein junger Krieger dort will den Advokaten machen. Was sagt Ihr dazu, Ambrosius Volland?" "Hi, hi! Ich habe Euer Durchlaucht durch meine Person Spass machen wollen. Weiss aus frueherer Zeit, dass Ihr einen kleinen Scherz liebt. Nun der liebe gute Sturmfeder will die Lustbarkeit vermehren und den Juristen spielen Hi, hi, hi! Wird ihm aber nichts helfen, dem Rosenfarbigen. Majestaetsverbrechen! Wird halt doch gekoepft, der im Maentelein." "Herr Kanzler", rief der Juengling, vor Unmut gluehend, "der Herr Herzog wird mir bezeugen koennen, dass ich mich nie zum Schalksnarren hergegeben habe. Diese Rolle mache ich anderen nicht streitig. Und mit Menschenleben spiele und scherze ich nie! Es ist mein wahrer Ernst. Ich verbuerge mich mit meinem Leben fuer gegenwaertigen Edlen von Kraft, Ratsschreiber in Ulm. Ich hoffe, meine Buergschaft kann angenommen werden." "Wie?" sagte Ulrich. "Das ist wohl der zierliche Herr, Dein Gastfreund, von dem Du mir so oft erzaehltest? Tut mir leid um ihn, aber er wurde in einem Aufruhr unter sehr gefaehrlichen Umstaenden gefangen." "Freilich!" kraechzte Ambrosius, "ein Crimen laesae majestatis." "Erlaubt Herr! Ich hab die Rechte lang genug studiert, um zu wissen, dass hier durchaus nicht von einem solchen Verbrechen die Rede sein kann. Gestern nacht waren die Bundesraete und der Statthalter noch hier, folglich war Stuttgart noch in der Gewalt des Bundes, und der Ratsschreiber, der durchaus kein Untertan Sr. Durchlaucht ist, hat nicht anders gehandelt als jeder buendische Soldat, der auf Befehl seines Oberen gegen uns zu Feld zog." "Ei, die Jugend, die Jugend! Wie Ihr alles ueberhaspelt, junger, sehr wertgeschaetzter Freund! Sobald der Herzog die Stadt aufgefordert hatte und eingezogen war, war auch alles, was in den Mauern sich befand, sein. Folglich, wer eine Verschwoerung gegen ihn anzettelte, ist ein Majestaetsverbrecher. Besagter Herr von Kraft aber hat schrecklich gefaehrliche Reden an das Volk gehalten." "Nicht moeglich! Es waere ganz gegen seine Art und Weise! Herr Herzog, das kann nicht sein!" "Georg!" sagte dieser ernst. "Wir haben lange Geduld gehabt, Dich anzuhoeren. Es hilft Deinem Freund doch nichts. Hier liegt das Protokoll. Der Kanzler hat, ehe ich kam, ein Zeugenverhoer angestellt, worin alles sonnenklar bewiesen ist. Wir muessen ein Exempel statuieren. Wir muessen unsere Feinde recht ins Herz hinein verwunden der Kanzler hat ganz recht. Darum kann ich keine Gnade geben." "So erlaubt mir nur noch eine Frage an ihn und die Zeugen, nur ein paar Worte." "Ist gegen alle Form Rechtens", fiel der Kanzler ein "Ich muss dagegen protestieren, Lieber! Dies ist ein Eingriff in mein Amt." "Lass ihn, Ambrosius. Mag er meinetwegen noch ein paar Fragen an den armen Suender tun, er ist doch verloren." "Dietrich von Kraft", fragte Georg, "wie kommt Ihr hierher?" Der arme Ratsschreiber, den der Tod schon an der Kehle gefasst hatte, verdrehte die Augen und seine Zaehne schlugen aneinander. Endlich konnte er herausstossen: "Bin hierher geschickt worden vom Rat, wurde Schreiber beim Statthalter." "Wie kamt Ihr gestern nacht zu den Buergern von Stuttgart?" "Der Statthalter befahl mir abends, wenn etwa die Buerger sich aufruehrerisch zeigten, sie anzureden und zu ihrer Pflicht und ihrem Eid zu verweisen." "Ihr seht, er kam also auf hoeheren Befehl dorthin--Wer nahm Euch gefangen?" fuhr Georg zu fragen fort. "Der Mann, der neben Euch steht." "Ihr habt diesen Herrn gefangen? Also muesst Ihr auch gehoert haben, was er sprach? Was sagte er denn?" "Ja, was wird er gesagt haben?" antwortete der Buerger. "Er hat keine sechs Worte gesprochen, so warf ihn der Buergermeister Hartmann von der Bank herunter. Ich weiss noch, er hat gesagt: 'Aber bedenkt, ihr Leute, was wird der durchlauchtigste Bundesrat dazu sagen!' Das war alles, da nahm ihn der Hartmann beim Kragen und warf ihn herunter. Aber dort, der Doktor Calmus, der hielt eine laengere Rede." Der Herzog lachte, dass das Gemach droehnte, und sah bald Georg, bald den Kanzler an, der ganz bleich und verstoert sich umsonst bemuehte, sein Laecheln beizubehalten. "Das war also die gefaehrliche Rede, das Majestaetsverbechen? 'Was wird der Bundesrat dazu sagen!' Armer Kraft! Wegen dieses kraftvollen Spruechleins verfielst Du beinahe dem Scharfrichter. Nun, das haben selbst unsere Freunde oft gesagt: 'Was werden die Herren sagen, wenn sie hoeren, der Herzog ist im Land.' Deswegen soll er nicht bestraft werden. Was sagst Du dazu, Sturmfeder?" "Ich weiss nicht, was Ihr fuer Gruende habt, Herr Kanzler", sagte der Juengling, indem sein Auge noch immer von Unmut strahlte, "die Sachen so auf die Spitze zu stellen und dem Herrn Herzog zu Massregeln zu raten, die ihn ueberall--ja ich sage es, die ihn ueberall als einen Tyrannen ausschreien muessen. Wenn es nur Diensteifer ist, so habt Ihr diesmal schlecht gedient." Der Kanzler schwieg und warf nur einen grimmigen, stechenden Blick aus den gruenen Aeuglein auf den jungen Mann. Der Herzog aber stand auf und sprach: "Lass mir mein Kanzlerlein gehen; diesmal freilich war er zu streng, Da--nimm Deinen rosenroten Freund mit Dir. Gib ihm zu trinken auf die Todesangst, und dann mag er laufen, wohin er will. Und Du, Hund von einem Doktor, der Du zu schlecht zu einem Hundedoktor bist, fuer Dich ist ein wuerttembergischer Galgen noch zu gut. Gehaengt wirst Du doch noch einmal, ich will mir die Muehe nicht geben. Langer Peter, nimm diesen Burschen binde ihn rueckwaerts auf einen Esel und fuehre ihn durch die Stadt. Und dann soll man ihn nach Esslingen fuehren--zu den hochweisen Raeten, wo er und sein Tier hingehoeren. Fort mit ihm!" Die Zuege des Doktor Kahlmaeuser, in welchen schon der Tod gesessen war, heiterten sich auf. Er holte freier Atem und verbeugte sich tief. Peter, Staberl und der Magdeburger fielen mit grimmiger Freude ueber ihn her, luden ihn auf ihre breiten Schultern und trugen ihn weg. Der Ratsschreiber von Ulm vergoss Traenen der Ruehrung und Freude. Er wollte dem Herzog den Mantel kuessen, doch dieser wandte sich ab und winkte Georg, den Geruehrten zu entfernen. Kapitel 30 Der Schreiber des grossen Rates schien noch nicht Fassung genug erlangt zu haben, um auf dem Weg durch die Gaenge und Galerien des Schlosses die vielen Fragen seines Erretters zu beantworten. Auf Georgs Zimmer angekommen, sank er erschoepft auf einen Stuhl, und es verging noch eine gute Weile, ehe er geordnet zu denken und zu antworten vermochte. "Eure Politia, Vetter, hat Euch einen schlimmen Streich gespielt", sagte Georg, "was faellt Euch aber auch ein, in Stuttgart als Volksredner auftreten zu wollen? Wie konntet Ihr ueberhaupt nur Eure bequeme Haushaltung, die sorgsame Pflege der Amme und die Naehe der holden Berta fliehen, um hier dem Statthalter zu dienen?" "Ach! Sie ist es ja gerade, die mich in den Tod geschickt hat. Berta ist an allem schuld. Ach, dass ich nie mein Ulm verlassen haette! Mit dem ersten Schritt ueber unsere Markung fing mein Jammer an." "Berta hat Euch fortgeschickt?" fragte Georg. "Wie, seid Ihr nicht zum Ziel Eurer Bemuehungen gelangt? Sie hat Euch abgewiesen, und aus Verzweiflung seid Ihr--." "Gott behuete! Berta ist so gut als meine Braut. Ach, das ist gerade der Jammer! Wie Ihr von Ulm abgezogen waret, bekam ich Haendel mit Frau Sabina, der Amme. Da entschloss ich mich und hielt bei meinem Oheim um das Baeschen an. Nun habt Ihr aber dem Maedchen durch Euer kriegerisches Wesen gaenzlich den Kopf verrueckt. Sie wollte, ich solle vorher zu Feld ziehen und ein Mann werden wie Ihr.--Dann wolle sie mich heiraten. Ach, Du gerechter Gott!" "Und da seid Ihr foermlich zu Feld gezogen gegen Wuerttemberg? Welche kuehne Gedanken das Maedchen hat!" "Bin zu Feld gezogen; die Strapazen vergesse ich in meinem Leben nicht! Mein alter Johann und ich rueckten mit dem Bundesheer aus. Das war ein Jammer! Mussten oft taeglich acht Stunden reiten. Die Kleider kamen in Unordnung, alles wurde bestaubt und unsauber, der Panzer drueckte mich wund. Ich hielt es nicht mehr aus, und Johann lief heim nach Ulm; da bat ich um eine Stelle bei der Feldschreiberei, mietete mir eine Saenfte und zwei tuechtige Saumrosse dazu, und so ging es doch ertraeglicher." "Da wurdet Ihr also zu Feld getragen, wie der Hund zum Jagen. Habt Ihr auch einem Treffen beigewohnt?" "Oh ja, bei Tuebingen kam ich hart ins Gedraenge. Keine zwanzig Schritte von mir wurde einer mausetot geschossen. Ich vergesse den Schreck nicht, und wenn ich achtzig Jahre alt werde! Als wir dann das Land voellig besiegt hatten, bekam ich die ehrenvolle Stelle beim Statthalter. Wir lebten ruhig und im Frieden, da kommt auf einmal wieder der unruhige Herr ins Land. Ach, dass ich meinem Kopf gefolgt und mit dem Bundesobersten nach Noerdlingen auf den Bundestag gezogen waere! Aber ich scheute die beschwerliche Reise." "Warum seid Ihr aber nicht mit dem Statthalter davongegangen, als wir kamen? Der sitzt jetzt im Trockenen in Esslingen, bis wir ihn weiter jagen." "Er hat uns im Stich gelassen und meinem Kopf alles anvertraut, und beinahe haette ich mit dem Kopf dafuer buessen muessen. Ich dachte nicht, dass die Gefahr so gross sei, liess mich vom Doktor Calmus verfuehren, eine Rede ans Volk zu halten, um Wuerttemberg dem Bund zu retten. Das haette gewiss Aufsehen gemacht, und Berta waere noch einmal so freundlich gewesen. Aber die Leute da unten in Wuerttemberg sind Barbaren und ohne alle Lebensart; sie liessen mich nicht einmal zu Wort kommen, warfen mich herab und behandelten mich ganz gemein und grob. Seht nur meinen Mantel da, wie sie ihn zerrissen haben! Es ist schade dafuer, er hat mich vier Goldgulden gekostet, und Berta behauptet immer, dass mir rosenfarb so gut zu Gesicht stehe." Georg wusste nicht, ob er ueber die Torheit des Schreibers lachen, oder es als hohen stoischen Gleichmut bewundern sollte, dass er, kaum dem Tod entgangen, sein zerrissenes Maentelein bedauern konnte. Er wollte ihn noch weiter ueber sein Schicksal befragen, als ihn ein Geraeusch vom Vorplatz des Schlosses her ans Fenster lockte; er sah hinaus und winkte Herrn Dietrich herbei, um ihm das Schauspiel gefallener irdischer Groesse zu zeigen. Der Doktor Calmus hielt seinen Umzug durch die Stadt. Er sass verkehrt auf einem Esel; die Landsknechte hatten ihn wunderlich ausgeschmueckt; sie hatten ihm eine Muetze von Leder aufgesetzt, an deren Spitze eine Hahnenfeder angebracht war. Vor ihm gingen zwei Trommler, zu seinen Seiten sah man in gravitaetischen Schritten den Magdeburger und den Wiener, den ehemaligen Hauptmann Muckerle und seinen tapfern Obersten gehen, die hin und wieder mit den Enden ihrer Hellebarden den Esel zu kuehnen Spruengen antrieben. Ein ungeheurer Volkshaufen umschwaermte ihn und bewarf ihn mit Eiern und Erde. Der Ratsschreiber schaute truebselig auf seinen Gefaehrten hinab und seufzte: "'s ist hart, auf dem Esel reiten zu muessen", sagte er, "aber doch immer noch besser, als gehaengt werden." Er wandte sich von dem Schauspiel ab und blickte nach einer anderen Seite des Schlossplatzes. "Wer kommt denn hier?" fragte er den jungen Ritter. "Schaut, in einem solchen Kasten zog ich zu Felde." Georg wandte sich um. Er sah einen Zug von Reisigen, die eine Saenfte in ihrer Mitte fuehrten. Ein alter Herr zu Pferd folgte dem Zug, der jetzt aufs Schloss einbog, Georg sah schaerfer hinab: "Sie sind's", rief er, "wahrhaftig, es ist der Vater, und in der Saenfte wird sie sitzen!" In einem Sprung war er zur Tuer hinaus, und der Ratsschreiber sah ihm staunend nach. "Wer soll es sein, welcher Vater?" fragte er. Er schaute noch einmal durchs Fenster, die Saenfte hielt vor der Zugbruecke des Schlosses, und in demselben Augenblick stuerzte Georg aus dem Tor. Herr Dietrich sah ihn die Tuer der Saenfte ungestuem aufreissen, eine verschleierte Dame stieg aus, sie schlug den Schleier zurueck--und wunderbar! Es war das Baeschen Marie von Lichtenstein. "Ei, seh doch einer? Er kuesst sie auf oeffentlicher Strasse", sprach der Ratsschreiber kopfschuettelnd vor sich hin, "was das eine Freude ist! Aber wehe, jetzt kommt der Alte um die Saenfte herum, der wird Augen machen! Der wird schimpfen!--Doch wie? Er nickt dem Juengling freundlich zu, er steigt ab, er umarmt ihn Nein, das geht nicht mit rechten Dingen zu!" Und dennoch schien es durchaus mit rechten Dingen zuzugehen; denn als der Schreiber des grossen Rates aus dem Zimmer auf die Galerie trat, um sich zu ueberzeugen, dass ihn seine Augen getaeuscht haben muessten, kam sein Oheim, der alte Herr von Lichtenstein, die Treppe herauf. An der rechten Hand fuehrte er Georg von Sturmfeder, an der linken-- Baeschen Marie. Welche Veraenderung war mit jenen holden Zuegen vorgegangen, die sich so tief in sein Herz, in sein Gedaechtnis gepraegt hatten. In Ulm war sie ihm zum ersten Mal wie ein Bote aus einem unbekannten Land erschienen, so erhaben war der Blick ihrer schoenen blauen Augen, so majestaetisch ihre Stirn, so sinnig jenes kleine Fleckchen zwischen den schoenen, dunkeln Bogen der Brauen. Er hatte oft und viel darueber nachgedacht, worin denn der Zauber bestehe, der ihn so unwiderstehlich fessle? Die Ulmer Maedchen hatten frischere Wangen, lebhaftere Augen, ein schalkhafteres Laecheln und den froehlichen, frischen Glanz einer heiteren Jugend. Und dennoch war Marie unter ihnen gestanden, still und gross wie eine Koenigin. War es vielleicht der dunkle Schleier ihrer Wimpern, der sich oft mit unnennbarem Reiz ueber das Auge herabsenkte, um das Geheimnis einer stillen Traene zu verhuellen? Waren es die feinen, geschlossenen Lippen, von suesser Wehmut umlagert? War es der zarte Wechsel der Farben auf ihren Zuegen, die bald nur gebietende Hoheit auszustrahlen, bald das reizende Geheimnis leidender Liebe zu verraten schienen? Bertas Heiterkeit, Bertas froehliche, neckende Gunst hatten dieses ernstere Bild laengst aus seinem Herzen verdraengt, und doch fuehlte der arme Herr Dietrich die alte Wunde wieder bluten, als das Fraeulein von Lichtenstein sich nahte. Aber welcher unbekannten Macht sollte er es zuschreiben, dass Mariens Zuege einen ganz anderen Ausdruck gewonnen hatten? Wohl lag noch eine hohe Wuerde in ihrer Haltung, auf ihrer Stirn, aber in ihren Augen gluehte eine stille Freude, ihr Mund laechelte und scherzte, auf ihren Wangen waren die schoensten Rosen aufgeblueht. Sprachlos hatte Dietrich von Kraft diese Erscheinung angestarrt, und jetzt erst wurde auch er von dem alten Ritter bemerkt. "Seh' ich recht", rief dieser. "Dietrich Kraft, mein Neffe! Was fuehrt denn Dich nach Stuttgart, kommst Du etwa zur Hochzeit meiner Tochter mit Georg von Sturmfeder? Aber wie siehst Du aus? Was fehlt Dir doch? Du bist so bleich und elend, und Deine Kleider haengen Dir in Fetzen vom Leib?" Der Ratsschreiber sah herab auf das rosenfarbige Maentelein und erroetete. "Weiss Gott", rief er, "ich kann mich vor keinem ehrlichen Menschen sehen lassen! Diese verdammten Wuerttemberger, diese Weingaertner und Schustersjungen haben mich so zerfetzt. Aber wahrhaftig! Der ganze durchlauchtige Bund ist in meiner Person angegriffen und beleidigt!" "Ihr duerft froh sein, Vetter, dass Ihr so davongekommen seid", sagte Georg, indem er die Angekommenen in sein Gemach einfuehrte. "Bedenkt, Herr Vater, gestern nacht, als wir vor den Toren standen, hielt er Reden an die Buerger, um sie gegen uns aufzuwiegeln. Da hat ihn heute frueh der Kanzler wollen koepfen lassen. Mit grosser Muehe bat ich ihn los, und jetzt klagt er die Wuerttemberger wegen seines zerfetzten Maenteleins an." "Mit gnaediger Erlaubnis", sagte Frau Rosel, und verbeugte sich dreimal vor dem Ratsschreiber, "wenn Ihr meine Hilfe annehmen wollt, so will ich den Mantel flicken, dass es eine Lust ist. Da geht's wie im Sprichwort: 'Hat der Junge den Rock zerrissen, hat der Alt' ihn flicken muessen'." Herrn Dietrich war diese Hilfe sehr angenehm. Er bequemte sich, zu der Frau Rosel ans Fenster zu sitzen, um sich seine Gewaender zurechtrichten zu lassen. Sie zog aus ihrer grossen Ledertasche Zwirn von allen Farben und machte sich an die Wunden, die ihm die Wuerttemberger geschlagen hatten. Sie unterhielt ihn dabei mit ergoetzlichen Reden von der Haushaltung und der Zubereitung verschiedener Speisen, die in Frau Sabinas Kochregister nicht vorgekommen waren. Entfernt von diesem Paar, um die ganze Breite des Zimmers, sassen Georg und Marie im traulichen Fluestern der Liebe. Der Leser wird uns Dank wissen, wenn wir ihn von dieser Szene hinwegfuehren und den Schritten des Ritters von Lichtenstein folgen. Er hatte seine Tochter unter der Pflege Georgs, seinen Neffen unter der kunstreichen Hand von Frau Rosalie gelassen, und schritt nun den Gemaechern des Herzogs zu. Seine Zuege, welchen Alter und Erfahrung einen sinnenden Ernst eingedrueckt hatten, erschienen in dieser Stunde noch ernster--beinahe traurig. Dieser Mann hatte von seinen Vaetern die Liebe zum Haus Wuerttemberg geerbt, Gewohnheit und Neigung hatten ihn an die Regenten gefesselt, die waehrend seines langen Lebens ueber Wuerttemberg geherrscht hatten, und das Unglueck und die Verleumdung, welche auf Ulrich unablaessig hereinstuermten, hatten das Herz des alten Herrn nicht von diesem Herzog losreissen koennen, sie fesselten ihn nur mit noch staerkeren Banden Mit der Freude eines Braeutigams, der zur Hochzeit zieht, mit der Kraft eines Juenglings, hatte er den weiten und beschwerlichen Weg von seinem Schloss nach Stuttgart zurueckgelegt, als man ihm gemeldet hatte, dass der Herzog Leonberg erobert habe und auf Stuttgart zuziehe. Keinen Augenblick zweifelte er am Sieg des Herzogs, und so traf es sich, dass er schon am andern Morgen der neuen Herrschaft Ulrichs nach Stuttgart kam. Nicht so froehlicher Art waren die Nachrichten, die ihm Georg mitteilte, als er mit ihm und Marien die Treppe heraufstieg. "Der Herzog", hatte ihm jener zugefluestert, "der Herzog ist nicht so, wie er sollte; Gott weiss, was er mit seinem Land machen will; er hat unterwegs sonderbare Reden fallen lassen, und ich fuerchte, er ist nicht in den besten Haenden. Der Kanzler Ambrosius Volland--." Dieser einzige Name reichte hin, in dem Ritter von Lichtenstein grosse Besorgnisse zu erregen. Er kannte diesen Volland, er wusste, dass er zwar gelehrt, in allen Regierungsgeschaeften ueberaus wohl erfahren, zu jedem, auch dem schwersten Dienst bereit, aber dabei ein Mann sei, der zum wenigsten schon oefter ein gewagtes, wo nicht falsches Spiel gespielt habe. "Wenn der Herzog diesem sein Vertrauen schenkt, wenn er nur seine Ratschlaege befolgt, dann sei Gott gnaedig. Dem Ambrosius ist das Land ein Stueck Leder, das man nach Willkuer handhaben kann, er wird es zurechtschneiden wollen zu einem Koller fuer den Herzog, und die Abschnipfel fuer sich behalten. Aber, wie Frau Rosel zu sagen pflegt: Zerschneiden kann jeder Narr, aber wie zusammennaehen?" So sprach der alte Herr von Lichtenstein zu sich, als er durch die Galerien ging, er streichelte unmutig seinen langen, weissen Bart, und seine Augen gluehten vor Eifer fuer die gute Sache Wuerttembergs. Er wurde sogleich vorgelassen und traf den Herzog in grosser Beratung mit Ambrosius. Der letztere hatte eine ungeheure Schwanenfeder in der einen Hand, in der andern hielt er ein Pergament, das mit schwarzer, roter und blauer Tinte in vielen zierlichen Schnoerklein beschrieben war. Der Herzog spielte mit einem grossen Siegel, das er in der Hand hielt; er schien mit sich zu kaempfen, er sah bald seinen Kanzler durchdringend an, bald heftete sich sein Blick wieder auf das Siegel. Sie waren beide so vertieft, dass Lichtenstein einige Minuten im Zimmer stand, ohne von ihnen bemerkt zu werden; er betrachtete mit grosser Teilnahme die edlen Zuege Ulrichs von Wuerttemberg. Er sah, wie auf seiner Stirn, in seinen sprechenden Augen so verschiedene Empfindungen wechselten. Bald runzelte sich seine Stirn, seine Augenbrauen zuckten, sein Auge rollte, dann glaetteten sich diese Falten. Aus seinen Blicken strahlte nur ein tiefer Ernst, der in Nachdenken ueberging, und oft schien ein Anflug von Guete den strengen Ausdruck seiner Zuege zu mildern. Aber der im gelben Maentelein, mit der Schwanenfeder in der Hand, stand wie der Versucher vor ihm! Er wand und drehte sich vor ihm wie die Schlange im Paradies, und das ewig stehende Laecheln, der Ausdruck von Ehrlichkeit, den er seinen gruenen Aeuglein zu geben wusste, wenn ihn sein Herr scharf ansah, sollten einladen, den Apfel anzubeissen. "Ich kann nicht begreifen", sprach er mit heiserer, feiner Stimme, "warum Ihr es nicht tun moegt. Hat wohl Caesar so lange gezaudert, als er ueber den Rubikon ging? Ein grosser Mann hat grosse Mittel noetig, und die Mitwelt und die Nachwelt wird Euch preisen, dass Ihr diese Fesseln von Euch geworfen." "Weisst Du dies so gewiss, Ambrosius Volland?" entgegnete der Herzog, indem er ihn duester anblickte. "Man wird sagen Herzog Ulrich war ein Tyrann. Er hat die alte Ordnung umgestossen, die seinen Vaetern heilig war, er hat den Vertrag, den er selbst aufgerichtet, gebrochen, er hat sein Land wie ein fremdes behandelt, er hat die Gesetze nicht gehalten, die--." "Erlaubt", unterbrach ihn jener, "es kommt nur allein auf die Frage an: Wer ist Herr? Der Herzog oder das Land? Wenn das Land Herr ist, dann ist's was anderes. Dann freilich sind allerlei Fakten, Vertraege und Klauseln und dergleichen noetig. Die Ritterschaft, die Praelaten und die Landschaft sind dann Meister, und Euer Durchlaucht--nun, sind dann der, welcher den Namen dazu hergibt. Seid Ihr aber, was man so eigentlich Herr nennt, dann seid Ihr es auch, der Gesetze gibt. Jetzt habt Ihr das Heft in der Hand; jetzt noch seid Ihr Herr und Meister. Drum fort mit dem alten Recht, hier ist ein neues--da, nehmt in Gottes Namen die Feder, unterzeichnet!" Der Herzog stand noch eine Weile unschluessig, seine Wangen gluehten, seine ganze Gestalt richtete sich hoeher auf, aber sein Auge haftete am Boden Jetzt schlug er es auf, und es blitzte vom Gefuehl seiner Wuerde. "Ich heisse Wuerttemberg", sagte er. "Ich bin das Land und das Gesetz--ich unterschreibe." Er streckte die Rechte aus, die Schwanenfeder aus der Hand seines Kanzlers zu empfangen, aber mit sanfter Gewalt wurde sein Arm von einer fremden Hand ergriffen und weggezogen. Erstaunt sah er sich um und blickte in die ruhigen, aber ernsten Zuege des Ritters von Lichtenstein. "Ha! Willkommen!" rief er, "mein getreuer Lichtenstein. Sogleich steh ich Euch Rede, lasst mich nur zuvor dies Pergament unterzeichnen." "Erlauben Euer Durchlaucht", sagte der alte Mann, "Ihr habt mir eine Stimme zugesagt in Eurem Rat, darf ich nicht auch um die erste Verordnung wissen, die Ihr an Euer Land ergehen lasst." "Mit Euer Hochedlen Erlaubnis", fiel Ambrosius Volland hastig ein, "das Ding hat Eile; die Buergerschaft von Stuttgart versammelt sich schon auf der Wiese. Diese Schrift muss ihr vorgelesen werden. Es hat wahrhaftig Eile." "Nun, Ambrosius!" sagte der Herzog, "so gar eilig ist es nicht, dass wir Unserem alten Freund die Sache nicht mitteilen sollten. Wir haben naemlich beschlossen, Uns huldigen zu lassen, und zwar nach neuen Vertraegen und Gesetzen. Die alten sind null und nichtig." "Das habt Ihr beschlossen? Um Gottes willen, habt Ihr auch bedacht, zu was dies fuehrt? Habt Ihr nicht erst vor wenigen Jahren den Tuebinger Vertrag beschworen?" "Tuebingen!" rief der Herzog mit schrecklicher Stimme, indem seine Augen vor Zorn gluehten. "Tuebingen! Nenne dies Wort nicht mehr! Dort hatte ich all meine Hoffnung, dort war mein Land, meine Kinder, ha! Und dort haben sie mich verraten und verkauft. Ich bat, ich flehte, sie sollten zu mir halten, ich wollte Gut und Blut mit ihnen teilen--nichts! Man wollte von Ulrich nichts mehr. Das neue Regiment gefiel ihnen besser; im Elend haben sie mich schmachten lassen, haben zugegeben, dass ihr Herzog in der Verbannung war, haben geduldet, dass der Name Wuerttemberg ein Hohngelaechter wurde in allen Reichen--jetzt bin ich wieder Herr und Meister und habe das Heft in der Hand, und will mir's nicht wieder aus der Hand winden lassen. Haben Sie ihren Eid vergessen, bei Sankt Hubertus, so ist mein Gedaechtnis auch nicht laenger. Tuebinger Vertrag? Ich sag', der Teufel soll alles holen, was mit diesem Namen sich verknuepft!" "Aber bedenken Euer Durchlaucht!" sprach Lichtenstein, von diesem Ausbruch der Leidenschaft erschuettert, "bedenkt doch, welchen Eindruck ein solcher Schritt auf das Land machen muss. Noch habt Ihr nichts als Stuttgart und die Umgegend; noch liegen in Urach, Asperg, Tuebingen, Goeppingen ueberall buendische Besatzungen. Wird die Landschaft Euch beistehen, den Bund zu versagen, wenn sie hoert, auf welche neue Ordnung sie huldigen soll?" "Ich sag': Ist mir die Landschaft beigestanden, als ich Wuerttemberg mit dem Ruecken ansehen musste? Sie haben mich laufen lassen und dem Bund gehuldigt!" "Vergebt mir, Herr Herzog", entgegnete der Alte mit bewegter Stimme, "dem ist nicht so. Ich weiss noch wohl den Tag bei Blaubeuren. Wer hielt da zu Euch, als die Schweizer abzogen? Wer bat Euch, nicht vom Land zu lassen; wer wollte Euch sein Leben opfern? Das waren achttausend Wuerttemberger. Habt Ihr den Tag vergessen?" "Ei, ei, Wertester!" sagte der Kanzler, dem es nicht entging, welchen maechtigen Eindruck diese Worte auf Ulrich machten. "Ei! Ihr sprecht doch auch etwas zu kuehn. Ist uebrigens jetzt auch gar nicht die Rede von damals, sondern von jetzt. Die Landschaft ist von der alten Huldigung gaenzlich abgekommen, hat dem Bund eine andere Huldigung getan; Seine Durchlaucht ist jetzt als ein neuangekommener Herr anzusehen, er hat dies Land mit Gewalt erobert; hat sich nun der Bund auf besondere Vertraege huldigen lassen, so kann es der Herzog ebenso halten. Neuer Herr, neu Gesetz. Man kann sich in allewege nach eigenem Gutduenken huldigen lassen Soll ich die Feder eintauchen, gnaediger Herr?" "Herr Kanzler!" sagte Lichtenstein mit fester Stimme. "Habe alle moegliche Ehrfurcht vor Eurer Gelehrtheit und Einsicht, aber was Ihr da sagt, ist grundfalsch und kein guter Rat. Jetzt gilt es, zu wissen, wen das Volk liebt. Der Bund hat durch sein Walten im Land alles gegen sich aufgebracht; es war die rechte Zeit, dass Seine Durchlaucht wiederkam, jetzt fliegen ihm alle Herzen zu. Wird er sie nicht gewaltsam von sich stossen, wenn er alles Alte umreisst und nach eigener, neuer Satzung schaltet und waltet? Oh, bedenkt, die Liebe eines Volkes ist eine maechtige Stuetze!" Der Herzog stand mit untergeschlagenen Armen da, duester vor sich hinblickend, er antwortete nicht. Desto eifriger tat dies der Kanzler im gelben Maentelein "Hi, hi, hi! Wo habt Ihr die schoenen Spruechlein her, Liebwerter, Hochgeschaetzter? Liebe des Volkes, sagt Ihr? Schon die Roemer wussten, was davon zu halten sei. Seifenblasen, Seifenblasen! Haett' Euch fuer gescheiter gehalten Wer ist denn das Land? Hier, hier, steht es in persona, das ist Wuerttemberg, dem gehoert's, hat's geerbt und jetzt noch dazu erobert. Volksliebe! Aprilwetter! Waere ihre Liebe so stark gewesen, so haetten sie nicht dem Bund gehuldigt." "Der Kanzler hat recht!" rief Ulrich, aus seinen Gedanken erwachend. "Du magst es gut meinen, Lichtenstein. Aber er hat diesmal recht. Meine Langmut hat mich zum Land hinausgetrieben; jetzt bin ich wieder da, und sie sollen fuehlen, dass ich Herr bin. Die Feder her, Kanzler, ich sag', so will ich's; so wollen wir Uns huldigen lassen!" "Oh Herr, tut nichts in der ersten Hitze! Wartet, bis Euer Blut sich abkuehlt. Ruft die Landschaft zusammen, macht Aenderungen nach Eurem Sinn, nur jetzt nicht, nur nicht, solange der Bund noch Land in Wuerttemberg besitzt; es koennte Euch bei den uebrigen schaden. Gestattet nur noch eine kurze Frist." "So?" unterbrach ihn der Kanzler. "Dass man dann allgemach wieder in das alte Wesen hineinkommt? Gebt acht, wenn die Landschaft erst beisammen ist, wenn sie sich erst zusammen beraten, meint Ihr, da werden sie so gutwillig nachgeben? Hi, hi! Da wird man Gewalt anwenden muessen, und das macht erst verhasst. Schmiedet das Eisen, solange es warm ist. Oder geluestet Euer Durchlaucht, wieder ganz gehorsam unter das alte Joch zu stehen und den Karren zu ziehen?" Der Herzog antwortete nicht. Er riss mit einer hastigen Bewegung Feder und Pergament dem Kanzler aus der Hand, warf einen schnellen, durchdringenden Blick auf ihn und den Ritter, und ehe noch dieser es verhindern konnte, hatte Ulrich seinen Namen unterzeichnet. Der Ritter stand in stummer Bestuerzung, er senkte bekuemmert das Haupt auf die Brust herab. Der Kanzler blickte triumphierend auf den Ritter und den Herzog. Doch dieser ergriff eine silberne Glocke, die auf dem Tisch stand und klingelte. Ein Diener erschien und fragte nach seinem Befehl. "Ist die Buergerschaft versammelt?" fragte er. "Ja, Euer Durchlaucht! Auf den Wiesen gegen Cannstatt sind sie versammelt, Amt und Stadt; die Landsknechte ruecken soeben aus, sechs Faehnlein." "Die Landsknechte? Wer gab die Erlaubnis?" Der Kanzler zitterte bei dem Ton dieser Frage. "Es ist nur wegen der Ordnung", sagte er, "ich habe gedacht, weil es bei solchen Faellen gebraeuchlich ist, dass bewaffnete Mannschaft--." Der Herzog winkte ihm zu schweigen. Er begegnete einem trueben, fragenden Blick des alten Lichtenstein, der ihn erroeten machte. "Mit meinem Befehl geschah es nicht", sprach er, "doch es moechte auffallen, wenn Wir sie zurueckriefen. Es ist ja gleichgueltig. Man bringe mir den roten Mantel und den Hut; schnell!" Der Herzog trat ans Fenster und sah schweigend hinaus. Der Kanzler schien nicht recht zu wissen, ob sein Herr erzuernt sei oder nicht, er wagte nicht zu sprechen, und der Ritter von Lichtenstein beharrte in seinem trueben Schweigen. So standen sie geraume Zeit, bis sie von den Dienern unterbrochen wurden. Es traten vier Edelknaben ins Gemach, der erste trug den Mantel, der zweite den Hut, der dritte eine Kette von Gold und der vierte des Herzogs Schlachtschwert. Sie bekleideten den Herzog mit dem Fuerstenmantel von purpurrotem Samt, mit Hermelin verbraemt. Sie reichten ihm den Hut, der die schwarze und gelbe Farbe des Hauses Wuerttemberg in reichen, wehenden Federn zeigte, diese wurden zusammengehalten von einer Agraffe aus Gold und Edelsteinen, die eine Grafschaft wert waren. Der Herzog bedeckte sein Haupt mit diesem Hut. Seine kraeftige Gestalt schien in diesem fuerstlichen Schmuck noch erhabener als zuvor, und die freie majestaetische Stirn, das glaenzende Auge sah gebietend unter den wallenden Federn hervor. Er liess sich die Kette umhaengen, steckte das Schlachtschwert an und winkte seinem Kanzler aufzubrechen. Noch immer sprach der Ritter von Lichtenstein kein Wort. Mit bekuemmerter Miene hatte er diesen Anstalten zugesehen und sich dann abgewendet. Der Herzog schritt mit leichtem Neigen des Hauptes an dem alten Ritter vorueber zur Tuer, und die wunderliche Figur des Kanzlers Ambrosius Volland folgte ihm mit majestaetischen Schritten. Hatte der Herr den Alten nicht gegruesst, glaubte auch der Kanzler ihm dies nicht schuldig zu sein. Er warf einen tueckischen Blick nach dem Platz hinueber, wo jener noch immer stand, und sein grosser, zahnloser Mund verzog sich zu einem hoehnischen Laecheln. In der Tuer stand der Herzog still. Er sah rueckwaerts, seine bessere Natur schien ueber ihn zu siegen, er kehrte zur Verwunderung des Kanzlers zurueck und trat zu Lichtenstein. "Alter Mann!" sagte er, indem er vergeblich strebte, seine tiefe Bewegung zu unterdruecken. "Du warst mein einziger Freund in der Not, und in hundert Proben habe ich Deine Treue bewaehrt gefunden. Du kannst es mit Wuerttemberg nicht schlimm meinen. Ich fuehle, es ist einer der wichtigsten Schritte meines Lebens, und ich gehe vielleicht einen gewagten Gang.--Aber wo es das Hoechste gilt, muss man alles wagen." Der Ritter von Lichtenstein richtete sein greises Haupt auf; in den weissen Wimpern hingen Traenen. Er ergriff Ulrichs Hand. "Bleibt", rief er, "nur diesmal, diesmal folgt meiner Stimme. Mein Haar ist grau, ich habe lange gelebt, Ihr erst drei Jahrzehnte."--Indem ertoenten die Trommeln der Landsknechte im Hof. Das ungeduldige Stampfen der Rosse drang herauf und die Herolde stiessen, zur Huldigung rufend, in die Trompeten _"Jacta alea est.!_ War der Wahlspruch Caesars", sagte der Herzog mit mutiger Miene. "Jetzt gehe ich ueber meinen Rubikon. Aber Dein Segen moechte mir frommen, alter Mann, zum Rat ist es zu spaet!" Der Ritter blickte schmerzlich aufwaerts. Die Stimme versagte ihm, er drueckte segnend seines Herzogs Rechte an die Brust. Noch zoegerte Ulrich bei ihm, da streckte der Kanzler den langen, duerren Arm unter dem gelben Maentelein hervor und winkte ihm mit der Pergamentrolle. Er war anzuschauen wie der Versucher, dem es gelingt, eine arme Seele mit sich hinabzuziehen. Ulrich von Wuerttemberg riss sich los und ging, um sich von seiner Hauptstadt huldigen zu lassen. Kapitel 31 Die Besorgnisse des alten Herrn schienen nicht so unbegruendet gewesen zu sein, als Ambrosius Volland sie dargestellt hatte. Ein sehr grosser Teil des Landes fiel zwar dem Herzog zu, weil die Vorliebe fuer den angestammten Regenten, der Druck des Bundes und die anfangs so siegreichen Waffen Ulrichs viele bewogen, die Huldigung, die sie gezwungenerweise dem Bund getan, zu vergessen und sich fuer Wuerttemberg zu erklaeren. Aber die neue Huldigung, die alle frueheren Vertraege umstiess, das Geruecht, dass manche Stadt durch Gewalt zu diesen Formen gezwungen worden sei, bewirkte wenigstens, dass der Herzog keine Popularitaet gewann, ein Mangel, der in so zweifelhafter Lage oft nur zu bald fuehlbar wird. Noch beharrten Urach, Goeppingen und Tuebingen auf ihren, dem Bund geleisteten Pflichten, denn ihre buendisch gesinnten Obervoegte zwangen sie mit Gewalt dazu. Zu Urach hauste Dietrich Spaeth, des Herzogs bitterster Feind. Er brachte in wenigen Tagen so viel Mannschaft auf, dass er nicht nur sein ganzes Amt im Zaum hielt, sondern auch Einfaelle in die Laendereien machte, die dem Herzog wieder zugefallen waren. Es ging auch das Geruecht, die Bundesstaende seien schnell von Noerdlingen aufgebrochen, jeder in seine Heimat geeilt, um frische Heere aufzubieten und Ulrich zum zweitenmal auf Leben und Tod zu bekaempfen. Ulrich selbst schien weder der einen noch der anderen dieser Besorgnisse Raum zu geben. Er pflog bei verschlossenen Tueren mit Ambrosius Volland Rat. Man sah viele Eilboten kommen und abgehen, aber niemand erfuhr, was sie brachten. In Stuttgart aber glaubte man fest, der Herzog muesse in der froehlichsten Stimmung sein, denn wenn er mit seinem glaenzenden Gefolge durch die Strassen ritt, alle schoenen Jungfrauen gruesste und mit den Herren zu seiner Seite scherzte und lachte, da sagten sie: "Herr Ulrich ist wieder so lustig wie vor dem armen Konrad." Er hatte seinen Hofstaat wieder glaenzend eingerichtet. Zwar war er nicht mehr wie frueher der Sammelplatz der bayerischen, schwaebischen und fraenkischen Grafen und Herren, zwar fehlte die Fuerstin, die sonst einen schoenen Kranz bluehender Fraeulein um sich versammelt hatte, aber dennoch fehlte es nicht an schoenen Frauen und schmucken Edlen, seinen Hof zu verherrlichen, und die Luft dieser Stadt schien schon damals der Schoenheit so guenstig zu sein, dass die bunten Reihen an den Saelen und Hallen des Schlosses nicht einer gewoehnlichen Versammlung, sondern einer Auswahl aus den schoenen Frauen des Landes glichen. Taenze und Ritterspiele waren in ihre alten Rechte eingesetzt worden. Fest draengte sich an Fest, und Ulrich schien eifrig nachholen zu wollen, was er in der Zeit seines Ungluecks versaeumt hatte. Keines dieser geringsten Feste war die Hochzeit Georgs von Sturmfeder mit der Erbin von Lichtenstein. Der alte Herr hatte sich lange nicht entschliessen koennen, sein Wort zu halten. Nicht, dass er die Wahl seiner Tochter missbilligt haette, denn er liebte seinen Eidam vaeterlich; er sah in ihm seine eigene Jugend wieder aufbluehen, er schlug ihm seine freiwillige Verbannung mit dem Herzog hoch an. Aber wie der Horizont von Ulrichs Glueck, so war auch die Stirn des alten Mannes noch immer umwoelkt, denn er ahnte, dass es nicht so bleiben werde, wie es jetzt war, und tief schmerzte es ihn, dass der Herzog in so mancher wichtigen Angelegenheit von seinem Rat nicht Gebrauch machte, sondern alles heimlich mit seinem Kanzler abhandelte. So hatte er unschluessig und betruebt diesen Tag der Freude immer hinausgeschoben; aber die schoenen Augen seiner Tochter, in welchen er oft einen leisen Vorwurf zu lesen glaubte, Georgs Bitten noetigten ihm endlich einen bestimmten Termin ab. Der Herzog liess es sich nicht nehmen, die Hochzeit auszurichten. Er mochte sich jener Naechte erinnern, wo der Vater nicht muede wurde, ihm seine Anhaenglichkeit zu bezeigen, wo die zarte Tochter keinen Sturm, keine Kaelte scheute, um ihn am Burgtor zu empfangen und ihn mit warmen Speisen zu laben. Er mochte sich noch aus der juengsten Vergangenheit der Opfer erinnern, die ihm der Braeutigam gebracht hatte, er zeigte auf glaenzende Art, wie er Treue, Aufopferung und Liebe, die sich ihm so selten bewaehrt hatten, zu vergelten wisse. Der Ritter und seine Tochter waren bisher noch immer seine Gaeste im Schloss zu Stuttgart gewesen, jetzt liess er ein schoenes Haus naechst der Kollegiatkirche mit neuem Hausgeraet versehen und uebergab am Vorabend der Hochzeit den Schluessel dem Fraeulein von Lichtenstein mit dem Wunsch, sie moechte es, so oft sie in Stuttgart sei, bewohnen. Und jetzt endlich war der Tag gekommen, welchen Georg oft in ungewisser Ferne, aber immer mit gleicher Sehnsucht geschaut hatte. Er rief sich am Morgen dieses Tages das ganze Leben seiner Liebe zurueck; er wunderte sich, wie alles so anders gekommen war, als er sich gedacht hatte. Wie haette er, als er damals durch den Schoenbuch nach der Heimat zog, denken koennen, dass das Glueck, die Geliebte ganz zu besitzen, nicht mehr so ferne liegen werde, als er fuerchtete. Jedes Wort der Geliebten kehrte wieder in seiner Erinnerung, und er musste aufs neue ihre hohe Zuversicht, ihren schoenen Glauben an ein guetiges Geschick bewundern, den sie auch damals, wo die Zukunft mit einem duestren Schleier verhuellt, und keine Aussicht, keine Hoffnung mehr war, nicht verlor, den sie mit dem letzten Abschiedskusse auch ihm mitzuteilen wusste. "Er hat uns nicht belogen, dieser Glaube", sprach der junge Mann, von der Erinnerung bewegt, zu sich, "es lebt eine heilige, ahnungsvolle Stimme in ihrer reinen Seele, und ihr klares Auge, das in dem meinigen die Gewissheit meiner Liebe las, tauchte auch damals tief in die Zukunft und verkuendete Glueck, es wird sie auch jetzt nicht taeuschen, wenn es ein suesses, ungestoertes Glueck in unserer Verbindung liest." Ein bescheidenes Pochen an der Tuer unterbrach die lange Gedankenreihe, die sich an den heutigen Tag knuepfen und in die ferne Zukunft hinausziehen wollte. Es war Dietrich von Kraft, der stattlich geschmueckt zu ihm eintrat. "Wie?" rief dieser Schreiber des grossen Rates zu Ulm und schlug vor Verwunderung die Haende zusammen "Wie? In diesem Wams wollt Ihr Euch doch hoffentlich nicht trauen lassen? Es ist schon neun Uhr, die Gaenge und Treppen des Schlosses wimmeln von Hochzeitsgaesten, die von Samt und Seide glaenzen, und Ihr, die Hauptperson im Stueck, schaut ruhig zum Fenster hinaus, statt Euern Anzug zu besorgen?" "Dort liegt der ganze Staat", erwiderte Georg laechelnd. "Barett und Federn, Mantel und Wams, alles aufs schoenste zubereitet, aber Gott weiss, ich habe noch nicht daran gedacht, dass ich dieses Flitterwerk an mich haengen solle. Dies Wams ist mir lieber als jedes schoene neue. Ich habe es in schweren, aber dennoch gluecklichen Tagen getragen." "Ja, ja! Ich kenne es wohl; das habt Ihr bei mir in Ulm getragen, und es ist mir noch wohl erinnerlich, wie Euch Berta in diesem blauen Kleid abschilderte, dass ich recht eifersuechtig wurde. Aber Flitterwerk nennt Ihr die Kleider da? Ei, der Tausend! Haette ich nur mein lebenlang solche Flitter. Ha, das weisse Gewand, mit Gold gestickt, und der blaue Mantel von Samt! Kann man was Schoeneres sehen? Wahrlich, Ihr habt mit Umsicht ausgewaehlt, das mag trefflich stehen zu Euren braunen Haaren." "Der Herzog hat mir es zugeschickt", antwortete Georg, indem er sich ankleidete, "mir waere alles zu kostbar gewesen." "Ist doch ein praechtiger Herr, der Herzog, und jetzt erst, seit ich einige Zeit hier bin, sehe ich ein, dass man ihm bei uns in Ulm zu viel getan hat. An einem solchen Hof ist es doch was anderes als in den Staedten. Und Herzog von Wuerttemberg klingt auch schoener als Buergermeister von Ulm. Und doch moecht' ich nicht in seiner Haut stecken. Ihr werdet sehen, Vetter, es geht noch einmal bergab mit ihm." "Das ist Euer altes Lied, Herr Dietrich. Erinnert Ihr Euch noch, wie Ihr damals in Ulm so gross tatet mit Eurer Politika und wie Ihr regieren wolltet in Wuerttemberg? Wie ist es denn jetzt?" "Ist nicht alles eingetroffen?" erwiderte der Ratsschreiber mit weiser Miene. "Weiss noch wie heute, dass ich prophezeite, die Schweizer ziehen heim, die Landschaft werden wir fuer uns gewinnen, und die Burgen werden wir einnehmen." "Ja, ja! Ihr habt sie erobern helfen", lachte Georg, "seid ja in einer Saenfte zu Feld getragen worden; aber damals sagtet Ihr auch, der Herzog werde nie zurueckkehren, und jetzt sitzt er ganz warm und ruhig hier." "Nicht so ruhig, als Ihr glaubt. Zwar ich wollte ihm und Euch wuenschen, er behielte sein Land; uns hat es doch nichts genuetzt, die grossen Herren nehmen alles fuer sich, an unser einen kam nichts als etwa die Ehre, fuer den Bund gekoepft zu werden; aber--glaubt mir, es sieht nicht so ruhig aus, als man hier meint. Die vertriebenen Raete haben von Esslingen aus an den Kaiser und das Reich geschrieben und geklagt; der Bund ist wieder auf den Beinen, bei Ulm steht schon wieder ein neues Heer." "Gerede, nichts weiter; ich weiss gewiss, dass der Herzog sich mit Bayern versoehnen wird." "Ja will, aber nicht versoehnen wird. Das hat noch manchen Haken. Aber was sehe ich? Ihr werdet doch nicht den alten Fetzen von einer Feldbinde zu dem stattlichen Hochzeitschmuck anlegen wollen? Pfui, das passt nicht zusammen, lieber Vetter." Der Braeutigam betrachtete die Schaerpe mit inniger Liebe. "Das versteht Ihr nicht", sagte er, "wie gut sich dies zum Hochzeitsgewand schickt. Es ist ihr erstes Geschenk; sie flocht sie heimlich bei Nacht auf ihrem Kaemmerlein, als ihr die Kunde kam, dass sie bald scheiden muesse. Sie hat manche Traene hineingewoben, hat das Gewebe oft an die Lippen gedrueckt, drum wurde es mir eine Zau-berbinde und meinen Augen ein Trost, wenn ich im Unglueck auf die Brust herniedersah. Sie darf nicht fehlen diese Binde; hat sie die Not mit mir getragen, so sei sie mir ein heiliger Schmuck am Tag des Gluecks." "Nun, wie Ihr wollt, haengt sie in Gottes Namen um; jetzt noch das Barett aufgesetzt und schnell den Mantel umgehaengt, sie laeuten schon das Erste drueben in der Kirche. Sputet euch, lasst das Braeutlein nicht so lange warten!" Georgs Wangen roeteten sich, sein Herz pochte, als er sein Gemach verliess. Die Freude, die Erwartung, die Erfuellung jahrelanger Wuensche bestuermten seine Sinne, und wie trunken ging er neben Herrn Dietrich durch die Galerien. Die Tuer ging auf und Marie im Glanz ihrer Schoenheit stand umgeben von vielen Frauen und Fraeulein, die, vom Herzog eingeladen, heute ihre Begleitung bilden sollten. Marie erroetete, als sie den Geliebten sah, sie betrachtete ihn staunend, als seien seine Zuege heute mit einem neuen Glanz uebergossen, sie schlug die Augen nieder, als sie seinen freudetrunkenen Blicken begegnete. Was haette Georg darum gegeben, die Geliebte an sein Herz ziehen, den Morgengruss der Liebe auf ihre Lippen druecken zu duerfen, aber die strenge Sitte der Zeit trennte an diesem Tag durch eine weite Kluft, was sich sonst schon laengst gefunden hatte. Dem Braeutigam war es nicht erlaubt, die Hand der Braut zu beruehren, ehe sie der Priester in die seinige legte, und der Braut wurde es uebel aufgenommen, wenn sie den Braeutigam gar zu viel und gar zu lange ansah. Zuechtig, ehrbar, die Augen auf den Boden geheftet, die Haende unter der Brust gefaltet, musste sie stehen--so wollte es die Sitte. Verschwunden war die erhabene Haltung Mariens, verschwunden die Majestaet ihrer Stirn und jener gebietende, ernste Blick, der auch den Kuehnsten gefesselt haette; aber man war versucht, jene erhabeneren Schoenheiten nicht zurueckzuwuenschen; lag doch in diesem verschaemten Bekenntnis, durch einen Blick des Geliebten ueberwunden zu sein, ein hoeherer Reiz, als wenn das stolze Auge frei um sich geblickt und dieser geschlossene Mund das Gestaendnis der Liebe laut und offen ausgesprochen haette. So hatte die Natur Marien an diesem Tag einen neuen Zauber verliehen, der so maechtig wirkte, dass Georg einige Momente seine Braut verwundert betrachtete und sein Herz sich stolzer hob, im Gefuehl, dieses liebliche Kind sein nennen zu duerfen. Jetzt kam auch der Herzog, der den Ritter von Lichtenstein an der Hand fuehrte. Er musterte mit schnellen Blicken den reichen Kreis der Damen, und auch er schien sich zu gestehen, dass Marie die schoenste sei. "Sturmfeder!" sagte er, indem er den Gluecklichen auf die Seite fuehrte, "dies ist der Tag, der Dich fuer vieles belohnt. Gedenkst Du noch der Nacht, wo Du mich in der Hoehle besuchtest und nicht erkanntest? Damals brachte Hans, der Pfeifer, einen guten Trinkspruch aus: 'Dem Fraeulein von Lichtenstein! Moege sie bluehen fuer Euch!' Jetzt ist sie Dein, und was nicht minder schoen ist, auch Dein Trinkspruch ist erfuellt; Wir sind wieder eingezogen in die Burg Unserer Vaeter." "Moege Euer Durchlaucht dieses Glueck so lange geniessen, als ich an Mariens Seite gluecklich zu sein hoffe. Aber Eurer Huld und Gnade habe ich diesen schoenen Tag zu verdanken, ohne Euch waere vielleicht der Vater.-" "Ehre um Ehre, Du hast Uns treulich beigestanden, als Wir Unser Land wiedererobern wollten, drum gebuehrte es sich, dass auch Wir Dir beigestanden, um sie zu besitzen--Wir stellen heute Deinen Vater vor, und als solchem wirst Du Uns schon erlauben, nach der Kirche Deine schoene Frau auf die Stirn zu kuessen." Georg gedachte jener Nacht, als der Herzog unter dem Tor von Lichtenstein sich auf diesen Tag vertroestete; unwillkuerlich musste er laecheln, wenn er der Wuerde und Hoheit gedachte, mit welcher die Geliebte den Mann der Hoehle damals zurueckgewiesen hatte. "Immerhin, Herr Herzog, auch auf den Mund! Ihr habt es laengst verdient durch Eure grossmuetige Fuersprache." "Wer sind Deine Gesellen, die Dich zum Altar geleiten?" fragte der Herzog. "Marx Stumpf und der Ulmer Ratsschreiber, ein Vetter von Lichtenstein." "Wie, das feine Maennlein, das mein Kanzler koepfen lassen wollte? Da hast Du links den zierlichsten und rechts den tapfersten Mann des Schwabenlandes. Glueck zu, junger Herr: doch ich will Dir raten, mehr rechts zu halten als links, dann kann es Dir nie fehlen auf Erden, und waerst Du so eifersuechtig wie ein Tuerke. Sieh, sieh, da kommt ja der Rechte. Sieh, wie seine breite, kurze Gestalt sich wunderlich ausnimmt unter den Frauenzimmern. Und wie er sich stattlich angetan hat! Den verschossenen gruenen Mantel trug er schon Anno elf auf Unserer Hochzeit mit Frau Sabina Lobesan." "Kann mich nicht viel mit dem Anzug befassen", erwiderte der tapfere Ritter von Schweinsberg, der die letzten Worte noch gehoert hatte, "auch mit dem Tanzen will es nicht recht gehen. Ihr werdet mich entschuldigen; will aber heute abend im Ritterspiel der neue Eheherr eine Lanze mit mir brechen, so--." "So willst Du ihm aus lauter Zaertlichkeit und Hoeflichkeit ein paar Rippen einstossen!" lachte der Herzog, "das heisse ich einen Braeutigamsgesellen von echter Art. Nein, da rate ich Dir, Georg, Dich lieber links zu halten; der Ulmer wird Dir nicht weh tun." Die Fluegeltueren oeffneten sich jetzt, und man sah auf der breiten Galerie das Hofgesinde des Herzogs in Ordnung aufgestellt. An diese schlossen sich die Edelknaben an, welche brennende Kerzen trugen; dann folgte der glaenzende Zug der Fraeuleins und Edelfrauen, die sich zu diesem Fest eingefunden hatten. Sie waren in reiche, mit Gold und Silber durchwirkte Stoffe gekleidet, und jede hatte einen Blumenstrauss und eine Zitrone in der Hand. Die Braut wurde von Georg von Hewen und Reinhardt von Gemmingen gefuehrt. Viele Ritter und Edelleute schlossen sich an diese an, in ihrer Mitte ging Georg von Sturmfeder, Marx Stumpf zu seiner Rechten, der Ratsschreiber Dietrich von Kraft zu seiner Linken. Sein ganzes Wesen schien von einer wuerdigen Freude gehoben, seine Augen blinkten freudig, sein Gang war der Gang eines Siegers. Er ragte mit dem wallenden Haar, mit den wehenden Federn des Baretts weit ueber seine Gesellen hervor. Die Leute betrachteten ihn staunend, die Maenner lobten laut seine hohe, maennliche Gestalt, seine edle Haltung, aber die Maedchen fluesterten leise und priesen seine schoenen Zuege. So ging der Zug aus dem Tor des Schlosses nach der Kirche, die nur durch einen breiten Platz von ihm getrennt war. Kopf an Kopf standen die schoenen Maedchen und die redseligen Frauen, sie musterten die Anzuege der Fraeulein, strengten Blicke an, als die schoene Braut vorbeiging, und waren voll Lobes fuer den Braeutigam. Unter den zahlreichen Zuschauern sah man auch eine ruestige runde Bauersfrau mit ihrem Toechterlein stehen. Diese Frau verneigte sich immerwaehrend zur Belustigung der Staedter umher, die nur der Braut und dem Herzog diese Aufmerksamkeit bewiesen. Sie unterhielt sich dabei eifrig mit ihrer Tochter. Das schoene Kind an ihrer Seite schien aber wenig auf ihre Reden zu achten; sie uebersah den glaenzenden Zug der Fraeuleins, ihre hellen Augen waren nur immer auf die nahende Braut gerichtet. Je naeher diese kam, desto roeter faerbten sich die Wangen des Maedchens, das rote Mieder hob und senkte sich ungestuem, und das pochende Herz schien die silbernen Ketten, womit es eingeschnuert war, zersprengen zu wollen. Sie sah Marien fest und durchdringend an, die hohe Schoenheit der jungen Braut schien sie zu ueberraschen, ein wehmuetiges Laecheln zuckte um ihren kleinen Mund. "Sie ist's!" rief sie unwillkuerlich aus und verbarg dann schnell ihr Gesicht hinter dem Ruecken ihrer Mutter, denn die Umstehenden sahen verwundert nach ihr hin. "Jo, dia ist's, Baerbele! Dia ist grausig schoe!" fluesterte die runde Frau und neigte sich tief. "Jetzt wellet mer uf da Junker bassa." Das Maedchen schien dieses Rates nicht erst zu beduerfen, denn sie blickte schon laengst hinueber nach jener Seite, woher er kommen musste. "Er kommt, er kommt", hoerte sie ihre Nachbarn fluestern, "der ist's in dem weissen Kleid, mit dem blauen Mantel, er geht gerade vor dem Herzog." Sie sah ihn, nur einen Blick warf sie nach ihm hin und wagte dann nicht mehr aufzublicken; die tiefe Roete ihrer Wangen verschwand, als er vorueberging, sie zitterte, eine Traene fiel herab auf das rote Mieder; jetzt war er vorueber, jetzt hob sie das Koepfchen wieder ein wenig auf und sandte ihm einen Blick nach, der mehr auszudruecken schien als die reine Bewunderung oder das Staunen der Neugierde. Als der Zug vorueber war, draengten sich die Zuschauer mit Ungestuem zu den Kirchtueren, und in einem Augenblick war der Platz, der noch kurz zuvor den Anblick einer bunten wogenden Menge dargeboten hatte, wie ausgestorben. Die runde Frau blickte noch immer staunend den schoenen geputzten Stadtjungfern nach, welche mit ihren brokatenen Hauben und goldgestickten Miedern, mit ihren feinen langen Roecken, an welchen man nur um den Hals und Busen das Zeug allzusehr gespart zu haben schien, in der Bauersfrau maechtige Sehnsucht nach solcher Pracht und Herrlichkeit erweckt hatten. Als sie sich umwandte, erschrak sie nicht wenig, denn ihr holdes Kind hatte das bluehende Gesichtchen in die Haende verborgen und weinte. Sie konnte nicht begreifen, was dem Maedchen begegnet sein koenne, sie fasste ihre Hand, zog sie herab von den Augen sie weinte bitterlich. "Was hoscht denn, Baerbele", fragte sie unmutig, doch nicht ohne Teilnahme, "was heulscht denn? Hoscht's denn et g'seha? Gang', 's ist jo a Schand! Wenn's jo ebber sieht; so sag' no, worum Du heulscht?" "I wois et, Muater!" fluesterte sie, indem sie vergeblich ihre Traenen zu bezwingen suchte. "Es ist mer so weh im Herz drin, i wois et worum." "Lass jetzt bleiba, sag e! Komm, sonst komme mer z'spot in d'Kirch. Hairsch, wie se musizieret und singet? Komm, sonst sehe mer nix mai!" Die Frau zog bei diesen Worten das Maedchen nach der Kirche. Baerbele folgte, sie bedeckte die Augen mit der weissen Schuerze, um nicht den Stadtleuten zum Gespoett zu werden; aber die tiefen Seufzer, die sich aus ihrer Brust heraufstahlen, liessen ahnen, dass sie einen tiefen Schmerz vergeblich zu unterdruecken suche. Die Orgel schwieg, der Chorgesang verstummte, als sie an der Kirchtuer anlangten. Die Einsegnung des schoenen Paares musste jeden Augenblick beginnen. Aber vergebens suchte die runde Frau durch die dichten Reihen zu dringen, welche die Tuer fuellten, sie wurde, sooft sie sich in einen freien Raum zu schieben suchte, unwillig und mit Scheltworten zurueckgestossen. "Komm, Muater!" sprach das Maedchen "Mer wellet hoim; mer sent arme Leut, uns lasset se et in d'Kirch; komm hoim." "Was? D'Kircha sind fuer aelle Leut erschaffa; au fuer d'Arme. Wia, Ihr Herra, lent es e bisle do nei. Mer sehet jo gar nix." "Waz!" sprach der Mann, an den sie sich gewendet hatte, und kehrte ihr ein rotbraunes Gesicht mit schrecklichem Bart zu. "Waz? Packt Euch fort, wir lassen niemand durch; wir sind die allergnaedigsten Landsknechte wir, und nach dem Sanktus, hat der Hauptmann befohlen, darf keine Seele mehr durch." "Die Olte muss weg, sogen wer, ober das Dienderl darf rein; komm' Schatzerl! Du konnst's recht gut sehen; schaut's, jetzt steckt ihr der Probst den Ring on, jetzt legt er ihne die Haend zusommen--gib mir en Schmazerl, dann darfst seh'n." Der Staberl von Wien streckte bei diesen Worten seine tapfere Hand nach dem Maedchen aus, doch diese schrie laut auf und entfloh weinend; die runde Frau aber verwuenschte die Stadtleute, die Stadtkirchen und die unanstaendigen Landsknechte und folgte ihrer Tochter. Kapitel 32 Herzog Ulrich von Wuerttemberg liebte eine gute Tafel, und wenn in guter Gesellschaft die Becher kreisten, pflegte er nicht so bald das Zeichen zum Aufbruch zu geben. Auch am Hochzeitsfest Mariens von Lichtenstein blieb er seiner Gewohnheit treu. Man war, als die heilige Handlung in der Kirche vorueber war, in den Lustgarten am Schloss gezogen; dort hatten sich in den Laubgaengen und kuenstlich verschlungenen Wegen die Hochzeitsgaeste ergangen oder an den zahmen Hirschen und Rehen im Gehege, oder an den Baeren, die in einem der Graeben des Schlosses umherwandelten, sich ergoetzt. Um zwoelf Uhr hatten die Trompeten zur Tafel gerufen Sie wurde in der Tyrnitz gehalten, einer weiten hohen Halle, die viele hundert Gaeste fasste. Heute sah man hier einen gemischten Kreis schoener Frauen und froehlicher Maenner um reichbesetzte Tafeln sitzen: Auf den Galerien schwangen die Geiger lustig ihre Fiedelbogen. Die Zinkenisten bliesen ihre Backen auf, die Trommler schlugen kraeftig auf die Felle, und mit Jauchzen und Hallo stimmte die Volksmenge, die man auf den uebrigen Teilen der Galerien zugelassen hatte, ein, wenn die Herren unten einen Trinkspruch ausgebracht hatten Am oberen Ende der Halle sass unter einem Thronhimmel der Herzog. Er hatte seinen Hut weit aus der Stirn gerueckt, schaute froehlich um sich und sprach dem Becher fleissig zu. Zu seiner Rechten, an der Seite des Tisches, sass Marie; jetzt wollte die Sitte nicht mehr, dass sie die Augen niederschlug und sechs Schritte von dem Geliebten entfernt blieb. Ein froehliches Leben war in ihre Augen um ihren Mund eingezogen; sie blickte oft nach ihrem neuen Gemahl, der ihr gegenuebersass, es war ihr oft, als muesse sie sich ueberzeugen, dass dies alles nicht ein Traum, dass sie wirklich eine Hausfrau sei, und den Namen, den sie achtzehn Jahre getragen, gegen den Namen Sturmfeder vertauscht habe; sie laechelte, so oft sie ihn ansah, denn es kam ihr vor, als gebe er sich, seitdem er aus der Kirche kam, eine gewisse Wuerde. Und es war so, wie Marie zu bemerken glaubte; Georg fuehlte sich gehobener, mit einer neuen Wuerde umgeben; es schien ihm, als zeigten ihm die Junker mehr Ehrfurcht, als zoegen ihn die aelteren Ritter freundlicher zu sich heran, seit er nicht mehr allein in der Welt stand, sondern wie sie ein Hausvater, vielleicht der Stammhalter eines glaenzenden Geschlechtes geworden war. In die Naehe des Herzogs war der Ritter von Lichtenstein, Marx Stumpf von Schweinsberg und der Kanzler gezogen worden, und auch der Ratsschreiber von Ulm sass nicht fern, weil er heute als Geselle des Braeutigams diesen Ehrenplatz sich erworben hatte. Der Wein begann schon den Maennern aus den Augen zu leuchten und den Frauen die Wangen hoeher zu faerben, als der Herzog seinem Kuechenmeister ein Zeichen gab. Die Speisen wurden weggenommen und im Schlosshof unter die Armen verteilt; auf die Tafel kamen jetzt Kuchen und schoene Fruechte, und die Weinkannen wurden fuer die Maenner mit besseren Sorten gefuellt; den Frauen brachte man kleine silberne Becher mit spanischem, suessem Wein. Jetzt war der Augenblick gekommen, wo nach der Sitte der Zeit dem neuen Ehepaar Geschenke ueberbracht wurden. Man stellte Koerbe neben Marien auf, und als die Geiger und Pfeifer von neuem gestimmt hatten und aufzuspielen anfingen, bewegte sich ein langer, glaenzender Zug in die Halle. Voran gingen die Edelknaben des fuerstlichen Hofes, sie trugen goldene Deckelkruege, Schaumuenzen, Schmuck von edlen Steinen als Geschenke des Herzogs. "Moegen Euch diese Becher, wenn sie bei den Hochzeiten Eurer Kinder, bei den Taufen Eurer Enkel kreisen, moegen sie Euch an einen Mann erinnern, dem Ihr beide im Unglueck Liebe und Treue bewiesen, an einen Fuersten, der im Glueck Euch immer gewogen und zugetan ist." Georg war ueberrascht von dem Reichtum der Geschenke. "Euer Durchlaucht beschaemen uns", rief er. "Wollt Ihr Liebe und Treue belohnen, so wird sie nur zu bald um Lohn feil sein." "Ich habe sie selten rein gefunden", erwiderte Ulrich, indem er einen unmutigen Blick ueber die lange Tafel hinschickte und dem jungen Mann die Hand drueckte, "noch seltener, Freund Sturmfeder, hat sie mir Probe gehalten, drum ist es billig, dass Wir die reine Treue mit reinem Gold und edle Liebe mit edlen Steinen zu belohnen suchen. Doch wie, Eure schoene Frau vergiesst Traenen? Ich weiss die Quelle dieses klaren Taues, es ist die Erinnerung an Unser bitteres Geschick, die Wir selbst heraufbeschworen haben. Hinweg mit diesen Traenen, schoene Frau; am Hochzeitstag ist es kein gutes Zeichen. Doch mit Verlaub Eures Eheherrn will ich jetzt eine alte Schuld einziehen, Ihr wisst noch welche?" Marie erroetete und warf einen forschenden Blick nach Georg hinueber, als fuerchtete sie, jenes alte Uebel, das sie oft kaum zu beschwoeren vermochte, moechte wiederkehren. Georg wusste recht wohl, was der Herzog meine, denn jene Szene, die er hinter der Tuer belauscht, war ihm noch immer im Gedaechtnis, doch er fand Gefallen daran, den Herzog und Marien zu necken, und antwortete, als diese noch immer schwieg: "Herr Herzog, wir sind jetzt zusammen ein Leib und eine Seele, wenn also meine Frau in frueheren Zeiten Schulden gemacht hat, so steht es mir zu, sie zu bezahlen." "Ihr seid zwar ein huebscher Junge", entgegnete Ulrich mit Laune, "und manche unserer Fraeulein hier am Tisch moechte vielleicht gerne einen solchen Schuldbrief an Euern schoenen Mund einzufordern haben; mir aber kann dies nicht frommen, denn meine Urkunde lautet auf die roten Lippen Eurer Frau." Der Herzog stand bei diesen Worten auf und naeherte sich Marien, die bald erroetend, bald erbleichend, aengstlich auf Georg heruebersah "Herr Herzog", fluesterte sie, indem sie den schoenen Nacken zurueckbog, "es war nur Scherz;--ich bitte Euch." Doch Ulrich liess sich nicht irremachen, sondern zog die Schuld samt den Zinsen von ihren schoenen Lippen ein. Der alte Herr von Lichtenstein sah bei dieser Szene finster bald auf den Herzog, bald auf seine Tochter; vielleicht mochte ihm Ulrich von Hutten einfallen, denn seine Blicke streiften auch aengstlich auf seinen Schwiegersohn. Der Kanzler Ambrosius Volland aber schaute mit hoehnischer Schadenfreude aus den gruenen Aeuglein auf den jungen Mann "Hi, hi", rief er ihm zu, "ich leere meinen Becher auf gutes Wohlsein. Eine schoene Frau ist eine gute Bittschrift in aller Not; wuensche Glueck, liebster wertgeschaetzer Herr; hi! hi! 's ist ja auch was Unschuldiges, so lange es vor den Augen des Ehemanns geschieht." "Allerdings, Herr Kanzler!" erwiderte Georg mit grosser Ruhe. "Umso unschuldiger, als ich selbst dabei war, wie meine Frau Seiner Durchlaucht diesen Dank zusagte. Der Herr Herzog versprach beim Vater fuer uns zu bitten, dass er mich zu seinem Eidam annehme, und bedung sich dafuer diesen Lohn an unserem Hochzeitstage." Der Herzog sah den jungen Mann mit Staunen an; Marie erroetete von neuem, denn sie mochte sich jene ganze Szene ins Gedaechtnis zurueckrufen; aber keines von beiden widersprach ihm, sei es, weil sie es fuer unschicklich hielten, ihn Luegen zu strafen, sei es, weil sie ahnten, er koenne sie belauscht haben. Aber Ulrich konnte doch nicht unterlassen, ihn heimlich um die naeheren Umstaende zu befragen; er teilte sie ihm in wenigen Worten mit. "Du bist ein sonderbarer Kauz!" fluesterte der Herzog lachend. "Was haettest Du denn gemacht, wenn Wir damals ein Kuesschen erobert haetten?" "Ich kannte Euch noch nicht", fluesterte Georg ebenso leise, "drum haette ich Euch auf der Stelle niedergestochen und an die naechste Eiche aufgehaengt." Der Herzog biss sich in die Lippen und sah ihn verwundert an; dann aber drueckte er ihm freundlich die Hand und sagte: "Da haettest Du alles Recht dazu gehabt, und Wir waeren in Unseren Suenden abgefahren-- Doch siehe, da bringen sie wieder Spenden fuer die Braut." Es erschienen jetzt die Diener der Ritter und Edlen, die zur Hochzeit geladen waren, die trugen allerlei seltenes Hausgeraet, Waffen, Stoff zu Kleidern und dergleichen; man wusste zu Stuttgart, dass es der Liebling des Herzogs sei, dem dieses Fest gelte, drum hatte sich auch eine Gesandtschaft der Buerger eingestellt, ehrsame, angesehene Maenner in schwarzen Kleidern, kurze Schwerter an der Seite, mit kurzen Haaren und langen Baerten. Der eine trug eine aus Silber getriebene Weinkanne, der andere einen Humpen aus demselben Metall, mit eingesetzten Schaumuenzen geschmueckt. Sie nahten sich ehrerbietig zuerst dem Herzog, verbeugten sich vor ihm, und traten dann zu Georg von Sturmfeder. Georg von Sturmfeder reichte beiden die Hand und dankte ihnen fuer ihr schoenes Geschenk; Marie liess ihre Weiber und Maedchen gruessen, und auch der Herzog bezeigte sich ihnen gnaedig und freundlich. Sie legten den silbernen Becher und die Kanne in den Korb zu den uebrigen Geschenken und entfernten sich ehrbaren und festen Schrittes aus der Tyrnitz. Doch die Buerger waren nicht die letzten gewesen, welche Geschenke gebracht hatten; denn kaum hatten sie die Halle verlassen, so entstand ein Geraeusch an der Tuer, wo die Landsknechte Wache hielten, das selbst die Aufmerksamkeit des Herzogs auf sich zog. Man hoerte tiefe Maennerstimmen fluchen und befehlen, dazwischen ertoenten hohe Weiberstimmen, von denen besonders eine, die am heftigsten haderte, der Gesellschaft am obersten Ende der Tafel sehr bekannt schien. "Das ist wahrhaftig die Stimme der Frau Rosel," fluesterte Lichtenstein seinem Schwiegersohn zu. "Gott weiss, was sie wieder fuer Geschichten hat." Der Herzog schickte einen Edelknaben hin, um zu erfahren, was das Laermen zu bedeuten habe; er erhielt zur Antwort, einige Bauernweiber wollten durchaus in die Halle, um den Neuvermaehlten Geschenke zu bringen, da es aber nur gemeines Volk sei, so wollen sie die Knechte nicht einlassen Ulrich gab Befehl, sie vorzubringen, denn die Spruechlein der Buerger hatten ihm gefallen, und auch von den Bauersleuten versprach er sich Kurzweil. Die Knechte gaben Raum und Georg erblickte zu seinem Erstaunen die runde Frau des Pfeifers von Hardt mit ihrem schoenen Toechterlein, gefuehrt von der Frau Rosel, ihrer Base. Schon auf dem Weg in die Kirche hatte er die holden Zuege des Maedchens von Hardt, die er nicht aus seinem Gedaechtnis verloren, zu bemerken geglaubt; aber wichtigere Gedanken und die Heiligkeit des Sakraments, die seine ganze Seele fuellten, hatten diese fluechtige Erscheinung verdraengt. Er belehrte die Gesellschaft, wer die Nahenden seien, und mit grossem Interesse blickten sie alle auf das Kind des Mannes, dessen wunderbares Eingreifen in das Schicksal des Herzogs ihnen oft so unbegreiflich gewesen war, dessen Treue so erhaben, dessen Hilfe in der Not so willkommen erschienen war. Das Maedchen hatte die blonden Haare, die offene Stirn, die Zuege ihres Vaters; nur die List, die aus seinen Augen, die Kuehnheit und Kraft, die aus seinem Wesen sprach, war bei ihr; wenn sie nicht schuechtern und bloede war, in eine neckende Freundlichkeit und in ruestiges, behendes Wesen uebergegangen. So hatte sie Georg erkannt, als er im Haus des Pfeifers wohnte; doch heute schien sie vor den vielen vornehmen Leuten etwas schuechtern, ja es wollte ihm sogar scheinen, als sei ein neuer Zug in ihr Gesicht gekommen, den er frueher nicht an ihr bemerkt hatte, eine gewisse Wehmut und Trauer, die sich um ihren Mund und in ihren Augen aussprach. Die Pfeifersfrau wusste, was Lebensart sei, sie verbeugte sich daher von der Tuer der Tyrnitz an in einem fort, bis sie zum Stuhl des Herzogs kam. Frau Rosel hatte noch die Roete des Zornes auf ihren magern Wangen, denn die Landsknechte, namentlich der Magdeburger und Kasper Staberl, hatten sie hoechlich beleidigt und sie eine duerre Stange geheissen. Ehe sie noch sich sammeln und den Herrschaften geziemend die Familie ihres Bruders vorstellen konnte, hatte die runde Frau schon einen Zipfel von des Herzogs Mantel gefasst und ihn an die Lippen gedrueckt. "Gueten Abed, Herr Herzich", sprach sie dazu mit tiefen Knixen, "wie got Uichs, seit Er wieder in Stuagert send; mei Ma losst Uich schoe grueassa; mer komme aber et zum Herr Herzich, noi, zu dem Herra dort druebe welle mer. Mer hent a Hochzeitschenke fuer sei Frau. Da sitzt se jo, gang Baerbele, lang's aus em Kraettle." "Ach! Du lieber Gott", fiel Frau Rosel ihrer Schwaegerin ins Wort, "bitt' untertaenigst um Verzeihung, Euer Durchlaucht, dass ich die Leut' 'reingebracht habe; 's ist Frau und Kind vom Pfeifer von Hardt. Ach! Du Herrgott, nehmt doch nichts uebel, Herr Herzog, die Frau meint's g'wiss gut." Der Herzog lachte mehr ueber diese Entschuldigung der Frau Rosel als ueber die Reden ihrer Schwaegerin: "Was macht denn Dein Mann, der Pfeifer? Wird er uns bald besuchen? Warum kam er nicht mit Euch?" "Gell hot sein Grund, Herr!" erwiderte die runde Frau. "Wenn's Krieg geit, bleibt er g'wiss et aus; do ka mer'n brauche; aber im Frieda? Noi, do denkt er, mit grausse Herra ist's et guet Kirsche fressa." Frau Rosel wollte beinahe verzweifeln ueber die Naivitaet der runden Frau, sie zog sie am Rock und am langen Zopfband, es half nichts, die Frau des Pfeifers sprach zu grosser Ergoetzung des Herzogs und seiner Gaeste immer weiter, und das unausloeschliche Gelaechter, das ihre Antworten erregten, schien ihr Freude zu machen. Baerbele hatte indessen mit dem Deckel des Koerbchens gespielt, sie hatte einige Male gewagt, ihre Blicke zu erheben, um jenes Gesicht wiederzusehen, das im Fieber der Krankheit sooft an ihrem Busen geruht und in ihren treuen Armen Ruhe und Schlummer gefunden hatte, jenen Mund wiederzusehen, den sie so oft heimlicherweise mit ihren Lippen beruehrt hatte, und jene Augen, deren klarer, freundlicher Strahl ewig in ihrem Gedaechtnis fortgluehte. Sie erhob ihre Blicke immer wieder von neuem, doch, wenn sie bis an seinen Mund gekommen war, schlug sie sie wieder--aus Furcht, seinem Auge zu begegnen--herab. "Sieh Marie", hoerte sie ihn sagen, "das ist das gute Kind, das mich pflegte, als ich krank in ihres Vaters Huette lag, das mir den Weg nach Lichtenstein zeigte." Marie wandte sich um und ergriff guetig ihre Hand, das Maedchen zitterte, und ihre Wangen faerbte ein dunkles Rot; sie oeffnete ihr Koerbchen und ueberreichte ein Stueck schoener Leinwand und einige Buendel Flachs, so fein und zart wie Seide. Sie versuchte zu sprechen, aber umsonst, sie kuesste die Hand der jungen Frau und eine Traene fiel herab auf ihren Ehering. "Ei, Baerbele", schalt Frau Rosel, "sei doch nicht so schuechtern und aengstlich. Gnaediges Fraeulein--wollte sagen, gnaedige Frau, habt Nachsicht, sie kommt selten zu vornehmen Leuten. Es ist niemand so gut, er hat zweierlei Mut, heisst es im Sprichwort. Das Maedchen kann so froehlich sein, wie eine Schwalbe im Fruehling--." "Ich danke Dir, Baerbele!" sagte Marie. "Wie schoen Deine Leinwand ist! Die hast Du wohl selbst gesponnen?" Das Maedchen laechelte durch Traenen; sie nickte ein Ja!--Zu sprechen schien ihr in diesem Augenblick unmoeglich zu sein. Der Herzog befreite sie von dieser Verlegenheit, um sie in eine noch groessere zu ziehen. "Sag einmal, Kind, hast Du auch schon einen Schatz? Einen Liebsten?" "Ei was, Euer Durchlaucht!" unterbrach ihn da die runde Frau. "Wer wird so ebbes von so ema Kind denka! Se ist a ehrliches Maedle, Herr Herzich!" Der Herzog schien nicht auf diese Bemerkung zu hoeren; er betrachtete laechelnd die Verlegenheit, die sich auf den reinen Zuegen des Maedchens spiegelte; sie seufzte leise, sie spielte mit den bunten Baendern ihrer Zoepfe; sie sandte unwillkuerlich einen Blick, aber einen Blick voll Liebe auf Georg von Sturmfeder, und schlug dann erroetend wieder die Augen nieder. Der Herzog, dem dies alles nicht entging, brach in lautes Lachen aus, in das die uebrigen Maenner einstimmten "Junge Frau!" sagte er zu Marien, "jetzt koennt Ihr billig die Eifersucht Eures Herrn teilen; wenn Ihr gesehen haettet, was ich sah, koenntet Ihr allerlei deuteln und vermuten." Marie laechelte und blickte teilnehmend auf das schoene Maedchen: sie fuehlte, wie weh ihr der Spott der Maenner tun muesse. Sie fluesterte der Frau Rosel zu, sie und die runde Frau zu entfernen. Auch dieses bemerkte Ulrichs scharfer Blick, und seine heitere Laune schrieb es der schnell wachsenden Eifersucht zu. Marie aber band ein schoenes, aus Gold und roten Steinen gearbeitetes Kreuzchen ab, das sie an einer Schnur um den Hals getragen, und reichte es dem ueberraschten Maedchen. "Ich danke Dir", sagte sie ihr dazu, "gruesse Deinen Vater und besuche uns recht oft hier und in Lichtenstein. Wie waere es, wenn Du mir dientest als Zofe? Du sollst es gut haben, und hast ja auch Deine Muhme, Frau Rosel, bei uns." Das Maedchen erschrak sichtbar; sie schien mit sich zu kaempfen; oft schien ein freundliches Laecheln ja sagen zu wollen, aber ebenso oft draengte ein schmerzlicher Zug um den Mund diesen Entschluss zurueck. "I dank' schoe, gnaedige Frau", antwortete sie, indem sie Mariens schoene Hand kuesste. "Aber i muess daheim bleibe: d'Mueter wird alt und braucht me, b'huet Uich Gott der Herr, aelle Heilige walten ueber Uich, und die heilige Jungfrau sei Uich gnaedig. Lebet g'sund und froh mit Euerem Herra, 's ist a gueter' lieber Herr!" Noch einmal beugte sich Baerbele herab auf Mariens Hand und entfernte sich dann mit ihrer Mutter und der Base. "Hoer einmal", rief ihr der Herzog nach, "wenn Deine Mutter einmal zugibt, dass Du einen Liebsten bekommst, so bring' ihn mir; ich will Dich ausstatten, Du huebsches Pfeiferskind!" Unter diesen Szenen war es vier Uhr geworden; und der Herzog hob die Tafel auf. Dies war das Zeichen, dass sich jetzt das Volk von den Galerien entfernen muesse, die sogleich mit Polstern und Teppichen belegt und zum Empfang der Damen eingerichtet wurden. In dem Parterre der Tyrnitz wurden schnell die Tafeln weggeraeumt, Lanzen, Schwerter, Schilde, Helme und der ganze Apparat zu Ritterspielen herbeigeschleppt, und in einem Augenblick war diese grosse Halle, die noch soeben der Sitz der Tafelfreuden gewesen war, zum Waffensaal eingerichtet. Es wurden an diesem Abend sogar Pferde in die Halle gefuehrt, und Marie hatte die Freude, ihrem Geliebten den zweiten Dank im Rennen ueberreichen zu koennen, denn er machte den Herrn von Hewen zweimal im Sattel wanken. Der tapferste Kaempfer war Herzog Ulrich von Wuerttemberg, eine Zierde der Ritterschaft seiner Zeit. Meldet ja doch die Sage von ihm, dass er an seinem eigenen Hochzeitstag acht der staerksten Ritter des Schwaben- und Frankenlandes in den Sand warf. Nachdem die Ritterspiele einige Stunden gedauert hatten, zog man zum Tanz in den Rittersaal, und den Siegern im Kampf wurden die Vortaenze zugestanden. Der froehliche Reigen ertoente bis in die Nacht. Der Herzog schien alle Sorgen vor der bangen Zukunft auf den Hoecker seines Kanzlers geschoben zu haben, der wie die boese Zeit in einem Fenster sass und mit bitterem Laecheln einem Vergnuegen zuschaute, von welchem ihn seine eigene Missgestalt ausschloss. Zum letzten Tanz vor dem Abendtrunk wollte Ulrich die Krone des Festes, die junge, schoene Frau Marie aufrufen; doch im ganzen Saal suchte er und Georg sie vergebens auf, und die laechelnden Frauen gestanden, dass sechs der schoensten Fraeuleins sie entfuehrt und in ihre neue Wohnung begleitet haetten, um ihr dort, wie es die Sitte wollte, die mysterioesen Dienste einer Zofe zu erzeigen. _"Sic transit gloria mundi.!"_ sagte der Herzog laechelnd. "Und siehe, Georg, da nahen sie schon mit den Fackeln, Seine Gesellen und zwoelf Junker, sie wollen Dir 'heimzuenden'. Doch zuvor leere noch einen Becher mit Uns. Geh, Mundschenk! Bring vom Besten." Marx Stumpf von Schweinsberg und Dieterich von Kraft nahten sich mit Fackeln und boten sich an, Georg nach Hause zu geleiten. An sie schlossen sich zwoelf Junker, ebenfalls mit Fackeln, an, um dem jungen Mann diese Ehre zu erweisen; denn so wollte es die Sitte der guten alten Zeit. Der Mundschenk goss die Becher voll und kredenzte sie seinem Herzog und Georg von Sturmfeder, Ulrich sah ihn lange und nicht ohne Ruehrung an; er drueckte seine Hand und sagte: "Du hast Probe gehalten. Als ich verlassen und elend unter der Erde lag, hast Du Dich zu mir bekannt; als jene Vierzig meine Burg uebergaben und kein Stueckchen Wuerttemberg mehr mein war, bist Du mir aus dem Land gefolgt, hast mich oft getroestet und auch auf diesen Tag verwiesen Bleibe mein Freund, wer weiss, was die naechsten Tage bringen. Jetzt kann ich wieder Hunderten gebieten und sie schreien 'Hoch!' auf das Wohl meines Hauses, und doch war mir Dein Trinkspruch mehr wert, den Du in der Hoehle ausbrachtest und den das Echo beantwortete. Ich erwidere ihn jetzt und gebe ihn Dir: Sei gluecklich mit Deinem Weib, moege Dein Geschlecht auf ewige Zeiten gruenen und bluehen; moege es Wuerttemberg nie an Maennern fehlen, so mutig im Glueck, so treu im Unglueck wie Du!" Der Herzog trank, und eine Traene fiel in seinen Becher. Die Gaeste stimmten jubelnd in seinen Ruf, die Fackeltraeger ordneten sich, und seine Gesellen fuehrten Georg von Sturmfeder aus dem Schloss der Herzoge von Wuerttemberg. Kapitel 33 Das Motto, womit wir diesen Abschnitt bezeichnen, ist eine Geisterstimme, die warnend durch die Weltgeschichte toent, die von vielen vernommen, von den meisten ueberhoert, von wenigen befolgt wurde. Zu allen Zeiten ging ein finsterer Geist durch das Haus der Erde, man vernahm oft sein Rauschen, man suchte es durch die Toene der Freude zu uebertaeuben. Ulrich von Wuerttemberg hatte jene Stimme in mancher Nacht vernommen, die er sorgenvoll auf seinem Lager durchwachte. Er glaubte das Geraeusch vieler Gewappneter und die droehnenden Tritte eines Heeres zu vernehmen, er glaubte sie naeher und naeher um ihn sich lagern zu hoeren, und wenn er sich auch ueberzeugte, dass es nur die Nachtluft war, die um die Tuerme seines Schlosses brauste, so blieb doch eine finstere Ahnung in ihm zurueck, dass sein Schicksal noch einmal sich wenden koennte. Jene Warnung des alten Ritters von Lichtenstein toente oft in seiner Seele wieder, und vergeblich strengte er sich an, die kuenstlichen Folgerungen seines Kanzlers sich zu wiederholen, um ein Verfahren bei sich zu entschuldigen, das ihm jetzt zum wenigsten nicht genug ueberdacht schien. Denn seine alten Feinde ruesteten sich mit Macht. Der Bund hatte ein neues Heer geworben und drang herab ins Land, naeher und naeher an das Herz von Wuerttemberg. Die Reichsstadt Esslingen bot fuer diese Unternehmungen einen nur zu guenstigen Stuetzpunkt. Sie liegt nur wenige Stunden von der Hauptstadt, beinahe mitten im Land, und war, sobald das Heer des Bundes die Kommunikation mit ihr hergestellt hatte, eine furchtbare Schanze, um Ausfaelle nach Wuerttemberg zu beguenstigen und zu decken. Das Landvolk nahm an vielen Orten den Bund guenstig auf, denn der Herzog hatte es durch die neue Art, wie er sich huldigen liess, aengstlich gemacht. Die Liebe zum Alten hatte der Herzog an seinem Volk erfahren, als er einige Jahre zuvor seinen Raeten folgte und zur Verbesserung seiner Finanzen ein neues Mass und Gewicht einfuehrte. Der "arme Konrad", ein foermlicher Aufstand armer Leute, hatte ihn nachdenklich gemacht und den Tuebinger Vertrag eingeleitet. Die Liebe zum Alten hatte sich auf eine ruehrende Weise an ihm gezeigt, als der Bund ins Land fiel, und das Haupt des alten Fuerstenstammes verjagen wollte. Ihre Vaeter und Grossvaeter hatten unter den Herzogen und Grafen von Wuerttemberg gelebt, darum war ihnen jeder verhasst, der diese verdraengen wollte. Wie wenig sie das Neue lieben, hatten sie dem Bund und seinen Statthaltern oft genug bewiesen. Der alte, angestammte Herzog, ein Wuerttemberger, kam wieder ins Land, sie zogen ihm freudig zu. Sie glaubten, jetzt werde es wieder hergehen wie "vor alters"; sie haetten recht gerne Steuern bezahlt, Zehnten gegeben, Guelten aller Art entrichtet und Fronen geleistet. Sie haetten ueber Schwereres nicht gemurrt, wenn es nur nach hergebrachter Art geschehen waere. So gut wurde es ihnen aber nicht. Die alten Formeln waren aus dem Huldigungseid verschwunden, die Steuern wurden nicht mehr nach hergebrachter Sitte eingezogen, es war alles anders als frueher, kein Wunder, wenn sie den Herzog als einen neuen Herrn ansahen und murrend nach dem alten Recht verlangten. Sie hatten zu Ulrich kein Zutrauen mehr, nicht weil seine Hand schwerer auf ihnen ruhte als vorher, nicht weil er bedeutend mehr von ihnen wollte als frueher, sondern weil sie die neuen Formen mit argwoehnischen Augen ansahen. Ein Herzog, besonders wenn er einem Ambrosius Volland sein Ohr leiht, erfaehrt selten genau, wie man ueber ihn denkt und ob die Massregeln klug berechnet waren, die ihm seine Raete an die Hand gaben. Und dennoch entging Ulrichs hellem Auge die Unzufriedenheit seines Volkes nicht ganz. Er merkte, dass er im schlimmen Fall sich nicht auf es werde verlassen koennen, so wenig als auf die Ritterschaft des Landes, die, seit er wieder im Land war, sich sehr neutral verhalten hatte. Seine Unruhe ueber diese Bemerkungen suchte er jedem Auge zu verbergen. Es beschwor die wildesten Toene der Freude herauf, und oft gelang es ihm sogar, zu vergessen, vor welchem Abgrund er stehe. Er verfluchte, um seinem Volk und dem Heer, das er in und um Stuttgart versammelt hatte, Vertrauen und Mut einzufloessen, einige Einfaelle, welche die Buendischen von Esslingen aus in sein Land gemacht hatten, doppelt heimzugeben. Er.schlug sie zwar und verwuestete ihr Gebiet, aber er verhehlte sich nicht, wenn er nach einem solchen Sieg in seine Stellungen zurueckging, dass das Kriegsglueck ihn vielleicht verlassen koennte, wenn der Bund einmal mit dem grossen Heer im Feld erscheinen wuerde. Und er erschien frueh genug fuer Ulrichs zweifelhaftes Geschick. Noch wusste man in Stuttgart wenig oder nichts von dem Aufgebot des Bundes, noch lebte man am Hof und in der Stadt in Ruhe und Freude, als auf einmal am zwoelften Oktober die Landsknechte, welche der Herzog ein Lager bei Cannstatt hatte beziehen lassen, fluechtig nach Stuttgart kamen und von einem grossen buendischen Heer erzaehlten, das sie zurueckgeworfen habe. Jetzt merkten die Bewohner Stuttgarts, dass eine wichtige Entscheidung nahe, jetzt sahen sie ein, dass der Herzog laengst um diesen drohenden Einfall gewusst haben muesse, denn er liess an diesem Tag die Aemter aufbieten, liess die Truppen sich versammeln, die auf das Land umher verlegt gewesen waren und hielt noch am Abend dieses Tages eine Musterung ueber zehntausend Mann. Noch in der Nacht zog er mit einem grossen Teil der Mannschaft aus, um die Stellungen, die ein Teil der Landsknechte zwischen Cannstatt und Esslingen genommen hatte, zu verstaerken. In jener Nacht wurde in Stuttgart manche Traene von schoenen Augen geweint, denn Maenner und Juenglinge, was die Waffen fuehren konnte, zog mit dem Herzog in die Schlacht. Doch das Rauschen des abziehenden Heeres uebertoente die Klagen der Maedchen und Frauen, sie verhallten wie das Wimmern eines Kindes im Kampf der Elemente. Mariens Schmerz war stumm, aber gross, als sie den Gatten unter die Tuere herabgeleitete, wo die Knechte mit den Rossen fuer ihn und den Vater hielten. Sie hatten still und einsam, nur mit ihrem Glueck beschaeftigt, die ersten Tage ihrer Ehe verlebt. Sie dachten wenig an die Zukunft, sie glaubten im Hafen zu sein, und indem sie nur sich selbst lebten, ueberhoerten sie das Fluestern, die geheimnisvolle Unruhe, die einem nahenden Sturm vorangeht. Sie waren gewoehnt, den Vater ernst und duester zu sehen, es fiel ihnen nicht auf, wie sein Auge immer trueber, seine Stirn finsterer, seine Mienen beinahe traurig wurden. Er sah ihr suesses Glueck, er fuehlte mit ihnen, er verbarg, um sie nicht zu frueh aufzustoeren, was ihm eine bange Ahnung oft genug sagte. Aber endlich nahte der entscheidende Schlag. Der Herzog von Bayern war bis in die Mitte des Landes vorgedrungen und der Ruf zu den Waffen schreckte Georg aus den Armen seines geliebten Weibes. Die Natur hatte ihr eine starke Seele und jene entschiedene Erhabenheit ueber jedes irdische Verhaengnis gegeben, die nur in einer reinen Seele und in der mutigen Zuversicht auf einen hoeheren Beistand bestehen kann. Sie wusste, was Georg der Ehre seines Namens und seinem Verhaeltnis zum Herzog schuldig sei, darum erstickte sie jeden lauten Jammer und brachte ihrer schwaechlichen Natur nur jenes Opfer schmerzlicher Traenen, die dem Auge, das den Geliebten tausend Gefahren preisgegeben sieht, unwillkuerlich entstroemen. "Sieh, ich kann nicht glauben, dass Du auf immer von mir gehst", sagte sie, indem sie ihre schoenen Zuege zu einem Laecheln zwang, "wir haben jetzt erst zu leben begonnen, der Himmel kann nicht wollen, dass wir schon aufhoeren sollen. Drum kann ich Dich ruhig ziehen lassen, ich weiss ja zuversichtlich, dass Du mir wiederkehrst." Georg kuesste die schoenen, weinenden Augen, die ihn so mild und voll Trost anblickten. Er dachte in diesem Augenblick nicht an die Gefahr, der er entgegengehe, er dachte nur daran, wie gross fuer das teure Wesen, das er in den Armen hielt, der Schmerz sein muesste, wenn er nicht mehr zurueckkehrte; wie sie dann ein langes Leben einsam nur in der Erinnerung an die wenigen Tage des Gluecks fortleben koennte. Er presste sie heftiger in die Arme, als wolle er dadurch diese schwarzen Gedanken verscheuchen; seine Blicke tauchten tiefer in ihre Augen herab, um dort Vergessenheit zu suchen, und es gelang ihm, wenigstens trug er ein schoenes Bild der Hoffnung und der Zuversicht mit sich hinweg. Die Ritter stiessen vor dem Tor gegen Cannstatt zum Herzog. Es war dunkle Nacht, das erste Viertel des Mondes und das Heer der Sterne warfen einen matten Schein herab; Georg glaubte zu bemerken, dass der Herzog finster und in sich gekehrt sei; denn seine Augen waren niedergeschlagen, seine Stirn kraus, und er ritt stumm seinen Weg weiter, nachdem er sie fluechtig mit der Hand gegruesst hatte. Ein naechtlicher Marsch hat immer etwas Geheimnisvolles, Bedeutendes an sich. Die Sonne, heitere Gegenden, der Anblick vieler Kameraden, der Wechsel der Aussichten locken bei Tag den Soldaten zum Gespraech, wohl auch zum Gesang. Weil die Eindruecke von aussen staerker sind, denkt man weniger nach ueber das Ziel des Marsches, ueber das Ungewisse des Krieges, ueber die Zukunft, die niemand dunkler verhaengt ist als dem Kriegsmann im Feld. Ganz anders auf dem Marsch in der Nacht. Man hoert nur das Gedroehn des Zuges, den taktartigen Hufschlag der Rosse, ihr Schnauben, das Klirren der Waffen, und die Seele, die durch das Auge keine Bilder mehr empfaengt, wird durch dieses eintoenige Gemurmel ernster; Scherz und Gelaechter sind verstummt, das laute Gespraech sinkt zum Gefluester herab, und auch dieses gilt nicht mehr gleichgueltigen Gegenstaenden, sondern der Entscheidung, welcher man entgegenzieht. So war auch der Zug in jener Nacht, ernst und von keinem Laut der Freude unterbrochen. Georg ritt neben dem alten Herrn von Lichtenstein und warf hie und da aengstliche Blicke auf diesen, denn er hing wie von Kummer gebueckt im Sattel und schien ernster als je zu sein. Er haette beinahe ohne Leben geschienen, wenn nicht hin und wieder ein Seufzer aus seiner Brust heraufgestiegen waere und seine glaenzenden Augen nach den Woelkchen geschaut haetten, die um die bleiche Sichel des Mondes zogen. "Glaubt Ihr, es wird morgen zum Gefecht kommen, Vater?" fluesterte Georg nach einer Weile. "Zum Gefecht? Zur Schlacht!" "Wie? Ihr glaubt also, das Bundesheer sei so stark, dass es uns jetzt schon werde die Spitze bieten koennen? Es ist nicht moeglich. Herzog Wilhelm muesste Fluegel haben, wenn er seine Bayern herabgefuehrt haette, und Frondsberg ist in seinen Entschluessen bedaechtig. Ich glaube nicht, dass sie viel ueber Sechstausend stark sind." "Zwanzigtausend", antwortete der Alte mit dumpfer Stimme. "Bei Gott, das hab ich nicht gedacht", entgegnete der junge Mann mit Staunen "Freilich, da werden sie uns hart zusetzen. Doch wir haben geuebtes Volk, und des Herzogs Augen sind schaerfer als irgendeines im Bundesheer, selbst als Frondsbergs. Glaubt Ihr nicht auch, dass wir sie schlagen werden?" "Nein." "Nun, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ein grosser Vorteil fuer uns liegt schon darin, dass wir fuer das Land fechten, die Buendischen aber dagegen; das macht unsern Truppen Mut; die Wuerttemberger kaempfen fuer ihr Vaterland." "Gerade darauf traue ich nicht", sprach Lichtenstein, "ja, wenn der Herzog sich anders haette huldigen lassen, so aber--hat er das Landvolk nicht fuer sich; sie streiten, weil sie muessen, und ich fuerchte, sie halten nicht lange aus." "Das waere freilich schlimm", erwiderte Georg, "doch die Schwaben sind ein biederes, ehrliches Volk, sie werden den Herzog nicht in der Not verlassen. Wo glaubt Ihr, dass wir dem Feind begegnen? Wo werden wir uns stellen?" "Zwischen Esslingen und Cannstatt; bei Untertuerkheim haben die Landsknechte einige Schanzen aufgeworfen und stehen dort zu dritthalbtausend Mann; wir werden uns noch in dieser Nacht an sie anschliessen." Der Alte schwieg, und sie ritten wieder eine geraume Zeit still nebeneinander hin "Hoere, Georg!" hub er nach einer Weile an, "ich habe schon oft dem Tod Auge in Auge gesehen und bin alt genug, mich nicht vor ihm zu fuerchten, es kann jedem etwas Menschliches begegnen --troeste dann mein liebes Kind, Marie." "Vater!" rief Georg, und reichte ihm die Hand hinueber, "denkt nicht solches! Ihr werdet noch lange und gluecklich mit uns leben." "Vielleicht", entgegnete der alte Mann mit fester Stimme, "vielleicht auch nicht. Es waere toericht von mir, Dich aufzufordern Du sollst Dich im Gefecht schonen. Du wuerdest es doch nicht tun. Doch bitte ich, denk an Dein junges Weib, und begib Dich nicht blindlings und unueberlegt in Gefahr. Versprich mir dies." "Gut, hier habt Ihr meine Hand; was ich tun muss, werde ich nicht ablehnen, leichtsinnig will ich mich nicht aussetzen; aber auch Ihr, Vater, koenntet dies geloben." "Schon gut, lass das jetzt. Wenn ich etwa morgen totgeschossen werden sollte, so gilt mein letzter Wille, den ich beim Herzog niedergelegt habe; Lichtenstein geht auf Dich ueber, Du wirst damit belehnt werden. Mein Name stirbt hierzulande mit mir, moege der Deinige desto laenger toenen." Der junge Mann war von diese Reden schmerzlich bewegt; er wollte antworten, als eine bekannte Stimme seinen Namen rief. Es war der Herzog, der nach ihm verlangte. Er drueckte Mariens Vater die Hand und ritt dann schnell zu Ulrich von Wuerttemberg. "Guten Morgen, Sturmfeder!" sprach dieser, indem seine Stirn sich etwas aufheiterte. "Ich sag' guten Morgen, denn die Haehne kraehen dort unten im Dorf. Was macht Dein Weib? Hat sie gejammert, als Du wegrittst?" "Sie hat geweint", antwortete Georg, "aber sie hat nicht mit einem Wort geklagt." "Das sieht ihr gleich, bei Sankt Hubertus, Wir haben selten eine mutigere Frau gesehen. Wenn nur die Nacht nicht so finster waere, dass ich recht in Deine Augen sehen koennte, ob Du zum Kampf gestimmt bist und Lust hast, mit den Buendlern anzubinden?" "Sprecht, wohin ich reiten soll; mitten drauf soll es gehen im Galopp. Glauben Euer Durchlaucht, ich habe in meinem kurzen Ehestand so ganz vergessen, was ich von Euch erlernte, dass man im Glueck und Unglueck den Mut nicht sinken lassen duerfe?" "Hast recht: Impavidum ferient ruinae." Wir haben es auch gar nicht anders von Unserem getreuen Bannertraeger erwartet. Heute traegt meine Fahne ein anderer, denn Dich habe ich zu etwas Wichtigerem bestimmt. Du nimmst diese hundertundsechzig Reiter, die hier zunaechst ziehen, laesst Dir von einem den Weg zeigen und reitest Trab gerade auf Untertuerkheim zu. Es ist moeglich, dass der Weg nicht ganz frei ist, dass vielleicht die von Esslingen schon herabgezogen sind, um den Pass zu versperren; was willst Du tun, wenn es sich so verhaelt?" "Nun, ich werfe mich in Gottes Namen mit meinen hundertundsechzig Pferden auf sie und hau mich durch, wenn es kein Heer ist. Sind sie zu stark, so decke ich den Weg, bis Ihr mit dem Zug heran seid." "Recht gut gesagt, gesprochen wie ein tapferer Degen, und haust Du so gut auf sie, wie auf mich bei Lichtenstein, so schlaegst Du Dich durch sechshundert Buendler durch. Die Leute, die ich Dir gebe, sind gut. Es sind die Fleischer, Sattler und Waffenschmiede von Stuttgart und den andern Staedten. Ich kenne sie aus manchem Kampf, sie sind wacker und hauen einen Schaedel bis aufs Brustbein durch. Das Schwert in der Faust, reiten sie Dir in die Hoelle, wenn sie Dir einmal zugetan sind; und wen sie einmal ans Hirn getroffen haben, der braucht keinen Arzt mehr auf dieser Welt. Das sind die echten Schwabenstreiche." "Und bei Untertuerkheim soll ich mich aufstellen?" "Dort triffst Du auf einer Anhoehe die Landsknechte unter Georg von Hewen und Schweinsberg. Die Losung ist, Ulricus fuer immer. Den beiden Herren sagst Du, sie sollen sich halten bis fuenf Uhr; ehe der Tag aufgeht, sei ich mit sechstausend Mann bei ihnen, und dann wollen wir den Bund erwarten. Gehab Dich wohl, Georg." Der junge Mann erwiderte den Gruss, indem er sich ehrerbietig neigte; er ritt an die Spitze der tapferen Reiter und trabte mit ihnen das Tal hinauf. Es waren kraeftige Gestalten, mit breiten Schultern und starken Armen; unter den Sturmhauben hervor blickten ihn mutige Augen und breite ehrliche Gesichter freundlich an; er fuehlte sich ehrvoll ausgezeichnet, eine solche Schar zu fuehren. Man naeherte sich dem Fuss des Rothenberges, auf dessen Gipfel das Stammschloss von Wuerttemberg weit ueber das schoene Neckartal hinsah. Es war vom Sternenschimmer matt erhellt, und Georg konnte seine Formen nicht deutlich unterscheiden, aber dennoch blickte er immer wieder nach diesen Tuermen und Mauern hinauf; er erinnerte sich jener Nacht, wo Ulrich in der Hoehle mit Wehmut von der Burg seiner Vaeter sprach, von welcher er sonst auf ein schoenes Land voll Obst, Wein und Frucht hinabgeschaut und dies alles sein genannt hatte. Er versank in Gedanken ueber das unglueckliche Schicksal dieses Fuersten das ihm aufs neue den Besitz des schoenen Landes streitig zu machen schien; er dachte nach ueber die sonderbare Mischung seines Charakters, wie hier wahrhafte Groesse oft durch Zorn, Trotz und unbeugsamen Stolz entweiht sei. "Was Ihr dort unten unterscheiden koennt zwischen den beiden Baeumen", unterbrach ihn der Reiter, welcher ihm den Weg zeigte, "ist die Turmspitze von Untertuerkheim. Es geht jetzt wieder etwas ebener, und wenn wir Trab reiten, koennen wir bald dort sein." Der junge Mann trieb sein Pferd an, der ganze Zug folgte seinem Beispiel, und bald waren sie im Angesicht dieses Dorfes. Hier war eine doppelte Linie von Landsknechten aufgestellt, welche ihnen drohend die Hellebarden entgegenstreckten. An vielen Punkten sah man den roetlichen Schimmer gluehender Lunten, die wie Scheinwuermchen durch die Nacht funkelten. "Halt, wer da?" rief eine Stimme aus ihren Reihen. "Gebt die Losung!" "Ulricus fuer immer", rief Georg. "Wer seid Ihr?" "Gut Freund!" rief Marx Stumpf von Schweinsberg, indem er aus den Reihen der Landsknechte heraus und auf den jungen Mann zuritt. "Guten Morgen, Georg, Ihr habt lange auf Euch warten lassen, schon die ganze Nacht sind wir auf den Beinen und harren sehnlich auf Verstaerkung, denn dort drueben im Wald sieht es nicht geheuer aus, und wenn Frondsberg den Vorteil verstanden haette, waeren wir schon laengst uebermannt." "Der Herzog zieht mit sechstausend Mann heran", erwiderte Sturmfeder, "laengstens in zwei Stunden muss er da sein." "Sechstausend, sagst Du? Bei Sankt Nepomuk, das ist nicht genug, wir sind zu dritthalbtausend, das macht zusammen gegen neuntausend. Weisst Du, dass sie ueber zwanzigtausend stark sind, die Buendischen? Wieviel Geschuetz bringt er mit?" "Ich weiss nicht; es wurde erst nachgefuehrt, als wir ausritten". "Komm, lass die Reiter absitzen und ruhen", sagte Marx Stumpf. "Sie werden heute Arbeit genug bekommen." Die Reiter sassen ab und lagerten sich; auch die Landsknechte loesten ihre Reihen auf und stellten nur starke Posten auf den Anhoehen und am Neckar auf. Marx Stumpf besichtigte alle Anstalten, und Georg legte sich, in seinen Mantel gehuellt, nieder, um noch einige Stunden zu ruhen. Die Stille der Nacht, nur durch den eintoenigen Ruf der Wachen unterbrochen, senkte ihn bald in einen Schlummer, der seine Seele weit hinweg ueber Krieg und Schlachten, in die Arme seines Weibes entfuehrte. Kapitel 34 Georg erwachte durch das Wirbeln der Trommeln, die das kleine Heer unter die Waffen riefen. Ein schmaler Saum war am Horizont hell, der Morgen kam, die Truppen des Herzogs sah man in der Ferne daherziehen. Der junge Mann setzte den Helm auf, liess sich den Brustharnisch wieder anlegen und stieg zu Pferd, den Herzog an der Spitze seiner Mannschaft zu empfangen. Aus Ulrichs Zuegen war zwar nicht der Ernst, wohl aber alle Duesterkeit verschwunden. Sein Auge spruehte von einem kriegerischen Feuer, und aus seinen Mienen sprach Mut und Entschlossenheit. Er war ganz in Stahl gekleidet und trug ueber seinem schweren Eisenkleid einen gruenen Mantel mit Gold verbraemt. Die Farben seines Hauses wehten in seinem grossen wallenden Helmbusch. Sonst unterschied er sich in nichts von den uebrigen Rittern und Edlen, die ebenfalls in blankes Eisen "bis an die Zaehne" gekleidet, den Herzog in einem grossen Kreis umgaben. Er begruesste freundlich Hewen, Schweinsberg und Georg von Sturmfeder und liess sich von ihnen ueber die Stellung des Feindes berichten. Noch war von diesem nichts zu sehen; nur am Saum des Waldes gegen Esslingen hin sah man hin und wieder seine Posten stehen. Der Herzog beschloss, den Huegel, den die Landsknechte besetzt gehalten hatten, zu verlassen und sich in die Ebene hinabzuziehen. Er hatte wenig Reiterei, der Bund aber, so berichteten Kundschafter, zaehlte dreitausend Pferde. Im Tal hatte er auf einer Seite den Neckar, auf der andern einen Wald, und so war er wenigstens auf den Flanken vor einem Reiterangriff sicher. Lichtenstein und mehrere andere widerrieten zwar diese Stellung im Tal, weil man vom Huegel zu nahe beschossen werden koenne; doch Ulrich folgte seinem Sinn und liess das Heer hinabsteigen. Er stellte zunaechst vor Tuerkheim die Schlachtordnung auf und erwartete seinen Feind. Georg von Sturmfeder wurde beordert, in seiner Naehe mit den Reitern, die er ihm anvertraut hatte, zu halten; sie sollten gleichsam seine Leibwache bilden; zu diesen berittenen Buergern gesellten sich noch Lichtenstein und vierundzwanzig andere Ritter, um bei einem Reiterangriff den Stoss zu verstaerken. In jenen Tagen war ein Treffen oft in viele kleine Zweikaempfe zerstreut, die Ritter, die einem Heer folgten, fochten selten in geschlossenen Waffen, sondern suchten mit schnellem Blick einen Gegner unter den Reihen des Feindes, den sie dann mit Schwert und Lanze bekaempften. Eine solche Schar war es, die bei Georgs Reiterhaufen stand, und den Herzog selbst geluestete es, seine ungeheure Kraft, seine weit beruehmte Fertigkeit in einem solchen Zweikampf zu erproben, und nur die instaendigen Bitten der Ritter hielten ihn ab, diese romantische Idee auszufuehren. Neben dem Herzog hielt eine sonderbare Figur, beinahe wie eine Schildkroete, die zu Pferd sitzt, anzusehen. Ein Helm mit grossen Federn sass auf einem kleinen Koerper, der auf dem Ruecken mit einem gewoelbten Panzer versehen war; der kleine Reiter hatte die Knie weit heraufgezogen und hielt sich am Sattelknopf fest. Das herabgeschlagene Visier hinderte Georg, zu erkennen, wer dieser laecherliche Kaempfer sei; er ritt daher naeher an den Herzog heran, und sagte: "Wahrhaftig, Euer Durchlaucht haben sich da einen ueberaus maechtigen Kaempen zum Begleiter ausersehen. Seht nur die duerren Beine, die zitternden Arme, den maechtigen Helm zwischen den kleinen Schultern-- wer ist denn dieser Riese?" "Kennst Du den Hoecker so schlecht?" fragte der Herzog lachend. "Sieh nur, er hat einen ganz absonderlichen Panzer an, der wie eine grosse Nussschale anzusehen, um seinen teuern Ruecken zu verwahren, wenn es etwa zur Flucht kaeme. Es ist mein getreuer Kanzler, Ambrosius Volland." "Bei der heiligen Jungfrau! Dem habe ich bitter Unrecht getan", entgegnete Georg, "ich dachte, er werde nie ein Schwert ziehen und ein Ross besteigen, und da sitzt er auf einem Tier, so hoch wie ein Elefant, und traegt ein Schwert, so gross als er selbst ist; diesen kriegerischen Geist haette ich ihm nimmer zugetraut." "Meinst Du, er reite aus eigenem Entschluss zu Feld? Nein, ich habe ihn mit Gewalt dazu genoetigt. Er hat mir zu manchem geraten, was mir nicht frommte, und ich fuerchte, er hat mich mit boeslicher Absicht aufs Eis gefuehrt; drum mag er auch die Suppe mitverzehren, die er eingebrockt hat. Er hat geweint, wie ich ihn dazu zwang; er sprach viel vom Zipperlein und von seiner Natur, die nicht kriegerisch sei; aber ich liess ihn in seinen Harnisch schnueren und zu Pferd heben, er reitet den feurigsten Renner aus meinem Stall." Waehrend dies der Herzog sprach, schlug der Ritter vom Hoecker das Visier auf und zeigte ein bleiches, kummervolles Gesicht. Das ewig stehende Laecheln war verschwunden, seine stechenden Aeuglein waren gross und starr geworden und drehten sich langsam und schuechtern nach der Seite; der Angstschweiss stand ihm auf der Stirn, und seine Stimme war zum zitternden Fluestern geworden. "Um Gottes Barmherzigkeit willen, wertgeschaetzter Herr von Sturmfeder, vielgeliebter Freund und Goenner, legt ein gutes Wort ein beim gestrengen Herrn, dass er mich aus diesem Fastnachtsspiel entlaesst. Es ist des allerhoechsten Scherzes jetzt genug. Der Ritt in den schweren Waffen hat mich grausam angegriffen, der Helm drueckt mich aufs Hirn, dass meine Gedanken im Kreis tanzen, und meine Knie sind vom Zipperlein gekruemmt, bitte, bitte! Legt ein gutes Wort ein fuer Euren demuetigen Knecht, Ambrosius Volland; will's gewisslich vergelten." Der junge Mann wandte sich mit Abscheu von dem grauen feigen Suender. "Herr Herzog", sagte er, indem ein edler Zorn seine Wangen roetete, "vergoennt ihm, dass er sich entferne. Die Ritter haben ihre Schwerter gelueftet und die Helme fester in die Stirn gedrueckt, das Volk schuettelt die Speere und erwartet mutig das Zeichen zum Angriff, warum soll ein Feigling in den Reihen von Maennern streiten?" "Er bleibt, sage ich", entgegnete der Herzog mit fester Stimme, "beim ersten Schritt rueckwaerts hau ich ihn selbst vom Gaul herunter. Der Teufel sass auf Deinen blauen Lippen, Ambrosius Volland, als Du Uns geraten, Unser Volk zu verachten und das Alte umzustossen. Heute, wenn die Kugeln sausen und die Schwerter rasseln, magst Du schauen, ob Dein Rat Uns frommte." Des Kanzlers Augen gluehten vor Wut, seine Lippen zitterten und seine Mienen verzerrten sich grauenerregend. "Ich habe Euch nur geraten; warum habt Ihr es getan?" sagte er. "Ihr seid Herzog; Ihr habt befohlen und Euch huldigen lassen; was kann denn ich dafuer?" Der Herzog riss sein Pferd so schnell um, dass der Kanzler bis auf die Maehnen seines Elefanten niedertauchte, als erwarte er den Todesstreich. "Bei Unserer fuerstlichen Ehre", rief er mit schrecklicher Stimme, indem seine Augen blitzten, "Wir bewundern unsere eigene Langmut. Du hast Unsren ersten Zorn benuetzt, Du hast Dich in Unser Vertrauen einzuschwatzen gewusst; waeren Wir Dir nicht gefolgt, Du Schlange, so stuenden heute zwanzigtausend Wuerttemberger hier, und ihre Herzen waeren eine feste Mauer fuer ihren Fuersten. Oh, mein Wuerttemberg! Mein Wuerttemberg! Dass ich Deinem Rat gefolgt waere, alter Freund; ja, es heisst was, von seinem Volk geliebt zu sein!" "Entfernt diese Gedanken vor einer Schlacht", sagte der alte Herr von Lichtenstein, "noch ist es Zeit, das Versaeumte einzuholen. Noch stehen sechstausend Wuerttemberger um Euch, und bei Gott, sie werden mit Euch siegen, wenn Ihr sie mit Vertrauen gegen den Feind fuehrt. Oh Herr! Hier sind lauter Freunde, vergebt Euren Feinden, entlasst den Kanzler, der nicht fechten kann!" "Nein! Her zu mir, Schildkroete! An meine Seite her, Hund von einem Schreiber! Wie er zu Rosse sitzt, als haette ihn unser Herr Gott hinaufgeschneit, den Schneemann! Du hast mein Volk verachtet in Deiner Kanzlei und ihnen Gesetze gegeben mit Deiner Schwanenfeder, jetzt sollst Du sehen, wie sie streiten, jetzt sollst Du sehen, wie Wuerttemberg siegt oder untergeht. Ha! Seht Ihr sie dort auf dem Huegel? Seht Ihr die Fahnen mit dem roten Kreuz? Seht Ihr das Banner von Bayern? Wie ihre Waffen blitzen im Morgenrot, wie ihre Glieder von tausend Lanzen starren, wie der Wind in ihren Helmbueschen spielt. --Guten Tag; ihr Herren vom Schwabenbund! Jetzt geht mir das Herz auf; das ist ein Anblick fuer einen Wuerttemberg!" "Schaut, sie richten schon die Geschuetze", unterbrach ihn Lichtenstein, "zurueck von diesem Platz, Herr! Hier steht Euer Leben in augenscheinlicher Gefahr; zurueck, zurueck, wir halten hier; schickt uns Eure Befehle von dort zu, wo Ihr sicher seid!" Der Herzog sah ihn gross an. "Wo hast Du gehoert", sagte er, "dass ein Wuerttemberg gewichen sei, wenn der Feind zum Angriff blasen liess? Meine Ahnen kannten keine Furcht, und meine Enkel werden noch aushalten wie sie, furchtlos und treu! Sieh, wie der Berg sich dunkler und dunkler fuellt von ihren Scharen. Siehst Du jene weissen Wolken am Berg, Schildkroete? Hoerst Du sie lachen? Das ist der Donner der Geschuetze, der in unsere Reihen schlaegt. Jetzt, wenn Du ein gutes Gewissen hast, wirst Du leichter Atem holen, denn um Dein Leben gibt Dir keiner einen Pfennig." "Lasset uns beten", sagte Marx von Schweinsberg, "und dann drauf in Gottes Namen." Der Herzog faltete andaechtig die Haende, seine Begleiter folgten seinem Beispiel und beteten zum Anfang der Schlacht, wie es Sitte war in den alten Tagen. Der Donner der feindlichen Geschuetze toente schauerlich in diese tiefe Stille, in welcher man jeden Atemzug; jedes leise Fluestern der Betenden hoerte. Auch der Kanzler faltete die Haende, aber seine Augen richteten sich nicht glaeubig auf zum Himmel, sie irrten zagend an den Bergen umher, und das Beben seines Koerpers, sooft Blitz und Rauch aus den Feldstuecken des Feindes fuhr, zeigte, dass seine Seele nicht zu Dem sich aufzuschwingen vermoege, der aus den Strahlen seiner Morgensonne ueber Freunde und Feinde herabblickte. Ulrich von Wuerttemberg hatte gebetet und zog sein Schwert aus der Scheide. Die Ritter und Reisigen folgten ihm, und in einem Augenblick blitzten tausend Schwerter um ihn her. "Die Landsknechte sind schon im Gefecht", sagte er, indem sein Adlerauge schnell das Tal ueberschaute. "Georg von Hewen, Ihr rueckt ihnen mit tausend zu Fuss nach. Schweinsberg lehne sich mit achthundert an den Wald und warte bis auf weiteres. Reinhardt von Gemmingen, wollt mit den Eurigen geradeaus ziehen und den mittleren Raum zwischen dem Wald und dem Neckar einnehmen. Sturmfeder, Du bleibst mit Deiner Abteilung Reiter, doch bist Du jeden Augenblick bereit, vorzubrechen. Gott befohlen, Ihr Herren. Sollten wir uns hier unten nicht mehr sehen, so gruessen wir uns desto freudiger oben." Er gruesste sie, indem er sein grosses Schwert gegen sie neigte. Die Ritter erwiderten den Gruss und zogen mit ihren Scharen dem Feind zu, und ein tausendstimmiges "Ulrich fuer immer!" ertoente aus ihren Reihen. Das buendische Heer, das auf dem Huegel, den die Herzoglichen frueher gehalten hatten, angekommen war, begruesste seinen Feind aus vielen Feldschlangen und Kartaunen; dann zogen sie sich allmaehlich herab ins Tal. Sie schienen durch ihre ungeheure Anzahl das kleine Heer des Herzogs erdruecken zu wollen. In dem Augenblick, als die letzten Glieder den Huegel verlassen wollten, wandte sich der Herzog zu Georg von Sturmfeder. "Siehst Du ihre Feldstuecke auf dem Huegel?" fragte er. "Wohl. Sie sind nur durch wenige Mannschaft bedeckt." "Frondsberg glaubt, weil wir nicht ueber ihn wegfliegen koennen, sei es unmoeglich, sein Geschuetz zu nehmen. Aber dort am Wald biegt ein Weg links ein und fuehrt in ein Feld. Das Feld stoesst an jenen Huegel. Kannst Du mit Deinen Reitern ungehindert bis in jenes Feld vordringen so bist Du beinahe schon im Ruecken der Buendischen. Dort laesst Du die Pferde verschnaufen, legst dann an, und im Galopp den Huegel hinauf. Die Geschuetze muessen unser sein!" Georg verbeugte sich zum Abschied, aber der Herzog bot ihm die Hand. "Lebe wohl, lieber Junge!" sagte er. "Es ist hart von Uns, einen jungen Ehemann auf so gefaehrliche Reise zu schicken, aber wir wussten keinen Rascheren und Besseren als Dich." Die Wangen des jungen Mannes gluehten, als er diese Worte hoerte, und seine Augen blinkten mutig. "Ich danke Euch, Herr, fuer diesen neuen Beweis Eurer Gnade", rief er, "Ihr belohnt mich schoener, als wenn Ihr mir die schoenste Burg geschenkt haettet.--Lebt wohl, Vater, und gruesst mein Weibchen." "So ist's nicht gemeint!" entgegnete laechelnd der alte Lichtenstein. "Ich reite mit Dir unter Deiner Fuehrung." "Nein, Ihr bleibt bei mir, alter Freund", bat der Herzog. "Soll mir denn der Kanzler hier im Felde raten? Da koennte ich so uebel fahren wie mit seinen andern Ratschluessen. Bleibt mir zur Seite; macht den Abschied kurz, Alter! Euer Sohn muss weiter." Der Alte drueckte Georgs Hand. Laechelnd und mit freudigem Mut erwiderte dieser den Abschiedsgruss, schwenkte mit seinen Reitern ab, und "Ulrich fuer immer!" riefen die Stuttgarter Buerger zu Pferd, welche er in dieser entscheidenen Stunde gegen den Feind fuehrte. Georg betrachtete, als er an dem Waldsaum hinritt, sinnend die Schlacht. Die Wuerttemberger hatten eine gute Stellung, denn der Wald und der Neckar deckte sie, und ihre Fluegel und das Zentrum waren stark genug, um auch einen maechtigen Stoss von Reiterei auszuhalten. Er konnte sich aber nicht verhehlen, dass, wenn sie sich aus dieser Stellung herauslocken liessen, sie alle diese Vorteile verlieren wuerden, weil sie dann entweder zwischen dem Wald und dem linken Fluegel einen bedeutenden Zwischenraum lassen oder, um diesen auszufuellen, ihre Schlachtlinie so weit ausdehnen muessten, dass sie an innerer Staerke verlieren wuerden und leichter durchbrochen werden koennten. Ein grosser Nachteil fuer die Wuerttemberger war auch ihre geringe Anzahl, denn der Feind zaehlte zwei Drittel mehr. Er konnte zwar in dem engen Tal seine Streitkraefte nicht entwickeln und nur wenig Mannschaft auf einmal ins Treffen fuehren. Und doch war dies immer genug, um die Herzoglichen unausgesetzt zu beschaeftigen; der Feind behielt dadurch immer frische Leute, und es war zu befuerchten, dass die sechstausend Wuerttemberger, wenn sie auch noch so tapfer standhalten sollten, endlich aus Ermattung wuerden unterliegen muessen. Der Wald nahm jetzt Georg und seine Schar auf; sie rueckten still und vorsichtig weiter, denn Georg wusste wohl, wie schwierig es fuer einen Reiterzug sei, im Wald von Fussvolk angegriffen zu werden. Doch ungefaehrdet kamen sie auf das Feld heraus, das ihnen der Herzog bezeichnet hatte. Rechts ueber dem Wald hin wuetete die Schlacht. Das Geschrei der Angreifenden, das Schiessen aus Donnerbuechsen und Feldstuecken, das Wirbeln der Trommeln hallte schrecklich herueber. Vor ihnen lag der Huegel, von dessen Gipfel eine gute Anzahl Kartaunen in die Reihen der Wuerttemberger spielte; dieser Huegel erhob sich allmaehlich von der Seite des Waeldchens, und Georg bewunderte den schnellen Blick des Herzogs, der diese Seite sogleich erspaeht hatte, denn von jeder andern Seite waere, wenigstens fuer Reiter, der Angriff unmoeglich gewesen. Das Geschuetz wurde, soviel man von unten sehen konnte, nur durch eine schwache Mannschaft bedeckt, und als daher die Pferde ein wenig geruht hatten, ordnete Georg seine Schar und brach im Galopp an der Spitze der Reiter vor. In einem Augenblick waren sie auf dem Gipfel des Huegels angekommen und Georg rief den buendischen Soldaten zu, sich zu ergeben. Sie zauderten, und die Fleischer, Sattler und Waffenschmiede von Stuttgart ersparten ihnen die Muehe, denn mit gewaltigen Streichen hieben sie Helme und Koepfe durch, dass von der Bedeckung bald wenig mehr uebrig waren. Georg warf einen frohlockenden Blick auf die Ebene hinab seinem Herzog zu; er hoerte das Freudengeschrei der Wuerttemberger aus vielen tausend Kehlen aufsteigen, er sah, wie sie frischer vordrangen, denn ihre Hauptfeinde, die Feldstuecke auf dem Huegel, waren jetzt zum Schweigen gebracht. Aber in diesem Augenblick der Siegesfreude gewahrte er auch, dass jetzt der zweite und schwerste Teil seiner schnellen Operation, der Rueckzug, gekommen sei; denn auch die Buendischen hatten gemerkt, wie ihr Geschuetz ploetzlich verstummt sei, und ihre Obersten hatten alsbald eine Reiterschar gegen den Huegel aufbrechen lassen. Es war keine Zeit mehr, die schweren erbeuteten Feldstuecke hinwegzufuehren; darum befahl Georg; mit Erde und Steinen ihre Muendungen zu verstopfen, und sie auf diese Weise unbrauchbar zu machen. Dann warf er einen Blick auf den Rueckweg, zwischen ihm und den Seinigen lag der Wald auf der einen, das feindliche Heer auf der andern Seite. Wurde er nur von Reiterei angegriffen, so war der Rueckweg durch den Wald moeglich, weil dann der Feind dieselben Schwierigkeiten zu ueberwinden hatte wie er. Aber seinem scharfen Auge entging nicht, dass ein grosser Haufen buendischen Fussvolkes in den Wald ziehe, um ihm den Rueckzug abzuschneiden, und so sah er sich vom Wald ausgeschlossen. Das grosse Heer des Bundes zu durchbrechen, sich mit hundertundsechzig Pferden durch Zwanzigtausend durchzuschlagen, waere Tollkuehnheit gewesen. Es blieb nur ein Weg, und auch auf diesem war der Tod gewisser als die Rettung. Zur Linken des feindlichen Heeres floss der Neckar. Am andern Ufer kein Mann von buendischer Seite; konnte er nur dieses Ufer gewinnen, so war es moeglich, sich zum Herzog zu schlagen. Schon waren die Reiter des Bundes, wohl fuenfhundert stark, am Fuss des Huegels angelangt; er glaubte an ihrer Spitze den Truchsess von Waldburg zu erblicken; jedem andern, selbst dem Tod, wollte er sich lieber ergeben als diesem. Drum winkte er den tapfern Wuerttembergern nach der steileren Seite des Huegels hin, die zum Neckar fuehrte. Sie stutzten; es war zu erwarten, dass unter zehn immer acht stuerzen wuerden, so jaeh war diese Seite, und unten stand zwischen dem Fluegel und dem Fluss ein Haufen Fussvolk, das sie zu erwarten schien. Aber ihr junger, ritterlicher Fuehrer schlug das Visier auf und zeigte ihnen sein schoenes Antlitz, aus welchem der Mut der Begeisterung sie anwehte; sie hatten ihn ja noch vor wenigen Wochen eine holde Jungfrau zur Kirche fuehren sehen, durften sie an Weib und Kinder denken, da er diese Gedanken weit hinter sich geworfen hatte? "Drauf, wir wollen sie schlachten!" riefen die Fleischer. "Drauf, wir wollen sie haemmern!" riefen die Schmiede. "Immer drauf, wir wollen sie lederweich klopfen!" riefen ihnen die Sattler nach. "Drauf, mit Gott, Ulrich fuer immer!" rief der hochherzige Juengling, drueckte seinem Ross die Sporen ein und flog ihnen voran den steilen Huegel hinab. Die feindlichen Reiter trauten ihren Augen nicht, als sie den Huegel heraufkamen, die verwegene Schar gefangenzunehmen, und sie schon unten, mitten unter dem Fussvolk, erblickten. Wohl hatte mancher den kuehnen Ritt mit dem Leben bezahlt, mancher war mit dem Ross gestuerzt und in Feindes Hand gefallen, aber die meisten sah man unten tapfer auf das Fussvolk einhauen, und der Helmbusch ihres Anfuehrers wehte hoch und mitten im Gedraenge. Jetzt waren die Reihen des Fussvolkes gebrochen, jetzt draengten sich die Reiter nach dem Neckar--jetzt--setzte ihr Fuehrer an und war der erste im Fluss. Sein Pferd war stark, und doch vermochte es nicht mit der Last seines gewappneten Reiters gegen die Gewalt des vom Regen angeschwellten Stromes anzukaempfen, es sank, und Georg von Sturmfeder rief den Maennern zu, nicht auf ihn zu achten, sondern sich zum Herzog zu schlagen und ihm seinen letzten Gruss zu bringen. Aber in demselben Augenblick hatten zwei Waffenschmiede sich von ihren Rossen in den Fluss geworfen; der eine fasste den jungen Ritter am Arm, der andere ergriff die Zuegel seines Pferdes, und so brachten sie ihn gluecklich ans Land heraus. Die Buendischen hatten ihnen manche Kugel nachgesandt, aber keine hatte Schaden getan, und im Angesicht beider Heere, durch den Fluss von ihnen getrennt, setzte die kuehne Schar ihren Weg zum Herzog fort. Es war unweit seiner Stellung eine Furt, wo sie ohne Gefahr uebersetzen konnten, und mit Jubel und Freudengeschrei wurden sie wieder von den Ihrigen empfangen. Ein Teil des feindlichen Geschuetzes war zwar durch diesen ebenso schnellen wie verwegenen Zug Georgs von Sturmfeder zum Schweigen gebracht worden, aber das Verhaengnis Ulrichs von Wuerttemberg wollte, dass ihm diese kuehne Waffentat zu nichts mehr nuetzen sollte; die Kraefte seiner Leute waren durch die immer erneuerten Angriffe des an Zahl weit ueberlegenen Feindes endlich voellig erschoepft worden; die Landsknechte hielten zwar mit ihrem gewoehnlichen kriegerischen Feuer aus, aber ihre Anfuehrer hatten sich schon genoetigt gesehen, sie in Kreise zu stellen, um den Andrang der feindlichen Kavallerie abzuwehren; dadurch war die Linie hin und wieder unterbrochen, und das Landvolk, das man durch eilige Bewaffnung nicht zu Kriegern hatte machen koennen, fuellte nur schlecht diese Luecken aus. In diesem Augenblick wurde dem Herzog gemeldet, dass der Herzog von Bayern Stuttgart ploetzlich ueberfallen und eingenommen habe, dass ein neues feindliches Heer in seinem Ruecken am Fluss heraufziehe und kaum noch eine Viertelstunde entfernt sei. Da merkte er, dass er an diesem Tag sein Reich zum zweiten Male verloren habe, dass ihm nichts mehr uebrigbleibe als Flucht oder Tod, um nicht in die Haende seiner Feinde zu fallen. Seine Begleiter rieten ihm, sich in sein Stammschloss Wuerttemberg zu werfen und sich dort zu halten, bis er Gelegenheit faende, heimlich zu entrinnen; er schaute hinauf nach dieser Burg, die, von dem Glanz des Tages bestrahlt, ernst auf jenes Tal herabblickte, wo der Enkel ihrer Erbauer den letzten verzweifelten Kampf um sein Herzogtum kaempfte. Aber er erbleichte und deutete sprachlos hinauf, denn auf den Tuermen und Mauern dieser Burg erschienen rote, glaenzende Faehnlein, die im Morgenwind spielten; die Ritter blickten schaerfer hin, sie sahen, wie die Faehnlein wuchsen und groesser wurden, und ein schwaerzlicher Rauch, der jetzt an vielen Stellen aufstieg, zeigte ihnen, dass es die Flamme sei, welche ihre gluehenden Paniere siegend auf den Zinnen aufgesteckt hatte. Wuerttemberg brannte an allen Ecken; und sein ungluecklicher Herr sah mit dem graeulichen Lachen der Verzweiflung diesem Schauspiel zu, Jetzt bemerkten auch die Heere die brennende Burg. Die Buendischen begruessten diese Flammen mit einem Freudengeschrei, den Wuerttembergern entsank der Mut, es war ihnen, als sei dies ein Zeichen, dass das Glueck ihres Herzogs ein Ende habe. Schon toenten die Trommeln des im Ruecken heranziehenden Heeres vernehmlicher; schon wich an vielen Orten das Landvolk, da sprach Ulrich: "Wer es noch redlich mit Uns meint, folge nach, Wir wollen Uns durchschlagen durch ihre Tausende oder zugrunde gehen. Nimm mein Banner in die Hand, tapferer Sturmfeder, und reite mutig mit Uns in den Feind!" Georg ergriff das Panier von Wuerttemberg, der Herzog stellte sich neben ihn, die Ritter und die Buerger zu Pferd umgaben sie und waren bereit, ihrem Herzog Bahn zu brechen. Der Herzog deutete auf eine Stelle, wo die Feinde duenner standen, dort muesse man durchkommen, oder alles sei verloren. Noch fehlte es an einem Anfuehrer, und Georg wollte sich an die Spitze stellen, da winkte ihm der Ritter von Lichtenstein seinen Platz an der Seite des Herzogs nicht zu verlassen, und stellte sich vor die Reiter, noch einmal wandte er die ehrwuerdigen Zuege dem Herzog und seinem Sohn zu, dann schloss er das Visier und rief: "Vorwaerts, hie gut Wuerttemberg alleweg!" Dieser Reiterzug war wohl zweihundert Pferde stark und bewegte sich in Form eines Keiles im Trab vorwarts. Der Kanzler Ambrosius Volland sah sie mit leichtem Herzen abziehen, denn der Herzog schien ihn ganz vergessen zu haben, und er hielt jetzt mit sich Rat, wie er ohne Gefahr von seinem hochbeinigen Tier herabkommen sollte. Doch der edle Renner des Herzogs hatte mit klugen Augen den Reitern nachgeschaut, solange sie sich im Trab fortbewegten, stand er still und regungslos, jetzt aber ertoenten die Trompeten zum Angriff, man sah das Panier von Wuerttemberg hoch in den Lueften wehen und die tapfere Reiterschar im Galopp auf den Feind ansprengen. Auf diesen Moment schien der Renner gewartet zu haben; mit der Schnelligkeit eines Vogels strich er jetzt ueber die Ebene hin, den Reitern nach; dem Kanzler vergingen die Sinne, er hielt sich krampfhaft am Sattelknopf, er wollte schreien, aber die Blitzesschnelle, womit sein Ross die Luft teilte, unterdrueckte seine Stimme; in einem Augenblick hatte er den Zug eingeholt, so schnell sie ihre Rosse auslaufen liessen, er ueberholte sie, und so hatte es der Kanzler in kurzer Zeit zum Anfuehrer der Reiter gebracht. Der Feind stutzte ueber die sonderbare Gestalt, die mehr einem geharnischten Affen als einem Krieger glich; noch ehe sie sich recht besinnen konnten, war der fuerchterliche Mann mitten in ihren Reihen, die Wuerttemberger brachen, trotz des entscheidenden Augenblickes, in ein lustiges Gelaechter aus, und auch dieses mochte beitragen, die tapferen Truppen von Ulm, Gmuend, Aalen, Nuernberg und noch zehn andern Reichsstaedten, welche dieser unerwartete Angriff traf, zu verwirren; sie zerstoben vor der ungeheuern Wucht der zweihundert Pferde, und die ganze Schar war im Ruecken des Feindes. Sie setzte eilig ihren Marsch fort, und ehe noch die buendische Reiterei zum Nachsetzen herbeigerufen werden konnte, hatte der Herzog mit wenigen Begleitern sich zur Seite geschlagen; er gewann einen grossen Vorsprung, denn die Reiterei des Bundes erreichte die berittene Schar der Buerger erst vor den Toren von Stuttgart, und es fand sich unter ihnen weder der Herzog noch einer seiner wichtigeren Anhaenger, ausser dem Kanzler Ambrosius Volland, den man halb tot vom Pferd hob. Die buendischen Kriegsleute behandelten ihn, nachdem man ihm die gewoelbte Ruestung vorn Leib geschaelt hatte, sehr uebel, denn nur seiner fuerchterlichen, alle Begriffe uebersteigenden Tapferkeit schrieben sie es zu, dass ihnen der Herzog und mit ihm eine Belohnung von tausend Goldgulden entgangen war. So geschah es, dass dieser tapfere Kanzler, nicht wie sein Herzog in der Schlacht, sondern nach der Schlacht geschlagen wurde. Kapitel 35 Die Nacht, welche diesem entscheidenden Tag folgte, brachten Herzog Ulrich und seine Begleiter in einer engen Waldschlucht zu, die durch Felsen und Gestraeuch ein sicheres Versteck gewaehrte und noch heute bei dem Landvolk die 'Ulrichshoehle' genannt wird. Es war der Pfeifer von Hardt, der ihnen auf ihrer Flucht als ein Retter in der Not erschienen war und sie in diese Schlucht fuehrte, die nur den Bauern und Hirten der Gegend bekannt war. Der Herzog hatte beschlossen, hier zu rasten, um dann, sobald der Tag graute, seine Flucht nach der Schweiz fortzusetzen. Wohl waere ihm hierzu die Nacht guenstiger gewesen, denn die Bundestruppen hatten schon das Land besetzt, und es war wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass er sie taeuschen und ungehindert entkommen wuerde; aber die Pferde waren von dem heissen Schlachttag ermuedet, und es war unmoeglich, den Herzog und seine notwendige Begleitung von neuem beritten zu machen, ohne die Nachforschung des Feindes auf diesen Schlupfwinkel zu leiten. Die Maenner hatten sich um ein spaerliches Feuer gelagert. Der Herzog war laengst dem Schlummer in die Arme gesunken und vergass vielleicht in seinen Traeumen, dass er ein Herzogtum verloren habe; auch der alte Herr von Lichtenstein schlief, und Marx Stumpf von Schweinsberg hatte seine maechtigen Arme auf die Knie gestuetzt, sein Gesicht in die Haende verborgen, und man war ungewiss, ob er schlafe oder in Kummer versunken ueber das Schicksal des Herzogs nachdenke, das sich mit einem Schlag so furchtbar gewendet hatte. Georg von Sturmfeder besiegte die Macht des Schlummers, der sich immer wieder ueber ihn lagern wollte; er war der Juengste unter allen und hatte freiwillig in dieser Nacht die Wache uebernommen. Neben ihm sass Hans, der Pfeifer von Hardt; er sah unverwandt ins Feuer, und seine Gedanken schienen sich in einem Liedchen zu sammeln, dessen melancholische Weise er mit leiser, unterdrueckter Stimme vor sich hin sang. Wenn das Feuer heller aufflackerte, schaute er mit einem trueben Blick nach dem Herzog, und wenn er sah, dass jener noch immer schlafe, versank er wieder in den fluesternden, traurigen Gesang. "Du singst eine traurige Weise, Hans!" unterbrach ihn Georg, den die melancholischen Toene dieses Liedes unheimlich anregten, "es toent wie Totengesang und Sterbelieder, ich kann es nicht ohne Schaudern hoeren." "Wir koennen alle Tage sterben", sagte der Spielmann, indem er duester in die Flamme blickte, "drum sing' ich gerne ein solches Lied, es ist mir, als koennte ich mit solchen Gedanken wuerdiger sterben." "Wie kommst Du auf einmal zu diesen Todesgedanken, Hans? Du warst doch sonst ein froehlicher Bursche zur Herbstzeit, und Deine Zither toente auf mancher Kirchweih. Da hast Du gewiss keine Totenlieder gesungen." "Meine Freude ist aus", erwiderte er und wies auf den Herzog, "all meine Muehe, all meine Sorge war vergebens; es ist aus mit dem Herrn und ich--ich bin sein Schatten; auch mit mir ist's aus; haette ich nicht Frau und Kind, ich moechte heute nacht noch sterben." "Wohl warst Du immer sein getreuer Schatten", sagte der junge Mann geruehrt, "und oft habe ich Deine Treue bewundert; hoere, Hans! Wir sehen uns vielleicht lange nicht mehr. Jetzt haben wir Zeit zu schwatzen, erzaehle mir, was Dich so ausschliesslich und eng an den Herzog knuepft, wenn es etwas ist, das Du erzaehlen kannst." Er schwieg einige Augenblicke und schuerte das Feuer zurecht; ein unruhiges Feuer blitzte in seinen Augen, und Georg war ungewiss, ob es die Flamme oder eine innere Bewegung sei, was seine ausdrucksvollen Zuege mit wechselnder Roete uebergoss. "Das hat seine eigene Bewandtnis", sagte er endlich, "und ich spreche nicht gern davon. Doch Ihr habt recht, Herr, auch mir ist es, als wuerden wir uns lange nicht mehr sehen, so will ich Euch denn erzaehlen. Habt Ihr nie von dem Armen Konrad gehoert?" "Oh ja", erwiderte Georg, "das Geruecht davon kam noch weiter als bis zu uns nach Franken; war es nicht ein Aufstand der Bauern? Wollte man nicht sogar dem Herzog ans Leben?" "Ihr habt ganz recht, der Arme Konrad war ein boeses Ding. Es moegen nun sieben Jahre sein, da gab es unter uns Bauern viele Maenner, die mit der Herrschaft unzufrieden waren; es waren Fehljahre gewesen, den Reicheren ging das Geld aus, die Armen hatten schon lange keines mehr, und doch sollten wir zahlen ohne Ende, denn der Herzog brauchte gar viel Geld fuer seinen Hof, wo es alle Tage zuging wie im Paradies." "Gaben denn Eure Landstaende nach, wenn der Herr soviel Geld verlangte?" fragte Georg. "Sie wagten eben auch nicht, immer nein zu sagen, des Herzogs Beutel hatte aber gar ein grosses Loch, das wir Bauern mit unserem Schweiss nicht zuleimen konnten. Da gab es nun viele, die liessen die Arbeit liegen weil das Korn, das sie pflanzten, nicht zu ihrem Brot wuchs, und der Wein, den sie kelterten, nicht fuer sie in die Faesser floss. Diese, als sie dachten, dass man ihnen nichts mehr nehmen koenne als das arme Leben, lebten lustig und in Freuden, nannten sich Grafen zu Nirgendsheim, sprachen viel von ihren Schloessern auf dem Hungerberg und von ihren bedeutenden Besitzungen in der Fehlhalde und am Bettelrain, und diese Gesellschaft war der Arme Konrad." Der Pfeifer legte sinnend seine Stirn in die Hand und schwieg. "Von Dir wolltest Du ja erzaehlen, Hans", sagte Georg, "von Dir und dem Herzog--." "Das haette ich beinahe vergessen", antwortete dieser--"Nun", fuhr er fort, "es kam endlich dahin, dass man Mass und Gewicht geringer machte und dem Herzog gab, was damit gewonnen wurde. Da wurde aus dem Scherz bitterer Ernst. Es mochte mancher nicht ertragen, dass rings umher volles Mass und Gewicht und nur bei uns kein Recht sei. Im Remstal trug der Arme Konrad das neue Gewicht hinaus und machte die Wasserprobe." "Was ist das?" fragte der junge Mann. "Ha!" lachte der Bauer, "das ist eine leichte Probe. Man trug den Pfundstein mit Trommeln und Pfeifen an die Rems und sagte: 'Schwimmt's oben, hat der Herzog recht, sinkt's unter, hat der Bauer recht.' Der Stein sank unter, und jetzt zog der Arme Konrad Waffen an. Im Remstal und im Neckartal bis hinauf gegen Tuebingen und hinueber an die Alb standen die Bauern auf und verlangten das alte Recht. Es wurde gelandtagt und gesprochen, aber es half doch nichts. Die Bauern gingen nicht auseinander." "Aber Du, von Dir sprichst Du ja gar nicht." "Dass ich's kurz sage, ich war einer der Aergsten", antwortete Hans, "ich war kuehn und trotzig, mochte nicht gerne arbeiten und wurde wegen Jagdfrevel unmenschlich bestraft; da trat ich in den Armen Konrad, und bald war ich so arg als der Gaispeter und der Bregenzer. Der Herzog aber, als er sah, dass der Aufruhr gefaehrlich werden koenne, ritt selbst nach Schorndorf. Man hatte uns zur Huldigung zusammenberufen, wir erschienen zu vielen Hunderten, aber bewaffnet. Der Herzog sprach selbst zu uns, aber man hoerte ihn nicht an. Da stand der Reichsmarschall auf, erhob seinen goldenen Stab und sprach:, Wer es mit dem Herzog Ulrich von Wuerttemberg haelt, trete auf seine Seite!' Der Gaispeter aber trat auf einen hohen Stein und rief: 'Wer es mit dem Armen Konrad vom Hungerberg haelt, trete hierher!' Siehe, da stand der Herzog verlassen unter seinen Dienern. Wir andern hielten zu dem Bettler." "Oh schaendlicher Aufruhr", rief Georg, vom Gefuehl des Unrechts ergriffen, "schaendlich vor allen die, welche es so weit kommen liessen! Da war gewiss Ambrosius Volland, der Kanzler, an vielem schuld?" "Ihr koennt recht haben", erwiderte der alte Spielmann, "doch hoert weiter: der Herzog, als er sah, dass seine Sache verloren sei, schwang sich auf sein Ross, wir aber draengten uns um ihn her, doch noch wagte es keiner, den Fuersten anzutasten, denn er sah gar zu gebietend aus seinen grossen Augen auf uns herab. 'Was wollt Ihr Lumpen?' schrie er und gab seinem Hengst die Sporen dass er sich hoch aufbaeumte und drei Maenner niederriss. Da erwachte unser Grimm; sie fielen seinem Ross in die Zuegel, sie stachen nach ihm mit Spiessen und ich, ich vergass mich so, dass ich ihn am Mantel packte und rief: 'Schiesst den Schelmen tot! '" "Das warst Du, Hans?" rief Georg und sah ihn mit scheuen Blicken an. "Das war ich", sagte dieser langsam und ernst, "aber es wurde mir dafuer, was mir gebuehrte. Der Herzog entkam uns damals und sammelte ein Heer; wir konnten nicht lange aushalten und ergaben uns auf Gnad und Ungnad. Es wurden zwoelf Anfuehrer des Aufruhrs nach Schorndorf gefuehrt und dort gerichtet; ich war auch unter diesen. Aber als ich so im Kerker lag und mein Unrecht und den nahen Tod ueberdachte, da graute mir vor mir selbst, und ich schaemte mich, mit so elenden Gesellen, wie die andern elf waren, gerichtet zu werden." "Und wie wurdest Du gerettet?" fragte Georg teilnehmend. "Wie ich Euch schon in Ulm sagte, durch ein Wunder. Wir zwoelf wurden auf den Markt gefuehrt, es sollte uns dort der Kopf abgehauen werden. Der Herzog sass vor dem Rathaus und liess uns noch einmal vor sich fuehren. Jene elf stuerzten nieder, dass ihre Ketten fuerchterlich rasselten, und schrien mit jammernder Stimme um Gnade. Er sah sie lange an und betrachtete dann mich. 'Warum bittest Du nicht auch?' fragte er. 'Herr', antwortete ich, 'ich weiss, was ich verdient habe, Gott sei meiner Seele gnaedig.' Noch einmal sah er auf uns, dann aber winkte er dem Scharfrichter. Wir wurden nach dem Alter gestellt, ich, als der Juengste, war der letzte. Ich weiss wenig mehr von jenen schrecklichen Augenblicken; aber nie vergesse ich den graeulichen Ton, wenn die Halsknorpel krachten." "Um Gottes willen hoer auf", bat Georg, "oder uebergehe das Graessliche!" "Neun Koepfe meiner Gesellen staken auf den Spiessen, da rief der Herzog: 'Zehn sollen bluten, zwei frei sein. Bringt Wuerfel her und lasst die drei dort wuerfeln!' Man brachte Wuerfel, der Herzog bot sie mir zuerst; ich aber sagte: 'Ich habe mein Leben verwirkt und wuerfle nicht mehr darueber!' Da sprach der Herzog: 'Nun, so wuerfle ich fuer Dich.' Er bot den zwei andren die Wuerfel hin. Zitternd schuettelten sie in den kalten Haenden die Wuerfel, zitternd zaehlten sie die Augen: der eine warf neun, der andere vierzehn; da nahm der Herzog die Wuerfel und schuettelte sie. Er fasste mich scharf ins Auge, ich weiss, dass ich nicht gezittert habe. Er warf und deckte schnell die Hand darauf. 'Bitte um Gnade', sagte er, 'noch ist es Zeit.' 'Ich bitte, dass Ihr mir verzeihen moegt, was ich Euch Leids getan', antwortete ich, 'um Gnade aber bitt' ich nicht, ich habe sie nicht verdient und will sterben.' Da deckte er die Hand auf, und siehe, er hatte achtzehn geworfen. Es war mir sonderbar zumute, es kam mir vor, als habe er gerichtet an Gottes Statt. Ich stuerzte auf meine Knie nieder und gelobte, fortan in seinem Dienst zu leben und zu sterben. Der Zehnte wurde gekoepft, wir beide waren frei Mit immer hoehersteigender Teilnahme hatte Georg der Erzaehlung des Pfeifers von Hardt zugehoert; aber als er schoss, als sich das sonst so kuehn und listig blickende Auge mit Traenen fuellte, da konnte er sich nicht enthalten, seine Hand zu fassen, sie fest und herzlich zu druecken. "Es ist wahr", sagte der junge Mann, "Du hast Schweres an Deinem Landesherrn verschuldet, aber du hast auch schrecklich gebuesst, denn Du hast den Tod dennoch erlitten; jenes schnelle Zuecken des Schwertes ist nichts mehr gegen das Gefuehl, so viele bekannte Menschen hinrichten und den Tod immer naeherkommen zu sehen! Und hast Du nicht durch ein Leben voll Treue, durch Aufopferung und Wagnis aller Art den Fuersten versoehnt, an den Du Deine Hand legtest? Wie oft hast Du ihm die Freiheit, vielleicht das Leben gerettet! Wahrlich, Deine Schuld ist reichlich abgetragen." Der arme Mann hatte, nachdem er seine Erzaehlung geschlossen, wieder mit duesterem Sinnen ins Feuer geschaut. Er haette ganz teilnahmlos geschienen, wenn nicht unter den Worten Georgs nach und nach ein truebes Laecheln auf seinen Zuegen erschienen waere. "Meint Ihr", sagte er, "ich haette gebuesst und meine Schuld abgetragen? Nein, solche Schulden tilgen sich nicht so bald, und ein geschenktes Leben muss fuer den ausgesetzt werden, der es uns fristete. Das Umherschleichen in den Bergen, Kundschaft bringen aus Feindes Lager, Hoehlen zeigen, wo man sich verbergen kann, das ist keine schwere Sache, Herr, und das allein tut's nicht. Ich weiss, ich werde noch einmal fuer ihn sterben muessen und dann, Herr, nehmt Euch meines Weibes und meiner Tochter an." Eine Traene fiel in seinen Bart; doch als schaemte er sich, so weich zu sein, verbarg er sein Gesicht in der Hand und fuhr fort: "Doch dazu bin ich noch nicht gut genug; wie jeder Kriegsmann, wie jeder im Volk, darf ich fuer ihn sterben; oh koennte ich durch meinen Tod seine Huldigung abaendern und ihm das Land wieder verschaffen, noch in dieser Stunde wollte ich sterben!" Der Herzog erwachte; er richtete sich auf, er sah mit verwunderten Blicken um sich her, als sei er durch einen Zauber in diese Erdschlucht versetzt und sehe jetzt erst diese Felsen und Baeume, das spaerliche Feuer und die von den Flammen beschienenen Maenner, seine Begleiter; er bedeckte seine Augen mit der Hand, doch er sah wieder auf, als pruefe er, ob diese Erscheinungen bleiben;--sie blieben, und schmerzlich sah er bald den einen, bald den andern an. "Ich habe heute ein Land verloren", sprach er, "es hat mich nicht so geschmerzt als dieses Erwachen, denn ich habe es im Traum wieder und noch viel schoener besessen." "Seid nicht ungerecht, Herr", sagte Marx Stumpf von Schweinsberg, indem er sich aus seiner gebueckten Stellung aufrichtete, "seid nicht ungerecht gegen diese Wohltat der Natur. Wie ungluecklich waeret Ihr, wenn Ihr auch im Schlummer, der Eure Kraefte fuer das schwere Unglueck staerken soll, Euren Verlust noch fuehltet, auch da noch so duester darueber gebruetet haettet. Ihr seid finster und verschlossen eingeschlummert, jetzt sind Eure Zuege freundlicher; verdanken wir dies nicht Eurem Traum?" "So haette ich nie erwachen moegen, oh, dass ich Jahrhunderte fortgetraeumt haette und dann erwacht waere; es war so schoen, so troestlich, was ich traeumte!" Er stuetzte die Stirn in die Hand und schien schmerzlich bewegt. Der alte Herr von Lichtenstein war von den Stimmen der Sprechenden geweckt worden; er kannte Ulrich und wusste, dass man ihn nicht ueber seinen schmerzlichen Verlust brueten lassen duerfe; er nickte ihm daher naeher und sprach: "Nun, und wollt Ihr uns nicht auch sagen, was Ihr getraeumt habt? Vielleicht liegt auch fuer uns ein Trost darin, denn wisst, ich glaube an Traeume, wenn sie in einer wichtigen verhaengnisvollen Stunde in unsere Seele einziehen, und ich glaube, sie kommen von oben, um uns zu troesten." Der Herzog schwieg noch eine Weile, er schien ueber die Worte des Ritters nachzusinnen, dann fing er an, zu erzaehlen. "Mein Schwager, Wilhelm von Bayern, hat mir heute zur Probe seiner Freundlichkeit die Burg meiner Ahnen niedergebrannt. Dort hausten seit undenklichen Zeiten die Wuerttemberger, und das Land, das Wir besitzen, traegt von diesem Schloss den Namen. Es scheint, als habe er damit Uns eine Todesfackel anzuenden, und mit diesen Flammen Unser Wappen und Gedaechtnis und selbst den Namen Wuerttemberg vertilgen wollen. Und fast koennte er recht haben; denn mein einziges Soehnlein, Christoph, ist in fernen Landen, mein Bruder Georg hat noch keine Kinder, und ich--bin geschlagen, verjagt, sie haben wiederum mein Land besetzt, und wo ist Hoffnung, dass ich es wieder einmal erlange? Wie ich nun so ganz verlassen und elend hier am Feuer sass, wie ich nachdachte ueber mein kurzes Glueck und wie ich vielleicht mein Unglueck selbst verschuldet habe; wie ich bedachte, auf welch schwachen Stuetzen meine Hoffnung beruhe, und wie selbst der Name Wuerttemberg ausloeschen koenne, gleich den letzten Funken in der Asche meiner Stammburg, da uebermannte mich der Jammer, und bitterer als je fuehlte ich die Schlaege meines Schicksals. Unter diesen Gedanken entschlief ich. Doch wie im Wachen meine Seele mit Sehnsucht und Trauer auf den Hoehen des roten Berges und um die rauchenden Truemmer von Wuerttemberg schwebte, so erging sich mein Geist auch im Traum dort." Ulrich hielt inne; es war, als fuelle ein Bild seine Seele, das zu schoen, zu gross sei, um es mit sterblichen Lippen zu beschreiben; ein milder Friede lag auf den Zuegen des ungluecklichen Fuersten, und ein wunderbarer Glanz drang aus seinen aufwaerts gerichteten Augen. Die Maenner umher blickten ihn staunend an; sie hingen an seinen Lippen und lauschten auf seine Rede, die ihnen so Wichtiges zu verkuenden schien. "Hoert weiter", fuhr er fort. "Ich sah herab auf das schoene Neckartal. Der Fluss zog wie sonst in schoenen blauen Bogen hin, aber das Tal und die Berge schienen mir lieblicher, glaenzender, die Waelder auf den Hoehen waren verschwunden, die Wiesen waren nicht mehr, sondern von Berg zu Berg zog sich ein grosser Garten voll gruener Reben, und im Tal sah man Obstbaeume und schoene bluehende Gaerten ohne Zahl. Ich stand entzueckt und schaute immer wieder hin, denn die Sonne erschien freundlicher, der Himmel blauer und reiner, das Gruen der Reben und Baeume glaenzender als jetzt. Und als ich mein trunkenes Auge erhob und hinueberschaute ueber den Neckar, da gewahrte ich auf einem Huegel am Fluss ein freundliches Schloss, das im Glanz der Morgensonne sich spiegelte; es lag so friedlich da, dass sein Anblick meiner Seele wohltat, denn keine Graeben und hohe Mauern, keine Tuerme und Zinnen, kein Fallgatter, keine Zugbruecke erinnerte an den Zwist der Voelker und an das unsichere, wechselnde Geschick der Sterblichen. Und als ich verwundert ueber den tiefen Frieden des Tales und jenes unbewachten Schlosses mich umsah, waren auch die Mauern meiner Burg verschwunden; doch hier wenigstens log der Traum nicht, denn ich sah ja gestern die Zinnen stuerzen und den Wartturm sinken, von welchem sonst mein Panier in den Lueften wehte. Kein Stein von Wuerttemberg war mehr zu sehen, aber ein Tempel stand dort mit Saeulen und Kuppeln, wie man sie in Rom und Griechenland findet. Ich dachte nach, wie dies alles auf einmal so habe kommen koennen, da gewahrte ich Maenner in fremder Kleidung, die nicht weit von mir standen und auf das Land hinabschauten. Der eine dieser Maenner zog vor den uebrigen meine Aufmerksamkeit auf sich; er hatte einen schoenen Knaben an der Hand, dem er das Tal zu seinen Fuessen und die Berge umher und den Fluss und die Staedte und Doerfer in der Naehe und Ferne zeigte. Ich betrachtete den Mann, er trug die Zuege meines Bruders Georg, und es war mir, als muesse er zum Stamm meiner Ahnen gehoeren und ein Wuerttemberg sein; er stieg mit dem Knaben den Berg hinab ins Tal, und die andern Maenner folgten ihm in ehrerbietiger Entfernung; den letzten hielt ich auf und frage ihn, wer jener gewesen sei, der dem Knaben das Land gezeigt habe? 'Das war der Koenig', sagte er und stieg mit den anderen den Berg hinab." Der Herzog schwieg und sah die Ritter forschend an, als wollte er ihre Meinung hoeren; sie schwiegen lange; endlich nahm der Ritter von Lichtenstein das Wort und sprach. "Ich bin fuenfundsechzig Jahre alt und habe vieles gesehen und gehoert auf Erden, und manches, worueber der menschliche Geist erstaunte und wo ein frommer Sinn den Finger der Gottheit sah. Glaubt mir, auch die Traeume kommen von Gott, denn nichts geschieht auf Erden ohne Ursache. Es hat in alten Zeiten Seher und Propheten gegeben, warum sollte nicht auch in unseren Tagen der Herr seiner Heiligen einen herabsenden, dass er einem Ungluecklichen im Traum die dunklen Pforten der Zukunft oeffnen und ihn einen Blick in kuenftige, schoenere Tage tun lasse? Drum seid getrosten Mutes, Herr! Eure Feste hat der Feind verbrannt. Ihr habt an einem Tag ein Herzogtum verloren, aber dennoch wird Euer Name nicht verloeschen, und Euer Gedaechtnis wird nicht verloren sein in Wuerttemberg." "Ein Koenig", sprach der Herzog sinnend, "ist es nicht vermessen, jetzt, wo ich hinaus muss ins Elend, jetzt an einen Koenig meines Stammes zu denken? Kann nicht auch die Hoelle solche Traeume vorspiegeln, um uns nachher desto bitterer zu taeuschen?" "Was zweifelt Ihr an der Zukunft?" sagte Schweinsberg laechelnd. "Haette einer Eurer ritterlichen Ahnen, die auf Wuerttemberg hausten, haette einer wissen koennen, dass seine Enkel Herzoge sein, dass das weite schoene Land ihren Namen Wuerttemberg tragen wuerde? Nehmt Euren Traum als den Wink des Schicksals hin, dass Euer Name in ferner, ferner Zeit auf diesem Land bleiben, dass die spaeteren Fuersten Wuerttembergs die Zuege eures Stammes tragen werden." "Wohlan, so will ich hoffen", erwiderte Ulrich von Wuerttemberg, "will hoffen, dass Uns das Land verbleibe, wie dunkel auch jetzt unsere Lose seien. Moegen unsere Enkel nie so harte Zeiten sehen wie Wir, moege man auch von ihnen sagen, sie sind--furchtlos!" "Und treu!" sprach der Bauer mit Nachdruck und stand auf. "Doch ist es Zeit, Herr Herzog, dass Ihr aufbrecht. Das Morgenrot ist nicht mehr fern, und ueber den Neckar wenigstens muessen wir kommen, solange es noch dunkel ist." Sie standen auf und waffneten sich. Die Pferde wurden herbeigefuehrt, sie sassen auf, und der Pfeifer ging voran, den Weg aus der Schlucht zu zeigen. Die Reise des Herzogs zum Land hinaus war mit grosser Gefahr verbunden, denn der Bund suchte seiner mit aller Muehe habhaft zu werden. Um auf einen Weg zu gelangen, wo er sicher seinen Feinden entgehen koennte, war der Herzog genoetigt, noch einmal ueber den Neckar zu gehen. Dieser Uebergang war nicht ohne Gefahr. Ein starker Gewitterregen hatte den Fluss angeschwellt, so dass es nicht moeglich schien, ihn mit den Pferden zu durchschwimmen. Die Bruecken aber waren zum groessten Teil vom Bund besetzt worden; doch auch hier wusste Hans guten Rat, denn er hatte durch treue Leute ausgespaeht, dass die Bruecke von Koengen noch frei sei. Man hatte sich wohl nicht die Muehe genommen, sie zu besetzen, weil sie Esslingen und dem feindlichen Lager allzu nahe war, als dass man haette glauben koennen, der Herzog werde dort vorueberkommen. Dieser Weg schien wegen seiner grossen Gefahr die meiste Sicherheit zu gewaehren. Ihn waehlte Ulrich, und so zogen sie still und vorsichtig dem Neckar zu. Als sie aus dem Wald ins Feld herauskamen, schaeumte schon das Morgenrot den Horizont. Sie ritten jetzt auf besserem Wege schaerfer zu, und bald sahen sie den Neckar schimmern, und die hochgewoelbte Bruecke lag nicht mehr fern von ihnen. In diesem Augenblick sah sich Georg um und gewahrte eine bedeutende Anzahl Reiter, die von der Seite her hinter ihnen zogen. Er machte seine Begleiter darauf aufmerksam. Sie sahen sich besorgt um und musterten den Zug, der wohl fuenfundzwanzig Pferde betragen mochte. Es schien buendische Reiterei zu sein, denn des Herzogs Voelker waren gesprengt und zogen nicht mehr in so geordneten Scharen wie diese. Noch zogen jene ruhig ihren Weg und schienen die kleine Gesellschaft nicht zu bemerken, aber dennoch schien es ratsam, die Bruecke zu gewinnen, wo sich drei Wege schieden, ehe man von ihnen angerufen und befragt wuerde. Der Pfeifer lief voran, so schnell er konnte, der Herzog und die Ritter folgten ihm in gestrecktem Trab, und je weiter sie sich von den Buendischen entfernten, desto leichter wurde ihnen ums Herz, denn alle bangten nicht fuer ihr eigenes Leben, wohl aber fuer die Freiheit Ulrichs. Sie hatten die Bruecke erreicht, sie zogen hinauf, aber in demselben Augenblick, wo sie oben auf der Mitte der hohen Woelbung angekommen waren, sprangen zwoelf Maenner, mit Spiessen, Schwertern und Buechsen bewaffnet, hinter der Bruecke hervor und besetzten den Ausgang, Der Herzog sah, dass er entdeckt war und winkte seinen Begleitern rueckwaerts. Lichtenstein und Schweinsberg, die letzten, wandten ihre Rosse, aber schon war es zu spaet, denn die buendischen Reiter, die ihnen im Ruecken nachgezogen waren, hatten sich in Galopp gesetzt und den Eingang der Bruecke in diesem Augenblick erreicht und besetzt. Noch war es zu dunkel, als dass man den Feind genau haette unterscheiden koennen, doch nur zu bald zeigten sich seine feindlichen Absichten. "Ergebt Euch, Herzog von Wuerttemberg", rief eine Stimme, die den Rittern nicht unbekannt schien. "Ihr seht, es ist kein Ausweg da zur Flucht!" "Wer bist Du, dass Wuerttemberg sich Dir ergeben soll?" antwortete Ulrich mit grimmigem Lachen, indem er sein Schwert zog. "Du sitzt ja nicht einmal zu Ross; bist du ein Ritter?" "Ich bin der Doktor Calmus", entgegnete jener, "und bin bereit, die vielen Liebesdienste zu vergelten, die Ihr mir erwiesen habt. Ein Ritter bin ich, denn Ihr habt mich ja zum Ritter vom Esel gemacht. Aber ich will euch dafuer zum Ritter ohne Ross machen. Abgestiegen, sags' ich im Namen des durchlauchtigsten Bundes." "Gib Raum, Hans", fluesterte der Herzog mit unterdrueckter Stimme dem Spielmann zu, der mit gehobener Axt zwischen ihm und dem Doktor stand, "geh, tritt auf die Seite. Ihr Freunde, schliesst Euch an, wir wollen ploetzlich auf sie einfallen, vielleicht gelingt es, durchzubrechen!" Doch nur Georg vernahm diesen Befehl des Herzogs, denn die zwei andern Ritter hielten wohl zehn Schritte hinter ihnen den Eingang besetzt und waren schon mit den buendischen Reitern im Gefecht, die umsonst dieses ritterliche Paar zu durchbrechen und zu dem Herzog durchzudringen versuchten. Georg schloss sich an Ulrich an und wollte mit ihm auf den Doktor und die Knechte einsprengen: aber diesem war das Fluestern des Herzogs nicht entgangen. "Drauf, ihr Maenner! Der im gruenen Mantel ist's; lebendig oder tot!" rief er, drang mit seinen Knechten vor und griff zuerst an. Sein langer Arm fuehrte einen fuenf Ellen langen Spiess. Er zueckte ihn nach Ulrich, und es waere vielleicht um ihn geschehen gewesen, da er ihn in der Dunkelheit nicht gleich bemerkte. Doch Hans kam ihm zuvor, und indem der beruehmte Doktor Kahlmaeuser nach der Brust seines Herrn stiess, war ihm die Axt des Pfeifers tief in die Stirn gedrungen. Er fiel, so lang er war, mit Gebruell auf die Knechte zurueck. Sie stutzten, der Bauersmann schien ein schrecklicher Kaempfer, denn seine Axt schwirrte immer noch in der Luft, er bewegte sie wie eine Feder hin und her; sie zogen sich sogar einige Schritte zurueck. Diesen Augenblick benuetzte Georg, riss dem Herzog den gruenen Mantel ab, hing ihn sich selbst um und fluesterte ihm zu, sein Pferd zu spornen und sich ueber die Bruestung der Bruecke hinabzustuerzen. Der Herzog warf einen Blick auf die hochgehenden Wellen des Neckars und hinauf zum Himmel. Es schien keine andere Rettung moeglich, und er wollte lieber auf Leben und Tod den Sprung wagen, als seinen Feinden in die Haende fallen. Doch der Anblick, der sich ihm in diesem schrecklichen Moment darbot, zog ihn noch einmal zurueck. Die Knechte hatten die Speere vorgestreckt und drangen vor. Der Pfeifer stand noch immer, obgleich aus mehreren Wunden blutend, und schlug mit der Axt ihre Speere nieder. Seine Augen blitzten, seine kuehnen Zuege trugen den Ausdruck von freudiger Begeisterung, und das Laecheln, das um seinen Mund zog, war nicht das der Verzweiflung, nein, seine mutige Seele erbebte nicht vor dem nahenden Tod, er blickte ihm mit stolzer Freude entgegen als sei er der Kampfpreis, um den er so viele Sorgen und Gefahren auf sich genommen habe. Noch einen schlug er mit seiner starken Rechten zu Boden, da stiess ihm einer der Knechte von der Seite her die Hellebarde in die Brust, in diese treue Brust, die noch im Tod ein Schild fuer den ungluecklichen Fuersten war, dem nie ein treueres Herz geschlagen hatte. Er wankte, er sank zusammen, er heftete das brechende Auge auf seinen Herrn. "Herr Herzog, wir sind quitt", rief er freudig aus und senkte sein Haupt zum Sterben. An ihm vorueber ging der Weg der Knechte, die mit Freudengeschrei naeher zudrangen--da warf sich Georg von Sturmfeder in die Mitte, seine Klinge schwirrte in der Luft, und so oft sie niederfiel, zuckte einer der Feinde am Boden. Es war der letzte Schild Herzog Ulrichs von Wuerttemberg, sank dieser noch, so war Gefangenschaft oder Tod unvermeidlich. Drum wandte er sich zum letzten Mittel. Er warf noch einen traenenschweren Blick auf die Leiche jenes Mannes, der seine Treue mit dem Tod besiegelt hatte. Dann riss er sein maechtiges Streitross zur Seite, spornte es, dass es sich hoch aufbaeumte, wandte es mit einem starken Druck rechts, und--in einem majestaetischen Sprung setzte es ueber die Bruestung der Bruecke und trug seinen fuerstlichen Reiter hinab in die Wogen des Neckars. Georg hielt inne mit Fechten, er sah dem Herzog nach Ross und Reiter waren niedergetaucht, doch das maechtige Tier kaempfte mit den Wirbeln, schwamm, arbeitete sich herauf, und wie die beste Barke schwamm es mit dem Herzog den Strom hinab. Dies alles war das Werk weniger Augenblicke, einige der Knechte wollten hinabspringen ans Ufer, um sich des kuehnen Ritters zu bemaechtigen, doch einer, der Georg am naechsten war, rief ihnen zu: "Lasst ihn schwimmen, an dem ist nichts gelegen, das hier ist der gruene Vogel, das ist der gruene Mantel, den lasst uns fassen." Georg blickte dankbar auf zum Himmel! Er liess sein Schwert sinken und ergab sich den Buendischen. Sie schlossen einen Kreis um ihn und liessen es willig geschehen, dass er abstieg und zu der Leiche jenes Mannes trat, der ihnen so schrecklich erschienen war. Georg fasste die Hand, welche noch immer die blutige Axt festhielt. Sie war kalt. Er suchte, ob das treue Herz noch schlage, aber der toedliche Stoss der Lanze hatte es nur zu gut getroffen. Das Auge, das einst so kuehn und mutig blickte, war gebrochen, geschlossen der Mund, der auch in den truebsten Stunden einen ungebeugten, frohen Sinn verkuendete. Seine Zuege waren erstarrt, aber noch schwebte um seine Lippen jenes Laecheln, das den letzten Gruss, den er seinem Herrn entbot, begleitet hatte. Georgs Traenen fielen auf ihn herab. Er drueckte noch einmal die Hand des Pfeifers, schloss ihm die Augen zu und schwang sich auf, um den Knechten in ihr Lager zu folgen. Kapitel 36 Nach einem Marsch von beinahe drei Stunden naeherte sich der Trupp der buendischen Knechte, den Gefangenen in ihrer Mitte, dem Lager. Sie hatten nicht gewagt, sich laut zu unterreden, aber ihre Mienen verkuendeten grossen Triumph, und Georgs scharfem Ohr entging es nicht, wie sie fluesternd den Gewinn berechneten, den sie aus dem Herzog im gruenen Mantel ziehen wuerden. Ein freudiges Gefuehl bewegte seine Brust, er glaubte hoffen zu duerfen, dass der unglueckliche Fuerst durch seine kuehne Aufopferung Zeit gewonnen habe, sich zu retten. Nur der Gedanke an Marie truebte auf Augenblicke seine Freude. Wie gross musste ihr Kummer schon gewesen sein, als sie die Nachricht vom Ausgang der Schlacht bekam; er hatte ihr zwar durch treue Maenner die Nachricht gesandt, dass er unverletzt aus dem Streit gegangen sei; aber wusste er nicht, dass die traurige Entscheidung von Wuerttembergs Schicksal ihre Seele tief betrueben, dass ihre Blicke aengstlich dem Geliebten auf den Gefahren der Flucht folgen werden, dass ihre Sehnsucht zu jeder Stunde seinen Namen nenne und ihn zurueckrufe. Und durfte er hoffen, vom Bund zum zweitenmal so leicht entlassen zu werden wie damals in Ulm? Gefangen mit den Waffen in der Hand, bekannt als eifriger Freund des Herzogs--musste er nicht fuerchten, einer langen Gefangenschaft, einer grausamen Behandlung entgegenzugehen? Die Ankunft an dem aeusseren Posten des Lagers unterbrach diese duesteren Gedanken. Die Knechte schickten einen aus ihrer Mitte ab, um die Bundesobersten von ihrem Fang zu benachrichtigen und Befehle einzuholen, wohin man ihn fuehren solle. Es war dies eine peinliche Viertelstunde fuer Georg; er wuenschte, mit Frondsberg zusammenzutreffen; er glaubte hoffen zu duerfen, dass dieser edle Freund seines Vaters ihm seine guetigen Gesinnungen erhalten haben moechte, dass er ihn zum wenigsten billiger beurteilen werde als Waldburg Truchsess und so mancher andere, der ihm frueher nicht guenstig war. Der Knecht kam zurueck; der Gefangene sollte so still als moeglich und ohne Aufsehen in das grosse Zelt gefuehrt werden, wo die Obersten gewoehnlich Kriegsrat hielten. Man schlug zu diesem Gang einen Seitenweg ein, und die Knechte baten Georg; seinen Helm zu schliessen, damit man ihn nicht erkenne, ehe er vor den Rat gefuehrt wuerde. Gern befolgte er diese Bitte, denn es war ihm in einem solchen Fall nichts unertraeglicher, als sich den Blicken neugieriger oder schadenfroher Menschen aussetzen zu muessen. Sie gelangten endlich an das grosse Zelt. Diener aller Art waren hier versammelt, und die verschiedenen Farben und Binden, mit welchen sie geschmueckt waren, liessen auf eine zahlreiche Versammlung edler Herren und Ritter im Innern des Zeltes schliessen. Schon mochte die Nachricht unter sie gekommen sein, dass einige Knechte einen Mann von Bedeutung gefangen haben, denn sie draengten sich nahe herbei, als Georg sich aus dem Sattel schwang; und ihre neugierigen Blicke schienen durch die Oeffnungen des Visiers dringen zu wollen, um die Zuege des Gefangenen zu schauen. Ein Edelknabe suchte, Raum zu machen, und er musste seine Zuflucht zu dem "Namen der Bundesobersten" nehmen, um diese dichte Masse zu durchbrechen und dem gefangenen Ritter einen Weg in das Innere des Zeltes zu bahnen. Drei jener Knechte, die ihn begleitet hatten, durften folgen; sie gluehten vor Freude und glaubten nicht anders, als jene Goldgulden sogleich in Empfang nehmen zu koennen, die auf die Person des Herzogs von Wuerttemberg gesetzt waren. Der letzte Vorhang tat sich auf, und Georg trat mutig und festen Schrittes ein und ueberschaute die Maenner, die ueber sein Schicksal entscheiden sollten. Es waren wohlbekannte Gesichter, die ihn so fragend und durchdringend anschauten. Noch waren die duesteren Blicke und die feindliche Stirn des Truchsess von Waldburg seinem Gedaechtnis nicht entfallen, und der spoettische, beinahe hoehnische Ausdruck in den Mienen dieses Mannes weissagte ihm nichts Gutes. Sickingen, Alban von Glosen Hutten--sie alle sassen wie damals vor ihm, als er dem Bund auf ewig Lebewohl sagte; aber wie vieles hatte sich geaendert. Und eine Traene fuellte sein Auge, als er auf jene teure Gestalt, auf jene ehruerdigen Zuege fiel, die sich tief in sein dankbares Herz gegraben hatten. Es war nicht Hohn, nicht Schadenfreude, was man in Georg von Frondsbergs Mienen las, nein, er sah den Nahenden mit jenem Ausdruck von wuerdigem Ernst, von Wehmut an, womit ein edler Mann den tapferen, aber besiegten Feind begruesst. Als Georg diesen Maennern gegenueberstand, hub der Truchsess von Waldburg an: "So hat doch endlich der schwaebische Bund einmal die Ehre, den erlauchten Herzog von Wuerttemberg vor sich zu sehen; freilich war die Einladung zu uns nicht allzu hoeflich, doch um--." "Ihr irrt Euch!" rief Georg von Sturmfeder und schlug das Visier seines Helmes auf. Als saehen sie Minervas Schild und sein Medusenhaupt, so bebten die Bundesraete vor dem Anblick der schoenen Zuege des jungen Ritters. "Ha! Verraeter! Ehrlose Buben! Ihr Hunde!" rief Truchsess den drei Knechten zu. "Was bringt Ihr uns diesen Laffen, dessen Anblick meine Galle aufregt, statt des Herzogs? Geschwind, wo ist er? Sprecht!" Die Knechte erbleichten. "Ist's nicht dieser?" fragten sie aengstlich. "Er hat doch den gruenen Mantel an." Der Truchsess zitterte vor Wut und seine Augen spruehten Verderben; er wollte auf die Knechte hinstuerzen, er sprach davon, sie zu erwuergen; aber die Ritter hielten ihn zurueck, und Hutten, zornbleich, aber gefasster als jener, fragte; "Wo ist der Doktor Calmus, lasst ihn hereinkommen, er soll Rechenschaft ablegen, er hat den Zug uebernommen." "Ach, Herr", sagte einer der Knechte, "der legt Euch keine Rechenschaft mehr ab; er liegt erschlagen auf der Bruecke bei Koengen!" "Erschlagen?" rief Sickingen. "Und der Herzog ist entkommen? Erzaehlt, Ihr Schurken!" "Wir legten uns, wie uns der Doktor befahl, bei der Bruecke in Hinterhalt. Es war beinahe noch dunkel, als wir den Hufschlag von vier Rossen hoerten, die sich der Bruecke naeherten, zugleich vernahmen wir das Zeichen, das uns die Reiter ueber dem Fluss geben sollten, wenn die Herzoglichen aus dem Wald kaemen. 'Jetzt ist's Zeit', sagte der Kahlmaeuser. Wir standen schnell auf und besetzten den Ausgang der Bruecke. Es waren, soviel wir im Halbdunkel unterscheiden konnten, vier Reiter und ein Bauersmann; die zwei hintersten wandten sich um und fochten mit unsern Reitern, die zwei vorderen und der Bauer machten sich an uns. Doch wir streckten ihnen die Lanzen entgegen, und der Doktor rief ihnen zu, sich zu ergeben. Da drangen sie wuetend auf uns ein; der Doktor sagte uns, der im gruenen Mantel sei der Rechte, und wir haetten ihn bald gehabt; aber der Bauer, wenn es nicht der Teufel selbst war, schlug den Doktor und noch zwei von uns nieder. Jetzt stach ihm einer die Hellebarde in den Leib, dass er fiel, und dann ging es auf die Reiter. Wir packten allesamt den im gruenen Mantel, wie uns der Kahlmaeuser geheissen, der andere aber stuerzte sich mit seinem Ross ueber die Bruecke hinab in den Neckar und schwamm davon. Wir aber liessen ihn ziehen weil wir den Gruenen hatten, und brachten diesen hierher." "Das war Ulrich und kein anderer!" rief Alban von Closen. "Ha! Ueber die Bruecke hinab in den Neckar! Das tut ihm keiner nach!" "Man muss ihm nachjagen", fuhr der Truchsess auf, "die ganze Reiterei muss aufsitzen und hinab am Neckar streifen, ich selbst will hinaus--." "Oh, Herr", entgegnete einer der Knechte, "da kommt Ihr zu spaet; es sind drei Stunden jetzt, dass wir von der Bruecke abzogen, der hat einen guten Vorsprung und kennt das Land wohl besser als alle Reiter!" "Kerl, willst Du mich noch hoehnen? Ihr habt ihn entkommen lassen, an Euch halte ich mich, man rufe die Wache; ich lasse Euch aufhaengen." "Maessigt Euch", sagte Frondsberg, "die armen Burschen trifft der Fehler nicht; sie haetten sich gern das Gold verdient, das auf den Herzog gesetzt war. Der Doktor hat gefehlt, und Ihr hoert, dass er es mit dem Leben zahlte." "Also Ihr habt heute den Herzog vorgestellt?" wandte sich Waldburg zu Georg, der still dieser Szene zugesehen hatte. "Muesst Ihr mir ueberall in den Weg laufen, mit Eurem Milchgesicht? Ueberall hat Euch der Teufel, wo man Euch nicht braucht. Es ist nicht das erste Mal, dass Ihr meine Plaene durchkreuzt." "Wenn Ihr es gewesen seid, Herr Truchsess", antwortete Georg, "der bei Neussen den Herzog meuchlings ueberfallen lassen wollte, so bin ich Euch leider in den Weg gekommen, denn Eure Knechte haben mich niedergeworfen." Die Ritter erstaunten ueber diese Rede und sahen den Truchsess fragend an. Er erroetete, man wusste nicht aus Zorn oder Beschaemung, und entgegnete: "Was schwatzt Ihr da von Neussen? Ich weiss von nichts; doch wenn man Euch dort niedergeworfen hat, so wuensche ich, Ihr waeret nimmer aufgestanden, um mir heute vor Augen zu kommen. Doch es ist auch so gut; Ihr habt Euch als ein erbitterter Feind des Bundes bewiesen, habt heimlich und offen fuer den geaechteten Herzog gehandelt, teilt also seine Schuld gegen den Bund und das ganze Reich; seid ueberdies heute mit den Waffen in der Hand gefangen worden--Euch trifft die Strafe des Hochverrats an dem allerdurchlauchtigsten Bund des Schwaben- und Frankenlandes." "Dies duenkt mir eine laecherliche Beschuldigung", erwiderte Georg mit mutigem Ton, "Ihr wisst wohl, wann und wo ich mich vom Bund losgesagt habe; Ihr habt mich auf vierzehn Tage Urfehde schwoeren lassen; so wahr Gott ueber mir ist, ich habe sie gehalten. Was ich nachher getan, davon habt Ihr nicht Rechenschaft zu fordern, weil ich Euch nicht mehr verpflichtet war, und was meine Gefangennehmung mit den Waffen in der Hand betrifft, so frage ich Euch, edle Herren, welcher Ritter wird, wenn er von sechs oder acht angegriffen wird, sich nicht seines Lebens wehren? Ich verlange von Euch ritterliche Haft und erbiete mich, Urfehde zu schwoeren auf sechs Wochen; mehr koennt Ihr nicht von mir verlangen." "Wollt Ihr uns Gesetze vorschreiben? Ihr habt gut gelernt bei dem uebermuetigen Herzog; ich hoere ihn aus Euch sprechen; doch keinen Schritt sollt Ihr zu Eurer Sippschaft tun, bis Ihr gesteht, wo der alte Fuchs, Euer Schwiegervater, sich aufhaelt und welchen Weg der Herzog genommen hat." "Der Ritter von Lichtenstein wurde von Euren Reitern gefangengenommen; welchen Weg der Herzog nahm, weiss ich nicht und kann es mit meinem Wort bekraeftigen." "Ritterliche Haft?" rief der Truchsess bitter lachend. "Da irrt Ihr Euch gewaltig; zeigt vorher, wo Ihr die goldenen Sporen verdient habt! Nein, solches Gelichter wird bei uns ins tiefste Verliess geworfen, und mit Euch will ich den Anfang machen." "Ich denke, dies ist unnoetig", fiel ihm Frondsberg ins Wort, "ich weiss, dass Georg von Sturmfeder zum Ritter geschlagen wurde; ueberdies hat er einem buendischem Edlen das Leben gerettet; Ihr werdet Euch wohl an die Aussage des Dietrich von Kraft erinnern. Auf Verwenden dieses Ritters wurde er von einem schmaehlichen Tod befreit und sogar in Freiheit gesetzt. Er kann dieselbe Behandlung von uns verlangen." "Ich weiss, dass Ihr ihm immer das Wort geredet, dass er Euer Schosskind war; aber diesmal hilft es ihm nicht, er muss nach Esslingen in den Turm, und jetzt den Augenblick--." "Ich leiste Buergschaft fuer ihn", rief Frondsberg, "und habe hier so gut mitzusprechen wie Ihr. Wir wollen abstimmen ueber den Gefangenen, man fuehre ihn einstweilen in mein Zelt." Einen Blick des Dankes warf Georg auf die ehrwuerdigen Zuege des Mannes, der ihn auch jetzt wieder aus der drohenden Gefahr rettete. Der Truchsess aber winkte muerrisch den Knechten, dem Befehl des Oberfeldhauptmanns zu folgen, und Georg folgte ihnen durch die Strassen des Lagers nach Frondsbergs Zelt. Nicht lange nachher stand der Mann vor ihm, dem er so unendlich viel zu danken hatte. Er wollte ihm danken, er wusste nicht, wie er ihm seine Ehrfurcht bezeigen sollte; doch Frondsberg sah ihn laechelnd an und zog ihn in seine Arme. "Keinen Dank, keine Entschuldigung!" sprach er, "sah ich doch alles dies voraus, als ich in Ulm von Dir Abschied nahm; doch Du wolltest es nicht glauben, wolltest Dich vergraben in die Burg Deiner Vaeter. Ich kann Dich nicht schelten; glaube mir, das Feldlager und die Stuerme so vieler Kriege haben mein Herz nicht so verhaertet, dass ich vergessen koennte, wie maechtig die Liebe zieht!" "Mein Freund, mein Vater!" rief Georg; indem er freudig erroetete. "Ja, das bin ich; der Freund Deines Vaters, Dein Vater, drum war ich oft stolz auf Dich, wenn Du auch in den feindlichen Reihen standest. Dein Name wurde, so jung Du bist, mit Ehrfurcht genannt, denn Treue und Mut ehrt ein Mann auch am Feind. Und glaube mir, es kam den meisten von uns erwuenscht, dass der Herzog entkam; was konnten wir mit ihm beginnen? Der Truchsess haette vielleicht einen uebereilten Streich gemacht, den wir alle zu buessen gehabt haetten." "Und was wird mein Schicksal sein?" fragte Georg. "Werde ich lange in Haft gehalten werden? Wo ist der Ritter von Lichtenstein? Oh mein Weib! Darf sie mich nicht besuchen?" Frondsberg laechelte geheimnisvoll. "Das wird schwer halten", sagte er, "Du wirst unter sicherer Bedeckung auf eine Feste gefuehrt und einem Waechter uebergeben werden, der Dich streng bewachen und nicht so bald entlassen wird. Doch sei nicht aengstlich, der Ritter von Lichtenstein wird mit Dir dorthin abgefuehrt werden, und Ihr beide muesst auf ein Jahr Urfehde schwoeren." Frondsberg wurde hier durch drei Maenner unterbrochen, die in das Zelt stuermten, es war der Feldhauptmann von Breitenstein und Dietrich von Kraft, die den Ritter von Lichtenstein in ihrer Mitte fuehrten. "Hab' ich Dich wieder, wackerer Junge!" rief Breitenstein, indem er Georgs Hand drueckte. "Du machst mir schoene Streiche. Dein alter Oheim hat Dich mir auf die Seele gebunden, ich solle einen tuechtigen Kaempen aus Dir ziehen, der dem Bund Ehre mache, und nun laeufst Du zu dem Feind und haust und stichst auf uns und haettest gestern beinahe die Schlacht gewonnen durch Dein tollkuehnes Stueckchen auf unsere Geschuetze." "Jeder nach seiner Art", entgegnete Frondsberg, "er hat uns aber auch in Feindes Reihen Ehre gemacht." Der Ritter von Lichtenstein umarmte seinen Sohn. "Er ist in Sicherheit", fluesterte er ihm zu, und beider Augen glaenzten vor Freude, zu der Rettung des ungluecklichen Fuersten beigetragen zu haben. Da fielen die Blicke des alten Ritters auf den gruenen Mantel, der noch immer um Georgs Schultern hing; er sah ihn naeher an. "Ha! Jetzt erst verstehe ich ganz, wie alles so kommen konnte", sprach er bewegt, und eine Traene der Freude hing an seinen grauen Wimpern, "sie nahmen Dich fuer ihn; was waere aus ihm geworden, wenn Dich der Mut nur einen Augenblick verlassen haette? Du hast mehr getan als wir alle, Du hast gesiegt, wenn wir jetzt auch Besiegte heissen, komm an mein Herz, Du wuerdiger Sohn." "Und Marx Stumpf von Schweinsberg?" fragte Georg; "auch er gefangen?" "Er hat sich durchgehauen, wer vermoechte auch seinen Hieben zu widerstehen? Meine alten Knochen sind muerbe, an mir liegt nichts mehr; aber er ist dem Herzog nachgezogen und wird ihm eine bessere Hilfe sein als fuenfzig Reiter. Doch den Pfeifer sah ich nicht, sag, wie ist er entkommen aus dem Streit?" "Als ein Held", erwiderte der junge Mann, von der Wehmut der Erinnerung bewegt, "er liegt erstochen an der Bruecke." "Tot?" rief Lichtenstein und seine Stimme zitterte. "Die treue Seele! Doch wohl ihm, er hat getan wie ein Edler und ist gestorben, treu, wie es Maennern ziemt!" Frondsberg naeherte sich ihnen und unterbrach ihre Reden. "Ihr scheint mir so niedergeschlagen", sagte er, "seid mutig und getrost, alter Herr! Das Kriegsglueck ist wandelbar, und Euer Herzog wird wohl auch wieder zu seinem Land kommen, wer weiss, ob es nicht besser ist, dass wir ihn noch auf einige Zeit in die Fremde schickten. Legt Helm und Panzer ab, das Gefecht zum Fruehstueck wird Euch die Lust zum Mittagessen nicht verdorben haben. Setzt Euch zu uns. Ich erwarte gegen Mittag den Waechter, unter dessen Obhut Ihr auf eine Burg gebracht werden sollt. Bis dahin lasst uns noch zusammen froehlich sein!" "Das ist ein Vorschlag, der sich hoeren laesst", rief der Feldhauptmann von Breitenstein. "Zu Tisch, Ihr Herren; wahrlich, Georg, mit Dir habe ich nicht mehr gespeist seit dem Imbiss im Ulmer Rathaussaal. Komm, wir wollen redlich nachholen, was wir versaeumten." Hans von Breitenstein zog Georg zu sich nieder, die anderen folgten seinem Beispiel, die Knechte trugen auf, und der edle Wein machte den Ritter von Lichtenstein und seinen Sohn vergessen, dass sie in misslichen Verhaeltnissen, im feindlichen Lager seien, dass sie vielleicht einem ungewissen Geschick, und wenn sie die Reden Frondsbergs recht deuteten, einer langen Gefangenschaft entgegengingen. Gegen das Ende der Tafel wurde Frondsberg hinausgerufen; bald kam er zurueck und sprach mit ernster Stimme: "So gerne ich noch laenger Eure Gesellschaft genossen haette, liebe Freunde, so tut es jetzt not, aufzubrechen. Der Waechter ist da, dem ich Euch uebergeben muss, und Ihr muesst Euch sputen, wollt Ihr heute noch die Feste erreichen." "Ist er ein Ritter, dieser Waechter?" fragte Lichtenstein, indem sich seine Stirn in finstere Falten zog. "Ich hoffe, man wird auf unsren Stand Ruecksicht genommen haben und uns ein anstaendiges Geleit geben?" "Ein Ritter ist er nicht", antwortete Frondsberg laechelnd, "doch ist er ein anstaendiges Geleit, Ihr werdet Euch selbst davon ueberzeugen." Er lueftete bei diesen Worten den Vorhang des Zeltes, und es erschienen die holden Zuege Mariens; mit dem Weinen der Freude stuerzte sie an die Brust ihres Gatten, und der alte Vater stand stumm vor Ueberraschung und Ruehrung, kuesste sein Kind auf die schoene Stirn und drueckte die Hand des biederen Frondsberg. "Das ist Euer Waechter", sprach dieser, "und die Lichtenstein die Feste, wo sie Euch gefangenhalten soll. Ich sehe es ihren Augen an, sie wird den jungen Herrn nicht zu streng halten, und der Alte wird sich nicht ueber sie beklagen koennen, doch rate ich Euch, Toechterchen, habt ein wachsames Auge auf die Gefangenen, lasst sie nicht wieder von der Burg, gestattet nicht, dass sie wieder Verbindungen mit gewissen Leuten anknuepfen; Ihr haftet mit Eurem Kopf dafuer!" "Aber, lieber Herr", entgegnete Marie, indem sie den Geliebten inniger an sich drueckte und laechelnd zu dem strengen Herrn aufblickte, "bedenkt, er ist ja mein Haupt, wie kann ich ihm etwas befehlen?" "Eben deswegen huetet Euch, dass Ihr dieses Haupt nicht wieder verliert; bindet ihn mit einem Liebesknoten recht fest, dass er Euch nicht entlaufe, er aendert nur gar zu leicht die Farbe; wir haben Beispiele!" "Ich trug nur eine Farbe, mein vaeterlicher Freund!" entgegnete der junge Mann, indem er in die Augen seiner schoenen Frau und auf die Feldbinde niedersah, die seine Brust umzog, "nur eine, und dieser blieb ich treu." "Wohlan! So haltet ferner nur zu ihr", sagte Frondsberg und reichte ihm die Hand zum Abschied. "Lebe wohl! Die Pferde harren vor dem Zelt; bringt Eure Gefangenen sicher auf die Feste, schoene Frau, und gedenket huldreich das alten Frondsberg." Marie schied von diesem Edlen mit Traenen in den Augen, auch die Maenner nahmen bewegt seine Hand, denn sie wussten wohl, dass ohne seine Hilfe ihr Geschick sich nicht so freundlich gewendet haette. Noch lange sah ihnen Georg von Frondsberg nach, bis sie an der aeussersten Zeltgasse um die Ecke bogen. "Er ist in guten Haenden", sagte er dann, indem er sich zu Breitenstein wandte, "wahrlich, der Segen seines Vaters ruht auf ihm. Ein gutes, schoenes Weib und ein Erbe, wie wenige sind im Schwabenland." "Ja, ja!" erwiderte Hans von Breitenstein, "seiner Klugheit und Vorsicht hat er es nicht zu danken, doch wer das Glueck hat, fuehrt die Braut heim; ich bin fuenfzig alt geworden und gehe noch auf Freiersfuessen; Ihr auch, Herr Dietrich von Kraft, nicht wahr?" "Mitnichten und im Gegenteil", sagte dieser, wie aus einem Traum erwachend, "wenn man ein solches Paar sieht, weiss man, was man zu tun hat. In dieser Stunde noch setze ich mich in meine Saenfte, reise nach Ulm und fuehre meine Base heim; lebt wohl Ihr Herren!" Als der schwaebische Bund Wuerttemberg wiedererobert hatte, richtete er seine Regierung wieder ein und beherrschte das Land wieder wie im Sommer 1519. Die Anhaenger des vertriebenen Herzogs mussten Urfehde schwoeren und wurden auf ihre Burgen verwiesen. Georg von Sturmfeder und seine Lieben, die dieses Schicksal mit betraf, lebten zurueckgezogen auf Lichtenstein, und Marien und ihrem Gatten ging in ihrem stillen haeuslichen Glueck ein neues Leben auf. Noch oft, wenn sie am Fenster des Schlosses standen und hinabschauten auf Wuerttembergs schoene Fluren, gedachten sie des ungluecklichen Fuersten, der einst hier mit ihnen auf sein Land hinabgeblickt hatte, und dann dachten sie nach ueber die Verkettung seiner Schicksale und wie durch eine sonderbare Fuegung auch ihr eigenes Geschick mit dem seinigen verbunden war; und wenn sie sich auch gestanden, dass ihr Glueck vielleicht nicht so frueh, nicht so schoen aufgeblueht waere ohne diese Verknuepfung, so wurde doch ihre Freude durch den Gedanken getruebt, dass der Stifter ihres Glueckes noch immer fern von seinem Land im Elend der Verbannung lebe. Erst viele Jahre nachher gelang es dem Herzog, Wuerttemberg wiederzuerobern. Doch als er, gelaeutert durch Unglueck, als ein weiser Fuerst zurueckkehrte, als er die alten Rechte ehrte und die Herzen seiner Buerger fuer sich gewann, als er jene heiligen Lehren, die er in fernem Land gehoert, die so oft sein Trost in einem langen Unglueck geworden waren, seinem Volk predigen liess und einen gelaeuterten Glauben mit den Grundgesetzen seines Reiches verband, da erkannten Georg und Marie den Finger einer guetigen Gottheit in den Schicksalen Ulrichs von Wuerttemberg, und sie segneten Den, der dem Auge des Sterblichen die Zukunft verhuellt und auch hier wie immer durch Nacht zum Licht fuehrte. Der Name der Lichtenstein im Wuerttemberger Land ging mit dem alten Ritter zu Grabe, doch erlebte er noch im hohen Alter die Freude, seine bluehenden Enkel waffenfaehig zu sehen. So geht Geschlecht um Geschlecht ueber die Erde hin, das neue verdraengt das alte, und nach dem kurzen Zeitraum von fuenfzig oder hundert Jahren sind biedere Maenner, treue Herzen vergessen; ihr Gedaechtnis uebertoent der rauschende Strom der Zeiten, und nur wenige glaenzende Namen tauchen auf aus den Fluten des Lethe und spielen in ihrem ungewissen Schimmer auf den Wellen. Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Lichtenstein", von Wilhelm Hauff. End of Redistribuito da: classicistranieri.com | Facciamo una biblioteca multiediale. Meglio. E ci dispiace per gli altri! The Project Gutenberg EBook of Lichtenstein, by Wilhelm Hauff *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LICHTENSTEIN *** This file should be named 7lcht10.txt or 7lcht10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7lcht11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7lcht10a.txt This text was produced for Project Gutenberg by Mike Pullen and Delphine Lettau. We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- which requires a binary transfer, or sent as email attachment and may require more specialized programs to display the accents. This is the 7-bit version. This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg2000.de erreichbar. Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. 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